Entwicklungsverzögerte Heimkinder? - BSCW
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<strong>Entwicklungsverzögerte</strong><br />
<strong>Heimkinder</strong>?<br />
Der psychomotorische Entwicklungsstand von Kindern, die<br />
in einem Heim leben und mögliche Verbesserungen durch<br />
ein Psychomotorisches Präventionsangebot<br />
Eingereicht von:<br />
Carmen Lana, Sandra Friedli<br />
Begleitung:<br />
Kristin Egloff-Lehner<br />
Februar 2011<br />
Interkantonale Hochschule für<br />
Heilpädagogik Zürich<br />
Departement 2:<br />
Pädagogisch-therapeutische Berufe<br />
Studiengang: Psychomotorik<br />
Bachelor-Arbeit
Abstract<br />
Kinder, die in einem Heim leben, sind einem grossen Risiko bezüglich der Entwicklung für<br />
psychische Störungen ausgesetzt. In dieser Arbeit wird erstens der Frage nachgegangen, ob<br />
<strong>Heimkinder</strong> im Vorschulalter auch im psychomotorischen Entwicklungsbereich Auffälligkeiten<br />
zeigen. Zweitens werden die Auswirkungen eines Psychomotorischen Präventionsangebots<br />
auf den motorischen sowie den sozial-emotionalen Entwicklungsstand von Vorschulkindern,<br />
die in einem Heim leben, untersucht.<br />
Im Psychomotorischen Präventionsangebot konnten die vier Kinder der Testgruppe Material-,<br />
Körper- und Sozialerfahrungen sammeln. Die sechs wöchentlich durchgeführten Lektionen<br />
mit dem Themenschwerpunkt Tiere wurden prozessorientiert erarbeitet.<br />
Durch standardisierte Testverfahren wurde beim Prätest festgestellt, dass die untersuchten<br />
<strong>Heimkinder</strong> eine verzögerte psychomotorische Entwicklung aufweisen. Beim Posttet nach<br />
der Durchführung des Psychomotorischen Präventionsangebots erzielte die Testgruppe ein<br />
deutlich besseres Ergebnis als die Kontrollgruppe. Das Angebot hat also den psychomotorischen<br />
Entwicklungsstand der Kinder verbessert.
Wir bedanken uns bei den Betreuern und den Kindern des Monikaheims für ihre Offenheit<br />
und Zusammenarbeit. Ebenso danken wir Kristin Egloff, die uns für Fragen zur Verfügung<br />
stand und uns tatkräftig unterstützte.
Inhaltsverzeichnis 4<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Abstract.................................................................................................................................... 2<br />
Inhaltsverzeichnis................................................................................................................... 4<br />
1. Einleitung............................................................................................................................. 5<br />
2. Theoretische Überlegungen und Fragestellungen.......................................................... 6<br />
2.1 Prävention....................................................................................................................................... 6<br />
2.1.1 Definition................................................................................................................................................. 6<br />
2.1.2 Anforderungen an ein Präventionsangebot.............................................................................................8<br />
2.1.3 Psychomotorische Prävention.................................................................................................................8<br />
2.2 Kinderheim.................................................................................................................................... 11<br />
2.2.1 Allgemein...............................................................................................................................................11<br />
2.2.2 Psychosoziale Risikofaktoren bei <strong>Heimkinder</strong>n.....................................................................................11<br />
2.2.3 Therapie im Heim..................................................................................................................................14<br />
2.2.4 Monikaheim...........................................................................................................................................15<br />
2.3 Entwicklungstheoretische Aspekte............................................................................................... 17<br />
2.3.1 Bewegungsentwicklung.........................................................................................................................17<br />
2.3.2 Spielentwicklung................................................................................................................................... 20<br />
2.3.3 Emotionsentwicklung............................................................................................................................ 22<br />
2.3.4 Sozialentwicklung..................................................................................................................................25<br />
2.4 Fragestellungen und Hypothesen................................................................................................ 27<br />
3. Methode............................................................................................................................. 28<br />
3.1 Psychomotorisches Präventionsangebot..................................................................................... 28<br />
3.1.1 Rahmenbedingungen............................................................................................................................28<br />
3.1.2 Vorgehen...............................................................................................................................................28<br />
3.1.3 Inhalt..................................................................................................................................................... 30<br />
3.2 Testverfahren................................................................................................................................ 36<br />
3.2.1 Rahmenbedingungen............................................................................................................................36<br />
3.2.2 Movement Assessment Battery for Children 2 (M-ABC-2)....................................................................36<br />
3.2.3 Wiener Entwicklungstest (WET)............................................................................................................37<br />
3.2.4 Smarties-Test........................................................................................................................................ 37<br />
4. Ergebnisse......................................................................................................................... 39<br />
4.1 Evaluation des Psychomotorischen Präventionsangebots.......................................................... 39<br />
4.1.1 Reflexion............................................................................................................................................... 39<br />
4.1.2 Verhalten der Kinder............................................................................................................................. 40<br />
4.2 Testergebnisse.............................................................................................................................. 43<br />
4.2.1 Test- und Kontrollgruppe im Vergleich...................................................................................................43<br />
4.2.2 Testgruppe.............................................................................................................................................45<br />
4.2.3 Kontrollgruppe.......................................................................................................................................53<br />
4.3 Beantwortung der Fragestellungen.............................................................................................. 62<br />
5. Diskussion......................................................................................................................... 64<br />
Literaturverzeichnis.............................................................................................................. 66<br />
Abbildungsverzeichnis......................................................................................................... 69<br />
Anhang
Einleitung 5<br />
1. Einleitung<br />
Die Themenwahl der Bachelorarbeit wurde vom persönlichen Interesse geleitet, praktisch zu<br />
wirken. Wir stellten uns die Frage, welche Zielgruppe von einem Psychomotorischen Angebot<br />
profitieren könnte. Es war uns wichtig, dass diese Klientel in der Psychomotoriktherapie<br />
in der Schweiz bisher wenig Beachtung fand. So haben wir uns auf Kinder konzentrier, die in<br />
einem Heim leben.<br />
Da Kinder im Vorschulalter in der deutschsprachigen Schweiz nicht zur psychomotorischen<br />
Klientel zählen, haben wir uns entschieden, das Psychomotorische Angebot auf diese Zielgruppe<br />
auszurichten. Hinzu kommt unsere Annahme, dass mögliche Entwicklungsauffälligkeiten<br />
im Vorschulalter kaum Beachtung finden und die Kinder dadurch nicht angemessen<br />
gefördert werden. Sind die Kinder jedoch bereits in der Schule, werden allfällige Auffälligkeiten<br />
entdeckt und gezielt gefördert. Zudem ist bewiesen, dass es Sinn macht, Massnahmen<br />
möglichst früh durchzuführen, um ein bestmögliches Resultat zu erzielen (vgl. Hafen, 2010;<br />
Wustmann & Simoni, 2010).<br />
Auf der Suche nach Vorschulkindern, die in einem Heim leben, sind wir auf das Monikaheim<br />
in Zürich gestossen. Da die Kinder aus dem Monikaheim im psychomotorischen Bereich vorgängig<br />
nicht diagnostiziert wurden, ist das durchgeführte Angebot dem präventiven Bereich<br />
zuzuordnen. Dennoch nahmen wir an, dass auch diese Kinder eine Risikopopulation darstellen<br />
(vgl. Schmid, 2007). Diese Annahme führte zur Überlegung, dass die Kinder aus dem<br />
Monikaheim besonders stark von einem Psychomotorischen Präventionsangebot profitieren<br />
können.<br />
In unserer Arbeit verfolgten wir einerseits das Ziel, den möglicherweise vorhandenen psychomotorischen<br />
Entwicklungsrückstand von Kindern, die in einem Heim leben aufzuzeigen.<br />
Andererseits gingen wir der Frage nach, ob die Durchführung eines Psychomotorischen Angebots<br />
bei Kindern, die in einem Heim leben zu einer Verbesserung des psychomotorischen<br />
Entwicklungsstands führt.<br />
In Zusammenhang mit der Fragestellungen, die dieser Arbeit zugrunde liegen, werden im<br />
Theorieteil die thematischen Schwerpunkte Prävention, Kinderheim sowie entwicklungstheoretische<br />
Aspekte bearbeitet. Anschliessend wird auf das Psychomotorische Präventionsangebot<br />
und die Testverfahren eingegangen. Nach der Auswertung der Testergebnisse und der<br />
Evaluation des Psychomotorischen Präventionsangebots werden die Fragestellungen beantwortet<br />
und die Hypothesen validiert. Die Diskussion beinhaltet eine kritische Auseinandersetzung<br />
mit den Ergebnissen.<br />
Da aus datenschutzrechtlichen Gründen die Namen der Kinder nicht ausgeschrieben werden,<br />
sind lediglich Initialen vorzufinden.<br />
Wir, die Autorinnen dieser Arbeit, werden im Zusammenhang mit dem Psychomotorischen<br />
Präventionsangebot durch die Bezeichnung „Psychomotoriktherapeutinnen“ ersetzt. Aus<br />
Verständlichkeitsgründen wird lediglich an dieser Stelle erwähnt, dass wir noch in Ausbildung<br />
sind.
Theoretische Überlegungen und Fragestellungen – Prävention 6<br />
2. Theoretische Überlegungen und Fragestellungen<br />
2.1 Prävention<br />
Bei den untersuchten Kindern ist bisher noch keine Therapiebedürftigkeit nachgewiesen<br />
worden. Aufgrund dessen ist das psychomotorische Angebot, das mit einer Testgruppe von<br />
acht Kindern durchgeführt wird, dem präventiven Bereich zuzuordnen. Da es sich nicht um<br />
eine Therapie handelt, wird in diesem Kapitel der Begriff „Prävention“, insbesondere die Anforderungen<br />
an ein Präventionsangebot und die Psychomotorische Prävention, theoretisch<br />
dargestellt und mit dem Psychomotorischen Präventionsangebot, das den praktischen Teil<br />
dieser Arbeit ausmacht, verknüpft.<br />
2.1.1 Definition<br />
Im Allgemeinen steht der Begriff „Prävention“ für vorbeugende Maßnahmen, welche das Ziel<br />
verfolgen, das Auftreten von Krankheiten oder unerwünschten physischen oder psychischen<br />
Zuständen zu verhindern oder einzudämmen (vgl. Hurrelmann, Klotz & Haisch, 2004).<br />
Präventive Massnahmen können unterschiedlich gegliedert werden, bezüglich Interventionszeitpunkt,<br />
Ansatzpunkt sowie Zielgruppe. Im Folgenden werden die verschiedenen Einordnungen<br />
aufgelistet.<br />
Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention<br />
Entsprechend Interventionszeitpunkt unterscheiden Hurrelmann et al. (2004) den Begriff<br />
Prävention in Primär-, Sekundär- sowie Tertiärprävention.<br />
Unter Primärprävention werden alle Massnahmen verstanden, die das Ziel verfolgen, ein<br />
Neuauftreten einer Krankheit zu verhindern. Krankheitsursachen sollen deshalb eingedämmt<br />
und Abwehrmechanismen gestärkt werden. Interventionen der Primärprävention werden vor<br />
dem Erstauftreten eines unerwünschten Zustandes eingesetzt. Primärpräventive Massnahmen<br />
richten sich an Individuen oder (Teil-)Populationen, bei denen das verhütete Problem<br />
noch nicht aufgetreten ist.<br />
Sekundärprävention steht für Krankheitsfrüherkennung und deren frühzeitige Behandlung.<br />
Ein klassisches Beispiel der Krankheitsfrüherkennung stellen Massen-Screenings dar. Auch<br />
Frühinterventionen bei verhaltensauffälligen Kindern zählen zur Sekundärprävention, die der<br />
Vorbeugung von Problemverhalten und psychischen Störungen dienen. Die Sekundärprävention<br />
richtet den Fokus auf Personen, die durch diagnostische Massnahmen zu Klienten<br />
werden.<br />
Von Tertiärprävention wird gesprochen, wenn eine bestimmte Krankheit oder ein unerwünschter<br />
Zustand bereits vorliegt. Die Intensität der vorliegenden Krankheit soll durch gezielte<br />
Interventionen gemildert werden. Des Weiteren zielt Tertiärprävention darauf ab, Folgeschäden<br />
zu vermeiden oder Rückfällen vorzubeugen. Bei dieser Art von Prävention muss<br />
die Begriffsüberschneidung mit medizinisch-therapeutischen Behandlungen und der Rehabilitation<br />
in Betracht gezogen werden.<br />
An dieser Stelle muss auf begriffliche Verwirrungen hingewiesen werden, denn die Zuordnung<br />
bestimmter Massnahmen zu den jeweiligen Präventionstypen ist keinesfalls eindeutig<br />
klar. Die Abgrenzung der unterschiedlichen Interventionszeitpunkte (Primär-, Sekundär- sowie<br />
Tertiärprävention) gestaltet sich problematisch. Dies hängt nicht zuletzt damit zusam-
Theoretische Überlegungen und Fragestellungen – Prävention 7<br />
men, dass bereits bei den Begriffen „Risikofaktoren“ und „Krankheiten“ keine eindeutige Abgrenzung<br />
vorgenommen werden kann.<br />
Personale und strukturelle Prävention<br />
Von Suchodoletz (2007) unterteilt präventive Interventionen weiter in personale und strukturelle<br />
Prävention, die sich aufgrund ihres Ansatzpunktes voneinander abgrenzen. Strukturelle<br />
Prävention (Verhältnisprävention) setzt sich mit den Lebens-, Arbeits- und Umweltbedingungen<br />
der Population auseinander sowie deren Auswirkungen auf das Entstehen von Krankheiten.<br />
Personale Prävention (Verhaltensprävention) hingegen befasst sich mit dem Verhalten<br />
des Individuums. Gesundheitsgefährdendes Verhalten soll dabei minimiert werden.<br />
Universelle, selektive und indizierte Prävention<br />
Präventive Interventionen können zudem hinsichtlich ihrer Zielgruppe eingeteilt werden. Universelle<br />
Prävention verfolgt das Ziel, die gesamte Population einzubeziehen, selektive Prävention<br />
spricht eine bestimmte Bevölkerungsgruppe mit besonderen Risiken an, und indizierte<br />
Prävention steht für einzelne Individuen mit Störungsanzeichen (ebd.).<br />
Das Psychomotorische Präventionsangebot, das dieser Arbeit zu Grunde liegt, wird der selektiven<br />
Prävention zugeordnet, da das Präventionsangebot für Kinder, die in einem Heim<br />
leben, ausgelegt ist. Bezüglich des Ansatzpunktes kann das Präventionsprojekt der personellen<br />
Prävention zugewiesen werden, weil es sich mit dem Verhalten der <strong>Heimkinder</strong> befasst.<br />
Die Einordnung des Psychomotorischen Präventionsangebots entsprechend seinem Interventionszeitpunkt<br />
scheint nicht ganz einfach zu sein. Hurrelmann et al. (2004) bestätigen<br />
ebenfalls, dass zwischen Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention keine eindeutige Abgrenzung<br />
besteht. Zum einen kann das Psychomotorische Präventionsangebot der primären<br />
Prävention zugeschrieben werden, mit der Begründung, dass <strong>Heimkinder</strong> eine Risikogruppe<br />
darstellen und deshalb ein unerwünschter Zustand, beispielsweise Verhaltensauffälligkeiten,<br />
verhindert werden sollen. Zum anderen kann die präventive Intervention der Sekundärprävention<br />
zugewiesen werden, da durch die durchgeführten diagnostischen Verfahren die<br />
beobachteten Kinder zu Klienten der Psychomotorik werden. Die Sekundärprävention verfolgt<br />
dabei das Ziel, einer ungünstigen Entwicklung vorzubeugen.<br />
Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung<br />
Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung stellen weitere Begriffe der Prävention dar<br />
und sind beides Formen der Intervention, bei der die Mortalitätsrate der Bevölkerung beeinflusst<br />
werden soll. Die beiden Bezeichnungen werden jedoch in der Literatur nicht gleich bedeutend<br />
verwendet (ebd.)<br />
Der Begriff Krankheitsprävention entwickelte sich in der Sozialmedizin. Die Krankheitsprävention<br />
verfolgt das Ziel, das Auftreten von Krankheiten zu vermeiden, indem die auslösenden<br />
Faktoren eingedämmt oder sogar verhindert werden sollen. Dabei wird von pathogenetischen<br />
Faktoren ausgegangen. Im Gegenteil dazu betrachtet die Gesundheitsförderung die<br />
Interventionen aus salutogenetischer Sicht. Die Gesundheitsentwicklung eines Menschen<br />
soll verbessert werden, indem Schutzfaktoren und Ressourcen gestärkt und gefördert werden.<br />
Es geht dabei um eine Promotion, bei der die Stärkung der gesundheitlichen Entfaltungsmöglichkeiten<br />
im Mittelpunkt steht (ebd.).<br />
Die Gesundheitsförderung entspricht mehr den Grundsätzen des Psychomotorischen Prä-
Theoretische Überlegungen und Fragestellungen – Prävention 8<br />
ventionsangebots. Die Ressourcen der Kinder werden dabei stark berücksichtig und sollen<br />
gestärkt werden. Ebenso soll die persönliche Entwicklung jedes Kindes unterstützt und verbessert<br />
werden (ebd.).<br />
2.1.2 Anforderungen an ein Präventionsangebot<br />
Einleitend ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass sich die Ausführungen dieses Kapitel auf<br />
von Suchodoletz (2007) beziehen.<br />
Präventionsprogramme sollten in erster Linie wirksam und effizient sein. Zum einen muss die<br />
angestrebte Zielgruppe erreicht werden und zum anderen sollen Nutzen und Risiko in einem<br />
vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. Die Wirksamkeit eines Präventionsprogramms<br />
soll mit aussagekräftigen Methoden nachgewiesen werden. Es soll aufgezeigt werden, dass<br />
die Häufigkeit der Störung beziehungsweise der Erkrankung aufgrund der präventiven<br />
Massnahmen eingedämmt wurde und dass ein langfristiger Effekt vorliegt.<br />
Zudem sollte ein Präventionsprogramm effizient sein. Des Weiteren soll die Frage beachtet<br />
werden, ob eine andere und vor allem billigere Massnahme nicht den gleichen Effekt erzielt<br />
hätte.<br />
Vor jedem Präventionsprogramm sollte eine Risikoabschätzung durchgeführt werden, denn<br />
sogar bei sinnvollen und notwendigen Interventionen können sich negative Wirkungen<br />
abzeichnen. Beispielsweise können Stigmatisierungen oder sogar eine Verstärkung der<br />
Problemstellung erfolgen.<br />
Nicht zuletzt soll ein Präventionsprogramm bezüglich des zu erwartenden Erfolgs näher<br />
betrachtet werden. Oft scheitern solche Programme bereits bei der Verbreitung und<br />
Einführung in die Praxis. Andere Programme erzielen nicht den vorgesehenen Erfolg, da die<br />
eigentliche Zielgruppe nicht erreicht wird.<br />
Mit den aufgezählten Kriterien möchte von Suchodoletz (2007) zeigen, dass ein<br />
Präventionsprogramm mit hohen Anforderungen verbunden ist und dass ein guter Wille<br />
leider längst nicht ausreicht, um ein solches Projekt in Angriff zu nehmen.<br />
Im Rahmen dieser Arbeit stellen Kinder, die in einem Heim aufwachsen, die Zielgruppe dar,<br />
welche durch die Psychomotoriktherapeutinnen erreicht werden. Der Erfolg des<br />
Psychomotorische Präventionsangebots wird mittels diagnostischer Verfahren untersucht.<br />
Bei einem so kurzen Interventionsintervall kann jedoch nicht gesagt werden, ob ein<br />
langfristiger Effekt vorliegt. Die meisten Anforderungen an ein Präventionsprogramm werden<br />
jedoch mit dem Psychomotorischen Präventionsangebot erfüllt.<br />
2.1.3 Psychomotorische Prävention<br />
Schmassmann und Lang (2010) schreiben in ihrer Diplomarbeit, dass die psychomotorische<br />
Prävention in der Schweiz ein neueres Arbeitsfeld darstellt, welches in der Literatur nicht genau<br />
beschrieben wird.<br />
Der Berufsverband astp definiert psychomotorische Prävention folgendermassen:<br />
Prävention geschieht vorwiegend in Zusammenarbeit mit Schulen, Kindergärten und weiteren Institutionen<br />
in Form von Beratung, Kursen und Hospitieren. Schul- und Kindergartenkinder können auch in ihrem schulischen<br />
Umfeld, bzw. im Kindergarten gefördert werden, indem die Lehrperson unterstützt wird oder indem<br />
die Therapeutin, der Therapeut, mit der ganzen Klasse arbeitet. (astp, 2009)<br />
Die Hochschule für Heilpädagogik beschreibt, dass psychomotorische Präventionsprojekte
Theoretische Überlegungen und Fragestellungen – Prävention 9<br />
oft in der Praxis entstehen und auf die Eigeninitiative der Psychomotoriktherapeuten zurückzuführen<br />
sind. Es wird betont, dass ein wissenschaftlicher Handlungsbedarf in diesem Bereich<br />
besteht und die Prävention für die Psychomotorik ein weiteres Arbeitsfeld darstellt<br />
(Hochschule für Heilpädagogik, o.J.).<br />
Jucker (2007) erklärt, dass die Fachkenntnisse und Berufserfahrungen der Psychomotoriktherapeuten<br />
für die Prävention massgebend sind. Weiter führt er aus, dass psychomotorische<br />
Prävention in verschiedenen Systemen wie Schulhausteams, Kinderkrippen oder Elternvereinen<br />
stattfindet, bei denen Therapeuten in einem interdisziplinären Kontext informieren,<br />
beraten oder Impulsprojekte durchführen. Prävention soll in diesem Setting psychomotorische<br />
Beeinträchtigungen verhindern und den Kindern psychomotorische Erfahrungen ermöglichen.<br />
Die Psychmotoriktherapeutin Sigenthaler (2010) versteht folgendes unter psychomotorischer<br />
Prävention:<br />
Präventive Interventionen können personen- oder sozialsystemorientiert sein. Die Prävention besteht meistens<br />
aus beratenden und klärenden Gesprächen mit Einzelpersonen (mit der Schülerin/dem Schüler, mit<br />
den Eltern, den Lehrpersonen und evt. anderen Bezugspersonen) und richtet sich auch an soziale Systeme<br />
wie die Familie, das schulische Umfeld und an Fachpersonen verwandter Berufsrichtungen oder an Institutionen,<br />
die mit der hier erwähnten Thematik zu tun haben, zum Beispiel an Kommissionen der Bauplanung<br />
von Schulhäusern, Wohnsiedlungen, Kindertagesstätten und Spielplätzen. (Sigenthaler, 2010, S. 19)<br />
Aufgrund der verschiedenen Definitionen wird deutlich, dass es bislang keine eindeutige Definition<br />
der Psychomotorischen Prävention gibt und dass dieser Bereich Klärungsbedarf aufweist.<br />
2.1.3 Frühförderung als Prävention<br />
Die frühe Kindheit ist für einen Menschen und für dessen weitere Entwicklung von grosser<br />
Bedeutung, da die Grundlagen für die Widerstandsfähigkeit gegenüber belastenden Ereignissen<br />
gelegt werden. Aufgrund dessen nimmt die Frühförderung, die eine präventive Wirkung<br />
zur Folge hat, einen wichtigen Stellenwert ein. Sie setzt sich mit den günstigen Lebensbedingungen<br />
auseinander und will jene nachhaltig beeinflussen. Kinder sollen in einem<br />
möglichst belastungsarmen Umfeld aufwachsen und eine gute Basis für ihre weitere Entwicklung<br />
haben. Als Zielsetzung der Frühförderung sollen Schutzfaktoren gestärkt und Belastungsfaktoren<br />
bestmöglich reduziert werden (vgl. Hafen, 2010).<br />
Viele Kinder wachsen in schwierigen Lebensverhältnissen auf und sind somit in ihrer Entwicklung<br />
gefährdet. Deswegen scheint es umso wichtiger, die Entwicklung von Kindern so<br />
früh wie möglich präventiv zu unterstützen (Wustmann & Simoni, 2010).<br />
Hurrelmann et al. (2004) führen weiter aus, dass die Kindheit jene Lebensphase darstellt, in<br />
der sich Körper, Geist und soziale Beziehungen entwickeln und verändern. Biologische Anlagen<br />
sowie das Umfeld des Kindes sind in dieser Zeit massgebend für die kindliche Entwicklung<br />
und beeinflussen folglich die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes. Präventive<br />
Interventionen im Kindesalter sind von besonderer Bedeutung, da frühe Risiken schnellstmöglich<br />
erkannt werden können und Kinder in dieser Phase eine grosse Lernbereitschaft<br />
aufweisen.<br />
Die neurobiologischen Untersuchungen bestätigen ebenfalls die ausserordentliche Bedeutung<br />
der Frühförderung. Nebst der Betrachtung des Gehirns als Produkt von Genen, die ein<br />
Programm abspielen, handelt es sich beim Gehirn um ein offenes und soziales System. Es
Theoretische Überlegungen und Fragestellungen – Prävention 10<br />
wird schon früh von seiner Umwelt angeregt und bildet seine neuronalen Strukturen durch<br />
Erfahrungen. Die Bildung eines „sozialen“ Gehirns vollzieht sich in Wechselwirkung mit Interaktionen<br />
und Aktivitäten aus der Umwelt. Durch eine angeregte Umwelt wird im Gehirn fortlaufend<br />
die Umgebung konstruiert. Aus diesem Grund kann das Gehirn als Produkt der Erziehung<br />
angesehen werden (vgl. Speck, 2008).<br />
Der Frühförderung kommt weiterhin ein besonderer Stellenwert zu, da das Gehirn in der<br />
Kindheit zum einen die Fähigkeit hat neue Strukturen (Nervenzellen-Netzwerke) zu bilden<br />
und zu festigen. Solche Strukturen werden beispielsweise beim Erlernen einer Sprache, bei<br />
bestimmten Bewegungsabläufen sowie bei sozialen Kontakten gebildet. Zum anderen verfügt<br />
das Gehirn in der frühen Kindheit über eine grosse Plastizität. Aus diesem Grund ist es<br />
wichtig, schon früh äussere Bedingungen zu schaffen, die eine erwünschte Strukturbildung<br />
im Gehirn ermöglichen. Früh entwickelte neuronale Strukturen haben so einen wichtigen Einfluss<br />
auf die weitere Entwicklung (vgl. Hafen, 2010).<br />
Durch Studien konnte nachgewiesen werden, dass Stress in der frühen Kindheit zur Beeinträchtigung<br />
in der Hirnentwicklung beitragen kann. Belastungsfaktoren, wie unsichere Bindung,<br />
emotionale Verwahrlosung, Gewalt, Missbrauch oder psychische Störungen der Erziehungspersonen,<br />
hinterlassen im Gehirn Spuren. Dies kann auf die gesamte Entwicklung eines<br />
Kindes Einfluss haben. Erfährt ein Kind schon früh unzureichende emotionale Zuwendung,<br />
so kann dies Auswirkungen auf seine spätere Beziehungsfähigkeit haben. Neuronen,<br />
die für soziale Beziehungen bedeutsam sind, können sich unter schwierigen Bedingungen<br />
nicht in vollem Masse entwickeln. Stress in der frühen Kindheit kann zudem zu lebenslangen<br />
Lern- und Konzentrationsstörungen sowie zu Verhaltensauffälligkeiten führen (vgl. Speck,<br />
2008).<br />
Zimmer (2006) nennt folgende Bereiche, in denen die Schwerpunkte eines psychomotorischen<br />
Angebots in der Frühförderung liegen sollten. Erstens die Wahrnehmungsförderung<br />
der Basissinne, also die taktile, kinästhetische und vestibuläre Wahrnehmung. Zweitens die<br />
Förderung der Grundbewegungsformen wie gehen, laufen, kriechen, klettern, springen, rutschen<br />
und rollen. Drittens das Angebot von Spielen zur Unterstützung der sozialen Aktivitäten<br />
zwischen den Kindern. Als vierten und letzten Punkt wird schliesslich die Erfahrung der<br />
eigenen Selbstwirksamkeit genannt – das Bewusstmachen des eigenen Könnens. Zudem<br />
wird betont, dass gerade in den ersten Lebensjahren die Basis für die Entstehung eines positiven<br />
Selbstkonzepts gelegt wird.<br />
Mit Grundlage dieser theoretischen Überlegungen lässt sich erahnen, dass vor allem <strong>Heimkinder</strong>,<br />
die in ihrer frühen Kindheit verschiedenen Belastungsfaktoren ausgesetzt waren, in<br />
besonderem Masse von einer psychomotorischen Frühförderung profitieren können. Aufgrund<br />
dessen wurde ein Psychomotorisches Präventionsangebot für Kinder, die in einem<br />
Heim leben, entwickelt.
