Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger

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21.07.2013 Aufrufe

Hat diese beschimpfend-entschuldigende soziologische Doppel- funktion der Diagnose Hysterie ihre historischen Hintergründe und Verdeutlichungen? Die Hysterie ist ursprünglich eine ausschliesslich bei Frauen vor- kommende Krankheit - ausschliesslich bei Frauen, weil sie eine Krankheit der weiblichen Geschlechtsorgane war. Das griechische ὑστἑρα wird mit «Gebärmutter» übersetzt. Eines der ersten griechischen Dokumente, das man auf die Hy- sterie bezogen hat, ist ein sogenannter Brief des Demokrit an Hippo- krates («Über die Natur des Menschen» 37 ). In diesem Briefe steht, der Uterus sei «die Ursache von 1000 Übeln». Thomas Sydenham (1624-1689) zitiert diesen Brief in seiner berühmten Abhandlung über die Hysterie; er versteht Demokrits Äusserung als ein Äus- serung über die Hysterie, welche eben so verschiedene Formen an- nehmen könne 38 . Der Terminus «Hysterie» kommt zuerst im Hip- pokratischen Aphorismus , 3 vor - wobei man über seine genaue Bedeutung im Zweifel bleiben kann. Häufiger findet man das Wort in der griechischen Literatur in seiner adjektivischen Form 39 . Gegen die Mitte des 4. Jahrhunderts vor Christus schafft der ein- flussreiche Plato (427-348/47 v. Chr.) in seinem «Timaios» eine Hysterie-Theorie. Nachdem er da die «Entstehung des Weltalls bis zu der des Menschen», womit die Männer gemeint sind, dargestellt hat, merkt er nämlich folgendes noch an: «Von den Männern, die entstanden waren, wurden ... diejenigen, die furchtsam waren und ihr Leben unrichtig verbrachten, bei der zweiten Entstehung in Weiber umgestaltet.» Plato, der für Frauen ohnehin wenig übrig hatte - sie wohl be- stenfalls platonisch liebte -, zählte diese gar nicht zu den Menschen. «Unsere Zusammensetzer wussten», schreibt er, «dass aus Männern einmal Weiber und die sonstigen Tiere entstehen würden.» Nicht jeder Mann, der nicht recht gelebt hat, musste jedoch gleich zur Frau werden. Aus Männern, die nicht gerade schlecht, nur leicht- sinnig ihr Leben verbracht hatten, entwickelten sich die Vögel, die anstatt Haaren Federn erhielten. Es gab aber auch schwerere Stra- fen als die Verwandlung in eine Frau. Aus den allerunvernünftig- 33

sten Männern wurden bei der nächsten Entstehung Fische und Mu- scheln. Die strafweise Umgestaltung des Mannes zur Frau durch Platos Götter geschieht dadurch, dass der Organismus mit weiblichen Ge- schlechtsteilen versehen wird: «... sie sind ein Lebewesen mit der innewohnenden Begierde nach Gebären eines Kindes», schreibt Plato über diese Teile. - «Wenn nun in der Blüte ihres Lebens lange Zeit vergeht ohne dass sie eine Frucht bringen, so führt dies zu einem Zustand schwer zu ertragender Unzufriedenheit, er zieht überall im ganzen Körper umher [der Uterus], versperrt die Durchgänge der Luft und lässt keine Luft aufnehmen. Dieser Zu- stand führt die Weiber in die äusserste Auswegslosigkeit und berei- tet ihnen mannigfache andere Krankheiten ...» 40 Platos Hysterie ist also eigentlich eine veterinärmedizinische Pa- rasitenerkrankung. Plato kennt aber keine hysterische Krankheits- einheit. Die Gebärmutter ist bei ihm Ursache mannigfaltiger Krankheiten, Ursache von Zuständen, die andere hysterisch nen- nen, selbst aber nicht Krankheitsfokus, sondern Strafe der Götter. Die ent-schuldigende Funktion der Diagnose entfällt also bei Plato. Antike Ärzte, welche das Frau-Sein weniger als Strafe denn als Schicksal, die Gebärmutter weniger als Schandmal denn als anato- mische Gegebenheit betrachten, sprechen eher von der hysterischen «Krankheit». Der Uterus im Weibe verhält sich «wie ein Wesen im Wesen» schreibt Aretaeus der Kappadocier (ca. 0 n. Chr.). «Wenn er nun plötzlich in die Höhe steigt, hier eine längere Zeit verweilt und die Eingeweide mit Gewalt verdrängt, so bekommen die Frauen Erstickungs-Anfälle, wie bei der Epilepsie ... Aber auch die Carotiden werden ... zusammengedrückt, worin wiederum die Schwere im Kopf, die Gefühllosigkeit und die Schlafsucht ihren Grund hat» 41 . Im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Dämonenglauben finden sich manche Mängel, die die antike Frau zu hysterischen Leiden disponierten, als Prädisposition zum hexischen Pakt mit dem Bösen wieder. Die Hexenlehre mutet in manchem wie eine 34

