Leseprobe - Residenz Verlag
Leseprobe - Residenz Verlag
Leseprobe - Residenz Verlag
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Inhalt<br />
»Es muss mir Freude machen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />
Annäherung an Klaus Maria Brandauer<br />
»Sein oder Nichtsein« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19<br />
Brandauers Lebensweg mit Hamlet –<br />
die Geschichte einer Obsession<br />
»Lassen wir uns zwicken, beißen, kratzen!« . . . . . . . . . 59<br />
Die fast unmögliche Aufgabe, ein Regisseur zu sein<br />
Einmal Altaussee, immer Altaussee . . . . . . . . . . . . . . . . 89<br />
Der Weltstar aus der Provinz:<br />
Brandauers Kindheit, Jugend- und Ehejahre<br />
»Ich bin der Carlos von der Burg!« . . . . . . . . . . . . . . . . 131<br />
Brandauers Bühnenrollen und Seitensprünge –<br />
eine Aufführungsgeschichte<br />
»Vor der Kamera kann man nicht lügen.« . . . . . . . . . . . 181<br />
István Szabó über seine Trilogie mit Brandauer<br />
Ich bin immer ich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205<br />
Der Schauspieler als Gesamtkunstwerk:<br />
Das Phänomen Brandauer<br />
Puer aeternus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261<br />
Des Chaos jugendlicher Sohn<br />
Nathan, der Weiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271<br />
Brandauers erste Altersrolle<br />
7
Inhalt<br />
Der Mozart-Leser im Preisregen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279<br />
Im Visier des Bösen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283<br />
Filmprojekte mit – und fast mit – Brandauer<br />
Erst kommt die Dresche, dann kommt der Erfolg . . . . 289<br />
Brandauer inszeniert DIE DREIGROSCHENOPER<br />
»Mein lieber Schwan!« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307<br />
Brandauer inszeniert LOHENGRIN<br />
»Weil ich mich so gerne aufrege!« . . . . . . . . . . . . . . . . . 315<br />
Klaus Maria Brandauer über vernichtende Verrisse,<br />
die Verlockungen des Regieführens und<br />
die Herausforderung, den Wallenstein zu spielen<br />
Elisabeth Orth · Der Räuberhauptmann . . . . . . . . . . . 325<br />
Anhang<br />
Lebensdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329<br />
Verzeichnis der Inszenierungen, Bühnenrollen . . . . . . . . . 333<br />
Verzeichnis der Inszenierungen, Theaterregie . . . . . . . . . . 349<br />
Filmographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354<br />
Fernsehproduktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361<br />
8
»Es muss mir Freude machen«<br />
A man’s character is his destiny<br />
Robert Louis Stevenson<br />
Dies soll ein ehrliches Buch sein, deshalb ein Geständnis<br />
vorneweg: Es ist nicht immer vergnüglich gewesen, an<br />
einer Biografie über Klaus Maria Brandauer zu arbeiten.<br />
Vor allem am Anfang war es schwierig. Journalisten gegenüber<br />
ist KMB, wie ich ihn nenne, äußerst misstrauisch, er<br />
kann sie im Grunde nicht ausstehen. Ich stand also bei ihm<br />
sofort unter einem Generalverdacht, was, wie ich inzwischen<br />
weiß, mit den vielen schlechten Erfahrungen zu tun<br />
hat, die ein Star wie er im Laufe seiner vierzigjährigen<br />
Berufstätigkeit mit der Presse machen musste. Über Brandauer<br />
sind so viele negative oder, sagen wir mal, ein negatives<br />
Image prägende Dinge gesagt und kolportiert und in den<br />
Archiven für alle Ewigkeiten festgehalten worden, dass<br />
man seine grundsätzliche Skepsis und grimmige Vorsicht<br />
sogar nachvollziehen kann. Selbst wenn KMB gar nichts<br />
sagt, wird er mit markigen Sprüchen zitiert und immer<br />
gleichen Attributen und Etiketten belegt. Während der<br />
Probenzeit für seinen Hamlet am Wiener Burgtheater<br />
konnte man das miterleben. Brandauer hat kein einziges<br />
Interview gegeben und trotzdem sind O-Ton-Artikel<br />
erschienen, Vorberichte mit Wortlautzitaten, zusammengebaut<br />
aus Sätzen, die er teilweise vor zehn, zwanzig Jahren<br />
geäußert hat, ein Flickwerk aus Fakten, Unterstellungen<br />
und Abgeschriebenem.<br />
9
«Es muss mir Freude machen«<br />
Je weniger Brandauer Rede und Antwort steht, desto<br />
ungehemmter wird er anhand früherer Aussagen und<br />
Zeitungsberichte schubladenpsychologisch ausgeleuchtet<br />
und eingeordnet: als »Österreichs Schwieriger«, als »Diva«,<br />
als egomanisch, eitel, selbstverliebt. Ein Satz wie »Der<br />
Größenwahn ist mein ständiger Begleiter«, von Brandauer<br />
in den frühen Sechzigerjahren, als er am Schauspielhaus<br />
Düsseldorf an der Seite der großen Elisabeth Bergner<br />
spielte, mit genauso viel Selbstironie wie jugendlichem<br />
Stolz geäußert, zieht sich seit fast vierzig Jahren durch seine<br />
Biografie, wird immer wieder herausgeholt, ihm immer neu<br />
in den Mund gelegt, als habe er es gestern erst gesagt. Seine –<br />
zum Glück der Journalisten – stets griffig formulierten<br />
Statements, manchmal nur aus einer Laune heraus geboren,<br />
kleben an ihm wie Kaugummi und werden, unabhängig<br />
vom Kontext, immer wieder lang gezogen. Natürlich ist<br />
Brandauer daran nicht unschuldig, von nichts kommt<br />
nichts, wie er selber sagt. Jeder arbeitet mit an dem Bild, das<br />
sich die anderen von ihm machen, und vieles, was geschrieben<br />
wurde, trifft durchaus einen wahren Kern.<br />
Trotzdem hat Brandauer Recht, wenn er klagt, dass in Bezug<br />
auf seine Person meistens nur »die Klischees der<br />
Klischees« wiedergegeben und weitergesponnen werden<br />
und dass sich daran auch dann nichts ändert, wenn er sich<br />
heraushält aus dem Spiel. Im Gegenteil, dann wird erst<br />
recht auf das zurückgegriffen, was in den Archiven lagert,<br />
und seine Verweigerung wird ihm als Arroganz ausgelegt.<br />
Ich gestehe, ich selbst hielt ihn zunächst auch für arrogant<br />
und habe erst mit der Zeit begriffen, dass seine anfangs abweisende,<br />
zum Teil rüde herablassende, manchmal fast<br />
beleidigende Art nicht nur mit seinem grundsätzlichen<br />
Misstrauen, sondern auch mit Angst zu tun hatte: Es war<br />
die Angst vor diesem Buch. Die Angst, in die Hände, wenn<br />
