Leitfaden für die Vorlesung Mikrobiologie und ... - Gudrun Nagl
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FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE DR. NAGL<br />
<strong>Leitfaden</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Vorlesung</strong><br />
<strong>Mikrobiologie</strong> <strong>und</strong> Hygiene WS 2003/2004<br />
Teil 1<br />
von Dipl.-Ing. Dr. <strong>Gudrun</strong> <strong>Nagl</strong><br />
Literaturangaben:<br />
[1] H. G. Schlegel, 1992. Allgemeine <strong>Mikrobiologie</strong>. Thieme Verlag Stuttgart, 7. Auflage<br />
[2] G. Müller & H. Weber, 1996. <strong>Mikrobiologie</strong> der Lebensmittel - Gr<strong>und</strong>lagen. Behr`s<br />
Verlag GmbH&Co, 8. Auflage<br />
[3] J. Krämer, 1987. Lebensmittelmikrobiologie. Eugen Ulmer GmbH & Co<br />
[4] M. Weidenbörner, 1999. Lebensmittel-Mykologie. Behr`s Verlag GmbH&Co, 1.<br />
Auflage<br />
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FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE DR. NAGL<br />
1 Einführung<br />
Die <strong>Mikrobiologie</strong> ist ganz allgemein <strong>die</strong> Lehre von den kleinen <strong>und</strong> kleinsten Lebewesen,<br />
<strong>die</strong> als Individuen in der Regel nur mikroskopisch sichtbar gemacht werden können. Sie ist<br />
neben der Botanik <strong>und</strong> der Zoologie eine Wissenschaftsdisziplin der Biologie. Nach der Art<br />
der Organismen unterscheidet man Phykologie, Mykologie, Bakteriologie, Virologie <strong>und</strong><br />
Protozoologie (Abb.1).<br />
Abb.1: Einordnung <strong>und</strong> Gliederung der <strong>Mikrobiologie</strong><br />
Biologie<br />
Botanik <strong>Mikrobiologie</strong> Zoologie<br />
Mykologie Bakteriologie Virologie<br />
Phykologie Protozoologie<br />
Des weiteren gibt es applikationsorientierte Unterteilungen der <strong>Mikrobiologie</strong>, z. B. in<br />
Medizinische <strong>Mikrobiologie</strong>, Technische <strong>Mikrobiologie</strong>, Lebensmittelmikrobiologie usw. So<br />
beschäftigt sich <strong>die</strong> Lebensmittelmikrobiologie mit den mikrobiologischen<br />
Zusammenhängen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Herbeiführung der charakteristischen Gebrauchswerteigenschaften<br />
der Lebensmittel bewirken oder mit prägen bzw. <strong>die</strong> zum Lebensmittelverderb sowie zur<br />
Übertragung pathogener Mikroorganismen führen können. Somit stehen mikrobiologische<br />
Stoffumwandlungsprozesse, Verfahren zur Haltbarmachung von Lebensmitteln <strong>und</strong><br />
Untersuchungen zur Bestimmung des am oder im Lebensmittel vorkommenden<br />
Keimspektrums unter Berücksichtigung der speziellen mikrobiologischen Aspekte im<br />
Mittelpunkt der Betrachtungen.<br />
Die Lebensmittelmikrobiologie basiert auf der Allgemeinen <strong>Mikrobiologie</strong> <strong>und</strong> behandelt in<br />
enger Wechselwirkung zur Technologie Fragestellungen der Lebensmittelindustrie. Von<br />
besonderer Bedeutung sind <strong>die</strong> Bakteriologie, <strong>die</strong> Mykologie <strong>und</strong> teilweise <strong>die</strong> Virologie<br />
(Bakteriophagen) als Zweige der <strong>Mikrobiologie</strong>.<br />
Die Lebensmittelmikrobiologie berührt darüber hinaus vielfach andere<br />
Wissenschaftsdisziplinen, wie <strong>die</strong> Verfahrenstechnik, <strong>die</strong> Lebensmitteltechnologie, <strong>die</strong><br />
Biotechnik, <strong>die</strong> Lebensmittelchemie, <strong>die</strong> Biochemie, <strong>die</strong> Medizinische <strong>Mikrobiologie</strong>, <strong>die</strong><br />
Lebensmittelhygiene, <strong>die</strong> Molekularbiologie, so daß eine eindeutige Zuordnung eines<br />
Problems nicht immer möglich <strong>und</strong> sinnvoll ist. Diese wechselseitigen Abhängigkeiten<br />
zwischen den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen sind schematisch in Abbildung 2<br />
dargestellt.<br />
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Abb.2: Lebensmittelmikrobiologie <strong>und</strong> angrenzende Wissenschaftsdisziplinen<br />
Innerhalb der Lebensmittelmikrobiologie lassen sich zwei Hauptrichtungen der<br />
Aufgabenstellungen unterscheiden, <strong>die</strong> sich aus der Stellung der Lebensmittelmikrobiologie<br />
zu den anderen Wissenschaftsdisziplinen ergeben. Die erste Richtung beschäftigt sich mit der<br />
mikrobiologischen Untersuchung zur Feststellung des mikrobiologischen Zustandes eines<br />
Lebensmittels <strong>und</strong> der daraus zu ziehenden Schlußfolgerungen. Hierzu zählen <strong>die</strong><br />
mikrobiologischen Betriebskontrollen, <strong>die</strong> Untersuchungen auf Infektionsfreiheit <strong>und</strong><br />
Apathogenität vorhandener Mikroorganismen, <strong>die</strong> Untersuchungen zum Keimspektrum eines<br />
Lebensmittels usw. Diese Untersuchungen werden auf der Gr<strong>und</strong>lage der Arbeitsmethoden<br />
der Allgemeinen <strong>Mikrobiologie</strong>, der Medizinischen <strong>Mikrobiologie</strong>, gegebenenfalls<br />
spezifischer Methoden der Lebensmittelmikrobiologie <strong>und</strong> der Biochemie durchgeführt.<br />
Die zweite Richtung beschäftigt sich hauptsächlich mit den mikrobiologischen Fragen, <strong>die</strong> in<br />
unmittelbarem Zusammenhang zur Realisierung der mikrobiologischen Stoffumwandlung <strong>und</strong><br />
der Manifestierung eines mikrobiologischen Zustandes stehen. Geht man davon aus, daß eine<br />
Vielzahl von Lebensmitteln durch <strong>die</strong> gezielte Nutzung von nativ vorkommenden bzw.<br />
zugesetzten Mikroorganismen hergestellt werden, so wird <strong>die</strong> besondere Bedeutung <strong>die</strong>ses<br />
Gebietes innerhalb der Lebensmittelmikrobiologie deutlich. Es gibt nur wenige Lebensmittel,<br />
bei denen mikrobiologische Aspekte keine Rolle spielen.<br />
Die Kenntnis <strong>die</strong>ser Zusammenhänge ist deshalb <strong>für</strong> jeden in der Lebensmittelindustrie<br />
beschäftigten Mitarbeiter notwendig, wobei der erforderliche Grad der Kenntnisse durch seine<br />
Arbeitsaufgabe bestimmt wird.<br />
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1.1 Mikroorganismen im Dienste des Menschen<br />
Der Unbefangene erkennt <strong>die</strong> praktische Bedeutung der Mikroorganismen zunächst an den<br />
Schäden, <strong>die</strong> sie bei Mensch, Tier <strong>und</strong> Pflanze verursachen. Mit <strong>die</strong>sen krankheitserregenden<br />
oder pathogenen Mikroorganismen <strong>und</strong> ihren speziellen Eigenschaften beschäftigen sich <strong>die</strong><br />
humanmedizinische <strong>und</strong> veterinärmedizinische <strong>Mikrobiologie</strong> sowie <strong>die</strong> Phytopathologie.<br />
Obwohl Mikroorganismen noch in anderen Bereichen der Natur <strong>und</strong> in der Industrie als<br />
Schädlinge auftreten, überwiegt ihre Rolle als Nützlinge bei weitem. Mikroorganismen<br />
haben sich seit langem einen festen Platz im Haushalt <strong>und</strong> in der Industrie erobert; ihre<br />
Leistungen als "Nutzpflanzen" sind nicht zu entbehren. Ihre Verwendung erstreckt sich von<br />
der Veredelung landwirtschaftlicher Primärprodukte bis zur Katalyse diffiziler chemischer<br />
Reaktionsschritte.<br />
Klassische mikrobielle Verfahren. Am Beispiel der Bier- <strong>und</strong> Weinbereitung mittels Hefen,<br />
der Brotbereitung <strong>und</strong> der Herstellung von Milchprodukten mit Hilfe von<br />
Milchsäurebakterien sowie der Herstellung von Speiseessig durch Essigsäurebakterien wird<br />
deutlich, daß Mikroorganismen zu den ältesten "Kulturpflanzen" zählen. In Japan <strong>und</strong><br />
Indonesien werden seit alters her Sojabohnen mit Hilfe von Schimmelpilzen, Hefen <strong>und</strong><br />
Milchsäurebakterien aufbereitet. Abgesehen von der Ethanolproduktion sind<br />
Mikroorganismen in <strong>die</strong> industrielle Produktion reiner Verbindungen erst seit sechs<br />
Jahrzehnten eingeschaltet worden. Bereits im ersten Weltkrieg wurde eine gesteuerte<br />
Hefegärung zur Herstellung von Glycerin ausgenutzt. Die in der Nahrungsmittelindustrie in<br />
großen Mengen benötigte Milchsäure <strong>und</strong> Citronensäure wird mit Hilfe von<br />
Milchsäurebakterien bzw. durch den Schimmelpilz Aspergillus niger hergestellt. Aus billigen<br />
kohlenhydratreichen Abfällen lassen sich durch Gärungen mit Clostri<strong>die</strong>n <strong>und</strong> Bazillen<br />
Aceton, Butanol, 2-Propanol, Butandiol <strong>und</strong> andere Gr<strong>und</strong>chemikalien herstellen.<br />
Antibiotikaproduktion. Eine neue Epoche der medizinischen Therapie <strong>und</strong> der<br />
Heilmittelindustrie hat <strong>die</strong> Auffindung der Antibiotika eingeleitet. Der Entdeckung des<br />
