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Für jeden den passenden Filzhut - Dr. Neinhaus Verlag AG

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30<br />

Aktuell<br />

<strong>Für</strong> <strong>je<strong>den</strong></strong> <strong>den</strong> passen<strong>den</strong> <strong>Filzhut</strong><br />

Die Ausübung eines nicht alltäglichen Handwerks<br />

Schafwolle<br />

Mit zwei Bergschafen begann<br />

für Franz und Karolina Greber<br />

und ihren zwei Töchtern<br />

vor 20 Jahres alles „rund ums<br />

Schaf“ — und das in mancherlei<br />

Hinsicht.<br />

Da wir immer schon<br />

wollbegeistert waren,<br />

haben wir sofort damit<br />

begonnen, unsere Wolle zu<br />

verspinnen, zu verstricken und<br />

zu verweben“, erfährt der Besucher<br />

auf dem abseits gelegenen,<br />

gemütlichen Hof in Maleichen<br />

zwischen Gestratz und Argenbühl<br />

im Allgäu.<br />

Die Schafherde ist mittlerweile<br />

auf zwanzig Muttertiere angewachsen,<br />

einen Bock und natürlich<br />

viele langohrige Jungtiere,<br />

die fröhlich und glücklich<br />

blöken. „Bis auf ein paar Lieblingsschafe<br />

züchten wir schon<br />

lange ausschließlich braune und<br />

schwarze Bergschafe, eine vom<br />

Aussterben bedrohte Rasse“,<br />

erzählt Franz Greber, während<br />

sich Ziegen, Hühner, Enten, Hasen<br />

sowie Hund und Katze auf<br />

Die Hüte müssen einige Tage an der Luft trocknen.<br />

dem Hof freilaufend tummeln.<br />

„Hinzu kommt, dass wir uns<br />

viele neue Techniken angeeignet<br />

haben, wie beispielsweise<br />

das Filzen.“<br />

In Kursen wird auf dem Hof mit<br />

„Märchenwolle“ gebastelt, gefilzt<br />

und gesponnen oder Wolle<br />

zu Vliesen kardiert, wie man das<br />

Kämmen der wuseligen Wollfasern<br />

fachgerecht bezeichnet. Die<br />

Schafhalter versorgen außerdem<br />

Einheimische und Fremde<br />

mit qualitativ hochwertigem<br />

Lammfleisch und Wurst.<br />

Sein steter Einsatz für die Pflege<br />

und Förderung der Schafhaltung<br />

trug dazu bei, dass Greber<br />

bald zum ersten Vorstand des<br />

Vereins „Allgäuer Schafhalter<br />

e.V.“ mit Sitz in Hinterstaufen<br />

gewählt wurde. „Das ist ungefähr<br />

der Mittelpunkt unseres<br />

Einzugsgebietes, das sich von<br />

Oberstdorf über Memmingen<br />

bis Lindau erstreckt“, berichtet<br />

er. Doch damit nicht genug.<br />

Chapeau!<br />

Mit dem gegenwärtig „modernen“<br />

französischen Begriff<br />

„Chapeau!“, der Anerkennung<br />

und Respekt für besondere Leistungen<br />

und Erfolge ausdrücken<br />

soll, kann man vor Franz Greber<br />

und seiner Frau wahrhaftig „<strong>den</strong><br />

Hut ziehen“, <strong>den</strong>n in Gestratz<br />

wird man „gut behütet“. Von<br />

Haus aus ein tüchtiger Bäcker,<br />

wurde Franz zum Schäfer. Was<br />

die Grebers sonst noch <strong>den</strong> lieben<br />

langen Tag auf dem Gelände<br />

vollbringen, ist eine besondere<br />

Geschichte und verlangt<br />

zumindest Bewunderung. Man<br />

braucht sich nur umzuschauen:<br />

Ein Tisch voller noch feuchter<br />

Filzhüte in allen Farben zeugt<br />

von einer dritten, auf Tradition<br />

fußen<strong>den</strong> Berufung. Die Grebers<br />

üben mit der Wolle ein nicht<br />

mehr alltägliches Handwerk<br />

aus, das einst im Mittelalter ein<br />

zünftiger Beruf war.<br />

„Unbehütet zu arbeiten, das<br />

kann sich auf dem Land eigentlich<br />

keiner leisten“, erwähnt Karolina,<br />

„zumal das Material der<br />

Kopfbedeckung aus Filz einmalige<br />

Vorzüge für Haus und Hof<br />

aufweist“. Das schätzen nicht<br />

nur die früher schweißtreibende<br />

Strohhüte und bestenfalls<br />

Kopftücher gewohnten Alpbauern<br />

und Landfrauen. Sogar<br />

Stadtbewohner aus Berlin,<br />

München und Stuttgart ebenso<br />

wie Feriengäste und Leute, die<br />

Landpost 23/2011<br />

Die Allgäuer Bergschafe in ihrem Stall. Fotos: Mechthild Wiedner<br />

schon Freunde in Südafrika<br />

damit bedachten, Arbeiter auf<br />

Bohrinseln und vor allem jeder,<br />

der auf Naturkopfbedeckungen<br />

steht, sorgen für guten Absatz<br />

der Hüte und lassen Franz zum<br />

„<strong>Filzhut</strong>könig“ wer<strong>den</strong>, wie er<br />

spaßig bezeichnet wird, auch<br />

wenn „Filzhüte allein leider keine<br />

Familie ernähren“.<br />

Große Mengen fettiger Wolle<br />

warten nach der Schur im Frühjahr<br />

und Herbst in Säcken auf<br />

ihre Wäsche und Trocknung<br />

in überdimensionalen Spezialmaschinen<br />

in Tirol, während<br />

ein kleines Quantum ausgelegt,<br />

wie Heu gewendet wird und als<br />

Wunderfaser wärmt und kühlt.<br />

Aus Schafwolle entstan<strong>den</strong> unzählige<br />

Produkte wie Strickwolle,<br />

Kar<strong>den</strong>bänder, weiche Bälle,<br />

gefärbte „Märchenwolle“, Teppiche,<br />

Betten oder Schafwollsocken.<br />

Nur etwas fehlte noch.<br />

Der Traum vom <strong>Filzhut</strong><br />

Karolina besuchte eines Tages<br />

eine alte Bäuerin in Österreich,<br />

die ihr zeigte, wie man aus Filz<br />

die im Allgäu „Botschen“ genannten<br />

Pantoffeln herstellen<br />

kann. Das ließ ihren Mann keine<br />

ruhige Nacht mehr verbringen.