Theoretische Überlegungen und Fragestellungen – Kinderheim 11<br />
2.2 Kinderheim<br />
Im Normalfall wachsen Kinder in elterlicher Obhut auf. Bei dieser Arbeit wird der Fokus auf<br />
Kinder, die in einem Heim leben, gerichtet. Folglich wird auf Besonderheiten in der Entwicklung<br />
von Kindern aus einem Heim eingegangen. In diesem Zusammenhang spielt die Bindungs-<br />
und Resilienzforschung eine wichtige Rolle. Anschliessend wird erklärt, weshalb ein<br />
so geringer Unterschied zwischen Therapie und Erziehung im Heim besteht. Zudem wird das<br />
Monikaheim, in dem die untersuchten Kinder leben, näher betrachtet.<br />
2.2.1 Allgemein<br />
„Heim nennt man den Aufenthaltsort von Kindern und Jugendlichen, die sonst kein Zuhause<br />
mehr haben“ (Altenthan et al., 2004, S. 87). Es gibt drei Gruppen von Kindern, die in einem<br />
Heim leben. Die erste Gruppe kommt in ein Heim, weil den Eltern gerichtlich das Sorgerecht<br />
entzogen wurde. Die Eltern der zweiten Gruppe kommen aus verschiedensten Gründen mit<br />
der Erziehung nicht mehr zurecht. Schliesslich gibt es noch eine dritte Gruppe von Kindern,<br />
die in einem Heim aufwachsen, weil sie keine Eltern mehr haben und Waisen sind (vgl. Altenthan<br />
et al., 2004).<br />
Auch die Kinder aus dem Monikaheim können diesen drei Gruppen zugeteilt werden. Viele<br />
Elternteile leiden unter psychischen Krankheiten oder haben Suchtprobleme.<br />
2.2.2 Psychosoziale Risikofaktoren bei <strong>Heimkinder</strong>n<br />
Die meisten Kinder und Jugendlichen, die in einem Heim leben, kommen aus „Multiproblemfamilien“<br />
– Familien, in denen gleichzeitig mehrere Probleme und Schwierigkeiten vorherrschen<br />
(vgl. Altenthan et al., 2004). Diese Faktoren können die Entwicklung der Kinder negativ<br />
beeinflussen. Schmid (2007) zählt einige Beispiele der extremen psychosozialen Belastungen<br />
auf, denen Kinder und Jugendliche ausgesetzt sind oder waren:<br />
…zerrüttete Familienverhältnisse, chronische Konflikte innerhalb der Familie, beengte Wohnverhältnisse,<br />
inkonsequenter und strafender Erziehungsstil, erzieherisches Versagen bzw. mangelnde pädagogische<br />
Kompetenzen, Trennung der Eltern, frühe Elternschaft der leiblichen Eltern, psychische Störungen der Eltern<br />
(diese impliziert auch ein erhöhtes genetisches Risiko), traumatische Erfahrungen, Kindesmisshandlung,<br />
Deprivation, negative Bindungserfahrungen, mangelnde soziale Unterstützung. (Schmid, 2007, S.<br />
21)<br />
Schmid (2007) bezeichnet <strong>Heimkinder</strong> folglich als Risikopopulation und bezieht sich auf eine<br />
Untersuchung, in der 689 Kinder und Jugendliche aus Heimen untersucht wurden. Dabei<br />
wurden Informationen aus ihrer Vorgeschichte und ihrer Herkunft beigezogen, die Probanden,<br />
Erzieher und Betreuer befragt und Testuntersuchungen durchgeführt. Das Ergebnis<br />
zeigte, dass bei 60% der Probanden, also deutlich mehr als die Hälfte der Kinder, definierte<br />
klinische Diagnosen aus dem Gebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie festzustellen waren.<br />
„Diese Ergebnisse zeigen unter anderem, dass fast ein Drittel dieser <strong>Heimkinder</strong> so schwer<br />
gestört ist wie 2% der Kinder der Allgemeinbevölkerung“ (Schmid, 2007, S. 13).<br />
Bindungstheorie<br />
Schleiffer (2007) beschäftigt vor dem Hintergrund der Heimerziehung mit der Bindungstheorie.<br />
Er geht den Erkenntnissen der modernen Bindungsforschung aus. Diese untersucht die<br />
frühen Beziehungserfahrungen von Kindern und die Auswirkungen auf deren Persönlichkeitsentwicklung.<br />
Die Ergebnisse der Bindungsforschung wurden jedoch bislang kaum für die
Theoretische Überlegungen und Fragestellungen – Kinderheim 12<br />
Theorie der Heimerziehung genutzt, was laut Schleiffer verwunderlich ist, da Bowlby seine<br />
Bindungstheorie vor ungefähr 50 Jahren im Kontext der Heimerziehung begründet hat. Die<br />
Bindungstheorie des englischen Psychoanalytikers und Kinderpsychiaters Bowlby wird von<br />
Dornes (2007) näher erläutert. Die Theorie besagt unter anderem, dass der menschliche<br />
Säugling über angeborene Neigung verfügt, die Nähe einer vertrauten Person zu suchen. Mit<br />
dem vom Säugling aktivierten Bindungsverhalten wie Schreien, Lächeln oder Anklammern<br />
wird die Nähe zur vertrauten Person hergestellt, woraus ein Gefühl der Sicherheit folgt.<br />
Aus den interaktiven und kommunikativen Erfahrungen, die der Säugling mit seinen Betreuungspersonen<br />
im Laufe des ersten Lebensjahres macht, resultiert schliesslich ein Gefühl der Bindung oder Gebundenheit,<br />
das, je nach Erfahrung, verschiedene 'Färbungen' annehmen kann, die als unterschiedliche Qualitäten<br />
von Bindung betrachtet werden. (Dornes, 2007, S. 44)<br />
Weiter erwähnt Dornes (2007) die Forschungsergebnisse der US-amerikanischen Psychologin<br />
Mary Ainsworth, die einen wichtigen Beitrag zur Bindungstheorie leistete. Sie erforschte<br />
die Mutter-Kind-Beziehung im ersten Lebensjahr und erstellte in den 60er Jahren eine Skala<br />
zur Messung mütterlicher Feinfühligkeit. Sie hat eine erste Klassifizierung einjähriger Kinder<br />
in sicher gebundene, unsicher gebundene und noch nicht gebundene Kinder vorgenommen.<br />
Kinder, die wenig schrien, wurden als sicher gebunden bezeichnet, solche, die viel schrien,<br />
als unsicher gebunden und jene Kinder, die kein spezifisches Bindungsverhalten zeigten, als<br />
noch nicht gebunden. Bei einem weiteren Projekt von Ainsworth, der Baltimore-Studie, wurden<br />
Familien unter anderem auf deren face-to-face-Interaktion untersucht. Der Häufigkeit<br />
kindlichen Weinens, den kindlichen Gehorsam, der Begrüssen der Mutter und den Folgen bei<br />
Trennungen wurde ebenfalls Beachtung geschenkt. „Für all diese Verhaltensweisen ergaben<br />
sich signifikante Unterschiede in Abhängigkeit von der mütterlichen Feinfühligkeit“ (Dornes,<br />
2007, S. 49). Die mütterliche Feinfühligkeit beinhaltet vier Merkmale: „1. Die Wahrnehmung<br />
der Verhaltensweisen des Säuglings; 2. die zutreffende Interpretation seiner Äusserungen; 3.<br />
die prompte Reaktion darauf; 4. die Angemessenheit der Reaktion“ (Grossmann et al.; zitiert<br />
nach Dornes, 2007, S. 53). Sicher gebundene Kinder mit feinfühligen Müttern waren beispielsweise<br />
viel kooperativer als unsicher gebundene.<br />
Daraus folgend konzipierte Ainsworth das quasiexperimentelle Setting, die Fremde Situation,<br />
die für die Bindungstheorie von grosser Bedeutung war. Die wichtigsten Erkenntnisse waren,<br />
dass Kinder von Bezugspersonen, die im ersten Jahr feinfühlig, also prompt und angemessen,<br />
auf die Signale ihres Kindes eingehen, mit einem Jahr in der Fremden Situation zu den<br />
sicher gebundenen Kindern gehören. Kinder, deren Bezugspersonen inkonsistent reagieren,<br />
werden später eher als ambivalent bezeichnet. Kinder, deren Bezugspersonen mit Kummer<br />
und Trostbedürfnissen eher zurückweisend umgehen, werden in der Fremden Situation als<br />
vermeidend angesehen (vgl. Dornes, 2007).<br />
Die folgende Beschreibung der Fremden Situation bezieht sich auf Ausführungen von Dornes<br />
(2007). Bei der Fremden Situation werden die Bezugsperson und ihr Kind in einen Untersuchungsraum<br />
geführt. Nach einigen Minuten betritt ein Fremder den Raum und nimmt mit der<br />
Bezugsperson und anschliessend mit dem Kind Kontakt auf. Danach verlässt die Bezugsperson<br />
unauffällig den Raum und kehrt nach einigen Minuten wieder zurück. In einem weiteren<br />
Schritt verlässt der Fremde und einige Minuten später auch die Bezugsperson erneut<br />
den Raum. Kurze Zeit später kommt der Fremde zurück in den Raum und macht dem Kind<br />
ein Spiel- oder Trostangebot. Danach betritt die Bezugsperson wieder den Raum und der<br />
Fremde verlässt den Raum. Als massgeblicher Indikator für die Bindungsqualität wird in diesen<br />
jeweils dreiminütigen Sequenzen die Reaktion des Kindes auf die Wiederkehr der Bezugsperson<br />
betrachtet. Dabei wurden drei typische Verhaltensweisen beobachtet. Die erste<br />
Gruppe der Kinder, die sicher gebundenen, zeigen Anzeichen von Kummer, wenn die Bezugsperson<br />
den Raum verlässt. Sie lassen sich von der fremden Person nicht gut trösten.
Theoretische Überlegungen und Fragestellungen – Kinderheim 13<br />
Die Bezugsperson wird schliesslich bei ihrer Rückkehr freudig begrüsst, die Kinder suchen<br />
sofort Körperkontakt und fangen gleich wieder an zu spielen. Die Kinder, die als unsicher<br />
vermeidend gebunden bezeichnet werden, ignorieren sowohl den Weggang als auch die<br />
Rückkehr der Bezugspersonen. Sie setzen ihr Spiel fort und spielen manchmal sogar lebhafter<br />
mit der fremden Person als mit der Bezugsperson. Die Kinder vermeiden den Blickkontakt<br />
und begrüssen die Bezugsperson kaum oder nicht, beim Betreten des Raumes. Des Weiteren<br />
suchen sie kaum ihre Nähe. „Sie wirken ruhig, aber physiologische Messungen zeigen,<br />
dass sie stark unter Stress stehen“ (Spangler & Grossmann; Spangler & Schieche; zitiert<br />
nach Dornes, 2007, S. 51). Die dritte Gruppe, die unsicher ambivalent gebundenen Kinder,<br />
werden unruhig und weinen, sobald die Bezugsperson den Raum verlässt. Von der fremden<br />
Person lassen sie sich nicht recht trösten. Sie begrüssen die Bezugsperson und suchen ihre<br />
Nähe, wenn diese den Raum wieder betritt. Gleichzeitig scheinen sie verärgert zu sein, beruhigen<br />
sich kaum und weisen Spielzeug zurück. Sie klammern sich an die Bezugsperson,<br />
sind jedoch kaum zu beruhigen und wollen schon bald wieder losgelassen werden. Die unzufriedene,<br />
quengelige Grundstimmung äussert sich bei manchen Kindern ärgerlich-aggressiv<br />
und bei anderen Kindern passiv. Später wurde dann noch eine vierte Gruppe von Kindern<br />
gebildet, die desorganisiert/desorientiert gebundenen. Diese Kinder verfügen über keine<br />
konsistente Bindungsstrategie und sind den bisher gebildeten Gruppen nicht zu zuteilen.<br />
Bedeutung der Beziehungserfahrungen<br />
In der vorliegenden Arbeit kommt dem langfristigen Effekt dieser frühen Bindungsmuster eine<br />
wichtige Bedeutung zu. Gemäss Dornes (2007) weisen nämlich vermeidende oder ambivalente<br />
Kinder, wenn zusätzliche Belastungsfaktoren hinzukommen, ein erhöhtes Risiko auf,<br />
psychopathologisch relevante Probleme zu entwickeln. Die weitere Entwicklung dieser Kinder<br />
wird also von ihren Beziehungserfahrungen beeinflusst. Es lassen sich einige Vorhersagen<br />
über die weitere sozial-emotionale Entwicklung aus der Bindungsqualität treffen. Kinder,<br />
deren Bindungsqualität in der Fremden Situation als sicher gebunden bezeichnet wurde, zeigen<br />
im Kindergarten beispielsweise adäquateres Sozialverhalten. „Sie sind in der Lage, auftauchende<br />
Konflikte selbständig zu lösen, während die früher so unabhängig wirkenden,<br />
vermeidenden Kinder eher ängstlich oder aggressiv sind, Konflikten aus dem Weg gehen<br />
oder die Kindergärtnerin zu ihrer Lösung einspannen“ (Dornes, 2007, S. 59). Sicher gebundene<br />
Kinder sind während dem zweiten und dritten Lebensjahr phantasievoller, sind konzentrierter,<br />
arbeiten mit grösserer Ausdauer und haben eine höhere Frustrationstoleranz. Jene<br />
Kinder, die als unsicher gebunden bezeichnet wurden, sind häufiger verärgert, wenn sie bei<br />
einem Spiel verlieren und resignieren öfters. Zudem interpretieren sicher gebundene Kinder<br />
zwiespältige Situationen, in denen zum Beispiel ein Kind ein anderes verletzt, realistischer,<br />
während die unsicheren Kinder die Aggression in die Situation projizieren und diese häufig<br />
als absichtlich aggressiv beurteilen.<br />
Die Kinder, die in einem Heim leben, sagt Schleiffer (2007), müssen mit der Trennung von<br />
ihren Eltern fertig werden. Sie haben also immer einen Verlust der primären Bindungspersonen,<br />
den sie verarbeiten müssen. Oft stellt für sie der Wunsch nach engen, gefühlvollen und<br />
dauerhaften Beziehungen ein lebenslang bestehendes Problem dar. Die Ergebnisse der Bindungsforschung<br />
haben gezeigt, dass die Qualität der frühen Bindungsbeziehungen die Beziehungsfähigkeit<br />
beeinflusst. Kinder, die in den ersten Jahren in einem Heim aufwachsen,<br />
haben später Mühe, vertrauensvolle Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzunehmen. „Benachteiligende<br />
Umstände haben es offensichtlich an sich, zu einer kontinuierlichen Erfahrung zu<br />
werden. Auch bei denjenigen Kindern, die nach ihrer Entlassung aus dem Heim durchaus<br />
befriedigende soziale Beziehungen eingingen, bestehen dennoch gravierende Probleme“<br />
(Schleiffer, 2007, S. 91).
Theoretische Überlegungen und Fragestellungen – Kinderheim 14<br />
Resilienz<br />
Gemäss Wustmann und Simoni (2010) hat die neuere Resilienzforschung bewiesen, dass<br />
auch psychosozial belastete Kinder, mittels wertschätzender Unterstützung ihres Lebensumfelds,<br />
sich zu selbstsicheren Persönlichkeiten mit Kompetenzen und Leistungsfähigkeiten<br />
entwickeln können. Greve (2008) beschreibt den Begriff Resilienz, der in diesem Zusammenhang<br />
eine wichtige Rolle spielt, als normale Entwicklung trotz unnormaler Bedingungen.<br />
Die Resilienzforschung untersucht also die Bedingungen für die psychische Gesundheit und<br />
Stabilität bei Kindern, die besonderen Entwicklungsrisiken ausgesetzt sind.<br />
Anmerkungen<br />
Als Abschluss dieses Kapitels sind noch einige Ergänzungen von Schleiffer (2007) anzufügen.<br />
Dieser fasst zusammen, dass sich die Evaluation der Heimerziehung als recht schwierig<br />
erweist und die in der Fachliteratur vorfindbaren Äusserungen zum Erfolg der Heimerziehung<br />
oft widersprüchlich sind. Dazu ist es wichtig zu wissen, dass sich die meisten Befunde aus<br />
der Entwicklungspsychopathologie auf Korrelationen beziehen. Das bedeutet, dass diese<br />
statistischen Zusammenhänge keine eindeutige Ursachenzuschreibung erlauben. Auch bei<br />
der von Schmid (2007) dargestellten Untersuchung wird angefügt, dass die Störungen in diesem<br />
Beispiel oft der Grund zur Aufnahme in ein Heim waren. Viele Probanden entwickelten<br />
die Störung also nicht, weil sie in einem Heim lebten, sondern wurden grösstenteils wegen<br />
dieser Störungen in ein Heim eingewiesen.<br />
Schleiffer betont, dass es darum geht, die Risiko- und Schutzfaktoren im Einzelfall zu untersuchen,<br />
da diese sich wechselseitig beeinflussen.<br />
Es sind mithin immer komplexe Verhältnisse in Rechnung zu stellen, will man die Beziehungen zwischen<br />
Bindung, psychischer Entwicklung und Auffälligkeit angemessen verstehen. Dabei reicht das Wissen um<br />
die statistischen Zusammenhänge sicherlich nicht aus. Vielmehr geht es darum, die pathogenetischen Mechanismen<br />
zu verstehen, die diesen Zusammenhängen zugrunde liegen. (Schleiffer, 2007, S. 118)<br />
Auch wenn wissenschaftlich bewiesen werden kann, dass Kinder, die in einem Heim leben<br />
aufgrund der psychosozialen Risikofaktoren, in ihrer Entwicklung gefährdeter sind als Kinder,<br />
die bei ihren Eltern aufwachsen, kann nicht gesagt werden, dass bei den Kindern aus dem<br />
Monikaheim in jedem Fall Entwicklungsrückstände festgestellt werden können. Auch im<br />
Rahmen der vorliegenden Arbeit müssen die acht Kinder einzeln betrachtet werden. Anschliessend<br />
wird eine Aussage darüber getroffen, ob die Tendenz besteht, dass die Mehrheit<br />
der Kinder Entwicklungsrückstände aufweisen.<br />
2.2.3 Therapie im Heim<br />
Bei der Aufnahme in ein Heim geht es nach wie vor primär um die Erziehungshilfe, obwohl<br />
beispielsweise in der obenstehenden Untersuchung bei fast der Hälfte der Kinder und Jugendlichen<br />
aus Heimen eine psychische Störung vorlag. Folglich sollte es auch um Heimtherapie,<br />
nicht nur um Heimerziehung gehen (vgl. Schmid, 2007).<br />
Vor einem bindungstheoretischen Hintergrund, erwähnt Schleiffer (2007), dass für die Probleme<br />
und Konflikte in einem Heim ein vertieftes Verständnis vorhanden sein muss. Diese<br />
prägen den Heimalltag und erschweren die Erziehungsarbeit. Er geht davon aus, dass es<br />
fliessende Übergänge zwischen Erziehung und Therapie gibt und die Unterscheidung der<br />
zwei Tätigkeitsbereiche nicht ganz einfach ist. Da es schwierig ist, Abgrenzungen zu finden,<br />
wird vielfach auf die Unterscheidung verzichtet und der jeweils andere Tätigkeitsbereich in<br />
den eigenen aufgenommen. Die Gefahr bei einer Gleichsetzung von Erziehung und Therapie
Theoretische Überlegungen und Fragestellungen – Kinderheim 15<br />
besteht darin, dass die Erzieher und Therapeuten sich selbst voneinander nicht mehr unterscheiden<br />
können, was im Heimkontext oftmals zum Problem wird. „Erst wenn wir uns vom<br />
Anderen abzugrenzen wissen, können wir miteinander handeln und kooperieren“ (Schleiffer,<br />
2007, S. 201).<br />
Leider wurden keine Informationen darüber gefunden, ob in einem mit dem Monikaheim vergleichbaren<br />
Heim, Psychomotoriktherapeutinnen angestellt sind oder psychomotorische Angebote<br />
durchgeführt werden. Die Durchführung eines Psychomotorischen Angebots in einem<br />
Heim eignet sich aber insofern, dass eine professionelle Abgrenzung zur Erziehung gemacht<br />
werden kann. Die Psychomotoriktherapeutinnen arbeiten in diesem Fall nicht mit den Erziehern<br />
zusammen, sie kooperieren eher in Form von Beratung. Eine Unterscheidung zwischen<br />
Therapie und Erziehung ist also hier, auch durch die räumliche und zeitliche Abgrenzung,<br />
möglich. Dennoch verfolgen sie meist ähnliche Ziele, gehen diese aber mit unterschiedlichen<br />
Arbeitsweisen an.<br />
2.2.4 Monikaheim<br />
Der katholische Fürsorgeverein gründete 1930 im Werdgarten in Zürich ein Zufluchtshaus für<br />
junge Mädchen mit dem Ziel, Schutz für aussereheliche Mütter zu bieten. Zwei Jahre später<br />
übersiedelte die Institution an den Waldrand oberhalb des Irchelparks, den heutigen Standort<br />
des Monikaheims. Mit der Hilfe von Hebammen, Ärzten und Kinderschwestern bekamen die<br />
jungen Mädchen die Chance, sich physisch sowie psychisch gut auf die Geburt vorzubereiten.<br />
In dieser Zeit erfolgten viele Geburten im Heim. Nach der Geburt wurden die Mütter bezüglich<br />
Erziehung und Pflege weiterhin unterstützt. Im Jahre 1966 wurde zusätzlich eine anerkannte<br />
Ausbildung für Kinderpflegerinnen eingeführt und 1975 wurde die Institution vom<br />
katholischen Fürsorgeverein in eine rechtliche Stiftung namens Monikaheim überführt. 1976<br />
konnten die Kinder, aufgrund von Rezession und Geburtenrückgang, bis zum Schuleintritt im<br />
Heim bleiben. Schliesslich wurde die Geburtenabteilung 1980 geschlossen, da sie den modernen<br />
Ansprüchen nicht nachkommen konnte. Im Jahre 1933 wurde dann eine Totalrenovation<br />
durchgeführt und ein Jahr später startete das Monikaheim mit einem neuen Konzept,<br />
das in seinen Grundzügen bis heute besteht (vgl. Biberstein, 2007; Monikaheim, 2009c).<br />
Abb. 1: Monikaheim<br />
Die Stiftung Monikaheim ist ein Kompetenzzentrum im Frühbereich und leistet professionelle<br />
Betreuungs- und Erziehungshilfe. Im Zentrum steht das Wohl des Kindes sowie die Verbesserung<br />
seiner Lebenssituation. Das Monikaheim repräsentiert ein positives, ressourcenorien-
Theoretische Überlegungen und Fragestellungen – Kinderheim 16<br />
tiertes Menschenbild, bei dem das Kind und seine Eltern als eigenständige Persönlichkeiten<br />
angesehen werden. Es bietet dem Kind Geborgenheit, Schutz und Raum, um sich wohl zu<br />
fühlen. Zudem kann das Kind lustvolle Aktivitäten, emotionaler Austausch sowie Verlust- und<br />
Angstverarbeitung in einem geordneten Alltag erfahren. Des Weiteren werden die Kinder im<br />
guten Umgang miteinander und in der Selbstverantwortung unterstützt. Kongruenz, Wertschätzung<br />
und Respekt prägen die Arbeit mit den Kindern (vgl. Monikaheim, 2009e).<br />
Das Monikaheim nimmt Säuglinge und Kleinkinder bis zum Alter von sieben Jahren auf, die<br />
vorübergehend oder längere Zeit nicht bei ihren Eltern leben können. Das Angebot des Monikaheims<br />
umfasst eine Kriseninterventionsgruppe, zwei Wohngruppen für Kinder sowie begleitetes<br />
Wohnen für Mutter und Kind (vgl. Monikaheim, 2009a).<br />
Die Kriseninterventionsgruppe bietet sechs bis sieben Kindern, die sich in einer akuten Notlage<br />
befinden und körperlicher und/oder seelischer Gefährdung ausgesetzt sind, Schutz.<br />
Während mehrerer Tage oder bis zu drei Monaten soll das Kind durch die Distanz zum vorhergehenden<br />
Umfeld sowie durch ein förderliches Angebot Unterstützung und Geborgenheit<br />
erfahren. In der Zusammenarbeit mit den Behörden werden die aktuelle Situation des Kindes<br />
und dessen Umfeld abgeklärt. Zudem wird entschieden, ob eine Rückführung in die Familie<br />
oder eine Fremdbetreuung für das Kind sinnvoll ist (vgl. Monikaheim, 2009d).<br />
Zwei Wohngruppen bieten je acht Kleinkindern, die aus sozial schwierigen Familienverhältnissen<br />
stammen, eine vorübergehende Wohnmöglichkeit. Die Kinder werden in dieser Zeit in<br />
ihrer Entwicklung sowie in ihrer Eigenentfaltung adäquat unterstützt. Zudem werden sie hinsichtlich<br />
ihren Fähigkeiten gefördert und bekommen die Chance, in einem möglichst familiären<br />
Rahmen Zuverlässigkeit und Konstanz zu erfahren (vgl. Monikaheim, 2009f).<br />
Das begleitete Wohnen bietet vier alleinerziehenden Müttern, die sich in einer Krisensituation<br />
befinden, die Chance, für drei bis zwölf Monaten im Monikaheim zu wohnen und Unterstützung<br />
zu erlangen. Die Frauen und Kinder erfahren Schutz und Erholung in dieser Zeit. Der<br />
Aufenthalt soll der Neuorientierung dienen, mit dem Ziel, die bestehende Lebenssituation<br />
neu zu regeln und die weitere Zukunft zu gestalten (vgl. Monikaheim, 2009b).