Penicillins <strong>und</strong> anderer Ausscheidungsprodukte von Pilzen, Actinomyceten <strong>und</strong> anderen<br />
Bakterien verdankt <strong>die</strong> Menschheit nahezu unfehlbare Mittel zur Bekämpfung bakterieller<br />
Infektionskrankheiten. Die Suche nach neuen Antibiotika ist noch immer erfolgreich.<br />
Theoretisch erscheint auch <strong>die</strong> Bekämpfung von Viruskrankheiten <strong>und</strong> virusbedingten<br />
Tumoren mit Hilfe von Antibiotika aussichtsreich.<br />
Neue mikrobielle Verfahren. Die klassischen Gärungen werden durch neue mikrobielle<br />
Produktionen <strong>und</strong> Umsetzungen ergänzt. Carotinoide <strong>und</strong> Steroide werden aus Pilzen<br />
gewonnen. Seit der Entdeckung, daß Corynebacterium glutamicum aus Zucker <strong>und</strong><br />
Ammoniumsalz mit hoher Ausbeute Glutaminsäure produziert, sind Mutanten isoliert <strong>und</strong><br />
Verfahren entwickelt worden, nach denen sich viele Aminosäuren, Nucleotide <strong>und</strong><br />
Biochemikalien im großen Maßstab herstellen lassen. Mikroorganismen werden vom<br />
Chemiker zur Katalyse von Teilprozessen in lange Syntheseketten eingeschaltet; mikrobielle<br />
Umsetzungen übertreffen chemische an Spezifität <strong>und</strong> Ausbeute; Amylasen zur<br />
Stärkehydrolyse, Proteinasen zur Lederbereitung, Pectinasen zur Fruchtsaftklärung <strong>und</strong><br />
andere industriell angewandte Enzyme werden aus Mikroorganismenkulturen gewonnen.<br />
Monopolstellung der Mikroorganismen. Es ist hervorzuheben, daß einige in besonders<br />
großen Mengen verfügbare Rohstoffe wie Erdöl, Erdgas oder Cellulose nur von<br />
Mikroorganismen verwertet <strong>und</strong> entweder zu Zellmaterial (Biomasse) oder<br />
Zwischenprodukten, <strong>die</strong> von den Zellen ausgeschieden werden, umgesetzt werden können.<br />
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Mikrobielle Biomasse besteht aus Kohlenhydraten, Lipiden <strong>und</strong> Nucleinsäuren. Diese<br />
Inhaltsstoffe können nach Aufschluss der Zellen gewonnen werden <strong>und</strong> in den<br />
verschiedensten Produkten Anwendung finden. Das Hauptinteresse gilt dem Proteinanteil der<br />
Biomasse. Aus <strong>die</strong>sem Gr<strong>und</strong> werden <strong>die</strong>se Produkte fälschlicherweise mit Einzellerprotein<br />
(SCP) bezeichnet, obwohl damit nicht nur der Proteinanteil, sondern der ganze Zellinhalt<br />
gemeint ist.<br />
Mikroorganismen haben daher bei der "Veredelung" der unkonventionellen Rohstoffe Erdöl,<br />
Erdgas <strong>und</strong> Kohle eine Monopolstellung. Die Erschließung <strong>die</strong>ser Rohstoffe durch<br />
biologische Verfahren hat gerade erst begonnen.<br />
Moderne genetische Techniken. Die Aufklärung der Mechanismen der Genübertragung bei<br />
Bakterien <strong>und</strong> der Beteiligung von extrachromosomalen Elementen haben Möglichkeiten zur<br />
Übertragung von Fremd-DNA in Bakterien eröffnet. Die genetische Manipulation macht es<br />
möglich, kleine Stücke der Träger genetischer Information, beispielsweise des Menschen, in<br />
Bakterien einzuführen <strong>und</strong> in ihnen <strong>die</strong> entsprechenden Proteine synthetisieren zu lassen. Es<br />
ist durchaus möglich, Hormone, Antigene, Antikörper <strong>und</strong> andere Proteine mit Hilfe von<br />
Bakterien herzustellen. Es wird auch versucht, <strong>die</strong> Fähigkeit, Stickstoff zu fixieren, auf<br />
Pflanzen zu übertragen oder auf biochemischen Defekten beruhende Krankheiten zu heilen.<br />
Unmittelbare Anwendbarkeit gr<strong>und</strong>lagenwissenschaftlicher Erkenntnisse. Es würde zu<br />
weit führen, hier alle Verfahren <strong>und</strong> Produkte der industriellen <strong>Mikrobiologie</strong> aufzuzählen<br />
<strong>und</strong> über <strong>die</strong> Möglichkeiten weiterer Anwendungen zu spekulieren. Die Beziehungen<br />
zwischen Gr<strong>und</strong>lagenforschung <strong>und</strong> Praxis sind in der <strong>Mikrobiologie</strong> wie in allen<br />
Naturwissenschaften sehr eng.<br />
1.2 Bedeutung der Mikroorganismen in der Natur<br />
Stoffkreisläufe<br />
Entsprechend ihrer Bedeutung <strong>und</strong> Funktion im Haushalt der Natur ordnet man <strong>die</strong><br />
Lebewesen in drei Gruppen ein: Produzenten, Konsumenten <strong>und</strong> Destruenten.<br />
- Produzenten<br />
sind <strong>die</strong> grünen Pflanzen, <strong>die</strong> unter Verwertung von Sonnenenergie <strong>und</strong> Kohlendioxid<br />
organische Substanz (Biomasse) produzieren.<br />
- Konsumenten<br />
sind <strong>die</strong> Tiere, <strong>die</strong> einen Teil der Biomasse zum Aufbau körpereigener, organischer<br />
Substanz verbrauchen.<br />
- Destruenten<br />
sind <strong>die</strong> Mikroorganismen, insbesondere Pilze <strong>und</strong> Bakterien, <strong>die</strong> <strong>die</strong> organische Substanz<br />
- Tiere <strong>und</strong> Pflanzen - zu anorganischen (mineralischen) Verbindungen abbauen. Dieser<br />
Vorgang, bei dem <strong>die</strong> Bioelemente Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff,<br />
Phosphor <strong>und</strong> Schwefel in Form anorganischer Verbindungen entstehen, nennt man<br />
Mineralisation. Die anorganischen Verbindungen stehen den Produzenten erneut zum<br />
Aufbau der Biomasse zur Verfügung. Die Bioelemente gehen demzufolge in<br />
Kreislaufprozesse ein: Kohlenstoff-, Stickstoff-, Phosphor- <strong>und</strong> Schwefel-Kreislauf.<br />
Nützliche Mikroorganismen<br />
Dies sind Mikroorganismen mit bekannten Eigenschaften <strong>und</strong> Stoffwechselleistungen. Man<br />
benutzt sie beispielsweise um Milch zu säuern (Joghurt, Dickmilch, Sauerrahm ....). In der<br />
Käserei bauen sie Inhaltsstoffe der rohen Käse ab. Es entsteht das genußfähige, typische<br />
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Produkt. Derartige Mikroorganismen werden in der Regel als Reinkulturen gezüchtet. Ihre<br />
Leistungsfähigkeit <strong>und</strong> ihre Unbedenklichkeit muß durch ständige Kontrolle im Labor <strong>und</strong> in<br />
der Anwendung gewährleistet sein.<br />
Schädliche Mikroorganismen<br />
Wir verstehen darunter "Verderbniserreger". Sie mindern Produkte in ihrem Genuß- oder<br />
Gebrauchswert. Durch ihre Stoffwechselaktivität kann Butter ranzig, Milch süßlich faul<br />
schmecken, Käse gebläht werden. Diese "Schadkeime" sind im betroffenen Produkt meist in<br />
riesigen Zahlen nachweisbar.<br />
Gefährliche Mikroorganismen<br />
Das sind Mikroorganismen, <strong>die</strong> beim Menschen Erkrankungen verursachen oder Giftstoffe in<br />
Lebensmitteln bilden können. Krankheitserreger, auch als pathogene Keime bezeichnet,<br />
können den Verzehr eines Lebensmittels riskant machen, selbst wenn nur wenige Zellen<br />
enthalten sind, da sie imstande sind sich im Körper zu vermehren. Giftstoffbildende, auch<br />
toxinogene Keime genannt, müssen sich in der Regel im Lebensmittel oder den<br />
Ausgangsstoffen stark vermehrt haben, damit relevante Toxingehalte entstehen können.<br />
Dennoch muß ein toxinhaltiges Produkt nicht zwangsläufig viele toxinogene Keime enthalten,<br />
da <strong>die</strong>se bereits abgestorben sein können.<br />
Alle Maßnahmen bei der Gewinnung, Herstellung, Lagerung <strong>und</strong> Inverkehrbringung von<br />
Nahrungsmitteln müssen darauf gerichtet sein, Kontamination mit Schadkeimen möglichst<br />
gering zu halten, ihr Wachstum zu verhindern oder zu verlangsamen, sie durch geeignete<br />
Bearbeitungsschritte zu beseitigen. Pathogene Keime müssen mit Sicherheit abgetötet,<br />
Giftstoffbildung muß unterb<strong>und</strong>en werden.<br />
Saprophyten - Parasiten - Symbionten<br />
Diese Begriffe kennzeichnen <strong>die</strong> Tätigkeit <strong>und</strong> <strong>die</strong> Beziehungen von Lebewesen zu anderen<br />
Lebewesen.<br />
Saprophytische Mikroorganismen sind "Zersetzer <strong>und</strong> Mineralisierer". Sie decken ihren<br />
Nährstoffbedarf durch den Abbau toten organischen Materials (sapros = verfault; phyton =<br />
Pflanze).<br />
Parasiten befallen lebende Organismen <strong>und</strong> entziehen ihnen <strong>die</strong> Stoffe <strong>die</strong> <strong>die</strong>se<br />
"Schmarotzer" zu ihrem Lebensunterhalt benötigen. Parasiten sind deshalb zu beachten, weils<br />
sie ihren Wirtsorganismus unter Umständen schwer schädigen ja sogar abtöten können.<br />
Parasiten <strong>die</strong> nicht schädigend wirken, heißen Kommensalen, ("Mit-Esser").<br />
Als Symbionten gelten Organismen <strong>die</strong> zum gegenseitigen Nutzen zusammenleben<br />
(mutualistische Symbiose). Der Partner Knöllchenbakterium versorgt Leguminosen mit<br />
Stickstoff den er aus dem Luftstickstoff fixiert. Da<strong>für</strong> stellt <strong>die</strong> Pflanze den Bakterien<br />
