Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger

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21.07.2013 Aufrufe

S. 29, übrigens die ersten erfolgreichen intra-abdo- minellen Eingriffe, noch vor der Aera der Asepsis und Anaesthesie) waren nicht die einzigen Gründe für die Entstehung der Spezialität Gynäkologie im 19. Jahrhundert. Ganz allgemein lag dieser viel eher das Aufkommen des organizistischen und speziali- stisch-technischen Denkens jener Zeit zugrunde 27 . Dieses dürfte auch das Interesse für das Ovar stimu- liert haben. Es hat aber auch den Uterus zum Objekt eines neuen, organizistischen Interesses und zum Ziel neuer diagnostischer Manipulationen und Instru- mente gemacht, was das Entstehen des Spezialfachs Gynäkologie seinerseits gefördert hat. Besonders die Einführung der Uterussonde - das «unschätzbarste aller diagnostischen Mittel» nennt es ein sehr verbrei- tetes Lehrbuch der zweiten Jahrhunderthälfte - und die Einführung des Speculums als routinemässiges Untersuchungsinstrument durch den Internisten Jo- seph-Claude-Anthelme Récamier (1774-18 6) sind hier wichtig. Das Speculum war zwar längst bekannt ge- wesen, aber erst mit Récamier assoziierte sich mit die- sem Instrument der prinzipielle Anspruch des Arztes, die Organe des lebenden Körpers seinen Sinnen dia- gnostisch zu erschliessen 28 . Dieser Anspruch ist ja für den Mediziner des 19. Jahrhunderts, des Jahrhun- derts der physikalischen Diagnostik, ausserordentlich typisch. Er liegt auch an der Wurzel der Erfindung des Stethoskops durch Théophile-Hyacinthe Laënnec (1781-1826), welches damals zum eigentlichen Kenn- zeichen des Arztes wurde (übrigens war Récamier Laënnecs Nachfolger als Professor am Collège de France). Von der Uterussonde, die vielfach ebenfalls routinemässig benützt wurde, kann ähnliches gesagt Uterussonde. Der Autor schreibt dazu, dass «einzelne Gynäkologen sie fast ausnahmslos bei jeder Kranken anwenden» (1874). 27

werden. Mit Hilfe dieses septischen Zauberstabs mag sich ausser- dem mancher gynäkologische Spezialist ungewollt, wenn auch nicht unerwünscht, ein reiches, an den verschiedensten speziellen Entzündungen der Genitalorgane krankendes Patientengut herbei- geschafft haben. Die bimanuelle Palpation, die sogenannte «com- binierte Untersuchung» hat die Uterussonde dann aber in den Hin- tergrund gedrängt. Der grosse Aufschwung der Gynäkologie und der Geburtshilfe aber knüpft sich an die Einführung von Anaesthesie und Antisepsis, an deren Entwicklung sie selbst historisch übrigens nicht unwesent- lich mitbeteiligt sind. Auch hier zeigt sich wieder die Beziehung zwischen Gynäkologie-Geburtshilfe und Chirurgie. Schon in den Jahren 1847-1849 hat der in Wien arbeitende Un- gar Ignaz Philipp Semmelweis (1818-186 ) zeigen können, dass dem Kindbettfieber, welches an seiner Klinik rund 10% der Wöchnerin- nen hinraffte, durch Chlorwaschungen der untersuchenden Hände der vom Sezieren kommenden Studenten vorgebeugt werden konnte. Als Ursache des Kindbettfiebers hat er, seinen Erfahrungen entsprechend, einen «zersetzten tierisch-organischen Stoff» betrach- tet, wobei er zwar die Bazillen übersehen, aber doch eine rationale Antisepsis begründet hat. Vor ihm waren psychische Momente (Angst, verletztes Schamgefühl, schreckenerregender Eindruck des Sterbeglöckchens), spezielle Auswahl des Patientengutes, grobe Untersuchungsweise der Studenten, schlechte Ventilation, Diätfeh- ler usw. für das Kindbettfieber verantwortlich gemacht worden, und entsprechend hatte keine wirksame Prophylaxe gefunden wer- den können. So schreibt Semmelweis 1861 in seiner klassischen Schrift «Aetiologie, Begriff und Prophylaxis des Kindbettfiebers» 29 . Dass er seine Erkenntnisse so spät erst publizierte, hat seinen Grund offenbar darin, dass er schreibfaul und kompliziert war, aber auch darin, dass er damit auf Widerstände stiess. Die Koryphäen der Wiener Schule, Skoda und Rokitansky, förderten Semmelweis zwar entschieden 30 . Aber für den dortigen Professor der Geburtshilfe, Johann Klein (1788-18 6) hätte die Anerkennung von Semmelweis’ Ideen eine Selbstkritik bedeutet, die nur seltene Menschen zu lei- sten imstande sind. 28