Hat diese beschimpfend-entschuldigende soziologische Doppel-<br />

funktion der Diagnose Hysterie ihre historischen Hintergründe<br />

und Verdeutlichungen?<br />

Die Hysterie ist ursprünglich eine ausschliesslich bei <strong>Frau</strong>en vor-<br />

kommende <strong>Krankheit</strong> - ausschliesslich bei <strong>Frau</strong>en, weil sie eine<br />

<strong>Krankheit</strong> der weiblichen Geschlechtsorgane war. Das griechische<br />

ὑστἑρα wird mit «Gebärmutter» übersetzt.<br />

Eines der ersten griechischen Dokumente, das man auf die Hy-<br />

sterie bezogen hat, ist ein sogenannter Brief des Demokrit an Hippo-<br />

krates («Über die Natur des Menschen» 37 ). In diesem Briefe steht,<br />

der Uterus sei «die Ursache von 1000 Übeln». Thomas Sydenham<br />

(1624-1689) zitiert diesen Brief in seiner berühmten Abhandlung<br />

über die Hysterie; er versteht Demokrits Äusserung als ein Äus-<br />

serung über die Hysterie, welche eben so verschiedene Formen an-<br />

nehmen könne 38 . Der Terminus «Hysterie» kommt zuerst im Hip-<br />

pokratischen Aphorismus , 3 vor - wobei man über seine genaue<br />

Bedeutung im Zweifel bleiben kann. Häufiger findet man das<br />

Wort in der griechischen Literatur in seiner adjektivischen Form 39 .<br />

Gegen die Mitte des 4. Jahrhunderts vor Christus schafft der ein-<br />

flussreiche Plato (427-348/47 v. Chr.) in seinem «Timaios» eine<br />

Hysterie-Theorie. Nachdem er da die «Entstehung des Weltalls bis<br />

zu der des Menschen», womit die Männer gemeint sind, dargestellt<br />

hat, merkt er nämlich folgendes noch an: «Von den Männern, die<br />

entstanden waren, wurden ... diejenigen, die furchtsam waren und<br />

ihr Leben unrichtig verbrachten, bei der zweiten Entstehung in<br />

Weiber umgestaltet.»<br />

Plato, der für <strong>Frau</strong>en ohnehin wenig übrig hatte - sie wohl be-<br />

stenfalls platonisch liebte -, zählte diese gar nicht zu den Menschen.<br />

«Unsere Zusammensetzer wussten», schreibt er, «dass aus Männern<br />

einmal Weiber und die sonstigen Tiere entstehen würden.» Nicht<br />

jeder Mann, der nicht recht gelebt hat, musste jedoch gleich zur<br />

<strong>Frau</strong> werden. Aus Männern, die nicht gerade schlecht, nur leicht-<br />

sinnig ihr Leben verbracht hatten, entwickelten sich die Vögel, die<br />

anstatt Haaren Federn erhielten. Es gab aber auch schwerere Stra-<br />

fen als die Verwandlung in eine <strong>Frau</strong>. Aus den allerunvernünftig-<br />

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