Jagdfieber - Misstype
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Leben<br />
<strong>Jagdfieber</strong><br />
Auf der Pirsch Warum nur schlagen sich Unternehmer<br />
bei Wind und Wetter stundenlang durchs Unterholz? Was<br />
treibt sie an? Eine Geschichte aus dem deutschen Wald<br />
[ Text: Nina Anika Klotz foto: Gulliver Theis ]
Im Nebel ruhet noch die Welt,<br />
Noch träumen Wald und<br />
Wiesen …<br />
eduard mörike,<br />
„Septembermorgen“<br />
Manchmal tobt in den Wäldern<br />
des Wendlands der Atom(müll)krieg,<br />
meistens aber ist es<br />
friedlich. Das 6000 Hektar<br />
große Jagdrevier um Schloss<br />
Gartow, in dem Moritz von<br />
Bismarck (vorherige Seite, l.)<br />
und Fried von Bernstorff auf<br />
die Pirsch gehen, liegt mitten<br />
in der größten autobahnfreien<br />
Zone Deutschlands. Rund<br />
500 Rehe, Rot- und Damhirsche<br />
werden hier pro Jahr erlegt.<br />
Die Schrotkugeln, die von<br />
Bismarck vorführt, sind eher für<br />
Fuchs- und Hasenjagd geeignet<br />
116<br />
impulse Dezember 2012<br />
Am Ende dieser Geschichte soll ein totes<br />
Tier auf dem Waldboden liegen.<br />
Das zumindest ist der Plan, so stellt<br />
man sich das vor, das Jagen: Am Ende<br />
wird gestorben.<br />
Im Moment aber wirkt alles so friedlich, dass<br />
man an Schüsse, Blut und den Tod gar nicht<br />
denken mag. Es ist ein früher Herbstmorgen im<br />
Wendland. Die letzten Sterne leuchten noch am<br />
Himmel, alles schweigt. Moritz von Bismarck<br />
sitzt in einem Versteck und schaut in die Dunkelheit.<br />
Die schmale Holzbank unter ihm ist<br />
feucht und unbequem. Er trägt einen grünen<br />
Hut, Wanderstiefel und geflickte Funktionshosen,<br />
hat die Arme vor der Brust verschränkt.<br />
Es ist kalt. An seinem rechten Bein lehnt ein<br />
Gewehr. Und so sitzt er da. Regungslos.<br />
Man solle bitte schön keine 100 kläffenden<br />
Beagles, Gewehrsalven und Männer in Tweedjacketts<br />
erwarten, hatte der Hamburger Unternehmer<br />
vorher gesagt. Wenn er auf die Jagd<br />
gehe, auf Ansitzjagd, dann sehe das anders aus.<br />
Er gehe allein, mit ein, zwei Freunden höchstens.<br />
Dann gebe es keine Hunde, kein Getöse<br />
und wer weiß, vielleicht noch nicht einmal Beute.<br />
Sicherlich könne man das langweilig finden.<br />
Für ihn aber sei es das genaue Gegenteil.<br />
Von Bismarck ist Jäger, „immer schon“, sagt<br />
er und meint damit, dass er mit 16, dem Mindestalter,<br />
seinen Jagdschein gemacht hat. „Die<br />
Jagd gehört zu meinem Leben dazu“, ist seine<br />
Antwort, wenn man ihn fragt, warum.<br />
Es wird hell. Die Vögel wachen auf. Ein Kolkrabe,<br />
ein Specht, zwei Kraniche, die über die<br />
Kiefernwipfel fliegen. Von Bismarck erkennt<br />
sie alle an ihren Stimmen. Und dann hört er das<br />
Wild. Rotwild. Ein leiser, kehliger Dauerton,<br />
wie Froschgequake. „Das sind die brunftenden<br />
Hirsche“, sagt er, „die liegen da hinten in ihrer<br />
Kuhle und bewachen ihr Kahlwild.“ Er lauscht.<br />
Ansitzen bedeutet, dass der Jäger wartet, bis<br />
das Wild zu ihm kommt. Im Gegensatz zur<br />
Pirsch, wo er selbst durch den Wald schleicht.<br />
Oder zu Drück und Treibjagd, wo das Wild aufgescheucht<br />
wird.<br />
Morgenansitz, das klingt ein bisschen wie<br />
Morgenandacht, und irgendwie passt das auch:<br />
Der Jäger sitzt in aller Ruhe allein mit sich und<br />
dem Wald und sinniert. Es riecht nach Tannenzapfen<br />
und feuchter Erde. Als die aufgehende<br />
Sonne die obersten Baumspitzen trifft, fangen<br />
die an, rosa zu leuchten. Fürchterlich kitschig.<br />
Aber schön. Man kann schon verstehen, warum<br />
Moritz von Bismarck das mag.