Landpost 23/2011 Aktuell 31<br />

Die Schafe und ihre frisch geschorenen<br />

Wollmäntelchen.<br />

Er träumte: „Man müsste doch<br />

ebenso Hüte filzen können“,<br />

machte <strong>den</strong> ersten Versuch, der<br />

„zu keinem so tollen Ergebnis<br />

führte, aber unsere kleine Tochter<br />

Johanna umso mehr erfreute,<br />

weil daraus eine winzige Mütze<br />

für ihre Puppe entstand“.<br />

Große Nachfrage<br />

Da Übung bekanntlich <strong>den</strong><br />

Meister macht, entstan<strong>den</strong> „zur<br />

Probe“ sieben Filzhüte für <strong>den</strong><br />

nächsten Markttag. „Sie fan<strong>den</strong><br />

reißen<strong>den</strong> Absatz und machten<br />

uns superstolz“, stellt Greber<br />

zufrie<strong>den</strong> fest. Dem Echo der<br />

Käufer und der Nachfrage entnahm<br />

er, dass es sich lohnt, „bo<strong>den</strong>ständige<br />

Produkte wie diese<br />

‚Nutzhüte' herzustellen, die man<br />

brauchen und die sich vom Preis<br />

her jeder leisten kann“. Nun war<br />

der Weg geebnet, für alle interessierten<br />

Menschen auch Lehrgänge<br />

im Filzen anzubieten,<br />

zumal „keinesfalls Künstler, die<br />

sich verwirklichen wollen, daran<br />

teilnehmen“.<br />

Run<strong>den</strong> und spitzen Filzhüten<br />

in vielen Farben begegnet man<br />

auf dem Schafhof, wobei „jeder<br />

seinen Hut als Gebrauchsgegenstand<br />

noch nachformen<br />

kann, ganz nach eigenem Geschmack;<br />

auf diese Weise bekommt<br />

jeder Hut seine Handschrift“,<br />

wie Franz betont. Lust<br />

an der Arbeit, Freude am Hut,<br />

Ausdauer, Geschick — und wie<br />

er schmunzelnd hinzufügt: „eine<br />

fleißige Frau!“ —, erleichtern<br />

die „Knochenarbeit am Wasch-<br />

brett“. Und damit ist der Besucher<br />

schon mittendrin in der<br />

„<strong>Filzhut</strong>geburt“.<br />

Grebers Eltern waren einfache<br />

Bauern mit einer Filzwerkstatt.<br />

Der kleine Franz eignete sich<br />

nicht nur die Fertigkeit an, wie<br />

man die lieben Schäfchen von<br />

ihren „Wollemäntelchen“ befreit,<br />

sondern auch die Verarbeitung<br />

des Rohstoffes. Eine<br />

über 100 Jahre alte Kardiermaschine<br />

kämmt noch immer<br />

die gewaschene Wolle aus dem<br />

umfangreichen Lager. Vlies,<br />

auch „Band“ genannt, ist das<br />

Ergebnis dieser Prozedur. Jeweils<br />

zwei dieser Vliesbänder<br />

wer<strong>den</strong> nebeneinander flach<br />

auf <strong>den</strong> Tisch gelegt, mit warmem<br />

Wasser befeuchtet und in<br />

mühseliger Arbeit „verwurstelt<br />

und verknetet“. Mit Schmierseife<br />

machen die Grebers <strong>den</strong> entstan<strong>den</strong>en<br />

Fla<strong>den</strong> rutschig, wodurch<br />

die unter dem Mikroskop<br />

Tannenzapfen mit Schuppen<br />

ähneln<strong>den</strong> Wollefasern aufquellen<br />

und immer fester zum geschmeidigen<br />

Filzklumpen miteinander<br />

verwirkt und zusammenpresst<br />

wer<strong>den</strong>. Der Filz wird<br />

in zwei fluffige Hälften geteilt,<br />

die mittels einer Schablone unter<br />

großem Kraftaufwand akkurat<br />

