Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
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96<br />
III. DIE NEUENTDECKUNG<br />
DER JUNGFERNHAUT<br />
In der zweiten Phase unseres Themas löste sich in der gerichtsmedi-<br />
zinischen Literatur der enge Zusammenhang von Hymen und Heb-<br />
ammen - es fällt diese Phase grob mit dem 17. Jahrhundert zu-<br />
sammen. Der Hymen wurde allmählich in seiner Existenz ganz, in<br />
seiner Aussagekraft über die Virginität bedingt, akzeptiert. Die<br />
Hebamme wurde weiter abgelehnt, aber nicht mehr nur als Gut-<br />
achterin, sondern als Praktikerin überhaupt, wobei anstelle des<br />
Einzelarguments, sie verstünde von ihrem gutachterlichen Kernge-<br />
biet, der Virginität, nichts, das Argument trat, sie sei ganz allge-<br />
mein inkompetent, woraus sich ihre forensische Inkompetenz ganz<br />
von selbst ergab 216 .<br />
Die Wiedereinführung des Hymens in die Gerichtsmedizin ge-<br />
schah unter dem Druck der anatomischen Befunde. Es war deshalb<br />
nicht der Hymen der Hebammen, der nun doch anerkannt worden<br />
wäre, sondern es war der Hymen der Anatomen (Berengario da<br />
Carpi, Vesal, Falloppius), wie ihn etwa Melchior Sebitz (1 78-1674)<br />
1630 in seiner «Disputatio de notis virginitatis» darstellte 217 . Melchior<br />
Sebitz war der Sohn eines gleichnamigen Stadtarztes im Elsass und<br />
selbst Anatomieprofessor und Stadtarzt in Strassburg. In seiner<br />
Schrift legt er den Streit um den Hymen dar; als Autoritäten, die<br />
dessen Existenz anerkennten, zitiert er die neuzeitlichen Anatomen,<br />
als Gegner vor allem Augenius. Er selbst findet die Ablehnung des<br />
Hymens lächerlich und missbilligt seine Betrachtung als selten und<br />
wider die Natur. Denn diese Membran existiere, er selbst habe sie<br />
oft gefunden und zweifle nicht, dass man sie bei Jungfern meistens<br />
finden könne. Der Hymen sei eine dünne Membran, die ohne wei-<br />
teres sichtbar werde, wenn man die Schamlippen, ohne Instrument,<br />
etwas spreize. Sie sei bald mondförmig, bald voller und lasse im-<br />
mer den Blasenausgang frei. Mit der Enge der Geburtswege, der<br />
Deflorationsblutung und dem Deflorationsschmerz zusammen<br />
halte er den Hymen für ein wahrscheinliches Virginitätszeichen.<br />
Sebitzens Arbeit ist später zum medizinhistorischen Klassiker ge-<br />
worden 218 .