Nährstoff zur Verfügung.<br />
Pathogenität <strong>und</strong> Virulenz<br />
Unter Pathogenität versteht man <strong>die</strong> gr<strong>und</strong>sätzliche Eigenschaft einer Erregerart, Krankheit<br />
auslösen zu können. Pathogenität hängt zumeist von mehreren Faktoren eines<br />
Mikroorganismus ab. Als Virulenz bezeichnet man den Grad der Pathogenität einer<br />
Population (eines Stammes) von Mikroorganismen: So kann es z.B. sowohl hochvirulente als<br />
auch avirulente Stämme einer pathogenen Spezies geben. Die Virulenz kann durch<br />
Bestimmen der Letaldosis im Tierversuch gemessen werden. Die Begriffe Pathogenität <strong>und</strong><br />
Virulenz werden oft nicht im Sinne der obigen Definition, sondern synonym verwendet. Über<br />
Faktoren der Pathogenität <strong>und</strong> Virulenz der Mikroorganismen ist noch recht wenig bekannt.<br />
Am meisten weiß man über <strong>die</strong> Mechanismen der Pathogenität der Bakterien.<br />
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1.3 Die Stellung der Mikroorganismen in der Natur [1] S.1 ff<br />
1.3.1 Die drei Reiche: Tiere, Pflanzen <strong>und</strong> Protisten<br />
Die Unterschiede in der Gestalt <strong>und</strong> im Aufbau von Tier <strong>und</strong> Pflanze, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Einteilung der<br />
Lebewesen bis ins vorige Jahrh<strong>und</strong>ert begründeten, sind offenk<strong>und</strong>ig. Diese Unterschiede<br />
lassen sich auf <strong>die</strong> gr<strong>und</strong>sätzlichen Verschiedenheiten in der Ernährungsweise zurückführen.<br />
Die Tiere ernähren sich von fertigen organischen Substanzen (C-heterotroph), <strong>die</strong> im Innern<br />
des Körpers, im Darmkanal, aufbereitet, verdaut <strong>und</strong> resorbiert werden. Der<br />
Embryonalentwicklung kann man entnehmen, daß <strong>die</strong>se Körperhöhlung durch Einstülpung<br />
der Blastula entsteht. Die tierische Entwicklung zielt auf <strong>die</strong> Schaffung resorbierender<br />
Innenflächen ab. Dieses Bauprinzip ist von den Hohltieren (Hydrozoa; Beispiel:<br />
Süßwasserpolyp) bis zu den höchsten Wirbeltieren verwirklicht.<br />
Dem völlig andersartigen (C-autotrophen) Ernährungstypus entsprechend sind <strong>die</strong> Pflanzen<br />
gr<strong>und</strong>verschieden gestaltet. Sie bilden <strong>die</strong> zum Aufbau ihres Körpers nötigen Substanzen aus<br />
anorganischen Stoffen selbst <strong>und</strong> nutzen das Sonnenlicht als Energiequelle. Die<br />
photosynthetisch tätigen, mit den absorbierenden Pigmenten (Chlorophyllen <strong>und</strong><br />
Carotinoiden) ausgestatteten Zellen <strong>und</strong> Gewebe sind nach außen hin orientiert <strong>und</strong> bilden<br />
weite Außenflächen. Weitere durchgängige Unterschiede zwischen Tieren <strong>und</strong> Pflanzen<br />
betreffen das Vorhandensein von Zellwänden, <strong>die</strong> Befähigung zur aktiven Bewegung <strong>und</strong><br />
Ortsveränderung <strong>und</strong> das Synthesevermögen <strong>für</strong> bestimmte Substanzen.<br />
Pflanzen- <strong>und</strong> Tierreich waren weitgehend scharf voneinander abzugrenzen, solange über<br />
Mikroorganismen wenig bekannt war (Abb.3). Sogar <strong>die</strong> Pilze hatten so viele Merkmale mit<br />
den Pflanzen gemeinsam, daß man sie ungeachtet ihrer heterotrophen Ernährungsweise zu<br />
den Pflanzen zählen konnte. Schwieriger war zu entscheiden, welchem Organismenreich <strong>die</strong><br />
Bakterien, Schleimpilze <strong>und</strong> andere Einzeller zuzuordnen waren. Für das dritte Reich der<br />
Lebewesen wurden <strong>die</strong> Kollektivnamen "Protisten", "Erstlinge" oder "Urwesen" geprägt<br />
(HAECKEL 1866).<br />
Das Reich der Protisten umfaßt Organismen, <strong>die</strong> sich von Tieren <strong>und</strong> Pflanzen durch eine<br />
geringe morphologische Differenzierung unterscheiden; <strong>die</strong> meisten sind einzellig. Die<br />
Protisten lassen sich auf Gr<strong>und</strong> ihrer Zellstruktur in zwei scharf voneinander abgrenzbare<br />
Gruppen unterteilen: <strong>die</strong> höheren Protisten ähneln bezüglich ihres Zellaufbaus den Tieren<br />
<strong>und</strong> Pflanzen; sie sind Eukaryoten. Zu ihnen gehören <strong>die</strong> Algen, Pilze <strong>und</strong> Protozoen. Zu den<br />
niederen Protisten zählen <strong>die</strong> Bakterien <strong>und</strong> Cyanobakterien (Blaualgen); sie sind<br />
Prokaryoten <strong>und</strong> unterscheiden sich hinsichtlich ihres Zellaufbaus von allen anderen<br />
Organismen beträchtlich. In <strong>die</strong> Gruppe der Bakterien sind auch <strong>die</strong> als obligat intrazelluläre<br />
Parasiten bekannten Rickettsien einzubeziehen. Die Bezeichnung Mikroorganismen hebt auf<br />
<strong>die</strong> geringen Abmessungen der genannten Organismen ab <strong>und</strong> entspricht dem<br />
Bedeutungsinhalt nach der Bezeichnung Protisten. Die Viren sind als nicht-zelluläre Teilchen<br />
allen Organismen gegenüberzustellen; sie können sich nicht selbst vermehren, sondern sie<br />
bedürfen lebender Zellen zu ihrer Vermehrung (Reproduktion).<br />
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Abb.3: Die drei Reiche, Pflanzen, Tiere <strong>und</strong> Mikroorganismen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Unterscheidung von Eukaryoten <strong>und</strong><br />
Prokaryoten [1] S4.<br />
1.3.2 Prokaryoten <strong>und</strong> Eukaryoten<br />
Die physikalische Gr<strong>und</strong>einheit der Organismen ist <strong>die</strong> Zelle; sie ist <strong>die</strong> kleinste lebensfähige<br />
Einheit. Die stoffliche Zusammensetzung ist allen Lebewesen gemeinsam.<br />
Desoxyribonucleinsäure (DNA), Ribonucleinsäure (RNA), Proteine, Lipide <strong>und</strong><br />
Phospholipide sind <strong>die</strong> Gr<strong>und</strong>bestandteile der Zelle. Das Studium der Feinheiten der<br />
stofflichen Zusammensetzung <strong>und</strong> der Feinstruktur verschiedener Zelltypen hat jedoch<br />
bemerkenswerte Unterschiede zwischen Bakterien <strong>und</strong> Cyanobakterien auf der einen Seite<br />
<strong>und</strong> Tieren <strong>und</strong> Pflanzen einschließlich ihrer mikroskopisch kleinen Vertreter auf der anderen<br />
Seite erkennen lassen. Diese Unterschiede sind so tiefgreifend, daß man beide Gruppen als<br />
Prokaryoten <strong>und</strong> Eukaryoten einander gegenüberstellt. In den Prokaryoten hat man Relikte<br />
aus der Frühzeit der organismischen Evolution zu sehen, <strong>und</strong> ihre Entwicklung zu den<br />
Eukaryoten stellt <strong>die</strong> größte Diskontinuität in der Evolution der Organismen dar.<br />
Die Eukaryoten verfügen über einen echten Kern (karyon oder nucleus). Er enthält den<br />
größten Teil des Genoms der eukaryotischen Zelle. Das Genom ist auf einen Satz von<br />
Chromosomen verteilt, der nach Verdoppelung durch einen als Mitose bezeichneten Vorgang<br />
getrennt wird. In den Chromosomen liegt <strong>die</strong> DNA in Assoziation mit Histonen vor. Im<br />
Gegensatz zu den Prokaryoten ist der durch eine Kernmembran vom Cytoplasma abgegrenzt.<br />
Die eukaryotische Zelle enthält Organellen, <strong>die</strong> Mitochondrien <strong>und</strong> (bei Pflanzen) <strong>die</strong><br />
Chloroplasten; <strong>die</strong>se enthalten einen anderen, sehr kleinen Teil des Genoms, <strong>und</strong> zwar in<br />
Form ringförmig geschlossener DNA-Moleküle. Die Ribosomen sind groß (80S). Das<br />
Proteinsynthesesystem ist bei den Eukaryoten komplexer als das der Prokaryoten, besonders<br />
hinsichtlich der Anzahl der ribosomalen Komponenten <strong>und</strong> der Initationsfaktoren des<br />
Translationsprozesses.<br />
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Den Prokaryoten fehlt ein von einer Membran umgebener Kern. Die DNA liegt als<br />
ringförmig geschlossener Strang frei im Cytoplasma. Dieses Bakterien-Chromosom enthält<br />
<strong>die</strong> gesamte zur Vermehrung der Zelle notwendige Information (Chromosomenzahl ist 1).<br />
Daneben können kleine ringförmig geschlossene DNA-Moleküle vorliegen, <strong>die</strong> Plasmide; sie<br />
sind jedoch entbehrlich. Die prokaryotische Zelle enthält keine Organellen; <strong>die</strong> Unterteilung<br />
der Zelle in klare, deutliche Räume ist weniger ausgeprägt als bei der eukaryotischen Zelle.<br />
Die Ribosomen sind klein (70S). Die Natur der Ribosomen <strong>und</strong> der an der Proteinsynthese<br />
beteiligten Enzyme sowie <strong>die</strong> Zusammensetzung der prokaryotischen Zellwand sind <strong>die</strong><br />
Ursache <strong>für</strong> <strong>die</strong> spezifische Wirkung mehrerer Antibiotika. Weitere Unterschiede werden in<br />
Tabelle 1 dargelegt.<br />