Theoretische Überlegungen und Fragestellungen – Entwicklungstheoretische Aspekte 17<br />
2.3 Entwicklungstheoretische Aspekte<br />
Da diese Arbeit mögliche Entwicklungsverzögerungen von Kindern, die in einem Heim leben,<br />
untersucht und gleichzeitig der Frage nachgegangen wird, inwiefern ein Psychomotorisches<br />
Präventionsangebot diese verringern kann, werden in diesem Kapitel verschiedene entwicklungstheoretische<br />
Aspekte erarbeitet.<br />
Als erstes wird die Bewegungsentwicklung dargestellt. Dabei werden die Phasen vom Kleinkind-<br />
bis zum Vorschulalter betrachtet, also alle Stadien, welche die untersuchten Kinder bereits<br />
durchlaufen haben oder in denen sie sich zurzeit befinden. Dies ist wichtig, um qualitative<br />
Aussagen über mögliche Entwicklungsverzögerung zu machen. Zudem stellen Bewegungserfahrungen<br />
die Grundlage des Psychomotorischen Angebots dar. Um den Kindern<br />
angepasste Spiel- und Bewegungsangebote zu ermöglichen, sollte zudem ein Grundlagenwissen<br />
über die Spielentwicklung vorhanden sein, das in diesem Kapitel ebenfalls erarbeitet<br />
wird. Dabei kommt vor allem den Spielformen eine wichtige Bedeutung zu, die bei den Kindern<br />
im Psychomotorischen Angebot beobachtet werden können. Neben dem motorischen<br />
Bereich spielt auch der sozial-emotionale eine wichtige Rolle, dies sowohl bei den Testverfahren<br />
als auch beim Psychomotorischen Präventionsangebot. Folglich wird auch die Emotions-<br />
und Sozialentwicklung dargestellt.<br />
2.3.1 Bewegungsentwicklung<br />
Die Bewegungsentwicklung ist stark in die Gesamtentwicklung des Kindes eingebunden. Sie<br />
stellt ein interaktives Zusammenwirken von biogenetischen Dispositionen und sozioökologischen<br />
Faktoren dar. Kulturelle und soziale Systeme und die damit verbundenen<br />
Trends haben Einfluss auf die Bewegungsentwicklung. Die Bewegungsentwicklung vollzieht<br />
sich in der interindividuellen und variierenden Wechselwirkung zwischen biogenetischen<br />
Prädispositionen eines Kindes und seiner sozialen sowie materiellen Umwelt (vgl. Stemme &<br />
von Eickstedt, 1998).<br />
Largo (2010) betont, dass die frühe motorische Entwicklung eine grosse zeitliche Streubreite<br />
mit sich bringt. Es ist deshalb normal, dass Kinder zu unterschiedlichen Zeitpunkte Laufen<br />
lernen. Zudem besteht eine grosse Vielfalt von Bewegungsmustern mit den Folgen, dass<br />
sich Kinder auf ganz unterschiedliche Weise fortbewegen.<br />
Da das Psychomotorische Präventionsangebot Kinder im Vorschulalter anspricht, wird im<br />
Folgenden die Bewegungsentwicklung zwischen der Pränatalen Phase und dem Kleinkind-<br />
und Vorschulalter betrachtet.<br />
Pränatale Phase<br />
Beobachtungen weisen darauf hin, dass die motorische Entwicklung bereits in der pränatalen<br />
Phase beginnt. In der sechsten Schwangerschaftswoche sind mit Hilfe von Ultraschallbildern<br />
erste Bewegungen des Embryos erkennbar und im fünften Schwangerschaftsmonat<br />
sind die Bewegungen eines Kindes bereits soweit ausgeprägt, dass die Mutter diese spürt<br />
(vgl. Scheid, 1994).<br />
Bis zur 14. Schwangerschaftswoche hat das ungeborene Kind bereits alle Bewegungsmuster<br />
entwickelt, welche es bei der Geburt aufweist. Alle jene Bewegungen dienen als Vorbereitung<br />
für das Leben nach der Geburt. Weiterhin werden sie dazu gebraucht, um die motorischen<br />
Verhaltensweisen, welche nach der Geburt sogleich funktionieren müssen, einzuüben.<br />
Ebenfalls sind die gelernten Bewegungsmuster bedeutend für die Einübung von Organfunk-
Theoretische Überlegungen und Fragestellungen – Entwicklungstheoretische Aspekte 18<br />
tionen sowie für das Modellieren der Gliedmassen. Und nicht zuletzt kann das ungeborene<br />
Kind durch seine erlernten Bewegungsmuster sich für den Geburtsvorgang in eine günstige<br />
Lage bringen (vgl. Largo, 2010).<br />
Säuglingsalter<br />
Erstmals muss sich der Säugling in den ersten Monaten gegen die Schwerkraft behaupten.<br />
Seine ersten Erfolge erzielt er diesbezüglich durch die Kontrolle der Kopfhaltung. Jene Entwicklung<br />
wird von der Veränderung der Körperhaltung begleitet. Mit drei Monaten ist er in der<br />
Lage, seinen Kopf im Sitzen sowie in der Bauchlage aufrechtzuhalten. Seine Beugehaltung<br />
in der Bauchlage entwickelt der Säugling in den ersten sechs Monaten zu einer Streckhaltung<br />
aus. In der Rückenlage durchläuft er gerade die umgekehrte Entwicklung durch. Das<br />
allgemeine Bewegungsmuster besteht in diesem Alter vor allem aus ungerichteten Arm- und<br />
Beinbewegungen (ebd.).<br />
Ab dem vierten Monat gelingt es dem Kind, gezielte Greifbewegungen auszuführen. Diese<br />
sind zielsicherer und verlässlicher als die Greifbewegungen eines Neugeborenen. Für das<br />
Gelingen des gezielten Greifens müssen viele Faktoren zusammenspielen. Diese Fähigkeit<br />
differenziert sich beim Säugling im Laufe der Zeit noch weiter aus. Nachdem der Säugling<br />
frei sitzen kann ohne dabei die Balance zu verlieren, gelingt es ihm schon bald, beidhändig<br />
zu greifen (vgl. Rauh, 2008).<br />
Zwischen dem vierten und neunten Lebensmonat beginnt das Kind sich fortzubewegen. Es<br />
wird zunehmend mobil und kann seine Umwelt erkunden. Als erstes dreht sich das Kind im<br />
Kreis und um seine eigene Achse. Zwischen sieben und zehn Monaten zeigt es erste Robbbewegungen,<br />
indem es sich auf dem Bauch vorwärts bewegt. Danach folgt das Krabbeln<br />
(vgl. Largo, 2010).<br />
„Die großen interindividuellen Unterschiede in Zeitpunkt und Art der Fortbewegung hängen<br />
von der Kraft des Kindes, seinen bisherigen motorischen Erfahrungen, kulturellen Rahmenbedingungen<br />
und seiner Motivation zur Fortbewegung ab“ (Rauh, 2008, S. 181).<br />
Die Bewegungen werden im Laufe der Zeit zunehmend aufeinander abgestimmt. Das Drehen<br />
um die eigene Körperachse und der Übergang von der Bauchlage in den Kniestand ermöglichen<br />
dem Kind, sich aufzusetzen (vgl. Largo, 2010).<br />
Die meisten Kinder gehen mit zehn bis dreizehn Monaten vom Krabbeln in den Vierfüsslergang<br />
über. Das Kind versucht sich an verschiedenen Gegenständen hoch zu ziehen, um in<br />
eine aufrechte Position zu gelangen. Gelingt dies, kann zunächst seitliches Gehen beobachtet<br />
werden. Zwischen zwölf und vierzehn Monaten beginnt das Kind seine ersten Schritte zu<br />
machen. Diese sind breitspurig und noch stampfend. Nach ein paar Monaten gelingt es ihm,<br />
sich ziemlich sicher fortzubewegen (ebd.).<br />
Kleinkind- und Vorschulalter<br />
Im Alter zwischen drei und fünf Jahren wird die Motorik bezüglich Koordination, Gleichgewicht<br />
und Kraft ausdifferenziert. In diesem Alter werden die motorischen Fähigkeiten, beispielsweise<br />
gehen und rennen, ebenfalls erweitert und auf den ganzen Körper abgestimmt<br />
(ebd.).<br />
Zwischen zwei und drei Jahren nimmt das Kind beim Ballfangen eine unbewegliche, steife<br />
Position ein und wartet bis ihm der Ball in die Arme fällt. Im Alter von drei bis vier Jahren wird<br />
die Körperbewegung allmählich dem Ball angepasst. Die Fangbewegung differenziert sich
Theoretische Überlegungen und Fragestellungen – Entwicklungstheoretische Aspekte 19<br />
bis zum Schulalter aus. Ebenso wird das Werfen eines Balles vorerst aus einer fast unbeweglichen<br />
Haltung ausgeführt bis das Kind schliesslich im Schulalter die körperliche Bewegung<br />
darauf abstimmt (ebd.).<br />
Bedeutung der Körper- und Bewegungserfahrungen für die Psychomotoriktherapie<br />
Die Psychomotorik betrachtet den Menschen in seiner Ganzheit. Denken, Fühlen, Handeln,<br />
Wahrnehmen und Bewegen stehen in einer gegenseitigen Wechselwirkung und sind untrennbar<br />
miteinander verbunden. Kinder drücken ihre Gefühle in Bewegungen aus. Äussere<br />
Spannungen spiegeln sie in ihrem körperlichen Wohlbefinden. Folglich können positive Bewegungserlebnisse<br />
eine psychische Entspannung herbeirufen. Die Erfahrungen, die Kinder<br />
aufgrund ihrer Bewegungen sammeln, gehen über den motorischen Bereich hinaus. Das<br />
Kind setzt sich anhand der Bewegung mit seiner sozialen sowie materiellen Umwelt auseinander<br />
und gewinnt dabei wichtige Erkenntnisse über sich selbst (vgl. Zimmer, 2004).<br />
Bedeutung der Bewegung für die kindliche Entwicklung<br />
Die Bewegung nimmt eine fundamentale Bedeutung hinsichtlich aller Entwicklungsbereiche<br />
ein und steht in enger Wechselbeziehung mit der Kognition und den sozial-emotionalen<br />
Kompetenzen. Zudem erschliesst das Kind sein Weltbild über seinen Körper und seine Bewegung.<br />
So kann das Kind räumlich-dingliche und personale Bezüge zu seiner Umgebung<br />
herstellen. Bewegungserfahrungen haben deshalb einen bedeutenden Einfluss auf die kindliche<br />
Persönlichkeit und tragen zur Bildung der Identität bei (vgl. Fischer, 2011).<br />
Über Körper- und Bewegungserfahrungen wird das Kind mit Erfolg und Misserfolg konfrontiert<br />
und erhält eine Vorstellung von seinem eigenen Können. Durch diese wertvollen Erfahrungen<br />
macht das Kind sich ein Bild seines „Selbst“. Kinder erleben durch ihre motorische<br />
Aktivität, dass sie etwas leisten können und wollen vermehrt selbständig Handeln (ebd.).<br />
Zimmer (2004) äussert, dass der Aufbau des „Selbst“ abhängig ist von den Körpererfahrungen,<br />
die das Kind in den ersten Lebensjahren sammelt. Körpermerkmale und körperliche<br />
Fähigkeiten können sogar als Schlüsselvariabel für die Entwicklung des Selbstkonzeptes bezeichnet<br />
werden. Die Fähigkeiten, Stärken und Schwächen, die sich ein Kind zuschreibt, sind<br />
stark mit den Erfahrungen verbunden, die das Kind bezüglich Leistungen, Fähigkeiten und<br />
Verhaltensweisen in der Vergangenheit gesammelt hat. Indem Kinder Bewegungsaufgaben<br />
lösen, experimentieren oder ausprobieren, erleben sie, dass sie Verursacher bestimmter Effekte<br />
sind, was als Basis des Selbstvertrauens von zentraler Bedeutung ist.<br />
Der Motor der kognitiven Entwicklung ist die Bewegung. Die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten<br />
ist stark von den Bewegungs- und Wahrnehmungserfahrungen abhängig, die das<br />
Kind von der Geburt an sammelt. Kinder lernen am besten durch Eigenaktivität und selbständiges<br />
Ausprobieren. Die Entwicklung der Denkstrukturen hängt mit motorischen Prozessen<br />
zusammen. Vielfältige Bewegungs- und Sinneserfahrungen stellen die Voraussetzung<br />
zur Bildung der Denkstrukturen dar. Ein Neugeborenes weist bei der Geburt über einhundert<br />
Milliarden Nervenzellen auf, die jedoch zuerst miteinander verknüpft werden müssen. Sinnestätigkeiten<br />
und körperliche Aktivitäten unterstützen diese Verknüpfung. Jede Berührung,<br />
jede Bewegung und jede sinnliche Wahrnehmung trägt zur Bildung von neuen Verbindungen<br />
zwischen Nervenzellen bei, was dazu führt, dass sich die Strukturen des Gehirns zunehmend<br />
differenzieren (ebd.).<br />
Bewegungen bieten dem Kind die Möglichkeit, sich aktiv mit seiner Umwelt auseinander zu<br />
setzen. Auf diese Weise kann es Erfahrungen mit Dingen und Gegenständen sammeln, indem<br />
es ihre Eigenschaften kennen lernt. Nach Piaget entwickelt sich die Intelligenz aufgrund
Theoretische Überlegungen und Fragestellungen – Entwicklungstheoretische Aspekte 20<br />
der handelnden Auseinandersetzung des Kindes mit seiner Umwelt. Er beschreibt die Intelligenz<br />
als Form der Anpassung des Organismus an seine Umwelt (ebd.).<br />
Im Psychomotorischen Präventionsangebot kommt der Bewegung eine grosse Bedeutung<br />
zu. Viele verschiedene Spiel- und Bewegungsangebote ermöglichen den Kindern, vielfältige<br />
Bewegungserfahrungen zu sammeln und sich mit ihrer Umwelt auseinander zu setzen. Dabei<br />
lernen und festigen sie viele Bewegungsmuster.<br />
2.3.2 Spielentwicklung<br />
Kinder bis sieben Jahre spielen ungefähr acht Stunden pro Tag (van der Koij, 2001). „Spiel<br />
ist die wichtigste Aktivität der jungen Kinder, und dies wird auch von Pädagogen und Psychologen<br />
anerkannt. Deswegen darf das Spiel in der Theorie und Praxis der Pädagogik nicht<br />
übersehen werden“ (van der Koij, 2001, S. 293).<br />
Merkmale des Spiels<br />
Eine allgemeingültige Definition über das Spiel existiert nicht. „Die Phänomene sind so komplex<br />
und wahrscheinlich auch so dynamisch, dass sie sich nicht in statischen Konzepten erfassen<br />
lassen“ (van der Koij, 2001, S. 295). Ein Spiel besteht aus drei Merkmalen. Erstens<br />
ist das Spiel gekennzeichnet durch seinen Selbstzweck, wobei die Motivation in der Tätigkeit<br />
selber liegt. Zweitens erfolgt im Spiel ein Wechsel des Realitätsbezugs, denn das Spiel bildet<br />
einen anderen Handlungsrahmen, innerhalb dessen die Bedeutungen der Gegenstände,<br />
Handlungen und Personen nicht gleich sind wie in der Realität. Drittens sind bei allen Spielformen<br />
Wiederholungen von Handlungen zu sehen, die häufig Ritualcharakter besitzen (vgl.<br />
Scheuerl; zitiert nach Oerter, 2008).<br />
Spielformen<br />
Am Anfang der Spielentwicklung ist vor allem das Einzelspiel und später erst das Sozialspiel<br />
zu beobachten. Zwischen dem Einzel- und dem Sozialspiel gibt es aber häufig noch eine<br />
Zwischenform, das Parallelspiel. Beim Parallelspiel spielen die Kinder nebeneinander, oftmals<br />
mit einem ähnlichen Spielgegenstand, und beobachten einander immer häufiger. Damit<br />
zwei oder mehrere Kinder zusammen spielen können, müssen sie in der Lage sein, sich auf<br />
einen gemeinsamen Spielgegenstand und ein gemeinsames Spielthema zu einigen. Später<br />
müssen sie vereinbaren, was sie spielen möchten. Dies wird in der Fachliteratur „Metakommunikation“<br />
genannt (vgl. Oerter, 2008).<br />
Es gibt viele Autoren, die spezifische Spielformen beschreiben (vgl. Oerter, 2008; Schenk-<br />
Danzinger, 1983; van der Koij, 2001). Die folgenden Bezeichnungen beziehen sich auf die<br />
Ausführungen von Oerter (2008). Dabei werden die Formen des Spiels in ihrer Reihenfolge<br />
und Häufigkeit des Auftretens in der Entwicklung aufgelistet.<br />
Im ersten und zweiten Lebensjahr zeigt das Kind Handlungen, die Sensumotorisches Spiel<br />
genannt werden. Die Bewegungen werden zuerst mit oder am eigenen Körper ausgeführt.<br />
Später richten sie sich vermehrt auch auf Gegenstände.<br />
Die nächste Spielform wird als Informationsspiel oder Explorationsspiel bezeichnet. Das Kind<br />
erkundet den Umgang mit Gegenständen sowie deren Beschaffenheit und Eigenschaft.<br />
In einer weiteren Spielphase benutzt das Kind Gegenstände, um aus oder mit ihnen ein Zielobjekt<br />
herzustellen. Solche Tätigkeiten werden Konstruktionsspiele genannt. Dazu gehören
Theoretische Überlegungen und Fragestellungen – Entwicklungstheoretische Aspekte 21<br />
Aktivitäten wie bauen, basteln, zeichnen oder formen, bei denen mit Gegenständen realitätskonform<br />
umgegangen wird. Das vorangehende Explorationsspiel und das Konstruktionsspiel<br />
werden von vielen Spielforschern nicht als Spielverhalten definiert, sollten aber als Spiel gelten,<br />
weil sie die Merkmale des Spiels aufweisen.<br />
Das Als-ob-Spiel, auch Symbolspiel oder Fiktionsspiel genannt, ist bei engerer Spieldefinition<br />
die eigentliche kindliche Spielform. Die Gegenstände und Handlungen werden den Wünschen<br />
des Kindes angepasst und sind von dessen Erfahrungen aus dem sozialen Umfeld<br />
geprägt. Diese Spielform tritt im Alter von 12 bis 13 Monaten auf, nimmt bei Kindern im Vorschulalter<br />
zu und wird später kaum mehr beobachtet.<br />
Mit zunehmenden kognitiven und sozialen Kompetenzen kommt das Rollenspiel, auch soziodramatisches<br />
Spiel genannt, als weitere Spielform hinzu. Das Kind spielt mit mehreren<br />
Personen zusammen und übernimmt fiktive Rollen. Kinder im Alter von drei Jahren machen<br />
noch kaum kooperative Rollenspiele. Ab vier Jahren spielen schliesslich fast alle Kinder Rollenspiele,<br />
wobei die Spieldauer stetig zunimmt.<br />
Beim Regelspiel handelt es sich um soziale Formen des Spiels mit festgelegten Regeln, die<br />
eingehalten werden müssen. Bei Kindern im Vorschulalter wird es noch kaum beobachtet.<br />
Der Wettkampfgedanke gewinnt im Laufe der Entwicklung an Bedeutung.<br />
Bedeutung des Spiels für die kindliche Entwicklung<br />
Oerter (2008) sagt, dass es unzählige Theorien über das Spiel gibt. Während der Ursprung<br />
der älteren Spieltheorien meistens in der Philosophie liegt und teilweise von Darwins Evolutionstheorie<br />
beeinflusst wurde, geht es bei den modernen Spieltheorien vielmehr um die Beziehung<br />
zwischen dem Spiel und der individuellen Entwicklung.<br />
Der Psychologe Piaget erwähnt grösstenteils die Auswirkungen des Spiels auf die kognitive<br />
Entwicklung, während es aus (neo)psychoanalytischer Sicht vor allem um Folgen für das<br />
emotionale und soziale Verhalten geht. Ein weiterer Blickwinkel bietet die Tiefenpsychologie,<br />
die besagt, dass das Spiel vom Kind dazu genutzt werden kann, erlebte traumatische Ereignisse<br />
zu verarbeiten (vgl. Oerter, 2008).<br />
Laut Oerter (2008) hat das Spiel, neben der entwicklungs- und funktionsfördernden Bedeutung,<br />
eine existenzsichernde und existenzsteigernde Wirkung. Dazu gehört erstens der Aktivierungszirkel<br />
im Spiel, beziehungsweise die lustvolle Wiederholung des Aktivierungskreises<br />
mit der dazugehörigen sukzessiven Aktivierungs- und Erregungssteigerung bis hin zum Höhepunkt<br />
und dem darauf folgenden Abfall. Die existenzsichernde und existenzsteigernde<br />
Wirkung zeigt sich zweitens auch als intensiver Austauschprozess zwischen Person und<br />
Umwelt. Drittens ist die Bewältigung spezifischer Probleme anzumerken. Im Spiel kann das<br />
Kind frühzeitige Erfahrungen, die es nicht einordnen kann, die unangenehm sind und mit denen<br />
es nicht zurechtkommt, weiterverarbeiten und bewältigen. Viertens zeigt sich diese Wirkung<br />
als Bewältigung entwicklungs- und beziehungsspezifischer Thematiken. Vor allem kleinere<br />
Kinder drücken im Spiel sogenannte Allmachtsphantasien aus.<br />
Renner (1995) geht von der Sozialisationstheorie aus, die besagt, dass bestimmte Voraussetzungen<br />