nicht gar Fänge, einer Zeitungsschreiberin zu geraten, die<br />
den Sud noch einmal aufkocht und das Klischee Brandauer<br />
zementiert.<br />
10
Annäherung an Klaus Maria Brandauer<br />
Wir kannten uns nicht. Als ich gefragt wurde, ob ich Lust<br />
hätte, ein Buch über Klaus Maria Brandauer zu schreiben,<br />
habe ich ohne langes Zögern zugesagt. Klaus Maria Brandauer?<br />
Ja, der interessierte mich. Sehr sogar. Ihn kennen zu<br />
lernen, betrachtete ich als Herausforderung. Seit ich als<br />
Jugendliche KMB in Mephisto gesehen hatte, war mir sein<br />
Name ein Begriff und sein Gesicht fest eingebrannt in<br />
meinem Bewusstsein. Ich fand Brandauers Darstellung des<br />
Hendrik Höfgen umwerfend. Viele weitere überzeugende<br />
Filme folgten, Oberst Redl, Hanussen, Brennendes<br />
Geheimnis. Dann natürlich Jenseits von Afrika, klar,<br />
Das Spinnennetz, Das Russlandhaus. Sein James-Bond-<br />
Bösewicht Largo in Sag niemals nie, sein süffiger Nero,<br />
sein stiller Georg Elser, der mich tief beeindruckt hat.<br />
Meine Bewunderung für Klaus Maria Brandauer kam, ich<br />
gestehe es, über den Film. Im Theater hatte ich ihn nur im<br />
Salzburger Jedermann und in Cyrano von Bergerac<br />
gesehen – ein Umstand, den er mir an schlechten Tagen<br />
gerne um die Ohren gehauen hat, wiewohl ich fast alles<br />
nachgeholt habe, was an Theateraufzeichnungen zu<br />
kriegen war.<br />
Das erste Mal angesprochen habe ich Klaus Maria Brandauer<br />
bei den Salzburger Festspielen im Sommer 2002, als<br />
ich ihn zufällig bei Andrea Breths Schnitzler-Inszenierung<br />
Das weite Land im Publikum sah. Meine vorherigen Versuche,<br />
Kontakt aufzunehmen, waren leider gescheitert. Ich<br />
wusste von Klaus Bachler und Klaus Dermutz, den<br />
Herausgebern der Edition Burgtheater, dass mich Brandauer<br />
unbekannterweise als Autorin akzeptiert hatte, nun<br />
aber tat er so, als wisse er von dem Buchprojekt überhaupt<br />
nichts, nahm befremdet, vielleicht auch etwas überrumpelt,<br />
meine Visitenkarte entgegen und grummelte etwas davon,<br />
dass er sich mit mir in Verbindung setzen würde. Ich dachte<br />
damals, der erste Schritt sei getan, nicht wissend, dass es<br />
noch gar nichts bedeutet, wenn Klaus Maria Brandauer<br />
sagt, er werde sich melden. Wie ich später in vielen frus-<br />
11
«Es muss mir Freude machen«<br />
trierenden Stunden des Wartens lernen und hinnehmen<br />
musste, ist auf KMB in diesen Dingen überhaupt kein Verlass.<br />
Wenn er sagt, er rufe im Laufe der Woche zurück oder<br />
heute Nachmittag oder in einer halben Stunde, kann man<br />
Gift darauf nehmen, dass er es nicht tun wird, selbst wenn<br />
er es hoch und heilig verspricht. Ich habe das anfangs persönlich<br />
genommen, wenn ich von ihm hingehalten, hängen<br />
gelassen oder vertröstet wurde, wenn er Termine regelmäßig<br />
verschob, kurzfristig absagte oder nachts um eins<br />
noch nicht sagen konnte, ob es morgen Nachmittag mit<br />
unserem Treffen klappt. Inzwischen weiß ich, dass es auch<br />
anderen Menschen mit ihm so ergeht, sei es im beruflichen<br />
oder im privaten Bereich. KMB lebt ein ständiges Chaos,<br />
das er selbst managt und verwaltet. Er ist auf eine fast schon<br />
wieder sympathische Weise unorganisiert, was ihn und<br />
seine Mitmenschen jedoch immer wieder in die Bredouille<br />
bringt. Brandauer sagt leichtfertig fünf Sachen gleichzeitig<br />
zu, obwohl er wissen müsste, dass er nicht einmal drei davon<br />
einhalten kann. Und oft auch gar nicht einhalten will.<br />
Man muss bei ihm sehr geduldig und spontan sein können<br />
und sehr flexibel im Umgang mit der Zeit, sonst geht überhaupt<br />
nichts zusammen. Mit seiner Unzuverlässigkeit<br />
stößt er viele Leute vor den Kopf. Er tut das nicht einmal<br />
absichtlich, eher unterläuft es ihm.<br />
KMB kann schwer nein sagen, aber noch viel schwerer<br />
kann er zusagen. Absagen pflastern seinen beruflichen<br />
Weg. Bei ihm zu Hause stapeln sich die Drehbücher, Einladungen<br />
und Rollenangebote, aber er kann sich nur höchst<br />
selten zu einem Projekt durchringen. Und selbst wenn er<br />
einmal eine Zusage macht, kann man bei ihm nie sicher<br />
sein, ob er sie tatsächlich einhält und nicht im letzten<br />
Moment doch wieder abspringt. Divenverhalten nennen<br />
das manche. Er selbst sagt: »Ich rede mich den Leuten<br />
lieber aus statt ein.«<br />
Das tat er auch in Bezug auf dieses Buch. Bei unserer ersten<br />
näheren Begegnung kam es beinahe zum Eklat. Ich war bei<br />
12
Annäherung an Klaus Maria Brandauer<br />
den Hamlet-Proben dabei gewesen. Danach saßen wir in<br />
einer größeren Runde in der Kantine des Burgtheaters und<br />
es genügten wenige Fragen und Reizworte meinerseits –<br />
zum Beispiel das Stichwort »modernes Regietheater«,<br />
unter das Brandauers Inszenierung ja nun wirklich nicht<br />
fällt –, damit KMB explodierte und mich als Autorin diskreditierte.<br />
Ich hätte in sechs Stunden überhaupt nichts<br />
verstanden, und wenn wir auf meinem Niveau diskutierten,<br />
seien wir gleich beim Boulevard … – er kann in<br />
solchen Situationen sehr verletzend sein. Wir gerieten<br />
richtig aneinander und er schlug vor, das Projekt lieber<br />
bleiben zu lassen. Ringsum Schweigen und betretene<br />
Gesichter. Ich überlegte eine Sekunde, ob das nicht das<br />
Beste sei, und sagte dann, möglicherweise aus Trotz: »So<br />
schnell sollte man die Flinte nicht ins Korn werfen.« Zu<br />
meinem eigenen Erstaunen war ich nicht den Tränen nahe,<br />
sondern einfach nur wütend. Ich fühlte mich regelrecht<br />
zum Kampf herausgefordert, ahnte intuitiv, dass das hier<br />
eine Feuerprobe war. Der Brandauer-Härtetest. Wir verständigten<br />
uns schließlich darauf, dass wir es bei dem Gesprächstermin<br />
am späten Abend, den er mir bereits am<br />
Nachmittag in Aussicht gestellt hatte, belassen und danach<br />
entscheiden würden, ob wir das Buch machen oder nicht.<br />
Später dann, in der Küche seiner Wiener Wohnung, war er<br />
wie ausgewechselt: ein zuvorkommender Gastgeber, der<br />
