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Spot On: Deutschland - Wiener Konzerthaus

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poton<br />

Ein Festival<br />

deutscher Kultur<br />

im <strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong><br />

25. und 26. September 2010<br />

magazin


Bringt Sie auf den Boden<br />

der Träume zurück.<br />

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poton<br />

deutschland<br />

Mit diesen Zeilen beginnt das dritte<br />

«<strong>Spot</strong> <strong>On</strong>»-Festival des <strong>Wiener</strong><br />

<strong>Konzerthaus</strong>es. Diesmal ist es thematisch<br />

<strong>Deutschland</strong> gewidmet. Für viele<br />

kommt das als Überraschung. Warum<br />

<strong>Deutschland</strong> nach «Jiddischkeit» und<br />

«Turkey Now»?<br />

Die Deutschen sind die größte Migrationsgruppe<br />

in Österreich. Deutsche<br />

arbeiten in der österreichischen<br />

Gastro nomie, der Pflege oder im<br />

Management. Sie kommen zum<br />

Studieren nach Österreich. Ebenso<br />

leben viele Österreicherinnen und<br />

Österreicher in <strong>Deutschland</strong>.<br />

Wenn man über Deutsche in Österreich<br />

spricht, kommt kaum das Thema<br />

einer Integrationsproblematik auf. Die<br />

gemeinsame Sprache löst oberflächlich<br />

das Thema Integration. Erst wenn<br />

man tiefer schaut, sieht man, dass das<br />

gar nicht stimmt. Viele Deutsche in<br />

Österreich leben nach verschiedenen<br />

Berichten weniger integriert als<br />

Menschen mit anderem Migrationshintergrund.<br />

Dieses Faktum, das es kaum<br />

in die Öffentlichkeit schafft, spottet<br />

allen großen politischen Reden, die<br />

von Menschen, die sich in Österreich<br />

niederlassen wollen, erst Deutschkenntnisse<br />

verlangen.<br />

Es ist an der Zeit, in den wachsenden<br />

Dimensionen unserer heutigen Welt<br />

zu denken, wo man in zwei Stunden<br />

nicht nur das nächstgelegene Dorf<br />

erreichen kann, sondern alle europäischen<br />

Hauptstädte. Es ist an der Zeit,<br />

die Hintergründe der Menschen, mit<br />

denen wir zusammenleben, wert zu<br />

schätzen, denn sie sind die Farben, die<br />

das bunte Bild unseres Lebens bereichern.<br />

Ein weiterer Grund für «<strong>Spot</strong> <strong>On</strong>:<br />

<strong>Deutschland</strong>» ist die faszinierende<br />

Geschichte dieses Landes in den<br />

letzten fünfzig Jahren. Ich kann mich<br />

sehr gut an meine ersten Besuche im<br />

geteilten Berlin in den Achtzigerjahren<br />

erinnern. Die Angst beim Grenzübertritt<br />

zwischen West- und Ostberlin<br />

scheint heute wie ein Albtraum. In der<br />

Zwischenzeit haben wir nicht einmal<br />

mehr Grenzkontrollen zwischen Österreich<br />

und <strong>Deutschland</strong>. Ein kleiner<br />

Aspekt in der jüngsten Geschichte<br />

unseres größten Nachbarlandes.<br />

Das Festival wird unterschiedliche<br />

Facetten unseres heutigen <strong>Deutschland</strong>bildes<br />

beleuchten. Wir hoffen,<br />

dass es für Sie Anlass ist, sich mehr<br />

mit der neuesten deutschen Kultur<br />

auseinanderzusetzen und den<br />

Reichtum zu erspüren, den andere<br />

Kulturen für uns bereit halten.<br />

Das Team des <strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong>es<br />

und ich freuen uns auf zwei<br />

aufregende Tage mit Ihnen bei<br />

«<strong>Spot</strong> <strong>On</strong>: <strong>Deutschland</strong>»!<br />

Bernhard Kerres<br />

1


2<br />

Grußworte des deutschen Botschafters<br />

Ich freue mich sehr, dass das <strong>Wiener</strong><br />

<strong>Konzerthaus</strong> für sein in diesem Jahr<br />

zum dritten Mal stattfindendes<br />

Saison-Eröffnungsfestival <strong>Deutschland</strong><br />

als Schwerpunktland ausgewählt hat.<br />

Der Anlass könnte kein schönerer sein,<br />

nämlich der 20. Jahrestag der Wiedervereinigung<br />

<strong>Deutschland</strong>s.<br />

Erinnern wir uns: Nach dem Fall der<br />

Mauer in der Nacht des 9. November<br />

1989 wurde am 12. September 1990<br />

mit der Unterzeichnung des Zwei-plus-<br />

Vier-Vertrages zwischen<br />

den Außenministern<br />

der<br />

beiden<br />

deut-<br />

schen Staaten und den Siegermächten<br />

des Zweiten Weltkriegs der Weg für<br />

die Wiedervereinigung geebnet. Am 3.<br />

Oktober 1990 trat der Vertrag zur<br />

Deutschen Einheit in Kraft, die wieder<br />

gegründeten Länder der DDR traten<br />

dem Geltungsbereich des Grundgesetzes<br />

bei.<br />

Heute, 20 Jahre später, präsentiert sich<br />

<strong>Deutschland</strong> als weltoffenes, kreatives<br />

und von kultureller Vielfalt geprägtes<br />

Land. Die Semperoper in Dresden, das<br />

Gewandhaus zu Leipzig, das Goethe-<br />

Haus in Weimar, die Porzellanmanufaktur<br />

in Meissen, die in diesem Jahr<br />

ihr 300-jähriges Gründungsjubiläum<br />

feiert, die Ostsee mit ihren Hanse-<br />

städten nehmen im wiedervereinigten<br />

<strong>Deutschland</strong> wieder ihren angestammten<br />

Platz als Magnete für<br />

Besucher aus aller Welt ein. Auch der<br />

künstlerische Austausch zwischen<br />

<strong>Deutschland</strong> und seinen Partnern in<br />

den fünf Kontinenten war noch nie so<br />

vielschichtig und intensiv wie jetzt.<br />

Das Festival «<strong>Spot</strong> <strong>On</strong>: <strong>Deutschland</strong>»<br />

hier in Wien bietet dafür ein wunderbares<br />

Beispiel. Ich wünsche dem<br />

Festival viel Erfolg und gutes Gelingen.<br />

Hans-Henning Blomeyer-Bartenstein,<br />

Botschafter der Bundesrepublik<br />

<strong>Deutschland</strong> in Österreich


Wenn die Ösi mit dem Piefke...<br />

Wie erleben deutsche Migranten die Aufnahme in die österreichische Gesellschaft? Und wie gestaltet<br />

sich österreichisches Leben in <strong>Deutschland</strong>? In den folgenden beiden Erfahrungsberichten geben prominente<br />

Vertreter der «Spezien» homo austriacus und homo germanicus Auskunft: Der Berliner Schauspieler<br />

Detlev Eckstein erinnert sich an seine sprachliche Sozialisierung in Österreich und die aus Wien<br />

gebürtige Schriftstellerin Eva Menasse erläutert die Vorzüge des Berliner Lebens – ein Wegweiser für<br />

Neuankömmlinge.<br />

«Zwischen den Sesseln»<br />

Von Detlev Eckstein<br />

Seit dem 1. April 1974 sitze ich zwischen zwei<br />

Stühlen, oder soll ich sagen Sesseln? Denn «Stuhl»<br />

ist deutsch und hat in Österreich eher eine medizinische<br />

Bedeutung, die zum Himmel stinkt. In<br />

<strong>Deutschland</strong> hingegen ist «Sessel» der Inbegriff der<br />

Gemütlichkeit, etwas worin man sich wohl fühlt,<br />

also das genaue Gegenteil. Und Gemütlichkeit ist<br />

eine Eigenschaft, die wir Deutschen gerne den<br />

Österreichern zuordnen. Helmut Qualtinger war da<br />

anderer Meinung: Als er einmal von einem Rheinländer,<br />

der ihn erkannt hatte, auf einen Schnaps<br />

eingeladen wurde, mit dem Trinkspruch «Auf die<br />

<strong>Wiener</strong> Gemütlichkeit», setzte er das volle Schnaps-<br />

«Unter Piefkes»<br />

Von Eva Menasse<br />

Das bestimmende Element der nachbarlichen Beziehungen ist<br />

zweifellos die Spannung zwischen deutscher Arroganz und österreichischem<br />

Minderwertigkeitsgefühl. Nach bald zehn Jahren in Berlin<br />

wage ich zu behaupten: Erstere existiert nicht, zweiteres dagegen<br />

sehr wohl. Und beides beschäftigt nur die Österreicher.<br />

Stellen wir uns eine Schulklasse vor, in der die Körpergröße der<br />

Kinder der politischen Bedeutung ihrer jeweiligen Nation entspricht.<br />

Der Deutsche blickt sich um, sieht einen Briten, einen Franzosen,<br />

einen Spanier, und wenn er sich ein bisschen reckt, dann nickt ihm<br />

vielleicht sogar der lange Amerikaner zu. Dass er mit den unter ihm<br />

wuselnden kleinen Österreichern, Belgiern, Schweizern oder<br />

Tschechen spielt, kommt ihm gar nicht in den Sinn.<br />

Fortsetzung nächste Seite Fortsetzung nächste Seite<br />

Illustrationen:<br />

«Schwarz, Rot, Gold –<br />

eine Liebeserklärung»<br />

Photoserie von Egbert Zinner (2008-10)<br />

3


4<br />

Fortsetzung von voriger Seite<br />

glas verkehrt herum auf den Tisch und sagte: «Mir<br />

<strong>Wiener</strong> san net g’mütlich!»<br />

Überhaupt habe ich in den 35 Jahren, die ich nun in<br />

Österreich lebe, den Eindruck bekommen, dass<br />

Deutsche und Österreicher, trotz des geographischen<br />

Naheverhältnisses und der gemeinsamen Sprache,<br />

wenig voneinander wissen, und vielleicht auch gar<br />

nicht wissen wollen. Es ist ja viel einfacher, die<br />

Klischees, die sich da so aufgebaut haben, weiter zu<br />

benutzen. Der Österreicher, ganz besonders der<br />

<strong>Wiener</strong>, ist «gemütlich», was für Deutsche irgendwie<br />

impliziert, er ist, nun ja, faul. Der Deutsche hingegen<br />

ist hochfahrend, besserwisserisch, herablassend und<br />

begreift nicht, welch geniale Auswirkungen ein<br />

gewisses «Schlampertsein» haben kann.<br />

Angekommen in Wien, hatte ich zunächst einige<br />

Verständigungsschwierigkeiten. Wenn ich zum<br />

Beispiel «Grüß Gott» sagte, wurde mir meistens ein<br />

«Guten Tag», mit weichem «T» und trotzigem Blick,<br />

zurückgegeben. Wieso das denn? Sagte man denn in<br />

Österreich nicht «Grüß Gott»? Wenn ich dann aber<br />

mit «Guten Tag» grüßte, bekam ich ein belehrend<br />

strafendes «Grüß Gott» zurück. Ich brauchte einige<br />

Zeit, bis ich begriff, dass damit jeweils die Zugehörigkeit<br />

zu einer der beiden politischen «Reichshälften»<br />

signalisiert wurde. Den Unterschied zwischen grünen<br />

Bohnen und Fisolen, die man nicht in die Tüte,<br />

sondern ins Sackerl oder ins Stanitzerl packt,<br />

zwischen Hackfleisch und Faschiertem, Lungenhaschee<br />

und Beuschel, Kartoffelpuffer und Reiberdatschi<br />

lernte ich dagegen recht schnell, wenn ich in der<br />

Kantine des Burgtheaters von einheimischen<br />

Kollegen liebevoll-spöttisch ausgebessert wurde. Und<br />

es wurde mir auch schnell klar, dass, wenn dich einer<br />

fragte: «Wüüst an Köch?», er dir nicht etwa ein<br />

Kohlgericht servieren wollte, sondern dir eher etwas<br />

androhte, was man in Berlin «Backpfeife» nennt,<br />

also, auf gut <strong>Wiener</strong>isch, eine «Detschen».<br />

Und ich fand es spannend, eine für mich «neue<br />

Sprache» zu erlernen, ihren Ursprüngen auf den<br />

Grund zu gehen, die böhmischen, ungarischen,<br />

jiddischen, kroatischen, italienischen Einflüsse zu<br />

verstehen, die so wunderschöne Worte wie Pawlatschen,<br />

Paradeiser oder Palatschinke hervorgebracht<br />

haben. Dagegen schmecken Tomate und Pfannkuchen<br />

doch ein wenig nach Glashaus und Backmischung.<br />

Schade, dass es durch den Einfluss des Kabelfernsehens,<br />

des oft schlechten Synchrondeutsch und des<br />

Fortsetzung nächste Seite<br />

Fortsetzung von voriger Seite<br />

Gedankenverloren streicht er ihnen über den Kopf, den süßen<br />

Zwergen, sobald ihm einer gegen den Oberschenkel prallt. Das sind<br />

die natürlichen deutschen Perspektiven.<br />

Der Österreicher jedoch, und hier spielt nun die gemeinsame<br />

Sprache eine unselige Rolle, fühlt sich, frisch in <strong>Deutschland</strong>, wie<br />

ein Kuhhirt in der Oper. Wenn er nicht gerade in Bayern, Sachsen<br />

oder Schwaben gelandet ist, kommt ihm die eigene Sprache plump<br />

und peinlich vor, gegenüber den klaren harten Konsonanten und<br />

den schwingenden Diphtongen der deutschen Hochsprache – und<br />

gegenüber «Mülleimer» (statt Mistkübel) und «Reinigung» (statt<br />

Putzerei) sowieso.<br />

Gerade auf dem Gebiet des Obszönen gibt es erhebliche sprachliche<br />

Unterschiede, die zu ebenso erheblichem Befremden führen<br />

können. Erstens: Österreicher fluchen und schimpfen öfter und<br />

ungehobelter. Für mich ist es relativ normal, «Scheiße!» zu sagen,<br />

auch wenn mir nur der Schlüsselbund aus der Hand gefallen ist. Die<br />

Deutschen zucken da schon zusammen. Wenn es gar nicht anders<br />

geht, flüstern sie höchstens geziert «Schiete», oder geben bekannt,<br />

ihr Arbeitstag sei bisher «eher besch... eiden» gewesen. Umgekehrt<br />

traf mich fast der Schlag, als ein hoher deutscher Politiker im Fernsehen<br />

sagte: «Da wäre ich doch mit dem Klammerbeutel gepudert!»<br />

Ich hatte keine Ahnung, was ein Klammerbeutel ist (der Beutel<br />

für die Wäscheklammern, den man in diesem Sprachbild anstelle<br />

der weichen Puderquaste benutzt), deshalb klang das in meinem<br />

Ösi-Ohr (pudern = ficken) wie eine sadistische sexuelle Praxis. Und<br />

so weiter. In <strong>Deutschland</strong> könnte niemand «Votzi» heißen, in Österreich<br />

niemand «Fut». Beide Nachnamen sind im jeweils anderen<br />

Land gebräuchlich.<br />

Warum wirkt der (West-) Deutsche arrogant? Ich glaube, er ist bloß<br />

auf eine hoch effiziente, aber beängstigende Weise schnörkellos. Er<br />

spricht nicht in Mäandern, Ellipsen oder Gewölk. Er tastet sich nicht<br />

heran, er schlägt sich durch. Deshalb neigt er auch übermäßig der<br />

Floskel zu. Gerhard Schröder zum Beispiel regierte im Grunde mit<br />

drei Sätzen: «Ich will hier rein!», «Das ist Fakt!», «Und damit Basta!»<br />

Dagegen fällt es uns Österreichern seit jeher schwer, zum Punkt zu<br />

kommen. Wir scheuen die Eindeutigkeit wie die Motten das Licht.<br />

Wir verirren uns tief in höflichen Nebensatzgestrüppen. Die<br />

sprachliche Mehrdeutigkeit vor allem des hinterfotzigen <strong>Wiener</strong>s ist<br />

sprichwörtlich. Im Blödeln, Kalauern und dialektischen Relativieren<br />

sind wir Weltmeister. Wahrscheinlich bringen wir deshalb unverhältnismäßig<br />

viele gute Schriftsteller hervor. Diese sprachlichen<br />

Unterschiede sind natürlich Abbild des Charakters. Wahrscheinlich<br />

fällt es mir deshalb inzwischen leichter, in <strong>Deutschland</strong> zu leben.<br />

