Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger

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21.07.2013 Aufrufe

trachtet wird, dem sein Geschlecht attributartig zugegeben ist), als vielmehr mit ihrer hormonellen Balance. Doch haben gerade die endokrinologischen Forschungen auch die moderne Antikonzep- tion gebracht, welche geeignet ist, die enge Assoziation von Frau und weiblichen Geschlechtsorganen zu lockern, indem sie die weibliche Sexualität von der Fortpflanzung loslöst. Die Geschichte der Antikonzeption beginnt, wie die des Aborts mit der Medizingeschichte überhaupt (die Ägypter verwendeten Krokodilsmist als Antikonzeptivum), medizingeschichtlich bedeut- sam ist sie aber eigentlich erst im 19. Jahrhundert geworden, wo die Frauen definitiv und offiziell in medizinische Hände kamen, Réca- mier die Curette und der amerikanische Berufserfinder Charles Good- year die Vulkanisierung des Gummis erfand. Die Kämpfe des 19. Jahrhunderts um die Antikonzeption gleichen in vielem den modernen Diskussionen um die Schwangerschaftsunterbrechung. Die Betrachtung der Fortpflanzung als zur Normalität der Frau ge- hörig (wobei das Konzeptionsoptimum z. Z. der Menstruation an- genommen und die Menstruation vielfach als abortähnliches Ge- schehen betrachtet wurde [vgl. S. 68-72]) und Ängste um traditio- nelle Werte und Ordnungs- bzw. Machtstrukturen standen da auf der einen Seite. Auf der anderen Seite bestand die im Sinn der Frauenemanzipation liegende Tendenz, das Fortpflanzungsgeschäft auch für die Frau freiwillig zu erklären. Bevölkerungspolitische Argumente wurden von beiden Seiten ins Feld geführt, ethische selbstverständlich auch (vgl. S. 71-72). Eine leicht und für jede Frau erreichbare, wirksame Antikonzeption gibt es aber im Grunde erst seit kurzer Zeit. Die Verlegung des Konzeptionsoptimums vom traditionellen Zeitpunkt um die Menstruation auf das Inter- menstruum durch D. Ogino und Hermann Knaus (1892-1970) datiert aus den 1930er Jahren, die Entwicklung der antikonzeptionellen Pillen und der modernen IUDs aus den 60er Jahren 3 . Die sicher enorme Bedeutung dieser Entwicklungen für die Geschichte der Frau und damit auch der Geburtshilfe und Gynäkologie ist noch nicht abzusehen. 31

32 HYSTERIE UND MISOGYNIE - EIN ASPEKT DER HYSTERIEGESCHICHTE (1969) Hysterie - ein psychisches Leiden, das typischerweise beim weibli- chen Geschlecht beobachtet wird; Misogynie - die Abneigung gegen das weibliche Geschlecht; un- sere Frage ist: gibt es, historisch gesehen, einen Zusammenhang zwischen den beiden? Im heutigen Gebrauch des Wortes Hysterie schwingt nicht selten ein unfreundlicher Ton mit. Mit der Diagnose Hysterie scheint oft weniger ein Patient als das Verhältnis des Arztes zum Patienten be- zeichnet, und zwar kein gutes. Wenn es sich um weibliche Pa- tienten handelt, wird oft kaum von Patienten, sondern von Wei- bern oder Frauenzimmern gesprochen. Wenn es sich um männliche handelt, werden sie oft in für die Frauen wenig schmeichelhafter Art mit diesen verglichen. Ganz ähnlich hat Ackerknecht aus der psychopathologischen Etikettierung der sogenannten Primitiven (z. B. des Medizinmanns) einen abschätzenden Unterton herausge- hört. Nun ist aber die Diagnose Hysterie doch nicht nur ein Schimpf- name. Sie entschuldigt ja auch in gewissem Sinne. Viele soge- nannte weibliche Tücken gehen unter der Diagnose Hysterie straflos hin. Durch die psychiatrische Diagnose wird ja die Verant- wortlichkeit für ein bestimmtes, meist unbeliebtes Verhalten eines Individuums von diesem weg auf eine Krankheit verlegt - damit entgeht der Unbeliebte dann der sonst verdienten Strafe. Er ist mit seiner Krankheit hinreichend bestraft. Ackerknecht spricht von psy- chopathologischer Etikettierung als Ausdruck erhöhter mitmensch- licher Toleranz, ja Über-Toleranz 36 . So gleicht die Diagnose Hysterie, da sie als für das weibliche Ge- schlecht so typisch angesehen wird, zwar einerseits einer misogy- nen Beleidigung dieses Geschlechts, andrerseits aber wirkt sie als ärztlicher Schutz gegen eine tätige Misogynie.

trachtet wird, dem sein Geschlecht attributartig zugegeben ist), als<br />

vielmehr mit ihrer hormonellen Balance. Doch haben gerade die<br />

endokrinologischen Forschungen auch die moderne Antikonzep-<br />

tion gebracht, welche geeignet ist, die enge Assoziation von <strong>Frau</strong><br />

und weiblichen Geschlechtsorganen zu lockern, indem sie die<br />

weibliche Sexualität von der Fortpflanzung loslöst.<br />

Die Geschichte der Antikonzeption beginnt, wie die des Aborts<br />

mit der Medizingeschichte überhaupt (die Ägypter verwendeten<br />

Krokodilsmist als Antikonzeptivum), medizingeschichtlich bedeut-<br />

sam ist sie aber eigentlich erst im 19. Jahrhundert geworden, wo die<br />

<strong>Frau</strong>en definitiv und offiziell in medizinische Hände kamen, Réca-<br />

mier die Curette und der amerikanische Berufserfinder Charles Good-<br />

year die Vulkanisierung des Gummis erfand. Die Kämpfe des<br />

19. Jahrhunderts um die Antikonzeption gleichen in vielem den<br />

modernen Diskussionen um die Schwangerschaftsunterbrechung.<br />

Die Betrachtung der Fortpflanzung als zur Normalität der <strong>Frau</strong> ge-<br />

hörig (wobei das Konzeptionsoptimum z. Z. der Menstruation an-<br />

genommen und die Menstruation vielfach als abortähnliches Ge-<br />

schehen betrachtet wurde [vgl. S. 68-72]) und Ängste um traditio-<br />

nelle Werte und Ordnungs- bzw. Machtstrukturen standen da auf<br />

der einen Seite. Auf der anderen Seite bestand die im Sinn der<br />

<strong>Frau</strong>enemanzipation liegende Tendenz, das Fortpflanzungsgeschäft<br />

auch für die <strong>Frau</strong> freiwillig zu erklären. Bevölkerungspolitische<br />

Argumente wurden von beiden Seiten ins Feld geführt, ethische<br />

selbstverständlich auch (vgl. S. 71-72). Eine leicht und für jede<br />

<strong>Frau</strong> erreichbare, wirksame Antikonzeption gibt es aber im Grunde<br />

erst seit kurzer Zeit. Die Verlegung des Konzeptionsoptimums<br />

vom traditionellen Zeitpunkt um die Menstruation auf das Inter-<br />

menstruum durch D. Ogino und Hermann Knaus (1892-1970) datiert<br />

aus den 1930er Jahren, die Entwicklung der antikonzeptionellen<br />

Pillen und der modernen IUDs aus den 60er Jahren 3 . Die sicher<br />

enorme Bedeutung dieser Entwicklungen für die Geschichte der<br />

<strong>Frau</strong> und damit auch der Geburtshilfe und Gynäkologie ist noch<br />

nicht abzusehen.<br />

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