auf Waschbrettern gewalkt<br />

wer<strong>den</strong>, bis die Fingerknochen<br />

knacken und unter Verwendung<br />

von Holzrollen beide zusammengepressten<br />

Filzhälften der<br />

Hutform miteinander verbun<strong>den</strong><br />

sind. Diese „Rohform“ muss<br />

man aufschnei<strong>den</strong>,<br />

über bereitstehende<br />

Holzköpfe stülpen<br />

und sorgfältig festdrücken.<br />

„So bekommt<br />

sogar jeder<br />

Holzkopf bei uns<br />

seinen passen<strong>den</strong><br />

Hut“, ulkt Karolina<br />

Greber.<br />

Nur noch die<br />

Krempe ist umzulegen,<br />

der Rand ist<br />

festzudrücken, zu<br />

beschnei<strong>den</strong> und nachzufilzen.<br />

Jeder fertig geformte Hut bedarf<br />

schließlich des Ausspülens<br />

sowie der Trocknung innerhalb<br />

einer Woche. Er trägt dann dazu<br />

bei, dass jeder Besitzer im<br />

wahrsten Sinne des Wortes <strong>den</strong><br />

Schafhof in Gestratz wirklich<br />

„gut behütet“, also „umsorgt“<br />

und auch vor Regen geschützt,<br />

verlässt, selbst wenn er vorher<br />

glaubte, als vermeintlicher<br />

„Holzkopf“ keine schöne, neue<br />

Kopfbedeckung zu benötigen.<br />

Willkommene Besucher<br />

„Unsere Arbeit ist Berufung“,<br />

meint Franz Greber zum Abschied<br />

und ist betrübt, „falls sich<br />

kein Nachfolger fin<strong>den</strong> sollte,<br />

dann stirbt vielleicht ein weiteres<br />

altes Allgäuer Handwerk<br />

unwiederbringlich aus“.<br />

Die Grebers trösten sich aber<br />

ein wenig mit ihrem Glauben<br />

an <strong>den</strong> heiligen Clemens, der als<br />

Schutzpatron der Hüter bekannt<br />

gewor<strong>den</strong> ist. Dieser heilige Pil-<br />

Die 100 Jahre alte Kardiermaschine kämmt die<br />

gewaschenen Wollflocken.<br />

ger wanderte der Legende nach<br />

einst zur Entlastung der Füße<br />

auf seinen langen Wegen in mit<br />

Wolle ausgestopften Schuhen.<br />

Als er die auszog, war eine Filzsohle<br />

daraus gewor<strong>den</strong>.<br />

Eine andere Geschichte hängt<br />

mit der Arche Noah zusammen.<br />

Die Schafe verloren auf<br />

dem Schiff ihre Wolle. Andere<br />

Tiere traten darauf herum,<br />

und es entstand aus <strong>den</strong> Fla<strong>den</strong><br />

brauchbarer Filz.<br />

Diese Überlieferungen bringen<br />

noch immer <strong>den</strong> Filz ins<br />

Gespräch und tragen dazu bei,<br />

möglichst viele Besucher des<br />

Hofes neugierig zu machen auf<br />

die heutige Verarbeitung der<br />

Wolle neben anderem zu Filzhüten,<br />

was Karolina und Franz<br />

nur zu gern vorführen und in<br />

allen Einzelheiten erläutern.<br />

Karl-Heinz Wiedner<br />

Kontakt:<br />

Franz und Karolina Greber in<br />

Gestratz: Telefon: 0 83 83 / 73 84<br />

Familie Greber ist mit Begeisterung bei der Arbeit. Links: Karolina feuchtet das Wollvlies mit warmem Wasser an.<br />

Mitte: Auf einem Waschbrett wird der Filz kräftig gewalkt. Rechts: Franz stülpt <strong>den</strong> Rohling über einen Holzkopf<br />

und bringt ihn in Form.

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