Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
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Hymen und den Hebammen, wie sie sich in der medizinischen,<br />
speziell gerichtsmedizinischen Literatur der Neuzeit präsentiert, die<br />
Geschichte also der Beziehung zwischen einem Beruf und einem<br />
anatomischen Detail, zwischen einem Stück Standesgeschichte und<br />
einem Stück Wissenschaftsgeschichte.<br />
Diese Geschichte sei kurz zusammengefasst. Sie lässt sich in drei<br />
Phasen aufteilen. In der ersten Phase (16. Jh.) wurde dem Hymen<br />
sein Wert als Virginitätszeichen, vielfach sogar seine Existenz abge-<br />
sprochen und dies dann als Argument gegen die Sachkunde der<br />
Hebammen, speziell gegen ihre Kompetenz, in foro über die Vir-<br />
ginität auszusagen, verwendet. In einer zweiten Phase hielt der Hy-<br />
men allmählich wieder Einzug in die medizinische Wissenschaft,<br />
dabei wurde seine Assoziation mit den Hebammen vermieden, was<br />
sich zum Teil in neuen Namengebungen äussert (17. Jh.). In einer<br />
dritten Phase (18. Jh.) wird «Hymen» wieder zur gebräuchlichen<br />
Bezeichnung der nun wieder als Virginitätszeichen anerkannten<br />
Jungfernhaut. Man hätte sagen können, damit sei die Auffassung<br />
der alten Hebammen zur Auffassung der medizinischen Wissen-<br />
schaft geworden. Die Hebammen waren aber unterdessen sehr<br />
weitgehend heruntergekommen, und so wurde das Bedürfnis nicht<br />
laut, hierauf hinzuweisen. Eine Ausnahme bildet Giovanni Battista<br />
Morgagni, der ja auch historisch hochgebildet war. Aber Morgagni<br />
konnte anhand der Literatur zeigen, dass die Hebammen sich geirrt<br />
hatten.<br />
An der Geschichte der Beziehung zwischen Hebammen und Hy-<br />
men zeigt sich etwas von der Wechselwirkung, die da zwischen<br />
Wissenschaftlichem und anderem - vom individuellen Erleben und<br />
Streben bis zum organisiert-gesellschaftlichen Phänomen - be-<br />
stehen kann. Es zeigt sich vielleicht auch etwas von der Schlüssel-<br />
stellung der Sprache in dieser Wechselwirkung. Die Sprache dient<br />
auch hier nicht allein der Abbildung und Wiedergabe von Dingen,<br />
sondern auch deren Integration in übergeordnete menschliche Si-<br />
tuationen; Worte sind ja nicht nur Instrumente der Informations-<br />
übertragung, sie sind auch die Information selbst und damit mäch-<br />
tige Werkzeuge der Gestaltung - Gestaltung von wissenschaftlicher<br />
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