Brotzeit und herrliche Anekdoten servierte – gewissermaßen<br />
das Zuckerbrot nach der Peitsche –, überaus<br />
charmant, offen und gesprächsbereit. An diesem Abend<br />
habe ich einiges begriffen.<br />
Brandauer will sich sicher sein, dass nicht nur sein Name,<br />
nicht nur der Star, sondern dass wirklich er gemeint ist,<br />
wenn jemand etwas von ihm will, er, Klaus Maria Brandauer,<br />
mit allen seinen Eigenheiten und Schattierungen. Obwohl<br />
er ein Mensch ist, der Leute schnell gewinnen kann,<br />
schreckt er sie lieber erst mal ab – wohl auch, um zu sehen,<br />
wie ernst es ihnen ist. Er provoziert sie, stellt sie auf die<br />
13
«Es muss mir Freude machen«<br />
Probe, lässt es mit fast fatalistischer Sturheit darauf ankommen,<br />
ob ein Projekt gut geht oder platzt. So, wie er<br />
sich selber nichts schenkt, im Leben wie in der Arbeit, verlangt<br />
er auch anderen, vor allem seinen Arbeitspartnern, einiges<br />
ab. In einem sehr viel stärkeren Maß, als es bei den<br />
meisten Schauspielern der Fall ist, braucht Brandauer bei<br />
allem, was er macht, ein »gutes Gefühl«, schon im Vorfeld,<br />
eine innere Gewissheit, dass die Sache es lohnt, dass er sie<br />
vertreten und mit seiner ganzen Person dafür einstehen<br />
kann. Dahinter verbirgt sich nicht nur ein außergewöhnlicher<br />
Qualitätsanspruch, dahinter steckt auch die<br />
Furcht, sich billig herzugeben, sozusagen unter Wert.<br />
Denn Klaus Maria Brandauer, das ist die Basis seiner viel<br />
zitierten Eitelkeit, weiß, was er wert ist und was er anderen<br />
wert sein will und muss. Bei allen Entscheidungen, die er<br />
trifft, mahnt im Hinterkopf stets der Gedanke: Ich muss es<br />
nicht machen, ich habe es nicht nötig. Brandauer ist autark<br />
in persönlicher wie in ökonomischer Hinsicht. Das gibt<br />
ihm die Stärke und die nötige Chuzpe, Menschen in<br />
Crashtests herauszufordern, sich notfalls zu verweigern<br />
und Pläne lieber zu kippen als zu schmieden.<br />
Wo Brandauer draufsteht, da ist immer der ganze Brandauer<br />
drin. Ein bisschen Brandauer, einen halbherzigen<br />
Brandauer gibt es nicht. Das macht es ihm so schwer, sich<br />
auf ein Projekt einzulassen. Nicht nur sein Name, er selbst<br />
muss dafür stehen können. Umgekehrt muss, wer mit ihm<br />
arbeiten will, seinen Mitsprachewillen akzeptieren: Brandauers<br />
Talent ist nicht ohne seinen Kopf zu haben und der<br />
hat ganz genaue Vorstellungen davon, was gutes Theater<br />
oder gute Filmarbeit ist. KMB ist nicht der Mann, der sich<br />
in blindem Vertrauen einem Regisseur anheim gibt, auf<br />
dass dieser schon weiß, was er tut. Der Einzige, dem Klaus<br />
Maria Brandauer in der Arbeit vollends vertraut, ist Klaus<br />
Maria Brandauer. So hat er sich als Schauspieler stets auch<br />
als »Mitregisseur« empfunden und nie das Heft ganz aus<br />
der Hand gegeben.<br />
14
Annäherung an Klaus Maria Brandauer<br />
Was manche als Egomanie oder Hybris auslegen, ist,<br />
genauer betrachtet, ein ausgeprägtes Selbstwertgefühl: zu<br />
wissen, wer man ist, was man kann, wo man steht und was<br />
man will – oder zumindest, was man nicht will. Letzteres<br />
weiß Brandauer sehr genau. KMB, das vergessen viele, hat<br />
sich nie für schnelles Geld hergegeben, er hat nie Werbung<br />
oder seichte Serien gemacht, sich nie als Talkshow-Schwätzer<br />
prostituiert oder als brüllender Societylöwe hervorgetan.<br />
Bewegte er sich am Anfang seiner Karriere zuweilen<br />
ganz gerne in Promi-Kreisen, zog er sich in den letzten<br />
zehn Jahren völlig daraus zurück. Nach dem Tod seiner<br />
Frau wurde er leise. Die Regenbogenpresse hat bei ihm<br />
kein Glück.<br />
Was seine Arbeit angeht, ist Brandauer rigoros konsequent<br />
und wählerisch. Die Zahl der Rollen, die er aus qualitativen<br />
oder persönlichen Gründen ablehnte, übersteigt um ein<br />
Vielfaches die Rollen, die er spielte. Allein mit den Nazi-<br />
Parts, die man ihm nach seinem Mega-Erfolg mit<br />
Mephisto in Hollywood angedient hat, hätte er sich eine<br />
goldene Nase verdienen können, weit größer als die seines<br />
Cyrano. Brandauer hat sich nie verkauft und nie verbogen.<br />
Er ist sich treu geblieben, so wie er trotz seiner internationalen<br />
Filmkarriere auch dem Theater treu geblieben ist<br />
und seiner Heimat, seinen Wurzeln. »Es muss mir Freude<br />
machen«, spielt er seinen Anspruch an die Arbeit rhetorisch<br />
herunter. Fest steht: Klaus Maria Brandauer ist dem<br />
Erfolg nie hinterhergerannt. Lieber lässt er sich bitten. Das<br />
ist, wenn man so will, seine Form der Eitelkeit. Das ist aber<br />
auch eine Standhaftigkeit, die man schätzen muss.<br />
Ohnehin lernt man, hat man die Brandauer-Hürden erst<br />
einmal überwunden und sich zu ihm durchgestritten, vieles<br />
an diesem Menschen schätzen: seine enorme Großzügigkeit,<br />
seine Gastfreundschaft, seine Geselligkeit, seine<br />
scharfe Intelligenz. Er ist ein freier Geist, macht das Maul<br />
auf, mischt sich ein. Außerdem verfügt er über einen<br />
wunderbaren Humor. Er hat das Talent, andere nicht nur<br />
15
«Es muss mir Freude machen«<br />
zu unterhalten, sondern ihnen auch zuzuhören. Brandauer<br />
ist ein Mensch, der sich nicht, wie ihm gerne unterstellt<br />
wird, nur für sich selbst interessiert, sondern sehr wohl<br />
auch für andere. Ein Mensch, der nachfragt, sich kümmert,<br />
ein offenes Ohr hat für Schüler, Kollegen und Freunde.<br />
Der sich spitzbübisch freuen kann über lustige Begebenheiten<br />
und gute Geschichten und nichts so gern hat<br />
wie nette Menschen um sich herum. Die Runden, die<br />
Brandauer von Zeit zu Zeit in der Kantine des Burgtheaters<br />
schmeißt, sind legendär. Martina, die Wirtin, hebt dafür extra<br />
die Sperrstunde auf und sitzt mit dabei bis tief in die<br />
Nacht. Wenn KMB nach ein paar Bierchen so richtig in<br />
Fahrt kommt, ist er eine ungeheure Stimmungskanone. (Es<br />
dürfen allerdings nicht zu viele sein, sonst kann er auch unangenehm<br />
werden.)<br />
Wer mit seinen Schülern vom Max-Reinhardt-Seminar<br />
spricht, hört Elogen auf den Lehrer Brandauer, den Förderer,<br />
