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MITTEILUNGEN DER RESIDENZEN-KOMMISSION DER ...

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en, kollektive Identitäten zu konstruieren, selbst wiederum institutionelle Regelungen nach<br />

sich zieht – Rituale etwa – und somit ein Vorgang der Institutionalisierung ist.<br />

Identitätsstiftung geschieht mittels Schöpfung von Kontinuitäts- bzw. Diskontinuitätsvorstellungen.<br />

Bekanntermaßen läßt sich Jan Assmann zufolge eine Typologie der Funktionsweise<br />

von Mythen konstruieren – Assmann nennt dies Mythomotorik –, die auf der in einem<br />

Mythos jeweils zum Ausdruck gebrachten Devianzerfahrung einer Gemeinschaft gegründet<br />

ist. In der Terminologie Assmanns werden fundierende, kontrapräsentische und revolutionäre<br />

Mythen unterschieden. Fundierende Funktion hat ein Mythos dann, wenn Gegenwart und<br />

Vergangenheit als übereinstimmend angesehen werden und der Mythos die Gegenwart als<br />

immerfort wiederkehrende Vergangenheit erklärt. Demgegenüber liegen kontrapräsentischen<br />

und revolutionären Mythen Brüche unterschiedlich starken Ausmaßes zwischen der Wahrnehmung<br />

der Gegenwart und der Wahrnehmung der Vergangenheit zugrunde. Die Devianzerfahrung<br />

zur Vergangenheit tritt also beim fundierenden Mythos beginnend über den kontapräsentischen<br />

bis hin zum revolutionären Mythos immer deutlicher zu Tage. Karl-Siegbert<br />

Rehberg arbeitet in seinem den Band einleitenden Beitrag in Anlehnung an die Assmannsche<br />

Typologie verschiedene Leitmotive und Konstruktionseigenschaften von Mythen heraus, die<br />

die an der Devianzerfahrung orientierte Klassifizierung von Mythen konkretisieren: Fundierende<br />

Wirkung wird erzielt durch Kontinuitätsvorstellungen, die gleichsam Ausdruck scheinbar<br />

gewachsener Selbstverständlichkeiten sind, ebenso aber auch unter Zuhilfenahme des<br />

Denkmodells der Überzeitlichkeit, in dem die Gegenwart mythologisch an einen fernen Uranfang<br />

gekoppelt wird, wobei meist das Dazwischenliegende übersprungen und einfach ausgeblendet<br />

wird. Mythen können außerdem fundierend wirken, indem in ihnen die Zielgerichtheit<br />

der Institutionen einer Gemeinschaft begründet, eine sozusagen kollektivbiographische<br />

Teleologie behauptet wird. Sie können demgegenüber allerdings auch kontrapräsentisch<br />

angelegt sein, dadurch daß mit ihnen die eigene Geschichte als Verfall früheren<br />

Glanzes oder gar vorgezeichneter Untergang dargestellt wird, dem dann gegebenenfalls in<br />

revolutionärer Absicht eine neue Zeitordnung entgegengestellt wird, welche das bis dahin<br />

Geschehene als bloße Vorgeschichte erscheinen läßt. In der Folge geschichtlicher Umbrüche<br />

werden in legitimatorischer Absicht kollektive Identitäten durch bewußte Aneignung eines<br />

geschichtlichen Erbes geschaffen. Dies geschieht wiederum in fundierender oder kontrapräsentischer<br />

Weise, je nachdem wie dieses Erbe zugeschnitten wird. Schließlich wird auf der<br />

Ebene der institutionellen Historisierungsformen die Genealogie genannt, die es ermöglicht,<br />

Individual- und Kollektivebene miteinander zu verknüpfen, etwa indem das situative Charisma<br />

eines Gründungsakteurs im nichtalltäglichen Gründungsmoment durch Konstruktion<br />

eines Abstammungsverhältnisses aktueller Handelnder zu diesem Gründungsakteur zu veralltäglichen<br />

versucht wird.<br />

Die verschiedenen Aspekte der einleitenden Überlegungen Karl-Siegbert Rehbergs werden<br />

in weiteren 13, drei Rubriken zugeordneten Beiträgen anhand von Fallstudien exemplifiziert.<br />

In der ersten Rubrik („Mythen“) werden einzelne Mythen bzw. Mythenkomplexe in<br />

ihrer Konstruktions- und Wirkungsweise vorgestellt. Dabei geht es um Marathon und Troja<br />

als fundierende Mythen (Hans Joachim Gehrke), um die Bedeutung des genealogischen Prinzips<br />

im Mittelalter und den literarischen Versuch, Kontinuität durch Genealogien zu schaffen,<br />

am Beispiel des Eneasromans Heinrich von Veldeckes (Beate Kellner), um die zunehmende<br />

globale Wirkung eines Nationalmythos, dem Jeanne d’Arc-Mythos (Dietmar Rieger), um die<br />

kollektive Erinnerung an Kriegserfahrungen in Jubiläumsfeiern im Rußland des 19. und frühen<br />

20. Jahrhunderts (Konstantin Tsimbaev) sowie in der Ukraine und in Polen während des<br />

frühen 20. Jahrhunderts (Christoph Mick). In der zweiten Rubrik („Geschichtspolitik und<br />

Selbsttraditionalisierung“) werden Beispiele der Institutionalisierung von Eigengeschichten<br />

und für das kollektive Selbstverständnis konstitutiven Elementen diskutiert. Hierzu gehören<br />

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