Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger

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21.07.2013 Aufrufe

welcher im 19. Jahrhundert gerade den Frauen aus bürgerlichen Kreisen, unter denen die Nervenschwäche am grausamsten wütete, behandelt wurden. Auch im einzelnen aber konnte die Annahme der weiblichen Schwäche als Schutz vor Aggression funktionieren, im 19. Jahrhundert sogar vor Gericht. Wir berichteten oben von der exkulpierenden Wirkung der gestörten Menstruation im frü- heren 19. Jahrhundert - später konnte sogar die reguläre Menstrua- tion entschuldigen. Der k. k. Landesgerichtsarzt und Dozent der forensischen Psychiatrie Ludwig Schlager (1828-188 ) beschliesst schon 18 8 eine Arbeit über «die Bedeutung des Menstrualproces- ses ...» mit den Worten: «Unter allen Verhältnissen wird es daher der Gerichtsarzt bei weiblichen Individuen, bei denen es sich um die Dispositionsfähigkeit ... oder ... um die Imputationsfähigkeit strafbarer Handlungen handelt, nicht unterlassen, ... die ... Men- strualfunction ... und deren Rückwirkung auf das psychische Leben ins Auge zu fassen» 166 . Um 1900 aber statuiert Krafft-Ebing in seinem Lehrbuch der gerichtlichen Psychopathologie: «Die geistige Inte- grität des menstruierenden Weibes ist forensisch fraglich.» Krafft- Ebing, einer der Väter sowohl der forensischen Psychiatrie als auch der Sexologie, behandelt den «Einfluss der Menstruation auf das Geistesleben» als Anhang zum Kapitel über «die psychischen Entar- tungen» 167 . 1902 widmet er der «Psychosis menstrualis» eine eigene «klinisch-forensische Studie» 168 . «Das menstruirende Weib hat An- spruch auf die Milde des Strafrichters, denn es ist ,unwohl‘ ... und psychisch mehr oder weniger afficirt.» Es handelt sich um Störun- gen des Gemütslebens und «um daraus resultirende elementare Stö- rungen in der Psyche, die die Zurechnungsfähigkeit allerdings nicht aufheben, aber immerhin ... als Milderungsgründe ... Berück- sichtigung finden müssen. ... Abnorme Reizbarkeit ... bis zu ... pa- thologischen Affekten ... sind gewöhnliche Erscheinungen. Un- verträglichkeit mit dem Gatten, mit dem Gesinde, üble Behand- lung der sonst geliebten Kinder bis zu Misshandlungen, Zornex- plosionen, Ehrenbeleidigungen, Hausfriedensbruch, Unbotmässig- keit gegen Amtspersonen, Eifersuchtsscenen gegenüber dem Mann, Bedürfniss nach Alkoholicis ... sind der Alltagserfahrung entlehnte Vorkommnisse bei unzähligen weiblichen Individuen, die ... in ih- 79

