Komm krümeln! - Misstype
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Erschienen in Financial Times Deutschland,<br />
30.September 2011<br />
<strong>Komm</strong> <strong>krümeln</strong>!<br />
Gemeinsam essen verbindet, und seien es nur<br />
ein paar Kekse. Welches Knabberzeug ein<br />
Meeting zum Erfolg macht<br />
Von Nina Anika Klotz<br />
What a difference a Keks makes: Ob ein<br />
Meeting gut läuft oder nicht, hängt davon ab,<br />
ob es Kekse gibt. Kein Witz, sondern<br />
wissenschaftlich erforscht: Im Rahmen des<br />
„Biscuit Survey 2009“ wurden 1000 britische<br />
Geschäftsleute zum Thema Gebäck im<br />
Konferenzraum befragt. 80 Prozent gaben an,<br />
dass die Anwesenheit von Plätzchen die<br />
Qualität eines Meetings maßgeblich<br />
verbessert. Nur der Sitzkomfort ist wichtiger.<br />
Beleuchtung, technische Ausstattung und<br />
Kunst an den Wänden haben keinen Einfluss<br />
darauf, ob Teilnehmer sich wohlfühlen. Der<br />
Keks macht’s.<br />
„Essen verbindet, es fördert soziale Gefüge“,<br />
erklärt Daniela Aschauer, Ernährungsberaterin<br />
und Coach. Dafür muss man nicht gemeinsam<br />
um dampfende Töpfe stehen oder an reich<br />
gedeckten Tischen sitzen. Schon das<br />
unauffällige Vor-sichhin- Geknabbere schafft<br />
Verbundenheit: Wenn sich jeder mal nach<br />
dem Keksteller reckt und Krümel von den<br />
Papieren wischt, entspannt sich die Situation,<br />
ist es irgendwie netter. Kekse sorgen für gute<br />
Stimmung. Kein Wunder, dass vor allem bei<br />
kritischen Meetings, etwa mit Wirtschaftsprüfern<br />
oder Unternehmensberatern, fast<br />
immer Kekse auf dem Tisch stehen. Was<br />
allerdings die Qualität des Backwerks angeht –<br />
das wird selten der Bedeutung der Teilnehmer<br />
gerecht. Dies hat der Bremer Finanzstaatsrat<br />
Henning Lühr beobachtet. Er kennt sich aus<br />
mit Konferenz-Gekrümel, denn er hat ein<br />
humoriges Buch darüber geschrieben:<br />
„Management by Biscuits: oder Der mit den<br />
Kalorien tanzt“. „Das, was auf den Tisch<br />
kommt, ist oft recht konservativ“, sagt Lühr.<br />
Der Grund sei schlechtes „Innovationsmanagement<br />
der Sekretariate, die das letztlich<br />
bestimmen“. Sprich: Mal was Neues<br />
auszuprobieren, je nach Anlass zu variieren,<br />
kommt Mitarbeiterinnen kaum in den Sinn.<br />
Viel zu selten werden Kekse aus der Oberliga<br />
besorgt, Petit Fours und was sonst noch so<br />
dem Gaumen – und dem Ego – schmeichelt.<br />
Stattdessen bröselt gar zu oft die übliche<br />
Dosenmischung auf Untertassen vor sich hin.<br />
Und das nicht nur in Meetings. An jedem<br />
Messestand steht ein Schälchen mit Buttergebäck,<br />
auf jedem Kongress <strong>krümeln</strong> die<br />
Teilnehmer mit den gleichen Waffelplätzchen,<br />
bei jeder Konferenz knabbern sie Mandelzungen.<br />
Selbst wenn die „Tagesschau“ Bilder<br />
von einer Sitzung im Kanzleramt zeigt, steht<br />
da die fade Keksmischung auf dem Tisch.<br />
Dabei<br />
gibt es reichlich Alternativen: Der Onlineshop<br />
„Fein und Fein“ bietet spezielle Konferenz-<br />
Kekse, die hübscher und origineller sind als die<br />
Konfektionsware. Auf Wunsch mit Firmenlogo<br />
und im Abonnement. Ständig in greifbarer<br />
Nähe, ist so ein Keksteller natürlich nicht<br />
gesund. „Aus ernährungswissen-schaftlicher<br />
Sicht macht es wenig Sinn, Kekse gegen das<br />
11-Uhr-Loch oder das Nachmittagstief auf den<br />
Tisch zu stellen“, sagt Ernährungsexpertin<br />
Aschauer. „Einfache Zucker machen zwar<br />
schnell satt und scheinbar fit, weil sie vom<br />
Blut gleich aufgenommen werden. Die Folge<br />
aber ist, dass der Körper, um mit der<br />