und Bedingungen gegeben sein müssen, damit ein Mensch in die Gesellschaft<br />
hineinwachsen kann und sich somit seine Sozialisation vollzieht. Wenn diese unzureichend<br />
sind oder wenn sich die individuelle und gesellschaftliche Existenz widerspricht, treten Sozialisationsdefizite<br />
oder -störungen auf. „Diese Störungen werden als emotionale, soziale, kognitive<br />
oder auch motorische Deprivation sichtbar, sie zeigen sich nicht nur in Schule, Beruf<br />
und Familie, sondern auch im Spielverhalten“ (Renner, 1995, S. 24). Renner (1995) führt des
Theoretische Überlegungen und Fragestellungen – Entwicklungstheoretische Aspekte 22<br />
Weiteren aus, dass das Spiel und das darin enthaltene Probehandeln diese defizitäre Sozialisationsbedingungen<br />
und -entwicklungen positiv beeinflussen. Daher ist es wichtig, durch<br />
Anregungen und Fördermassnahmen die Entwicklung der Spielfähigkeiten von Kindern zu<br />
unterstützen.<br />
Das Medium Spiel ist ein wichtiger Bestandteil des Psychomotorischen Präventionsangebots.<br />
Die daran teilnehmenden Kinder des Monikaheims sind im Alter von drei bis fünf Jahren.<br />
Es ist also zu erwarten, dass alle Spielformen gezeigt werden. Bei den jüngeren Kindern<br />
werden dabei wahrscheinlich eher erstgenannte Spielformen zu beobachten sein, während<br />
die älteren Kinder auch Rollen- und vielleicht sogar Regelspiele zeigen. Der Bewältigung<br />
spezifischer oder entwicklungs- und beziehungsspezifischer Thematiken durch das Spiel<br />
kommt vor dem Hintergrund der Heimthematik eine wichtige Bedeutung zu. Auch der Zusammenhang<br />
zwischen dem Spiel und der individuellen Entwicklung spielt eine wichtige Rolle,<br />
denn durch das Psychomotorische Angebot soll der Entwicklungsstand der daran teilnehmenden<br />
Kinder verbessert werden.<br />
2.3.3 Emotionsentwicklung<br />
Emotionen werden als psychische Vorgänge bezeichnet, die durch äussere oder innere Zustände<br />
ausgelöst werden. Sie zeigen sich auf der Ebene des Ausdrucks (Stimme, Mimik,<br />
Gestik, Körperhaltung), des Erlebens, der Gedanken, des Verhaltens sowie der somatischen<br />
Vorgängen (vgl. Janke, 2007).<br />
In den ersten sechs Lebensjahren erlangen Kinder beträchtliche Fortschritte in der emotionalen<br />
Entwicklung. Folglich sind sie fähig, in sozialen Situationen zunehmend emotional kompetenter<br />
zu handeln. Zu den emotionalen Fertigkeiten zählen die Entwicklung von Emotionen,<br />
der sprachliche Emotionsausdruck, das emotionale Verständnis sowie die Emotionsregulation.<br />
Diese Fertigkeiten entwickeln sich in verschiedenen Alterststufen, verlaufen jedoch<br />
meist parallel und stehen in enger Wechselwirkung zu einander (vgl. Petermann & Wiedebusch,<br />
2008). Die Entwicklung der unterschiedlichen Bereiche wird im Folgenden aufgezeigt.<br />
Entwicklung des Emotionsausdrucks<br />
Petermann und Wiedebusch (2008) unterscheiden zwei Arten von Gefühlen. Die primären<br />
Emotionen (Basisemotionen), die sich im ersten Lebensjahr entwickeln und die darauffolgenden<br />
sekundären Emotionen (selbstbezogene und soziale Emotionen), die etwa ab dem<br />
zweiten Lebensjahr zu beobachten sind.<br />
Primäre Emotionen<br />
In der frühen Kindheit entwickeln Kinder Basisemotionen. Dazu gehören Freude, Ärger,<br />
Traurigkeit, Angst, Überraschung sowie Interesse. Zwischen dem sechsten und zwölften Lebensmonat<br />
treten erstmals unterscheidbare Emotionen auf. Diese werden begleitet von spezifischen<br />
vokalen Äusserungen sowie von typischen Bewegungen der Gesichtsmuskulatur.<br />
Der Ausdruck der ersten Emotionen ist stark an andere Entwicklungsbereichen gekoppelt.<br />
Ein Kind ist zum ersten Mal verärgert, wenn seine kognitive Entwicklung es ihm ermöglicht,<br />
Erwartungen an Handlungsziele zu stellen (ebd.).<br />
Ab Beginn des Krabbelalters, wo das Kleinkind sich mit zahlreichen neuen Situationen auseinandersetzt,<br />
welche verschiedene Gefühle auslösen, nimmt der Ausdruck von Basisemotionen<br />
zu. Ab dem 14. Monat werden bei Kindern starke Unterschiede im Bereich des Emotionsausdruckes<br />
beobachtet. Diese stehen in engem Zusammenhang mit der Mutter-Kind-
Theoretische Überlegungen und Fragestellungen – Entwicklungstheoretische Aspekte 23<br />
Bindung. Negative Gefühle nehmen bei sicher gebundenen Kindern im zweiten und dritten<br />
Lebensjahr ab. Zudem zeigen sie später weniger Angst und sind seltener verärgert. Bei unsicher<br />
gebundenen Kindern hingegen kommt es vermehrt zu negativen Gefühlsäusserungen,<br />
was zusammenhängt mit den positiven Gefühlen, die seltener gezeigt werden (ebd.).<br />
Bis zum Vorschulalter drücken Kinder ihre Gefühle intensiv aus, unabhängig vom Kontext.<br />
Zudem entwickeln sie einen eigenen Stil des emotionalen Ausdrucks und zeigen typische<br />
Verhaltenstendenzen. Diese gleichen stark dem emotionalen Ausdrucksverhalten der Bezugspersonen.<br />
Geschlechtsspezifische Unterschiede bestehen durchaus, indem beispielsweise<br />
Mädchen positive wie auch negative Gefühle im Alter zwischen zwei und drei vermehrt<br />
zeigen als Jungen (ebd.).<br />
Sekundäre Emotionen<br />
Selbstbezogene und soziale Emotionen treten erstmals gegen Ende des zweiten Lebensjahrs<br />
auf. Unter selbstbezogenen Emotionen werden Gefühle wie Stolz, Schuld, Neid oder<br />
Verlegenheit verstanden. Soziale Emotionen zeigen sich in der Empathie gegenüber Anderen<br />
(ebd.).<br />
Schwarzer & Jovanovic (2007) weisen darauf hin, dass verschiedene Theoretiker das<br />
Selbstkonzept als den kognitiven Meilenstein der emotionalen Entwicklung erachten, denn<br />
für die Ausbildung von sozialen und selbstbezogenen Emotionen ist das Bewusstsein der<br />
eigenen Person und die Wahrnehmung, sich von Andern zu unterscheiden, unerlässlich.<br />
Selbstbezogene Emotionen wie Stolz, Scham und Schuld entstehen durch den Vergleich des<br />
eigenen Handelns mit sozial erwünschtem Handeln. Aus diesem Grund ist es für die Entwicklung<br />
der Selbstgezogenen Emotionen von Bedeutung, dass das Kind die allgemeinen<br />
Verhaltensregeln kennt und sein Verhalten durch Selbstreflexion darauf beziehen kann (vgl.<br />
Schwarzer & Jovanovic, 2007).<br />
Entwicklung des Emotionsvokabulars<br />
Durch den Spracherwerb sind Kinder befähigt, ihre und die Emotionen anderer zu benennen.<br />
Im Verlauf der Entwicklung erwerben sie ein zunächst rudimentäres Emotionsvokabular, das<br />
sich im Laufe der Zeit immer mehr ausdifferenziert. Ab ca. 18 Monaten ist erstmals festzustellen,<br />
dass Kinder ihre eigenen Gefühle verbalisieren und Basisemotionswörter verstehen.<br />
Zwischen zwei und drei Jahren setzen sie zudem ihr gelerntes Emotionsvokabular ein, um<br />
andere dazu zu bewegen, auf ihre emotionalen Bedürfnisse einzugehen. Das aktive Emotionsvokabular<br />
der Kinder in diesem Alter ist jedoch noch kleiner als das passive Verständnis<br />
von Emotionswörtern. Bis hin zum zwölften Lebensjahr wird zunehmend der Sprachwortschatz<br />
erweitert und es werden immer komplexere Emotionen wie Überraschung, Einsamkeit,<br />
Langeweile, etc. gelernt. Mit der Zunahme der Emotionswörter verändert sich ebenfalls<br />
die emotionale Kommunikation. So nehmen Kinder vermehrt die Gefühlszustände anderer<br />
wahr und nehmen weniger Bezug auf ihre eigenen Emotionen (vgl. Petermann & Wiedebusch,<br />
2008).<br />
Die Entwicklung des Emotionsverständnisses<br />
Die folgenden Ausführungen, die an Salisch und Kraft (2010) angelehnt sind, verdeutlichen<br />
die Entwicklung des Emotionsverständnisses.<br />
Zwischen drei und fünf Jahren entwickelt sich das Emotionsverständnis. Kinder lernen, dass<br />
zwei Menschen auf dieselbe Situation unterschiedlich reagieren können und mentale Pro-
Theoretische Überlegungen und Fragestellungen – Entwicklungstheoretische Aspekte 24<br />
zesse einen Einfluss auf die Gefühlsebene haben. Hierfür ist es bedeutsam, dass Kinder<br />
wissen, dass unterschiedliche Perspektiven vorhanden sind. Schliesslich lernen sie, die Perspektive<br />
eines Anderen einzunehmen.<br />
Kinder üben die Perspektivenübernahme in Rollenspielen, bei denen sie eine andere Rolle<br />
und deren Merkmale verkörpern. Weiterhin kann die Perspektivenübernahme mit Gesprächen<br />
über Gefühle gefördert werden. Gespräche über Konfliktsituationen wirken sich positiv<br />
auf die Ausbildung der affektiven Perspektivenübernahme aus.<br />
Emotionsregulation<br />
Im Säuglings- und Kleinkindalter regulieren die Eltern durch ihre Affektspiegelung die Emotionen<br />
des Kindes. Diesbezüglich bezieht sich Dornes (2007) auf Gergely, der die Meinung<br />
vertritt, dass Kinder zwar schon früh Emotionen zeigen, sich aber der emotionalen Zustände<br />
nicht bewusst sind. Deshalb sind sie auf eine primäre Affektspiegelung der Bezugspersonen<br />
angewiesen.<br />
Die Eltern gehen intuitiv auf die Reaktion des Säuglings ein und imitieren dessen Gesichtsausdruck.<br />
Lächelt das Kind, so erscheint auf dem Gesicht der Eltern ebenfalls ein Lächeln.<br />
Der Gesichtsausdruck der Bezugspersonen stellt folglich eine Antwort oder Spiegelung<br />
des Säuglings dar. Dieser kann so im Gesicht seiner Eltern eine Reflexion seines eigenen<br />
Zustandes erkennen (vgl. Dornes, 2007).<br />
Durch den typischen „Babytalk“ markieren die Eltern die Äusserungen des Säuglings, wodurch<br />
das Kind bemerkt, dass der gezeigte Affekt der Bezugspersonen gewissermassen<br />
nicht „echt“ ist. Es wird ihm bewusst, dass es sich nicht um den emotionalen Gefühlszustand<br />
der Eltern handelt, sondern vielmehr um eine Wiederspiegelung und Übertreibung der eigenen<br />
Äusserungen. Durch die Affektspiegelung der Eltern erhält der Säugling ein Gefühl der<br />
Kontrolle. Gleichzeitig wird er durch die Zuwendung der Eltern ruhiger und entspannter. Er<br />
stellt deshalb fest, dass er seine Emotionen selbst regulieren kann (ebd.).<br />
Bei der sekundären Affektspiegelung wird zusätzlich zum primären Gefühl, das die Eltern<br />
spiegeln, die sekundäre Repräsentanz des Gefühls aktiviert. Diese Repräsentanz wird vom<br />
Kind verinnerlicht und informiert es gleichzeitig über ablaufende Prozesse. Der sekundären<br />
Affektspiegelung kommt entsprechend die gleiche Bedeutung zu wie der Spiegelung der Eltern.<br />
Aufgrund dessen ist der Säugling nicht mehr auf seine Eltern angewiesen, um seine<br />
Affekte regulieren zu können, sondern kann auf seine verinnerlichten Repräsentanzen zurückgreifen<br />
(ebd.).<br />
Empathie<br />
Einige Wissenschaftler sehen einen engen Zusammenhang zwischen der kognitiven Fähigkeit,<br />
sich in seinem eigenen Spiegelbild zu erkennen, und der Fähigkeit, empathisch zu handeln.<br />
Sie sagen, dass nur Kinder, die sich im Spiegel wieder erkennen zu prosozialem Handeln<br />
fähig sind. Allerdings ist zu beachten, dass nicht alle Kinder die sich in ihrem Spiegelbild<br />
wieder sehen, auch in der Lage sind, empathisch zu reagieren. Dies ist auf situative und/oder<br />
soziale Einflüsse zurückzuführen (ebd.).<br />
Andere Autoren sehen die Voraussetzung für das Einfühlungsvermögen mehr in den Beziehungserfahrungen.<br />
Es wurde festgestellt, dass bereits einjährige Kinder, die ein sicheres<br />
Bindungsverhalten aufwiesen, Empathie zeigen konnten, indem sie die Gefühle anderer<br />
übernahmen. Hierbei besteht jedoch Uneinigkeit darüber, ob dies schon als Empathie bezeichnet<br />
werden kann oder ob es sich dabei bloss um Affektansteckung handelt (ebd.).
Theoretische Überlegungen und Fragestellungen – Entwicklungstheoretische Aspekte 25<br />
Dornes meint dazu: „Einerseits ist das Selbsterkennen im Spiegel wohl die notwendige Voraussetzung<br />
für echte Empathie, andererseits ist sie dafür wahrscheinlich nicht hinreichend.<br />
Insbesondere für individuelle Differenzen zwischen einzelnen Kindern werden unterschiedliche<br />
Beziehungserfahrungen mitverantwortlich sein“ (Dornes, 2007, S. 192).<br />
„Theory of Mind“<br />
Der Mensch versucht sich in andere Menschen und deren Emotionen hineinzuversetzen, um<br />
Gedanken und Handlungen nachzuvollziehen. Diese Fähigkeit wird „Theory of Mind“ genannt<br />
(vgl. Largo, 2010).<br />
Sie ermöglicht uns, andere Personen als eigenständige Persönlichkeiten mit individuellen<br />
Annahmen, Wünschen und Bedürfnissen wahrzunehmen (vgl. Swoboda, 2010).<br />
Die „Theory of Mind“ stellt einen wichtigen Bestandteil unseres Beziehungsverhaltens dar.<br />
Die Einsicht in die eigene Perspektive und die eines Anderen ermöglicht ein besseres Verständnis<br />
hinsichtlich des zwischenmenschlichen Bereichs mit der Folge, vermehrt sozial interagieren<br />
zu können (Largo, 2010).<br />
Zu den Basiskompetenzen einer „Theory of Mind“ zählt einerseits die Fähigkeit, sich als eigene<br />
Person wahrnehmen zu können. Diese Fähigkeit ist bei einem Kind zu beobachten,<br />
wenn es sich in seinem eigenen Spiegelbild erkennt. Andererseits ist es ebenso wichtig, Bedürfnisse,<br />
Überzeugungen sowie Handlungen Anderer zu erkennen (vgl. Swoboda, 2010).<br />
Dreijährige Kinder gehen davon aus, dass ihre eigene Wahrnehmung deckungsgleich mit der<br />
Wirklichkeit ist. Sie nehmen an, dass ihre Wahrnehmung identisch mit derer der Umgebung<br />
ist. Forscher meinen, dass sich im vierten Lebensjahr ein „qualitativer Wandel“ vollzieht.<br />
Folglich sind Vierjährige in der Lage, ihre Wahrnehmung von der Wahrnehmung anderer<br />
Menschen zu unterscheiden. Sie verstehen, dass es sich bei ihren inneren Vorstellungen um<br />
mentale Inhalte handelt und andere Personen Vorstellungen haben, die von den eigenen<br />
abweichen können (vgl. Kasten, 2005).<br />
Ausserdem sind Kinder im Alter von vier Jahren fähig, zu verstehen, dass Menschen nicht<br />
nach der Wirklichkeit handeln, sondern nach ihren Überzeugungen, die jedoch keinesfalls<br />
stets korrekt sein müssen. Dies zeigt sich in den klassischen „Theory of Mind“-Aufgaben, auf<br />
die in Kapitel 3.2.4 weiter eingegangen wird. Im Alter von vier Jahren sind Kinder erst in der<br />
Lage, eine „Theory of Mind“ zu verstehen (vgl. Kern, 2007).<br />
Ist die Entwicklung einer „Theory of Mind“ verzögert, so kann dies heissen, dass Kinder in<br />
ihren alltäglichen Interaktionen überfordert sind. Auf diese Weise können sie Verhaltensauffälligkeiten<br />
zeigen und folglich aggressiv oder hyperaktiv wirken (vgl. Swoboda, 2010).<br />
In dieser Arbeit nimmt der emotionale Bereich insofern eine wichtige Rolle ein, dass die Zielgruppe<br />
aus Kindern besteht, die in einem Heim leben. Diese weisen bekanntlich ein höheres<br />
Risiko für die Entwicklung von psychischen Problemen auf. Daher ist es wichtig, den emotionalen<br />
Bereich in die Arbeit einzubeziehen.<br />
2.3.4 Sozialentwicklung<br />
Nebst der angeborenen Bereitschaft, das Verhalten anderer zu imitieren und zu verinnerlichen,<br />
sind für die soziale Entwicklung tragfähige Bindungen, die von Gegenseitigkeit geprägt<br />
sind, wichtig. Kinder orientieren sich an ihren Bezugspersonen und verinnerlichen, wie sie<br />
sich zu verhalten haben und welche sozialen Erwartungen die Umwelt an sie heranträgt (vgl.
Theoretische Überlegungen und Fragestellungen – Entwicklungstheoretische Aspekte 26<br />
Largo, 2010).<br />
Ebenfalls verinnerlichen Kinder erfahrene Beziehungen zu ihren Bezugspersonen sowie zu<br />
Gleichaltrigen. Diese Erfahrungen zeigen sich dann wieder in der Gestaltung von zukünftigen<br />
Interaktionen (vgl. Schmidt-Denter, 2005).<br />
Die soziale Entwicklung steht in engem Zusammenhang mit den emotionalen Fähigkeiten<br />
eines Kindes. Um sozial interagieren zu können, ist es notwendig, seine eigenen Gefühle<br />
bewusst wahrzunehmen und reflektieren zu können. Zudem spielt hierbei die „Theory of<br />
Mind“ eine wichtige Rolle (siehe Kapitel 2.3.3). Sie ermöglicht dem Kind, sich in andere Menschen<br />
hineinzuversetzen und deren Gedanken nachzuvollziehen (vgl. Largo, 2010).<br />
Regelmässiger Kontakt zu anderen Kindern ist sehr bedeutend für die soziale Entwicklung,<br />
denn dabei werden soziale Verhaltensweisen entwickelt. Es handelt sich dabei beispielsweise<br />
um die Kooperations- und Kompromissbereitschaft und um das Durchsetzungsvermögen<br />
(vgl. Kasten, 2005).<br />
Frühe Freundschaften können als Experimentierfeld für soziales Verhalten dienen. Im Umgang<br />
mit Gleichaltrigen können unterschiedliche soziale Verhaltensweisen ausprobiert werden.<br />
So lernen Kinder beispielsweise sich auf den anderen zu verlassen, gemeinsam<br />
Schwierigkeiten und Streitigkeiten zu meistern. Zudem können Kinder in einer Freundschaft<br />
lernen, zu verzichten oder dem Freund einen Gefallen zu erweisen (ebd.).<br />
Die Waisenkinder von Theresienstadt, die Anna Freud und Diana Burlingham beobachteten,<br />
stellen ein exemplarisches Beispiel dar, wie Kinder zueinander Beziehungen eingehen können.<br />
Bei den beobachteten Kinder handelt es sich um elternlose Kinder, die sich zuvor in einem<br />
tschechischen Konzentrationslager befanden und schliesslich in ein Kinderheim in England<br />
gebracht wurden. Sie zeigten untereinander eine besondere Nähe und Vertrautheit. Das<br />
gemeinsame Schicksal führte dazu, dass die Kinder untereinander sehr enge, geschwisterähnliche<br />
Beziehungen entwickelten (ebd.).<br />
Aus den Beobachtungen der Waisenkinder von Theresienstadt kann die These abgeleitet<br />
werden, dass Geschwister, die mit den gleichen, ungünstigen familiären Gegebenheiten<br />
konfrontiert wurden, später eine sehr enge und liebevolle Geschwisterbeziehung aufweisen.<br />
Dies können wir später bei einem Geschwisterpaar im Monikaheim beobachten.<br />
Des Weiteren kann aus diesen theoretischen Überlegungen die Hypothese abgeleitet werden,<br />
dass <strong>Heimkinder</strong>, die in ihrer frühen Kindheit über längere Zeit keine tragfähigen Bindungen<br />
erfahren haben, später vermehrt Mühe im sozialen Bereich haben. Dies sollte sich<br />
also auch bei den Kindern im Monikaheim bestätigen. Mit dem standardisierten Testverfahren<br />
WET wird der sozial-emotionale Entwicklungsstand aufgezeigt.
