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Thema Kreativität<br />
22<br />
Eine Brücke aus<br />
silbernen Fäden<br />
Das Reich, in der die Musikerin Jocelyn B.<br />
Smith ihre Kreativität auslebt, ist Soul und<br />
Jazz. Wie ihre Lieder entstehen, verrät sie<br />
im Gespräch mit Haidrun Schäfer.<br />
Haidrun Schäfer: Du bist Musikerin und komponierst<br />
deine Stücke selber. Wie entstehen deine Lieder?<br />
Jocelyn B. Smith: Indem ich meine Ohren spitze...<br />
Das klingt komisch, aber es ist wirklich so: Ich fühle<br />
die Beziehung zwischen Himmel und Erde und nehme<br />
sie bewusst wahr. Für mich entsteht alles, was man als<br />
kreativ bezeichnet, wenn man bewusst diese Brücke<br />
nutzt. Und das geschieht oft in Momenten, in denen<br />
man sich nicht darauf konzentriert, eine Melodie zu<br />
schreiben oder sich einen Text auszudenken. Im Gegenteil:<br />
Diese Verbindung entsteht in ganz ruhigen und<br />
friedvollen Momenten, in denen ich dann plötzlich eine<br />
Melodie erkenne. Meistens kann ich Melodien sehen,<br />
aber manchmal träume ich sie auch und dann muss ich<br />
sie ganz schnell auf dem Diktiergerät festhalten. Manchmal<br />
höre ich auch Melodien und ich glaube, die KGS-<br />
Leser verstehen es, wenn man davon spricht, Stimmen<br />
zu hören. Als Musikerin höre ich keine Stimmen, sondern<br />
Melodien. Die Brücke ist wie aus silbernen Fäden<br />
gesponnen und diese transportieren die Informationen.<br />
Jeder Kontakt ist <strong>für</strong> mich wie eine Einladung, mich<br />
weiter zu öffnen und bereit zu sein <strong>für</strong> diese andere<br />
Ebene. Jeder Künstler ist mit dieser Ebene verbunden<br />
– egal ob Musiker, Maler oder Schriftsteller. Wir alle<br />
haben einen Draht, um die Informationen „herunterzuladen“.<br />
Nach der Wahrnehmung habe ich dann die<br />
gelernten Werkzeuge zur Verfügung, um das Geschenk<br />
hier in eine musikalische Form quasi zu übersetzen. Ich<br />
habe gelernt, Töne in Noten darzustellen und ich habe<br />
gelernt, wie man eine musikalische Idee auf einer Bühne<br />
oder in einem Studio umsetzt.<br />
Ist der „Kanal“ immer gleich offen oder gibt es Unterschiede?<br />
Jocelyn B. Smith<br />
„Mein Resonanzraum ist der Jazz und der Soul.“<br />
Es gibt deutliche Unterschiede. An manchen Tagen ist<br />
Funkstille und dann gibt es Momente, wo die Verbindung<br />
so klar und deutlich und gigantisch ist, dass ich<br />
einen kompletten Titel empfange. Für diese Momente<br />
lebe ich – das ist wirklich beeindruckend, wenn ein<br />
kompletter Titel wie ein Geschenk offenbart wird. Das<br />
ist wie Weihnachten und Geburtstag zusammen. Alle<br />
großen Musiker wie Mozart oder Beethoven waren mit<br />
diesem Kanal verbunden. Ein Meisterwerk hat nichts<br />
mit Fleiß und Lernen zu tun, sondern mit der Offenheit,<br />
Informationen aus dem Universum zu empfangen.<br />
War das bei dir von Anfang an so?<br />
Aus unserer Tradition als Schwarze haben wir ein sehr<br />
spirituelles Weltbild, d.h. <strong>für</strong> uns ist es normal, dass es<br />
eine Verbindung zu den geistigen Welten gibt. Ein Teil<br />
meiner Familie ist american-indian und gleichzeitig fließt<br />
in unseren Adern afrikanisches Blut. Außerdem habe ich<br />
zusätzlich noch europäische Wurzeln – ich habe irische,<br />
schottische und portugiesische Vorfahren.<br />
Damit bist du gut ausgerüstet...<br />
... und das hat auch damit zu tun, dass ich von New<br />
York nach Europa zurückgekommen bin. Diese alten<br />
Wurzeln berühren mich sehr. Ich fühle mich mit der<br />
Druiden-Tradition und der damaligen Musik sehr verbunden.<br />
Die Musik basierte auf einer anderen Tonart<br />
als heute – sie war mehr auf die Herzfrequenz ausgerichtet.<br />
Heute ist ein Klavier auf 440 Hertz gestimmt,<br />
damals war es eine andere Frequenz.<br />
Gibt es auch Situationen, wo du dich einfach ans Klavier<br />
setzt und nach einer Melodie suchst?<br />
Ja, das ist die professionelle Seite. Natürlich gibt es<br />
Situationen, wo ich mit dem Ziel übe, eine Melodie<br />
KGSBerlin 02/2010<br />
Foto: www.thsw.de