In Deutschland gibt es 351 832 Jagdscheininhaber.<br />
Pro Jahr legen mehr als 11 000 das<br />
„grüne Abitur“, die Jägerprüfung, ab. Seit Jahren<br />
steigt diese Zahl. Viele der neuen Waidmänner<br />
sind Büromenschen, Geschäftsleute, Unternehmer.<br />
TrigemaChef Wolfgang Grupp etwa<br />
oder Automann Wolfgang Porsche jagen schon<br />
lange, der Fleischfabrikant Clemens Tönnies ist<br />
Pächter eines Reviers in MecklenburgVorpom<br />
mern,ThyssenKruppGrandseigneur Berthold Beitz ging mit<br />
weit über 90 noch auf die Pirsch,<br />
und der Keramikfabrikant Wendelin<br />
von BochGalhau (Villeroy<br />
& Boch) betreibt sogar eine eigene<br />
Jagdschule auf seinem Landgut<br />
Linslerhof. „Immer mehr<br />
Menschen, vor allem aus der<br />
Großstadt, sehnen sich zurück<br />
nach Heimat und Natur“, erklärt<br />
Lucas von Bothmer, Chefredakteur der Fachzeitschrift<br />
„Jäger“, den Trend. „Und das Jagdhandwerk<br />
ist das klarste Bekenntnis zu nachhaltiger<br />
Naturnutzung, das ich kenne.“<br />
Die Nähe zur Natur ist ein häufig genannter<br />
Grund fürs Jagen, ein anderer ist derselbe, aus<br />
dem gestresste Manager und Firmenbosse Zen<br />
Man zwingt sich,<br />
einfach mal<br />
ruhig zu sitzen.<br />
Und man hat Zeit,<br />
über Dinge<br />
nachzudenken<br />
Moritz von Bismarck<br />
Jäger und Unternehmer<br />
Meditation üben oder für zwei Wochen Urlaub<br />
im Schweigekloster buchen: „Man zwingt sich,<br />
einfach einmal ruhig zu sitzen“, sagt Moritz<br />
von Bismarck. Und: „Man hat Zeit, über Dinge<br />
nachzudenken.“ Dinge, die im bewegten Alltag<br />
des Gründers und Geschäftsführers zweier<br />
Startups sonst zu kurz kommen.<br />
Für einen Moment sah es so aus, als wäre<br />
der Jäger in seinem Versteck eingenickt, doch<br />
plötzlich ist er wieder hellwach:<br />
Ein rülpsendes Einzelröhren hat<br />
sich zu dem Dauerton gesellt.<br />
„Ein junger Hirsch, der sich dem<br />
Brunftplatz nähert, weil er auch<br />
gern mal zum Zug käme“, übersetzt<br />
Bismarck. Er nimmt das<br />
Fernglas, das um seinen Hals<br />
hängt, scannt die Lichtung. Noch<br />
sieht er nichts, aber das Röhren<br />
kommt näher.<br />
Der Wald, in dem er auf der Lauer liegt, gehört<br />
seinem Freund Fried von Bernstorff. Ein<br />
hervorragendes Revier: 6000 Hektar mit Rot<br />
und Damwild, Rehen und sogar Mufflons.<br />
500 Stück, wie der Jäger sagt, dürfen pro Jahr<br />
erlegt werden. Plus unbegrenzt viele Wildschweine.<br />
Dafür kommen rund 400 Jagd<br />
Dezember 2012 impulse 117
Im Felde schleich ich still<br />
und wild,<br />
Gespannt mein Feuerrohr …<br />
Johann Wolfgang von Goethe,<br />
„Jägers Abendlied“<br />
Bei der Ansitzjagd wartet<br />
der Jäger in Deckung auf das<br />
Wild. Jagdhunde kann man<br />
dabei nicht gebrauchen, Spuren<br />
müssen die Jäger selbst lesen<br />
und verfolgen.<br />
Die beiden Bayerischen<br />
Gebirgsschweißhunde des<br />
Forstwirts von Gartow kommen<br />
erst zum Einsatz, wenn<br />
ein wund geschossenes Tier<br />
dem Jäger entkommen ist –<br />
Waidmanns worst case<br />
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impulse Dezember 2012<br />
gäste aus Deutschland, Dänemark und aus<br />
den Niederlanden auf Schloss Gartow, für ein<br />