Die Prokaryoten sind morphologisch relativ wenig differenziert. Der Gestalt nach lassen sich<br />
nur wenige Formen unterscheiden, <strong>die</strong> sich durchweg auf <strong>die</strong> Kugel sowie gerade <strong>und</strong><br />
gekrümmte Zylinder als Gr<strong>und</strong>formen zurückführen lassen. Dieser "Einförmigkeit" steht aber<br />
eine stoffwechselphysiologische Vielseitigkeit <strong>und</strong> Flexibilität gegenüber. Während Tiere <strong>und</strong><br />
Pflanzen durchweg Sauerstoff benötigen, sind mehrere Gruppen der Prokaryoten in der Lage,<br />
unter Luftabschluß (unter anaeroben Bedingungen) zu leben <strong>und</strong> <strong>die</strong> zum Wachstum<br />
notwendige Energie durch Gärung oder anaerobe Atmung zu gewinnen. Andere Gruppen<br />
vermögen Lichtenergie zu nutzen <strong>und</strong> ihre Zellsubstanz entweder aus organischen<br />
Verbindungen oder aus Kohlendioxid aufzubauen. Wieder andere Bakterien sind zur<br />
Energiegewinnung durch Oxidation anorganischer Verbindungen oder Elemente befähigt.<br />
Weit verbreitet ist auch das Vermögen, molekularen Stickstoff zu fixieren.<br />
Dieser physiologischen Vielseitigkeit <strong>und</strong> Flexibilität, den hohen Syntheseraten <strong>und</strong> dem<br />
raschen Wachstum, dem einfachen Zellaufbau sowie der unkomplizierten Struktur des<br />
genetischen Materials ist es zuzuschreiben, daß <strong>die</strong> Prokaryoten seit mehreren Jahrzehnten zu<br />
den bevorzugten Objekten der allgemeinen Biologie geworden sind. Dieser Umstand <strong>und</strong> der<br />
beschränkte Raum begründen hinreichend, daß sich <strong>die</strong> vorliegende Einführung in <strong>die</strong><br />
<strong>Mikrobiologie</strong> vorwiegend mit der Biologie der Bakterien beschäftigt.<br />
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Tabelle 1: Wesentliche Unterscheidungsmerkmale prokaryotischer <strong>und</strong> eukaryotischer Zellen [2] S 24<br />
Merkmal Prokaryoten Eukaryoten<br />
Kernmembran<br />
Nucleolus, ER, Mitochondrien<br />
Proteinsynthesesystem<br />
Energiegewinnung/-transformation<br />
Plasmamembran<br />
genetische Information<br />
Realisierung genetischer Programme<br />
Stoffwandlungsprozesse/<br />
Stofftransport<br />
Chloroplasten<br />
Geschlechtliche Vermehrung<br />
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fehlt<br />
fehlen<br />
wenig komplex<br />
in Plasmamembran lokalisiert<br />
nicht zu interzellulären kommunikativen<br />
Wechselwirkungen befähigt<br />
auf ein DNA-Molekül konzentriert<br />
auf Transkriptionsebene regulierbar<br />
durch Komponenten der<br />
Plasmamembran<br />
fehlen<br />
selten <strong>und</strong> unvollständig<br />
doppelschichtige Membran<br />
vorhanden<br />
komplex<br />
in Mitochondrien <strong>und</strong> Plastiden<br />
interzelluläre kommunikative Wechsel-<br />
wirkungen, so daß differenzierte Zellverbände<br />
entstehen können<br />
auf verschiedene Chromosomen verteilt<br />
auf posttranskriptioneller Ebene regulierbar<br />
durch verschiedene Membransysteme<br />
(endoplasmatische Retikulum, Golgi-Apparat,<br />
Lyosomen, Vesikeltypen)<br />
können vorhanden sein<br />
üblich <strong>und</strong> vollständig
FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE DR. NAGL<br />
2 Einteilung der Mikroorganismen:<br />
Als Mikroorganismen oder Mikroben werden vorwiegend einzellige, niedere Organismen<br />
bezeichnet, <strong>die</strong> gewöhnlich nur mit Hilfe des Mikroskops sichtbar sind. Dazu gehören im<br />
wesentlichen folgende Gruppen: Bakterien, Actinomyceten, Pilze, Algen, Protozoen <strong>und</strong><br />
bedingt auch <strong>die</strong> Viren, <strong>die</strong> jedoch keine echten Lebewesen darstellen.<br />
2.1 Klassifizierung <strong>und</strong> Systematik der Mikroorganismen:[2] S39 ff<br />
Wie in der Botanik <strong>und</strong> der Zoologie wird auch in der <strong>Mikrobiologie</strong> angestrebt, <strong>die</strong><br />
Organismenarten aufgr<strong>und</strong> ihrer Verwandtschaftsbeziehungen zu ordnen <strong>und</strong> in systematische<br />
Kategorien (Taxa) einzuteilen:<br />
Reich (Regnum)<br />
Abteilung (Divisio)<br />
Klasse (Classis)<br />
Ordnung (Ordo)<br />
Familie (Familia)<br />
Gattung (Genus)<br />
Art (Species)<br />
Die wichtigste systematische Gr<strong>und</strong>einheit zur Klassifizierung ist <strong>die</strong> Species. Zu einer<br />
Species rechnet man alle Organismen, einschließlich ihrer Vorfahren <strong>und</strong> Nachkommen, <strong>die</strong><br />
untereinander in allen „wesentlichen“ Merkmalen übereinstimmen. Mehrere Species, <strong>die</strong> eine<br />
Reihe gemeinsamer Merkmale aufweisen, faßt man in der nächst höheren Gruppe, der<br />
Gattung zusammen. Aufgr<strong>und</strong> internationaler Nomenklaturregeln wird jede Organismenart<br />
(Species) mit einem lateinischen Artnamen bezeichnet, <strong>die</strong>ser setzt sich aus 2 Wörtern<br />
zusammen „binäre Nomenklatur“<br />
Bspl: Bacillus subtilis = Gattung <strong>und</strong> Art<br />
Hier findet eine künstliche Klassifikation von Mikroorganismen aufgr<strong>und</strong> von Ähnlichkeit<br />
von morphologischen <strong>und</strong> stoffwechselphysiologischen Merkmalen statt.<br />
Das Standardwerk der Bakterienklassifizierung ist „Bergey`s Manual of Systematic<br />
Bacteriology“ Vol. I bis IV.<br />
In <strong>die</strong>sem Werk wird das Reich Procaryotae in 4 Abteilungen unterteilt:<br />
Gracilicutes Gramnegative Bakterien<br />
Firmicutes Grampositive Bakterien<br />
Tenericutes Ohne feste Zellwand<br />
Mendosicutes Ohne Peptidoglycan<br />
Die Klassifizierung der Pilze bereitet aufgr<strong>und</strong> des großen Formenreichtums <strong>und</strong> der wenig<br />
geklärten verwandtschaftlichen Beziehungen erhebliche Schwierigkeiten. Es gibt gegenwärtig<br />
kein einheitliches System, das international von allen Mykologen anerkannt wird.<br />
Differenzierung der Zellen<br />
Während bei den einzelligen Lebewesen <strong>die</strong> Lebensäußerungen von eben <strong>die</strong>ser Zelle<br />
erbracht werden müssen, besitzen "höhere Lebewesen" Zellen, <strong>die</strong> auf bestimmte Leistungen<br />
(Ausscheidung, Struktur, Vermehrung ....) spezialisiert sind. Derartige Zellen sind oft zu<br />
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Geweben zusammengeschlossen. Verschiedene sich unterstützende Gewebe bilden Organe.<br />
Auch <strong>die</strong> "niederen Lebewesen" wie Mikroorganismen zeigen Ansätze der Differenzierung<br />
wie <strong>die</strong> Bildung von Sporen oder Geißeln bei Bakterien oder <strong>die</strong> Sporenbildung <strong>und</strong><br />
Produktion von Fruchtkörpern bei Schimmelpilzen.<br />
Allgemeine Lebensäußerungen der Zellen - Kennzeichen der Lebewesen<br />
Als Kennzeichen der Lebewesen (des Lebendigen) gelten:<br />
- Aufbau oder Besitz von Struktur<br />
- Stoffwechsel (Nahrungsaufnahme, Verdauung, Ausscheidung)<br />
- Austausch von Energie mit der Umgebung<br />
- Wachstum<br />
- Vermehrung (selbständig)<br />
- Reaktion auf Reize<br />
- Regulationsfähigkeit <strong>und</strong> Anpassung an <strong>die</strong> Umwelt<br />
- Bewegung<br />
Die Morphologie beschäftigt sich mit den Formen <strong>und</strong> der Gestalt der Mikroorganismen<br />
sowie deren Veränderungen als Folge des Nährstoffangebotes <strong>und</strong> der<br />
Wachstumsbedingungen.<br />
2.2 Bakterien<br />
Morphologische Merkmale von Bakterien: [2 S7ff]<br />
• Prokaryoten<br />
• mikroskopisch kleine einzellige Organismen<br />
• Vermehrung durch Zellteilung (Spaltung)<br />
• Gr<strong>und</strong>formen der Bakterienzelle (Abb.6): Kokken, Stäbchen, Spirillen<br />
• Kapsel; vorhanden oder nicht<br />
• Geißel; vorhanden oder nicht<br />
• Endosporenbildung<br />
• Gramfärbung<br />
• leben vorwiegend als Saprophyten<br />
• haben Plasmide<br />
Die kugelförmigen Bakterien werden als Kokken bezeichnet <strong>und</strong> können unterteilt werden<br />
in Mikrokokken, Diplokokken, Streptokokken, Staphylokokken, Tetrakokken <strong>und</strong> Sarcinen.<br />
Die Stäbchen unterteilt man in sporenbildende <strong>und</strong> nichtsporenbildende Bakterien. Es treten<br />
von kokkoiden Stäbchen, 1 - 3 µm (z.B. Escherichia coli) bis zu langen Stäbchen, 6 - 10 µm<br />
(z.B. Lactobacillus helveticus) nahezu alle Größen auf. Morphologische Veränderungen<br />
infolge atypischer Züchtungs- bzw. Umweltparameter sind bei <strong>die</strong>sen Bakterien am<br />
häufigsten. Unter bestimmten Bedingungen treten sogenannte L-Formen auf. In <strong>die</strong>sen Fällen<br />
ist <strong>die</strong> Zellwandsynthese gestört, so daß es zu starken Formveränderungen kommt. Man kennt<br />
L-stabile <strong>und</strong> L-instabile Formen.<br />