Das, was man sieht und hört, ist meistens das, was ist. Keine<br />

Hintergedanken, keine versteckte Bedeutung, keine Codes, und viel<br />

weniger zur Schau getragene Neurosen.<br />

«Haben Sie nicht schrecklich Heimweh?», fragen mich die austrophilen<br />

Deutschen mitleidig. Ich gebe zu, ich sehne mich nach<br />

Fortsetzung nächste Seite


Fortsetzung von voriger Seite Fortsetzung von voriger Seite<br />

«Amerikanismus» zu einer immer weitergehenden<br />

Verflachung der Umgangssprache kommt. «Tschüss»<br />

und «Kein Problem» passen irgendwie nicht hierher und<br />

«Servus», «Baba» und «Gern g’schehen!» klingen für<br />

mich einfach schöner. Auf das scheußliche Politiker-<br />

Österreichisch, welches sich einige Volksvertreter<br />

angewöhnt haben und das daraus besteht, sich mit dem<br />

übelsten Gassenjargon anzubiedern, will ich hier nicht<br />

weiter eingehen, wende mich lieber meinem Bücherkasten<br />

(!) zu und habe die lustvolle Qual der Wahl<br />

zwischen Bachmann, Mayröcker, Jandl, Artmann, Bauer,<br />

Friedell, Hofmannsthal, Schnitzler, Lernet-Holenia,<br />

Herzmanovsky-Orlando, Joseph Roth, Gerhard Roth,<br />

Doderer, Handke und soo vielen anderen.<br />

Selbstverständlich ist Sprache ein «lebendig Ding», das<br />

von allen Seiten beeinflusst wird und sich ständig<br />

erneuert. Leider ist eine Seite besonders stark und<br />

deshalb bekommt man jetzt auch hier in Österreich<br />

immer häufiger «kriegen» und «schmeißen» statt<br />

«bekommen» und «werfen» und sinnloses «Das macht<br />

Sinn!» zu hören, auch im Radio und Fernsehen.<br />

Ich lebte schon seit über zehn Jahren in Wien und war<br />

für ein paar Tage in meiner Geburtsstadt Berlin. In einer<br />

Kneipe bestellte ich ein Bier. Der Wirt fragte mich<br />

freundlich: «Sie sind <strong>Wiener</strong>, wa?» Geschockt antwortete<br />

ich, dass ich «umme Ecke» auf die Welt gekommen<br />

bin, was er mit ungläubigem Staunen quittierte. Und in<br />

Wien werde ich immer wieder gefragt, wie lange ich<br />

denn hier bleiben würde und ob mir mein Urlaub hier<br />

gefiele.<br />

So sitze ich also zwischen den Stühlen, pardon Sesseln,<br />

nicht unbequem, und freue mich als Ausländer/Inländer<br />

in Österreich, in <strong>Deutschland</strong>, in ganz Europa zuhause<br />

zu sein.<br />

Detlev Eckstein, geboren 1949 in Berlin, ist seit 1974<br />

fixes Ensemblemitglied des <strong>Wiener</strong> Burgtheaters.<br />

Er studierte in Berlin und Stuttgart, wo er auch<br />

Theaterengagements inne hatte. 2007 wurde er zum<br />

Kammerschauspieler ernannt. Zahlreiche Film- und<br />

Fernsehrollen ergänzen sein künstlerisches Profil. Als<br />

Synchronsprecher gab er u. a. Kevin Spacey<br />

und Beau Bridges seine Stimme.<br />

Im Rahmen von «<strong>Spot</strong> <strong>On</strong>: <strong>Deutschland</strong>» liest Detlev<br />

Eckstein aus dem Essayband «Wir sind gekommen, um<br />

zu bleiben. Deutsche in Österreich», 2009 erschienen<br />

im Czernin Verlag (Hg. Eva Steffen). Dieser Publikation<br />

entstammen auch die beiden vorliegenden Texte<br />

(in gekürzter Fassung).<br />

meinen Freunden. Ich sehne mich auch nach dem guten Essen,<br />

für dessen Zubereitung man wahrscheinlich genau die<br />

Umstände machen muss, die sich der Norddeutsche in Jahrhunderten<br />

abtrainiert hat. Kochen ist österreichisch, ein bisschen<br />

hievon, ein bisschen davon, und am Schluss noch einen Schuss<br />

vom Gegenteil, kein Entweder-Oder wie bei den Preußen.<br />

Was ich aber keinesfalls vermisse, worüber ich vielmehr<br />

täglich froh bin, es los zu sein, ist das Enge, Kleine, Neurotische,<br />

das Beleidigte und Verhaberte. Nur in Österreich werde<br />

ich dauernd gebeten, irgendetwas umsonst oder für ganz<br />

wenig Geld zu machen, man kennt sich doch und es ist doch<br />

für einen guten Zweck. Und wenn das nicht zieht, dann<br />

kommen sie einem gleich damit, dass es schließlich auch<br />

Werbung für einen selbst sei, also schon fast wieder ein<br />

Gefallen, der einem getan wird.<br />

Nur in Österreich ist es so schwierig, nein zu sagen. Für fast<br />

alles scheint es eine moralische Verpflichtung zu geben. Nur in<br />

Österreich habe ich das Gefühl, dauernd alles falsch zu<br />

machen. Wer den Mund aufmacht, macht sich wichtig, aber<br />

wer sich zurückhält, ist feig. Wer kritisiert, ist ein Nestbeschmutzer,<br />

aber wer lobt, ein Langweiler. Wer zuhause bleibt,<br />

ist wohl doch nicht so talentiert, wie er selbst immer meinte,<br />

wer ins Ausland geht, ist ein Verräter.<br />

In Berlin dagegen kann ich in Ruhe leben. Wenn es mir nach<br />

einer Weile doch zu fad wird, fahre ich nach Wien. Kaum bin<br />

ich da, lädt mich der «Club 2» ein. Ich sage zu, obwohl meine<br />

Freundin C. meint, ich mache mich wichtig. Mein Cousin sagt,<br />

«geh hin, aber reg dich nicht auf». Das gelingt mir nicht, ich<br />

rege mich auf und brülle herum. Nachher streite ich um ein<br />

Honorar, starre auf vier Dutzend rechts radikale E-Mails, finde<br />

mich als Nestbeschmutzerin in der Kolumne eines senilen<br />

Journalisten, schreibe mit Freunden einen Offenen Brief gegen<br />

irgendeinen Rechten, und so weiter und so fort. Als die Zeit<br />

um ist, habe ich keine Zeile an meinem Buch geschrieben. In<br />

Österreich könnte man hauptberuflich wehrhafter Staatsbürger<br />

sein, acht Stunden am Tag. Mit letzter Kraft erreiche<br />

ich das Flugzeug in das psychodynamisch wie geographisch so<br />

viel flachere <strong>Deutschland</strong>. Dort stelle ich fest, dass mein Sohn<br />

inzwischen sein erstes österreichisches Wort gelernt hat,<br />

«pickert». «Honig ist pickert», sagt er stolz zu mir.<br />

Und ich stöhne: «Österreich auch».<br />

Eva Menasse, geboren 1970 in Wien, war Journalistin für profil<br />

und FAZ. 1999 ging sie zum ersten Mal nach Berlin, wo sie<br />

nach einem kurzen <strong>Wiener</strong> Zwischenspiel seit 2003 als freie<br />

Schriftstellerin lebt. 2005 erschien ihr Roman «Vienna», 2009<br />

der Erzählband «Lässliche Todsünden».<br />

Sie ist verheiratet mit einem Bayern.<br />

Der gemeinsame Sohn hat<br />

(noch) beide Staatsbürgerschaften.<br />

5


6<br />

Streitbare Brüder.<br />

Zum deutsch-österreichischen Verhältnis<br />

2000 Jahre Reibereien. Córdoba zuletzt, davor Königgrätz, und selbst in den Urwäldern der «grauen<br />

Vorgeschichte» keine Spur von Harmonie. Es scheint ein Naturgesetz zu sein. Deutsche und Österreicher<br />

mögen sich nicht, mochten sich nicht, niemals. Doch trotz all der kultivierten Animositäten darf man<br />

festhalten: So friedlich wie heute begegneten sich die «streitbaren Brüder» in ihrer langen Geschichte<br />