Theoretische Überlegungen und Fragestellungen – Fragestellungen und Hypothesen 27<br />
2.4 Fragestellungen und Hypothesen<br />
Die oben beschriebenen Theorien führen zu den folgenden konkreten Fragestellungen.<br />
1. Ist die psychomotorische Entwicklung von Vorschulkindern, die in einem Heim<br />
leben, auffällig?<br />
Die für die Arbeit ausgewählten Kinder leben im Monikaheim (siehe Kapitel 2.3). Die Auswahl<br />
des Heims wurde zufällig vorgenommen. Getestet wurden die acht Vorschulkinder aus<br />
den zwei Wohngruppen.<br />
Bei der psychomotorischen Entwicklung wird der Fokus auf die motorische und sozialemotionale<br />
Entwicklung gerichtet. Dabei wird der Entwicklungsstand anhand von standardisierten<br />
Testverfahren erhoben (siehe Kapitel 3.2).<br />
2. Verbessert ein Psychomotorisches Präventionsangebot den psychomotorischen<br />
Entwicklungstand von Vorschulkindern, die in einem Heim leben?<br />
Das Psychomotorische Präventionsangebot beinhaltet sechs Lektion à 1 ! Stunden, die wöchentlich<br />
durchgeführt werden. Es wird von zwei Psychomotoriktherapeutinnen durchgeführt<br />
und verfolgt das Ziel, den Kindern vielfältige Körper-, Material- und Sozialerfahrungen zu ermöglichen<br />
(siehe Kapitel 3.1).<br />
Um eine allfällige Verbesserung des Entwicklungstands feststellen zu können, werden die<br />
standardisierten Testverfahren vor und nach der Durchführung des Psychomotorischen Präventionsangebots<br />
angewendet (siehe Kapitel 3.2). Neben der Testgruppe ist ebenfalls eine<br />
Kontrollgruppe vorhanden, denn auf diese Weise wird ersichtlich, ob mögliche Verbesserungen<br />
auf das Psychomotorische Präventionsangebot zurückzuführen sind. Vier Kinder der einen<br />
Wohngruppe bildeten die Test- und vier Kinder aus der anderen die Kontrollgruppe. Die<br />
Zuteilung der Test- und Kontrollgruppe geschah zufällig.<br />
Zu den eben formulierten Fragestellungen werden aufgrund des erarbeiteten Hintergrundwissens<br />
folgende Hypothesen gebildet:<br />
1. Die psychomotorische Entwicklung von Kindern, die in einem Heim leben, ist verzögert.<br />
In der Fachliteratur öfters erwähnt, dass psychosoziale Risikofaktoren den psychischen Bereich<br />
von Kindern aus einem Heim massgebend beeinflussen. Im Rahmen dieser Arbeit wird<br />
zudem angenommen, dass psychosoziale Risikofaktoren einen bedeutenden Einfluss auf die<br />
psychomotorische Entwicklung ausüben (siehe Kapitel 2.2).<br />
2. Das Psychomotorische Präventionsangebot verbessert den psychomotorischen<br />
Entwicklungstand von Vorschulkindern, die in einem Heim leben.<br />
Durch adäquate Spiel- und Bewegungsangebote können die Kinder vielfältige Erfahrungen<br />
sammeln, was zur Erweiterung der motorischen und sozial-emotionalen Kompetenzen führt<br />
(siehe Kapitel 3.1).
Methode – Psychomotorisches Präventionsangebot 28<br />
3. Methode<br />
3.1 Psychomotorisches Präventionsangebot<br />
Das Psychomotorische Präventionsangebot, das den psychomotorischen Entwicklungsstand<br />
der untersuchten Kinder verbessern soll, wird in diesem Kapitel näher erläutert. Neben den<br />
Rahmenbedingungen wird das Vorgehen beschrieben und der konkrete Inhalt der Lektionen<br />
dargestellt.<br />
3.1.1 Rahmenbedingungen<br />
Der vom Kinderheim bereit gestellte Raum für das Projekt befindet sich im obersten Dachgeschoss,<br />
zwei Geschosse über der Wohngruppe, in der die Kinder leben. Der Boden ist mit<br />
Matten ausgelegt, da dieser Raum üblicherweise als „Gumpizimmer“ benutzt wird. Dort können<br />
sich die Kinder aus allen Wohngruppen des Monikaheims austoben und mit Schaumstoffklötzen<br />
spielen. Die grauen Matten sind schwer und sind mit grosser wahrscheinlich etwas<br />
älter. Auch sonst sieht der Raum, abgesehen von den farbigen Schaumstoffklötzen,<br />
eher düster aus. Die zwei kleinen Fenster, durch die der Wald zu sehen ist, lassen wenig<br />
Licht in den Raum. Für die Durchführung des psychomotorischen Angebots werden meistens<br />
alle Schaumstoffklötze aus dem Raum in ein Büro nebenan gestellt, um ein bisschen mehr<br />
Platz zu schaffen. Die grauen Matten, die den Boden bedecken, werden bei Bedarf aufeinander<br />
gestapelt.<br />
Die Decke des Raumes ist leicht abgeschrägt, wobei die niedrigste Stelle eine Höhe von ungefähr<br />
zwei Metern misst. Ein Raum für eine Gruppe mit bis zu vier Kindern sollte mindestens<br />
40 m! sein (vgl. Zimmer, 2006). Dieser Raum ist jedoch nur etwa halb so gross.<br />
Am Angebot nehmen die vier Vorschulkinder der Testgruppe teil. Alle Kinder sind schon seit<br />
längerer Zeit im Monikaheim. Unter ihnen befindet sich ein Geschwisterpaar (J. und A.). Die<br />
Lektionen werden von Psychomotoriktherapeutinnen durchgeführt. Mindestens eine Betreuungsperson<br />
der Wohngruppe arbeitet während dieser Zeit im Büro nebenan und steht bei<br />
Fragen und Problemen zur Verfügung.<br />
Das Psychomotorische Präventionsangebot dauert von Anfang Oktober 2010 bis Ende November<br />
2010 und wird regelmässig am Donnerstag Nachmittag durchgeführt, ausgenommen<br />
von den zweiwöchigen Herbstferien. Insgesamt werden sechs Lektionen durchgeführt. Am<br />
Morgen geht der Junge J. in den Kindergarten, die anderen Kinder besuchen währenddessen<br />
die interne Spielgruppe. Die Lektionen des Psychomotorischen Angebots beginnen jeweils<br />
nach der Mittagsruhe, um 14.00 Uhr und enden um 15.30 Uhr – eine Lektion dauert<br />
also 1" Stunden.<br />
Das benötigte Material wird von den Psychomotoriktherapeutinnen mitgebracht. Aufgrund<br />
dessen und wegen der kleinen Räumlichkeit sind voluminöse, sperrige Materialien ausgeschlossen.<br />
3.1.2 Vorgehen<br />
Das übergeordnete Thema Tiere stellt die Grundlage des psychomotorischen Präventionsangebots<br />
dar. Dieses eignet sich besonders für den spielerischen Einstieg in die Bewegung<br />
und den Emotionsausdruck. Aufbauend auf diesem Thema werden die verschiedenen Lektionen<br />
gestaltet. Dabei wird vor allem auf eine prozessorientierte Vorgehensweise geachtet,
Methode – Psychomotorisches Präventionsangebot 29<br />
bei der die Ressourcen der Kinder stark berücksichtigt werden. Die Lektionen werden fortlaufend<br />
geplant und/oder angepasst, so dass es möglich ist, auf die Bedürfnisse der einzelnen<br />
Kinder einzugehen.<br />
Die Lektionen werden grösstenteils nach dem selben Schema strukturiert. Den Anfang einer<br />
Lektion bildet jeweils das Begrüssungsritual, welches in abgeänderter Form gleichzeitig als<br />
Abschiedsritual dient. „Rituale zu Beginn der Gruppenstunde, aber auch zur Beendigung ermöglichen<br />
Orientierungen, geben Vertrauen und Sicherheit“ (vgl. Zimmer, 2006, S.158). Danach<br />
beginnt eine Einleitung ins Thema gefolgt von einer ersten Bewegungsphase, worauf<br />
eine Entspannungsphase folgt. Die Anzahl der Bewegungs- und Ruhephasen im Hauptteil<br />
variiert aufgrund des Themas oder der Bedürfnisse der Kinder von Stunde zu Stunde.<br />
Das Psychomotorische Präventionsangebot soll die Kinder zum Explorieren anregen und die<br />
Freude an der Bewegung wecken. Dabei können verschiedene Material-, Körper- sowie Sozialerfahrungen<br />
gesammelt werden. Ein wichtiger Faktor für ein gutes Gelingen ist der Beziehungsaufbau<br />
(vgl. Fischer, 2009; Zimmer, 2006). Die wertschätzende und wohlwollende<br />
Haltung der Psychomotoriktherapeutinnen, anregende Spiel- und Bewegungsangebote sowie<br />
genügend Raum und Zeit ermöglichen den Kindern Erfolgserlebnisse. Die Materialien<br />
und Angebote zielen auf eine ganzheitliche Förderung hin. Neben den motorischen werden<br />
auch die sozial-emotionalen Kompetenzen berücksichtigt. Dabei nimmt die Wahrnehmung,<br />
insbesondere die Körperwahrnehmung, einen grossen Stellenwert ein.<br />
Das Kind sollte so weit wie möglich selber entscheiden können, ob es am Angebot teilnehmen<br />
möchte. Trotz dem Aufforderungscharakter durch die Spiel- und Bewegungsangebote<br />
brauchen vor allem jüngere Kinder oft viel Zeit, um sich mit der Situation vertraut zu machen<br />
(Zimmer, 2006). Deshalb besteht für die Kinder, die am vorliegenden psychomotorischen<br />
Präventionsangebot teilnehmen, die Möglichkeit, vorerst nur zuzuschauen, bevor sie an einer<br />
Aktivität teilnehmen. Sie werden jedoch dazu ermuntert und motiviert, etwas auszuprobieren.<br />
Wenn ein Kind dennoch keine Lust hat, an einer Aktivität teilzunehmen oder wenn sein Verhalten<br />
in der Gruppe nicht mehr tragbar ist, geht es in die Wohngruppe. Zu einem späteren<br />
Zeitpunkt wird das Kind wieder in den Raum zurückgeholt, zum Beispiel dann, wenn ein<br />
Wechsel der Spielsituation geschieht.<br />
Die Psychomotoriktherapeutinnen evaluieren die einzelnen Lektionen mithilfe eines Beobachtungsformulars<br />
(siehe Anhang). Darin werden Notizen über die Spielthemen der Kinder<br />
und dem dazu verwendeten Material gemacht. Ebenso werden Beobachtungen zu den Spielformen<br />
und der Spielintensität der Kinder notiert sowie wichtige Erkenntnisse zum Spielverhalten<br />
aufgeschrieben. Aufgrund dieser Beobachtungen werden weiterführende Überlegungen<br />
angestellt, die in folgenden Lektionen berücksichtigt werden. Das Beobachtungsformular<br />
wird fortlaufend angepasst. Bereiche mit vielen Notizen werden erweitert und solche, in denen<br />
weniger Beobachtungen gemacht werden, gekürzt.
Methode – Psychomotorisches Präventionsangebot 30<br />
3.1.3 Inhalt<br />
EINSTIEG<br />
Vorstellungsrunde: Die Psychomotoriktherapeutinnen stellen sich kurz vor und sagen, dass sie<br />
in der nächsten Zeit einmal pro Woche kommen und mit den Kindern etwas machen werden. Die<br />
Kinder werden nach ihren Namen gefragt. In dieser Stunde geht es darum, eine Beziehung zu den<br />
Kindern aufzubauen und sie mit dem Psychomotorischen Angebot vertraut zu machen.<br />
Begrüssungsritual (von den Psychomotoriktherapeutinnen erfunden). Zusammen in einem Kreis<br />
stehen und folgendes Sprüchli mit den dazugehörigen Bewegungen machen:<br />
Miär gäbet üs d Hand Wir geben uns die Hände<br />
und säget „grüezi mitenand“, und sagen „guten Tag“,<br />
miär gönd id Chnüü wir gehen in die Hocke<br />
und gumpet eis, zwöi, drüü! und hüpfen eins, zwei, drei!<br />
Plüschtiere: Die Psychomotoriktherapeutinnen haben Plüschtiere mitgenommen und erzählen,<br />
warum diese mitkommen durften, ob sie eventuell Namen haben, wo sie wohnen und was sie sonst<br />
so machen. Sie haben die Kinder aufgefordert, auch ein Plüschtier in die erste Lektion mitzunehmen.<br />
Die Kinder werden gefragt, welches Plüschtier sie denn mitgenommen haben, wie es heisst, ob sie<br />
gerne damit spielen und so weiter.<br />
Abb. 2: Tiere von F. am Schlafen<br />
HAUPTTEIL<br />
Freispiel: Die Kinder können erste Explorationserfahrungen sammeln. Sie spielen mit Tüchern, Schaumstoffklötzen,<br />
Matten, Chiffontüchern, Ballonen, kleinen Schaumstoffklötzen und einem Rollbrett.<br />
Schaukeln: Auf den mondförmigen Schaumstoffklötzen können die Kinder sich ausruhen, indem die Psychomotoriktherapeutinnen<br />
sie hin und her schaukeln.<br />
SCHLUSS<br />
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hinzufügen oder einfach zuhören, was über sie erzählt wird.<br />
Abschlussritual. Zusammen in einem Kreis stehen und folgendes Sprüchli mit den dazugehörigen Bewegungen<br />
machen:<br />
Miär gäbet üs d Hand Wir geben uns die Hände<br />
und säget „ade mitenand“, und sagen „auf Wiedersehen“,<br />
miär gönd id Chnüü wir gehen in die Hocke<br />
und gumpet eis, zwöi, drüü! und hüpfen eins, zwei, drei!<br />
Lektion<br />
01
Methode – Psychomotorisches Präventionsangebot 31<br />
EINSTIEG<br />
Begrüssungsritual. Die Psychomotoriktherapeutinnen erklären den Kindern die „drei goldenen<br />
Regeln“: 1. Den anderen Kindern nicht weh tun; 2. Sich selber nicht gefährden; 3. Kein Material<br />
beschädigen. Plüschtiere: Die Psychomotoriktherapeutinnen zeigen den Kindern die Plüschtiere, die<br />
sie heute mitgenommen haben (Krokodil, Frosch, Löwe, Katze) und fragen die Kinder nach deren<br />
Tiernamen. Danach werden die Fortbewegungsarten der Tiere ausprobiert.<br />
Abb. 3: J. mit dem Nest für sein Tier<br />
HAUPTTEIL<br />
Freispiel: Die Kinder können mit Tüchern, Säckli, Kissen, Plüschtieren und Schaumstoffklötzen explorieren und<br />
werden dazu angeregt, sich wie die verschiedenen Tiere zu bewegen, also beispielsweise über den Mattenspalt zu<br />
hüpfen wie ein Frosch und dem blauen Tuch, das den Fluss verkörper, entlang zu kriechen wie ein Krokodil. Ideen<br />
der Kinder werden von den Psychomotoriktherapeutinnen fortlaufend aufgenommen.<br />
Nest bauen: Jedes Kind baut aus den vorher erwähnten Materialien für sein Plüschtier ein Nest. Dabei wird die Kreativität<br />
der Kinder angeregt und es können Erfahrungen beim Konstruktionsspiel gesammelt werden.<br />
Grafomotorik-Blatt: Die Psychomotoriktherapeutinnen haben eine zweidimensionale Abbildung eines Autos aus<br />
Karton hergestellt. Dieses wurde mit einem Loch in der Mitte versehen. In dieses Loch stecken die Kinder einen<br />
Stift. Damit fahren sie auf einem A-3 Blatt um abgebildete Tiere herum (siehe Anhang). Dabei wird vor allem auf eine<br />
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Kartenspiel/Bilderbuchgeschichte: Ein Kind spielt mit einer Psychomotoriktherapeutin das Kartenspiel „uno“, das es<br />
mitgebracht hat. Die anderen Kinder hören einer Bilderbuchgeschichte zu (vgl. de Beer, 1992.<br />
SCHLUSS<br />
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Methode – Psychomotorisches Präventionsangebot 32<br />
EINSTIEG<br />
Begrüssungsritual. „Goldene Regeln“: Die drei goldenen Regeln werden mit den Kindern zusammen<br />
repetiert.<br />
Tierbewegungen: Die Fortbewegungsarten der Tiere vom Grafoblatt von letzter Stunde werden<br />
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Abb. 4: A. bei der „Morgengymnastik“<br />
HAUPTTEIL<br />
Bewegungsparcours: Heute sammeln die Kinder beim Bewegungsparcours viele Bewegungserfahrungen. Dabei<br />
spielt vor allem das Gleichgewicht und die Sprungkraft eine grosse Rolle. Die Kinder können einen Weg aus kleinen<br />
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Zudem erzählen die Psychomotoriktherapeutinnen, was sie heute beobachtet haben. Abschiedsritual.<br />
Lektion<br />
03
Methode – Psychomotorisches Präventionsangebot 33<br />
EINSTIEG<br />
Begrüssungsritual. Bilderbuch: Die Psychomotoriktherapeutinnen erzählen je zwei Kindern eine<br />
Bilderbuch-Geschichte und gehen besonders auf die Gefühle der in den Geschichten vorkommenden<br />
Menschen und Tiere ein (vgl. Surojegin, 1993, Bos & de Beer, 1988). Die Kinder werden gefragt,<br />
ob es Situationen gibt, in denen sie sich auch so fühlen. Es wird darüber gesprochen, wieso man<br />
sich manchmal so fühlt und was man dagegen tun kann. Es wird also neben dem Erkennen und<br />
Benennen der Emotionen auch über mögliche Ursachen und Lösungsansätze gesprochen.<br />
Abb. 5: Hände von D. voller Rasierschaum<br />
HAUPTTEIL<br />
„Wackelmatte“: Die Kinder sammeln Erfahrungen auf einer Matte mit darunter liegenden Bällen. Dabei kann ihre<br />
Gleichgewichtsfähigkeit weiter gefördert werden.<br />
Freispiel: Die Kinder benutzen die Bälle unter der Matte beim Freispiel zum Prellen, Werfen und Fangen, wobei sie<br />
den Umgang mit dem Ball üben. Zudem lassen sich die Kinder mit Bällen massieren und legen sich darauf. Einige<br />
Kinder bauen mit den kleinen Gummiklötzen Türme, Mauern und Häuser oder lassen sich von Klötzen zudecken<br />
und „explodieren“ anschliessend. Ein Kind liegt auf der Wackelmatte und lässt sich schaukeln.<br />
Rasierschaum: Die Kinder experimentieren mit Rasierschaum. Mit den Fingern werden Formen und Buchstaben in<br />
den auf dem Tisch verteilten Rasierschaum gezeichnet. Die Kinder können spüren, wie sich der Rasierschaum in<br />
den Händen anfühlt und nehmen den Geruch wahr. Dabei wird die Lust an feinmotorischen Tätigkeiten geweckt und<br />
es werden neue Materialerfahrungen gemacht.<br />
SCHLUSS<br />
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Zudem erzählen die Psychomotoriktherapeutinnen, was sie heute beobachtet haben. Abschiedsritual.<br />
Lektion<br />
04
Methode – Psychomotorisches Präventionsangebot 34<br />
EINSTIEG<br />
Begrüssungsritual. Bilderbuch: Den Kindern wird in zwei Gruppen eine Bilderbuch-Geschichte<br />
erzählt (vgl. Sykes & Warnes, 1997, Cort, 2002). Die Kinder erraten mit Hilfe der Psychomotoriktherapeutin,<br />
wie sich die Tiere und Menschen in der Geschichte fühlen. Es geht also hierbei um das<br />
Erkennen und Benennen von Emotionen.<br />
Abb. 6: A. mit Klötzen bedeckt<br />
HAUPTTEIL<br />
Freispiel: Es stehen Schaumstoffklötze, Chiffontücher, Säckli, Gummiklötze und Plüschtiere bereit, mit denen die<br />
Kinder weitere Erfahrungen sammeln können. Sie lassen sich die Klötze und Säckli auf den Körper legen, bauen mit<br />
verschiedenen Materialien Häuser oder lassen sich auf einem halbmondförmigem Schaumstoffklotz schaukeln. Gefördert<br />
wird damit die Körperwahrnehmung, die Kreativität und das Konstruktionsspiel. Einige Kinder steigen zudem<br />
kurz in ein Rollenspiel mit den Plüschtieren ein.<br />
Kneten: Die Kinder üben sich in der Fingergeschicklichkeit und machen Wahrnehmungserfahrungen beim Kneten.<br />
Sie explorieren mit neuem, unbekanntem Material und machen somit auch Materialerfahrungen.<br />
SCHLUSS<br />
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Zudem erzählen die Psychomotoriktherapeutinnen, was sie heute beobachtet haben. Die Psychomotoriktherapeutinnen<br />
bereiten die Kinder darauf vor, dass sie nur noch einmal kommen werden. Abschiedsritual.<br />
Lektion<br />
05
Methode – Psychomotorisches Präventionsangebot 35<br />
EINSTIEG<br />
Begrüssungsritual. Information: Die Psychomotoriktherapeutinnen sagen,<br />
dass dies die letzte Stunde ist.<br />
HAUPTTEIL<br />
Fortbewegungsarten der Tiere: Heute geht es darum, einer Geschichte auditiv zu folgen und weitere Bewegungserfahrungen<br />
zu sammeln. Die Psychomotoriktherapeutinnen erzählen die selber erfundene Geschichte von einem<br />
Jungen namens Jim, der auf seiner Wanderung viele verschiedene Tiere antrifft. Die Kinder imitieren die Fortbewegungsarten<br />
der Tiere (hüpfen, kriechen, stolzieren, balancieren usw.) und machen dazu passende Geräusche. Auf<br />
Anregung der Psychomotoriktherapeutinnen verbinden sie diese Tiere mit den in der Geschichte vorkommenden<br />
Emotionen und spielen beispielsweise einen bösen Löwen, eine fröhliche Katze oder ein trauriges Krokodil. Dabei<br />
lernen sie, die Emotionen in der Bewegung auszudrücken.<br />
Hausbau und Wünsche: Die Psychomotoriktherapeutinnen erzählen, dass es in der Geschichte dunkel wird und<br />
sich Jim ein Haus baut, um dort zu übernachten. In der Nacht kommt eine Fee zu ihm und sagt, dass er drei Wünsche<br />
offen hat. Die Kinder können nun mit kleinen Klötzen, Tüchern und Kissen ein Haus für Jim bauen. Während<br />
die Kinder am Bauen sind, werden sie gefragt, was sie sich wünschen würden.<br />
Menschzeichnung: Nun können die Kinder Jim auf ein Blatt zeichnen (siehe Anhang).<br />
„Morgengymnastik“ und „Säckchen werfen“: Die Geschichte geht weiter und es wird Morgen. Jim reckt und streckt<br />
sich. Die Kinder können sich ebenfalls recken und strecken und Ideen einbringen, was ihnen sonst noch dazu in<br />
den Sinn kommt (z.B. sich waschen, Kleider anziehen, etwas trinken). Nun hat Jim Hunger und geht im nahegele-<br />
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Methode – Testverfahren 36<br />
3.2 Testverfahren<br />
Um den psychomotorischen Entwicklungsstand der Test- und Kontrollgruppe zu messen,<br />
wurden drei Testverfahren eingesetzt. In diesem Kapitel sind die Rahmenbedingungen und<br />
Einzelheiten der Testverfahren zu finden. Es handelt sich dabei um den M-ABC-2, der den<br />
motorischen Entwicklungsstand ermittelt, den WET für die Messung des sozial-emotionalen<br />
Bereichs und den Smarties-Test für die Feststellung einer „Theory of Mind“.<br />
3.2.1 Rahmenbedingungen<br />
Die Suche nach einem geeigneten Testverfahren wird massiv erschwert durch die Anforderungen<br />
an den Test und die Rahmenbedingungen. Das erste und wichtigste Kriterium, das<br />
der Test zu erfüllen hat, ist die Normierung, denn nur durch den Vergleich mit der Norm, wird<br />
ersichtlich, ob die Kinder einen Entwicklungsrückstand aufweisen. Die nächste Anforderung<br />
stellt sich an die Funktionsbereiche der Testverfahren. Nicht jeder Test berücksichtigt beispielsweise<br />
den sozialen und emotionalen Entwicklungsbereich. Zudem sind Tests, die alle<br />
relevanten Funktionsbereiche beinhalten, meistens erst für Kinder im Schulalter konzipiert.<br />
Das Testverfahren „IDS-SEK“ von den Autoren Grob, Meyer und Hagmann-von Arx (2009)<br />
beispielsweise kann bis zum jetzigen Zeitpunkt nur bei Kindern von fünf bis zehn Jahren angewandt<br />
werden. Zu beachten gilt auch die Form der Durchführung der Testungen. Manchmal<br />
werden die Daten der Entwicklungstests für Kinder im Vorschulalter anhand von Fragebögen,<br />
die von den Bezugspersonen ausgefüllt werden, erhoben. Beim gewünschten Testverfahren<br />
soll aber die gezielte qualitative und quantitative Bewegungs- und Verhaltensbeobachtung<br />
durch die Psychomotoriktherapeutinnen im Vordergrund stehen. Da die Testung<br />
aus organisatorischen Gründen nicht zu viel Zeit in Anspruch nehmen soll, sind zudem lang<br />
dauernde Verfahren ausgeschlossen.<br />
Die Testverfahren werden eine Woche vor der ersten, beziehungsweise eine Woche nach<br />
der letzten Lektion des Psychomotorischen Präventionsangebot durchgeführt. Da der Prätest<br />
innerhalb eines Nachmittags durchgeführt werden muss, werden die Psychomotoriktherapeutinnen<br />
dabei von zwei Berufskolleginnen unterstützt. Alle sind mit den Testverfahren bestens<br />
vertraut und haben schon Erfahrungen damit gesammelt. Für den Posttest steht ein<br />
ganzer Tag zur Verfügung, damit die Psychomotoriktherapeutinnen nicht mehr auf fremde<br />
Hilfe angewiesen sind.<br />
3.2.2 Movement Assessment Battery for Children 2 (M-ABC-2)<br />
Das folgende Kapitel bezieht sich auf Informationen, die dem Manual des Movement-ABC-2<br />
entnommen wurden (vgl. Petermann, Bös & Kastner, 2008).<br />
Der M- ABC-2 ist für Kinder im Alter von 3;0 bis 16;11 konzipiert und stellt ein sehr aktuelles,<br />
motorisches Einzeltestverfahren dar, zur Untersuchung der fein- und grobmotorischen Koordinationsfähigkeit.<br />
Das Testverfahren ist in die drei Skalen „Handgeschicklichkeit“, „Ballfertigkeiten“<br />
und „Balance“ gegliedert. Diese werden anhand von acht inhaltlich homogenen Untertests<br />
überprüft, die sich hinsichtlich der Altersgruppe (Altersgruppe 1: 3;0 bis 6;11 Jahre,<br />
Altersgruppe 2: 7;0 bis 10;11 Jahre, Altersgruppe 3: 11;0 bis 16;11 Jahre) unterscheiden.<br />
Der Motoriktest dient zur differenzierten Erfassung des aktuellen Leistungsstands und ermöglicht<br />
die objektive Ermittlung der Stärken und Schwächen der Kinder. Dennoch gilt es zu<br />
beachten, dass vor allem bei jungen Kindern das Resultat oftmals von der momentanen Befindlichkeit<br />
und ihrer Stimmungslage stark beeinflusst wird. Neben der Erfassung des aktuel-
Methode – Testverfahren 37<br />
len Leistungsniveaus dient der M- ABC-2 auch zur Verlaufsdiagnostik, das heisst zur Evaluation<br />
von Interventionen. Es kann beispielsweise ermittelt werden, ob sich die motorische Leistung<br />
nach der Durchführung einer Fördermassnahme verändert hat. Bemerkenswert sind<br />
vor allem die zeitökonomischen Vorteile des M- ABC-2; da der Durchführungsaufwand gering<br />
ist.<br />
Die Auswertung der Daten erfolgt anhand standardisierter Werte und Prozentränge. Um diese<br />
Werte zu interpretieren, kann auf die Unterteilung in die drei Bereiche „unauffällig“, „kritisch“<br />
und „therapiebedürftig“ zurückgegriffen werden. Zudem werden neben den quantitativen<br />
Ergebnissen qualitative Beobachtungen über die Ausführung der Bewegungen und das<br />
Verhalten angestellt, welche die Leistungsfähigkeit eines Kindes „gar nicht“, „ein wenig“ oder<br />
„sehr“ beeinflussen kann.<br />
3.2.3 Wiener Entwicklungstest (WET)<br />
Nachfolgende Informationen über den Wiener Entwicklungstest (WET) stammen aus dem<br />
Manual von Kastner-Koller und Deimann (2002).<br />
Der Wiener Entwicklungstest ist ein allgemeines Entwicklungsverfahren, das die motorische<br />
Entwicklung, die visuelle Wahrnehmung, Lernen und Gedächtnisleistungen sowie die kognitive,<br />
sprachliche und emotionale Entwicklung von Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren<br />
erfasst. Die Normierung basiert auf den Testdaten von österreichischen und deutschen Kindern.<br />
An dieser Stelle ist anzumerken, dass es kaum Testverfahren gibt, die mit Daten von<br />
Kindern aus der Schweiz normiert sind. Die Validität des Tests ist gesichert und eine objektive<br />
Auswertung garantiert, da die Richtigkeit der Lösungen eindeutig festzustellen ist.<br />
Neben den Funktionsbereichen „Visuelle Wahrnehmung/Visuomotorik“, „kognitive Entwicklung“,<br />
„Sprache“, „Gedächtnis und Lernen“ und „Motorik“ beinhaltet der Wiener Entwicklungstest<br />
die „sozial-emotionale Entwicklung“. Dieser Funktionsbereich vervollständigt die vom M-<br />
ABC-2 ausschliesslich motorischen Dimensionen.<br />
Der Funktionsbereich „sozial-emotionale Entwicklung“ besteht aus den Subtests Fotoalbum<br />
und Elternfragebogen, wobei für die Testungen der Kinder aus dem Kinderheim bloss ersterer<br />
angewendet wird. Der Subtest Fotoalbum besteht aus neun Fotos von Erwachsenen und<br />
Kindern, die den mimischen Ausdruck der Emotionen „Freude“, „Trauer“, „Angst“ und „Ärger“<br />
darstellen. Zudem zeigen je zwei Personen einen „neutralen“ Gesichtsausdruck und die<br />
Emotion „Überraschung“, die aber nicht gewertet werden. Sie werden als Ausgleich zu den<br />
überwiegend negativen Emotionsfotos betrachtet.<br />
3.2.4 Smarties-Test<br />
Sodian (2008) und Kern (2008) weisen in Bezug auf die Erlangung der „Theory of Mind“ (siehe<br />
Kapitel 2.3.3) auf den Smarties-Test hin. Dem Kind wird eine bekannte für Süssigkeitsverpackung,<br />
eine Smarites-Schachtel, gezeigt. Zudem wird es gefragt, was sich wohl darin<br />
befindet. Nachdem das Kind mit „Smarties“ antwortet, wird die Schachtel geöffnet. Anstelle<br />
der Smarties befindet sich darin aber ein Farbstifte. Danach verschliesst die testleitende<br />
Person die Schachtel wieder und sagt dem Kind, dass sie nun einen Freund des Kindes hereinholen<br />
wird (in der dargestellten Testdurchführung wird jeweils gleich der Name eines Kindes<br />
genannt, das sich ausserhalb des Raumes befindet). Nun wird das Kind gefragt, was es<br />
wohl meint, was das andere Kind, das noch nicht in die Schachtel hineingeschaut hat, darin<br />
vermutet.
