Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
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er dadurch unrein wird, und über die, welche am Monatsfluss lei-<br />
det ...» 83 . Dieser Text enthält neben der Beschreibung der Unrein-<br />
heit der Menstruierenden den deutlichen Hinweis auf die Unschä-<br />
rfe der Grenze zwischen normaler, regelmässiger Menstruation und<br />
einer genitalen Blutung, die man heute als Symptom einer Krank-<br />
heit auffassen würde. Ferner gibt er am Schluss die Analogie von<br />
Monatsblutung und Samenerguss, Analogie, in deren Licht die<br />
Menstruation deshalb als Sünde erscheint, weil sie in den Dienst<br />
der Fortpflanzung gestelltes Material nutzlos verschüttet.<br />
Wie aber ein Symptom Zeichen einer <strong>Krankheit</strong> und zugleich<br />
Ausdruck einer Selbstheilungstendenz sein kann, kann das Sünden-<br />
mal auch zugleich Strafe und damit einen Schritt in Richtung der<br />
Versöhnung bedeuten.<br />
Unter den Schriften der Hildegard von Bingen (1098-1179), einer<br />
Äbtissin, die mit sehr vielen massgebenden Persönlichkeiten ihrer<br />
Zeit brieflich und persönlich verkehrte, hochangesehen, einfluss-<br />
reich und repräsentativ für ihre Zeit - unter den Schriften dieser<br />
<strong>Frau</strong> also befindet sich auch eine medizinische: «causae et curae».<br />
Diese belegt uns das Verfliessen von Sündenmal, physischem Makel<br />
und reinigender Strafe im Begriff der Menstruation in recht typi-<br />
scher Weise. «Als der Fluss der Begierde in Eva eingezogen war»,<br />
heisst es da, «wurden alle ihre Gefässe dem Blutstrom geöffnet. Da-<br />
her erlebt jede <strong>Frau</strong> bei sich stürmische Vorgänge im Blute, so dass<br />
sie, ähnlich dem Ansichhalten und Ausfliessen des Mondes, die<br />
Tropfen ihres Blutes bei sich behält und vergiesst ... Denn wie der<br />
Mond zu- und abnimmt, werden beim Weibe Blut und Säfte wäh-<br />
rend der Zeit des Monatsflusses gereinigt. Andernfalls würde es<br />
nicht am Leben bleiben können, weil es reicher an Flüssigkeit ist<br />
wie der Mann, und in schwere <strong>Krankheit</strong> verfallen ... Alle Gefässe<br />
des Weibes würden unversehrt und gesund geblieben sein, wenn<br />
Eva allezeit im Paradiese verblieben wäre.» Der Straf- und Sühne-<br />
charakter der Menstruation äussert sich auch darin, dass nach<br />
Hildegard «in dieser Zeit das Haupt des Weibes krank, seine Augen<br />
matt und sein ganzer Leib schwach» wird 84 . Die religiöse These<br />
vom Ursprung der Periode aus Evas Sünde, kommentiert Paul<br />
Diepgen, war keineswegs eine Privatmeinung der heiligen Hilde-<br />
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