nur selten. – Von Hannes Leidinger und Verena Moritz<br />

Sogar in der weit entfernten<br />

Regierungsära des römischen Kaisers<br />

Augustus soll es nicht anders gewesen<br />

sein, damals, im Jahre 9 nach Christus,<br />

als der «hinterlistige Cheruskerfürst<br />

Hermann» mit seinen Verbündeten<br />

die Legionen des Augustus im «Teutoburger<br />

Wald» vernichtete und, wie<br />

es ironisch hieß, das «Bier gegen<br />

die Weinrebe» durchsetzte: Denn<br />

Hermann blieb mit seinen «wackeren<br />

Schwertträgern» aus «Nordrhein-<br />

Westfalen» allein. Unter den «germanischen<br />

Brüdern» herrschte alles<br />

andere als Einigkeit. Die «schlappen<br />

Österreicher» hatten keine Lust auf<br />

Schlachtenlärm und Kriegsruhm. Sie<br />

ließen die «Kollegen aus dem Norden»<br />

im «Regen stehen». «Wieder einmal»<br />

mussten «stramme Preußen» die<br />

«Kastanien» alleine aus dem Feuer<br />

holen.<br />

Derlei abenteuerliche Sichtweisen<br />

gewannen allerdings erst sehr viel<br />

später an Bedeutung. Deutsche und<br />

Österreicher würde man vor Jahrtausenden<br />

wohl vergeblich suchen. Die<br />

wilden ur- und frühgeschichtlichen<br />

Stämme hingegen träumten eigentlich<br />

noch nicht wirklich vom größeren<br />

Vaterland. Dem endenden 18. und<br />

beginnenden 19. Jahrhundert blieb es<br />

vorbehalten, mit einem veränderten<br />

Wir-Gefühl den Siegeszug des Nationalismus<br />

einzuleiten und nun auch nach<br />

mehr oder weniger deutlichen,<br />

althergebrachten Abgrenzungen zu<br />

«den Anderen» zu fahnden. Mit Blick<br />

auf die «Teutonen» oder «Teutschen»<br />

begannen sich bald bestimmte<br />

Zuschreibungen zu verfestigen.<br />

Tugend- und wehrhaft, stolz und<br />

grimmig sollen die «blonden Recken»<br />

gewesen sein; schon an den Abhängen


der Alpen und an den Grenzen zur<br />

pannonischen Ebene lebte hingegen<br />

ein lebensfroherer, sangesfreudiger<br />

und zugleich ein bisschen leichtfertigerer<br />

Menschenschlag. Das meinten<br />

zumindest die Interpreten des «Nibelungenliedes»<br />

Jahrhunderte nach<br />

dessen Entstehung im Mittelalter.<br />

Damals aber gehörte der Großteil jenes<br />

Territoriums, das heute die Alpenrepublik<br />

ausmacht, zum «Heiligen<br />

Römischen Reich», das schließlich<br />

mit dem Zusatz «deutscher Nation»<br />

versehen wurde. Solche Begriffe<br />

riechen freilich nach meist qualvollen<br />

Schullektionen, nach muffigem<br />

Geschichtsunterricht mit spärlichem<br />

Gegenwartsbezug. Dass das «Reich»<br />

auf den längst verfallenen Ruinen<br />

des so genannten «Feudalwesens»<br />

beruhte, verleiht der Sache kaum<br />

größere Attraktivität.<br />

Immerhin aber dürfte für unser Thema<br />

von Interesse sein, dass die Menschen,<br />

die damals in den heute zu <strong>Deutschland</strong><br />

und Österreich gehörenden<br />

Gebieten lebten, lange Zeit hindurch<br />

ähnliche, fast unveränderte Systeme<br />

und Lebensverhältnisse vorfanden.<br />

Gewissermaßen empfanden sie sich<br />

schon deshalb als «Brüder», weil sie<br />

mehrheitlich dem «einen Christengott»<br />

und seinen geistlichen oder weltlichen<br />

Vertretern auf Erden folgten.<br />

Trotzdem gab es Unterschiede.<br />

Geschichtsforscher lieferten dafür<br />

Argumente: Die «Babenbergermark»<br />

mit dem rot-weiß-roten Wappen<br />

und dem Namen «Austria» habe sich<br />

Sonderrechte verschafft, die Habsburger<br />

als Könige und Kaiser des<br />

«Heiligen Römischen Reichs» seien<br />

gierig auf der Suche nach Besitzungen<br />

außerhalb des «Reichs» gewesen.<br />

Dass dessen Fürsten allesamt und<br />

unterschiedslos Privilegien sowie ein<br />

hohes Maß an Selbständigkeit beanspruchten,<br />

wurde immer wieder außer<br />

Acht gelassen. Dabei griffen etwa die<br />

«Hannoveraner» nach dem englischen<br />

Königtum, während die Machtentfaltung<br />

der Hohenzollern untrennbar<br />

mit dem Namen «Preußen» verknüpft<br />

war, einer Gegend, die bereits seit<br />

geraumer Zeit nichts mehr mit dem<br />

«Imperium» zu tun hatte.<br />

Neben dem Gerangel um Titel und<br />

Ländereien entstanden unterdessen<br />

zusätzliche und mindestens ebenso<br />

gefährliche Konfliktherde. Schließlich<br />

entglitten dem katholischen<br />

Kaiserhaus im Zuge der Reformation<br />

und der «Glaubenskriege» beinahe<br />

völlig die Zügel. Ein mühseliger<br />

Ausgleich zwischen den Kontrahenten<br />

trennte fortan das wackelige Reichsgefüge<br />

grob gesagt in einen evangelischen<br />

Norden und einen «romtreuen»<br />

Süden. Klischees vom schmucklosnüchternen<br />

und selbstgerecht-<br />

arroganten «Junker» im protestantisch-kalvinischen<br />

Hohenzollernstaat<br />

einerseits und vom pomphaft-üppigen,<br />

lebensfroh-barocken und katholischformenreichen<br />

Habsburgerimperium<br />

begannen sich zu verbreiten.<br />

Zu allem Überfluss fingen Wien und<br />

Berlin im 18. Jahrhundert außerdem<br />

an, auf dem Schlachtfeld aufeinander<br />

einzudreschen. Dass der Preußenkönig<br />

Friedrich II. der Habsburgerin Maria<br />

Theresia Schlesien entrissen hatte,<br />

verzieh ihm die «Kaiserin» nie. Dem<br />

Rivalen und «Erzschuft» Friedrich<br />

wünschte sie fortan Tod und Teufel an<br />

den Hals. So ging dem deutsch-österreichischen<br />

Gegensatz also der<br />

preußisch-habsburgische voran.<br />

Mehr als hundert Jahre duellierten<br />

sich die «streitbaren<br />

Brüder» um die Führung in<br />

den «deutschen Ländern».<br />

Das «Heilige Römische<br />

Reich» war schon untergegangen,<br />

als 1866 bei Königgrätz<br />

die Österreicher<br />

politisch und militärisch den<br />

Kürzeren zogen und die<br />

siegreichen «Saupreußen» in<br />

Wien nun tüchtig verflucht<br />

wurden.<br />

Vor diesem Hintergrund bildeten sich<br />

Schimpfworte mit bleibender Wirkung<br />

heraus: Johann Gottfried Piefke verkörperte<br />

für die Bewohner der Donaumonarchie<br />

die gängigsten Stereotypen<br />

des Preußentums. Der Militärmusiker,<br />

der für den «Königgrätzer Marsch»<br />

verantwortlich zeichnete, figurierte<br />

aus dem Blickwinkel der Besiegten mit<br />

seinem zackigen Auftreten als idealtypischer<br />

Preuße. Das Verhalten imponierte,<br />

erschien dem <strong>Wiener</strong> Publikum<br />

aber auch gleichermaßen grotesk wie<br />

abstoßend.<br />

Die Habsburger, die in <strong>Deutschland</strong><br />

ausgespielt hatten, schlossen nichtsdestoweniger<br />

ein enges Bündnis mit<br />

den «Piefkes». Von einer «Liebesheirat»<br />

war man freilich weit entfernt,<br />

auch wenn Franz Joseph I. 1914 an<br />

der Seite des deutschen Kaisers<br />

Wilhelm II. gegen die gemeinsamen<br />

Feinde zu Felde zog. Hinter den<br />

Kulissen der aufdringlich beschworenen<br />

«Brüderlichkeit» machten sich<br />

während des Ersten Weltkrieges aber<br />

zunehmend Unstimmigkeiten breit.<br />

Die Koalition zwischen «Walzer» und<br />

«Marschmusik», «Kaffeehaus» und<br />

«Paradeplatz» mündete häufig in<br />

Ressentiments und Ablehnung.<br />

7


8<br />

Als 1918 das deutsche Kaiserreich<br />

und auch die Habsburgermonarchie<br />

zusammenbrachen, pochte man<br />

trotzdem auf Gemeinsamkeiten. Die<br />

kleine «deutschösterreichische» Republik<br />

betrachtete das Zusammengehen<br />

mit dem «großen Bruder» als logische<br />

Konsequenz der historischen Ereignisse<br />

und als Chance, die verlorene<br />

eigene «Größe» zu überwinden. Aus<br />

der angestrebten «Verbindung» wurde<br />

vorläufig jedoch nichts. <strong>Deutschland</strong><br />

blieb dennoch in vielen Belangen ein<br />

zentraler Bezugspunkt. Selbst der auf<br />

Unabhängigkeit bedachte katholische<br />

«Ständestaat» definierte sich als<br />

zweites und besseres deutsches<br />

Land. Den «Anschluss» an das «Dritte<br />

Reich» im März 1938 empfanden<br />

schließlich viele in Österreich als<br />

Erfüllung jenes Wunsches nach Vereinigung,<br />

welcher der Republik beinah<br />

20 Jahre zuvor verwehrt worden war.<br />

Erst die Niederlage des NS-Gewaltregimes<br />

markierte einen Wendepunkt.<br />

Was zunächst vor allem die Alliierten<br />

anstrebten, verinnerlichte schließlich<br />

die Zweite Republik: Das Bekenntnis<br />

zum neutralen Kleinstaat brachte die<br />

vorher «anschlussfreudigen» Österreicher<br />

endgültig auf antideutschen<br />

Kurs. Auf diese Weise ließ sich auch<br />

die Mitverantwortung für die nationalsozialistischen<br />

Verbrechen abstreifen.<br />

Nichtsdestoweniger wurde der «große<br />

Bruder» als Handelspartner und<br />

Tourist umworben.<br />

Von den Gründen und Abgründen der<br />

österreichischen Nationsbildung<br />

verstanden die «Piefkes» jedoch<br />

herzlich wenig. Hinzu kam eine<br />

zuweilen als herablassend empfundene<br />

Gleichgültigkeit gegenüber dem<br />

kleinen Nachbarland, das sich seinerseits<br />

zwischen provinziellem Minderwertigkeitgefühl<br />

und chauvinistischem<br />

Größenwahn platzierte. Die zeitweilig<br />

verkrampfen österreichischen Eigendefinitionsversuche<br />

kamen aber ohne<br />

«die Deutschen» nicht aus. Nicht bloß<br />

die Nähe, sondern vor allem die<br />

Distanz zu ihnen bestimmte nun, nach<br />

1945, Österreichs Selbstwahrnehmung.<br />

Liebgewonnene Vorurteile wärmt man<br />

hier bis heute auf: Leichte Kost soll<br />

es sein, tiefer wird selten geschürft.<br />

Zum besseren Verständnis einer<br />

«schwierigen Nachbarschaft» trägt<br />

der gewohnte Kanon einer gebetsmühlenartig<br />

vorgetragenen Hass-<br />

Liebe aber kaum bei, und auf einer rein<br />

humoristischen Ebene lässt sich das<br />

Verhältnis der beiden Länder mit Blick<br />

auf die Geschichte nicht ohne Weiteres<br />

abhandeln.<br />

Hannes Leidinger und Verena Moritz,<br />

beide geboren 1969, lehren am Institut<br />

für Geschichte der Universität Wien.<br />

Sie sind Koautoren und -herausgeber<br />

von «Streitbare Brüder. Österreich :<br />

<strong>Deutschland</strong>. Kurze Geschichte einer<br />

schwierigen Nachbarschaft» (2010).


«In der DDR wäre ich kaputtgegangen...»<br />

Dirk Merbachs Flucht aus Ostdeutschland wurde schnell von der Geschichte eingeholt. Drei Wochen<br />

nach seiner Ankunft im Westen fiel die Berliner Mauer. Bis heute teilt dieses Ereignis sein Leben in zwei<br />

Teile. Im Interview erzählt der 46-jährige Zeitungsdesigner über den Alltag im «Osten», seine Konflikte<br />

mit dem SED-Regime und seine Angst vor einem Bürgerkrieg. – Von Wolfgang Zwander<br />

Wolfgang Zwander: Warum war die DDR<br />

über Jahrzehnte ein relativ stabiler Staat?<br />

Dirk Merbach: Weil es so viel Alkohol<br />

gab (lacht). Das ist kein Witz, es wurde<br />

gesoffen, was das Zeug hält. Mangelwirtschaft<br />

war in vielen Bereichen ein<br />

Thema, aber zum Saufen gab es<br />

immer. Vor allem billigen Kristall-<br />

Wodka, der war so schlecht, dass er<br />

nur «Blauer Würger» genannt wurde.<br />

Wir haben uns den Frust einfach<br />

weggespült. Und natürlich hat auch die<br />

Stasi eine Rolle gespielt. Die war sehr<br />

geschickt darin, der Opposition die<br />

Spitzen zu nehmen.<br />

Politiker der deutschen Partei Die Linke<br />

sagen, die Rolle der Stasi wird übertrieben,<br />

um die DDR schlechtzureden.<br />

Was war Ihre Erfahrung mit dem Ministerium<br />

für Staatssicherheit?<br />

Man hatte Angst vor der Stasi. In den<br />

Köpfen war sie präsent als böse,<br />

dunkle politische Kraft. Man hörte von<br />

Leuten, die abgeholt wurden, weil sie<br />

politische Witze in der Kneipe<br />

machten, obwohl ich ja selbst ständig<br />

politische Witze in der Kneipe erzählte.<br />

Ich ging aber immer sehr luschig damit<br />

um. Wahrscheinlich, weil ich nie<br />

abgeholt wurde.<br />

Sie haben vom Frust gesprochen, den<br />

Sie und Ihre Freunde sich weggesoffen<br />

haben. Was war so frustrierend?<br />

Es gab eine Unzufriedenheit, weil alles<br />

so verkrustet war. Es ging nicht um<br />

Erich Honecker (langjähriger SED-<br />

Generalsekretär) oder die Stasi, es gab<br />

einfach keine Möglichkeiten. Wenn<br />

man ein bisschen spezieller war als der<br />

Durchschnitt, dann hattest du schnell<br />

ein Problem, weil die Partei nur den<br />

von ihr vorgegebenen Weg akzeptierte.<br />

Und was passierte denen,<br />

die nicht folgten?<br />

Meistens nicht viel, sie wurden isoliert<br />

9


10<br />

und hatten keine Chancen auf Erfolg<br />

und Karriere. Mitmachen musste man<br />

aber nicht, einen Scheißdreck musste<br />

man. Das wird heute gerne falsch<br />

dargestellt, oft auch von Leuten, die<br />

ihre Beteiligung am System im<br />

Nachhinein entschuldigen wollen.<br />

Wie war Ihre Haltung zum Staat?<br />

Ich war immer orientierungslos, weil<br />

meine Eltern so eine diffuse Einstellung<br />

hatten. Ich wurde nicht zum<br />

Widerstand erzogen, aber auch nicht<br />

zum bedingungslosen Mitmachen. Das<br />

machte mich heimatlos.<br />

Was waren Ihre ersten persönlichen<br />

Erfahrungen mit dem Regime?<br />

Ich war als Jugendlicher gut in der<br />

Schule und wollte mich für die<br />

Erweiterte Oberschule bewerben,<br />

vergleichbar mit dem Oberstufengymnasium.<br />

Die Bewerbungen wurden<br />

nach drei Kriterien beurteilt: Leistung,<br />

Berufswunsch und soziale Herkunft<br />

der Eltern. Weil meine Eltern beide<br />

studiert hatten, wurden sie der<br />

«Intelligenz» zugerechnet, die im<br />

Verdacht stand, konterrevolutionär zu<br />

sein. Kinder von Offizieren und Bonzen<br />

wurden hingegen als Teil der «Arbeiterklasse»<br />

gesehen, weil sie ja im<br />

Dienste des Staates standen. Ich bin<br />

dann abgelehnt worden, obwohl ich<br />

einer der Leistungsstärksten in meiner<br />

Klasse war. Mein Vater, ein Lehrer, der<br />

kein SED-Mitglied war, konnte mit<br />

seinen beruflichen Kontakten erreichen,<br />

dass ich doch aufgenommen<br />

wurde.<br />

Nach der Schule haben Sie den Wehrdienst<br />

angetreten, haben danach aber<br />

nicht wie geplant Ihr Studium in Wirtschaftsrecht<br />

begonnen. Was ist passiert?<br />

Die drei Jahre beim Heer waren die<br />

sinnloseste Zeit meines Lebens,<br />

danach wollte ich nichts mehr mit dem<br />

Staat und der Partei zu tun haben. Ich<br />

bin nach Leipzig gezogen, heute würde<br />

man sagen, in ein besetztes Haus, und<br />

begann eine Lehre als Schriftsetzer.<br />

Das Leben dort war natürlich ganz<br />

anderes als in Stendal, der Provinzstadt,<br />

in der ich aufgewachsen bin. Wir<br />

hatten das Jahr 1988 und ich befand<br />

mich auf einmal inmitten von<br />

Protesten, Widerstand und den<br />

berühmten Montagsdemonstrationen.<br />

Haben Sie daran teilgenommen?<br />

Nein, ich bin nicht zu den Demos<br />

gegangen, weil ich Angst hatte, dass<br />

die Sicherheitskräfte schießen würden.<br />

Die Stimmung wurde immer<br />

aggressiver. Egon Krenz (ein hoher<br />

SED-Politiker) gratulierte 1989 den<br />

chinesischen KP-Kadern zur blutigen<br />

Niederschlagung der «konterrevolutionären»<br />

Studentenaufstände am<br />

Tian‘anmen-Platz. Das war auch der<br />

Grund, warum ich letztlich illegal<br />

abgehauen bin, ich spürte einen<br />

aufkommenden Bürgerkrieg. Dass die<br />

DDR meine Flucht nur um drei Wochen<br />

überleben wird, damit habe ich nicht<br />

gerechnet.<br />

Wie verlief die Flucht?<br />

Ich habe einen Flug von Leipzig nach<br />

Budapest gebucht. Am Leipziger<br />

Flughafen verhörten mich die Grenzbeamten<br />

und durchsuchten mein<br />

Gepäck. Das war noch einmal richtig<br />

brenzlig, die wussten ja, was Sache<br />

war. Als das Flugzeug in der Luft war,<br />

applaudierten die Menschen und<br />

umarmten einander. Von Budapest bin<br />

ich mit dem Taxi nach Österreich und<br />

dann weiter nach Hamburg. Weil ich<br />

keine guten Kontakte hatte, schlief ich<br />

dort fürs Erste in einem Notaufnahmelager.<br />

Was haben Sie sich vom Westen<br />

erwartet?<br />

In der DDR existierte der Westen vor<br />

allem über das Fernsehen aus der BRD<br />

– und als Geruch. In den Intershop-<br />

Läden, die Westprodukte führten und<br />

wo man nur mit Westmark zahlen<br />

konnte, hat es immer herrlich nach<br />

Kaffee, Parfüm und Waschmittel<br />

geduftet. Diese Konsumvielfalt, die<br />

mich heute nervt, war extrem verlockend.<br />

Das Leben im Westen sah ich<br />

vor allem als ein Versprechen auf<br />

Freiheit, verbunden mit ein paar<br />

kleinen Träumen, wie zum Beispiel<br />

einmal AC/DC live zu sehen.<br />

Wie haben Sie den Westen dann in seiner<br />

Realität erlebt?<br />

Ich habe schnell gespürt, dass es hier<br />

tatsächlich so etwas wie Freiheit und<br />

die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung<br />

gibt. Innerhalb kurzer Zeit fand<br />

ich einen gut bezahlten Job als<br />

Textsetzer beim Axel-Springer-Verlag<br />

in München. Erschrocken war ich aber<br />

über die sozialen Unterschiede. In<br />

Hamburg fand ich alles hässlich und<br />

sah überall Armut, der ganze Bahnhof<br />

Altona war voll mit Dreck und schmutzigen<br />

Typen. In meiner Phantasie war<br />

der Westen immer sauber, auf einmal<br />

war alles dreckig.<br />

Gab es in der DDR gewisse Dinge, die<br />

besser funktionierten als im Westen?<br />

Ich will überhaupt nicht den Irrtum<br />

aufkommen lassen, dass ich ein<br />

DDR-Nostalgiker bin. Ich bin froh, dass<br />

das alles vorbei ist. Im Prinzip waren ja<br />

die DDR-Machthaber viel verbrecherischer,<br />

als man das 1989 geahnt hat.<br />

Die gegenwärtige Pervertierung des<br />

Kapitalismus ist ja nur möglich, weil<br />

die Bonzen die Idee einer Systemalternative<br />

für Jahrzehnte in Verruf<br />

gebracht haben.<br />

Was denken Sie, wie hätte sich Ihr Leben<br />

in der DDR entwickelt, wenn es sie noch<br />

gäbe und Sie nicht abgehauen wären?<br />

Ich wäre kaputtgegangen, wahrscheinlich<br />

ein Alkoholiker geworden.<br />

Dirk Merbach, 1964 in Elgersburg<br />

(Thüringen) geboren und in Stendal<br />

(Sachsen-Anhalt) aufgewachsen, lebt<br />

seit 2007 als Art Director der Wochenzeitung<br />

Falter und als Medienberater<br />

in Wien. 1989 verließ er die DDR illegal<br />

über die österreichisch-ungarische<br />

Grenze.<br />

Wolfgang Zwander, geboren 1984,<br />

schreibt für den Falter und die ZEIT.


