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Gestalten | Primarstufe<br />
Über Sachwissen und Sachkönnen, Selbst- und Sozialkompetenz<br />
«Ich erzähl dir, was ich gelernt<br />
habe.»<br />
Hätten wir im technischen und textilen Gestalten noch immer das Fachverständnis unserer<br />
Grosseltern, so wäre die Auswahl der Beurteilungskriterien für Arbeiten im technischen und<br />
textilen Gestalten unbestritten und die entsprechende Beurteilung ein Leichtes.<br />
karolin Weber<br />
Das regelmässige, saube-<br />
re und zügige Ausführen<br />
der Verfahren sowie das<br />
genaue Nachvollziehen<br />
des vorgegebenen Objektes<br />
zeichnete nach altem<br />
Fachverständnis die<br />
besten Schülerinnen und<br />
Schüler aus!<br />
Machen wir es uns unnötig schwer, wenn wir<br />
das Fach heute anders definieren, wenn wir<br />
Individualität, Ideenvielfalt und Kooperationsfähigkeit<br />
<strong>als</strong> wesentliche Fähigkeiten in die<br />
Beurteilung einbeziehen? Die Versuchung ist<br />
gross, grundsätzlich alle Resultate der Kinder<br />
der Primarstufe <strong>als</strong> gelungen zu bezeichnen,<br />
um damit einer weiterführenden Beurteilung<br />
aus dem Weg zu gehen. Natürlich könnten auch<br />
Aufgaben gestellt werden, deren Ziel ein möglichst<br />
identisches, gut nachgebasteltes Produkt<br />
wäre. Diese Produkte liessen sich miteinander<br />
vergleichen und damit einfacher beurteilen. Auf<br />
diese Weise wäre – auf Kosten der vergebenen<br />
Lernmöglichkeiten der Kinder – das Beurteilungsdilemma<br />
vordergründig gelöst. Es liegt<br />
auf der Hand: Dieser Ausweg taugt nicht; eine<br />
andere Strategie muss her! Eine aussagekräftige<br />
Beurteilung ist nur dann möglich, wenn eine<br />
Aufgabenstellung mit einem definierten Lerninhalt<br />
oder einem definierten Kompetenzaufbau<br />
verbunden ist.<br />
Die Publikation «Handlungskompetenz im<br />
technischen und textilen Gestalten» stellt die<br />
Lerngelegenheiten im ttG umfassend dar. In<br />
drei Kompetenzstufen und mit über 30 Kriterien<br />
wird aufgezeigt, wie sich Handlungskompetenz<br />
entwickelt und woraus sie sich<br />
zusammensetzt. Die Formulierungen zum Aufbau<br />
der Fachkompetenz werden ergänzt durch<br />
gezielt ausgewählte und für das Gestalten<br />
<strong>profi</strong>-L 1 / 13 © Schulverlag plus AG<br />
besonders relevante Anteile der Selbst- und<br />
Sozialkompetenz.<br />
Die Fachkompetenz wird <strong>als</strong> Sachwissen und<br />
Sachkönnen definiert. Somit wird klar, dass<br />
es im Gestalten nicht nur um Können, <strong>als</strong>o<br />
Ausführen und Herstellen, sondern auch um<br />
Wissen geht. «Woher<br />
kommt das Material,<br />
wie heisst es, wozu<br />
soll das Produkt die-<br />
nen, wie stellen<br />
Handwerker diesen<br />
Gegenstand her?»<br />
Solche und ähnliche Fragen leiten die Schü-<br />
lerinnen und Schüler dazu an, die gestaltete<br />
Umwelt zu erkunden, Begriffe aufzubauen<br />
und Zusammenhänge zu erkennen. Beispiel:<br />
Gemeinsam mit den Kindern werden unter-<br />
schiedlichste Taschen gesammelt. Tragtaschen<br />
aus Papier, solche aus Recycling-Kunststoff,<br />
Sporttaschen, Schultaschen, alte Koffer, Hand-<br />
taschen usw. Diese Sammlung wird von den<br />
Schülerinnen und Schülern geordnet und un-<br />
tersucht: Woraus ist die Tasche gefertigt, wozu<br />
braucht man sie, was kann man damit trans-<br />
portieren, kann man sie mehrm<strong>als</strong> verwenden?<br />
Das handwerkliche, motorische Können ist un-<br />
abdingbar, um Ideen anschliessend umzuset-<br />
zen. Je älter die Schülerinnen und Schüler sind,<br />
umso mehr und umso komplexere Verfahren<br />
haben sie bereits entdeckt, erlernt, geübt und<br />
in unterschiedlichen Situationen eingesetzt.<br />
Die motorischen Fertigkeiten und das Wissen<br />
um die Regeln der Anwendung bilden das<br />
Repertoire, das sie für ihre Konstruktionen<br />
einsetzen können.<br />
Im Kompetenzmodell ttG werden die Aspekte<br />
der Selbst- und Sozialkompetenz fachspezifisch<br />
formuliert. Es wird deutlich, wie stark diese Be-<br />
reiche mit dem gestalterischen Handeln und<br />
dem Gelingen einer Aufgabe verbunden sind.<br />
Die Kriterien in diesen Bereichen unterstützen<br />
Lehrpersonen darin, die eigene Beobachtungsfähigkeit<br />
im Unterricht zu fokussieren und die<br />
Kinder differenziert wahrzunehmen. So kann<br />
man z.B. Kindern besser gerecht werden, wel-<br />
«Mit dem KMttG bekommt die Selbstreflexion<br />
der Schülerinnen und Schüler<br />
eine wesentliche Bedeutung.»<br />
che über ein gut entwickeltes Vorstellungsvermögen<br />
verfügen und sich mit viel Engagement<br />
in der Gruppe einbringen, motorisch aber<br />
noch nicht so geschickt sind. Auch sie können<br />
mit Hilfe dieses Modells <strong>als</strong> gute Gestalter erkannt<br />
und in ihren Entwicklungsbedürfnissen<br />
entsprechend gefördert werden.<br />
Wie kann das Kompetenz modell ttG<br />
(KMttG) eingesetzt werden?<br />
Mit dem KMttG bekommt die Selbstreflexion<br />
der Schülerinnen und Schüler eine wesent-<br />
liche Bedeutung. Sie sollen dazu angeleitet<br />
werden, ihr Lernen, ihre Fortschritte und Ziele<br />
fachspezifisch einzuschätzen. Stolz erkennen<br />
sie, dass sie einen grossen Holzklotz zersägen<br />
oder auch die ganz kleinen Nägel einschlagen<br />
konnten. Sie besprechen, wie sie sich im Ge-<br />
brauch des begehrten Akkubohrers organi-<br />
siert haben, oder berichten, was sie diesmal<br />
anders gemacht haben beim Einspannen des<br />
Werkstückes <strong>als</strong> beim letzten Mal. Mit den<br />
entsprechenden Arbeitsmaterialien werden<br />
Schülerinnen und Schüler ab der 2. Klasse in<br />
eine strukturierte Reflexion eingeführt.<br />
Das Modell stellt in den drei Kompetenzberei-<br />
chen über 30 verschiedene Deskriptoren zur