Wochenende oder auch eine ganze Woche. Für<br />
viele Freizeitjäger die einzige Möglichkeit, ihr<br />
Hobby auszuleben: Wer keinen eigenen Wald<br />
besitzt oder pachtet, kann nur als Gast mit<br />
Erlaubnis im Revier eines anderen jagen. Tiere<br />
und Fleisch gehören dem Jagdherrn.<br />
Es geht immer um Leben und Tod<br />
Hobby. Ein Wort, das viele Jäger nicht gern hören.<br />
Das klänge nach Spaß, sagen sie. Und Spaß<br />
sei das falsche Wort, wenn man von einer Tätigkeit<br />
spricht, bei der am Ende ein Lebewesen<br />
stirbt. Lieber nennen sie die Jagd ein Handwerk,<br />
seltener auch Sport. „Es ist eine schwierige<br />
Vorstellung, dass jemand Spaß am Töten<br />
empfindet“, sagt von Bismarck. Bei ihm sei<br />
das sicherlich nicht der Fall, ebenso wenig bei<br />
anderen Jägern, die er kenne. Wobei natürlich<br />
schon ein Teil der Faszination darin besteht, bei<br />
der Jagd Herr über Leben und Tod zu sein.<br />
Der Himmel über der Lichtung und den rosaroten<br />
Baumwipfeln hat sich blau gefärbt. Der<br />
38-Jährige atmet die klare Luft ein. „Früher war<br />
ich jede freie Minute im Wald“, sagt er. Seit er<br />
Familie hat, seltener. 20 Ansitze macht er jetzt<br />
pro Saison und zehn Gesellschaftsjagden. Neulich<br />
hat er seinen vierjährigen Sohn mit auf<br />
die Kanzel, so heißt der Hochsitz in der Jägersprache,<br />
genommen. Ohne Waffe, nur so, zum<br />
Gucken. Fand der super.<br />
Sowohl das Dauerröhren als auch die Rufe<br />
des Junghirschs sind verstummt. „Wenn er jetzt<br />
am Brunftplatz angekommen ist, gibt es gleich<br />
Ärger.“ Kurz darauf kracht es laut, einmal, dann<br />
noch einmal. So klingt es, wenn die Geweihe<br />
von brunftigen Hirschen aufeinanderprallen,<br />
wenn die Alten den Jungspund von ihren Frauen<br />
vertreiben. „Ist das nicht geil?“, freut sich<br />
Moritz von Bismarck, ein bisschen vielleicht,<br />
weil er recht hatte, und ein bisschen, weil man<br />
das einfach nicht so oft hört: Gebaren der<br />
Männlichkeit, offene Machtkämpfe und Eifersuchtsszenen<br />
mitten im Wald.<br />
Moritz von Bismarcks Ehefrau jagt nicht,<br />
„als wir zusammenkamen, war sie sogar Vegetarierin.“<br />
Das ist sie jetzt nicht mehr, sie isst<br />
gern Wild, so ziemlich das einzige Fleisch, das<br />
bei den Bismarcks auf den Tisch kommt. Der<br />
Unternehmer ist sehr kritisch, was den Fleischkonsum<br />
seiner Familie angeht, spricht über<br />
schlimme Haltungs- und Schlachtbedingungen<br />
bei Rindern und Schweinen, findet, in Masse
… Drum jage du frisch auch<br />
Dein flüchtiges Reh<br />
Durch Wälder und Felder,<br />
durch Täler und See,<br />
Bis dir es ermüdet in Armen<br />
vergeh‘!<br />
Joseph von eichendorff,<br />
„Der Jäger“<br />
Das beste Stück Fleisch gehört<br />
dem Jäger – eigentlich. Von<br />
Bismarck und von Bernstorff<br />
verkaufen ihre besten Stücke<br />
online unter www.wild-fleisch.de.<br />
Dafür haben sie im Schloss<br />
Gartow eigens eine moderne<br />
Wildschlachterei und<br />
ein Kühlhaus (o.) gebaut.<br />
Im Schwarzraum hängen<br />
die erlegten Tiere einige Tage<br />
zum Ausbluten<br />
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impulse Dezember 2012<br />