Über Geschmack lässt sich (nicht)<br />

streiten, über Sport auch nicht...<br />

Beobachtungen zur deutschen Medienpräsenz in österreichischen<br />

Haushalten und zu nachbarlichen Ersatzschlachten am Rasen. –<br />

Von Karin Moser<br />

«Guck mal» und «echt krass» hört<br />

man in der <strong>Wiener</strong> U-Bahn oder<br />

Straßenbahn mittlerweile tagein,<br />

tagaus. Aber nicht etwa nur aus den<br />

Mündern von Angehörigen der größten<br />

Migrantengruppe des Landes. Es sind<br />

auch österreichische Kinder, die trotz<br />

vehementer Gegenmaßnahmen der<br />

Eltern – nicht selten wird zu «Asterix<br />

auf <strong>Wiener</strong>isch» gegriffen – bundesdeutsche<br />

Laute von sich geben. Doch<br />

auch ältere Semester verabschieden<br />

sich ganz selbstverständlich mit einem<br />

lockeren «Tschüss», das noch in den<br />

1980er Jahren so gar nicht gebräuch-<br />

lich war und sofort den Verdacht<br />

erweckte, einem deutschen Touristen<br />

gegenüber zu stehen.<br />

Was ist geschehen? Die Antwort ist<br />

simpel: Satelliten-, Kabelfernsehen und<br />

Internet. Deutsche Medien dominieren<br />

schon längst den Markt der Alpenrepublik<br />

und auch die «heimischen»<br />

Privaten ATV und Puls 4 sind fest in<br />

der Hand des nördlichen Nachbarn.<br />

Die österreichische Jugend kennt alle<br />

Charaktere von GZSZ (gemeint ist<br />

die deutsche TV-Serie «Gute Zeiten,<br />

schlechte Zeiten», Anm.) und fiebert<br />

mit, wer denn wohl <strong>Deutschland</strong>s<br />

nächster Superstar werden wird. Doch<br />

die Eltern- und Großelterngeneration<br />

steht ihnen in nichts nach: Soaps<br />

(z.B. «Sturm der Liebe»), «Reality»-<br />

Formate (etwa «Big Brother») und<br />

vor allem diverse Musikreihen («Hit<br />

Giganten», «Carmen Nebel») made<br />

in Germany zählen für viele zum<br />

Muss der täglichen Fernsehunterhaltung.<br />

Aber war das nicht immer so?<br />

Österreichisches TV ist ohne deutsche<br />

Beteiligung nicht vorstell- und<br />

realisierbar, schon gar nicht seitdem<br />

24 Stunden durchgehend gesendet<br />

wird. Musik- und Quizshows («Musik<br />

ist Trumpf», «Dalli, Dalli», «Einer wird<br />

gewinnen» u. v. a.), Familienserien und<br />

Krimis wurden vom ORF oft mitpro-<br />

11


12<br />

duziert oder angekauft, mitunter<br />

gelang dem Alpenrundfunk selbst auch<br />

ein Quotenhit («Musikantenstadl»,<br />

«Kommissar Rex», «Kottan ermittelt»).<br />

Die daraus entstehende Mixtur aus<br />

bundesdeutscher und österreichischer<br />

Sprachfärbung störte kaum.<br />

Tourismusfördernd waren diese<br />

Unterhaltungsformate – ob sie nun am<br />

Wörthersee, in der Wachau oder im<br />

Schwarzwald angesiedelt waren –<br />

allemal. Nur selten kam es hierbei zu<br />

österreichisch-deutschen<br />

Animositäten. Unvergessen bleibt eine<br />

Ausgabe der TV-Show «Auf los geht’s<br />

los» Anfang 1982. Damals bekannten<br />

sich sechs von neun österreichischen<br />

Kandidaten dazu, Deutsche als<br />

«Piefke» zu bezeichnen. Sie erklärten,<br />

dass man so betitelte Deutsche als<br />

überhebliche Touristen einschätzt. Der<br />

damalige Handelsminister Staribacher<br />

sah sich aufgrund dieses «Eklats»<br />

sogar dazu veranlasst, eine Imagetour<br />

zu unternehmen, um die vergraulten<br />

Deutschen zu versöhnen. Autor Felix<br />

Mitterer machte diesen TV-Skandal<br />

zum Ausgangspunkt seiner «Piefke-<br />

Saga», die nicht nur unsympathische<br />

und besserwisserische deutsche<br />

Urlauber, sondern auch eine sich<br />

anbiedernde und geldgierige<br />

österreichische Fremdenverkehrsbranche<br />

durch den Kakao zog. Tiroler<br />

Hoteliers sahen ihre Existenz neuerlich<br />

gefähr det, doch die Gäste aus dem<br />

Nachbarland reagierten gelassen, viele<br />

fühlten sich gar nicht erst angesprochen.<br />

Deutsch-österreichische Rasenduelle<br />

Mehr Emotionen lösen bis heute sportliche<br />

Auseinandersetzungen zwischen<br />

Österreich und <strong>Deutschland</strong> aus – allen<br />

voran jene auf dem grünen Rasen. Die<br />

Zeiten, als die Alpenrepublik in dieser<br />

Disziplin voran lag (in der Zwischenkriegszeit<br />

und unmittelbar nach<br />

1945), sind lange vorbei. Doch wenn es<br />

einmal gelingt, den «großen Bruder»<br />

zu schlagen, so geht ein Jubelrausch<br />

durch das Land und Mythen werden<br />

geboren.<br />

«Das Wunder von Córdoba» war in<br />

den 1970er-Jahren, als Österreich ein<br />

außenpolitisches Profil entwickelte<br />

und international stärker wahrgenommen<br />

wurde, ein Grundelement<br />

der Identitätsbildung. Dabei ging es<br />

in diesem Spiel für die heimische<br />

Elf eigentlich um gar nichts mehr.<br />

Österreich war sicher ausgeschieden,<br />

<strong>Deutschland</strong> musste jedoch siegen, um<br />

bei der WM 1978 in die nächste Runde<br />

aufsteigen zu können. Im Vorfeld ließ<br />

der deutsche Teamkapitän Berti Vogts<br />

verlautbaren: «Klar, die putzen wir 5:0<br />

oder 6:0 weg». Ein Artikel der «Bild-<br />

Zeitung», der in provozierender Manier<br />

über das fehlende Können der österreichischen<br />

Spieler berichtete, ließ<br />

die Wogen zusätzlich hoch gehen. Mit<br />

Wut im Bauch ging die österreichische<br />

Elf auf das Feld und schoss die deutsche<br />

Mannschaft mit einem 3:2 aus<br />

dem Bewerb. Ein Land befand sich<br />

im Freudentaumel. In das Gedächtnis<br />

der Österreicher eingebrannt ist der<br />

Jubel-Kommentar von Edi Finger, der<br />

den Siegestreffer per Radio unterlegt<br />

hat: «Da kommt Krankl...in den Strafraum<br />

– Schuss... Tooor, Tooor, Tooor,<br />

Tooor, Tooor, Tooor! I wer’ narrisch.<br />

Krankl schießt ein 3:2 für Österreich!<br />

Meine Damen und Herren, wir fallen<br />

uns um den Hals..., wir bussln uns ab.<br />

Also das, das musst miterlebt haben.<br />

...I glaub’ jetzt hammas g’schlagen!»<br />

Für das österreichische Team war der<br />

Sieg eine Genugtuung. Nun schlug man<br />

auch verbal zurück. Hans Krankl etwa<br />

erklärte, dass es ihm keinesfalls Leid<br />

täte, die Deutschen aus dem Bewerb<br />

geworfen zu haben. Vielmehr freue<br />

es ihn ganz besonders, dass «jetzt die<br />

Deutschen den Mund halten müssen»<br />

und «wir gewonnen haben». Die «Bild-<br />

Zeitung» rief Krankl daraufhin zum<br />

Staatsfeind aus und veröffentlichte<br />

seine private Telefonnummer.<br />

Vier Jahre später ließen sich die österreichische<br />

und deutsche Elf bei der<br />

WM 1982 zu einer taktischen Verbrüderung<br />

hinreißen, die international<br />

für negative Schlagzeilen sorgte. Für<br />

den Aufstieg ins Viertelfinale musste<br />

<strong>Deutschland</strong> gewinnen, Österreich<br />

genügte eine knappe Niederlage. Nach<br />

11 Minuten fiel das 1:0 für <strong>Deutschland</strong>,<br />

womit das Spiel eigentlich<br />

endete. Danach schob man den Ball in<br />

den eigenen Reihen nur mehr hin- und<br />

her. Das Match ging als der «Skandal<br />

von Gijón» in die Fußballgeschichte<br />

ein. Die Verbrüderung war allerdings<br />

nicht von Dauer. Nachfolgende<br />

Spiele (zuletzt war Österreich 1986<br />

siegreich) bewiesen, dass die Rivalität<br />

nicht beigelegt war. Der 3:0-Sieg<br />

Rapid Wiens über den deutschen<br />

Tabellenführer HSV im Jahr 2009 etwa<br />

wurde in Österreich mit der Schlagzeile<br />

«Rapid bombt die Piefkes weg»<br />

gefeiert, während man in <strong>Deutschland</strong><br />

bemerkte: «So hat Österreich seit 31<br />

Jahren nicht mehr über den deutschen<br />

Fußball gelacht.» Auf eine neuerliche<br />

Konfrontation kann man sich bei den<br />

Qualifikationsspielen zur EM 2012<br />

freuen – Österreich und <strong>Deutschland</strong><br />

wurden wieder zusammengelost.<br />

Noch ein Trost soll jenen Eltern zuteil<br />

werden, die um den Erhalt des österreichischen<br />

Idioms besorgt sind:<br />

Sprachforscher verweisen darauf,<br />

dass sich die Jugendlichen mit Beginn<br />

der Pubertät verstärkt ihrer Herkunft<br />

bewusst werden und diese zur Identitätsbildung<br />

heranziehen. Im Zuge<br />

dieses Prozesses greifen sie oft auf<br />

herkunftsspezifische Sprachmodi und<br />

Dialekte zurück. Also: Nur nicht die<br />

Hoffnung aufgeben!<br />

Karin Moser, geboren 1974, ist<br />

Filmhistorikerin, Redakteurin und<br />

Kuratorin. Sie arbeitet u. a. für das<br />

Filmarchiv Austria, lehrt an der<br />

Universität Wien und ist Mither-<br />

ausgeberin von «Streitbare Brüder.<br />

Österreich : <strong>Deutschland</strong>. Kurze<br />

Geschichte einer schwierigen<br />

Nachbarschaft»<br />

(Residenz Verlag, 2010).