plötzlichen Zuckerflut klarzukommen, mehr<br />
Insulin ausschütten muss.“ Und schon rollt sie<br />
heran, die nächste Heißhungerwelle. Aschauer<br />
rät deshalb, Rohkost und Obst auf den<br />
Konferenztisch zu stellen, am besten eignet<br />
sich, was unzerkleinert zu verspeisen ist,<br />
Trauben zum Beispiel, Cocktailtomaten oder<br />
Physalis. Unkompliziert und kleckerfrei lassen<br />
sich auch Bananen und Karotten essen.<br />
Wer von Butterkeksen auf Obst umstellen will,<br />
wird fündig bei Unternehmen wie Biodirekt<br />
aus Bochum. Sie liefern das Frischzeug direkt<br />
an den Arbeitsplatz – auf Bestellung oder in<br />
regelmäßigen Abständen. So kann man eine<br />
Obstschale für den Konferenztisch zweimal<br />
pro Woche neu mit Früchten der Saison<br />
befüllen. Bio-Bob aus Hamburg versorgt<br />
Firmen nicht nur mit frischen, sondern auch<br />
mit getrockneten Früchten und Müsliriegeln.<br />
Im Grunde arbeitet Bio-Bob genauso wie<br />
Firmen, die die berüchtigten Snackboxen<br />
immer wieder mit Schokoriegeln bestücken.<br />
Nur dass der Hamburger die „guten“ Sachen
liefert. Dazu zählen gemeinhin auch Nüsse.<br />
Mit ihren Omega-3-Fettsäuren bringen sie<br />
angeblich Denkleistung und Erinnerungsvermögen<br />
ordentlich auf Trab. Ärzte und<br />
Wissenschaftler streiten sich zwar noch, ob<br />
dies wirklich stimmt, aber dass ein paar Nüsse<br />
gesünder sind als eine Hand voll Butterkekse,<br />
dürfte gesichert sein.<br />
Das Hamburger Unternehmen Geniuss Food<br />
bewirbt seine Nuss-und- Beeren-Mischungen<br />
als Snackalternative und bietet in einer<br />
speziellen Business-Line für Geschäftskunden<br />
gleich auch schicke Schälchen für Konferenz-<br />
und Messestände. Auch Obst soll ein müdes<br />
Hirn erfrischen. Als sogenanntes Brainfood<br />
verkauft der Schweizer Business- und Event-<br />
Caterer SV-Group neuerdings Blaubeerquark.<br />
Die Beeren nämlich enthalten Flavonoide,<br />
chemische Verbindungen, die das Gedächtnis<br />
stärken und freie Radikale abwehren –<br />
halbwegs nachweislich. Garnelenspieße mit<br />
Curry sollen dank des gelben Curcumins<br />
Synapsen schwungvoll schalten lassen. An die<br />
denkleistungsfördernde Wirkung der<br />
Häppchen kann man glauben oder nicht,<br />
unumstritten aber ist, dass der Garnelenspieß<br />
weniger träge macht als eine schnell<br />
verdrückte Currywurst. Auch ein<br />
Blaubeerquark birgt weniger Risiko, ins<br />
Fresskoma zu fallen, als ein paar Stück<br />
Butterkuchen. Es braucht kein Zuckerbrot, um<br />
den Menschen bei Laune zu halten.<br />
Bewegung, Unterhaltung, Lokalkolorit – auch<br />
damit lassen sich platte Hintern und krause<br />
Stirnen wieder lockern.<br />
Das Hotel Ritz-Carlton bringt Tagungsgästen<br />
kulinarisch die Hauptstadt näher. Zur<br />
Kaffeepause „Berliner Mauer“ gibt es Buletten<br />
und Currywurst vor der künstlichen Kulisse<br />
einer Mauer. Bei „Kreuzberger Multikulti“ darf<br />
mit den Fingern gegessen werden: Sushi und<br />
Döner im Miniformat. Preislich kann so ein<br />
Snack es natürlich nicht mit einem Teller<br />
Kekse aufnehmen. Für sechs Häppchen – eine<br />
Portion – berechnet das Nobelhotel 24 Euro.<br />
Die Investition in bessere Verpflegung kann<br />
sich lohnen: Wenn schon ein schnöder Keks<br />
die Teilnehmer entzückt, wie werden<br />
Fruchtspieße oder Deluxe-Häppchen erst<br />
Zufriedenheit und Teamgeist fördern? Nur<br />
vom inhaltlichen Ergebnis der Konferenz sollte<br />
man nicht zu viel erwarten: Hirnforscher<br />
haben nämlich herausgefunden, dass unser<br />
Gehirn am besten arbeitet, wenn der Körper<br />
Hunger leidet.