Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger

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21.07.2013 Aufrufe

anderes, als das Neugeborene in ihrem Schoss auffangen und seine Nabelschnur durchschneiden und abbinden. Zu allem anderen sind sie so geeignet wie der Esel zum Leierspiel. So taugen die Hebam- men auch nicht, die Virginität zu beurteilen, wie es das päpstliche Recht zulässt. Denn Auge und Hand der Hebammen irren oft, so- gar durch das päpstliche Recht selbst ist dies bezeugt. Fortunatus Fidelis (1 0-1630), der erste gerichtsmedizinische Sy- stematiker («De relationibus medicorum», Erstausgabe Palermo 1602), hat sich Augenius angeschlossen; er argumentiert wie dieser gegen den Hymen, zitiert dieselben Autoritäten, und betrachtet einen allenfalls vorhandenen Hymen als Missbildung. Auch er wendet sich in demselben Atemzug entschieden gegen die Beurtei- lung der Virginitätsfrage durch Hebammen, da deren Beobachtun- gen gewöhnlich unsicher und irreführend seien. Der Tadel, den Augenius über die Hebammen ausschüttet, nämlich, jede beschriebe den Hymen wieder anders, trifft bei ihm aber auch die Anatomen. Vesal 204 beschreibe ihn als fleischige, Falloppius 205 als nervige Mem- bran, schreibt Fidelis, andere noch anders. Damit schützt er einen schwachen Punkt von Augenius’ Plädoyer gegen allfällige Angriffe: Augenius hatte nämlich von Vesal und Falloppius nichts gesagt. Fide- lis findet noch andere Argumente, dem Zeugnis dieser beiden gros- sen Anatomen die Spitze zu brechen: Vesal habe den Hymen zwar anerkannt, seinen Wert als Virginitätszeichen aber skeptisch beur- teilt - einerseits zerreisse er oft nicht so leicht, selbst bei einem Bei- schlaf, andererseits gebe es die Sitte, dass die Hebammen bei der Geburt dieses unnütze Gebilde sprengen, wie die Juden die Be- schneidung pflegen 206 . Zudem habe Vesal später einmal, in seinem Brief über die Chinawurzel (1 46), geschrieben, er habe nur ein- mal ein Mädchen seziert, dabei zwar einen Hymen gefunden, dar- aus indessen nichts sicheres zu schliessen gewagt 207 . Des Falloppius Aussage aber stehe die von anderen Ärzten von ebenso grosser Au- torität entgegen. Fidelis traut aber auch den übrigen Virginitätszei- chen - Urinproben, Räucherungen, Zeichen des dicken Halses und der breiten Nasenspitze von Entjungferten - nicht. Alles in allem: Es gibt keine sicheren Jungfernschaftszeichen, wie auch Augenius bestätigt habe. Ein Starrkopf wäre also, beschliesst Fidelis seine Lek- 93

Ausschnitt aus einem Titelblatt zu Fidelis’ «De relationibus ...», auf welchem in solchen Bildchen die Hauptthemen der seinerzeitigen Gerichtsmedizin dargestellt sind. tion über die Jungfernschaft, wer gegen so viele berühmte medi- zinische Autoren aufrecht erhalten wollte, diese Membran finde sich bei allen Jungfrauen und man könne hieraus ein sicheres Urteil über die Virginität ableiten 208 . Interessant ist ein Einleitungsgedicht zu Fidelis’ Werk aus der Leipziger Ausgabe von 1674, welches die Frage der Virginität gleich als erste anführt, während sie im Werke selbst als eine eher seltene Frage bezeichnet wird. Wieviel Tränen, wieviel Ehrverlust, heisst es da sinngemäss, wenn die Jungfrauschaft bezweifelt wird! Die Hebamme kommt dann, berührt die Jungfrau, sucht nach dem Hymen und urteilt danach - «o falsa matrum signa!» durch welche kaum zwischen Buhldirne und der Reinheit der Jungfrau unter- schieden wird 209 . Hier erscheint der medizinische Begutachter also als Erretter der Angeklagten - ein immer wiederkehrendes Motiv der poetischen Seite des Faches - und gerade das verlangt ihm die Ablehnung von Hebammen und Hymen ab. Die Auffassung, es gebe keinen Hymen und die Verwendung dieser Auffassung als Argument gegen die Gutachtertätigkeit und gegen die Sachkunde der Hebammen überhaupt, finden sich auch im weiteren Verlauf des Jahrhunderts. Sie findet sich in Roderico a Castros (um 1 46-1627) «Medicus politicus» von 1614 210 und noch 1704 in dem brillanten und einflussreichen Buch des Leipzigers Johannes Bohn (1640-1718) «De officio medici duplici, clinici nimi- rum ac forensis» 211 . Bohn tritt zwar «männlich und gründlich», wie ihm ein späterer Historiker zuerkennt 212 , bereits sehr allgemein ge- gen alle Gutachtertätigkeiten der Hebammen auf, doch sein erstes 94