Musikalische Muttersprache<br />

Über die deutsch-österreichische Musikkultur, ihre Herkunft und<br />

den Umgang mit diesem großen Erbe in unserer Zeit. Ein Plädoyer<br />

für den Erhalt der Vielfalt. – Von Jörg Widmann<br />

Als es nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

darum ging, eine neue Ästhetik zu<br />

entwickeln, wurden verständlicherweise<br />

die Traditions linien zu all dem,<br />

was zuvor so entsetzlich missbraucht<br />

worden war (das Melos, das Pathos,<br />

das Nationale etc.) gekappt. Eine pure,<br />

eine strenge, eine neue Musik sollte<br />

es sein. So wichtig dieser Neuansatz<br />

und einige Kompositionen aus<br />

dieser Zeit der «Stunde Null» nach wie<br />

vor sind: ob deren Autor Portugiese,<br />

Namibier oder Finne war, konnte<br />

anhand dieser neuen, nach objektiven<br />

mathematischen Gesetzmäßigkeiten<br />

konzipierten Musik nicht mehr ausgemacht<br />

werden. Und sollte es wohl auch<br />

gar nicht. Dennoch: die großen Komponisten<br />

dieser Generation sind auch<br />

hier (nolens volens?) eine Ausnahme:<br />

Selbstverständlich ist Nono Italiener,<br />

in seinem Kunstverständnis, in seinem<br />

Denken. Am Berliner Wissenschaftskolleg<br />

hielt er einmal, eine Rotweinflasche<br />

auf dem Rednerpult, einen<br />

Vortrag über Melodik – bei Bellini! Und<br />

jeder Takt Boulez‘scher Musik ist ohne<br />

jeden Zweifel französische Musik:<br />

das Faible für Ornamentik, Triller und<br />

Triolen figuren, die Intervallik, die<br />

Harmonik... Und derjenige, der mit<br />

heiligem Ernst mehrtägige Musiktheater-Exerzitien<br />

formte, als Welt-Musik,<br />

esoterisch, durchgeknallt, nah am<br />

Privatreligiösen und doch genialisch:<br />

Er war ein Deutscher. Stockhausen.<br />

Spielte es eine Rolle, ein deutscher<br />

Künstler, ein deutscher Komponist zu<br />

sein? Heute, in einer globalisierten,<br />

Eigenständigkeiten immer stärker<br />

nivellierenden Welt bekommt die<br />

Herkunft, das Regionale unverhofft<br />

wieder eine neue Bedeutung. Die<br />

deutsch-österreichische Musiktradition<br />

ist es, aus der ich primär komme<br />

und schöpfe. Das geht bis in den<br />

Sprachduktus, die Syntax der Musik<br />

hinein, es ist wie eine Muttersprache.<br />

13


14<br />

Mit György Kurtág habe ich mich<br />

wiederholt ausgetauscht über dieses<br />

Phänomen der musikalischen «Muttersprachen».<br />

In der ungarischen Musik<br />

etwa hat sich bis heute das für die<br />

Phrasenbildung so wichtige «Kurz-<br />

Lang» bei gleichzeitigem «Schwer-<br />

Leicht» erhalten. Ravel «zitiert» es<br />

gleich zu Beginn seiner «Tzigane», es<br />

ist in fast jedem Werk von Bartók bis<br />

hin zu Ligeti und eben Kurtág präsent.<br />

Dieses Phänomen kommt ebenso<br />

aus der Sprache, wie die skurrilen<br />

Vorschlagsfiguren Strawinski‘scher<br />

Musik aus den vielgestaltigen, vielfarbigen<br />

Einschwingvorgängen russischer<br />

Konsonantenvielfalt hervorgehen (am<br />

schönsten zu sehen vielleicht in «Les<br />

Noces»).<br />

In der deutsch-österreichischen Musik<br />

scheint es mir das Prinzip des Auftaktigen<br />

zu sein, das sich durch die<br />

Jahrhunderte zieht, das Prinzip von<br />

Ein- und Ausatmen, von Spannung<br />

und Entspannung. Dieses ironischreflektierte<br />

Spiel mit «schwer» und<br />

«leicht», Auftakt und Eins, Erwartung<br />

und Überraschung macht den<br />

Witz eines jeden Haydn-Stückes aus.<br />

Beethovens sforzato-durchsetzte Parti-<br />

turen scheuen keinen handwerklichen<br />

Aufwand, bisher Gewichtiges, Sicheres<br />

– die Einsen nämlich – auszuhebeln<br />

und in Frage zu stellen; und dadurch in<br />

ihrer Existenz natürlich umso mehr zu<br />

bestätigen. Als Rhythmiker von hohen<br />

Graden treibt Brahms dieses Verwirrspiel<br />

durch hemiolische und ähnliche<br />

Techniken auf die Spitze. Betrachtet<br />

man die Klarinettenstücke von Schumann<br />

(Fantasie stücke op. 73) oder von<br />

Alban Berg (Vier Stücke op. 5) springt<br />

einem sofort ins Auge, dass die jeweils<br />

immense musikalische Energie, die<br />

hier generiert wird, sich aus unterschiedlichsten<br />

fast durchgehend<br />

auftaktigen Linienzügen speist. Ganz<br />

im Gegensatz etwa zur Musiksprache<br />

Debussys, die im Grunde auftaktlos ist.<br />

Sind Betrachtungen wie diese<br />

zwar liebenswürdige, aber<br />

letztlich irrelevante Elfenbeinturmspielereien?<br />

Wie geht man in<br />

<strong>Deutschland</strong> heute<br />

mit diesem gewaltigen<br />

Erbe an<br />

Musikkultur um?<br />

Etwas Bestehendes,Gewachsenes<br />

liebevoll zu<br />

erhalten und zu<br />

pflegen und gleichzeitig<br />

sinnvoll neu<br />

und anders weiterzugehen,<br />

ist schwer.<br />

Es bedarf dazu origineller,<br />

mutiger Köpfe, großer<br />

Anstrengungen und Mühen und:<br />

ja, auch Kosten! Aber wie überall<br />

sonst auch, wird nicht nur gespart,<br />

sondern mittlerweile auch in <strong>Deutschland</strong><br />

der Superstar und das Topmodel<br />

gesucht. Mutige Programmmacher und<br />

Musiker aber nehmen ihr Publikum<br />

ernst. Und gewinnen es dadurch für<br />

immer. Gerade in <strong>Deutschland</strong> gibt<br />

es eine Vielzahl junger Musiker und<br />

Ensembles, die sich nicht nur nicht<br />

mit dieser Situation abfinden wollen,<br />

sondern ganz selbstverständlich und<br />

lustvoll Altes und Zeitgenössisches in<br />

ihren Programmen mischen. Die Fähigkeiten<br />

der Musikhochschulabsolventen<br />

sind, gerade was zeitgenössische<br />

Spielweisen und- techniken anbelangt,<br />

in den letzten Jahrzehnten exorbitant<br />

gewachsen (die Zahl hochqualifizierter<br />

Musiker auch, das Stellenangebot<br />

nicht). Das spieltechnische Niveau<br />

und die stilistische Bandbreite der<br />

Orchester und Opernhäuser ist immer<br />

wieder erstaunlich und in dieser Breite<br />

und Dichte weltweit nach wie vor wohl<br />

einmalig.<br />

Deutsche Kultur nach dem Krieg war<br />

immer auch und vor allem: Vielfalt.<br />

Diese gilt es jetzt zu verteidigen. Sie<br />

darf nicht dem Diktat des Pop und<br />

einem vermeintlichen Massengeschmack<br />

geopfert werden. Dass Politik<br />

und Sender immer wieder bei ihrem<br />

Allerheiligsten, den deutschen Rundfunkorchestern,<br />

Hand anlegen und mit<br />

Fusionen drohen, wie jüngst in Berlin<br />

geschehen, lässt nichts Gutes ahnen.<br />

Fusion heißt doch immer Amputation,<br />

Beschränkung von Vielfalt (in diesem<br />

Fall von Ost- und West-Berliner Musiktradition)<br />

und nicht kultureller Zugewinn.<br />

Wie eine kurzsichtige, nur auf<br />

schnellen Profit ausgerichtete Politik<br />

die eigene jahrhundertelang blühende<br />

Kultur binnen weniger Jahre abbauen<br />

und zerstören konnte, ist gerade in<br />

Italien zu besichtigen. Das gilt es,<br />

bevor es dazu kommt, in <strong>Deutschland</strong><br />

zu verhindern. Nur dann wird sich<br />

<strong>Deutschland</strong> in der Zukunft als das<br />

bezeichnen können, was es nach wie<br />

vor ist: eine Kulturnation.<br />

Jörg Widmann, 1973 in München<br />

geboren, ist Klarinettist und Komponist.<br />

Er zählt zu den gefragtesten<br />

deutschen Musikschaffenden seiner<br />

Generation und hat eine Professur in<br />

den Fächern Klarinette und Kompo-<br />

sition an der Hochschule für Musik in<br />

Freiburg im Breisgau inne. Im Rahmen<br />

von «<strong>Spot</strong> <strong>On</strong>: <strong>Deutschland</strong>» gelangt<br />

seine Konzertouvertüre «Con brio»<br />

durch die Bamberger Symphoniker<br />

zur Aufführung.


Berlin – Unterbiberg – Neukölln<br />

Schlaglichter auf interkulturelle musikalische Begegnungen im<br />

jungen <strong>Deutschland</strong>. – Von Ralf Dombrowski<br />

<strong>Deutschland</strong> macht keine Ausnahme.<br />

Im vergangenen Juli erschien die<br />

Streitschrift «Das Ende der Geduld»<br />

der Berliner Jugendrichterin Kirsten<br />

Heisig. Darin schilderte sie ebenso<br />

nüchtern wie empathisch einige<br />

Hintergründe der schönen neuen<br />

Migrationswelt. Von Parallelgesellschaften<br />

ist da die Rede, von mafiösen<br />

Stukturen, die Viertel wie Neukölln<br />

prägen, von übertriebener Sozialromantik<br />

und blanker Angst. Tatsächlich<br />

sind die Aufgaben der kulturellen<br />

Integration zwei Jahrzehnte nach der<br />

Deutschen Einheit um ein Vielfaches<br />

gewachsen im Unterschied zu den in<br />

dieser Hinsicht vergleichsweise<br />

rosigen Zeiten des bipolaren Europas.<br />

Strukturelle Phänomene wie die<br />

Globalisierung der Märkte bei gleichzeitiger<br />

Regionalisierung der Identitäten<br />

prallen auf offen formuliertes<br />

Desinteresse an funktionierender<br />

Eingliederung, die von allen Beteiligten<br />

Engagement und Verantwortung<br />

einfordern würde. <strong>Deutschland</strong> macht<br />

keine Ausnahme im Diskurs um den<br />

Clash, den Crash der Kulturen, nur dass<br />

er sich nicht ganz so offensichtlich<br />

formuliert wie etwa in den Vorstädten<br />

von Paris.<br />

Umso mehr sind aufmerksame<br />

Beobachter und Akteure gefragt,<br />

Künstler beispielsweise und Musiker,<br />

die mit ihren Projekten, Wünschen und<br />

Werten Schneisen in die Unkenntnis<br />

schlagen. Denn Kultur heißt Perspektive.<br />

Man nehme zum Beispiel 17<br />

Hippies, ein typisches Nach-Wende-<br />

Projekt, das den Sponti-Geist des<br />

Aufbruchs zum Musikerkollektiv<br />

werden ließ. 1995 traf man sich zum<br />

ersten Mal, jeder sollte am besten ein<br />

anderes Instrument spielen, als er es<br />

sonst tat, und dann wurde ausprobiert.<br />

Die Musiker stammten aus dem<br />

multikulturellen Berliner Umkreis,<br />

brachten ihre individuellen Vorlieben<br />

mit und fusionierten sie über die Jahre<br />

zu einem Gemenge aus Jazz und<br />

15


16<br />

Independent, World Sound und<br />

Avantgarde, das inzwischen auf großen<br />

internationalen Bühnen zu erleben ist.<br />

Ein anderes Beispiel ist das Duo der<br />

Pianisten Michael Wollny und Joachim<br />

Kühn, der eine Provinzflüchtling aus<br />

Schweinfurt, inzwischen Wahlberliner<br />

und Star der jungen Jazzergeneration,<br />

der andere einst Republikflüchtling<br />

aus Leipzig, inzwischen Ibiza-Fan und<br />

Altmeister der brachial-filigranen<br />

Tonraumaufspaltung. Sie beide spielen<br />

seit etwa zwei Jahren zusammen,<br />

erforschen mit sehr unterschiedlichem<br />

Hintergrund die Möglichkeiten<br />

improvisierender Kommunikation und<br />

erweisen sich dabei als erstaunlich<br />

homogenes Team der die Emphase der<br />

Freiheit sublimierenden Avantgarde.<br />

Oder zwei Stilvariationen aus dem<br />

süddeutschen Raum. Das Trio des<br />

Pianisten Chris Gall macht da weiter,<br />

wo Kollegen wie Erik Truffaz, genau<br />

genommen einst Gil Scott-Heron erste<br />

Fährten gelegt haben. Zusammen mit<br />

dem Sänger und Rapper Enik probt es<br />

die Verbindung von soulbop-basiertem<br />

Jazz und Poetry. Und die Unterbiberger<br />

Hofmusik um den Trompeter Franz<br />

Josef Himpsl hat sich vom<br />

Laboratorium des Landler-<br />

Tunings zu einem überzeugenden<br />

Projekt gemausert,<br />

das konsequent<br />

bayerische Blas- und<br />

Volksmusik mit<br />

modern traditionellen Jazzelementen<br />

verknüpft.<br />

Soweit die Hochkultur. Abseits davon<br />

wird die Situation diffuser. Auf der<br />

Suche nach einer Jugendkultur zwei<br />

Jahrzehnte nach der Deutschen Einheit<br />

stößt man auf eine bizarre Mischung<br />

aus medialer Betäubung und Vorurteilen,<br />

«ostalgischer» Phantasien und<br />

Partysucht. Das Bild ist uneinheitlich,<br />

spaltet sich in viele kleine, zumeist<br />

unabhängig voneinander existierende<br />

Szenen auf, die nur bei Großereignissen<br />

wie der Love Parade oder dem<br />

norddeutschen Heavy-Metal-Woodstock<br />

in Wacken aufeinandertreffen.<br />

Da sieht man den Goth neben dem<br />

Gewandeten, den Post Punk neben<br />

dem Nu Rocker, die in der Regel<br />

friedlich koexistieren, weil hinter der<br />

Camouflage sich selten echte Lebensentwürfe<br />

verbergen, die Konflikte<br />

generieren würden.<br />

Zentral für diese Generation iPod ist der<br />

Spaßfaktor, Konsumkritik ist lang<br />

passé. Combos wie RotFront knüpfen<br />

an diese Haltung an. Lokal kann man<br />

sie in der Nachfolge von Wladimir<br />

Kaminers «Russendisko» verorten,<br />

international sind sie Teil eines urbanen<br />

Trends, möglichst viele Tanztraditionen<br />

zur ultimativen, möglichst wenig<br />

abgenutzten Partymischung zu<br />

vermengen. Da erinnert gerade Berlin<br />

mit seinem bunten, wild und produktiv<br />

stilklitternden Musik- und Clubleben<br />

zuweilen an die Roaring Twenties, die<br />

bewegte Zeit der großen Ideen, und ist<br />

nicht umsonst einer der beliebtesten<br />

Migrationsmetropolen für Künstler und<br />

Bohèmiens aus aller Welt. Aber es gibt<br />

eben auch Neukölln. Es gibt Stadtviertel,<br />

Schichten, Regionen in ganz<br />

<strong>Deutschland</strong>, für die die Zukunftsaussicht<br />

Hartz IV zu sein scheint. Kirsten<br />

Heisig hat da das Ende der Geduld<br />

eingefordert, bezogen auf eine Integrationspolitik<br />

der an der Realität vorbei<br />

träumenden Verfehlungen. Vielen<br />

Kindern und Jugendlichen würde ein<br />

Ende der Trägheit, der Teilnahmslosigkeit<br />

schon genügen. Das ist das Feld der<br />

Kunst, der Kultur. <strong>Spot</strong> on!<br />

Ralf Dombrowski ist Jazzkritiker der<br />

Süddeutschen Zeitung, Mitarbeiter<br />

verschiedener Musik-Fachmaga-<br />

zine, Moderator der Sendung<br />

«Jazztime» bei BR-KLASSIK und<br />

Verfasser mehrerer Bücher,<br />

darunter «Basis- Diskothek<br />

Jazz» (Reclam, 2005). Er<br />

lebt in München.


