Positionspapier Soziale Arbeit und Psychiatrie - Psychiatrische ...
Positionspapier Soziale Arbeit und Psychiatrie - Psychiatrische ...
Positionspapier Soziale Arbeit und Psychiatrie - Psychiatrische ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Die soziale „Umwelt“ ist ferner vor allem durch „Produkte <strong>und</strong> Technologien“ sowie durch<br />
Elemente der „natürlichen/ sozialökologischen Umwelt“ charakterisiert. Dazu kommt die Vorstellung<br />
individueller Teilnahme an „bedeutenden Lebensbereichen“ wie (Aus)Bildung, Wirtschaft,<br />
Gemeinschafts- <strong>und</strong> staatsbürgerliches Leben, wobei implizit vorausgesetzt wird,<br />
dass ihre Strukturen <strong>und</strong> Interaktionsprozesse unproblematisch sind. Die Umwelt der AdressatInnen<br />
dient in dieser Konzeption vor allem als Ressourcenreservoir im Sinn vielfältiger, zu<br />
organisierender sozialer Unterstützungsmöglichkeiten. Dies wird mit einer differenzierten<br />
Auflistung von Diensten/Dienstleistungen, die für eine Hilfeleistung dienlich sein können,<br />
näher beschrieben. Ebenso wichtig wäre der Einbezug der identifizierbaren gesellschaftlichen<br />
Belastungen <strong>und</strong> Behinderungen der sozialen Umwelt <strong>und</strong> damit der potenziellen oder<br />
aktuellen Stressfaktoren, die eine Genesung <strong>und</strong> gesellschaftliche (Re)Integration behindern<br />
oder gar verunmöglichen. Die Erhebung von „Einstellungen“ relevanter gesellschaftlicher<br />
Akteure, die stigmatisierend, diskriminierend, marginalisierend bis sozial ausschliessend sein<br />
können, ist dafür eine notwendige, aber nicht hinreichende sozialpsychologische Kategorie.<br />
Es fehlt das Bild einer zu diagnostizierenden, problemgenerierenden Sozialstruktur <strong>und</strong> Kultur<br />
der verschiedenen Mitgliedschaftssysteme, in welche die AdressatInnen reintegriert werden<br />
sollen. Im Index gibt es den Begriff „Sozial“ nur zweimal, <strong>und</strong> zwar als Adjektiv: erstens<br />
als „soziale Sicherheit“ <strong>und</strong> zweitens als „soziale Unterstützung“. Auch in diesem sozialen<br />
Diagnosemodell überwiegen rollenbezogene Pflichtvorstellungen auf Kosten von individuellen<br />
Rechten, miteingeschlossen Patientenrechten. Im Gegensatz zu diesen Ausführungen<br />
sind die Bereiche Biologie <strong>und</strong> Psyche - wie im ICD-Diagnosesystem - sehr differenziert behandelt.<br />
Dies geschieht zu Recht. Nur dürfte es im Vergleich zum sozialen/sozialkulturellen<br />
Bereich keine derartige diagnostische Schieflage geben.<br />
1.4. Ein früher Syntheseversuch zwischen psychiatrisch-psychologischer <strong>und</strong><br />
sozialarbeiterischer Diagnostik – das „Person-In-Environment“- PIE-<br />
System<br />
Da seit Beginn des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts der klinische Bereich zum <strong>Arbeit</strong>sfeld der <strong>Soziale</strong>n <strong>Arbeit</strong><br />
gehörte, die Sozialarbeitenden bereit waren, die ICD-Diagnostik zu benutzen, sie aber<br />
aus ihrer disziplinären <strong>und</strong> professionellen Perspektive erweitern wollten, wurde in den USA<br />
als Ergänzung das „PIE-Diagnosesystem“ (Karls/Wandrei 1992) entwickelt. Die zentralen<br />
Kategorien des PIE sind „Social Role Functioning“, „Person in Environment/Problems in the<br />
Environment“ sowie „Severity, Duration of Problem, and Coping Indexes“. Es erfasst in einem<br />
ersten Durchgang alle potenziellen sozialen Mitgliedschaften mit ihren Rollensets <strong>und</strong><br />
damit verb<strong>und</strong>enen Rollenpflichten - auch spezielle wie diejenigen als KonsumentIn, MigrantIn/Flüchtling<br />
mit <strong>und</strong> ohne Papiere, PatientIn usw. Dabei soll die interaktionelle (Konflikt)Dynamik<br />
zwischen den Rollenträgern (Machtgefälle, Nichterfüllung von Rollenpflichten,<br />
Viktimisierung durch Gewaltanwendung, soziale Isolierung, Verlust eines Rollenpartners<br />
usw.) erfasst <strong>und</strong> eingeschätzt werden. In einem zweiten Durchgang geht es um die Erfassung<br />
der gesellschaftlichen Umwelt der AdressatInnen mit der Frage, inwiefern diese die<br />
Bedürfnisbefriedigung, Lebensbewältigung <strong>und</strong> das Wohlbefinden der AdressatInnen aufgr<strong>und</strong><br />
von strukturbedingt fehlenden Umweltressourcen, Ressourcenknappheit oder -entzug,<br />
ferner aufgr<strong>und</strong> multipler Diskriminierung in den verschiedensten sozialen Teilsystemen beeinträchtigen.<br />
Teil der sozialen Diagnose ist, wie bei den vorher erwähnten Diagnosesystemen,<br />
das „social role functioning“ der Individuen, doch wird diese durch gesellschaftsbezogene<br />
Variablen wie Diskriminierung, Machtgefälle, Viktimisierung usw. erheblich erweitert.<br />
Für eine erste Ausarbeitung von diagnostischen Fragestellungen zur sozialen <strong>und</strong> kulturellen<br />
Dimension klinischer <strong>Soziale</strong>r <strong>Arbeit</strong> unter Berücksichtigung der in diesem <strong>Positionspapier</strong><br />
gemachten Ausführungen vgl. Anhang 6).<br />
16