produziertes Hähnchen- und Putenfleisch sollte<br />
man eigentlich gar nicht essen. Wild dagegen<br />
sei anders: Die Tiere hatten ein gutes Leben<br />
in Freiheit, und sie sind tot, ehe sie den Schuss<br />
hören – im Idealfall zumindest.<br />
Im Wald schießen, online verkaufen<br />
Später wird von Bismarck im Schlachthaus auf<br />
Schloss Gartow die Leiber von vier geschossenen<br />
Rehen aufklappen und die Einschüsse<br />
in spizieren. Mit seinem Freund Fried von<br />
Bernstorff hat er vor einem Jahr begonnen,<br />
Gartower Wildfleisch online zu verkaufen.<br />
Küchenfertig, EU-zertifiziert, tiefgefroren, via<br />
DHL-Express über Nacht verschickt. War eine<br />
Marktlücke, mehr oder minder: Die meisten<br />
Jäger geben ihr Fleisch an Händler, die das an<br />
verschiedenen Orten zusammengekaufte Wild<br />
an Endkunden und Gastronomie vertreiben.<br />
Bismarck und Bernstorff haben diesen Part nun<br />
selbst übernommen, können für die Herkunft<br />
ihres Fleisches garantieren, Details zu Wild und<br />
Erlegungsort sind lückenlos dokumentiert.<br />
An einem Reh zeigt er den perfekten Schuss,<br />
einen Kammerschuss. Der dringt kurz hinter<br />
der Schulter ein, geht durch Lunge und Herz<br />
und kommt auf der anderen Seite wieder<br />
he raus. Er tötet das Tier augenblicklich. Einen<br />
Moment steht es wie versteinert, während der<br />
Knall noch im Wald nachhallt. Dann bricht es<br />
zusammen. Schmerzlos. Schuss und vorbei.<br />
Der nicht perfekte Schuss verletzt das Wild,<br />
ohne es unmittelbar zu töten. Mit das Schlimmste,<br />
was passieren kann. „Krank schießen“ nennt<br />
man das in Jägerlatein, und einem krank ge -<br />
schos senen, fliehenden Stück muss sofort „nachgesucht“<br />
werden. Das ist nicht immer einfach,<br />
etwa auf einer Jagd bei Nacht. Eine Nachsuche<br />
kann auch gefährlich sein, ein verletztes Wildschwein<br />
hat einem Jägerkollegen von von Bismarck<br />
einmal mit dem Eckzahn den ganzen<br />
Unterschenkel aufgeschlitzt.<br />
Vor allem aber ist eine Nachsuche die wohl<br />
größte emotionale Herausforderung für einen<br />
Jäger. Wenn er das verletzte Tier gefunden hat,<br />
hilflos, strampelnd, in Krämpfen, vor Schmerz<br />
schreiend oder kläglich röchelnd, dann ist es<br />
seine Waidmannspflicht, dem Leiden ein Ende<br />
zu setzen. Mit einem Fangschuss oder, schlimmer<br />
noch, mit dem Messer. „Das fällt jedem<br />
durchschnittlich mitfühlenden Menschen<br />
wahn sinnig schwer, und wenn man in diesen<br />
Momenten nicht so unter Adrenalin stehen<br />
würde, könnte man das auch gar nicht“, so von
Bismarck. Auch er war schon in dieser Situation,<br />
wie jeder Jäger. „Aber da ein Messer reinstechen<br />
...“ Er bricht ab. Man müsse verstehen:<br />
Oft reiche das nicht. Große Tiere müsse man<br />
umdrehen, sich draufsetzen, damit das Messer<br />
tiefer ins Herz dringe. „Und dann warten, bis<br />
die Luft raus ist. Das ist fürchterlich. Fürchterlich.“<br />
Er schüttelt den Kopf, schweigt. „Andererseits:<br />
Wer nicht bereit ist, es in<br />
dieser Konsequenz zu machen,<br />
sollte nicht zur Jagd gehen.“<br />
Manche tun es trotzdem. Der<br />
Hamburger nennt diese Fraktion<br />
die „Hobbyjäger“. Oft sind das<br />