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Abb. 4: Gr<strong>und</strong>formen der Bakterienzelle; A Kokken, B Diplokokken, C Streptokokken, D Staphylokokken, E<br />
Sarcinen, F Stäbchen, G Vibrionen, H Corynebakterien, I Sporen zentral (1,2), terminal (3), subterminal (4),<br />
Anschwellung der Mutterzelle (2,3); K Spirillen, L peritriche Begeißelung, M monopolar monotriche<br />
Begeißelung (1), monopolar polytriche Begeißelung (2)<br />
2.2.1 Struktur <strong>und</strong> Aufbau der Mikroorganismen<br />
Stoffliche Zusammensetzung der Einzeller:<br />
Das Naß- oder Frischgewicht (<strong>die</strong> Frischmasse) von Einzellern bestimmt man nach<br />
Abzentrifugation der Zellen aus ihrer Nährlösung. Die sedimentierte Zellmasse hat einen<br />
Wassergehalt von 70 - 85 %; <strong>die</strong> Trockenmasse beträgt also 15 - 30 % von der Frischmasse.<br />
Enthalten <strong>die</strong> Zellen große Mengen von Reservestoffen (Lipide, Polysaccharide,<br />
Polyphosphate oder Schwefel), so ist <strong>die</strong> Trockenmasse prozentual höher. Die<br />
Trockensubstanz der Bakterien (in Prozent von der Trockenmasse) besteht hauptsächlich aus<br />
Polymeren: Protein 50, Zellwand 10 - 20, RNA 10 - 20, DNA 3 - 4 sowie aus Lipiden 10. Die<br />
zehn Bioelemente sind etwa in folgenden Mengen (in Prozent) an der Zusammensetzung der<br />
Bakterien beteiligt: Kohlenstoff 50, Sauerstoff 20, Stickstoff 14, Wasserstoff 8, Phosphor 3,<br />
Schwefel 1, Kalium 1, Calcium 0,5, Magnesium 0,5 <strong>und</strong> Eisen 0,2.<br />
Bau der Mikroorganismenzelle:<br />
Zellen sind <strong>die</strong> kleinsten biologischen Einheiten, <strong>die</strong> zu einem selbstständigen Leben befähigt<br />
sind. Sie sind Träger der genetischen Informationen, durch <strong>die</strong> ihre identische Replikation<br />
gewährleistet wird.<br />
Die Hauptbestandteile der Zelle sind der Zellkern sowie extrachromosomale<br />
Desoxyribonucleinsäure (DNA), das Cytoplasma mit Cytoplasmamembran <strong>und</strong><br />
Mesosomen, <strong>die</strong> Zellwand, <strong>die</strong> Ribosomen <strong>und</strong> teilweise Geißeln, Fimbrien, Kapsel bzw.<br />
Schleimschicht. Darüber hinaus sind im Cytoplasma verschiedene Einlagerungen zu<br />
erkennen.<br />
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Zellkern:<br />
Der Zellkern speichert <strong>die</strong> Erbinformationen <strong>und</strong> ist oberstes Steuerzentrum der<br />
Bakterienzelle <strong>für</strong> alle Lebensvorgänge.<br />
Obwohl es bisher nur bei einigen Bakterienarten nachgeprüft wurde, geht man davon aus, daß<br />
das Erbmaterial der Bakterien in Form eines ringförmigen Fadens angeordnet ist. Dieser Ring,<br />
das "Bakterien-Chromosom", kann einen Umfang von einem Millimeter <strong>und</strong> mehr aufweisen<br />
(z.B. bei E. coli: 1,4 mm). Das Chromosom muß daher, um in der Bakterienzelle Platz zu<br />
finden, verw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> geknäuelt sein. Auf dem Chromosom liegen <strong>die</strong> Gene der<br />
Bakterienzelle.<br />
Wie bei den anderen Lebewesen besteht das Erbmaterial aus Desoxyribonucleinsäure DNA,<br />
D steht <strong>für</strong> Desoxyribose einem Zucker. NA heißt nucleic acid (= Nukleinsäure; chemisch<br />
gesehen sind <strong>die</strong>s Basen). In der DNA kommen <strong>die</strong> Basen Adenin (Abkürzung A), Cytosin<br />
(C), Guanin (G) <strong>und</strong> Thymin (T) vor. Die genannten Bausteine sind folgendermaßen<br />
verb<strong>und</strong>en. An jeder Desoxyribose hängt eine der vier Basen. Die Desoxyribosen ihrerseits<br />
sind durch Phosphorsäurereste (P) zu langen "Strängen" verb<strong>und</strong>en.<br />
Die DNA liegt im kompletten Erbmaterial als "Doppelstrang" vor. Bindung erhalten <strong>die</strong><br />
"Einzelstränge" über <strong>die</strong> Basen. Die Base A bildet mit T ein Basenpaar. Die Base C mit G<br />
sind das andere Paar. (A <strong>und</strong> T, C <strong>und</strong> G nennt man komplementäre Basen.) Die<br />
komplementären Basen sind durch Wasserstoffbrücken-Bindung verknüpft. Im Chromosom<br />
von E. coli sind zum Beispiel r<strong>und</strong> vier Millionen Basenpaare enthalten. Der DNA-<br />
Doppelstrang ist spiralig zur α-Helix verw<strong>und</strong>en.<br />
Nucleinsäuren sind <strong>die</strong> Träger der genetischen Information jeder Zelle. Sie sind<br />
hochpolymere Makromoleküle <strong>und</strong> bestehen aus einem Molekül Ribose oder Desoxyribose,<br />
einem Phosphorsäurerest <strong>und</strong> einer Stickstoffbase (Adenin, Guanin, Cytosin <strong>und</strong> Uracil<br />
bzw. Thymin).<br />
Wie sich bei Wörtern <strong>und</strong> Sätzen der Sinn durch <strong>die</strong> Reihenfolge der Buchstaben ergibt, so<br />
sind durch <strong>die</strong> Abfolge der Basen auf dem DNA-Strang <strong>die</strong> Inhalte der Erbinformation<br />
verschlüsselt. Der komplementäre Strang birgt quasi spiegelbildlich <strong>die</strong> gleiche Information.<br />
So kann bei der Querteilung der Bakterien, ihrer üblichen Art der Vermehrung jede<br />
Tochterzelle <strong>die</strong> komplette Erbinformation erhalten. Der DNA-Doppelstrang wird dazu an<br />
den Basenpaaren durch Enzyme getrennt <strong>und</strong> <strong>die</strong> fehlende Hälfte mit einem neu gebildeten,<br />
komplementären Strang ergänzt.<br />
Aus <strong>die</strong>sem Verdoppelungsmechanismus läßt sich ableiten, daß <strong>die</strong> Nachkommen einer<br />
Bakterienzelle <strong>die</strong> gleiche DNA wie <strong>die</strong> Mutterzelle besitzen werden. Sie müssen also völlig<br />
identische Eigenschaften besitzen, ein Sachverhalt der beim Erkennen <strong>und</strong> der Verwendung<br />
von Bakterien von großer Bedeutung ist. Allerdings ist zu beachten, daß Fehler beim<br />
"Ablesen" oder "Kopieren" der Erbinformation zu veränderten Eigenschaften (= Mutationen)<br />
führen können. Zum Zweiten tragen viele Bakterien zusätzliche Eigenschaften auf sogenannte<br />
Plasmiden. Ihre DNA wird unabhängig von der "Zellkern DNA" vermehrt.<br />
Bestimmung des GC Anteils<br />
Das Verhältnis der Mole der Basen GC zu der Summe der Mole der Basen insgesamt ist<br />
artspezifisch <strong>und</strong> wird als Differenzierungskriterium genutzt. Die Basen GC sind durch<br />
dreifache Wasserstoffbrückenbindung geb<strong>und</strong>en. Sie "haften" fester aneinander <strong>und</strong> benötigen<br />
eine höhere Temperatur (Schmelztemperatur) um getrennt zu werden, als <strong>die</strong> nur zweifach<br />
geb<strong>und</strong>enen Basen AT. Je höher nun der GC-Anteil ist, desto höher ist <strong>die</strong> Schmelztemperatur<br />
der gesamten DNA.<br />
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Extrachromosomale DNA<br />
Neben der chromosomalen DNA haben sowohl <strong>die</strong> meisten prokaryotischen als auch <strong>die</strong><br />
eukaryotischen Zellen extrachromosomale DNA. Das sind bei den Bakterien Plasmide <strong>und</strong><br />
bei den eukaryotischen Zellen Mitochondrien <strong>und</strong> Plastiden.<br />
Plasmide sind extrachromosomale ringförmige DNA-Doppelstränge, <strong>die</strong> in der<br />
Mikroorganismenzelle zur autonomen Replikation fähig sind. Sie stellen genetische Systeme<br />
dar, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Variabilität der Bakterienzellen wesentlich erhöhen, so daß sie sich an veränderte<br />
Umweltbedingungen anpassen können. Plasmide sind im Verlauf der Evolution somit als<br />
zusätzliche genetische Information zwangsläufig entstanden, um das Überleben der Art zu<br />
garantieren.<br />
Ähnlich den Bakteriophagen sind Plasmide von einer Zelle auf andere übertragbar. Dadurch<br />
wird <strong>die</strong> Anpassungsfähigkeit der Bakterienpopulation bei veränderten Umweltbedingungen<br />
garantiert.<br />
Entsprechend der Aufgabe der Plasmide, eine hohe Variabilität zu garantieren, sind Plasmide<br />
gegenüber anderen Plasmidreplikons kompatibel. Das trifft jedoch auf Plasmidmoleküle<br />
gleicher Replikationsherkunft zu, da <strong>die</strong> Plasmidhäufigkeit (Kopienzahl) durch Kontrollgene<br />
limitiert wird. D.h., bei gleichartigen Plasmidreplikons besteht eine Inkompatibilität.<br />
Plastiden sind in eukaryotischen Zellen vorkommende Organellen, <strong>die</strong> zur autonomen<br />
Replikation fähig sind, jedoch nicht mit der Reduplikation der chromosomalen DNA<br />
synchronisiert ist. Der Anteil der Plastiden-DNA an der Gesamt-DNA der Pflanzenzelle<br />
beträgt nur etwa 1 - 10 %. Sie liegen als zirkuläre doppelsträngige DNA mit etwa 150 000<br />
Basenpaaren vor <strong>und</strong> können bis zu etwa 100 verschiedene Proteine co<strong>die</strong>ren. Die Plastiden<br />