em ,Sturm‘ ... wahre Furien und Xantippen, gemieden und ge- fürchtet sind, intervallär als brave Gattinnen, zärtliche Mütter ... angenehme Elemente in der Gesellschaft erscheinen können» 169 . «Bedenklicher», fährt Krafft-Ebing fort, «wird der Einfluss der Menses bei dem belasteten und so häufig schon längst nervös und psychisch nicht mehr normalen Weib. Da regen sich menstrual wieder Neurosen, wie z. B. Hemicranie, Hysterie, Epilepsie, Neurasthenie ..., milde, sonst vollkommen beherrschbare krank- hafte Gemüthszustände exacerbiren ... und führen zu feindlicher Reaction gegen die Aussenwelt ... Endlich sind die verschiedenen Formen des menstrualen Irreseins möglich.» Die Zeit der Men- struation ist die Zeit gehäuften Selbstmords. «Von menstrualen Im- pulsen zu Mord enthält namentlich die französische Literatur klassi- sche Beispiele.» «Gross ist die Literatur über Brandstiftungen auf Grund von Zwangsvorstellungen, die menstrual nicht beherrschbar waren. Schon E. Platner, Osiander, Henke u. a. kannten die Thatsa- che des häufigen Zusammentreffens von Brandstiftungen bei weiblichen Individuen in der Zeit der Pubertätsentwicklung mit der Menstruation, besonders bei gestörter ... Nicht selten sind men- strual unwiderstehliche Antriebe zum Diebstahl ... Eine weitere Möglichkeit für Verletzungen des Strafgesetzes bilden pathologi- sche Affekte zur Zeit der Menses ... Am 1.12. [18]97 gerieth Frau G. mit ihrem Mann über eine Kleinigkeit in Streit, sie wurde schrecklich aufgeregt, warf eine Anzahl Porzellanteller ihrem Mann nach und verletzte ihn ...» Und Krafft-Ebing beschliesst seine Studie mit «Thesen für die forensische Beurtheilung von tempore menstr. zustandegekommenen Delicten», wovon Nummer 1: «Die geistige Integrität des menstruirenden Weibes ist forensisch frag- lich» 170 . 80 VII. DIE MENSTRUATION VERLIERT AN SYMPTOM- UND SYMBOLWERT - NACH DEN BEIDEN WELTKRIEGEN Mit und nach den beiden Weltkriegen hat die Menstruation zuse- hends an Symbol- und Symptomwert für die weibliche Schwach-

em ,Sturm‘ ... wahre Furien und Xantippen, gemieden und ge-<br />

fürchtet sind, intervallär als brave Gattinnen, zärtliche Mütter ...<br />

angenehme Elemente in der Gesellschaft erscheinen können» 169 .<br />

«Bedenklicher», fährt Krafft-Ebing fort, «wird der Einfluss der<br />

Menses bei dem belasteten und so häufig schon längst nervös und<br />

psychisch nicht mehr normalen Weib. Da regen sich menstrual<br />

wieder Neurosen, wie z. B. Hemicranie, Hysterie, Epilepsie,<br />

Neurasthenie ..., milde, sonst vollkommen beherrschbare krank-<br />

hafte Gemüthszustände exacerbiren ... und führen zu feindlicher<br />

Reaction gegen die Aussenwelt ... Endlich sind die verschiedenen<br />

Formen des menstrualen Irreseins möglich.» Die Zeit der Men-<br />

struation ist die Zeit gehäuften Selbstmords. «Von menstrualen Im-<br />

pulsen zu Mord enthält namentlich die französische Literatur klassi-<br />

sche Beispiele.» «Gross ist die Literatur über Brandstiftungen auf<br />

Grund von Zwangsvorstellungen, die menstrual nicht beherrschbar<br />

waren. Schon E. Platner, Osiander, Henke u. a. kannten die Thatsa-<br />

che des häufigen Zusammentreffens von Brandstiftungen bei<br />

weiblichen Individuen in der Zeit der Pubertätsentwicklung mit<br />

der Menstruation, besonders bei gestörter ... Nicht selten sind men-<br />

strual unwiderstehliche Antriebe zum Diebstahl ... Eine weitere<br />

Möglichkeit für Verletzungen des Strafgesetzes bilden pathologi-<br />

sche Affekte zur Zeit der Menses ... Am 1.12. [18]97 gerieth <strong>Frau</strong><br />

G. mit ihrem Mann über eine Kleinigkeit in Streit, sie wurde<br />

schrecklich aufgeregt, warf eine Anzahl Porzellanteller ihrem<br />

Mann nach und verletzte ihn ...» Und Krafft-Ebing beschliesst seine<br />

Studie mit «Thesen für die forensische Beurtheilung von tempore<br />

menstr. zustandegekommenen Delicten», wovon Nummer 1: «Die<br />

geistige Integrität des menstruirenden Weibes ist forensisch frag-<br />

lich» 170 .<br />

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VII. DIE MENSTRUATION VERLIERT<br />

AN SYMPTOM- UND SYMBOLWERT -<br />

NACH DEN BEIDEN WELTKRIEGEN<br />

Mit und nach den beiden Weltkriegen hat die Menstruation zuse-<br />

hends an Symbol- und Symptomwert für die weibliche Schwach-

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