«Keiner weiß so richtig, warum diese<br />

Zahl und warum diese Bezeichnung.»<br />

Man fragt die 17 Hippies besser nicht<br />

nach Erklärungen. Ihren Namen hat<br />

sich die 1995 in Berlin gegründete und<br />

in Wahrheit 13 Musikerinnen und<br />

Musiker umfassende Formation<br />

spontan gegeben, ebenso dürfte es<br />

sich bei der ihnen zugewiesenen,<br />

diffusen Stilbeschreibung «Berlin<br />

Style» verhalten haben. Mit Schubladen<br />

und Intellektualisierungen<br />

kommt man bei dieser Gruppe nicht<br />

weit.<br />

Ihr musikalischer Zugang funktioniert<br />

denkbar intuitiv und locker. Gespielt<br />

wird, was gefällt: Mal lappt das<br />

Material mehr in Richtung Balkan,<br />

dann wieder klingt ein Stück wie ein<br />

unkonventioneller Popsong, mal fühlt<br />

Mit einer atmosphärischen Auswahl<br />

rund um Schumanns «Carnaval»<br />

schreitet Herbert Schuch wie selbstverständlich<br />

durch die Epochen. Da<br />

erklingen Herzstücke der romantischen<br />

Klaviermusik, Schubert‘sche<br />

Walzer sowie packende zeitgenössische<br />

Variationen und ergreifende<br />

man sich an französische Chansons<br />

erinnert, mal in die amerikanische<br />

Folkmusik entführt. Und ist den 17<br />

Hippies nach etwas ganz anderem,<br />

toben sie sich in einem ihrer anschaulich<br />

benannten Nebenprojekte wie<br />

«Sexy Ambient Hippies» oder<br />

«Hardcore Troubadours» aus.<br />

Auch nach 15 Jahren, mehreren<br />

Welttourneen, Studioalben sowie<br />

Arbeiten für den Film (u. a. 2001 für<br />

«Halbe Treppe» von Andreas Dresen)<br />

und Theater (u. a. 2006 für «Kasimir<br />

und Karoline» am Deutschen Theater<br />

in Berlin) hat sich der kunterbunte<br />

Haufen die ungezügelte Freude am<br />

gemeinsamen Musizieren erhalten. Im<br />

Mittelpunkt des aktuellen Programms<br />

stehen Stücke des jüngsten Albums<br />

«El Dorado» (2009). (SF)<br />

«Nachtstücke». In Holligers<br />

tiefschürfenden «Elis»-Miniaturen,<br />

inspiriert von Gedichten Georg Trakls,<br />

werden die feinen Bande zwischen<br />

romantischer Empfindsamkeit und<br />

zeitgenössischer Klangsinnlichkeit<br />

ganz unmittelbar spürbar.<br />

Herbert Schuch wurde 1979 in<br />

Rumänien als Sohn einer deutschungarischen<br />

Familie geboren.<br />

Internationales Aufsehen erregte er,<br />

als er innerhalb eines Jahres drei<br />

bedeutende Wettbewerbe in Folge<br />

gewann, den Casagrande-Wettbewerb,<br />

die London International Piano<br />

Competition und den Internationalen<br />

Beethoven Klavierwettbewerb Wien.<br />

Auch seine vielfach ausgezeichneten<br />

CD-Einspielungen verdeutlichen seine<br />

Stellung als einer der heraus ragenden<br />

Pianisten seiner Generation.<br />

17 Hippies<br />

Samstag, 25. September 2010, Mozart-Saal, 17.30 Uhr<br />

17 Hippies<br />

«El Dorado»<br />

Herbert Schuch<br />

Samstag, 25. September 2010, Schubert-Saal, 17.30 Uhr<br />

Herbert Schuch Klavier<br />

Helmut Lachenmann<br />

Fünf Variationen über ein Thema<br />

von Franz Schubert<br />

Franz Schubert<br />

Fünf ausgewählte Walzer<br />

Robert Schumann<br />

Papillons op. 2<br />

Heinz Holliger<br />

«Elis». Drei Nachtstücke<br />

für Klavier<br />

Robert Schumann<br />

«Carnaval». Scènes mignonnes<br />

sur quatre notes op. 9<br />

17


18<br />

Chris Gall Trio feat. Enik<br />

Samstag, 25. September 2010, Berio-Saal, 17.30 Uhr<br />

Chris Gall Klavier<br />

Axel Kühn Bass<br />

Peter Gall Schlagzeug<br />

Enik Gesang<br />

«Hello Stranger»<br />

Der junge deutsche Jazz findet<br />

Anschluss an internationale Standards.<br />

Besonders schön, wenn es derart<br />

undogmatisch passiert wie beim Trio<br />

um den Münchener Pianisten Chris<br />

Gall, der zu seinen größten Einflüssen<br />

neben Joe Zawinul und Danilo Perez<br />

auch den populären US-Songwriter<br />

John Mayer und den Filmkomponisten<br />

Alan Silvestri zählt. Gall hat in den<br />

1990ern am traditionsreichen Berklee<br />

College in Boston studiert. Danach<br />

machte er sich als Bandmitglied (Giana<br />

Viscardi Group, Taalsim) und als<br />

Sideman (New York Voices, Metamorphosis)<br />

schnell einen Namen.<br />

«Wir sind gekommen, um zu bleiben»<br />

Samstag, 25. September 2010, Schönberg-Saal, 17.30 Uhr<br />

Diskussionsrunde mit<br />

Bettina Reiter, Katja Gnann<br />

und Georg Brockmeyer<br />

Moderation Philipp Blom<br />

«Wenn ich einen Deutschen sehe,<br />

werde ich zum Rasenmäher», verkündete<br />

der österreichische Fußballer<br />

Hans Krankl zu einer Zeit, als die<br />

austriakische Mannschaft noch<br />

signifikant mehr Tore erzielte als<br />

heute. Die Deutschen sehen da die<br />

nachbarlichen Beziehungen deutlich<br />

pragmatischer: «Die Steuergesetze in<br />

Österreich sind einfach simpler». Tja,<br />

Ralf Schumacher hat‘s erfasst. – Aber<br />

sind es bloß die fiskalischen<br />

Verhältnisse, die jedes Jahr über<br />

10.000 Deutsche in die Alpenre-<br />

publik locken? Seit zwei Jahren<br />

stellen sie mit rund 138.000<br />

Einwanderinnen und Einwanderern<br />

die größte Migrationsgruppe<br />

in Österreich – vor<br />

jenen aus Serbien und Montenegro.<br />

Sein Herz hängt freilich an seiner<br />

eigenen Combo, die er zusammen mit<br />

seinem jüngeren, Schlagzeug spielenden<br />

Bruder Peter Gall sowie dem<br />

Bassisten Axel Kühn betreibt und die in<br />

den letzten Jahren den Mittelpunkt<br />

seiner musikalischen Arbeit darstellte.<br />

Komplettiert wird die Formation erst<br />

durch den Sänger Enik. Dieser bewegt<br />

sich stilistisch an der Schnittstelle<br />

zwischen Elektronik, Pop und Rock.<br />

Galls Kompositionen verschmelzen<br />

diese Genres wohlklingend mit<br />

harmonischem Jazz, ohne dafür<br />

Klischees bemühen zu müssen. Im<br />

Gegenteil: Auf ihren beiden Alben<br />

«Climbing Up» und «Hello Stranger»<br />

haben die vier jungen Männer zu ihrer<br />

eigenen musikalischen Sprache<br />

gefunden. (SF)<br />

Unter der Leitung des Historikers<br />

Philipp Blom diskutieren Autorinnen<br />

und Autoren des Essaybandes «Wir<br />

sind gekommen, um zu bleiben.<br />

Deutsche in Österreich» (Hg. Eva<br />

Steffen, Czernin Verlag, 2009) ihre<br />

Erfahrungen. Dass eine der im Buch<br />

vertretenen Autorinnen von ihrer<br />

österreichischen Nachbarin als «Nazi»<br />

beschimpft wurde, weil sie ihr Auto um<br />

ein paar Zentimeter zu weit aus ihrem<br />

Grundstück herausragen hatte lassen,<br />

findet die Betroffene übrigens «witzig»<br />

und «paradox», weil es doch typisch<br />

deutsch sei, sich über ein derartiges<br />

Vergehen aufzuregen. Ob typisch<br />

deutsch oder österreichisch, das ist<br />

hier wahrlich die Frage...


Mit Robert Schumann, der aus dem<br />

sächsischen Zwickau stammte und<br />

dessen 200. Geburtstag die Musikwelt<br />

heuer feiert, steht ein großer deutscher<br />

Romantiker im Mittelpunkt<br />

dieses Duorecitals von Christina<br />

Landshamer und Maximilian Schmitt.<br />

Die aus München stammende Sopranistin<br />

hat in den vergangenen Jahren<br />

an führenden deutschsprachigen<br />

Bühnen nachhaltigen Eindruck<br />

hinterlassen. In der Saison 2010/2011<br />

arbeitet sie erneut mit Nikolaus<br />

Harnoncourt (Mozarts «Il sogno di<br />

Scipione») und Philippe Herreweghe<br />

(Mozarts Requiem). Ihr hinreißender<br />

Duopartner, der Tenor Maximilian<br />

Schmitt, gilt ebenfalls als große<br />

Neuentdeckung in der deutschen<br />

Opernszene.<br />

Der in Berlin geborene Schauspieler<br />

Detlev Eckstein kam Mitte der<br />

Siebziger nach Wien, wo er nun seit<br />

fast vierzig Jahren als Ensemblemitglied<br />

des Burgtheaters auf der Bühne<br />

steht. Zudem spielt er regelmäßig in<br />

Film- und Fernsehproduktionen.<br />

Gemeinsam mit 27 anderen «Exildeutschen»<br />

berichtet er im jüngst<br />

veröffentlichten Essayband «Wir sind<br />

gekommen, um zu bleiben. Deutsche<br />

in Österreich» (Hg. Eva Steffen) vom<br />

Leben in seiner Wahlheimat.<br />

Für seine Lesung hat Detlev Eckstein<br />

die prägnantesten Beobachtungen<br />

seiner Kolleginnen und Kollegen –<br />

darunter Dorothee Hartinger, Peter<br />

Blau, Brigitte Fassbaender und Dirk<br />

Landshamer . Schmitt . Huber<br />

Samstag, 25. September 2010, Mozart-Saal, 19.30 Uhr<br />

Das Programm umfasst unter anderem<br />

Lieder von Clara Schumann ( geborene<br />

Wieck). Die vielbegabte Musikerin<br />

zählte zu den gefeierten Pianistinnen<br />

und Pianisten ihrer Zeit und komponierte<br />

bereits als Zehnjährige erste<br />

Stücke. Robert Schumann verkehrte<br />

als Klavierschüler regelmäßig im<br />

Hause Wieck und verliebte sich in die<br />

junge Clara. Die Heirat zwischen den<br />

beiden konnte allerdings nur per<br />

Gerichtsbeschluss durchgesetzt<br />

werden. Als sich in den 1850er Jahren<br />

Schumanns geistige Umnachtung und<br />

sein nahender Tod abzuzeichnen<br />

begannen, fand die t rauernde Ehefrau<br />

Halt bei einem jungen Hamburger<br />

Komponisten, der das Antlitz der<br />

romantischen Musik epoche nachhaltig<br />

prägen sollte: Johannes Brahms.<br />

Stermann – zusammengetragen. Sie<br />

handeln von Heimatsuche, sprachlicher<br />

Identität, österreichischen<br />

Amtshelfern, Eierspeisen und<br />

Zeitungsformaten, Phlegma und<br />

Doppelzüngigkeit, Wein- und Wirtshauskultur,<br />

Selbstgerechtigkeit und<br />

Titelverliebtheit sowie vom<br />

«Integra tionsunwillen der<br />

deutschen <strong>Wiener</strong>». Doch die<br />

Ösis, keine Sorge, schlagen<br />

zurück, wo sie nur können<br />

(siehe Amtshelfer und<br />

Selbstgerechtigkeit) – ein<br />

bestechend scharfer und<br />

leidenschaftlich-ehrlicher<br />

Einblick in die österreichische<br />

Seele, wie man ihn<br />

selten präsentiert bekommt.<br />

Christina Landshamer Sopran<br />

Maximilian Schmitt Tenor<br />

Gerold Huber Klavier<br />

Lieder und Duette von<br />

Clara und Robert Schumann<br />

Johannes Brahms und Felix<br />

Mendelssohn-Bartholdy<br />

Detlev Eckstein<br />

Samstag, 25. September 2010, Schubert-Saal, 19.30 Uhr<br />

Detlev Eckstein Lesung<br />

19


20<br />

RotFront<br />

Samstag, 25. September 2010, Berio-Saal, 19.30 Uhr<br />

RotFront<br />

«Emigrantski Raggamuffin»<br />

Diskussionsrunde<br />

mit Künstlerinnen und Künstlern<br />

des Festivals<br />

Erwin Barta Moderation<br />

Wie sieht eine deutsche Band 2010<br />

aus? Zum Beispiel so wie RotFront, die<br />

2003 unter dem Namen «Emigrantski<br />

Raggamuffin Kollektiv RotFront» von<br />

dem in <strong>Deutschland</strong> lebenden Ukrainer<br />

Yuriy Gurzhy und dem aus Ungarn<br />

stammenden Simon Wahorn<br />

gegründet wurde. In<br />

der neunköpfigen<br />

Band aus Berlin<br />

sind außerdem<br />

ein weiterer<br />

Ungar, ein<br />

Amerikaner,<br />

ein Australier<br />

sowie<br />

vier deutsche<br />

Musikerinnen<br />

und Musiker<br />

aktiv. RotFront<br />

versteht sich<br />

«Ehrt Eure deutschen Meister...»<br />

Samstag, 25. September 2010, Schönberg-Saal, 19.30 Uhr<br />

«Ehrt Eure deutschen Meister, dann<br />

bannt ihr gute Geister.» Bald 100 Jahre<br />

prangt dieses Zitat aus Wagners Oper<br />

«Die Meistersinger von Nürnberg» im<br />

Lichte der immer selben Sonne an der<br />

Fassade des <strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong>es;<br />

die Zeitläufte indessen hätten seine<br />

Lesarten nicht kontroverser<br />

bestim men können. Heute sieht es uns<br />

als «historische Signatur» des<br />

Architektenduos Helmer & Fellner<br />

doch nur ziemlich unverwandt an. Aber<br />

wie ist es nun um die deutschen<br />

Meister – die alten wie die jungen –<br />

durchaus als politische Band, ohne<br />

dass sie jedoch lautstark große<br />

Botschaften hinausposaunen würde.<br />

Das Bestehen der Gruppe und ihr<br />

selbstverständliches Musizieren in<br />

verschiedenen Sprachen (Deutsch,<br />

Englisch, Russisch, Ungarisch) ist<br />

Statement genug.<br />

Yuriy Gurzhy zeichnete zuvor<br />

gemeinsam mit Kultautor Wladimir<br />

Kaminer für die legendären Russendisko-Partys<br />

verantwortlich. Auch die<br />

Musik von RotFront ist von ähnlich<br />

wildem Charakter und fegt wie eine<br />

Turbopolka durch die Konzertsäle und<br />

Clubs. Zusammen mit Anklängen an<br />

Reggae, Ska, Dancehall, Klezmer und<br />

HipHop verwächst der Sound von<br />

RotFront zu einer wahrhaft weltläufigen<br />

Groovemusik, zu der niemand<br />

stillstehen kann. (SF)<br />

tatsächlich bestellt? Was subsummiert<br />

man heute unter dem Begriff<br />

«deutsche Kultur»? Welchen Platz<br />

nimmt die Tradition mit all ihren<br />

Höhe- und Tiefpunkten im<br />

gegenwärtigen kulturellen Schaffen<br />

ein? Wie gestaltet sich das deutsche<br />

Selbstverständnis nach 20 Jahren<br />

Wiedervereinigung? Am Festival<br />

teilnehmende Künstlerinnen und<br />

Künstler gehen diesen und weiteren<br />

Fragen zum kulturell-gesellschaftlichen<br />

Status quo <strong>Deutschland</strong>s auf den<br />

Grund.