enthalten sowohl Gene mit Introns als auch ungespaltene Gene. Plastiden leiten sich von<br />
Blaualgen ab <strong>und</strong> sind der Sitz der Energiegewinnung (Photosynthese).<br />
Mitochondrien sind in eukaryotischen Zellen vorkommende Organellen von r<strong>und</strong>licher oder<br />
länglicher Form, deren DNA zur autonomen Replikation fähig ist. Der Anteil der<br />
mitochondrialen DNA an der Gesamt-DNA beträgt nur etwa 1 - 2 %. In einem<br />
Mitochondrium können bis zu 1000 DNA-Moleküle vorkommen. Im allgemeinen ist <strong>die</strong><br />
mitochondriale DNA ringförmig <strong>und</strong> doppelsträngig. Diese DNA co<strong>die</strong>rt verschiedene RNA-<br />
Typen <strong>und</strong> etwa 5 - 10 % der mitochondrialen Proteine.<br />
Die Mitochondrien besitzen Enzyme, <strong>die</strong> der Atmung <strong>und</strong> der Synthese von ATP in der Zelle<br />
<strong>die</strong>nen. Sie haben somit eine entscheidende Bedeutung <strong>für</strong> <strong>die</strong> Energiegewinnung der Zelle.<br />
Cytoplasma:<br />
Die nur im Lichtmikroskop homogen erscheinende Gr<strong>und</strong>substanz des Cytoplasmas, das<br />
Gr<strong>und</strong>plasma, besteht aus Wasser, Stoffwechselprodukten <strong>und</strong> hauptsächlich aus Eiweiß, das<br />
zum größeren Teil in Form von Enzymen vorliegt. Das Gr<strong>und</strong>plasma ist ein kolloidales<br />
dynamisches System, das sich in ständiger Bewegung befindet (Plasmaströmung) <strong>und</strong> in dem<br />
Stoffwechselprozesse ablaufen. Das Cytoplasma wurde lange Zeit als homogene<br />
Proteinlösung angesehen. Nach Einführung moderner Untersuchungsverfahren, wie der<br />
Elektronenmikroskopie, wurden als Gr<strong>und</strong>elemente Membransysteme erkannt.<br />
Die Cytoplasmamembran, sie wird auch Plasmalemma genannt, begrenzt den Protoplasten<br />
gegen <strong>die</strong> Zellwand. Sie setzt sich bei manchen Bakterien in Form von Einstülpungen als<br />
intraplasmatische Membran in den Protoplasten fort <strong>und</strong> bildet teilweise Vesikel. Eine<br />
Unterteilung des Cytoplasmas (Kompartimentierung) in verschiedene Reaktionsräume wie bei<br />
den Eukaryoten ist aber deutlich geringer ausgeprägt. Auf Ultradünnschnitten mancher, aber<br />
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nicht aller Bakterienzellen lassen sich elektronenmikroskopisch <strong>die</strong> Mesosomen sichtbar<br />
machen. Das sind mehr oder weniger spiralförmig aufgerollte, zusammengeballte oder<br />
flächige tubuläre Membransysteme, <strong>die</strong> aus Einstülpungen der Cytoplasmamembran<br />
hervorgehen. Sie liegen häufig in der Nähe von Querwänden. Ihre Funktion ist umstritten. Sie<br />
ist vielleicht mit der Chromosomverankerung <strong>und</strong> -teilung sowie der Querwandbildung<br />
verb<strong>und</strong>en. Bezogen auf Trockensubstanz besteht <strong>die</strong> Cytoplasmamembran etwa aus 50 %<br />
Proteinen <strong>und</strong> 15 - 20 % Kohlenhydraten (Hexosen). Der Rest sind Lipide, besonder<br />
Phospholipide, <strong>die</strong> eine wichtige Membransubstanz darstellen. Etwa 70 - 80 % der<br />
Gesamtlipide einer Zelle sind in der Membran enthalten.<br />
Nach der Elementar-Membran- (unit membrane) Hypothese wird angenommen, daß <strong>die</strong><br />
Cytoplasmamembran aller Organismen einen gr<strong>und</strong>sätzlich gleichen Aufbau hat. In eine<br />
Lipiddoppelschicht sind Proteine eingelagert, <strong>die</strong> erstere teilweise oder als Brückenprotein<br />
vollständig durchdringen. Weitere Proteine sind ein- oder beidseitig außen auf <strong>die</strong><br />
Lipiddoppelschicht aufgelagert. Die hydrophilen Teile der Phospholipide zeigen sämtlich<br />
nach außen <strong>und</strong> <strong>die</strong> hydrophoben Enden nach innen. Durch <strong>die</strong>se Polarisierung wird <strong>die</strong><br />
Membran stabilisiert.<br />
¡<br />
Die Cytoplasmamembran hat zahlreiche wichtige Funktionen:<br />
• Sie ist eine semipermeable Membran <strong>und</strong> reguliert <strong>die</strong> Aufnahme von Nährstoffen <strong>und</strong><br />
<strong>die</strong> Abgabe von Stoffwechselprodukten. Sie ist der Sitz von Permeasen,<br />
substratspezifischer aktiver Transportsysteme, <strong>die</strong> den Stofftransport entgegen einem<br />
Konzentrationsgefälle durchführen können. Die Permeasen sind offenbar in den<br />
Brückenproteinen lokalisiert.<br />
¡ • Die Cytoplasmamembran der Bakterien ist der Ort der Energieproduktion. Hier erfolgen<br />
<strong>die</strong> oxydativen Phosphorylierungen (ADP → ATP) durch <strong>die</strong> entsprechenden Enzyme.<br />
Cytochrome <strong>und</strong> andere Komponenten des Elektronentransports sind hier zu finden.<br />
¡ • Die letzten Stufen der Synthese von Zellwand- <strong>und</strong> Kapselbestandteilen einschließlich<br />
Pili <strong>und</strong> Fimbrien, <strong>die</strong> hier ansitzen, sowie <strong>die</strong> Ausscheidung von Exoenzymen sind<br />
ebenfalls an <strong>die</strong> Cytoplasmamembran geb<strong>und</strong>en.<br />
¡ • Wahrscheinlich ist hier auch das Zentrum der Replikation der DNA gelagert.<br />
Ribosomen. Das Bakteriencytoplasma weist im elektronenmikroskopischen Bild Ribosomen<br />
auf. Das sind 16 nm x 18 nm große Teilchen, <strong>die</strong> aus zwei ungleichen durch eine Furche<br />
getrennten Untereinheiten bestehen. In der Ultrazentrifuge sedimentieren <strong>die</strong> Ribosomen der<br />
Bakterien bei einer Sedimentationskonstanten von 70 SVEDBERG-Einheiten, deshalb werden<br />
sie als 70-S-Ribosomen bezeichnet. Die Untereinheiten sind je eine 30-S- <strong>und</strong> 50-S-Partikel.<br />
Die Eukaryoten haben im Gegensatz zu Bakterien, von wenigen Ausnahmen abgesehen, stets<br />
<strong>die</strong> etwas größeren 80-S-Ribosomen. Sie bestehen aus etwa 65 % Ribonucleinsäure <strong>und</strong> 35 %<br />
Protein. Ribosomen enthalten ungefähr 80-85 % der RNA der Bakterienzelle <strong>und</strong> sind <strong>die</strong><br />
Biosynstheseorte der Eiweiße. Während ruhende Bakterienzellen nur etwa 5 000 Ribosomen<br />
enthalten, steigt <strong>die</strong> Zahl bei wachsenden auf Werte um 50 000 an. Sie sind dann<br />
perlschnurartig zu Polysomen (Polyribosomen) aufgereiht. In der exponentiellen Phase der<br />
Vermehrung können <strong>die</strong> Ribosomen bis zu 40 % der Trockenzellmasse ausmachen.<br />
Speicherstoffe. Im Cytoplasma können verschiedene Speicher- oder Reservestoffe, wie<br />
Polysaccharide, Fette, Polyphosphate <strong>und</strong> teilweise auch Schwefel, in Form von Granula<br />
abgelagert werden. Sie liegen als wasserunlösliche Substanzen vor, werden aber bei Bedarf<br />
wieder abgebaut <strong>und</strong> als Zellsubstanzen <strong>und</strong>/oder Energielieferanten in den Stoffwechsel<br />
einbezogen. In Abhängikeit von den Kultivierungsbedingungen können Speichergranula bis<br />
zu 50 %, in Extremfällen sogar bis zu 80 %, der Bakterientrockenmasse ausmachen.<br />
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• Polysaccharide. Die <strong>für</strong> Pflanzen als Reservestoff typische Stärke wird z.B. bei einigen<br />
Clostridium- <strong>und</strong> Acetobacter-Arten gef<strong>und</strong>en. Das als Speicherstoff aus der Leber von<br />
Tieren bekannte <strong>und</strong> dem Amylopectin der Stärke ähnliche Glycogen kommt häufig bei<br />
verschiedenen Bakteriengruppen, z.B. einigen Enterobacteriaceae (Escherichia coli,<br />
Salmonella spec.), Bacillaceae (Bacillus polymyxa), vor. Beide Substanzen können mit<br />
Hilfe von LUGOLscher Lösung nachgewiesen werden <strong>und</strong> ergeben eine blaue (Stärke)<br />
bzw. braune (Glycogen) Farbreaktion.<br />
• Lipide. Kugelförmige Lipidgranula sind häufig in Bakterienzellen <strong>und</strong> noch besser in den<br />
größeren Pilzzellen mikroskopisch an der starken Lichtbrechung zu erkennen. Bei allen<br />
Mikroorganismen sind Neutralfette (Triglyceride) verbreitet.<br />
Speziell typisch <strong>für</strong> Bakterien ist <strong>die</strong> Poly-β¢ -hydroxybuttersäure.<br />
Sie macht bei aeroben Bakterien bis zu 80 % der Trockenmasse aus, kommt aber auch bei<br />
den anaeroben Clostridium-Arten vor. Sie kann mit Chloroform, aber nicht mit Ether<br />
extrahiert werden. Poly-β-hydroxybuttersäure ist eine <strong>für</strong> Bakterien typische Energie- <strong>und</strong><br />
Kohlenstoffspeichersubstanz <strong>und</strong> kommt bei Eukaryoten nicht vor.<br />
Wachse sind u.a. bei Vertretern der Gattungen Actinomyces <strong>und</strong> Mycobacterium<br />
verbreitet.<br />
• Polyphosphate. Die bis zu 0,5 µm großen Volutingranula, <strong>die</strong> nach dem ersten F<strong>und</strong>ort<br />
bei Spirillum volutans benannt wurden, sind langkettige Polyphosphate. Bei Serratia<br />
