Positionspapier Soziale Arbeit und Psychiatrie - Psychiatrische ...
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<strong>und</strong> mögliche Zielobjekte sind im Organismus physiologisch <strong>und</strong>/oder neuronal repräsentiert.<br />
Für Hunger, Durst, Schlaf, Sexualität usw. sind die entsprechenden physiologischen Regelkreise<br />
<strong>und</strong> neuronalen Schaltkreise gut untersucht (Panksepp 1998, in Grawe). Gibt es auch<br />
für psychische Bedürfnisse analoge Regelkreise oder irgendeine Art der neuronalen Repräsentation?<br />
(S. 184) Dies wird von Grawe bejaht <strong>und</strong> entsprechend erläutert (S. 44-182). Er<br />
fährt fort: „ Es gibt viele Hinweise darauf, dass eine schwere <strong>und</strong> dauerhafte Verletzung von<br />
Gr<strong>und</strong>bedürfnissen letztlich die wichtigste Ursache für die Entwicklung psychischer Störungen<br />
ist <strong>und</strong> auch für deren Aufrechterhaltung eine wichtige Rolle spielt.“ (S. 184) „Unter<br />
Gr<strong>und</strong>bedürfnissen verstehe ich Bedürfnisse, die bei allen Menschen vorhanden sind <strong>und</strong><br />
deren Verletzung oder dauerhafte Nichtbefriedigung zu Schädigungen der psychischen Ges<strong>und</strong>heit<br />
<strong>und</strong> des Wohlbefindens führen.“ (S. 185)<br />
Grawe unterscheidet – basierend auf Seymour Epsteins „Cognitive-Experiential Self-Theory<br />
(CEST)“ (1990, 1993) zwischen vier Gr<strong>und</strong>bedürfnissen (183-371:<br />
• Bedürfnis nach Lustgewinn <strong>und</strong> Unlustvermeidung (als vorwiegend biologisches Bedürfnis)<br />
• Bedürfnis nach Orientierung <strong>und</strong> Kontrolle <strong>und</strong> Kohärenz (als psychisches Bedürfnis)<br />
• Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung <strong>und</strong> Selbstwertschutz (als psychisches <strong>und</strong> indirekt<br />
soziales Bedürfnis nach sozialer Anerkennung)<br />
• Bedürfnis nach Bindung (als soziales Bedürfnis)<br />
„Eine gute Befriedigung der Gr<strong>und</strong>bedürfnisse kann nur erreicht werden, wenn das Individuum<br />
flexible, erfolgreiche Mechanismen der Konsistenzregulation entwickelt.“ (191f.) Dabei<br />
hält Grawe zugleich die Grenzen einer Psychotherapie zur Wiederherstellung von Kongruenz<br />
<strong>und</strong> Konsistenz fest, nämlich (S. 412):<br />
• „Ungünstige gegenwärtige Lebensbedingungen wie Armut, <strong>Arbeit</strong>slosigkeit, schlechte<br />
soziale Umgebung, geringe Unterstützungsmöglichkeiten, auch Krankheiten <strong>und</strong> körperliche<br />
Beeinträchtigungen. Dies sind Inkongruenzquellen, auf die Psychotherapie in<br />
der Regel keinen oder nur einen sehr begrenzten Einfluss hat.“<br />
• „Ungünstige Beziehungen, in denen der Patient gegenwärtig lebt. Das kann etwa eine<br />
sehr belastete oder sogar desolate Partnerbeziehung sein oder eine nicht gelungene<br />
Ablösung eines jungen Erwachsenen aus seinem Elternhaus oder das Zusammenleben<br />
mit einem drogensüchtigen oder alkoholabhängigen Menschen. Solche<br />
Beziehungen haben ihre eigene Dynamik. Sie sind oft vom Patienten allein nicht zu<br />
verändern, sondern erfordern eine überindividuelle Intervention in das Beziehungssystem.<br />
... auch bei Vorliegen solcher Bedingungen dürfte es kaum möglich sein,<br />
nachhaltige Veränderungen mit Psychotherapie zu bewirken, ohne diese Bedingungen<br />
selbst zu verändern.“<br />
Klarer kann man es nicht formulieren: Genau dort, wo Grawe die „Grenzen der Psychotherapie“<br />
markiert, beginnt der Zuständigkeitsbereich der <strong>Soziale</strong>n <strong>Arbeit</strong> als Intervention unter<br />
Einbezug von individuellen <strong>und</strong> kollektiven Mitgliedern des sozialen Umfeldes. Und im Gegenzug<br />
lässt sich formulieren: Die „Grenzen der <strong>Soziale</strong>n <strong>Arbeit</strong>“ enden beim Zuständigkeitsbereich<br />
psychotherapeutischer <strong>und</strong> psychiatrischer Intervention, aber auch bei denjenigen<br />
gesellschaftlichen Machtverhältnissen, zu denen sie aufgr<strong>und</strong> ihres begrenzten Einflusses<br />
keinen Zugang hat. 12<br />
12 Allerdings ist viel mehr möglich als das, was sich SozialarbeiterInnen in der Regel zutrauen (Staub-Benasconi<br />
2010: S. 374-418)<br />
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