anderes, als das Neugeborene in ihrem Schoss auffangen und seine<br />

Nabelschnur durchschneiden und abbinden. Zu allem anderen sind<br />

sie so geeignet wie der Esel zum Leierspiel. So taugen die Hebam-<br />

men auch nicht, die Virginität zu beurteilen, wie es das päpstliche<br />

Recht zulässt. Denn Auge und Hand der Hebammen irren oft, so-<br />

gar durch das päpstliche Recht selbst ist dies bezeugt.<br />

Fortunatus Fidelis (1 0-1630), der erste gerichtsmedizinische Sy-<br />

stematiker («De relationibus medicorum», Erstausgabe Palermo<br />

1602), hat sich Augenius angeschlossen; er argumentiert wie dieser<br />

gegen den Hymen, zitiert dieselben Autoritäten, und betrachtet<br />

einen allenfalls vorhandenen Hymen als Missbildung. Auch er<br />

wendet sich in demselben Atemzug entschieden gegen die Beurtei-<br />

lung der Virginitätsfrage durch Hebammen, da deren Beobachtun-<br />

gen gewöhnlich unsicher und irreführend seien. Der Tadel, den<br />

Augenius über die Hebammen ausschüttet, nämlich, jede beschriebe<br />

den Hymen wieder anders, trifft bei ihm aber auch die Anatomen.<br />

Vesal 204 beschreibe ihn als fleischige, Falloppius 205 als nervige Mem-<br />

bran, schreibt Fidelis, andere noch anders. Damit schützt er einen<br />

schwachen Punkt von Augenius’ Plädoyer gegen allfällige Angriffe:<br />

Augenius hatte nämlich von Vesal und Falloppius nichts gesagt. Fide-<br />

lis findet noch andere Argumente, dem Zeugnis dieser beiden gros-<br />

sen Anatomen die Spitze zu brechen: Vesal habe den Hymen zwar<br />

anerkannt, seinen Wert als Virginitätszeichen aber skeptisch beur-<br />

teilt - einerseits zerreisse er oft nicht so leicht, selbst bei einem Bei-<br />

schlaf, andererseits gebe es die Sitte, dass die Hebammen bei der<br />

Geburt dieses unnütze Gebilde sprengen, wie die Juden die Be-<br />

schneidung pflegen 206 . Zudem habe Vesal später einmal, in seinem<br />

Brief über die Chinawurzel (1 46), geschrieben, er habe nur ein-<br />

mal ein Mädchen seziert, dabei zwar einen Hymen gefunden, dar-<br />

aus indessen nichts sicheres zu schliessen gewagt 207 . Des Falloppius<br />

Aussage aber stehe die von anderen Ärzten von ebenso grosser Au-<br />

torität entgegen. Fidelis traut aber auch den übrigen Virginitätszei-<br />

chen - Urinproben, Räucherungen, Zeichen des dicken Halses und<br />

der breiten Nasenspitze von Entjungferten - nicht. Alles in allem:<br />

Es gibt keine sicheren Jungfernschaftszeichen, wie auch Augenius<br />

bestätigt habe. Ein Starrkopf wäre also, beschliesst Fidelis seine Lek-<br />

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