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Positionspapier Soziale Arbeit und Psychiatrie - Psychiatrische ...

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2.2.2. Die Bedürfnistheorie von Werner Obrecht (2009, 2011)<br />

In der <strong>Soziale</strong>n <strong>Arbeit</strong> hat Werner Obrecht (2010) auf der Basis des „Emergentistischen<br />

Systemismus“(Obrecht 2005, 2009; Bunge/Mahner 2004, Klassen 2004) eine erweiterte Bedürfnistheorie<br />

entwickelt, die aber in Bezug auf die Gr<strong>und</strong>annahmen von Grawe durchaus<br />

anschlussfähig ist: „Bedürfnisse (sind) über Verhaltensprozesse regulierte organismische<br />

Grössen. Ein aktuelles Bedürfnis bzw. eine Bedürfnisspannung liegt vor, wenn sich ein Organismus<br />

jenseits des für ihn befriedigenden Zustandes (des Wohlbefindens) befindet, welcher<br />

innerhalb des Nervensystems registriert wird <strong>und</strong> - davon ausgehend - den Organismus<br />

(über organismisch bewusstseinsfähige Regelungsprozesse) zu einem nach Aussen gerichteten<br />

Verhalten motiviert“. Dieses Verhalten ist „auf die Reduktion der Spannung bzw. auf die<br />

Kompensation der Störung gerichtet, in dessen Folge sich Wohlbefinden einstellt.“ (Obrecht<br />

2010, S. 18f.)<br />

Er unterscheidet aufgr<strong>und</strong> einer Metaanalyse von Forschungsergebnissen aus Biologie/Psychobiologie,<br />

Psychologie/Sozialpsychologie <strong>und</strong> Soziologie zwischen folgenden Bedürfniskategorien:<br />

Biologische, psychische <strong>und</strong> soziale/sozialkulturelle Bedürfnisse (für die<br />

einzelnen Bedürfnisse innerhalb dieser Kategorien vgl. untenstehende Anmerkung) 13 . Dabei<br />

ist zu beachten, dass es sich bei allen – <strong>und</strong> nicht nur bei den biologischen um „Gr<strong>und</strong>bedürfnisse“<br />

handelt, die im Hinblck auf menschliches Wohlbefinden befriedigt sein müssen.<br />

Sie unterscheiden sich lediglich hinsichtlich ihrer Elastizität im Bezug auf die Dringlichkeit<br />

ihrer Befriedigung: Hungernd überlebt man ein paar Wochen – ohne soziale Gerechtigkeit je<br />

nachdem ein ganzes Leben lang. Bedürfnisbefriedigungsverletzungen können beispielsweiase<br />

auf Krankheiten, unmittelbare neuronale <strong>und</strong> damit psychophysische Störungen <strong>und</strong><br />

Verletzungen, aber auch auf stresserzeugende soziale Beziehungsn in der Partnerschaft,<br />

Familie, <strong>Arbeit</strong>, Schule oder im Fre<strong>und</strong>eskreis usw. zurückgeführt werden.<br />

<strong>Soziale</strong> Probleme sind vor diesem Hintergr<strong>und</strong> Probleme von Individuen, denen keine für sie<br />

befriedigende Einbindung in die sozialen Systeme gelingt, denen sie zuerst unfreiwillig (z.B.<br />

Familie) oder später freiwllig (z.B.Fre<strong>und</strong>schaften, tertiäres Bildungssystem, Peers) angehören<br />

(Obrecht 2011, S. 19). Bei multiplen Problemlagen fällt es den Individuen immer schwerer,<br />

sie aus eigener Kraft <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> eigener Ressourcen zu lösen. Dadurch wird das psychobiologische<br />

System in seiner Leistungsfähigkeit – je nachdem bis zum Zusammenbruch –<br />

geschwächt <strong>und</strong> in der Folge realitätsgerechte Problemlösungen für soziale Alltagsprobleme<br />

be- oder verhindert. So ist chronische Bedürfnisbefriedigungsversagung ein physiologischer<br />

Stressor, der zu chronischen Erkrankungen <strong>und</strong> zur Reduktion der Lebenserwartung führen<br />

kann.<br />

Wie Grawe geht also auch Obrecht davon aus, dass die schwere <strong>und</strong> dauerhafte Verletzung<br />

der Befriedigung von biologischen, psychischen <strong>und</strong> sozial(kulturell)en Bedürfnissen zu den<br />

wichtigsten Ursachen für psychische Störungen gehören.<br />

2.3. Studien zum Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen/sozialen, psychischen<br />

Determinanten <strong>und</strong> psychischen Störungen/Krankheiten<br />

Eine der eindrücklichsten, frühen Studien über die psychosozialen <strong>und</strong> sozialen Wirkungen<br />

der Schliessung einer Fabrik als einzigem <strong>Arbeit</strong>geber in einem grösseren Dorf mit einem<br />

sozial gut integrierten <strong>und</strong> kulturell regen Familien- <strong>und</strong> Dorfleben ist in „Die <strong>Arbeit</strong>losen von<br />

Marienthal“ (Jahoda/Lazarsfeld/Zeisel 1975/1933) festgehalten. Seither gibt es eine unüber-<br />

13 Namentlich: Biologische Bedürfnisse nach physischer Integrität, nach den für die Autopoiese (Reproduktion<br />

des Organismus) erforderlichen Austauschstoffen, nach Regenerierung <strong>und</strong> nach sexueller Aktivität.<br />

(Bio)Psychische Bedürfnisse nach wahrnehmungsgerechter sensorischer Stimulation, schönen Formen in spezifischen<br />

Bereichen des Erlebens, Abwechslung/Stimulation, assimilierbarer orientierungs- <strong>und</strong> handlungsrelevanter<br />

Information; subjektiv relevanten (affektiv besetzten) Zielen <strong>und</strong> Hoffnung auf den Erfüllung; effektiven Fertigkeiten<br />

(Skills), Regeln <strong>und</strong> (sozialen) Normen zur Bewältigung von (wiederkehrenden) Situation in Abhängigkeit<br />

der subjektiv relevanten Ziele. (Biopsycho)<strong>Soziale</strong> Bedürfnisse nach emotionaler Zuwendung; spontaner Hilfe;<br />

sozial(kulturell)er Zugehörigkeit (Mitgliedschaft) durch Teilnahme; Unverwechselbarkeit („Identität“); (relativer)<br />

Autonomie als Kontrolle der Lebensumstände; Kooperation; Fairness (Verfahrensgerechtigkeit); sozialer Anerkennung<br />

(Status, Rang); (Austausch)Gerechtigkeit.<br />

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