Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
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mit forensisch-medizinischen Argumenten. Der Kindermord spielt<br />
bei der Entwicklung dieser Milde eine kristallisationskernartige<br />
Rolle. Bevölkerungspolitische und humanitäre Überlegungen stüt-<br />
zen sie. Es wird argumentiert, die weiblichen Schwächen - phy-<br />
sisch wie psychisch - seien die Voraussetzung dafür, dass die <strong>Frau</strong><br />
ihre gesellschaftliche Rolle als Gattin und Mutter erfüllen könne,<br />
und wenn eine <strong>Frau</strong> infolge dieser Schwächen straffällig werde, sei<br />
das Urteil deshalb fairerweise zu mildern. Diesem Gedankengang<br />
lag ganz allgemein die aufklärerische Assoziation von Gesundheit,<br />
Kraft und Tugend beziehungsweise Bosheit als Ausdruck eines Lei-<br />
dens zugrunde. In diesem Zusammenhang begann nun auch die<br />
Menstruation forensisch neu zu interessieren. Bis dahin war sie in<br />
der Gerichtsmedizin höchstens als Entschuldigungsgrund im Bezug<br />
auf die eheliche Pflicht und allenfalls auf die Folter vorgekommen.<br />
Jetzt wurde sie als Leiden im Dienst von Familie und Vaterland zur<br />
Basis gewisser Privilegien.<br />
Bei dem Pionier der französischen Gerichtsmedizin und -psych-<br />
iatrie, Francois Emmanuel Fodéré (1764-183 ) figuriert sie im Jahr 7<br />
der Französischen Revolution erst als Hafterleichterungsgrund 117 . In<br />
der romantischen Frühzeit der deutschen Gerichtspsychiatrie aber<br />
tritt sie in Zusammenhang mit den Wurzeln gewisser Delikte und<br />
gewinnt damit die Züge einer naturalistischen Entschuldigung kri-<br />
mineller Taten.<br />
Zunächst allerdings ist es vor allem die pubertäre Umwälzung,<br />
die berücksichtigt wird. Das Einsetzen der Menstruation in der Pu-<br />
bertät ist nur eines der Zeichen dieser kritischen Zeit - ein anderes<br />
ist das Auftreten des Sexualtriebes. Die leisesten Störungen können<br />
in den Entwicklungsjahren zu den merkwürdigsten Triebentglei-<br />
sungen führen, namentlich kann eine gestörte Menstruation einen<br />
Trieb zum Brandstiften mit sich bringen. Dies beschäftigte die Au-<br />
toren - speziell die deutschsprachigen - des früheren 19. Jahrhun-<br />
derts stark. Tatsächlich scheint die Brandstiftung durch junge Mäd-<br />
chen in jener Zeit speziell in den deutschen Landen ein erhebliches<br />
soziales, juristisches und psychologisches Problem gewesen zu sein,<br />
um so mehr als die Brandstiftung damals zu den am härtesten ge-<br />
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