Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
gebene Leiden dann auf ein Zusammentreffen einer übermässigen allgemeinen Reizbarkeit des Nervensystems mit speziellen, von be- stimmten Organen ausgehenden Reizen zurückgeführt. Im Falle der Hysterie war es, sofern sie als Reflexneurose interpretiert wurde, die notorische Schwäche und Reizbarkeit des weiblichen Nervensystems, die zur Hysterie disponierte und irgendein vom Genitalsystem, namentlich den Ovarien, ausgehender spezieller Reiz, was die Attacken auslöste. Die Idee, die Hysterie der Frau durch Ovarektomie zu behandeln, lag damit nahe 1 2 . Auch vom ge- sunden Ovar gingen hysterogene Reize aus. Wie ja auch das ge- sunde, d. h. das weibliche Nervensystem an sich zu Hysterie dispo- nierte, da es natürlicherweise zarter, schwächer und weniger robust gebaut war als das männliche - auch dies ein an sich unliebsamer, die Frau ständig gefährdender Umstand, der aber im Hinblick auf die Bestimmung der Frau als Gattin und Mutter wünschenswert und normal erschien. So besehen erscheint nun die Menstruation als ein der hysteri- schen Attacke analoger Zustand, als ein hysterisches Äquivalent, auch sie Ausdruck der physiologischen Reizbarkeit und Gereiztheit des weiblichen Nervensystems, auch sie im Hinblick auf die Fort- pflanzungspflichten der Frau normal und erwünscht, an sich aber ein Zustand des Leidens. «Die Menstruation ist ein Zustand, darin auch das normale Weib ... an der Grenze ist zwischen Gesund- und Kranksein», schreibt Erwin Stransky noch 1927, «gleichwohl gehört die Menstruation ... zur Norm ... Weib und Hysterie, das ist eben überhaupt eine nahe Wahlverwandtschaft ...» 1 3 . Viele Frauen des 19. und des früheren 20. Jahrhunderts scheinen ihre Menstruation auch entsprechend erlebt zu haben - um den Gewinn, dass die Ge- sellschaft, repräsentiert in ihren Ärzten, ihren Leidenszustand ihrer- seits anerkannte und respektierte. Die Molimina menstrualia neh- men in der Soziologie der Frau des 19. Jahrhunderts eine recht wichtige Stellung ein, es scheint ihnen damals einige Ausdrucks-, Kanalisierungs- und Ventilfunktion zugekommen zu sein, die ih- nen unterdessen abhanden gekommen ist. «Reizbare Schwäche», Nervosität bis hin zur Hysterie, Kopfweh, Erbrechen, Verstop- fung, Herpeseruptionen und andere Ausschläge, Veränderungen 7
der Sehschärfe, Schwellungen der Nasenschleimhaut 1 4 - Wilhelm Fliess (18 8-1928) prägte den Begriff der «nasalen Dysmenorrhoe», womit die Menstruation als Schnupfen dasteht 1 - wurden zu Pa- rallelerscheinungen der Menstruation und zeigten an, dass auch diese Zeichen eines der Krankheit nahen Grundzustandes sei. Kurz, schreibt 1902 Max Runge (1849-1909), der das ganze teils als Stö- rung vasomotorischer Natur, teils als Reflexneurose deutet, «die Menstruierende ist ,unwohl‘ das heisst, jedes ... Weib geräth alle 4 Wochen in einen Zustand, welcher eine Abweichung von ihren normalen körperlichen und geistigen Functionen erkennen lässt» ... Und dann die Folgerung, die eigentlich Prämisse ist: «So liegt die geistige und körperliche Abhängigkeit des Weibes von der sexuel- len Sphäre klar zu Tage und wir verzeichnen damit einen durch- greifenden Unterschied gegenüber dem männlichen Geschlecht» 1 6 . 76 Holzstich aus «Bilder aus dem modernen Leben», 1890er Jahre.
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gebene Leiden dann auf ein Zusammentreffen einer übermässigen<br />
allgemeinen Reizbarkeit des Nervensystems mit speziellen, von be-<br />
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der Hysterie war es, sofern sie als Reflexneurose interpretiert<br />
wurde, die notorische Schwäche und Reizbarkeit des weiblichen<br />
Nervensystems, die zur Hysterie disponierte und irgendein vom<br />
Genitalsystem, namentlich den Ovarien, ausgehender spezieller<br />
Reiz, was die Attacken auslöste. Die Idee, die Hysterie der <strong>Frau</strong><br />
durch Ovarektomie zu behandeln, lag damit nahe 1 2 . Auch vom ge-<br />
sunden Ovar gingen hysterogene Reize aus. Wie ja auch das ge-<br />
sunde, d. h. das weibliche Nervensystem an sich zu Hysterie dispo-<br />
nierte, da es natürlicherweise zarter, schwächer und weniger robust<br />
gebaut war als das männliche - auch dies ein an sich unliebsamer,<br />
die <strong>Frau</strong> ständig gefährdender Umstand, der aber im Hinblick auf<br />
die Bestimmung der <strong>Frau</strong> als Gattin und Mutter wünschenswert<br />
und normal erschien.<br />
So besehen erscheint nun die Menstruation als ein der hysteri-<br />
schen Attacke analoger Zustand, als ein hysterisches Äquivalent,<br />
auch sie Ausdruck der physiologischen Reizbarkeit und Gereiztheit<br />
des weiblichen Nervensystems, auch sie im Hinblick auf die Fort-<br />
pflanzungspflichten der <strong>Frau</strong> normal und erwünscht, an sich aber<br />
ein Zustand des Leidens. «Die Menstruation ist ein Zustand, darin<br />
auch das normale Weib ... an der Grenze ist zwischen Gesund- und<br />
Kranksein», schreibt Erwin Stransky noch 1927, «gleichwohl gehört<br />
die Menstruation ... zur Norm ... Weib und Hysterie, das ist eben<br />
überhaupt eine nahe Wahlverwandtschaft ...» 1 3 . Viele <strong>Frau</strong>en des<br />
19. und des früheren 20. Jahrhunderts scheinen ihre Menstruation<br />
auch entsprechend erlebt zu haben - um den Gewinn, dass die Ge-<br />
sellschaft, repräsentiert in ihren Ärzten, ihren Leidenszustand ihrer-<br />
seits anerkannte und respektierte. Die Molimina menstrualia neh-<br />
men in der Soziologie der <strong>Frau</strong> des 19. Jahrhunderts eine recht<br />
wichtige Stellung ein, es scheint ihnen damals einige Ausdrucks-,<br />
Kanalisierungs- und Ventilfunktion zugekommen zu sein, die ih-<br />
nen unterdessen abhanden gekommen ist. «Reizbare Schwäche»,<br />
Nervosität bis hin zur Hysterie, Kopfweh, Erbrechen, Verstop-<br />
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