"WIR"-Interview als Download. - Mitteldeutscher ...
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VERbÄNDE<br />
Neuer Vorstand wirbt für Änderung<br />
und Erneuerung 20. MGV-Verbandstag beriet<br />
<strong>Interview</strong><br />
Der unlängst vom Verbandsrat des Mitteldeutschen<br />
Genossenschaftsverbandes<br />
(Raiffeisen/Schulze-Delitzsch) e. V. berufene<br />
neue Vorstandssprecher des MGV,<br />
Dr. Gerald Thalheim, stellte sich mit einer<br />
Analyse und seinem Konzept den Vertretern<br />
der 600 Mitgliedsunternehmen des<br />
Verbandes beim 20. Verbandstag am 23.<br />
Mai vor. „WIR“ sprach mit ihm.<br />
„Lohnt“ der Neuantritt?<br />
Ich bin überzeugt, in den Aufbau des MGV ist<br />
so viel Energie gesteckt worden, dass es jetzt<br />
unverantwortlich wäre, nicht alles zu versuchen,<br />
um den Verband zu retten, zu konsolidieren<br />
und ihn weiterzuentwickeln.<br />
Sie sprachen beim<br />
Verbandstag von<br />
Erneuerung. Was<br />
bedeutet das?<br />
Zum einen geht es<br />
darum, Vertrauen<br />
zurückzugewinnen.<br />
Das wird uns nur ge-<br />
Dr. Gerald Thalheim. lingen, wenn wir in<br />
einen intensiven Dialog mit den Mitgliedsgenossenschaften<br />
treten und die Arbeit des<br />
Verbandes viel stärker <strong>als</strong> bisher an den Bedürfnissen<br />
und Erwartungen unserer Genossenschaften<br />
ausrichten. Klar muss dabei sein,<br />
dass wir dennoch nicht alle Wünsche erfüllen<br />
können. Kernkompetenz des Verbandes ist<br />
die Prüfung.<br />
Sie kündigten eine komplette Reorganisation<br />
des Verbandes an. In welcher Form?<br />
Die Prüfung und die bisher getrennt organisierten<br />
Bereiche Recht und Steuern sollen zusammengefasst<br />
werden. Vor dem MGV steht<br />
jetzt die Aufgabe, alles mehr aus dem Blickwinkel<br />
der Genossenschaften heraus zu orga-<br />
nisieren, ohne dabei die Qualität zu vernachlässigen.<br />
Selbstverständlich muss den gesetzlichen<br />
Erfordernissen Rechnung getragen werden.<br />
Im Dezember wurde ein Sanierungsprogramm<br />
beschlossen, warum?<br />
Der Jahresabschluss mit dem uneingeschränkten<br />
Bestätigungsvermerk und der<br />
Vergleich mit dem Vorjahr zeigen die Entwicklung<br />
der Ertragslage über die letzten<br />
drei Jahre. Die Übersicht verdeutlichte noch<br />
einmal den gravierenden Rückgang in den<br />
Umsatzerlösen, so besonders im Vergleich<br />
der Jahre 2011 und 2010. Beleuchtet man<br />
das Ergebnis 2011 genauer, wird deutlich,<br />
dass es vor allem im letzten Jahr nicht geschafft<br />
wurde, den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb<br />
so zu strukturieren, dass ein<br />
auskömmliches Ergebnis erwirtschaftet werden<br />
konnte.<br />
Wie kam es zu dieser Situation?<br />
Kennzeichnend für die Entwicklung von einem<br />
kreditwirtschaftlichen zu einem warenwirtschaftlichen<br />
Verband ist das „ständige<br />
Schrumpfen“. Der MGV hat <strong>als</strong> Verband früher<br />
mit Banken zusammengearbeitet, die<br />
dann andere Wege gegangen sind. Doch<br />
nichts ist schlimmer <strong>als</strong> ständiges Schrumpfen.<br />
Da kommen Sie nicht mehr in die Offensive.<br />
Neugründungen können den Weggang<br />
Den Bericht zur Arbeit des Verbandsrates gab nach den Ausführungen des neuen Vorstandssprechers Dr. Gerald<br />
Thalheim der Vorsitzende dieses ehrenamtlichen Gremius Wolfgang Grübler (re.). Fotos: wolf<br />
8 6/2012<br />
Der neue<br />
Vorstand<br />
Die Stimmberechtigten der<br />
rund 600 Mitgliedsunternehmen<br />
des Mitteldeutschen Genossenschaftsverbandesbestätigten<br />
durch die Satzungsänderung<br />
(und nach dem Rücktritt<br />
des bisherigen Vorstandes mit<br />
Wirkung vom 24. Mai) auch den<br />
neuen Vorstand des MGV: Vorstandsmitglied<br />
Bereichsleiter Roger<br />
Rabenhold, Vorstandssprecher<br />
Dr. Gerald Thalheim und<br />
Vorstandsmitglied Bereichsleiter<br />
Sebastian Rösler (v. l.).<br />
anderer Genossenschaften wirtschaftlich<br />
nicht ausgleichen. Der zu verteilende Kuchen<br />
ist kleiner geworden, bei zunehmender Konkurrenz.<br />
Zudem ist es uns nicht gelungen,<br />