den Mutmacher, den Herausforderer. Wer ihn als<br />
Freund kennen gelernt hat, lässt auf ihn nichts kommen,<br />
lobt seine Generosität, seine Treue, seinen Beistand in<br />
beruflichen Schwierigkeiten und Krankheitsfällen, seine<br />
Hilfsbereitschaft. Weihnachten 1992 fuhr er, unbeachtet<br />
von jeder Medienöffentlichkeit, nach Jugoslawien und<br />
brachte auf eigene Faust Medikamente ins Kriegsgebiet<br />
von Sarajewo – wohl auch eine Tat der Verzweiflung, seine<br />
Frau war kurz zuvor gestorben. Walter Schmidinger beschreibt<br />
in seinem Buch Angst vor dem Glück (Berlin<br />
2003) die lange Freundschaft mit KMB als eine ganz besondere:<br />
»Obwohl wir uns immer wieder gestritten haben,<br />
haben sich unsere Wege immer wieder gefunden. Er ist<br />
jemand, der in schweren und traurigen Situationen des<br />
Lebens ein Freund ist, ein Freund, wie man ihn träumt. Ich<br />
kann da nicht mithalten. Ich bin nicht der Freund, den man<br />
sich wünscht. In ernsten Situationen habe ich immer<br />
Angst, etwas Falsches zu sagen. Im Übrigen reden wir<br />
nicht viel über unsere Freundschaft.«<br />
16
Annäherung an Klaus Maria Brandauer<br />
Brandauers Wiener Stadtwohnung steht Schülern und<br />
Freunden immer offen. Er kann schlecht allein sein, liebt<br />
das Gespräch, spontane Besuche, das gesellige Beisammensein.<br />
Irgendjemand schaut immer kurz mal vorbei<br />
und ständig klingelt sein Telefon. Auch in seinem Haus in<br />
Altaussee, seinem Heimatort, fühlt Brandauer sich am<br />
wohlsten mit Gästen, wiewohl er sich hierhin oft auch<br />
alleine zurückzieht, sich mitunter zum Alleinsein zwingt.<br />
In Altaussee lernt man noch einmal einen ganz anderen<br />
Klaus Maria Brandauer kennen: den geerdeten, heimatverbundenen<br />
Menschen, der Dialekt spricht, im Haus werkelt,<br />
mit den Altausseern auf du und du ist und den Weltstar an<br />
der Garderobe ablegt (von wo er sich gerne mal eine<br />
Trachtenjoppe nimmt). Wäre da nicht sein berühmtes<br />
Brandauer-Gesicht, man könnte ihn für einen steirischen<br />
Großbauern halten. Brandauers Begeisterung für die<br />
Schönheit der Landschaft, sein Sinn für das Einfache und<br />
Bodenständige, sein Interesse für die Leute im Ort und ihre<br />
Geschichten – und er kennt sie alle! – zeigen ihn von einer<br />
Seite, die so gar nicht dem Image vom eitlen Selbstdarsteller<br />
entspricht. KMB in Altaussee: Das ist der Gemütsmensch<br />
Brandauer, der Skifahrer und Naturbursche Brandauer, der<br />
Nachbar und Stammtischbruder Brandauer – der »Klausi«<br />
halt. Einer aus Altaussee.<br />
Klaus Maria Brandauer ist sicherlich kein einfacher<br />
Mensch und er hat seine dunklen Seiten. Aber auch das ist<br />
ein Teil seiner außerordentlichen Begabung, und hat man<br />
ihn erst einmal näher kennen gelernt, weiß man ihn als<br />
Gesamtkunstwerk zu schätzen: als Künstler wie als<br />
Mensch. Ich gestehe – und das ist das letzte Geständnis<br />
dieses Kapitels –, ich mag ihn, diesen Brandauer, mit all<br />
seinen Anfällen, seiner Streitlust, seiner Besessenheit und<br />
Liebessucht. Mit seiner Intelligenz und seiner nicht minder<br />
ausgeprägten Intuition, mit der er sofort Witterung aufnimmt,<br />
wenn ihm etwas gegen den Strich zu laufen droht.<br />
Leicht macht er es niemandem, am wenigsten sich selbst.<br />
17
«Es muss mir Freude machen«<br />
Klaus Maria Brandauer ist eine schillernde Persönlichkeit.<br />
Und das Beste an ihm: Er ist authentisch. Eines kann ich<br />
jedenfalls versichern: Fad war es mit ihm nie.<br />
18
»Sein oder Nichtsein«<br />
Geschieht es jetzt nicht,<br />
so geschieht es doch einmal in Zukunft.<br />
In Bereitschaft sein ist alles.<br />
Hamlet, 5. Akt, 2. Szene<br />
Angeweht von Shakespeare<br />
Brandauer probt HAMLET fürs Burgtheater<br />
Eine feierliche Runde ist das, die da in einem dunklen<br />
Probenraum im Wiener Arsenal beisammensitzt. Ein gutes<br />
Dutzend hoch konzentrierter, schwarz gekleideter<br />
Menschen, wie Apostel im Halbkreis um den Meister geschart.<br />
Dieser hockt, mit Lesebrille und Textbuch, an<br />
einem kleinen Tisch vor der Bühne und schwingt zärtlich<br />
wie ein Dirigent die rechte Hand, wenn er lesend einen Satz<br />
vorträgt. Wüsste man nicht, dass Klaus Maria Brandauer<br />
hier mit seinen Schauspielern Shakespeares Hamlet probt<br />
– 5. Akt, die Totengräberszene –, man könnte das Ganze<br />
glatt für eine Bibelstunde halten, so andächtig vertieft sind<br />
alle, so ganz auf das Wort und seine Exegese bedacht.<br />
In einem gewissen Sinne handelt es sich auch tatsächlich<br />
um eine Bibelstunde, schließlich ist für Klaus Maria Brandauer<br />
Shakespeares Hamlet so etwas wie das Buch der<br />
Bücher, das Stück der Stücke, das Evangelium der Theaterliteratur.<br />
So lange schon hat er sich mit diesem Text beschäftigt,<br />
hat in vierzig Berufsjahren meterweise Sekundärliteratur<br />
dazu gewälzt, den Hamlet studiert, ergründet<br />
19
»Sein oder Nichtsein«<br />
und wieder verworfen, um ihn schließlich, Mitte der Achtzigerjahre,<br />
endlich selbst zu spielen, in hundert Aufführungen<br />
am Burgtheater – so hamletkundig scheint der<br />
Meister, dass er nun in seiner Rolle als Regisseur wie ein<br />
weiser Guru vor seinen Schauspielern sitzt. Fast ehrfürchtig<br />
blicken sie ihn an und Ehrfurcht bestimmt auch<br />
die Haltung gegenüber dem Text. Wie ein Arzt mit seinem<br />
Stethoskop in das Innere eines Körpers horcht, hört auch<br />
Brandauer in den eigens dafür anberaumten Sitzungen<br />
immer wieder in das Stück hinein, indem er es einfach nur<br />
lesen und die Sätze klingen lässt. Der Text, er soll aus sich<br />
heraus sprechen. Wenn er dann, vorgetragen mit gedämpften<br />
Stimmen, im Raum schwebt, klopfen sie ihn gemeinsam<br />
nach seinen Impulsen, Schwingungen und<br />
Inhalten ab. Die Atmosphäre hat in diesen ruhigen<br />
Momenten beinahe etwas Spirituelles. Man lässt sich, wie<br />
Brandauer gerne sagt, »anwehen« vom Stück und vertraut<br />
bei schwierigeren Diskussionen darauf, dass »Willi« –<br />