marcescens bilden sie <strong>die</strong> Polkörperchen. Sie haben generell <strong>die</strong> Funktion eines<br />
Phosphatspeichers <strong>und</strong> nicht eines Energiespeichers.<br />
• Schwefel wird in flüssiger Form von vielen Bakterien gespeichert, <strong>die</strong> ihn als<br />
Energiequelle nutzen.<br />
Zellwand:<br />
Die Zellwand gibt der Zelle <strong>die</strong> Form. (Stäbchenform, Kokkenform ...) Sie widersteht dem<br />
Innendruck, den das Protoplasma ausübt <strong>und</strong> verhindert, daß <strong>die</strong> Zellmembran zerrissen wird.<br />
Sie weicht elastisch Druck <strong>und</strong> Stößen aus.<br />
Der <strong>für</strong> <strong>die</strong> Stabilität wichtige Teil der Zellwand ist ein Netzwerk aus Quer- <strong>und</strong> Längsfäden.<br />
Es umhüllt <strong>die</strong> Zelle wie ein Sack. Da es aus Murein besteht, spricht man vom Murein-<br />
Sacculus. Murein besitzen ausschließlich <strong>die</strong> Bakterien.<br />
Bausteine des Mureins sind <strong>die</strong> Muraminsäure (N-Acetylmuraminsäure) <strong>und</strong> das Glucosamin<br />
(N-Acetylglucosamin). Sie sind einander abwechselnd zu Längsfäden verknüpft (β-1,4glykosidische<br />
Bindung). Die Längsfäden werden durch Ketten aus Aminosäuren quer<br />
vernetzt. Die Aminosäuren sind peptidisch geb<strong>und</strong>en. In <strong>die</strong>se "Querfäden" sind Aminosäuren<br />
eingebaut, <strong>die</strong> in Proteinen nicht vorkommen (z.B. D-Aminosäuren <strong>und</strong><br />
Diaminopimelinsäure). In Abbildung 5 wird das Mureinnetz dargestellt.<br />
Abb.5: Vereinfachtes Schema des Mureinnetzes<br />
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Unterschiedliche Zellwandtypen<br />
Bei gramnegativen Bakterienfamilien ist das Mureinnetz ein- oder maximal zweischichtig;<br />
auf dem Mureinnetz sind aber noch weitere Schichten aufgelagert. Diese Schichten können<br />
bis zu 90% der Trockenmasse (10% der TS ist Mureinanteil) der gesamten Zellwand<br />
ausmachen. Sie enthalten in relevanten Mengen das diagnostisch wichtige Lipopolysaccharid.<br />
Die äußeren Schichten der Zellwand ähneln in Aufbau <strong>und</strong> Funktion einer Membran, so daß<br />
sie auch als "äußere Membran" bezeichnet wird. Bei grampositiven Bakterienfamilien ist das<br />
Mureinnetz vielschichtig (bis zu 40 Schichten; 30-70% der TS ist Mureinanteil). Eine äußere<br />
Membran fehlt.<br />
Da der Aufbau der Zellwand erblich ist, können <strong>die</strong> angeführten Unterschiede zum<br />
Differenzieren (= Unterscheiden) von Bakterien genutzt werden.<br />
Vergleiche: Gramfärbung; KOH-Test; LAP-Test; Test auf Lipopolysaccharide.<br />
Die Zellwand als Ansatzpunkt zum Bekämpfen (Abtöten) von Bakterien<br />
Die Zellwand von Prokaryoten (Bakterien <strong>und</strong> Cyanobakterien) bietet Angriffspunkte <strong>die</strong> bei<br />
Eukaryoten fehlen. Substanzen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Bakterienzellwand zerstören oder ihren Aufbau<br />
behindern, sollten <strong>für</strong> Eukaryoten unschädlich wirken.<br />
Lysozym: Lysozym (z.B. im Eiklar, Tränenflüssigkeit, Speichel) löst <strong>die</strong> Verbindung<br />
Muraminsäure – Glucosamin <strong>und</strong> spaltet so <strong>die</strong> Polysaccharidketten zu Disacchariden (AMS-<br />
AGA).<br />
Penicillin: Penicillin verhindert bei wachsenden Bakterien eine peptidische Quervernetzung<br />
der Peptidseitenketten. Dadurch wird das Längen- <strong>und</strong> Seitenwachstum der<br />
Bakterienzellwand gestört <strong>und</strong> es entstehen unregelmäßig geformte Riesenzellen.<br />
Beide Substanzen wirken erheblich stärker auf grampositive Bakterien. Das Murein gramnegativer<br />
Bakterien scheint durch <strong>die</strong> "äußere Membran" weitestgehend abgeschirmt zu sein.<br />
Dagegen erweisen sich Gramnegative in der Regel empfindlicher gegen Hitzeeinwirkung.<br />
Geißeln<br />
Zahlreiche Bakterien haben Geißeln. Sie <strong>die</strong>nen der Fortbewegung in flüssigen oder halbflüssigen<br />
Me<strong>die</strong>n. Es sind monomolekulare Proteinfäden (Flagellin) mit einer Dicke von etwa<br />
20 nm. Der Geißelfaden ist hohl. Man kann drei Teile des Geißelapparates unterscheiden:<br />
Basalkörper, Geißelhaken <strong>und</strong> Geißelfilament.<br />
Der Basalkörper ist in der Zelle verankert <strong>und</strong> reicht bis an <strong>die</strong> Cytoplasmamembran heran.<br />
Er besteht aus mehreren Ringen, wobei gramnegative Bakterien ein zusätzliches Ringpaar<br />
haben.<br />
Als Geißelhaken bezeichnet man den gekrümmten Teil, der sich unmittelbar an den<br />
Basalkörper anschließt <strong>und</strong> aus der Zelle herausragt. Er besteht, wie <strong>die</strong> Geißel selbst, aus<br />
Protein. Der Geißelhaken geht direkt in das Geißelfilament über.<br />
Das Geißelfilament besteht aus mehreren Flagellinsträngen, <strong>die</strong> in gew<strong>und</strong>ener Anordnung<br />
einen Hohlzylinder bilden.<br />
Die helikalen Geißelfilamente können mit etwa 3000 U/min um <strong>die</strong> eigene Achse rotieren. Sie<br />
wirken ähnlich wie eine Schiffsschraube, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Bakterienzellen schwimmen wie ein Schiff.<br />
Außer schnellen Schubbewegungen sind durch Umkehr der Rotationsrichtung der Geißeln<br />
auch langsame, taumelnde Zugbewegungen möglich. Bei polytrich begeißelten Bakterien ist<br />
eine koordinierte Geißelrotation unerläßlich. Die Bakterienzellen selbst rotieren ebenfalls um<br />
<strong>die</strong> eigene Achse, aber langsamer als <strong>die</strong> Geißelfilamente <strong>und</strong> in einer der Geißelrotation<br />
entgegengesetzten Richtung. Die Fortbewegung erreicht Geschwindigkeiten von 20 - 200 µm<br />
je Sek<strong>und</strong>e. Bei der lokalen Verbreitung in flüssigen oder halbflüssigen Me<strong>die</strong>n, z.B. auf mit<br />
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einem Kondenswasserfilm überzogenen Fleisch, sind begeißelte Bakterien den unbegeißelten<br />
überlegen. Sie bilden Schwärmkolonien, <strong>die</strong> sich in kurzer Zeit auf großen Fleischteilen<br />
ausbreiten.<br />
Die Begeißelung ist bei den Bakterienspecies variabel. Danach unterscheidet man:<br />
- atrich (ohne Geißel)<br />
- monotrich (eine polar angeordnete Geißel)<br />
- amphitrich (Geißel an beiden Polen)<br />
- lophotrich (büschelförmig an den Polen)<br />
- peritrich (über <strong>die</strong> ganze Zelloberfläche angeordnet)<br />
In Abbildung 6 ist <strong>die</strong> Geißelanordnung schematisch dargestellt. Die Art der Begeißelung<br />
bestimmt auch <strong>die</strong> Art der Fortbewegung des Bakteriums.<br />
Abb.6: Schema der wichtigsten Begeißelungstypen<br />
Fimbrien, Pili<br />
Bei Enterobacteriaceen gibt es noch eine zweite Sorte von fädigen Protein-Organellen, <strong>die</strong><br />
Fimbrien oder Pili, von denen 100 - 500 Stück als dichter Saum <strong>die</strong> Zelle peritrich umgeben.<br />
Die Fimbrien sind zarte Gebilde von 0,1 bis 1,5 µm Länge <strong>und</strong> 4 - 8 nm Dicke, <strong>für</strong> deren<br />
Darstellung also das Elektronenmikroskop nötig ist. Auch Fimbrien sind nicht essentiell <strong>für</strong><br />
das Bakterium <strong>und</strong> existieren unabhängig von Begeißelung oder Bekapselung. Sie werden nur<br />
in flüssigen Kulturen bei 37 o C, nicht bei 18 o C gebildet, eine Tatsache, <strong>die</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Herstellung von Fimbrien-spezifischen Antiseren beachtet werden muß.<br />
Fimbrien sind <strong>für</strong> adhäsive Vorgänge verantwortlich, z.B. sind fimbrientragende Stämme von<br />
Escherichia, Salmonella, Klebsiella, Shigella, Proteus <strong>und</strong> Serratia hämagglutinierend. Diese<br />
Hämagglutination wird bei gewissen Fimbrientypen durch Mannose gehemmt, bei anderen<br />
nicht.<br />
Bei gewissen enteropathogenen Colitypen ist der Besitz von Fimbrien <strong>die</strong> Voraussetzung <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> Haftung des Erregers an den Darmepithelien, was wiederum <strong>die</strong> Bedingung ist <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Kolonisation des betreffenden Darmabschnittes.<br />
Viele gramnegative Stäbchen sind befähigt, sogenannte konjugative Pili zu formieren. Sie<br />
sind kräftiger strukturiert als <strong>die</strong> Fimbrien <strong>und</strong> tragen Rezeptoren <strong>für</strong> RNS-Phagen. Diese<br />
Konjugationspili sind hohl, wodurch <strong>die</strong> Penetration der Phagen-RNS in <strong>die</strong> Zelle<br />
gewährleistet ist. Sie sind <strong>die</strong> Organellen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Konjugation zwischen zwei Zellen<br />