Rockmusik hatte in der DDR für junge<br />

Leute eine ganz besondere Bedeutung.<br />

Sie bot Pubertierenden nicht nur die<br />

Möglichkeit zur Flucht aus der eigenen<br />

Lebensrealität in der Familie, sondern<br />

auch aus einer nicht minder beengend<br />

empfundenen Diktatur. Einer dieser<br />

Jugendlichen, der mit Bands wie Karat<br />

(«Über sieben Brücken musst du<br />

gehen»), den Puhdys, Pankow oder<br />

Silly aufwuchs, ist der erfolgreiche,<br />

unter anderem als «Tatort»-Darsteller<br />

bekannte Schauspieler Jan Josef<br />

Liefers (geboren 1964). Liefers ist<br />

nebenbei auch ein an Rio Reiser<br />

geschulter Sänger, der seit Jahren mit<br />

seiner Band Oblivion in <strong>Deutschland</strong><br />

Konzerte gibt und CDs veröffentlicht.<br />

Jan Josef Liefers & Oblivion<br />

«Der Soundtrack meiner Kindheit»<br />

Samstag, 25. September 2010, Großer Saal, 21.30 Uhr<br />

Irgendwann war er der englischsprachigen<br />

Songs müde und erinnerte sich<br />

an die DDR-Rocksongs, die sein<br />

Aufwachsen begleiteten. Das<br />

Programm «Der Soundtrack meiner<br />

Kindheit», das inzwischen auch als<br />

Buch und Hörbuch vorliegt, ist eine<br />

erfrischende, dabei keineswegs naiv<br />

«ostalgische» sentimentale Reise.<br />

Zwischen den Songs erzählt Liefers,<br />

versorgt die Zuhörer mit Informationen<br />

zur Musik und unterhält mit<br />

ganz persönlichen Anekdoten und<br />

Erinnerungen an die Populär- und<br />

geheime Gegenkultur der DDR. (SF)<br />

Jan Josef Liefers Gesang<br />

Oblivion<br />

21


22<br />

Unterbiberger Hofmusik & Matthias Schriefl<br />

Sonntag, 26. September 2010, Foyer, 12.00 Uhr<br />

Unterbiberger Hofmusik<br />

Blasmusikkapelle<br />

Matthias Schriefl<br />

Trompete, Flügelhorn<br />

«MaDE in GermaN.Y.»<br />

Chin Meyer Kabarett<br />

Andreas Gundlach Klavier<br />

Der Frühschoppen lässt sich als eine<br />

bajuwarische Tradition anerkennen,<br />

als kulturelle Äußerung werden ihn<br />

jedoch nur die Allerwenigsten<br />

verstehen. Freilich verhält es sich so,<br />

wenn die Blasmusikkapelle Unterbiberger<br />

Hofmusik und Matthias Schriefl<br />

zünftig aufspielen. Der Allgäuer<br />

Jazztrompeter Schriefl<br />

(geboren 1981) verfügt<br />

trotz seiner jungen Jahre<br />

bereits über eine<br />

beeindruckend lange<br />

musikalische<br />

Biographie. Mit elf<br />

Jahren gewann er<br />

den deutschen<br />

Wettbewerb<br />

«Jugend musiziert»,<br />

mit 15 war er das<br />

jüngste Mitglied im<br />

Landesjugendjazz-<br />

«Die Razzia Ihres Lebens»<br />

Sonntag, 26. September 2010, Mozart-Saal, 14.30 Uhr<br />

Chin Meyer schlüpft in seine Paraderolle<br />

als Steuerfahnder Siegmund von<br />

Treiber und bereitet Ihnen «die Razzia<br />

Ihres Lebens»:<br />

«Versuchen Sie jetzt bitte<br />

nicht, noch etwas zu<br />

verbrennen. Wenn Sie<br />

dieses Schreiben in den<br />

Händen halten, steht<br />

die Steuerfahndung<br />

bereits vor Ihrer<br />

Tür.» – Siegmund<br />

von Treiber hat einen<br />

Haftbefehl und ein<br />

scharfes Auge auf<br />

alles, was sich bewegt.<br />

«Auf eine Republik, in<br />

orchester Bayern und im Bundesjazzorchester.<br />

17 Lenze zählte er, als er<br />

seine erste CD aufnahm.<br />

Heute lebt Schriefl in Köln, sein<br />

erfolgreichstes Projekt ist die Formation<br />

Shreefpunk, mit der er mehrere<br />

Welttourneen unternahm. Daneben<br />

existieren eine Vielzahl weiterer Bands<br />

wie Mutantenstadl, Schmittmenge<br />

Meier, European TV Brass Trio oder<br />

Brazilian Motions. Und immer dann,<br />

wenn ihn die Sehnsucht nach Heimatklängen<br />

überfällt, tut sich der Bläser<br />

mit seinen Kollegen von der Unterbiberger<br />

Hofmusik zusammen, um<br />

furchtlos Volksmusik und Jazz unter<br />

einen Hut zu bringen. Ob es sich dabei<br />

um einen Trachtenhut oder eine<br />

Jazzmütze handelt, spielt bei dieser<br />

gelungenen Fusion im Übrigen keine<br />

Rolle: Des passt scho. (SF)<br />

der man ehemalige T-<strong>On</strong>line-Aktionäre<br />

schon von Weitem an ihren zugequollenen,<br />

verweinten Äuglein erkennt.<br />

Eine Republik, die 100 Jahre Dauerwelle<br />

feiert. Eine Republik, in der man<br />

mit Gammelfleisch leider keinen<br />

faulen Hippie meint. Und in der ein<br />

vom Vizekanzler eingeräumter<br />

Wahlversprechensbruch keinen<br />

besonders juckt. Schließlich leben wir<br />

nicht in Ungarn!»<br />

Treiber serviert keine Antworten, stellt<br />

aber dafür immer die relevanten<br />

Fragen. «Die Razzia Ihres Lebens» – ein<br />

fiskalisches Spektakel, das Ihre<br />

kühnsten Steuerschätzungen ins<br />

Wanken bringt.


«Es ist ein bisschen so, wie wenn man<br />

ein modernes Spielzeug zu<br />

Weihnachten kriegt und man nicht<br />

weiß, ob es funktioniert», beschrieb<br />

Karlheinz Stockhausen seine Gefühle<br />

vor der Realisierung seines<br />

Helikopter-Streichquartetts beim<br />

Holland Festival 1995. «Aufführung»<br />

wäre ein verharmlosender Begriff für<br />

dieses Unternehmen, denn dazu<br />

braucht es nicht nur vier Interpreten,<br />

sondern auch vier Hubschrauber mit<br />

dem ganzen technischen und organisatorischen<br />

Aufgebot samt Übertragung<br />

per Funk. Das rund halbstündige<br />

Stück, das Teil von «Mittwoch» aus<br />

dem Opernzyklus «Licht» ist, kann nur<br />

in der Luft gespielt werden. Die vier<br />

Musiker in den vier Hubschraubern<br />

sind per Clicktrack miteinander<br />

Dieses Aufeinandertreffen zweier<br />

Jazzpiano-Größen aus verschiedenen<br />

Generationen verspricht ein besonderer<br />

musikalischer Leckerbissen zu<br />

werden. Michael Wollny ist der<br />

Jungstar im Duo Kühn & Wollny. 1978<br />

geboren, zählt er bereits zu den<br />

Kritikerlieblingen im Jazz. Sein erstes<br />

Soloalbum «Hexentanz» (2007) wurde<br />

durchwegs gelobt, daneben regnete es<br />

in den letzten Jahren Preise auf den<br />

Pianisten. Joachim Kühn (geboren<br />

1944) zählt zu Wollnys großen musikalischen<br />

Helden, er hat sogar seine<br />

Diplomarbeit über Tonwirbel in Kühns<br />

Improvisationen verfasst.<br />

Zum ersten Mal gemeinsam auf einer<br />

Bühne saßen die beiden Musiker am<br />

10. September 2008 auf Schloss Elmau.<br />

«Karlheinz Stockhausen –<br />

Helicopter String Quartet»<br />

Sonntag, 26. September 2010, Berio-Saal, 14.30 Uhr<br />

synchronisiert. Was das Publikum im<br />

Saal bei der Uraufführung hörte, war<br />

die von Stockhausen am Saalmischpult<br />

ausgesteuerte Verbindung von<br />

Instrumentalklang, gesprochenen<br />

Elementen – die Instrumentalisten<br />

rufen zwischendurch Zahlen in<br />

ihr Mikrofon – und Fluglärm.<br />

Der renommierte holländische<br />

Filmemacher Frank<br />

Scheffer hat dieses<br />

vielbeachtete wie -kritisierte<br />

Spektakel von den<br />

Proben bis zur Realisierung<br />

durch das Arditti Quartet<br />

begleitet und gibt einen<br />

ungewöhnlichen Einblick in<br />

dieses alle bisherigen Vorstellungsgrenzen<br />

sprengende Projekt.<br />

Dokumentarfilm, NL 1996<br />

Regie Frank Scheffer<br />

Joachim Kühn & Michael Wollny<br />

Sonntag, 26. September 2010, Mozart-Saal, 16.00 Uhr<br />

Dankenswerterweise wurde der<br />

Auftritt auch gleich aufgenommen und<br />

als CD veröffentlicht («Live at Schloss<br />

Elmau»). Neben der makellosen<br />

Virtuosität der darauf zu hörenden<br />

Musik fällt auf, wie gut sich Kühn und<br />

Wollny ergänzen. «Der kann genauso<br />

gut spielen wie du, aber das Tolle ist –<br />

er macht es nicht», mit diesen Worten<br />

wurde Michael Wollny vor ein paar<br />

Jahren Joachim Kühn vom gemeinsamen<br />

Kollegen Heinz Sauer vorgestellt.<br />

Der Juniorpartner will sein Idol<br />

eben nicht überbieten, er hält sich<br />

aber auch nicht bewusst zurück.<br />

Vielmehr umgarnt er dessen Spiel klug<br />

und sensibel. Die solcherart entstehende<br />

Musik ist für Klassikfreunde<br />

und Jazzfans gleichermaßen ein reiner<br />

Genuss. (SF)<br />

Joachim Kühn Klavier<br />

Michael Wollny Klavier<br />

23


24<br />

Hamburger Ratsmusik<br />

Sonntag, 26. September 2010, Schubert-Saal, 16.00 Uhr<br />

Hamburger Ratsmusik<br />

Simone Eckert Viola da gamba<br />

Michael Fuerst Cembalo<br />

Werke von<br />

Johann Sebastian Bach,<br />

Georg Friedrich Händel und<br />

Carl Friedrich Abel<br />

Dokumentarfilm, D 2006<br />

Regie Suzy Wong<br />

Die Hamburger Ratsmusik – ein<br />

junges Ensemble mit 500-jähriger<br />

Geschichte: Die Anfänge dieser<br />

Institution reichen zurück bis ins<br />

16. Jahrhundert. Nach dem Grundsatz<br />

«Gott zu Ehren und Hamburg zur Lust,<br />

Ergötzlichkeit und Nutz» leistete sich<br />

die Stadt ein Eliteensemble von acht<br />

Ratsmusikern, das vielen fürstlichen<br />

Hofkapellen Konkurrenz machen<br />

konnte. Seine erste Blüte<br />

erreichte das Ensemble im<br />

17. und 18. Jahrhundert<br />

unter führenden<br />

Musikern wie<br />

William Brade,<br />

Johann Schop,<br />

«Blasmusik trifft Heavy Metal»<br />

Sonntag, 26. September 2010, Berio-Saal, 16.00 Uhr<br />

Das Wacken-Open-Air: ein Heavy-<br />

Metal-Festival mit mittlerweile rund<br />

75.000 Besucherinnen und Besuchern.<br />

Damit ist es das mit Abstand größte<br />

Metal-Festival der Welt. Aus der<br />

ganzen Welt kommen Fans angereist,<br />

so legendär ist der Status dieser<br />

Veranstaltung heute. Das bedeutet<br />

letztlich auch für die alteingesessene<br />

Dorfgemeinschaft in Wacken vor allem<br />

eines: Ausnahmezustand in dem<br />

landwirtschaftlich geprägten Ort. Der<br />

beginnt schon mit dem Abbau<br />

sämtlicher Ortsschilder vor Beginn des<br />

Festivals. Denn diese sind ein beliebtes<br />

«Souvenir» der Festivalbesucherinnen<br />

und -besucher.<br />

Georg Philipp Telemann und Carl<br />

Philipp Emanuel Bach.<br />

Ihre «Wiedergeburt» erlebte die<br />

Hamburger Ratsmusik 1991 dank der<br />

Gambistin Simone Eckert. In nun fast<br />

20-jährigem Zusammenspiel hat das<br />

Ensemble ein umfangreiches<br />

Repertoire erarbeitet. Im Rahmen von<br />

«<strong>Spot</strong> <strong>On</strong>: <strong>Deutschland</strong>» präsentiert es<br />

Werke von bekannten und weniger<br />

bekannten barocken Meistern – wie<br />

etwa Carl Friedrich Abel, der seinerzeit<br />

zu einem der führenden Gamben- und<br />

Barytonvirtuosen avancierte und als<br />

Kammermusiker von Königin Charlotte<br />

in England große Erfolge feierte.<br />

Der Dokumentarfilm zeigt, wie sich die<br />

Einwohner auf ihre typisch norddeutsch-<br />

lockere Art mit den Fans<br />

arrangiert haben, die das<br />

2.000-Seelen-Dorf einmal im Jahr<br />

überfluten: Der schlaue Bauer Trede<br />

stellt seine Felder zur Verfügung, auf<br />

denen das Festival stattfindet; in der<br />

Greißlerei wird frühzeitig alles<br />

gebunkert, was die Gäste zum Campen<br />

benötigen – vor allem Bier. Kinder<br />

kutschieren mit Fahrrad und Anhänger<br />

Fans zum Festivalgelände. Dorfbewohnerinnen<br />

und -bewohner helfen auf<br />

dem Festival am Bierstand oder auf<br />

dem Parkplatz. Und es gibt die<br />

Blaskapelle der ansässigen Feuerwehr.


