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Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger

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GELEITWORT<br />

Geschichte ist nicht einfach Vergangenheit. Geschichte dient der<br />

Herstellung einer Beziehung zwischen Vergangenheit und Gegen-<br />

wart. Sie kann dies in sehr verschiedener Weise tun, im Grunde tut<br />

sie es wohl für jeden wieder etwas anders. Mich selbst fasziniert sie<br />

einmal dadurch, dass sie die in manchem Gegenwärtigen - in Ge-<br />

bäuden, Gesetzen, Institutionen, Sitten, Worten usw. - stillschwei-<br />

gend und selbstverständlich präsente Vergangenheit als solche<br />

wahrnehmen lehrt, dass sie also auf die historische Dimension des<br />

Jetzt aufmerksam macht. Auch dadurch, dass sie die Vergangenheit<br />

als eine Aufeinanderfolge von Gegenwarten betrachtet, in deren je-<br />

der Menschen sich mehr oder weniger frei bewegten.<br />

Geschichte kann einen lehren, sich von der Gegenwart zu distan-<br />

zieren, ohne sich von ihr zu entfernen: Sie führt einem die Wan-<br />

delbarkeit alles Gegenwärtigen vor Augen, sie weist den Einfluss<br />

der Vergangenheit auf die Gegenwart nach und setzt diesen gerade<br />

dadurch in Grenzen - ein altbewährter Beschwörungseffekt; sie<br />

zeigt, dass manches, was ist, auch anders geworden sein könnte.<br />

Allenfalls kann sie sogar wahrnehmen lehren, dass selbst Unab-<br />

änderlich-Gegenwärtigem die Möglichkeit innewohnt, anders zu<br />

sein. Was einem begegnet, ist ja immer nur eine Auslese von dem,<br />

was es «gibt» - so begegnen verschiedene Zeiten denselben Dingen<br />

oft mit ganz verschiedenen Fragestellungen, Akzentsetzungen, Vor-<br />

eingenommenheiten. Diese Tatsache realisiert man im aktuellen<br />

Augenblick gewöhnlich nicht, es würde einen dies ja oft sogar am<br />

Handeln, am Treffen von Entscheidungen, am Antworten und Rea-<br />

gieren hindern. Bei der Beschäftigung mit Geschichte aber realisiert<br />

man sie auf Schritt und Tritt. Dies schon, weil man da ja gerade die<br />

Wandelbarkeit der Voraussetzungen menschlicher Äusserungen be-<br />

arbeitet, dann, weil man schon im Arbeitsprozess, beim Zusammen-<br />

suchen des Materials, auf dem man sein Bild von der Vergangenheit<br />

aufbauen kann, immer und immer wieder auf Lücken, Unvollstän-<br />

digkeiten und Einseitigkeiten stösst. In der Geschichte muss man<br />

mit Wandelbarkeit, Lücken und Einseitigkeit sogar rechnen - man<br />

muss da ja auch nicht handelnd oder entscheidend teilnehmen.

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