William Shakespeare wird von KMB vertraulich geduzt –<br />
»uns schon noch eingibt, was diese Szene soll«. Entsprechend<br />
werkimmanent ist am Ende auch die fertige Inszenierung:<br />
wie dem Text abgelauscht.<br />
Drei Monate Probenzeit hat man Klaus Maria Brandauer<br />
für sein Regiedebüt am Burgtheater eingeräumt. Das ist<br />
viel, andererseits aber auch nicht ganz unangemessen,<br />
wenn man so konzentriert und besessen genau am Text arbeitet<br />
wie er, der seinen Schauspielern nicht nur außerordentliche<br />
Leistungen und eine innere Wahrheit, sondern<br />
auch ein tieferes Gespür und Verständnis für das Stück abringen<br />
will. Auch Fritz Kortner, Brandauers einziger wirklicher<br />
Lehrmeister am Theater, war bekannt für seine langwierige<br />
und intensive Probenarbeit. So etwas prägt.<br />
Das Ensemble, das vom siebzigjährigen Burgtheater-<br />
Debütanten Walter Schmidinger über altgediente Burg-<br />
Eminenzen wie Peter Matić und Robert Meyer bis hin zu<br />
Brandauers Schauspielschülern vom Max-Reinhardt-<br />
20
Brandauers Lebensweg mit Hamlet<br />
Seminar mehrere Generationen umfasst, bildet in diesen<br />
drei Monaten eine so harmonische Einheit, dass man sich<br />
als Gast gut aufgehoben fühlt in dieser Hamlet-Familie<br />
um Papa Brandauer. In welcher Phase der Arbeit man auch<br />
immer auf die Proben kommt, stets ist die Atmosphäre entspannt,<br />
locker, angenehm. Konzentriert, aber nicht verbissen.<br />
Heiter oft, weil Brandauer als Regisseur auch den<br />
Entertainer gibt, den Faxen- und Witzemacher, der tausend<br />
kleine Anekdoten parat hat und mit großer Komik<br />
Kollegen imitiert. Karl-Heinz Stroux und Fritz Kortner<br />
kann er besonders gut. Wer je vermutet haben sollte, Klaus<br />
Maria Brandauer sei als Regisseur ein Despot, laut,<br />
polternd und rechthaberisch, von sich selbst eingenommen<br />
und berauscht, muss sich eines anderen belehren lassen.<br />
Brandauer ist ein leiser, sensibler Schauspieler-Regisseur,<br />
ein Liebender, der genau hinhört und sofort sieht oder<br />
spürt, wenn sich jemand in einer Szene unwohl fühlt oder<br />
etwas nicht stimmt. Er kann sich sofort und intensiv in jede<br />
Rolle hineinversetzen. Immer wieder springt er selbst auf<br />
die Bühne, um Szenen vorzuspielen oder eine Geste, einen<br />
Gang, einen Auftritt, manchmal auch nur eine Stellung am<br />
eigenen Leib zu überprüfen. Er muss wissen, wie es sich<br />
anfühlt, er braucht den sinnlichen Eindruck.<br />
So sehr er den Hamlet im Kopf hat und intellektuell aus<br />
dem Text heraus entwickelt – Brandauer ist eben doch ein<br />
Bauchmensch und bleibt auch als Regisseur zuallererst ein<br />
Schauspielkünstler. Als solcher weiß er sehr genau, was<br />
seine Kollegen brauchen und an welchen Kleinigkeiten es<br />
manchmal hakt. Brandauer befiehlt nicht, er empfiehlt. Er<br />
tut das spielerisch, kollegial, selten gereizt. Er gibt seinen<br />
Schauspielern Raum und Zeit, sich zu entwickeln, er baut<br />
ihnen Gedankenpfeiler und Eselsbrücken, hilft bei komplizierten<br />
Textstellen mit Assoziationen und (meistens<br />
ziemlich lustigen) Beispielen aus dem Alltagsleben nach.<br />
Gerne philosophiert er auch, über die Liebe, das Leben,<br />
den Tod – nicht immer sind dabei seine Gedankensprünge<br />
21
»Sein oder Nichtsein«<br />
mühelos nachvollziehbar. Wenn KMB in kryptischen<br />
Sätzen über die »Geburt der Brücke aus der Bahre« sinniert<br />
oder, ausgehend von der Frage nach Hamlets Schuld im<br />
Wahnsinn, über einen Schlenker in sein Privatleben auf das<br />
Weltgericht und die Theodizee zu sprechen kommt, erntet<br />
er ringsum nur ratlose Blicke und fühlt sich dann »wie der<br />
Karl Arsch vom Dienst«. Ansonsten versteht er sich als<br />
Primus inter Pares, als ein Regie führender Schauspieler<br />
unter seinesgleichen, der den gemeinsamen Weg vorgibt.<br />
»Denkt daran, was lieben heißt«, rät er seinen Kollegen in<br />
der Szene, in der Ophelia zu Grabe getragen wird. »Bei<br />
einer Beerdigung sollte einem das für ein paar Sekunden<br />
durch den Kopf gehen: Lieben heißt, für jemand andern auf<br />
der Welt sein. Ich sage nicht, dass das ein wünschenswerter<br />
Zustand sei, aber jedenfalls denke ich, wir sind alle sehr<br />
fern davon. Was hat das, was unsereiner in die Welt bringt,<br />
schon mit Liebe zu tun?« Der Text ist nicht von ihm,<br />
sondern von Arthur Schnitzler. Der Dichter Stephan von<br />
Sala spricht diese von Brandauer leicht abgewandelten<br />
Sätze in dem Stück Der einsame Weg. KMB hat viele<br />
solcher Zitate parat, sie kommen ihm spontan in den Sinn<br />
und es ist nicht ausgemacht, ob er sich in diesen Momenten<br />
des Zitierens überhaupt bewusst ist. Benennen tut er seine<br />
Quellen jedenfalls nicht.<br />
Von seinem Uralt-Freund Walter Schmidinger, den er als<br />
Ersten Schauspieler besetzt hat, verlangt Brandauer »Ein-<br />
Mann-Theater« (keiner weiß besser als er selbst, was das<br />
ist): »Und je schlanker du bleibst, desto toller!« Einen Ratschlag<br />
aus Brandauers gesammelten Weisheiten bekommt<br />
im 5. Akt auch Johannes Krisch für seinen Horatio mit auf<br />
den Weg: »Wenn man nichts zu spielen hat, ist prominentes<br />
Nichtspielen tödlich!« Andererseits gilt: Jeder, und habe er<br />
noch so wenig Text, muss in jeder Sekunde da sein, voll und<br />
ganz. »Ohne euch geht es nicht! Wenn auch nur einer ausfällt,<br />
bricht alles zusammen.« Dieser Abend sei »nur von<br />
Schauspielern für Schauspieler« gemacht. Das ist natürlich<br />
22
Brandauers Lebensweg mit Hamlet<br />
überspitzt formuliert, zeigt aber deutlich, wie sehr Klaus<br />
Maria Brandauer – in Abgrenzung zum modernen Regietheater<br />
– für ein Schauspielertheater einsteht. Was er vom<br />
so genannten Regietheater hält, demonstriert er einmal in<br />
der Totengräberszene mit Yoricks Schädel um sich<br />
schmeißend und kickend: »So würden neunzig Prozent der<br />
modernen Regisseure es machen. Fußball spielen mit dem<br />
Totenkopf und ähnliche Scherze. Der reine Mumpitz!«<br />
Brandauers Power über Stunden hinweg ist frappierend. Er<br />
