Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
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Bei Aristoteles wird das Menstrualblut klar zum eigentlichen und<br />
einzigen Beitrag der <strong>Frau</strong> zur Herstellung eines Kindes - es wird<br />
zum Analog des männlichen Samens. Allerdings zum etwas min-<br />
deren Analog. Während der männliche Same Träger des in seinem<br />
Wesen immateriellen, dynamischen, geistigen Prinzips der Form<br />
ist, des eigentlichen schöpferischen Zeugungsprinzips (vgl. S. 116),<br />
liefert die <strong>Frau</strong> in ihrem Menstrualblut lediglich die rohe Materie,<br />
aus der das Kind gebildet wird 74 . Zweifellos wurzelt dieses Konzept<br />
zum Teil in ackerbauerischen Erfahrungen. Wie die Frucht des Fel-<br />
des fraglos dem Bauern und nicht dem Acker gehört und wie er<br />
bestimmt, was da wachsen soll, gehört das Kind dem Vater - der<br />
Vater bestimmt Namen, Art und Aussehen des Kinds. So ist das<br />
Kind nach Aristoteles im Prinzip eine einfache Replika des Vaters:<br />
ein Knabe, der genau so aussieht wie er. Wenn das Kind nicht dem<br />
Vater gleicht oder gar ein Mädchen ist, ist das die missgeburtsartige<br />
Folge einer Abbremsung des väterlich-schöpferischen Impulses<br />
durch die rohe, kalte Materie des Menstrualblutes 7 . Denn die Qua-<br />
lität «kalt» kommt diesem auch bei Aristoteles zu. Dass das Men-<br />
strualblut rot ist und nicht hell wie der männliche Same, hängt<br />
nach ihm wiederum mit der weiblichen Konstitution zusammen.<br />
Die <strong>Frau</strong> ist «kälter» als der Mann. «Kälte» bedeutet dabei nicht<br />
eine mit dem Thermometer gemessene, nicht eine messbare Tem-<br />
peratur, sondern eine Grösse abstrakt-philosophischer Natur, zu-<br />
nächst einmal das Gegenteil von Wärme. Wärme aber war mit<br />
Feuer, Kraft, Leben und einem hohen Wertbegriff assoziiert 76 .<br />
Wärme hatte ihren Hauptsitz und Ausgangspunkt im Herzen, das<br />
nach Aristoteles das erste und wichtigste Organ des ganzen Körpers<br />
und Sitz der übergeordneten Seele war 77 . Wärme war die wichtig-<br />
ste Antriebskraft des physiologischen Funktionierens - dem ent-<br />
spricht der Umstand, dass die Antike physiologische Vorgänge mit<br />
Vorliebe nach dem Modell des Kochens deutete, was wieder im<br />
Zusammenhang damit steht, dass der Verdauungsapparat die ei-<br />
gentliche Achse der Physiologie war, ähnlich wie mit dem späten<br />
18. und 19. Jahrhundert das Zentralnervensystem zum «Rückgrat»<br />
der Physiologie und übergeordneten Organsystem wurde. Jede<br />
Zeit tendiert dazu, die Lebensvorgänge entsprechend ihrer Techno-<br />
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