Methode – Testverfahren 38<br />
Kinder unter vier Jahren antworten grösstenteils, dass das andere Kind glauben wird, dass<br />
sich in der Schachtel „Farbstifte“ befinden. Die Mehrheit der vierjährigen (und älteren) Kinder<br />
werden hingegen antworten, dass das andere Kind fälschlicherweise annehmen wird, in der<br />
Schachtel seien Smarties. Die jüngeren Kinder sind folglich der Meinung, dass die andere<br />
Person über die reale Situation Bescheid weiss – sie verfügen noch über keine „Theory of<br />
Mind“. „Sie scheinen nicht über den Begriff der Überzeugungen zu verfügen und daher auch<br />
nicht zu verstehen, dass sich subjektive Überzeugungen von der Realität unterscheiden können“<br />
(Sodian, 2008, S. 475).
Ergebnisse – Evaluation des Psychomotorischen Präventionsangebots 39<br />
4. Ergebnisse<br />
4.1 Evaluation des Psychomotorischen Präventionsangebots<br />
In diesem Kapitel folgt die Evaluation des Psychomotorischen Präventionsangebots, das zur<br />
Verbesserung des psychomotorischen Entwicklungsstands der Zielgruppe eingesetzt wurde.<br />
Neben der Reflexion des Angebots sind Ausführungen zu den beobachteten Verhaltensweisen<br />
der Kinder zu finden. Diese stellen eine qualitative Ergänzung zu den Testergebnissen<br />
dar, die im nächsten Kapitel folgen.<br />
4.1.1 Reflexion<br />
Die Grösse des Raumes schränkte die Art des Angebots stark ein. Grosse Materialien sowie<br />
Bewegungsspiele, die viel Platz erfordern, waren nicht geeignet. Ebenso war das Konfliktpotential<br />
sehr gross, was auch auf die Raumgrösse zurückzuführen ist (vgl. Zimmer, 2006).<br />
Dieser Raum wird im Alltag als „Gumpizimmer“ benutzt, was stark am Verhalten der Kinder<br />
beobachtbar war. Die Kinder hüpften viel umher und der Geräuschpegel war sehr hoch. Anfangs<br />
schien es, als wäre es ihnen nicht möglich, in diesem Raum einer ruhigen Aktivität<br />
nachzugehen.<br />
Da das Psychomotorische Präventionsangebot am Nachmittag stattgefunden hat und die<br />
Kinder ein geringes Alter aufweisen, fehlte es ihnen manchmal an der nötigen Konzentration.<br />
Zudem hatte die Zeitspanne von eineinhalb Stunden einen Einfluss auf die Ausdauer der<br />
Kinder. Deshalb war die prozessorientierte Arbeitsweise sehr wertvoll, weil somit der Inhalt<br />
der Lektion fortlaufend angepasst werden konnte. Durch die zeitlich flexiblen Ruhe- und Aktionsphasen<br />
konnte auf die Bedürfnisse der Kinder bestens eingegangen werden. Dennoch<br />
gab es eine Grundstruktur, die den Kindern Sicherheit vermittelte. Dazu gehörte das Begrüssungs-<br />
und Abschiedsritual, welches die Kinder sehr schätzten.<br />
Das Thema Tiere, das sich durch das gesamte Präventionsangebot zog, erwies sich als geeignet.<br />
Die Kinder konnten sich gut mit den verschiedenen Charakteren der Tiere identifizieren<br />
und lernten auf diese Weise mehrere Emotionen zu erkennen und auszudrücken. Ebenfalls<br />
war das Thema für Erfahrungen im motorischen Bereich geeignet. Die Vorliebe der meisten<br />
Kinder, Geschichten zu hören, konnte positiv genutzt und mit den Lektionen in Verbindung<br />
gebracht werden. So kamen in allen Geschichten Tiere vor.<br />
Die Materialien haben einen hohen Aufforderungscharakter und deren Handhabung ist nicht<br />
vorgegeben. Die Auswahl der Materialien diente dem erhofften Zweck. Obwohl oder gerade<br />
weil nicht viel Material zur Verfügung stand, haben die Kinder reichlich exploriert.<br />
Die Gruppenkonstellation erwies sich als ungünstig. Es war schwierig, das Angebot so zu<br />
gestalten, dass alle Kinder gleichermassen davon profitieren konnten. Zimmer (2006) bekräftigt<br />
die Heterogenität einer Gruppe, sagt jedoch, dass die Kinder etwa auf dem gleichen Entwicklungsniveau<br />
liegen sollten. Der Entwicklungsstand und das damit zusammenhängende<br />
Spielverhalten sowie die persönlichen Interessen variierten von Kind zu Kind stark. Die Gefahr<br />
bestand, die Kinder zu über- oder unterfordern. Mit Erleichterung oder Erschwerung der<br />
Aufgabe wurde versucht, alle Kinder in die Aktivität mit einzubeziehen.<br />
Die zur Evaluation dienenden Beobachtungsformulare erwiesen sich als sinnvoll. Die Beobachtungen<br />
wurden nach der Lektion notiert, damit keine wichtigen Informationen verloren<br />
gingen. Zudem waren die notierten Beobachtungen zur Vorbereitung der weiteren Lektionen<br />
hilfreich. Im folgenden Kapitel wird zusammenfassend auf die Beobachtungen eingegangen.
Ergebnisse – Evaluation des Psychomotorischen Präventionsangebots 40<br />
Die ausgefüllten Beobachtungsformulare sind im Anhang zu finden.<br />
Insgesamt sprachen die Kinder sehr gut auf das Psychomotorische Präventionsangebot an.<br />
Die Aktivitäten erwiesen sich als kindgerecht, wobei die prozessorientierte Vorgehensweise<br />
unterstützend wirkte. Somit konnte auf die Bedürfnisse aller Kinder eingegangen werden und<br />
jedes Kind hatte die Möglichkeit, aktiv am Angebot teilzunehmen und seine Fähigkeiten zu<br />
erweitern.<br />
4.1.2 Verhalten der Kinder<br />
Die Beobachtung der Verhaltensweisen der einzelnen Kinder erweisen sich als äusserst<br />
spannend. Jedes Kind zeigt spezielle Verhaltensmuster, die während des ganzen Psychomotorischen<br />
Angebots erkennbar sind. Diese Verhaltensweisen verändern sich mit der Zeit<br />
leicht und die Kinder werden offener, kreativer und selbstsicherer.<br />
Das Mädchen D. scheint manchmal nahezu apathisch zu sein und nimmt oft nicht am Geschehen<br />
teil. Das Mädchen A. verhält sich ängstliches und kaum selbstbewusst, wird jedoch<br />
mit der Zeit offener und kontaktfreudiger. Sie nimmt jedoch sehr oft die Rolle eines „Opfers“<br />
ein und wehrt sich kaum gegen andere Kinder. Das Verhalten von F. kann als aggressiv,<br />
aber auch sehr kontaktfreudig bezeichnet werden. Der Junge J. wirkt anfangs sehr distanziert<br />
und braucht viel Motivation. Er wird jedoch des öfteren und es gelingt ihm immer öfters,<br />
seine Ideen einzubringen.<br />
Mädchen D. (3;3/3;5)<br />
Die von D. angewandte Spielform beschränkt sich fast ausschliesslich auf das Explorieren.<br />
Sie macht Erfahrungen mit verschiedenen Materialien und nimmt die Gegenstände mit mehreren<br />
Sinneskanälen wahr. Konkrete, ihrem Alter angepasste Aufgabenstellungen hingegen<br />
bereiten ihr Schwierigkeiten. Klare, einfache Anweisungen scheint sie nicht zu verstehen<br />
oder womöglich nicht umsetzen zu wollen. Dies hängt möglicher weise mit ihrer mangelnden<br />
auditiven Aufmerksamkeit zusammen. Oft benötigt sie mehrere Aufforderungen oder taktile<br />
Reize, damit sie eine Aufgabe ausführt. Wegen ihrem niedrigen Alter fällt es ihr zudem<br />
schwer, sich längere Zeit auf etwas zu konzentrieren.<br />
Anfänglich drück sich D. sprachlich kaum aus. Mit der Zeit äussert sie jedoch ihre Bedürfnisse<br />
vermehrt. Auch die Betreuerinnen beobachten im Alltag bei ihr eine geringe sprachliche<br />
Ausdrucksfähigkeit.<br />
Beim Anblick eines Fotos von ihr, wirkt D. sehr fasziniert, dabei nennt sie ihren eigenen<br />
Namen und das Personalpronomen „ich“. Dies ist bei Kindern ab einem Alter von zwei Jahren<br />
typisch. Sie bekundet damit Selbstbewusstheit – das heisst, dass sie sich sozusagen mit<br />
den Augen eines externen Beobachters sieht (vgl. Dornes, 2007).<br />
Auffällig ist das weinerliche Verhalten von D. Dies zeigt sie beispielsweise dann, wenn ihr ein<br />
Kind etwas wegnehmen möchte oder sie von einem anderen Kind etwas haben möchte. Dies<br />
könnte zum Einen auf ihr niedriges Alter zurückzuführen sein oder als Ausweichstrategie für<br />
die verzögerte sprachliche Entwicklung gedeutet werden.<br />
D. vermeidet anfänglich jeglichen Blickkontakt und scheint in ihrer „eigenen Welt“ zu sein.<br />
Gegen Ende des psychomotorischen Präventionsangebots nimmt sie mit den Psychomotoriktherapeutinnen<br />
öfters Kontakt auf.<br />
Es ist zu beobachten, dass D. Angebote zur Wahrnehmungsförderung schätzt. So hat sie
Ergebnisse – Evaluation des Psychomotorischen Präventionsangebots 41<br />
Freude am Kneten und Explorieren mit dem Rasierschaum und lässt sich massieren und<br />
schaukeln. Das Grundbedürfnis nach Bewegung ist vorhanden und wird von ihr befriedigt. D.<br />
sucht oft den Bodenkontakt und lässt sich fallen. Das „Sich-Fallenlassen“ steht als Indiz für<br />
die psychische Reife, denn das Kind beherrscht eine gewisse Sicherheit über sein Selbst. Es<br />
kann sich der Schwerkraft hingeben und ist fähig, aus eigener Kraft wieder eine aufrechte<br />
Position einzunehmen. Dabei zeigt das Kind, dass es nicht mehr von der Unterstützung seiner<br />
Bezugspersonen abhängig ist (vgl. Aucouturier, 2006).<br />
Mädchen A. (4;1/4;3)<br />
Das Explorationsspiel ist die dominierende Spielform von A. Da sie das Spielverhalten anderer<br />
Kinder oft nachahmt, können auch bei ihr Konstruktionsspiele beobachtet werden. Bei der<br />
Bearbeitung von offenen Aufgabenstellungen orientiert sich A. besonders an anderen Kindern<br />
und zeigt wenig Selbständigkeit. Des Weiteren passt sie die Spieldauer den anderen<br />
Kindern an. Sie scheint das aggressive Verhalten von F. mit der Zeit sogar nachzuahmen.<br />
A. setzt sich kaum für ihre Bedürfnisse ein und wehrt sich sehr selten gegen andere Kinder.<br />
So lässt sie beispielsweise zu, dass ihr ein Kind etwas wegnimmt oder ihr weh tut. Möglicherweise<br />
kann dies als „erlernte Hilflosigkeit“ angesehen werden. Dies bedeutet, dass sie<br />
wohl keine Möglichkeit sieht, Situationen zu beeinflussen (Zimmer, 2006). Vielleicht hat sie in<br />
ihrem früheren familiären Umfeld „gelernt“, Ereignisse als unkontrollierbar wahrzunehmen.<br />
An der Bewegung zeigt A. grosse Freude. Sie hat aktiv am Psychomotorischen Präventionsangebot<br />
teilgenommen. Anfangs zeigte A. ein schüchternes, verschlossenes Verhalten. Mit<br />
der Zeit wurde sie jedoch immer gesprächiger und offener. Zudem ist eine Entwicklung bezüglich<br />
des Beziehungsaufbaus zu den Psychomotoriktherapeutinnen sichtbar. Mit ihrem<br />
Bruder J. hat A. eine gute Beziehung, wobei sie sich sehr liebevoll umeinander kümmern.<br />
A. scheint sich selbst nicht angemessen wahrzunehmen. Es fällt beispielsweise auf, dass ihr<br />
die Hosen herunter runterfallen und sie dies nicht bemerkt oder ändern möchte. Spiele zur<br />
Wahrnehmungsförderung scheint sie sehr zu geniessen und macht dabei gut mit.<br />
Mädchen F. (4;0/4;2)<br />
F. zeigt im psychomotorischen Präventionsangebot vielfältige Spielformen. Neben dem Explorationsverhalten<br />
ist zudem das Symbol-, das Konstruktions- sowie das Regelspiel zu erkennen.<br />
Das Spiel von F. scheint intrinsisch motiviert zu sein. F. weiss, was sie möchte und<br />
beherrscht den Spielverlauf. Sie kann sich gut auf etwas einlassen und zeigt dabei grosse<br />
Ausdauer. Die Freude an der Bewegung ist sichtbar. Dabei sucht sie oft durch die Aufmerksamkeit<br />
der Psychomotoriktherapeutinnen und Bestätigung für ihr Tun. Insgesamt ist sie<br />
sehr auf Erwachsene fixiert, was auch die Betreuerinnen im Alltag beobachten.<br />
Das Zusammenspiel und die positive Kontaktaufnahme mit anderen Kindern bereiten ihr<br />
Mühe. Oft zeigt sie in der Interaktion körperlich aggressives Verhalten. So schlägt sie beispielsweise<br />
Kinder oder reisst an ihren Haaren. Ihr unangepasstes Verhalten begründet sie<br />
damit, dass die anderen Kinder derselben Tätigkeit nachgehen oder sie einfach nerven.<br />
Nach einer solchen Situation reflektiert sie, dass sie die anderen Kinder nicht schlagen darf<br />
und „Stopp“ oder „hör! auf“ sagen muss. „Eventuell verfügen aggressiv verhaltensauffällige<br />
Kinder durchaus über das Wissen adaptiver Emotionsregulationsstrategien, jedoch versagt<br />
dieses Wissen in negativ emotionalen Momenten“ (Grob, Meyer & Hagmann-von Arx, 2009,<br />
S. 242). Aus dem Gespräch mit den Betreuerinnen resultiert, dass F. möglicherweise ihr aggressives<br />
Verhalten dazu nutzt, denn anderen Kinder klar zu machen, was sie will beziehungsweise<br />
nicht möchte, da sie das Gefühl hat, sie sprachlich nicht zu erreiche. F. ist in der
Ergebnisse – Evaluation des Psychomotorischen Präventionsangebots 42<br />
gesamten Entwicklung fortgeschrittener, deshalb scheint sie oft unterfordert zu sein, was<br />
mitunter ein Grund für ihr aggressives Verhalten sein könnte. Zudem können solche Verhaltensweisen<br />
als Folge negativer Bindungserfahrungen in der frühen Kindheit gesehen werden<br />
(vgl. Kapitel 2.2.2).<br />
Im motorischen Bereich zeigt sich F. sehr geschickt und nimmt aktiv und mit grosser Motivation<br />
am psychomotorischen Präventionsangebot teil. Auf ihre sorgfältig gebauten Konstruktionen<br />
ist sie sehr stolz und wird deshalb wütend, wenn jemand diese kaputt macht. Sie hingegen<br />
zerstört rücksichtslos die Werke der anderen Kinder.<br />
F. kann sich sprachlich differenziert ausdrücken. Zudem scheint sie sehr selbstbewusst zu<br />
sein und ist sich ihrer Fähigkeiten bewusst. Sie gibt den anderen Kindern zu erkennen, dass<br />
sie besser und stärker ist. Der Wettkampfgedanke, der vor allem bei Kindern im Schulalter<br />
beim Regelspiel vermehrt beobachtet wird, ist bei ihr schon jetzt zu erkennen.<br />
Junge J. (5;2/5;4)<br />
J. exploriert mit verschiedenen Materialien und beherrscht die Regeln von Gesellschaftsspielen.<br />
Die Spielform, die bei J. am meisten beobachtet wurde, war das Konstruktionsspiel. Mit<br />
grosser Ausdauer und Intensität spielt er mit mehreren Gegenständen, am liebsten jedoch<br />
mit Klötzen. J. ist auch ohne externes Lob stolz auf seine Werke und fühlt sich in seinem Tun<br />
bestätigt. Dennoch freut er sich, wenn seine Konstruktionen beachtet und geschätzt werden.<br />
Durch das Psychomotorische Präventionsangebot konnte J. viele Erfolgserlebnisse erfahren.<br />
Dadurch wurde er offener und konnte seine Kreativität zum Vorschein bringen. Er hat viele<br />
Ideen, die er während den Lektionen einbringen und umsetzen konnte.<br />
Auf Angebote im Wahrnehmungsbereich reagiert J. anfänglich noch sehr distanziert, lässt<br />
sich aber im Laufe der Zeit gut darauf ein und gibt den Eindruck, es sehr zu geniessen. Dadurch<br />
scheint er mit der Zeit zur Ruhe zu kommen und seinen Körper besser wahrnehmen<br />
zu können.<br />
Bei J. fällt die geringe Frustrationstoleranz auf. Gelingt ihm etwas nicht auf Anhieb, so zeigt<br />
er ein weinerliches Verhalten und holt sich schnell Hilfe, anstatt selber Lösungen zu suchen.<br />
Seine Handlungskompetenzen schätzt er als gering ein, was mit seiner negativen Selbsteinschätzung<br />
einhergeht (vgl. Zimmer, 2006). Dieses Verhalten könnte damit begründet werden,<br />
dass er in seiner frühen Kindheit wahrscheinlich viele negative Erfahrungen in Bezug<br />
auf sein eigenes Können gesammelt hat. Schwierige Umstände führten vermutlich dazu,<br />
dass J. mit seinen Fähigkeiten kaum beachtet wurde.<br />
Es gelingt J. hingegen sehr gut, Emotionen von Tieren zu imitieren. Er zeigt dabei eine klare<br />
emotionale Mimik und es scheint, als ob er sich sehr gut in die einzelnen Emotionszustände<br />
hineinversetzen kann.<br />
Seine Aufmerksamkeit scheint sehr interessengeleitet zu sein. Beim Geschichten zuhören,<br />
Haus bauen und kneten zeigt er beispielsweise grosse Ausdauer. Hingegen macht er bei<br />
gleichgewichtsfordernden Aufgaben weniger konzentriert mit.<br />
J. zeigt einen grossen Bewegungsdrang und überschüssige Energie. Dabei kann er seine<br />
Impulse nur schwer unter Kontrolle bringen, wobei er andere Kinder unwillkürlich gefährdet.