kriecht, krabbelt, springt über die Bühne, spielt den<br />
Animateur, den Lehrer, den Clown. Brandauer strahlt<br />
Kraft nicht nur aus, er überträgt sie auch. Unablässig<br />
scheint er unter Dampf zu stehen, was nicht nur im übertragenen,<br />
sondern auch im wörtlichen Sinn zu verstehen<br />
ist, da KMB, wie fast alle in dieser Produktion, ein Dauerqualmer<br />
ist. Er zündet sich eine Marlboro nach der anderen<br />
an, dafür trinkt er, was ihm einige Disziplin abverlangt,<br />
während der gesamten Probenzeit keinen Tropfen Alkohol.<br />
Das einzige Bier, das er sich erlaubt, ist ein alkoholfreies<br />
der Marke »Null Komma Josef«. Wann er schläft, ist<br />
allen ein Rätsel, da er bis in die Nacht zu reden oder zu<br />
schaffen hat und in aller Früh schon wieder irgendwelche<br />
Leute trifft. Brandauers Energie, sein starker Wille und sein<br />
Temperament vermischen sich zu einer prickelnden Sinnlichkeit,<br />
die er mit seiner hell intonierten Schmeichelstimme<br />
und weit über der Brust geöffneten Hemden zu<br />
unterstreichen versucht. Seine Hemdkragen, das ist ein<br />
Tick von ihm, trägt Brandauer selbst bei Poloshirts am<br />
liebsten hochgestellt, wie Flügelchen. Das gibt ihm etwas<br />
leicht Vampireskes, was teuflisch gut zu dem markanten<br />
Grübchen – inzwischen ist es fast schon eine Furche – zwischen<br />
seinen Augenbrauen passt. Klaus Maria Brandauer<br />
kann, wenn er grinst, die Linien in seinem Gesicht, den<br />
schmalen Mund, die geschlitzten Augen, die angeschrägten<br />
Augenbrauen, in eine schwungvolle Harmonie bringen,<br />
was wahlweise diabolisch, überlegen oder spitzbübisch<br />
23
»Sein oder Nichtsein«<br />
wirkt. Das Mienenspiel in seinem Gesicht ist ohnehin eine<br />
Kunst für sich.<br />
Einmal kauert Brandauer auf dem Felsgestein, das am<br />
linken Bühnenrand den Fluss (»unseren Styx«) begrenzt,<br />
um seinem Hauptdarsteller Michael Maertens den Monolog<br />
»Sein oder Nichtsein« vorzusprechen, auswendig<br />
selbstverständlich. Und wie er da so versunken sitzt und<br />
den Text aus seinem Innersten zu graben scheint, fühlt man<br />
sich, um es mal in seiner Sprache auszudrücken, merkwürdig<br />
angeweht von diesem Menschen, für den Hamlet<br />
nicht bloß eine Theaterfigur ist, nicht nur ein Stück Arbeit,<br />
sondern ein alter Freund, ein Seelenverwandter und Bruder<br />
im Geiste.<br />
Blindes Vertrauen<br />
Michael Maertens über HAMLET und die Arbeit<br />
mit Klaus Maria Brandauer<br />
Michael Maertens, Brandauers Wunsch-Hamlet, zählt zu<br />
den profiliertesten deutschsprachigen Schauspielern der<br />
jüngeren Generation. Der gebürtige Hamburger, der sich<br />
am Burgtheater zuvor bereits als Schnitzlers Anatol vorgestellt<br />
hatte (im Juni 2002 in der Regie von Luc Bondy),<br />
war zuletzt am Berliner Ensemble Claus Peymanns Protagonist<br />
für große Shakespeare-Rollen. So hat er zum Beispiel<br />
den Angelo in Mass für Mass und die Titelrolle in<br />
Richard II. gespielt, aber auch regelmäßig am Schauspielhaus<br />
Bochum gastiert, bei seinem Freund, dem Intendanten<br />
Matthias Hartmann. Das Gespräch fand im<br />
Dezember 2002, zwei Wochen vor der Hamlet-Premiere<br />
statt.<br />
Herr Maertens, haben Sie auch den Eindruck, dass für Klaus<br />
Maria Brandauer HAMLET eine Obsession ist?<br />
Den Eindruck vermittelt er zumindest. Er hat bei Proben-<br />
24
Brandauers Lebensweg mit Hamlet<br />
beginn so etwas gesagt wie: Dieses Buch lässt mich nicht los<br />
und ich will es scheinbar auch nicht loswerden. Er kennt ja<br />
auch das ganze Stück auswendig, und zwar nicht nur die<br />
Rolle des Hamlet, die er selber lange gespielt hat, sondern<br />
auch alle anderen Rollen. Er scheint den Text wirklich zu<br />
lieben.<br />
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Brandauer? Kannten Sie<br />
sich vorher schon?<br />
Zum ersten Mal sind wir uns zufällig in einem Kaffeehaus<br />
begegnet. Ich merkte, dass er mich beobachtete. Wie ich<br />
später erfuhr, hatte er mich damals schon bei den<br />
Salzburger Festspielen gesehen und war anscheinend<br />
neugierig geworden. Irgendwann bekam ich einen Anruf<br />
und von da an haben wir uns, zwar in großen Zeitabständen,<br />
aber doch ziemlich regelmäßig getroffen,<br />
entweder in München oder in Berlin oder auch in Altaussee,<br />
seinem Heimatort. Wir stellten fest, dass wir uns sehr<br />
gut verstehen und uns gegenseitig schätzen. Ich verehre<br />
ihn. Einmal waren wir kurz davor, gemeinsam zu spielen,<br />
in Berlin, im Theater am Kudamm, aber die Sache scheiterte.<br />
Schließlich bot mir Klaus Bachler den Hamlet an. Ich<br />
fand es sehr sympathisch, dass Brandauer nicht selbst<br />
anrief, sondern den offiziellen Weg wählte.<br />
Hamlet ist die Traumrolle eines jeden Schauspielers. Sie haben<br />
sicherlich nicht gezögert?<br />
Keine Sekunde, weil ich zu Brandauer ein blindes Vertrauen<br />
habe. Außerdem ist es wirklich eine großartige<br />
Rolle, mit die berühmteste, die es gibt.<br />
Woher rührt dieses »blinde Vertrauen« zu Brandauer als Regisseur?<br />
Das wuchs während unserer langen Gespräche über<br />
Theater. Ich hatte noch nie eine Inszenierung von ihm<br />
gesehen, aber mir gefielen seine Ansichten und sein<br />
25
»Sein oder Nichtsein«<br />
Temperament, sodass ich die Hoffnung hatte, dass ich bei<br />
ihm als Hamlet sehr wahrscheinlich nicht als Osama Bin<br />
Laden oder Jörg Haider daherkommen oder Motorrad<br />
fahren muss. Meine Hoffnung war, dass er das Stück in<br />
einem relativ konventionellen Rahmen und auf die Schauspieler<br />
zugeschnitten erzählen würde, und darauf habe ich<br />
mich gefreut.<br />
Moderne Interpretationen schrecken Sie ab?<br />
Es gibt eben Stücke, bei denen ich es nicht für sinnvoll<br />
halte, mit ihnen aktuelle Themen abzuhandeln. Ich finde es<br />
albern, einen Stoff wie Hamlet zu nehmen, um etwas über<br />
den 11. September oder über Neonazis oder die Tagespolitik<br />
zu erzählen. Das Stück hat mit den inneren Empfindlichkeiten<br />
von Menschen zu tun, mit Seelenzuständen,<br />