dass unsere Genossenschaften mehr freiwillige<br />
Leistungen in Anspruch nehmen, so für<br />
Rechts-, Steuer- und betriebswirtschaftliche<br />
Beratung, Dinge, die Genossenschaften immer<br />
wieder brauchen.<br />
Wie dramatisch stellt sich die wirtschaftliche<br />
Situation des MGV dar?<br />
Für keinen Verband ist es ein Ruhmesblatt,<br />
wenn man Verluste schreibt. Aber es ist nicht<br />
so, dass der MGV am Rande des Ruins steht.<br />
Der Verband hat seit 2004 nie einen Kontokorrentkredit<br />
gebraucht. Wir haben auch<br />
jetzt keine Kredite aufgenommen. Und die<br />
Eigenkapitalquote beträgt 70 Prozent. Also:<br />
Die Lage ist schwierig, aber nicht so dramatisch<br />
wie mitunter gemunkelt wird.<br />
Was sind die Schlussfolgerungen?<br />
Dass unbedingt ein weiteres Wegbrechen der<br />
Umsätze verhindert werden muss und gleichzeitig<br />
eine Reduktion des Personalaufwandes<br />
notwendig ist. Denn: Einer der Gründe für<br />
diese Entwicklung ist, wie gesagt – neben anderen<br />
Problemen –, dass Dienstleistungen<br />
nicht den Stellenwert hatten, die ihnen in der<br />
heutigen Zeit zukommen müssen. Von Akquise<br />
ist gesprochen worden, aber es wurde<br />
zu wenig unternommen. Auf alle Fälle war es<br />
keinesfalls die Aufgabe Nummer eins.<br />
Woher kommt die Unzufriedenheit? Was<br />
werden Sie tun?<br />
Es ist versäumt worden, die Genossenschaften<br />
rechtzeitig über die wirtschaftliche Situation<br />
zu informieren und klar zu sagen, was<br />
anders werden soll. Das werden wir tun, wobei<br />
es immer schwieriger wird, zwischen den<br />
unterschiedlichen Interessen gute Kompromisse<br />
zu finden, das heißt, dass richtige<br />
Gleichgewicht zwischen Prüfung und Beratung<br />
auf der einen Seite und Betreuung und<br />
>>>
Verantwortung übernehmen<br />
1. Branchenübergreifender Kennenlern-Abend<br />
Am Vorabend des 1. Mitteldeutschen Genossenschaftskongresses<br />
fand in Leipzig ein<br />
gemeinsamer Parlamentarischer Abend<br />
statt. Dazu hatten der FPV, der VSWG, der<br />
VDWG, der PTW und der MGV eingeladen.<br />
Im Namen der fünf Verbände begrüßte der<br />
langjährige MGV-Verbandspräsident Dietmar<br />
Berger am 22. Mai die zahlreichen Gäste: „Sie<br />
erleben eine Premiere. Noch nie in der deutschen<br />
Genossenschaftsgeschichte nach 1949<br />
haben sich Genossenschaftsverbände der Waren-<br />
und Wohnungswirtschaft – und dann<br />
noch aus drei Bundesländern – für einen gemeinsamen<br />
Kennenlernabend zusammengetan.“<br />
Im UNO-Jahr der Genossenschaften hätten<br />
sich diese Verbände nun „auf den Weg gemacht,<br />
für die genossenschaftliche Idee, die<br />
Rechtsform und für unsere rund 1 300 Genossenschaften<br />
gemeinsame genossenschaftliche<br />
Interessen, aber auch öffentliche Wahrnehmung<br />
zu bündeln, ohne die eigene Selbstständigkeit<br />
anzutasten“. „Immer dort, wo Bürgerengagement<br />
mit wirtschaftlichen Aufgaben<br />
verbunden wird, sind Genossenschaften ideal“<br />
– bei regionalen wirtschaftlichen, kulturellen<br />
oder sozialen Prozessen von der ländlichen<br />
Nahversorgung bis zur regionalen Energieversorgung,<br />
sagte Berger.<br />
VdWg-Verbandsdirektor Roland Meißner gestand,<br />
dass er nicht geglaubt hätte, dass sich<br />
einmal diese fünf Verbände mit ihren Genossenschaften<br />
gemeinsam präsentieren. Er verwies<br />
darauf, dass die 500 Wohnungsgenossenschaften<br />
der drei mitteldeutschen Wohnungs-<br />
>>><br />
Interessenvertretung auf der anderen Seite<br />
zu finden.<br />
Das ist keine leichte Aufgabe!<br />
Am schwierigsten wird es sein, die mentale<br />
Teilung des Verbandes zu überwinden. Zudem<br />
gilt es, in dieser Situation Vorstandsmitglieder<br />
der Genossenschaften von der Wichtigkeit<br />
eines eigenständigen Weges bei<br />
gleichzeitiger stärkerer Kooperation zu überzeugen.<br />
Was spricht für einen regionalen Genossenschaftsverband?<br />
Dafür gibt es mehrere Argumente. Genossenschaften<br />
sind regionale Unternehmen, die in<br />
regionale Wirtschaftskreisläufe eingebunden<br />
sind. Sie brauchen die Kommunal- und Landespolitik<br />
