Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
sene eher als arme Opfer des Bösen galten. Im Einzelfall allerdings konnte es eine Frage haarfeiner Einzelheiten, sogar des Zufalls sein, ob man das eine oder das andere annahm - in der Alternative «kri- minell oder geisteskrank» mag die alte Problematik nachklingen. Der Dämonenglaube hatte weittragende Folgen: die Hexenaus- rottung des 16. und 17. Jahrhunderts hat bezüglich der Zahl von Exorzismus. 37
Todesopfern Ausmasse angenommen, die nur denjenigen der Ju- denverfolgungen unseres Jahrhunderts vergleichbar sind 4 . Es waren bekanntlich zuerst Ärzte, die gegen den Dämonenglau- ben aufzutreten wagten. Der Berühmteste unter diesen war wohl Johan Wier (1 1 -1 88). Wier riet, Besessene von ihrer Melancholie zu purgieren, bevor man sie geistlich behandle und zuzusehen, dass man nicht alte melancholische Weiblein als Hexen verkenne 46 . Em- pört über Wier und seinesgleichen veröffentlichte hierauf König James VI von Schottland (der spätere James I von England, 1 66- 162 ) 1 97 eine «Dämonologie», eine neue Rechtfertigung des Dä- monenglaubens 47 . Auf diese «Dämonologie» nun erschien als Ant- wort ein Werk, das uns hier interessiert, Edward Jordens (1 69-1632) Abhandlung über die Hysterie. Es ist das erste englische Buch über dieses Thema. Jorden war Experte in Hexensachen und auch von James VI oft konsultiert worden. Der unmittelbare Anlass zum Verfassen seines Buches war ihm ein Hexenprozess, in dem sein ärztlicher Rettungsversuch der Angeklagten vergeblich geblieben war. Jorden leugnet so wenig wie Wier, dass es Besessenheit und He- xerei gebe. Doch sei solches heutzutage sehr selten, schreibt er, und man müsse um Gottes Willen vorsichtig sein, bevor man eine Be- sessenheit annehme. Denn alle Symptome dämonischer Einwirkun- gen seien auch für die Hysterie typisch. Die Hysterie aber sei kein Teufelswerk, sondern eine Krankheit des Uterus. Die Hysterie äus- sere sich in den sonderbarsten Zeichen, welche nur der sehr geübte Arzt überhaupt als solche erkenne. Jorden deutet an, dass es seinen weniger geschulten Kollegen passieren könnte, dass sie mangels ge- nauer Kenntnis der Hysterie hysterische Zeichen als dämonisch be- dingt verkennten. So hätten gewisse Zeitgenossen des Hippokrates alles, was sie nicht gekannt oder zu behandeln gewusst hätten, auf übernatürliche Ursachen zurückgeführt, ihre tatsächliche Ignoranz mit Wissen um Übernatürliches bemäntelnd 48 . Bei Jorden findet sich also sehr deutlich die ent-schuldigende Funktion der Diagnose: die Diagnose Hysterie vermag Wirkungen des Bösen in Krankheitssymptome zu verwandeln, hexische Bos- heit durch körperliche, dem Einfluss des Willens entzogene Krank- 38
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Todesopfern Ausmasse angenommen, die nur denjenigen der Ju-<br />
denverfolgungen unseres Jahrhunderts vergleichbar sind 4 .<br />
Es waren bekanntlich zuerst Ärzte, die gegen den Dämonenglau-<br />
ben aufzutreten wagten. Der Berühmteste unter diesen war wohl<br />
Johan Wier (1 1 -1 88). Wier riet, Besessene von ihrer Melancholie<br />
zu purgieren, bevor man sie geistlich behandle und zuzusehen, dass<br />
man nicht alte melancholische Weiblein als Hexen verkenne 46 . Em-<br />
pört über Wier und seinesgleichen veröffentlichte hierauf König<br />
James VI von Schottland (der spätere James I von England, 1 66-<br />
162 ) 1 97 eine «Dämonologie», eine neue Rechtfertigung des Dä-<br />
monenglaubens 47 . Auf diese «Dämonologie» nun erschien als Ant-<br />
wort ein Werk, das uns hier interessiert, Edward Jordens (1 69-1632)<br />
Abhandlung über die Hysterie. Es ist das erste englische Buch über<br />
dieses Thema. Jorden war Experte in Hexensachen und auch von<br />
James VI oft konsultiert worden. Der unmittelbare Anlass zum<br />
Verfassen seines Buches war ihm ein Hexenprozess, in dem sein<br />
ärztlicher Rettungsversuch der Angeklagten vergeblich geblieben<br />
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Jorden leugnet so wenig wie Wier, dass es Besessenheit und He-<br />
xerei gebe. Doch sei solches heutzutage sehr selten, schreibt er, und<br />
man müsse um Gottes Willen vorsichtig sein, bevor man eine Be-<br />
sessenheit annehme. Denn alle Symptome dämonischer Einwirkun-<br />
gen seien auch für die Hysterie typisch. Die Hysterie aber sei kein<br />
Teufelswerk, sondern eine <strong>Krankheit</strong> des Uterus. Die Hysterie äus-<br />
sere sich in den sonderbarsten Zeichen, welche nur der sehr geübte<br />
Arzt überhaupt als solche erkenne. Jorden deutet an, dass es seinen<br />
weniger geschulten Kollegen passieren könnte, dass sie mangels ge-<br />
nauer Kenntnis der Hysterie hysterische Zeichen als dämonisch be-<br />
dingt verkennten. So hätten gewisse Zeitgenossen des Hippokrates<br />
alles, was sie nicht gekannt oder zu behandeln gewusst hätten, auf<br />
übernatürliche Ursachen zurückgeführt, ihre tatsächliche Ignoranz<br />
mit Wissen um Übernatürliches bemäntelnd 48 .<br />
Bei Jorden findet sich also sehr deutlich die ent-schuldigende<br />
Funktion der Diagnose: die Diagnose Hysterie vermag Wirkungen<br />
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