komplexen Gedankengängen. Das Politische und<br />
Spannende daran ist für mich das Zwischenmenschliche,<br />
das Allgemein-Philosophische, da möchte ich nicht abgelenkt<br />
werden durch Bilder von der Art: Ah, der König soll<br />
jetzt Hitler sein.<br />
Wie erleben Sie Brandauer als Regisseur?<br />
Er fühlt sich sehr verantwortlich für seine Schauspieler. Er<br />
schaut mit Luchsaugen zu und wenn er merkt, dass wir<br />
nicht mehr weiterwissen, springt er sofort auf die Bühne<br />
und überlegt: Wie kann es gehen? Warte mal, du kommst<br />
von da, nein, ist vielleicht schöner für dich, von dort zu<br />
kommen – also, er versucht stimmige Bilder zu finden,<br />
Lösungen, wie ein Schauspieler eine Szene am besten<br />
umsetzen kann. Viel mehr kann ein Regisseur auch gar<br />
nicht tun. Alles, was man von einem guten Regisseur<br />
erwartet, erfüllt er, und zwar auf eine ganz wunderbare Art<br />
und Weise. Er ist so wach und so voller Energie für den<br />
Beruf! Er erinnert einen immer daran, was für ein tolles<br />
Geschenk es ist, an diesem Theater mit so einem Stoff umzugehen.<br />
Manchmal tritt er uns auch herrlich in den Arsch:<br />
26
Bitte, seid wach, konzentriert euch, hört einander zu! Ich<br />
war selten in meinem Leben so animiert und hatte selten<br />
eine so glückliche, entspannte, harmonische Probenzeit.<br />
Ich habe nicht eine einzige Probe verschlafen, das passiert<br />
mir sonst immer. Im Gegenteil, hier bin ich meistens schon<br />
eine dreiviertel Stunde früher da. Immer wieder freut man<br />
sich auf ihn, das geht eigentlich allen so, ob jung oder alt.<br />
Ich find’s schon beinah erschreckend.<br />
Woher rührt diese gute Atmosphäre?<br />
Das ist nicht nur, weil er so eine faszinierende, mephistophelische,<br />
wie soll ich sagen … so eine Bannkraft hat.<br />
Sondern man spürt, dass in dieser Arbeit sein Herzblut,<br />
seine ganze Liebe drinsteckt, auch eine große Liebe zu uns<br />
Schauspielern. Ich denke, sein größtes Anliegen ist es, uns<br />
ein Tableau zu schaffen, damit wir blühen können. Ich<br />
glaube zum Beispiel, dass man selten eine so grandiose<br />
Ophelia gesehen hat wie Birgit Minichmayr. Es gibt viele<br />
Regisseure, die würden Frau Minichmayr gar nicht erst als<br />
Ophelia besetzen. In den meisten Fällen ist Ophelia dürr<br />
und blond und muss wie eine Wasserleiche aussehen.<br />
Außerdem hätten viele mit ihrer temperamentvollen, sehr<br />
nahe gehenden Art, den Wahnsinn zu spielen, Probleme.<br />
Da aber Brandauer eine so liebende Haltung gegenüber<br />
Schauspielern hat, haben die beiden gemeinsam etwas<br />
Tolles daraus gemacht. Moderner kann man, glaub’ ich, die<br />
Ophelia gar nicht spielen. Ich kann Ihnen aber trotzdem<br />
schon sagen, dass er für diese Inszenierung eins auf den<br />
Deckel bekommen wird.<br />
Weil sie so konventionell erzählt ist?<br />
Brandauers Lebensweg mit Hamlet<br />
Ja. Das ist die Dummheit der Menschen.<br />
HAMLET bietet ungeheuer viele Deutungsmöglichkeiten. Was<br />
ist Ihr Anliegen, dieses Stück hier und heute zu erzählen?<br />
Wir wollen das Stück so erzählen, wie es im Text steht. Wir<br />
27
»Sein oder Nichtsein«<br />
versuchen, den direktesten Zugang dazu zu finden und<br />
allen Facetten oder jedenfalls hunderttausend Facetten<br />
gerecht zu werden. Manchmal hinterfragen wir Stellen:<br />
Warum erzählt Horatio Hamlet nicht, dass Ophelia gestorben<br />
ist, als bester Freund müsste er das eigentlich tun?<br />
So rätseln wir herum und suchen in diesem Krimi wie in<br />
einem Puzzle: Wie können wir das Stück so genau wiedergeben,<br />
dass es in seiner Bandbreite verstanden wird?<br />
Wir setzen uns abends oder morgens zusammen, lesen<br />
ganze Akte durch und entdecken immer wieder Neues.<br />
Anders kann man meiner Meinung nach mit Stücken auch<br />
gar nicht umgehen. Ich habe mit bedeutenden Regisseuren<br />
wie Dieter Dorn, Thomas Langhoff, Jürgen Flimm oder<br />
Luc Bondy gearbeitet, sie alle arbeiten extrem in diese<br />
Richtung. Sie suchen kein »heutiges Konzept«. Das Konzept<br />
ist das Stück. Heutiger, als wir es heute machen, kann<br />
es gar nicht sein, denn wir leben heute und erarbeiten es im<br />
Heute.<br />
Aber die Aufführung hätte vor zwanzig, dreißig Jahren genauso<br />
aussehen können.<br />
Auf Biegen und Brechen etwas Neues zu machen, das ist<br />
nicht unsere Aufgabe. Wir erforschen das Stück mit<br />
unserem Wissen, in unserer Zeit, in einer heutigen Konstellation<br />
aus Schauspielern und Regisseur. Was würde es<br />
denn bringen, wenn wir den armen Hamlet als verhinderten<br />
Terroristen oder Schläfer zeigen würden, der<br />
heimlich eine Wohnung in Bochum hat? Es würde für das<br />
Stück überhaupt nichts klären. Ich fände es auch albern, in<br />
H&M-Klamotten herumzulaufen oder in Helmut-Lang-<br />
Designeranzügen. Wir wollten ohne diese Sachen auskommen,<br />
möglichst auch gar nicht so viele Requisiten verwenden.<br />
Meiner Ansicht nach braucht man nicht einmal<br />
den Diwan und dieses opulente Bett. Ich glaube, in aller<br />
Bescheidenheit, Brandauers Hauptkonzept sind die Schauspieler,<br />
und dazu gehört auch, dass ich den Hamlet spiele.<br />
28
Vielleicht ist es für Schauspieler einfach angenehmer, einen Regisseur<br />
wie Brandauer zu haben, der Schauspielertheater<br />
macht und einem kein Regiekonzept aufzwingt?<br />
Nein, es ist doch viel angenehmer, so einen Konzept-<br />
Regisseur zu haben, der die Rolle auf eine Dimension<br />
herunterschraubt, und am Ende kommt man damit zum<br />
Berliner Theatertreffen! Was wir hier machen, ist viel<br />
härter, viel intensiver, die Suche ist schwieriger – ich finde<br />
sie allerdings auch viel aufregender. Aber einfacher ist es<br />
mit einem Regisseur, der sagt: Pass auf, ich hab’ da eine<br />
Idee, du bist so ein kleiner jämmerlicher Junge oder ein<br />
wilder Skinhead, und dann laufen irgendwo noch ein paar<br />
Monitore und es fällt Asche herunter, weil das an den<br />
11. September gemahnt. Das macht einen sogar prominenter.<br />
Schwieriger und, wie ich glaube, richtiger ist<br />