aufstrebende Karrieristen, die<br />
jagen, weil sie es für ein Luxusfreizeitvergnügen<br />
halten, besonders<br />
seit Golf ein Jedermannssport<br />
geworden ist. Sie können<br />
neuerdings auf Jagdschulen den<br />
Jagdschein in exklusiven ZehnTagesKursen<br />
für stattliche 12 000 Euro bekommen, und es<br />
gibt luxuriöse Jagdsafaris auf Kamtschatka<br />
oder in der afrikanischen Steppe mit Abschussgarantie.<br />
„Viele Hobbyjäger wollen einfach<br />
unbedingt schießen – und das ist ein Problem“,<br />
so von Bismarck. Wer schussgeil ist, macht<br />
Immer mehr<br />
Menschen, vor<br />
allem aus der<br />
Großstadt, sehnen<br />
sich zurück nach<br />
Heimat und Natur<br />
Lucas von Bothmer<br />
Chef der Zeitschrift „Jäger“<br />
Fehler. „Und unglücklicherweise sind es genau<br />
diese Jäger, die dann noch nicht einmal zu<br />
einem krank geschossenen Tier hingehen und<br />
das verursachte Leiden selbst beherzt beenden<br />
können“, sagt Moritz von Bismarck.<br />
Mit der Stille im Wald vor dem Ansitz ist es<br />
plötzlich vorbei, als ein Eichelhäher ganz in der<br />
Nähe zu schimpfen beginnt. Der Jäger richtet<br />
sich auf, wartet, und – da! Ein<br />
lautes Röhren ganz in der Nähe.<br />
Der unterlegene Jungbulle dreht<br />
beleidigt seine Runden um den<br />
Brunftplatz. Das ist der Moment,<br />
in dem die meisten Jäger anfangen,<br />
nervös zu werden, im positiven<br />
Sinne, eine Art freudige<br />
Aufgeregtheit.<br />
„Dieses <strong>Jagdfieber</strong> gibt es auf<br />
jeden Fall“, sagt von Bismarck.<br />
So richtig breche es unmittelbar<br />
vor dem Schuss aus. Wenn der Jäger das Gewehr<br />
anlegt, seine Beute durch das Zielfernrohr<br />
anvisiert. „Viele fangen da an zu zittern, unerfahrene<br />
Jäger sogar zu hyperventilieren. Das<br />
gibt sich mit der Zeit, aber eine gewisse Anspannung,<br />
die bleibt.“ Er selbst merke, wie angespannt<br />
er im entscheidenden Moment sei,<br />
Dezember 2012 impulse 121
So lagen sie da<br />
und sprachen, die drei,<br />
da rannte<br />
der weiße Hirsch vorbei.<br />
Und eh’ die drei Jäger<br />
ihn recht gesehn,<br />
so war er davon<br />
über Tiefen und Höhn.<br />
Ludwig Uhland,<br />
„Der weiße Hirsch“<br />
Moritz von Bismarck macht<br />
sich wenig aus Trophäen,<br />
würde sich keinen Zwölfender<br />
übers Sofa hängen.<br />
Hier inspiziert er die<br />
Geweihsammlung auf dem<br />
Dachboden der Gräflichen<br />
Forstverwaltung Gartow
daran, dass er den Schuss nicht höre. Nie. Dabei<br />
ist der Knall verdammt laut. „In den seltenen<br />
Fällen, in denen eine Jagd tatsächlich mit<br />
einem Schuss endet, bildet dieser die Klimax<br />
des jagdlichen Erlebnisses“, sagt der Unternehmer.<br />
„Danach herrscht meistens Stille, und die<br />
Welt um einen herum fühlt sich ganz anders<br />
an als noch Sekundenbruchteile zuvor.“<br />
Noch aber ist es nicht so weit. Während das<br />
Röhren immer näher kommt und der Jäger mit<br />
dem Fernglas das Unterholz absucht, erzählt er,<br />
dass er eigentlich am liebsten Wildschweine jage.<br />
„Weil die nicht so filigran und elegant sind.“<br />
Vor ein paar Jahren war er bei einer Drückjagd<br />
in der Eifel, nur wenige Wochen nachdem sein<br />