werden. Mit Hilfe dieses septischen Zauberstabs mag sich ausser-<br />

dem mancher gynäkologische Spezialist ungewollt, wenn auch<br />

nicht unerwünscht, ein reiches, an den verschiedensten speziellen<br />

Entzündungen der Genitalorgane krankendes Patientengut herbei-<br />

geschafft haben. Die bimanuelle Palpation, die sogenannte «com-<br />

binierte Untersuchung» hat die Uterussonde dann aber in den Hin-<br />

tergrund gedrängt.<br />

Der grosse Aufschwung der Gynäkologie und der Geburtshilfe<br />

aber knüpft sich an die Einführung von Anaesthesie und Antisepsis,<br />

an deren Entwicklung sie selbst historisch übrigens nicht unwesent-<br />

lich mitbeteiligt sind. Auch hier zeigt sich wieder die Beziehung<br />

zwischen Gynäkologie-Geburtshilfe und Chirurgie.<br />

Schon in den Jahren 1847-1849 hat der in Wien arbeitende Un-<br />

gar Ignaz Philipp Semmelweis (1818-186 ) zeigen können, dass dem<br />

Kindbettfieber, welches an seiner Klinik rund 10% der Wöchnerin-<br />

nen hinraffte, durch Chlorwaschungen der untersuchenden Hände<br />

der vom Sezieren kommenden Studenten vorgebeugt werden<br />

konnte. Als Ursache des Kindbettfiebers hat er, seinen Erfahrungen<br />

entsprechend, einen «zersetzten tierisch-organischen Stoff» betrach-<br />

tet, wobei er zwar die Bazillen übersehen, aber doch eine rationale<br />

Antisepsis begründet hat. Vor ihm waren psychische Momente<br />

(Angst, verletztes Schamgefühl, schreckenerregender Eindruck des<br />

Sterbeglöckchens), spezielle Auswahl des Patientengutes, grobe<br />

Untersuchungsweise der Studenten, schlechte Ventilation, Diätfeh-<br />

ler usw. für das Kindbettfieber verantwortlich gemacht worden,<br />

und entsprechend hatte keine wirksame Prophylaxe gefunden wer-<br />

den können. So schreibt Semmelweis 1861 in seiner klassischen<br />

Schrift «Aetiologie, Begriff und Prophylaxis des Kindbettfiebers» 29 .<br />

Dass er seine Erkenntnisse so spät erst publizierte, hat seinen Grund<br />

offenbar darin, dass er schreibfaul und kompliziert war, aber auch<br />

darin, dass er damit auf Widerstände stiess. Die Koryphäen der<br />

Wiener Schule, Skoda und Rokitansky, förderten Semmelweis zwar<br />

entschieden 30 . Aber für den dortigen Professor der Geburtshilfe,<br />

Johann Klein (1788-18 6) hätte die Anerkennung von Semmelweis’<br />

Ideen eine Selbstkritik bedeutet, die nur seltene Menschen zu lei-<br />

sten imstande sind.<br />

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