unser Weg. Das mag eine konservative, altmodische Sicht<br />
sein, aber ich gehe ja auch schon auf die vierzig zu und habe<br />
eine gewisse Wut auf diesen modischen Zeitgeist.<br />
Wie sehen Sie den Hamlet?<br />
Brandauers Lebensweg mit Hamlet<br />
Das ist schwer zu beantworten, weil ich immer noch auf<br />
der Suche bin. Hamlet ist eine sehr komplexe Figur. Man<br />
kommt natürlich nicht darum herum, dass er intelligent ist,<br />
dass er sensibel ist, dass er einsam ist. Dass er Schwierigkeiten<br />
mit dem weiblichen Geschlecht hat, dass er ein Prinz<br />
ist, also auch eine politische Figur, ein Thronfolger. Er ist<br />
wohlhabend. Er ist einer der gebildetsten Menschen seiner<br />
Zeit. Und er hat eine enorme Bürde aufgeladen bekommen:<br />
seinen Vater zu rächen. All das versucht man zusammen<br />
mit dem, was die Rolle an Herz, Bauch und Geist verlangt,<br />
reinzubringen. Wir wollen auch naiv sein und zeigen, dass<br />
es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als unsere<br />
Schulweisheit sich träumen lässt. Ich hoffe, dass ich<br />
genügend schnell denke und gescheit genug bin, all das zu<br />
erfüllen, und dass trotzdem meine Persönlichkeit nicht<br />
29
»Sein oder Nichtsein«<br />
verloren geht, sonst bliebe es nur eine technisch hergestellte<br />
Rolle. Brandauer unterstützt mich dabei sehr.<br />
Was hat er Ihnen für die Figur des Hamlet vorgegeben?<br />
So eine Figur muss sich entwickeln. Es wäre falsch, sich<br />
von vornherein etwas vorzunehmen, so bestimmte Attribute<br />
wie: sensibel, zaudernd, elegant. Dann wird man<br />
mit der Figur nicht sehr weit kommen. Man muss seinen<br />
ganzen Körper, seine ganze Seele in die Waagschale werfen<br />
und jemanden haben, der einen dabei genau beobachtet. Da<br />
Brandauer selbst Schauspieler ist, ein großartiger noch dazu,<br />
weiß er um die Probleme und Hürden. Ich habe als<br />
Hamlet große Monologe, immer fast zwei Seiten lang, die<br />
muss man erst mal fühlend denken, aber dann muss man sie<br />
auch so rhythmisieren, dass das Publikum nicht einschläft.<br />
Da hilft er einem sehr, vor allem handwerklich. Er sagt:<br />
Pass auf, hier musst du umschalten, da musst du ein bisschen<br />
schneller werden, dort zurückgehen, ganz simple<br />
Sachen, die den Zuschauer gar nicht interessieren, aber die<br />
natürlich in unsere Trickkiste gehören. Aber es wäre idiotisch<br />
und hieße, meine Persönlichkeit zu verleugnen, wenn<br />
ich immer versuchen würde, ihm nachzueifern und mir zu<br />
überlegen: Wie würde Brandauer es machen? Ich muss<br />
meinen eigenen Weg finden und fühle mich dabei von ihm<br />
sehr gut geführt. Mit der Zeit wird einem manches klarer.<br />
Ich habe am Anfang der Proben viel mehr gemacht, viel<br />
mehr Dampf, mit hoher und tiefer Stimme und Kreischen<br />
und Springen. Nach und nach sind wir darauf gekommen,<br />
dass das, was die Figur auszeichnet, eher eine Schmalheit<br />
ist, nicht nur eine körperliche, sondern auch eine gedankliche<br />
Schmalheit, ein Bei-sich-Sein. Und dann ab und zu<br />
wie ein Adler auf etwas zu fliegen!<br />
Ich hätte gedacht, dass er als Regisseur viel despotischer ist.<br />
Er war nie despotisch. Ich kann mich noch an die erste<br />
<strong>Leseprobe</strong> erinnern, auf der er total nervös war. Das war<br />
30
ührend mit anzusehen. Er hatte ein weißes Hemd an, sah<br />
toll aus, aber mit der Zeit bildeten sich lauter kleine Flecken<br />
auf dem Hemd und nach einer halben Stunde stand er mit<br />
nacktem Oberkörper da. Er hatte das Hemd ausgezogen,<br />
hat’s aber gar nicht gemerkt vor lauter Nervosität. Da war<br />
überhaupt nichts von Arroganz oder Ich-bin-der-Chef-<br />
Gehabe. Er ist natürlich auch aus Kalkül nicht despotisch,<br />
weil er unser Vertrauen will, wenn wir mal Probleme<br />
haben. Er weiß genau, dass Schauspieler manchmal instinktiv<br />
spüren, dass in einer Situation irgendwas nicht<br />
stimmt, darum nimmt er das sehr ernst und sucht verzweifelt<br />
nach dem Grund. Das ist etwas ganz Wunderbares.<br />
Es geht natürlich nicht darum, dass wir uns immer<br />
nur wohl fühlen, sonst würden wir es uns zu leicht machen,<br />
es muss auch manchmal wehtun und schwierig sein, aber<br />
wenn irgendetwas nicht passt, dann nimmt er es auf seine<br />
Kappe und überlegt so lange, bis er eine Lösung findet. Ich<br />
glaube, er schläft sowieso nur noch anderthalb Stunden am<br />
Tag.<br />
HAMLET – Die Anfänge<br />
Vergebliche Liebesmüh’<br />
Brandauers Lebensweg mit Hamlet<br />
Man muss sich Klaus Maria Brandauers Verhältnis zu<br />
Hamlet als eine fast lebenslange, dabei lange Jahre unerfüllte<br />
Liebesgeschichte vorstellen, mit allem, was dazugehört:<br />
ein Funken auf den ersten Blick. Das Gefühl einer<br />
Anziehung, noch ohne genau zu wissen, warum. Vorsichtige<br />
Annäherungsversuche. Ein Ringen und Zweifeln<br />
und Davonlaufen und Es-doch-wieder-miteinander-Probieren,<br />
bis es endlich klappt. »Hamlet – das war so ein<br />
Durchgeistern durch mein Leben«, sagt Brandauer, »das<br />
Stück hat mich niemals losgelassen.«<br />
Wenn die Legende nicht trügt, hat alles Mitte der Fünfzigerjahre<br />
auf dem Dachboden im Haus des Großvaters<br />
31
Der Volksschüler<br />
Seite 115: Der Skifahrer (Mitte), 3. April 1948<br />
114
Karin, Klaus und Christian Brandauer mit dem Hund Figaro,<br />
Mitte der Siebzigerjahre in Wien<br />
116
Klaus Maria und Karin Brandauer, Salzburger Festspiele, 1984<br />
117
DIE IRRE VON CHAILLOT:<br />
Klaus Maria Brandauer (Pierre) und Elisabeth Bergner (Gräfin Aurélie),<br />
Schauspielhaus Düsseldorf 1964<br />
Seite 119: EMILIA GALOTTI:<br />
Marianne Nentwich (Emilia), Kurt Heintel (Marinelli) und Klaus Maria<br />
Brandauer (Prinz Hettore Gonzaga), Theater in der Josefstadt, Wien 1970<br />
118
DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG:<br />
Christine Ostermayer (Katharina) und Klaus Maria Brandauer<br />
(Petruchio), <strong>Residenz</strong>theater, München 1971<br />
120
BACCHUS:<br />
Klaus Maria Brandauer (Bacchus), Burgtheater, Wien 1972<br />
121