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ermöglichen, ein Mechanismus, bei dem genetische Information in Form von DNS der pilustragenden<br />
Donorzellen in eine pilus-negative Rezipientenzelle übertritt.<br />
Schleime <strong>und</strong> Kapseln<br />
Zahlreiche Bakterienarten sind in der Lage, Schleimsubstanzen zu bilden. Diese haften auf<br />
der äußeren Zellwand als mehr oder weniger dicke, wasserreiche gallertige Schicht, <strong>die</strong><br />
Kapsel, <strong>und</strong> werden teilweise auch in <strong>die</strong> umgebende Nährlösung abgegeben.<br />
Bakterienkapseln bestehen entweder aus hochmolekularen Polysacchariden oder Polypeptiden<br />
bzw. aus beiden Substanzen zugleich. Stark schleimbildende Bakterien sind mit bloßem Auge<br />
an Hand des Koloniebildes zu erkennen.<br />
Bei Leuconostoc mesenteroides, das besonders große Kapseln aus Dextran, einem Glucose-<br />
Polymer aus α-D-Glucose in 1,6-Bindung bildet, kann der Durchmesser der Schleimschicht<br />
größer als der Zelldurchmesser sein. Das Bakterium wird zur industriellen Dextrangewinnung<br />
eingesetzt. Der Karieserreger Streptococcus salivarius bildet Laevan, eine Polyfructose, <strong>die</strong><br />
auf den Zähnen haftet <strong>und</strong> in der sich Stoffwechselprodukte, wie Milchsäure, anreichern.<br />
Acetobacter-Arten können große Mengen Cellulose bilden, wie sie sonst bei Bakterien kaum<br />
vorkommen. Schleimschichten aus Polypeptiden sind vor allem bei einigen Bacillus-Arten<br />
verbreitet. Außer von der Mikroorganismenart hängt <strong>die</strong> Kapselbildung in starkem Maße von<br />
der chemischen Zusammensetzung des Nährmediums ab, z.B. bildet Leu. mesenteroides nur<br />
in saccharosehaltigen Me<strong>die</strong>n Dextran, dagegen nicht in glucosehaltigen. In der<br />
Zuckerindustrie kann das Aufkommen von Dextranbildnern zu hohen Saccharoseverlusten<br />
<strong>und</strong> zur Verstopfung von Filtern <strong>und</strong> Rohrleitungen führen.<br />
Kapseln bieten den Bakterien besonderen Schutz gegen physikalische <strong>und</strong> chemische äußere<br />
Einflüsse. Das relativ gehäufte Vorkommen von kapselbildenden Bakterien im Erdboden <strong>und</strong><br />
anderen natürlichen Standorten wird u.a. auf <strong>die</strong> hohe Resistenz gegen Austrocknen <strong>und</strong><br />
gegen <strong>die</strong> chemischen Abwehrsysteme höherer Pflanzen <strong>und</strong> niederer Organismen, z.B.<br />
Antibiotika zurückgeführt. Interessant ist <strong>die</strong> Tatsache, daß kapsellose Mutanten einiger<br />
humanpathogener Bakterien avirulent sind, da sie im Gegensatz zu den bekapselten Stämmen<br />
von den weißen Blutkörperchen (Phagocyten) vernichtet werden.<br />
Schleimbildende Bakterien neigen zur Bildung von Zellketten. Durch Färbetechniken mit<br />
Tusche können <strong>die</strong> Bakterienkapseln im Mikroskop sichtbar gemacht werden.<br />
Sporen<br />
Gewisse Keime sind zur Bildung einer Endospore befähigt, <strong>die</strong> dem Organismus eine stark<br />
erhöhte Überlebenszeit unter erschwerten Umständen garantiert. Im Gegensatz zu den<br />
Pilzsporen sind Bakteriensporen nicht Fruktifikationsorgane, sondern Resistenzorganellen. Zu<br />
den Sporenbildnern gehört <strong>die</strong> Gattung der aeroben Bazillen (einziger pathogener Vertreter<br />
Bac. anthracis, allenfalls B. cereus als Lebensmittelvergifter) <strong>und</strong> der anaeroben Clostri<strong>die</strong>n<br />
(Erreger von Gasbrand, Tetanus, Botulismus, ferner Fäulniskeime).<br />
Es wird oft behauptet, <strong>die</strong> Umwandlung des vegetativen Keimes zum versporten Organismus<br />
erfolge "unter ungünstigen Lebensbedingungen", bzw. werde durch <strong>die</strong>se ausgelöst. Dies<br />
scheint eine unzulässige Verallgemeinerung zu sein, z.B. versport B. anthracis, der Erreger<br />
des Milzbrandes, innerhalb des Kadavers nicht, sondern erst außerhalb bei Luftzutritt. Auch<br />
Austrocknung führt nicht zur Sporulierung. Die Bedingungen der Sporenbildung müssen <strong>für</strong><br />
jede Bakterienspecies gesondert stu<strong>die</strong>rt werden. Eine vorsichtigere Formulierung müßte<br />
deshalb lauten: Die Sporenbildung erfolgt unter bestimmten, <strong>für</strong> <strong>die</strong> betreffende Species<br />
charakteristischen Bedingungen. Die oben zitierte Eigenart von B. anthracis hat übrigens<br />
erhebliche Konsequenzen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Epidemologie <strong>und</strong> Desinfektion: Bleibt der Kadaver des<br />
toten Tieres ungeöffnet, so können <strong>die</strong> vegetativen Bazillen mitsamt dem Tier leicht<br />
vernichtet werden. Tritt aber ante oder post mortem Blut aus <strong>und</strong> imprägniert <strong>die</strong> Umgebung,<br />
so wird man nach eingetretener Versporung mit der Desinfektion Mühe haben.<br />
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Durch Einschnürung der Zellmembran (Abb.7 a-e) wird ein Teil des Genoms abgetrennt <strong>und</strong><br />
der Sporenprotoplast wird sukzessive von Membran umhüllt. Die Membran der Mutterzelle<br />
umwächst darauf <strong>die</strong> primitive Spore. Die innere Membran scheidet nun zellwandartiges<br />
Material ab, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Mutterzelle bildet <strong>die</strong> äußere Sporenhülle. Zwischen beiden Sporenhüllen<br />
liegt jetzt <strong>die</strong> Rinde (Cortex). Bei einigen Bakterienarten lagert <strong>die</strong> Mutterzelle außerdem<br />
außen noch ein sog. Exosporium an, eine relativ lose Hülle.<br />
Abb.7: Schema der Sporenbildung bei Bakterien; a Beginn der Protoplastteilung, b Sporulationssepte<br />
geschlossen, c Umhüllung des Sporenprotoplasten, d Bildung der Sporenwand, des Cortex <strong>und</strong> der äußeren<br />
Sporenhülle, e Sporangium mit reifer Spore; 1 äußere Sporenhülle, 2 Cortex, 3 Sporenzellwand, 4<br />
Sporenprotoplast<br />
Alle Bakteriensporen enthalten große Mengen von Ca-Dipicolinat, das den vegetativen<br />
Formen fehlt. Mit der Anwesenheit <strong>die</strong>ser Substanz <strong>und</strong> der Abwesenheit freien Wassers wird<br />
<strong>die</strong> Thermoresistenz von Sporen erklärt. Außerdem sind <strong>die</strong> Sporenhüllen derb <strong>und</strong><br />
<strong>und</strong>urchdringlich.<br />
Die Auskeimung erfolgt, wenn das Nährmilieu <strong>die</strong>s gestattet, wobei durch Wasseraufnahme<br />
eine Quellung eintritt. Während der Auskeimung, <strong>die</strong> durch leichte Hitzebehandlung auf 60 o C<br />
stimuliert werden kann, sind <strong>die</strong> Keime maximal empfindlich auf äußere Einwirkung.<br />
Bedeutung der Sporenbildung<br />
a) Epidemologie: Die Tenazität der Sporenbildner, d.h. <strong>die</strong> Überlebenszeit unter definierten<br />
Umweltbedingungen ist sehr stark erhöht <strong>und</strong> ist bei B. anthracis praktisch unbegrenzt. Die<br />
Versporung erschwert <strong>die</strong> Desinfektion erheblich, <strong>und</strong> <strong>für</strong> eine Sterilisation ist<br />
Autoklaventemperatur oder Kochen zusammen mit einem Desinfektionsmittel unerläßlich.<br />
Versporte Gasbrandkeime <strong>und</strong> Cl. tetani können in 70 % Alkohol überleben, der früher zur<br />
"Sterilhaltung" von Spritzen <strong>und</strong> Instrumenten gebraucht wurde. Iatrogener Gasbrand wurde<br />
demzufolge bei Mensch <strong>und</strong> Tier mehrfach beschrieben.<br />
Sporen sind außerdem resistenter gegen Desinfektionsmittel <strong>und</strong> Strahlung als ihre<br />
vegetativen Formen.<br />
b) Diagnose: Die Sporen einer jeden Species haben eine charakteristische Form <strong>und</strong><br />
Lagerung, <strong>die</strong> mikroskopisch-diagnostisch berücksichtigt wird. Die Spore ist r<strong>und</strong> oder oval,<br />
gleich dick wie <strong>die</strong> Bakterienzelle oder dicker, sie ist zentral, subterminal oder terminal<br />
gelagert (Abb.8).<br />
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Abb.8: Schema der wichtigsten Sporen- <strong>und</strong> Sporangienformen der Bacillaceae<br />
(1) Spore oval, zentral (2) oval, terminal (3) oval, terminal, Sporangium angeschwollen (Bac. macerans)<br />
(4) wie 3 jedoch r<strong>und</strong> (5) oval, zentral, Sporangium angeschwollen;<br />
Im gewöhnlichen Grampräparat färben sich Sporen nicht an, werden aber als hell ausgesparte<br />
Körperchen erkannt. Für <strong>die</strong> Sporenfärbung müssen Hitzeimprägnations-Färbemethoden<br />
angewendet werden.<br />
Für <strong>die</strong> Isolierung von pathogenen Sporenbildnern aus stark kontaminiertem Material wird<br />
deren Hitzeresistenz ausgenützt, indem das Material während 10-30 Minuten bei 80 o C<br />
pasteurisiert wird, wodurch alle Nicht-Sporenbildner zugr<strong>und</strong>e gehen.<br />
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