erster Sohn geboren worden war. Aus einem<br />
Rudel Rotwild schoss von Bismarck auf ein<br />
Kalb, worauf das ganze Rudel stehen blieb. „Ich<br />
wusste genau, dass es tödlich getroffen war.<br />
Aber als die da noch für einen Augenblick so ruhig<br />
zusammenstanden, Alttier und Kalb … “ Er<br />
schüttelt sich kurz. „Das ist nicht schön.“ Sicherlich:<br />
Auch in diesem Moment habe er nicht daran<br />
gezweifelt, dass das, was er tut, richtig und<br />
wichtig ist: „So wie wir jagen, gibt es objektiv<br />
nichts daran zu kritisieren.“ Aber: „Es geht einem<br />
nahe. Muss es auch, finde ich. Wenn es mir<br />
irgendwann nicht mehr naheginge, würde ich<br />
nicht mehr auf die Jagd gehen.“<br />
In der Brunft sind Hirsche ungenießbar<br />
Der Hirsch! Er tritt auf die Lichtung. Langsam,<br />
laut vor sich hinröhrend. Er trägt ein einigermaßen<br />
stattliches Geweih, den braunen Winterpelz,<br />
schreitet mit gleichmäßigen Schritten.<br />
Die Hand des Jägers nähert sich seinem Gewehr.<br />
Ein letzter Blick durch das Fernglas, dann<br />
lässt er das Gewehr doch stehen. Gemächlich<br />
verschwindet der Hirsch im Gehölz. „Ich hatte<br />
gehofft, er käme mit einigen weiblichen Tieren“,<br />
sagt von Bismarck. Die hätte er dann geschossen.<br />
„Aber so ein brunftiger Damschaufler?<br />
Nein.“ Das Fleisch sei quasi ungenießbar, es<br />
habe diesen aufdringlichen Brunftgeschmack.<br />
Und Moritz von Bismarck jagt nur, was er auch<br />
verwerten kann.<br />
Eine halbe Stunde später beendet er seinen<br />
Morgenansitz, schlendert durch feuchtes Gras<br />
und gelbe Ahornblätter zurück zum Land Rover.<br />
Glücklich, sagt er. Keinesfalls unbefriedigt. „Bei<br />
60 bis 80 Prozent der Ansitzjagden gehe ich ohne<br />
Beute nach Hause, das ist völlig in Ordnung.<br />
Das macht mich kein Stück traurig oder unzufrieden.“<br />
Und ein wenig scheint es so, als sei der<br />
Jäger froh darüber, dass er diesen Hirsch mit<br />
dem Leben davonkommen lassen konnte.<br />
Fleisch und Blut<br />
Die Jagd ist nichts für Zartbesaitete. Oder Ungeduldige. Das<br />
wissen jetzt auch die Autorin und der Fotograf der Reportage<br />
„Wenn Sie morgen etwas schießen<br />
sollten, meinen Sie, dass Sie<br />
das, nun ja, verkraften?“, fragte am<br />
Abend vor der Jagd Diplomforstwirt<br />
ralf Abbas (o. r.) Autorin Nina<br />
Anika Klotz (l.) über einen Teller<br />
rehfilet hinweg. Sie selbst, völlig<br />
jagdunerfahren, hatte sich das<br />
auch schon gefragt. „Aber wer<br />
Fleisch isst, muss auch damit klarkommen,<br />
dass dafür Tiere sterben“,<br />
findet sie. Auch Fotograf<br />
Gulliver Theis glaubte, keine berührungsängste<br />
zu haben, und<br />
war bereit für einen Abschuss. So<br />
brachen die beiden Städter mit<br />
großen erwartungen am nächsten<br />
morgen in den Wald auf. Dem<br />
Fotografen fiel es schwer, „gefühlte<br />
72 Stunden“ still zu sitzen, die<br />
Autorin fand das Ausharren in<br />
unbequemer Position „irgendwie<br />
yogamäßig“. Als sich abzeichnete,<br />
dass die Jagd wohl unblutig enden<br />
würde, waren sie doch ein wenig<br />
enttäuscht. Das Naturerlebnis<br />
Jagen sei aber durchaus eindrucksvoll<br />
gewesen, sagen beide.<br />
Dezember 2012 impulse 123