9. September, 2011 8. September 2011 8.30-9.00 Empfan
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Zur Zeit, befasst sich eine Parawissenschaft, die erst seit 1972 den Namen Translatologie (auf<br />
Französisch – „traductologie“) trägt 4 , mit der Forschung der Sprachmittlung. Die Translatologie wird von<br />
manchen als echte Wissenschaft betrachtet (und auch „Übersetzungswissenschaft“ genannt), jedoch,<br />
meines Erachtens nach, hat die Translatologie noch nicht das Niveau der Wissenschaftlichkeit voll<br />
erreicht, denn es wird noch nicht genug systematisch und methodisch nach neuen Erkenntnissen gesucht<br />
und noch zu viel empirisch gearbeitet. Fast jeder namhafte Übersetzungswissenschaftler scheint vom<br />
neuen anzufangen, ohne Aspekte des bereits bestehenden Fachwissens zu verwerten oder deren<br />
Unwissenschaftlichkeit eindeutig zu demonstrieren. Echte Wissenschaft fängt an, wann „Adamismus“<br />
aufhört.<br />
Die Translatologie hat einen starken interwissenschaftlichen Charakter und ist in erster Linie mit<br />
der Philologie, der Sprachwissenschaft und den Kommunikationswissenschaften eng verknüpft. Und weil<br />
verschiedene Sprachen aus verschiedenen Kulturen entsprungen sind, ist die Kommunikation durch<br />
Übersetzungen und Verdolmetschungen eine interkulturelle Kommunikation par exellence.<br />
Bei der Sprachmittlung muss man immer die Quasikonsubstantialität von Sprache und<br />
Kulturraum (in dem die Sprache entstanden ist, als Kommunikationsmittel verwendet wird und typische<br />
Kommunikationsmodelle schafft) berücksichtigen. So wie die Linguistik lehrt, ist jede Sprache nicht nur<br />
ein Kommunikationsmittel, sondern auch ein einzigartiger Wahrnehmungs-, Interpretations- und<br />
Symbolisierungsmodus des Daseins und der Weltelemente. Also muss man nicht nur Äquivalenzen<br />
zwischen Elementen, Strukturen und Normen zweier Sprachsysteme, sondern auch Äquivalenzen<br />
zwischen Elementen zweier Weltbilder finden. Die möglichen Äquivalenzen dieser Art sind aber nicht<br />
immer Identitäten, sondern bloß Ähnlichkeiten. Die selben Sachen und Erscheinungen werden in<br />
verschiedenen Sprachen nicht nur durch verschiedene Lautfolgen symbolisiert, sondern können auch<br />
verschiedene Eigenschaften in der subjektiven Welterkenntnisart jeweiliger Sprachen haben. Ein und<br />
dieselbe Sache, die, zum Beispiel, im „rumänischen Glossokosmos“ schön und gut ist, kann im<br />
„deutschen Glossokosmos“ als hässlich und schlecht erscheinen.<br />
So wie jede kulturelle oder wissenschaftliche Tätigkeit, benötigt auch die Sprachmittlung<br />
universale Prinzipien, aus welchen man Theorien und Gesetzmäßigkeiten ableiten können soll. 5 Obwohl<br />
man immer Sprachmittlungskonstellationen entdecken wird, in welchen man solche Prinzipien nicht<br />
konkret anwenden kann, bedeutet es nicht, dass universale Prinzipien Schimären, ohne jeglicher<br />
pragmatischen Bedeutung sind. So wie Einsteins Relativierung von Zeit und Raum und die riemannsche<br />
Geometrie nicht die Wahrnehmung der Menschen, dass die Gegenstände aus dem Umfeld sich immer in<br />
einem euklidischen Raum, nach newtonschen Gesetzen bewegen, geändert hat, ist es vielleicht sinnvoll,<br />
dass man zu mindestens in dieser Protophase der Translatologie erstmals Theorien auf einfachen aber<br />
allgemein anerkannten Grundsätzen, unter Verwendung von eindeutigen Begriffen, errichten soll. Ein<br />
solches Prinzip könnte lauten: „Was man nicht versteht, kann man nicht übersetzen“ 6 . Eine<br />
komplementäre Behauptung wäre: „Wenn man etwas verstanden hat, ist es nicht gewiss, dass man das<br />
Verstandene auch in einer bekannten Sprache übersetzen kann“.<br />
Diese Grundsätze müssen sich die Sprachmittler aneignen, bevor sie komplizierte<br />
übersetzungswissenschaftliche Theorien und Modelle, Fachsprachen und terminologische Systeme zu<br />
lernen und anzuwenden beginnen. Es muss aber betont werden, dass Verstehen nicht einfache<br />
Bedeutungserfassung ist, sondern viel mehr ein inhaltliches Begreifen von Sachlagen und Verhältnissen.<br />
Die Bedeutungserfassung ist kein komplettes Verstehen, und, in vielen Fällen, auch kein „für die<br />
Durchführung der Übersetzung ausreichendes Verstehen“.<br />
Selbstverständlich müssen die Prinzipien einer kulturellen oder wissenschaftlichen Tätigkeit (und<br />
die Sprachmittlung ist eine Tätigkeit dieser Art) auf Wahrheit beruhen. Absolute Wahrheit ist aber ein für<br />
die permanente Orientierung der Kultur- und Wissensakte zu abstrakter Begriff. Deswegen ist die<br />
Schöpfung und Annahme eines partikulären Modells der Wahrheit, ähnlich, zum Beispiel, der<br />
geometrischen Postulate, sehr sinnvoll. Und Paul Ricoeur formuliert mindestens zwei solche Postulate:<br />
a) „Das Unübersetzbare“ gibt es nicht.<br />
4<br />
Die Bezeichnung „Translatologie“ wurde zum ersten mal vom französischen Germanisten, Übersetzer und<br />
Philosophen Jean-René Ladmiral verwendet.<br />
5<br />
Magda Jeanrenaud hat ihr übersetzungswissenschaftliches Buch besonders ausdrucksvoll betitetelt: „Universaliile<br />
traducerii“ [JEANRENAUD, 2006].<br />
6<br />
Im Aufsatz „Traducerea filozofiei, filozofia traducerii”(einführende Studie zu einem Werk Ricoeurs [RICOEUR,<br />
2005:9], übersetzt und zitiert Magda Jeanrenaud folgende Behauptung der Katharina Reiß: „Necesitatea de a putea<br />
reconstitui raţionamentul filozofului se poate reduce la principiul care se aplică la orice tip de text: nu poţi traduce<br />
fără sa înţelegi“.<br />
3