<strong>als</strong> Partner. Der zweite Punkt ist, es<br />
gibt unterschiedliche Interessen wirtschaftlicher,<br />
gesellschaftlicher und kultureller Art innerhalb<br />
Deutschlands. Und es existieren eben<br />
verbände 600 000 Wohnungen bewirtschaften,<br />
von denen der größte Teil saniert sei. Er<br />
verwies aber auch auf solche „Risikofaktoren“<br />
wie den demografischen Wandel, der eine sozialverträgliche<br />
Geschäftspolitik sowie den Klimaschutz<br />
mit den Bemühungen und Erfolgen<br />
um Energieeffizienz erfordere. „Wir haben<br />
energetisch saniert.“ Dennoch kämen ständig<br />
neue politische Vorgaben. – „Wer kann, wer<br />
soll das bezahlen?“<br />
Sachsens Innenminister Markus Ulbig verband<br />
seinen Glückwunsch und Dank an die Genossenschaften<br />
mit der Feststellung: „Wir brauchen<br />
Verantwortungsträger wie Sie, um den<br />
Herausforderungen gerecht werden zu können.“<br />
Die Genossenschafter seien wichtige Gesprächspartner<br />
der Politik.<br />
Der Landesgeschäftsführer des Thüringer Landesbauernverbandes<br />
Stefan Baldus sprach zu<br />
den Gestaltungsmöglichkeiten und den Leistungen<br />
der Genossenschaften. „Sie sind eine<br />
Art Frühwarnsystem, denn sie fokussieren in<br />
besonderer Weise die Chancen und Probleme<br />
der modernen Landwirtschaft“, so bei Kappung<br />
und Degression, der landwirtschaftlichen<br />
Produktion und der Frage „Wie weiter<br />
damit?“, der Energiegewinnung und der<br />
Pflege der Kulturlandschaft. Landbewirtschaftung<br />
solle ökologisch sein, auch wenn sie konventionell<br />
ist. „Doch es kann nicht sein, dass<br />
die Politik nur höhere Standards fordert.“ Sie<br />
müsse auch verstehen was sie da beschließt<br />
und „ihren Beitrag leisten, um dies in der Praxis<br />
umsetzen zu können“. wga<br />
auch noch (!) spezifische ostdeutsche Interessen<br />
aufgrund der historischen Entwicklung<br />
bei einigen Genossenschaftsgruppen. Neben<br />
diesen rationalen Argumenten steht ein emotionales<br />
Argument: Offensichtlich besteht ein<br />
großes Bedürfnis nach überschaubaren Strukturen.<br />
Übrigens: Unsere größte Konkurrenz<br />
erfahren wir derzeit nicht vom Genossenschaftsverband<br />
in Frankfurt, sondern von den<br />
neu gegründeten kleineren, letztlich ebenfalls<br />
regionalen Verbänden.<br />
Es gab Meinungen in den Mitgliederversammlungen,<br />
eine Interessenvertretung<br />
sei durch den MGV nicht notwendig.<br />
Zur Interessenvertretung gibt es zwei Gegenargumente.<br />
Erstens: Das macht schon der<br />
Bauernverband. Doch wo blieben da beispielsweise<br />
die Frisör- oder Baugenossenschaften,<br />
wo die gewerbliche Ware? Zweitens:<br />
Es gibt zu viele Trittbrettfahrer. Letzteres<br />
haben wir auch beim Bauernverband<br />
6/2012<br />
VERbÄNDE<br />
Nach den vier kurzen Statements entwickelten sich<br />
interessante Gespräche zwischen den Teilnehmer aus<br />
Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sowie dem genossenschaftlichen<br />
Bereich. Das Ergebnis: Man weiß<br />
mehr voneinander. Fotos: K. Lassig<br />
oder bei den Gewerkschaften. Was solche<br />
Organisationen erreichen, nützt allen, egal<br />
ob sie zahlende Mitglieder sind oder nicht.<br />
Wie sehen Sie die Zukunft?<br />
Wir haben uns sehr viel vorgenommen, und<br />
wir mussten uns viel vornehmen, um den<br />
Verband zu konsolidieren und wieder in ruhiges<br />
Fahrwasser zu bringen. Ich werbe hier<br />
um einen Vertrauensvorschuss für den neuen<br />
Vorstand und den skizzierten Weg. Wenn es<br />
uns gelingt, den Laden zusammen zu halten<br />
und uns nichts im großen Umfang wegbricht,<br />
dann ist es zu schaffen. Wenn allerdings<br />
der Erosionsprozess weiterginge, dann<br />
bekäme das eine Eigendynamik. Ich habe<br />
deshalb zunächst vor, in Betriebe zu fahren,<br />
die ausgetreten sind oder es vorhaben, um<br />
zu erfahren, wo die Gründe liegen. – Es gab<br />
Betriebe, die gefordert haben, der MGV<br />
müsse selbständig bleiben – und die jetzt davonlaufen.<br />
Gespräch: Dr. Wolfgang Allert<br />
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