Ergebnisse –Testergebnisse 43<br />
4.2 Testergebnisse<br />
In diesem Kapitel folgen nun die Ergebnisse der Testdurchführungen. Zu Beginn werden die<br />
Ergebnisse der Test- und Kontrollgruppe miteinander verglichen. Anschliessend werden die<br />
Werte der untersuchten Kinder einzeln dargestellt. Neben den quantitativen Darstellungen<br />
werden auch qualitativen Beobachtungen ausgeführt. Dies ist vor allem deswegen von grosser<br />
Bedeutung, weil die Verhaltensweisen der Kinder die Testergebnisse zum Teil beträchtlich<br />
beeinflusst haben.<br />
4.2.1 Test- und Kontrollgruppe im Vergleich<br />
Beim Prätest müssen alle Kinder, mit Ausnahme eines Mädchens aus der Test- und eines<br />
Jungen aus der Kontrollgruppe, motiviert werden, um die Aufgaben zu lösen. Einige Kinder<br />
verhalten sich schüchtern, andere unruhig und impulsiv. Bei den meisten Kindern wirkt sich<br />
ihr Verhalten negativ auf die Ergebnisse des Prätests aus. Generell scheinen die Testdurchführungen<br />
stark von der Tagesform der einzelnen Kinder abhängig zu sein.<br />
Bei der Durchführung des Posttests fällt auf, dass sich das Verhalten der Kinder von der<br />
Kontrollgruppe kaum verändert hat. Die Kinder der Testgruppe hingegen werden viel konzentrierter<br />
und offener. Dies wirkt sich bei den Kindern der Testgruppe positiv auf den Gesamttestwert<br />
aus.
Ergebnisse –Testergebnisse 44<br />
Die Auswertung des M-ABC-2 zeigt, dass die Testgruppe in allen drei motorischen Bereichen<br />
nach dem Psychomotorischen Präventionsangebot ein deutlich besseres Ergebnis erzielte<br />
(Abb. 8). Beim Prätest lagen die Ergebnisse mehrheitlich im therapiebedürftigen Bereich,<br />
wobei die Werte des Posttests alle der Norm entsprechen. Somit ist bei der Testgruppe im<br />
Gesamttestwert eine klare Leistungsverbesserung zu sehen.<br />
Die Kontrollgruppe hingegen verbesserte sich beim Posttest nur in zwei Skalen. Im dritten<br />
Bereich ist ein Leistungsrückgang beobachtbar, woraus sich schliesslich der Gesamtwert nur<br />
minim steigert.<br />
Bereits beim Prätest erzielte die Testgruppe in zwei Bereichen ein besseres Ergebnis als die<br />
Kontrollgruppe. Bei der Betrachtung des Gesamttestwerts resultiert jedoch folgende Annahme<br />
gemacht werden: Wenn die Test- und Kontrollgruppe beim Prätest den gleichen Wert<br />
erzielt hätten, wäre das Ergebnis der Testgruppe beim Posttest dennoch klar besser ausgefallen<br />
als das der Kontrollgruppe. Im Vergleich mit der Kontrollgruppe hat sich die Testgruppe<br />
nach dem Psychomotorischen Präventionsangebot deutlich verbessert.<br />
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Abb. 8: Gruppenvergleich Testauswertung M-ABC-2 1<br />
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45262789<br />
69:5.;2:5/623<br />
1 Die Werte werden in Prozentränge dargestellt. „Ein Prozentrang gibt die relative Stellung einer Person bezüglich<br />
eines Merkmals in der Normierungsstichprobe an.… Erhält ein Kind für den Gesamttestwert einen Prozentrang<br />
von 15, dann weisen 15% der Kinder der Normierungsstichprobe einen gleichwertigen oder niedrigeren Wert und<br />
85% einen höheren oder besseren Wert auf“ (vgl. Petermann, Bös & Kastner, 2008, S.112). Die Beschriftungen<br />
der Y-Achsen beziehen sich auf die von den jeweiligen Testverfahren vorgegebenen Bezeichnungen. Den<br />
Abstufungen liegen die Wertpunkte der Testergebnisse zugrunde, woraus die unregelmässigen Intervalle folgen.<br />
Im Bereich der Normalverteilung häufen sich die Prozentränge um das 50. Perzentil (vgl. Kastner-Koller &<br />
Deimann, 2002; Petermann, Bös & Kastner, 2008).
Ergebnisse –Testergebnisse 45<br />
Die Ergebnisse des WET sind vergleichbar mit denen des M-ABC-2. Bei der Testgruppe ist<br />
nach dem Psychomotorischen Präventionsangebot ein deutlicher Leistungsanstieg zu beobachten<br />
(Abb. 9). Lag der Wert des Prätests noch im förderbedürftigen Bereich, ist er beim<br />
Posttest dem normalen Entwicklungsstand zuzuordnen.<br />
Der Wert des Prätests liegt bei der Kontrollgruppe auch im Bereich des Förderbedarfs. Im<br />
Vergleich zur Testgruppe hat sich dieser jedoch beim Posttest verschlechtert und liegt immer<br />
noch im gleichen Bereich.<br />
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Abb. 9: Gruppenvergleich Testauswertung WET<br />
Zur Erklärung der Ergebnisse werden im Folgenden die Auswertungen der einzelnen Kinder<br />
dargestellt. So werden die Unterschiede zwischen den einzelnen Kindern verdeutlicht.<br />
4.2.2 Testgruppe<br />
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H,:.93-II,4G3J.,:.4 K
Ergebnisse –Testergebnisse 46<br />
Der Vergleich des Prä- und Posttests zeigt, dass D. im motorischen Bereich fast überall eine<br />
Leistungssteigerung erzielen konnte (Abb. 10). Eine Ausnahme bildet der Bereich der Balance,<br />
wo ein Leistungsrückgang zu beobachten ist. Durch die starke Verbesserung in den zwei<br />
anderen Skalen steigt ihr Gesamttestwert aber dennoch deutlich an.<br />
Im Bereich der Handgeschicklichkeit machte D. beträchtliche Fortschritte. Beim Posttest fällt<br />
auf, dass sie diese Aufgaben zum Teil mit mangelnder Sorgfalt erledigt. Ebenso ist eine hohe<br />
Kraftdosierung erkennbar.<br />
In der Skala Ballfertigkeit ist bei D. ebenfalls eine Leistungsverbesserung zu beobachten. So<br />
bewegen sich ihre Werte hier vom therapiebedürftigen in den unauffälligen Bereich. Es ist<br />
jedoch ersichtlich, dass sie beim Fangen sowie beim Werfen noch ungewandt wirkt. Sie<br />
schliesst beispielsweise beim Fangen die Augen oder streckt die Hände flach und mit steifen<br />
Finger aus.<br />
Einzig bei der Balance ist ein leichter Leistungsabstieg zu beobachten. Der Wert bleibt demnach<br />
im therapiebedürftigen Bereich. Die Verschlechterung ist möglicherweise darauf zurück<br />
zu führen, dass D. beim Posttest eine Aufgabe verweigerte. Es fällt auf, dass sie grosse Mühe<br />
hat, das statische Gleichgewicht zu halten. Zudem gelingt es ihr nicht, die Fersen beim<br />
Balancieren zu heben und beim Hüpfen wird eine mangelnde Sprungkraft ersichtlich.<br />
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C506:76A CD766:76A<br />
Abb. 10: Testauswertung M-ABC-2 von D.<br />
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45262789<br />
69:5.;2:5/623
Ergebnisse –Testergebnisse 47<br />
Im Funktionsbereich sozial-emotionale Entwicklung blieb der erreichte Wert von D. unverändert<br />
und befindet sich demzufolge bei beiden Testungen im förderbedürftigen Bereich (Abb.<br />
11). Im Vergleich zum Prätest, bei dem sie die meisten Emotionen mit „traurig“ bezeichnete,<br />
antwortet sie in der zweiten Testung fast immer mit „gut“.<br />
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A. verhält sich während der ersten Testdurchführung schüchtern und ihre Arbeitsweise lässt<br />
sich als aussergewöhnlich langsam beschreiben. Oft getraut sie sich nicht, eine Aufgabe zu<br />
lösen und fängt teilweise zu weinen an. Sie benötigt viel Zuspruch, um an einer Aktivität teilzunehmen.<br />
A. äussert sich sprachlich selten, wobei sie nicht in ganzen Sätzen und sehr leise<br />
spricht. Beim Zeichnen vor der Testdurchführung sagt A., dass sie das nicht könne, was von<br />
einem tiefen Selbstwertgefühl zeugt.<br />
Beim Posttest ist ihr Verhalten viel offener. Sie ist motiviert die Aufgaben so gut wie möglich<br />
zu lösen und scheint Spass dabei zu haben.
Ergebnisse –Testergebnisse 48<br />
A. konnte sich in allen motorischen Bereichen, mit Ausnahme der Ballfertigkeit, steigern<br />
(Abb. 12). Ihre Werte liegen überall im unauffälligen Bereich.<br />
Die Aufgaben zur Handgeschicklichkeit löst A. bei der ersten Testung aussergewöhnlich<br />
langsam. Ihr Wert liegt wahrscheinlich aus diesem Grund im therapiebedürftigen Bereich. Bei<br />
der zweiten Testung konnte sich A. stark steigern. Sie arbeitet immer noch sehr konzentriert,<br />
konnte jedoch ihr Tempo steigern. Zum Teil zeigt sie beim Lösen der Aufgaben eine verkrampfte<br />
Haltung und hält den Kopf sehr schräg.<br />
Im Bereich der Ballfertigkeit ist eine leichte Verschlechterung feststellbar. Ihr Wert liegt jedoch<br />
immer noch im unauffälligen Bereich. Beim Prä- sowie Posttest zeigt A. grossen Spass,<br />
die Aufgaben zur Ballfertigkeit zu lösen und freut sich über erzielte Erfolge.<br />
Die Werte des Bereichs Balance konnte A. ebenfalls erhöhen. So liegt ihr Wert beim Posttest<br />
in der unauffälligen Dimension. Im Vergleich zum Prätest bearbeitet sie bei der zweiten Testung<br />
alle Aufgaben. Ihre angespannte Körperhaltung fällt dabei aber immer noch stark auf.<br />
Beim dynamischen Gleichgewicht wirkt sie zudem sehr wackelig. Sie gibt sich aber viel Mühe,<br />
die Aufgaben bestmöglich zu lösen.<br />
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Abb. 12: Testauswertung M-ABC-2 von A.<br />
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45262789<br />
69:5.;2:5/623
Ergebnisse –Testergebnisse 49<br />
Im sozial-emotionalen Funktionsbereich konnte sich A. leicht verbessern (Abb. 13). Sie verbesserte<br />
ihren Wert vom förderbedürftigen in den normalen Entwicklungsbereich. Beim Prä-<br />
und Posttest fällt der eher kleine Wortschatz von A. auf. Oft benutzt sie die Wörter „gut“,<br />
„lachen“ und „böse“.<br />
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Abb. 13: Testauswertung WET von A.<br />
Bei der ersten Testung scheint es, als ob A. beim Smarties-Test die Aufgabe nicht richtig<br />
verstanden hat. Auf erneutes Nachfragen hin gibt sie die Antwort „Stifte“. Im Posttest hingegen<br />
legt sie sich auf die Antwort „Smarties“ fest. Auch hier ist nicht ganz klar, ob sie sich ihrer<br />
Antwort sicher ist, denn sie schaut nochmals nach, was sich wirklich in der Smartiesschachtel<br />
befindet. Aufgrund ihrer unsicheren Antworten ist es schwierig abzuschätzen, ob A.<br />
bereits eine Theory of Mind erlangte oder die richtige Antwort erraten hat.<br />
Mädchen F. (4;0/4;2)<br />
:/E,=::0B,3456.7018/-69:3C18:.>6+<br />
F. macht bei allen Aufgaben gut mit und scheint motiviert zu sein. Zum Teil wirkt sie ein bisschen<br />
überaktiv, bewegt zum Beispiel ständig die Füsse unter dem Tisch. Sie beginnt<br />
manchmal mit der Aufgabe, bevor die vollständigen Anweisungen gegeben wurden, wodurch<br />
ihr impulsives Verhalten erkennbar wird.<br />
Beim Posttest zeigt F. während der ganzen Testdurchführung ein selbstsicheres Verhalten<br />
und löst die Aufgaben gut. Zwischen den einzelnen Aufgaben ist auch hier ihre zappelige Art<br />
auffällig. F. möchte lieber Verstecken spielen, als die Aufgaben zu bearbeiten. Vor allem gegen<br />
den Schluss ist ihr grosser Bewegungsdrang gut ersichtlich.
Ergebnisse –Testergebnisse 50<br />
F. verbesserte sich bei der zweiten Testung bei allen Skalen des motorischen Bereichs (Abb.<br />
14). Alle Werte liegen im Prä- sowie Posttest im unauffälligen Bereich.<br />
Bei beiden Testungen bearbeitet F. die Aufgaben zur Handgeschicklichkeit motiviert und erlangt<br />
ein gutes Ergebnis. Bei der ersten Testung ist auffällig, dass sie mit ihrer dominanten<br />
linken Hand schreibt, bei weiteren Aufgaben jedoch bessere Werte mit der nicht-dominanten<br />
Hand erzielt. Beim Posttest bemerkt F. sehr schnell, ihre Fehler und möchte diese gleich korrigieren.<br />
Im Bereich der Ballfertigkeit macht F. ebenfalls gut mit. Bei der zweiten Testung kann jedoch<br />
beobachtet werden, dass sie beim Säckchen werfen das Ziel nicht mit den Augen fixiert und<br />
die Kraftdosierung nicht anpassen kann.<br />
Bei der Balance verhält sie sich unauffällig. Auch diese Fähigkeit scheint altersentsprechend<br />
entwickelt zu sein.<br />
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Abb. 14: Testauswertung M-ABC-2 von F.<br />
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45262789<br />
69:5.;2:5/623
Ergebnisse –Testergebnisse 51<br />
Im sozial-emotionalen Bereich verbessert sich F. von der ersten zur zweiten Testung stark<br />
(Abb. 15). Es gelingt ihr, ihren Wert vom massiven Entwicklungsrückstand in den normalen<br />
Bereich zu steigern. Bei der zweiten Testung fällt auf, dass sie oft die Wörter „gut“ oder „böse“<br />
verwendet und mit den Füssen auf den Boden stampft, was als Ausdruck ihrer Unsicherheit<br />
gedeutet werden kann.<br />
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Abb. 15: Testauswertung WET von F.<br />
Beim Smarties-Test gibt F. beim Prätest die Antwort „Stifte“. In der zweiten Testung antwortet<br />
sie jedoch überzeugend mit „Smarties“. Aufgrund der falschen Antwort bei der ersten Testung<br />
kann nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass F. bereits eine Theory of<br />
Mind erlangt hat.<br />
Junge J. (5;2/5;4)<br />
:/E,=::0B,3456.7018/-69:3C18:.>6+<br />
Während der ersten Testdurchführung zeigt J. ein impulsives Verhalten. Oft beginnt er mit<br />
den Aufgaben, bevor die vollständigen Anweisungen gegeben wurden. Es fällt zudem auf,<br />
dass es ihm schwer fällt, sich bei den einzelnen Aufgaben zu konzentrieren. Er lässt sich<br />
stark ablenken und zeigt teilweise ein „träumerisches Verhalten“. Seine Motivation scheint<br />
ebenfalls rasch abzunehmen. Er löst die Aufgaben mehrmals nicht nach den Anweisungen,<br />
sondern exploriert mit den Materialien. Zudem weigert er sich, einige Aufgabe zu lösen.<br />
Bei der zweiten Testung ist wiederum auffallend, dass J. nicht sehr motiviert wirkt. Er möchte<br />
jeweils lieber mit den Materialien spielen, wobei er auch viele Ideen hat. J. ist fast immer in<br />
Bewegung, beklagt sich über den Schwierigkeitsgrad der Aufgaben, ist frustriert, wenn ihm<br />
etwas nicht gelingt und gibt schnell auf.
Ergebnisse –Testergebnisse 52<br />
Trotz seines immer noch unmotivierten Verhaltens ist in allen motorischen Bereichen eine<br />
Leistungsverbesserung gegenüber dem Prätest zu sehen, was auch damit zusammenhängen<br />
könnte, dass er dieses Mal keine Aufgabe verweigert hat (Abb. 16). Sein Gesamttestwert<br />
liegt jedoch immer noch im therapiebedürftigen Bereich.<br />
Es ist ersichtlich, dass J. beim Posttest seine Leistungen im Bereich der Handgeschicklichkeit<br />
leicht verbessern konnte. Sein Wert liegt jedoch nach wie vor im therapiebedürftigen Bereich.<br />
Bei der ersten Testung fällt auf, dass sich J. für die Aufgaben sehr viel Zeit nimmt. Es<br />
ist schwer ihn zu motivieren, die Subtests so schnell wie möglich zu lösen. Eine Aufgabe<br />
verweigert er restlos. Bei der zweiten Testung verkrampft J. beim Lösen der Aufgabe<br />
manchmal sein Gesicht. Dies kann als innere Anspannung oder Angst, zu langsam zu sein,<br />
gedeutet werden. Zudem fallen seine leistungsorientierten Sätze wie „hab ich gewonnen?“<br />
auf, die in seinem Alter zunehmen (siehe Kapitel 2.3.2).<br />
Im Bereich der Ballfertigkeit ist bei J. ein enormer Leistungsanschub zu beobachten. Er<br />
konnte sich vom therapiebedürftigen Bereich in den Normbereich steigern. Diese grosse Leistungsverbesserung<br />
kann damit erklärt werden, dass er sich beim Posttest stärker auf die<br />
Aufgabe konzentriert.<br />
Enorm gesteigert hat sich J. auch im Bereich der Balance. Trotz der grossen Leistungsverbesserung<br />
liegt sein Wert nach wie vor im therapiebedürftigen Bereich. Als möglicher Grund<br />
für seinen niedrigen Wert beim Prätest können die vielen Verweigerungen genannt werden.<br />
Bei der zweiten Testung führt J. alle Aufgaben aus. Beide Male fällt auf, dass das statische<br />
Gleichgewicht J. Mühe bereitet. So sagt er bei der zweiten Testung, dass er nicht auf einem<br />
Bein stehen könne und er von dieser Aufgabe genervt sei.<br />
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Abb. 16: Testauswertung M-ABC-2 von J.<br />
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45262789<br />
69:5.;2:5/623
Ergebnisse –Testergebnisse 53<br />
Das Benennen der Emotionen im sozial-emotionalen Bereich scheint J. keine<br />
Schwierigkeiten zu bereiten. Beim Posttest sagt J. gleich, dass er das kenne und benennt die<br />
Emotionen ohne Anweisung. Mit Ausnahme der zwei neutralen Gesichtsausdrücke, bei<br />
denen J. mit „Freude“ antwortet, benennt er alle Emotionen korrekt. Sein Wert entspricht<br />
sowohl beim Prä- als auch Posttest der Norm (Abb. 17).<br />
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Abb. 17: Testauswertung WET von J.<br />
Bei der ersten Testung legt sich J. beim Smarties-Test auf die Antwort „Stifte“ fest, meint jedoch,<br />
dass er Smarties nicht kenne. Beim Posttest kann er sich an die Aufgabe erinnern und<br />
weiss, dass sich Stifte in der Smartiesschachtel befinden. Auf die Frage, was ein anderes<br />
Kind wohl denkt, was sich darin befindet, gibt er die Antwort „Smarties“. Wegen den zwei unterschiedlichen<br />
Antworten ist schwierig abzuschätzen, ob J. eine Theory of Mind erlangt hat.<br />
4.2.3 Kontrollgruppe<br />
Junge L. (5;2/5;4)<br />
:/E,=::0B,3456.7018/-69:3C18:.>6+<br />
L. ist ein kleiner, zierlicher Junge, der viel jünger scheint als er ist. Bei den Testaufgaben<br />
macht er beim Prätest motiviert mit und kommuniziert mit einer offenen und fröhlichen Art.<br />
Teilweise zeigt er sich etwas zerstreut und unorganisiert, indem er beispielsweise seine<br />
Schuhe verkehrt anzieht. Zudem lässt er sich leicht ablenken und wirkt teilweise etwas abwesend.<br />
Sein unorganisiertes Verhalten fällt auch beim Posttest auf. Ohne es zu bemerken, zieht er<br />
wieder seine Schuhe verkehrt an. Er spricht während den einzelnen Aufgaben viel und sagt<br />
öfters, dass er müde sei und es anstrengend sei, die Aufgaben zu lösen.
Ergebnisse –Testergebnisse 54<br />
Beim Gesamttestwert konnte L. im motorischen Bereich eine leichte Leistungsverbesserung<br />
erzielen (Abb. 18). Sein Wert liegt aber immer noch im therapiebedürftigen Bereich.<br />
Die Aufgaben zur Handgeschicklichkeit löst L. mit grosser Konzentration. So konnte in diesem<br />
Bereich ein Leistungsanstieg beobachtet werden. Es gelang ihm, seinen Wert vom therapiebedürftigen<br />
Bereich in die Norm zu steigern. Bei beiden Testungen fällt auf, dass er zum<br />
Teil das Material dicht vor dem Gesicht hält. Beim Posttest zeigt sich seine Fantasie ersichtlich.<br />
So sieht er in der Perlenkette eine Rakete, mit der er kurz zu spielen beginnt.<br />
L. verbessert sich im Bereich Ballfertigkeit nicht. Sein Wert bleibt im therapiebedürftigen Bereich.<br />
Im Prätest ist ersichtlich, dass er beim Werfen des Säckchens sein Ziel nicht mit den<br />
Augen fixiert. Seine mangelnde Kraftdosierung fällt bei beiden Testungen auf. Beim Posttest<br />
hält er seine Hände beim Fangen nahe beim Körper. Zudem schweift L. während den Aufgaben<br />
oft ab und lässt sich von Materialien im Raum ablenken.<br />
Auch im Bereich der Balance findet bei L. keine Leistungsverbesserung statt und sein Wert<br />
bleibt im therapiebedürftigen Bereich. Beim Prä- und Posttest gelingt es ihm beim Balancieren<br />
nicht, seine Fersen abzuheben. Ebenfalls zeigt sich bei beiden Testungen, dass er Mühe<br />
mit dem statischen Gleichgewicht hat. Zudem ist bei der zweiten Testung eine starre, angespannte<br />
Körperhaltung beim Hüpfen ersichtlich.<br />
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Abb. 18: Testauswertung M-ABC-2 von L.<br />
B.1.-8:A !"#$%&'<br />
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45262789<br />
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Ergebnisse –Testergebnisse 55<br />
Im sozial-emotionalen Bereich kann L. den erreichten Wert leicht steigern (Abb. 19). Dieser<br />
liegt aber nach wie vor noch im förderbedürftigen Bereich. Im Prä- und Posttest fällt auf, dass<br />
L. einen sehr kleinen Wortschatz besitzt, um Emotionen anderer Leute zu beschreiben. Oft<br />
benutzt er dabei einfach das Wort „gut“.<br />
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Beim Prätest wirkt N. anfangs noch ein wenig unsicher und schüchtern, öffnet sich jedoch<br />
mit der Zeit und lacht ein paar Mal herzlich. Sie scheint beim Lösen der Aufgaben Spass zu<br />
haben. Am Tisch fällt ihre zappelige Art auf. Sie bewegt sich beim Zuhören sowie beim Lösen<br />
der Aufgabe stark.<br />
N. wirkt bei der zweiten Testung während den Aufgaben zum Teil passiv, denn sie ist schwer<br />
für die Aufgaben zu begeistern. Sie macht den Eindruck, dass sie viel lieber etwas anderes<br />
spielen möchte. Ebenfalls ist erkennbar, dass ihre Motivation stark sinkt, wenn sie keine Erfolgserlebnisse<br />
erleben kann. Sie verfügt jedoch über gute Strategien, wie sie die Aufgabe<br />
vereinfachen könnte.