Es ist Helmut Lachenmanns Anspruch<br />

an seine eigene Musik, an seine Kunst,<br />

dass die Menschen, die ihr begegnen,<br />

sich existentiell verändern. Dass sie<br />

danach andere Menschen sind, als sie<br />

es zuvor waren. In «10 Jahre später...»<br />

berichtet er seinem Komponisten-<br />

Kollegen Wolfgang Rihm ausführlich,<br />

was Komponieren für ihn ist, wie er<br />

dabei vorgeht und mit welchen<br />

Systemen er versucht, seine eigene<br />

Systematik zu untergraben.<br />

Das 2007 entstandene Filmporträt ist<br />

ein musikgeschichtliches Dokument<br />

von immensem Wert, das den<br />

Protagonisten nicht nur als universal<br />

Wenn sie nicht gerade brutal-komische<br />

Kabarettabende gestalten oder<br />

ihre Late-Night-Show moderieren,<br />

dann hängt das Herz der Entertainer<br />

Dirk Stermann und Christoph Grissemann<br />

an der Literatur. 2008 legten der<br />

Deutsche und der Österreicher das<br />

gemeinsame Buch «Debilenmilch: Auf<br />

den Spuren des Kaffeerösters Bruno A.<br />

Sauermann», eine schräge Mischung<br />

aus dem ihnen ureigenen Humor und<br />

den Romanen ihres befreundeten<br />

Kollegen Heinz Strunk, vor.<br />

Noch näher als das Schreiben liegt den<br />

beiden Radiostimmen das Lesen. Aus<br />

ihrer privaten Neigung zu umfangreicher<br />

Lektüre haben die beiden zuletzt<br />

verstärkt eine öffentliche Tugend<br />

gemacht und sind mit Lesungen von<br />

Werken kreuz und quer durch die<br />

gebildeten Denker, sondern ebenso als<br />

humorvollen Selbstbetrachter zeigt.<br />

Letztlich bricht aber auch in die hehre<br />

Welt der Kunst die Banalität des<br />

Alltags herein: Eine Fliege gesellt<br />

sich zu den Komponisten.<br />

«Wer ist diese Fliege»,<br />

fragen sich die<br />

Filmemacher,<br />

«und was will<br />

sie von den<br />

beiden?»<br />

«10 Jahre später...»<br />

Sonntag, 26. September 2010, Schönberg-Saal, 16.00 Uhr<br />

Dokumentarfilm, D 2007<br />

Regie Hanne Kaisik &<br />

Uli Aumüller<br />

Dirk Stermann & Christoph Grissemann<br />

Sonntag, 26. September 2010, Mozart-Saal, 17.30 Uhr<br />

klassische Welt- und Gegenwartsliteratur<br />

hervorgetreten. So waren sie<br />

2009 auch in der Reihe «Literatur im<br />

<strong>Konzerthaus</strong>» als Vorleser zu erleben.<br />

Ihr Auftritt im Rahmen von «<strong>Spot</strong> <strong>On</strong>:<br />

<strong>Deutschland</strong>» steht aber ganz im<br />

Zeichen von Altmeister Vicco von<br />

Bülow alias Loriot, aus dessen allseits<br />

beliebten Texten sie einen<br />

Querschnitt bieten. Dabei wird<br />

sowohl der trockene Humorist<br />

als auch der glänzende<br />

Stilist und Wortschöpfer<br />

Loriot nicht zu kurz<br />

kommen. Musikalische<br />

Zwischentöne streut<br />

die Pianistin Philippine<br />

Duchateau ein. (SF)<br />

Dirk Stermann &<br />

Christoph Grissemann Lesung<br />

Philippine Duchateau Klavier<br />

25


26<br />

ensemble recherche<br />

Sonntag, 26. September 2010, Schubert-Saal, 17.30 Uhr<br />

ensemble recherche<br />

«Das Berlin der Zwanziger-<br />

und Dreißigerjahre»<br />

Jefim Golyscheff Streichtrio<br />

Nikos Skalkottas<br />

Concertino A/K 28<br />

Stefan Wolpe Aus den<br />

«6 Klavierstücken»<br />

Hanns Eisler<br />

Reisesonate<br />

Paul Hindemith<br />

Trio op. 47<br />

«Nach der Musik»<br />

Sonntag, 26. September 2010, Berio-Saal, 17.30 Uhr<br />

Dokumentarfilm, D 2007<br />

Regie Igor Heitzmann<br />

So düster die politische Wirklichkeit<br />

der Weimarer Republik aussah, so<br />

glanzvoll gestaltete sich ihr Kulturleben:<br />

Frei von Zensur erlebte es in den<br />

Zwanzigerjahren einen rasanten<br />

Aufschwung, ehe in den Dreißigern<br />

erneut der kulturelle Exodus, diesmal<br />

durch den Nationalsozialismus,<br />

einsetzte.<br />

Rund um Dada, Brecht, Bauhaus, Busoni<br />

und Schönberg agierte im Berlin jener<br />

Jahre eine Schar aufbruchs gestimmter<br />

junger Komponisten, die maßgeblich<br />

an der Umsetzung neuer musikalischer<br />

Ideen beteiligt waren, darunter etwa<br />

der ukrainische Komponist und Maler<br />

Jefim Golyscheff. Er experimentierte<br />

schon um 1914 mit Zwölftonmusik und<br />

war Schüler von Wassily Kandinsky.<br />

Mit seinen «Anti-Kunstwerken» galt er<br />

als Mitbegründer des Berliner Dada,<br />

dessen Schöpfungen schonungslos die<br />

Der österreichische Dirigent Otmar<br />

Suitner leitete 26 Jahre lang die<br />

Ostberliner Staatsoper Unter den<br />

Linden. Er hatte zwei Familien – eine<br />

im Westen, eine im Osten der geteilten<br />

Stadt. Sein Leben war ein Balanceakt,<br />

zwischen Kommunismus und Westen,<br />

zwischen Privatleben und Karriere,<br />

zwischen der Ehefrau in Ostberlin und<br />

der Geliebten und dem kleinen Sohn,<br />

die er regelmäßig am Wochenende in<br />

Westberlin besuchte.<br />

Sechzehn Jahre nach dem Ende seiner<br />

Karriere gehen Vater und Sohn auf<br />

eine Reise, um herauszufinden, was<br />

geblieben ist nach der Musik. Mit der<br />

Kamera ergründet Suitners Sohn Igor<br />

Heitz mann die vergangene und<br />

aktuelle Welt seines Vaters, der erst<br />

kürzlich, im Jänner 2010, verstarb.<br />

Relikte der wilhelminischen Gesellschaft<br />

sezierten.<br />

Stefan Wolpe war eine schillernde<br />

Persönlichkeit mit besten Kontakten<br />

zu führenden Berliner Künstlern seiner<br />

Zeit, den Dadaisten und der Bauhaus-<br />

Gruppe in Weimar. In seinen Kompositionen<br />

spiegelt sich die Auseinandersetzung<br />

mit der <strong>Wiener</strong> Schule ebenso<br />

wie mit Jazz und Tanzmusik.<br />

Ausgesprochen politische Züge nahm<br />

die Musik des in Wien geborenen<br />

Schönberg-Schülers Hanns Eisler an.<br />

Zusammen mit Bertolt Brecht schuf er<br />

bedeutende Werke im Zeichen der<br />

Neuen Sachlichkeit. In der Schöpfung<br />

der DDR-Hymne manifestierte sich<br />

sein Glaube an die kommunistische<br />

Gesellschaftsidee. Den Niedergang der<br />

Deutschen Demokratischen Republik<br />

erlebte Eisler nicht mehr.<br />

Archivaufnahmen zeigen die großen<br />

Momente eines Musikerlebens,<br />

gefeierte Konzerte und Tourneen, aber<br />

auch einfache Orchesterproben oder<br />

die Arbeit mit den Studierenden der<br />

Dirigierklasse an der Musikuniversität<br />

in Wien. In Gesprächen und Bildern<br />

rekonstruiert Heitzmann die Familiengeschichte<br />

zwischen Ost und West und<br />

verbindet sie mit den eigenen, bruchstückhaften<br />

Erinnerungen an die<br />

Begegnungen mit dem Vater.<br />

«Nach der Musik» wurde mit zahlreichen<br />

Preisen ausgezeichnet, etwa dem<br />

«Zweitausendeins Filmpreis für den<br />

besten deutschen Dokumentarfilm»<br />

der DOK Leipzig, dem Preis für das<br />

beste Regiedebüt des Filmfestivals in<br />

Doclisboa und dem Publikumspreis des<br />

Montreal World Film Festival.


«Einigkeit und Recht und Freiheit für<br />

das deutsche Vaterland», so tönt es<br />

bei staatstragenden Ereignissen vom<br />

Platze. Dass die Melodie von Joseph<br />

Haydn stammt, betont man hierzulande<br />

natürlich gerne. Die von<br />

Hoffmann von Fallersleben betextete<br />

Hymne begleitet die Deutschen seit<br />

1841. Eine Zeit lang, nämlich im<br />

Dritten Reich, sangen auch die<br />

Österreicherinnen und Österreicher<br />

Salz und Pfeffer, das war’s. Eine<br />

Vielfalt an Gewürzen assoziert man<br />

gemeinhin nicht mit der deutschen<br />

Küche. Dass dieses Vorurteil so nicht<br />

stimmt, beweist der vielseitig tätige, in<br />

Wien lebende deutsche Musiker, DJ,<br />

Labelbetreiber und Gewürzmischungskreateur<br />

(!) Ulf Lindemann vulgo<br />

[dunkelbunt]. Neben Shantel und<br />

!DelaDap zählt er zur Speerspitze der<br />

neuen Fusioneure, die Folklore vom<br />

Balkan mit elektronischer Musik von<br />

heute zusammenführen. Bei ihm<br />

kommen dazu auch noch Einflüsse wie<br />

Klezmer, Swing oder orientalische<br />

Klänge.<br />

Wie beim Kochen geht es in der Musik<br />

von [dunkelbunt] zuerst um die<br />

Qualität der Zutaten, dann um die rich-<br />

Bamberger Symphoniker<br />

Sonntag, 26. September 2010, Großer Saal, 19.30 Uhr<br />

mit Inbrunst die erste Strophe mit.<br />

Heute beschränkt sich die offizielle<br />

Hymne auf die dritte Strophe der<br />

ursprünglichen Dichtung. Helmut<br />

Lachenmann, einer der renommiertesten<br />

deutschen Komponisten der<br />

Gegenwart, hat das <strong>Deutschland</strong>lied<br />

zum Ausgangspunkt einer prismatischen<br />

Betrachtung deutscher (Musik-)<br />

Traditionen genom men. Die 1980<br />

vollendete «Tanzsuite» flankiert<br />

zusammen mit Jörg Widmanns «Con<br />

brio»- Ouvertüre (2008) die «Achte»<br />

Beethovens, die wohl launigste<br />

Symphonie des Bonner <strong>Wiener</strong>s.<br />

Eines der führenden Orchester<br />

<strong>Deutschland</strong>s, die Bamberger Symphoniker<br />

unter der Leitung ihres Chefdirigenten<br />

Jonathan Nott, und das Arditti<br />

Quartet formulieren zum Abschluss<br />

dieses Festivals ein flammendes<br />

Plädoyer für die Musik unserer Zeit.<br />

tige Mischung und liebevolle Zubereitung.<br />

Sowohl mit seinen eigenen<br />

Stücken als auch mit Remixes und<br />

abendfüllenden DJ-Mixes hat der<br />

gebürtige Hamburger gezeigt, dass er<br />

ein gutes Händchen dafür hat. Und<br />

offenkundig lässt es ihn auch in der<br />

Küche nicht im Stich; seinen an<br />

Journalistinnen und Journalisten<br />

verschickten CDs pflegt Lindemann<br />

stets auch kleine Proben mit liebevoll<br />

selbst erzeugten Gewürzmischungen<br />

beizulegen. Zuletzt veröffentlichte er<br />

die stimmungsvolle Compilation «Sun<br />

Dub – A Spicy Blend», gewürzt mit<br />

Balkan Beats, Electro Swing, Funky<br />

Breaks, Oriental Dub, Tarantella,<br />

Bellydance, Gypsy Jungle, Mestizo und<br />

mehr. (SF)<br />

Bamberger Symphoniker –<br />

Bayerische Staatsphilharmonie<br />

Arditti Quartet<br />

Dirigent Jonathan Nott<br />

Jörg Widmann<br />

«Con brio».<br />

Konzertouvertüre für Orchester<br />

Ludwig van Beethoven<br />

Symphonie Nr. 8 F-Dur op. 93<br />

Helmut Lachenmann<br />

«Tanzsuite mit <strong>Deutschland</strong>lied».<br />

Musik für Orchester mit<br />

Streichquartett<br />

[dunkelbunt]<br />

Sonntag, 26. September 2010, Berio-Saal, 22.00 Uhr<br />

[dunkelbunt]<br />

Ulf Lindemann DJ Set<br />

27


Dank<br />

Generalpartner seit 1992<br />

Premium Sponsoren<br />

Verbund<br />

Volksbank AG<br />

Sponsoren<br />

AKG-Acoustics<br />

asp. consulting group<br />

BAWAG P.S.K.-Gruppe<br />

BÖHLER-UDDEHOLM AG<br />

ComSolution<br />

Deloitte<br />

Erste Bank<br />

Mercedes-Benz<br />

Merito Financial Solutions<br />

ÖBB-Postbus GmbH<br />

Porr AG<br />

Starlinger & Co GesmbH<br />

The OPEC Fund for International<br />

Development (OFID)<br />

Volksbank Wien AG<br />

Die <strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong>gesellschaft dankt ihren Sponsoren, Kooperationspartnern und Subventionsgebern<br />

Über die größte Musiklegende Frankreichs<br />

www.votivkino.at<br />

GAINSBOURG<br />

Ein Film von Joann Sfar<br />

ab Oktober im VOTIV KINO (franz. OmU)<br />

Kooperationspartner<br />

107,3 Radio Stephansdom · Bösendorfer<br />

Buchkultur · Büchereien Wien · BÜHNE<br />

card complete · Der Standard · Deutsche<br />

Zentrale für Tourismus e.V. · Diners Club<br />

Filmmuseum · Hotel am <strong>Konzerthaus</strong><br />

Hotel InterContinental · ISS<br />

Jacobs Kaffee · Jeunesse · Kattus<br />

Kurier · L. Heiner · Meta Communication<br />

International · Ö1 Club · ORF · Ottakringer<br />

ray Fimmagazin · Renaissance Wien Hotel<br />

skug · Superfund · Steinway in Austria<br />

Universal Music Classical Management<br />

and Productions · Wein & Co<br />

<strong>Wiener</strong> Linien · Wipark Garagen<br />

Unterstützende Institutionen<br />

AKM – Autoren, Komponisten,<br />

Musikverleger<br />

Austro Mechana/SKE-Fonds<br />

Firmenmäzene<br />

Dorda Brugger Jordis Rechtsanwälte GmbH<br />

Kartenbüro Jirsa<br />

Mondi AG · Soravia Gruppe<br />

Wolfgang Rosam Change Communications<br />

<strong>Wiener</strong> Porzellanmanufaktur Augarten<br />

Subventionsgeber<br />

Medienpartner<br />

Mit freundlicher Unterstützung der<br />

Impressum<br />

Redaktionsschluss: 23. 8. 2010 · Änderungen in Besetzungen und Programmen vorbehalten · Herausgeber, Eigentümer und Verleger: <strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong>gesellschaft,<br />

1030 Wien, Lothringerstraße 20 · Für den Inhalt verantwortlich: Bernhard Kerres · Konzeption des Festivals: Barbara Lebitsch · Redaktion: Lisa Farthofer<br />

(IMFG) · Textbeiträge gekennzeichnet mit SF: Sebastian Fasthuber · Gestaltung: schultz+schultz-Mediengestaltung · Herzlicher Dank gebührt Egbert Zinner für<br />

die Zurverfügungstellung seiner Photoserie «Schwarz, Rot, Gold – eine Liebeserklärung» · Coverfoto: Lukas Beck, Cover-Model: Daniela · weitere Photos (soweit<br />

bezeichnet): Norbert Michalke / F1 <strong>On</strong>line / picturedesk.com (Seite 2), Andreas Riedel (17 Hippies), Dean Bennici (Chris Gall), Maak Roberts (RotFront), Jo Gern<br />

(Jan Josef Liefers & Oblivion), Gerhard Richter (Schriefl), Alexandra Vosding (Meyer), Eva Baales (Kühn & Wollny), JustinWinz.com (Eckert), Udo Leitner (Stermann<br />

& Grissemann), Julia Wesely ([dunkelbunt])<br />

Herstellung: Druckerei Walla · Erscheinungsort: Wien · DVR-Nr.: 0660311<br />

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www.mondovino.at<br />

12. & 13. NOV. ’10<br />

1000 WEINE ZU GAST IM WIENER KONZERTHAUS<br />

Lothringerstraße 20 | 1030 Wien


spoton<br />

deutschland<br />

Samstag, 25. September 2010<br />

Großer Saal Mozart-Saal Schubert-Saal Berio-Saal Schönberg-Saal<br />

17.30 17 Hippies Herbert Schuch<br />

19.30<br />

21.30<br />

Jan Josef Liefers<br />

& Oblivion<br />

Landshamer ;<br />

Schmitt ; Huber<br />

Chris Gall Trio<br />

feat. Enik<br />

Detlev Eckstein RotFront<br />

Sonntag, 26. September 2010<br />

12.00 Foyer Frühschoppen mit der Unterbiberger Hofmusik & Matthias Schriefl<br />

14.30<br />

16.00<br />

17.30<br />

19.30<br />

«Wir sind<br />

gekommen,<br />

um zu bleiben»<br />

«Ehrt Eure<br />

deutschen<br />

Meis ter...»<br />

Großer Saal Mozart-Saal Schubert-Saal Berio-Saal Schönberg-Saal<br />

Bamberger<br />

Symphoniker<br />

«Die Razzia Ihres<br />

Lebens»<br />

Joachim Kühn &<br />

Michael Wollny<br />

Dirk Stermann<br />

& Christoph<br />

Grissemann<br />

Hamburger<br />

Ratsmusik<br />

ensemble<br />

recherche<br />

«Karlheinz<br />

Stockhausen –<br />

Helicopter String<br />

Quartet»<br />

«Blasmusik trifft<br />

Heavy Metal»<br />

«Nach der Musik»<br />

22.00 [dunkelbunt]<br />

Festivalpass: € 44,–<br />

Jugendliche bis 26 Jahre: € 26,–<br />

Jugendmitglieder der<br />

<strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong>gesellschaft: € 22,–<br />

Tageskarten: € 28,–<br />

Jugendliche bis 26 Jahre: € 17,–<br />

Jugendmitglieder der<br />

<strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong>gesellschaft: € 14,–<br />

Das Festival «<strong>Spot</strong> <strong>On</strong>: <strong>Deutschland</strong>» findet in allen Sälen<br />

des <strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong>es bei freier Platzwahl statt.<br />

Veranstaltungen im Mozart-Saal, Schubert-Saal, Berio-<br />

Saal und Schönberg-Saal mit begrenzter Platzkapazität.<br />

Der allgemeine Vorverkauf hat bereits begonnen.<br />

<strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong><br />

Lothringerstraße 20 · 1030 Wien<br />

Telephon: +43 1 242 002<br />

Fax: +43 1 24200-110<br />

E-Mail: ticket@konzerthaus.at<br />

www.konzerthaus.at<br />

Kulinarik<br />

«10 Jahre später...»<br />

Das Restaurant Weinzirl und die<br />

Buffets im <strong>Wiener</strong> <strong>Konzerthaus</strong> bieten<br />

während des Festivals regionaltypische<br />

Speisen und Getränke aus <strong>Deutschland</strong>.

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