Ergebnisse –Testergebnisse 56<br />
Das Gesamttestergebnis von N. in der motorischen Dimension bleibt beim Posttest konstant<br />
und liegt im kritischen Bereich (Abb. 20).<br />
Im Bereich der Handgeschicklichkeit verändert sich ihr Ergebnis nicht und bleibt daher im<br />
unauffälligen Bereich. Bei der ersten Testung verwendet N. bei einer Aufgabe beide Hände,<br />
was laut Manual nicht gestattet ist und zu einem Abbruch der Aufgabe führt. Bei den weiteren<br />
Subtests ist ihre zappelige Art ersichtlich. Beim Posttest wirkt sie zum Teil unsicher und<br />
benötigt viel Zeit für die Aufgaben.<br />
N. konnte bei der zweiten Testung einen Leistungsanstieg im Bereich der Ballfertigkeit erzielen.<br />
Es gelang ihr den Wert vom therapiebedürftigen Bereich in die Norm zu steigern. N. lässt<br />
sich beim Prätest trotz Misserfolge beim Fangen sowie beim Werfen nicht entmutigen. Bei<br />
der zweiten Testung hingegen scheint es, dass Misserfolge sie demotivieren. Ebenfalls benötigt<br />
sie viel Zeit und muss oft zur Aufgabe zurück geholt werden, da sie sich lieber anderweitig<br />
beschäftigt.<br />
In der Skala Balance konnte bei N. ein Leistungsrückgang beobachtet werden. Ihr Wert liegt<br />
jedoch immer noch im unauffälligen Bereich. Es fällt auf, dass N. beim Post- und Prätest Mühe<br />
hat, das statische Gleichgewicht zu halten. Bei der zweiten Testung wechselt sie von einem<br />
Bein aufs andere und möchte sich an der Wand abstützen.<br />
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Abb. 20: Testauswertung M-ABC-2 von N.<br />
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Ergebnisse –Testergebnisse 57<br />
Bei beiden Testungen fallen im sozial-emotionalen Bereich die sprachlichen Schwierigkeiten<br />
von N. auf. Bei der ersten Testung fängt sie die Aufgabe an, verweigert aber, sie zu beenden<br />
(Abb. 21). In der zweiten Testung deutet der erreichte Wert durch den Normvergleich auf einen<br />
massiven Entwicklungsrückstand hin. Sie sagt fast immer, dass sie nicht wisse, wie es<br />
der Person auf dem Foto geht, betrachtet aber das Foto sehr genau, beschreibt die Körperhaltung<br />
und Mimik der gezeigten Person und ahmt diese sogar nach.<br />
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Während der ersten Testdurchführung fällt bei M. die Häufigkeit der verweigerten Aufgaben<br />
im grobmotorischen Bereich auf. Zudem scheint sie eher passiv zu sein und ist schwer für<br />
die einzelnen Aufgaben zu begeistern. Des Weiteren wirkt sie schüchtern, was ebenfalls ein<br />
möglicher Grund für die Verweigerungen sein könnte.<br />
Auch beim Posttest ist das passive Verhalten von M. auffällig. Es erweist sich als schwierig,<br />
sie für eine Aufgabe zu begeistern und ihre Schüchternheit erschwert die Kontaktaufnahme.<br />
Zudem ist mangelnde Ausdauer zu beobachten, wobei ihr Alter und die damit zusammenhängende<br />
kurze Aufmerksamkeitsspanne beachtet werden müssen.
Ergebnisse –Testergebnisse 58<br />
M. gelingt es beim Posttest ihren Gesamttestwert im motorischen Bereich zu steigern (Abb.<br />
22). Ihr Ergebnis liegt jedoch immer noch im therapiebedürftigen Bereich.<br />
Die Aufgaben der Handgeschicklichkeit löst M. im Prätest altersentsprechend. Es fällt jedoch<br />
auf, dass sie einige Aufgaben sehr schnell und mit mangelnder Sorgfalt löst. Beim Posttest<br />
lässt sich M. während des Lösens der Aufgaben von minimalen Umweltgeräuschen ablenken<br />
und zählt beispielsweise die Perlen, anstatt die Aufgabe zu lösen. Dies könnte den Testwert<br />
stark beeinflusst haben. Im Vergleich zum Prätest kommt es zu einem Leistungsrückgang.<br />
Beide Werte befinden sich im kritischen Bereich.<br />
Im Bereich der Ballfertigkeit konnte M. ihren Wert steigern. Dieser liegt jedoch immer noch im<br />
therapiebedürftigen Bereich. Misserfolge scheinen sie stark zu demotivieren und beim Prätest<br />
verweigert sie eine Aufgabe.<br />
M. konnte sich im Bereich der Balance enorm steigern. Bei der ersten Testung verweigert sie<br />
fast alle Aufgaben und es gelingt ihr nicht, die Fersen beim Balancieren zu heben. Beim<br />
Posttest verweigert sie wiederum zwei Aufgaben. Sie kann jedoch, eine Sekunde auf einem<br />
Bein stehen, woraus ein besserer Wert resultiert.<br />
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Abb. 22: Testauswertung M-ABC-2 von M.<br />
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Ergebnisse –Testergebnisse 59<br />
Im sozial-emotionalen Bereich veränderte sich der Wert von M. nicht und bleibt im förderbedürftigen<br />
Bereich (Abb. 23). Sie hat grosse Mühe, sich deutlich auszudrücken. Sowohl beim<br />
Prä- als auch beim Posttest benennt M. die Emotion „Freude“ korrekt. Bei den anderen<br />
Gesichtsausdrücken nennt sie Begriffe wie „gut“, „Papi“, „Frau“ oder „lustig“.<br />
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Abb. 23: Testauswertung WET von M.<br />
Beim Smarties-Test antwortet M. beim Prätest mit „Smarties“, schaut jedoch nochmals nach,<br />
was in der Schachtel ist. Es scheint, als ob sie sich selbst nicht mehr sicher ist, was sich<br />
wirklich darin befindet. Beim Posttest beantwortet sie die Frage, was ein anderes Kind wohl<br />
über den ihm unbekannten Inhalt denkt, nicht. Es ist deshalb unklar, ob M. bereits eine Theory<br />
of Mind erlangt hat.<br />
Mädchen I. (5;1/5;4)<br />
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Bei der ersten Testung braucht I. zwei Anläufe, bis sie in der Lage ist, die Aufgaben ansatzweise<br />
zu lösen. Beim ersten Mal wirkt sie sehr schüchtern und ängstlich. Sie spricht nicht<br />
und möchte keine Aufgabe ausprobieren. Zudem reagiert sie auf Angebote wie Zeichnen<br />
oder gemeinsam mit dem Säckchen spielen nicht. Als sie eine Stunde später zum zweiten<br />
Mal kommt, scheint sie viel offener zu sein und spricht auch. Im grobmotorischen Bereich<br />
verweigert I. dennoch die meisten Aufgaben.<br />
Das Verhalten von I. hat sich im Vergleich zur ersten Testung kaum verändert. Sie lässt sich<br />
während der ganzen Durchführung nicht motivieren und verweigert möglicherweise wegen<br />
mangelnder Motivation und Ausdauer mehrere Aufgaben. Als sie am Schluss noch einmal<br />
dazu aufgefordert wird, die zuerst verweigerten Untertests zur Skala Ballfertigkeiten nachzuholen,<br />
läuft sie weg und kommt nicht wieder zurück.
Ergebnisse –Testergebnisse 60<br />
Verglichen mit dem Prätest verschlechtert sich der Gesamttestwert von I. im motorischen<br />
Bereich (Abb. 24). Ihr Wert liegt demnach immer noch stark im therapiebedürftigen Bereich.<br />
Der niedrige Wert könnte auf die vielen Verweigerungen zurückzuführen sein.<br />
Im Bereich der Handgeschicklichkeit wechselt I. sowohl beim Prä- als auch beim Posttest bei<br />
einer Aufgabe mehrmals die Hände, was gemäss Manual nicht gestattet ist und somit als<br />
Fehlversuch bewertet wird. Ihr fester Schreibdruck sowie ihre Körperhaltung, die sie dem<br />
Blatt anpasst, fallen zudem beim Prätest auf. Im Vergleich zur ersten Testung findet bei I. im<br />
Bereich der Handgeschicklichkeit ein enormer Leistungsabstieg statt.<br />
Beim Prätest fällt auf, dass I. beim Säckchen Fangen die Augen schliesst. Zudem bleibt sie<br />
regungslos stehen, wenn das Säckchen ihren Körper berührt. Das Werfen des Säckchens<br />
verweigert sie. Beim Posttest verweigert sie beide Subtest in diesem Bereich. Deshalb ist im<br />
Vergleich zum Prätest ebenfalls ein Leistungsrückgang zu beobachten.<br />
Der Wert von I. bleibt im Bereich der Balance unverändert. Der niedrige Wert könnte wieder<br />
die zahlreichen Verweigerungen zurückgeführt werden. Beim Prätest führt sie nur eine Aufgabe<br />
aus. Das Balancieren mit gehobenen Fersen gelingt ihr nicht und beim Hüpfen stützt<br />
sich I. nach dem Sprung jeweils auf den Hände ab, was als Fehlversuch gewertet wird.<br />
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Abb. 24: Testauswertung M-ABC-2 von I.<br />
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Ergebnisse –Testergebnisse 61<br />
Im sozial-emotionalen Bereich ist eine leichte Verbesserung zu sehen (Abb. 25). Obwohl ihr<br />
Wert im sozial-emotionalen Bereich nach wie vor dem förderbedürften Bereich zugeschrieben<br />
wird, hat sie sich verbessert. Es fällt auf, dass I. bei der ersten Testung auf die Frage,<br />
wie sich die Person fühlt, oft mit „lustig“ antwortet.<br />
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Im Prätest entscheidet sich I. beim Smarties-Test für die Antwort „Stifte“. Beim Posttest hingegen<br />
antwortet sie auf die Frage, was ein anderes Kind wohl denkt, was sich in der Schachtel<br />
befindet, mit „Smarties“. Aufgrund dieser zwei unterschiedlichen Ergebnisse kann nicht<br />
eindeutig gesagt werden, ob I. bereits eine Theory of Mind erlangt hat.
Ergebnisse – Beantwortung der Fragestellungen 62<br />
4.3 Beantwortung der Fragestellungen<br />
Nach der Auswertung der Ergebnisse können nun die Fragestellungen beantwortet und die<br />
Hypothesen überprüft werden.<br />
1. Ist die psychomotorische Entwicklung von Vorschulkindern, die in einem Heim<br />
leben, auffällig?<br />
Die Ergebnisse des Prätests zeigen, dass die Mehrheit der Werte aller getesteter Kinder im<br />
motorischen und sozial-emotionalen Bereich unterhalb des normalen Entwicklungsstandes<br />
liegen (siehe Kapitel 4.2.1).<br />
Kinder, die in einem Heim leben, sind im Vergleich mit der Norm psychisch gefährdeter. Die<br />
dafür genannten Gründe könnten auch für die untersuchte Entwicklungsverzögerung im sozial-emotionalen<br />
Bereich angesehen werden. So wirken sich negative Bindungserfahrungen<br />
beispielsweise auf die sozial-emotionale Entwicklung aus. Vermutlich haben die Kinder des<br />
Monikaheims in ihrer frühen Kindheit keine langfristigen, tragfähigen Bindungen erfahren,<br />
was zu den Schwierigkeiten im sozial-emotionalen Bereich führt. Hinzu kommen weitere<br />
psychosoziale Risikofaktoren wie zerrüttete Familienverhältnisse, psychische Störungen der<br />
Eltern und traumatische Erfahrungen, welche sich negativ auf die sozial-emotionale Entwicklung<br />
auswirken. Die festgestellte Verzögerung im sozial-emotionalen Bereich zeigte sich zudem<br />
im Verhalten der Kinder. So waren neben aggressiven, auch sehr passive Verhaltensweisen<br />
beobachtbar. „Aggressiv verhaltensauffällige Kinder weisen eine Reihe von Defiziten<br />
im sozial-emotionalen Bereich auf“ (Wolff Metternich und Döpfner; zitiert nach Grob, Meyer,<br />
& Hagmann-von Arx, 2009, S. 242).<br />
Die oben genannten Belastungsfaktoren könnten ebenfalls als Grund für die motorische<br />
Entwicklungsverzögerung angesehen werden. Verzögerungen im sozial-emotionalen Bereich<br />
beeinflussen die motorische Entwicklung, da die zwei Bereiche stark voneinander abhängig<br />
sind. Demzufolge ist ein ängstliches Kind nicht von seinen Fähigkeiten überzeugt und sammelt<br />
dementsprechend weniger Beobachtungserfahrungen. Seine Handlungskompetenzen<br />
könne kaum erweitert, worauf auch eine Entwicklungsverzögerung im motorischen Bereich<br />
resultieren kann.<br />
Die Hypothese, dass die psychomotorische Entwicklung von Vorschulkindern, die in einem<br />
Heim leben verzögert ist, konnte somit verifiziert werden<br />
2. Verbessert ein Psychomotorisches Präventionsangebot den psychomotorischen<br />
Entwicklungstand von Vorschulkindern, die in einem Heim leben?<br />
Aus dem Vergleich des Prä- mit dem Posttest resultieren deutliche Unterschiede hinsichtlich<br />
der Test- und Kontrollgruppe. Während dem der Gesamttestwert der Kontrollgruppe beim<br />
Posttest beinahe unverändert bleibt, verbessern sich die Kinder der Testgruppe nach dem<br />
Psychomotorischen Angebot enorm (siehe Kapitel 4.2.1). Lagen die Ergebnisse beim Prätest<br />
noch mehrheitlich im therapiebedürftigen Bereich, weisen sie beim Posttest auf einen normalen<br />
Entwicklungsstand hin.<br />
Beim Psychomotorischen Präventionsangebot konnten die Kinder vielfältige Material-, Körper-<br />
und Sozialerfahrungen sammeln. Es war zu beobachten, dass die Kinder Vertrauen in<br />
ihre Fähigkeiten gewonnen haben und dadurch ihre Handlungsfähigkeiten erweitern konnten.<br />
Durch verschiedene Spiel- und Bewegungsangebote konnten sie sich im motorischen Bereich<br />
verbessern. Auch im sozial-emotionalen Bereich konnte ein Leistungsanstieg beobachtet<br />
werden, was darauf zurückgeführt werden kann, dass die Kinder beim Psychomotori-
Ergebnisse – Beantwortung der Fragestellungen 63<br />
schen Präventionsangebot beispielsweise lernten, verschiedene Emotionen zu erkennen und<br />
auszudrücken. Das Verhalten der Kinder veränderte sich im Verlaufe des Angebots. Waren<br />
die Kinder anfangs mehrheitlich verschlossen und hatten Mühe, sich auf den Prozess einzulassen,<br />
öffneten sie sich im Laufe der Zeit zunehmend und nahmen aktiv am Geschehen teil.<br />
Für den Erfolg des Psychomotorischen Angebots war der Beziehungsaufbau sehr wichtig.<br />
Die wertschätzende und unterstützende Haltung der Psychomotoriktherapeutinnen ermöglichte<br />
es den Kindern, viele Explorationserfahrungen zu sammeln und sich an Neues heran<br />
zu wagen. Auch in der Psychotherapie besteht die Meinung, dass die Therapieerfolge grösstenteils<br />
auf Faktoren zurückzuführen sind, die unabhängig von der speziellen Methode bei<br />
allen psychotherapeutischen Verfahren vorkommen. Ausgehend von einem bindungstheoretischen<br />
Hintergrund kann der Patient nur von einer Psychotherapie profitieren, wenn er den<br />
Therapeuten als Bindungsfigur wahrnimmt und akzeptiert (Schleiffer, 2007). „Unter diesen so<br />
genannten kommunalen Wirkfaktoren von Psychotherapie kommt einer intensiven, emotional<br />
geladenen, vertrauensvollen Beziehung zu einer hilfreichen Person ausschlaggebende Bedeutung<br />
zu“ (Frank; zitiert nach Schleiffer, 2007, S. 222). Basierend auf einer guten Beziehung<br />
können sich Kinder zudem besser auf eine Tätigkeit konzentrieren (vgl. Dornes, 2007).<br />
So konnte sich die Testgruppe beim Posttest möglicherweise besser auf die Aufgaben einlassen,<br />
währenddem die Kinder der Kontrollgruppe noch sehr mit der Beziehungsaufnahme<br />
beschäftigt waren.<br />
Die angenommene Hypothese, dass ein Psychomotorisches Präventionsangebot den Entwicklungsstand<br />
von Vorschulkindern, die in einem Heim leben, verbessert, konnte auch bestätigt<br />
werden.
Diskussion 64<br />
5. Diskussion<br />
Im Folgenden werden die Ergebnisse diskutiert und kritisch hinterfragt. Dabei spielt vor allem<br />
die Fragwürdigkeit der angewandten Methoden eine bedeutende Rolle.<br />
Zur Feststellung eines allfälligen psychomotorischen Entwicklungsrückstands der Kinder und<br />
einer möglichen Verbesserung durch das Psychomotorische Präventionsangebot wurden die<br />
Testverfahren M-ABC-2 und WET eingesetzt. Obwohl der M-ABC-2 bei Kindern von 3-16<br />
Jahren eingesetzt werden kann, erwies er sich für junge Kinder als ungeeignet. Da die<br />
Durchführung ziemlich viel Zeit beansprucht, schwindet die Motivation bei jüngeren Kindern<br />
rasch. In Anbetracht der schwindenden Motivation und des Schwierigkeitsgrads der Übungen<br />
haben die Kinder viele Aufgaben verweigert. Da die Anforderungen sehr hoch waren und die<br />
Kinder wahrscheinlich ein eher tiefes Selbstwertgefühl aufweisen, befürchteten sie womöglich<br />
zu scheitern. Viele Kinder wollten deshalb die Aufgaben nicht lösen, obwohl sie durchaus<br />
ein gutes Ergebnis hätten erzielen können. So bestand beispielsweise ein Subtest darin, in<br />
fünf Übungsversuchen und zehn Testdurchgängen eine Matte mit einem Sandsäckchen zu<br />
treffen. Obwohl bei einem dreijährigen Kind bereits ein einzelner Treffer für ein gutes Resultat<br />
reichen würde, wird diese Leistung vom Kind nicht als Erfolgserlebnis gesehen, da es bei<br />
den meisten Versuchen scheitert. Hinzu kommt, dass das Verhalten der Kinder während der<br />
Testdurchführung das Resultat beeinflusste. Ein Kind, das zum Beispiel Mühe mit dem Aufgabenverständnis<br />
hat, erzielt viele Fehlversuche, da es sich nicht an die Anforderungen halten<br />
kann und erreicht somit ein schlechteres Ergebnis in den motorischen Bereichen. Viele<br />
Fehlversuche und Verweigerungen schwächen die Aussagekraft des quantitativen Ergebnisses.<br />
Bei der Aufgabe zum sozial-emotionalen Bereich erwies sich der sprachliche Bereich beim<br />
WET von grosser Bedeutung. Ein Kind, das Mühe mit der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit<br />
hat, ist bei dieser Übung nicht in der Lage, einen guten Wert zu erzielen. Obwohl ein Kind<br />
weiss, wie sich die Person fühlt, ist es durchaus möglich, dass es die Emotion sprachlich<br />
nicht beschreiben kann. Ausserdem könnte die Frage „Wie fühlt sich diese Person?“ für<br />
Verwirrung sorgen, da jüngere Kinder in der Schweiz nicht mit derartigen Frageformulierungen<br />
konfrontiert werden. Die Frage „Wie geht es dieser Person?“ als abgeänderte Variante<br />
darf nicht gestellt werden, da die geforderten Antworten wie beispielsweise „fröhlich“ oder<br />
„traurig“ nicht zu dieser Fragestellung passen.<br />
Bei der Beantwortung der Fragestellungen werden keine Aussagen über die Ergebnisse des<br />
Smarties-Tests gemacht. Obwohl die Aufgabe zur Feststellung einer „Theory of Mind“ dient,<br />
kann nicht eindeutig gesagt werden, dass ein Kind, das die Aufgabe richtig löst, über eine<br />
„Theory of Mind“ verfügt. Trotz fehlendem Wissen bezüglich der Antwort und Verständnisschwierigkeiten<br />
kann ein Kind die Antwort erraten. Auf der anderen Seite kann ein Kind, das<br />
über eine „Theory of Mind“ verfügt, die Frage falsch beantworten. Dies kann auf das fehlende<br />
Sprach- bzw. Aufgabenverständnis zurückgeführt werden. Antwortet ein Kind beim Prätest<br />
falsch, beim Posttest hingegen richtig, darf nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden,<br />
dass dieses Kind in der Zeit zwischen den Testungen eine „Theory of Mind“ erlangt hat.<br />
Auch in diesem Fall handelt es sich möglicherweise um einen Zufall sein, dass die zweite<br />
Antwort korrekt ist.<br />
Dennoch konnte anhand der Testverfahren bestätigt werden, dass die untersuchten Kinder<br />
eine psychomotorische Entwicklungsverzögerung aufweisen und diese durch das Psychomotorische<br />
Präventionsangebot verbessert wurde. Die Aussagekraft der Testergebnisse wurde<br />
durch die obengenannten Schwierigkeiten verringert, ist aber durch die Normierung der<br />
Testverfahren M-ABC-2 und WET trotzdem gewährleistet. Schliesslich ergaben sich bei den<br />
für die Normierung getesteten Kindern sicherlich ähnliche Schwierigkeiten.
Diskussion 65<br />
Das Psychomotorische Präventionsangebot, das zwischen dem Prä- und dem Posttest<br />
durchgeführt wurde, kann ebenfalls kritisch hinterfragt werden. So wurde beispielsweise nicht<br />
nachgewiesen, inwiefern ein anderes Angebot den psychomotorischen Entwicklungstand<br />
beim Posttest auch verbessert hätte. Das verbesserte Ergebnis der Testgruppe hängt neben<br />
dem Psychomotorischen Angebot mit grosser Wahrscheinlichkeit auch mit der Beziehung<br />
der Kinder zu den Psychomotoriktherapeutinnen zusammen. Der Vergleich der Ergebnisse<br />
mit einer dritten Gruppe, die an einem anderen Angebot teilgenommen haben, wäre sehr<br />
spannend. So könnte beobachtet werden, wie die Art des Angebots auf das Ergebnis wirkt.<br />
Ebenfalls kann das Interventionsintervall kritisch betrachtet werden. Zur Durchführung der<br />
wöchentlichen Interventionen erweist sich ein Zeitrahmen von acht Wochen abzüglich zweier<br />
Ferienwochen als ziemlich kurz. So ist es fraglich, inwiefern das Ergebnis auf das Angebot<br />
zurückzuführen ist oder eben nur mit dem Beziehungsaufbau zusammen hängt. Diesbezüglich<br />
wäre es interessant, das Angebot nach der zweiten Testung weiter zu führen, damit zu<br />
einem späteren Zeitpunkt eine dritte Testung vorgenommen werden könnte. Mittels dieser<br />
Vorgehensweise könnte aufgezeigt werden, ob der Beziehungsaufbau zu den Kindern oder<br />
das Psychomotorische Präventionsangebot ausschlaggebend für das Ergebnis ist. Die<br />
Gruppengrösse lässt zudem keine repräsentativen Aussagen zu. Die Ergebnisse deuten<br />
nicht darauf hin, dass alle Kinder, die in einem Heim leben, ein vergleichbares Resultat erzielen.<br />
Interessant wäre es in diesem Zusammenhang, Kinder aus verschiedenen Heimen zu<br />
untersuchen.<br />
Der Inhalt des Psychomotorischen Präventionsangebots hat sich als geeignet erwiesen. Die<br />
Kinder konnten verschiedene Erfahrungen sammeln und ihre psychomotorischen Kompetenzen<br />
erweitern. Dennoch ist zu erwähnen, dass sich bezüglich der Rahmenbedingungen einige<br />
Kritikpunkte ergeben. So hätte beispielsweise ein grösserer Raum vielfältigere Angebote<br />
zugelassen. Insgesamt hat sich das Psychomotorische Präventionsangebot als geeignet erwiesen.<br />
Durch die prozessorientierte Arbeitsweise konnte jedes einzelne Kind von dem Angebot<br />
profitieren.
Literaturverzeichnis 66<br />
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Abbildungsverzeichnis 69<br />
Abbildungsverzeichnis<br />
Titelblatt links: J. am Bauen<br />
Titelblatt rechts: D. und F. am Balancieren<br />
Abb. 1: Monikaheim Aussenansicht .......................................................................................15<br />
Abb. 2: Tiere von F. am Schlafen ...........................................................................................30<br />
Abb. 3: J. mit dem Nest für sein Tier ......................................................................................31<br />
Abb. 4: A. bei der „Morgengymnastik“ ....................................................................................32<br />
Abb. 5: Hände von D. voller Rasierschaum............................................................................33<br />
Abb. 6: A. mit Klötzen bedeckt ...............................................................................................34<br />
Abb. 7: J. am Zeichnen...........................................................................................................35<br />
Abb. 8: Gruppenvergleich Testauswertung M-ABC-2 ............................................................44<br />
Abb. 9: Gruppenvergleich Testauswertung WET ...................................................................45<br />
Abb. 10: Testauswertung M-ABC-2 von D. ............................................................................46<br />
Abb. 11: Testauswertung WET von D. ...................................................................................47<br />
Abb. 12: Testauswertung M-ABC-2 von A..............................................................................48<br />
Abb. 13: Testauswertung WET von A. ...................................................................................49<br />
Abb. 14: Testauswertung M-ABC-2 von F..............................................................................50<br />
Abb. 15: Testauswertung WET von F.....................................................................................51<br />
Abb. 16: Testauswertung M-ABC-2 von J. .............................................................................52<br />
Abb. 17: Testauswertung WET von J. ....................................................................................53<br />
Abb. 18: Testauswertung M-ABC-2 von L. .............................................................................54<br />
Abb. 19: Testauswertung WET von L.....................................................................................55<br />
Abb. 20: Testauswertung M-ABC-2 von N. ............................................................................56<br />
Abb. 21: Testauswertung WET von N. ...................................................................................57<br />
Abb. 22: Testauswertung M-ABC-2 von M. ............................................................................58<br />
Abb. 23: Testauswertung WET von M....................................................................................59<br />
Abb. 24: Testauswertung M-ABC-2 von I. ..............................................................................60<br />
Abb. 25: Testauswertung WET von I......................................................................................61