Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger

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21.07.2013 Aufrufe

unserer Klasse Hobeln und Schraubenversenken lernten. Die Liebe zum Lernen und Wissen hat am besten überlebt, unter meinen Interessen erschienen die intellektuellen am gesell- schaftsfähigsten und am wenigsten einer Abweichung verdäch- tig. Als meinen Eltern in meinem 13. Jahr endlich doch noch ein Stammhalter geboren wurde, war dadurch meine Position in der Familie empfindlich geschwächt. Da habe ich meine Vergeisti- gung vehement vorangetrieben und meine Abneigung gegen traditionell-weibliche Beschäftigungen verstärkt. Ich wollte wohl sicherstellen, dass man mich auch künftig akzeptiere wie bisher, zudem half mir abstrahierendes Denken, mich von meinem Gefühl der Entthronten zu distanzieren, ja mich über dieses hinauszuschwingen. Ich glaube, es war in jener Zeit, dass meine Intellektualität sinnenabgewandt und etwas überheblich wurde - sie sollte ja Schmerzen abwehren. Als sich später Fragen der Berufswahl und der beruflichen Identität stellten, habe ich mich natürlich viel mehr an meinem juristischen Vater, zwei Medizineronkeln und dem Vater meiner Primarschulfreundin, der Zoologieprofessor war, orientiert als an meiner Mutter, welche ihr Germanistikstudium abgebrochen hat, um Gattin, Mutter und Hausfrau zu werden. Wie weit ich fortgeführt habe, was sie angefangen hat, ist eine andere Frage. Auch durch Lektüre fühlte ich mich »Männern, die den Tod besiegten« und »Grossen Ärzten« damals näher als etwa Eve Curies »Madame Curie«, von der ich viele Jahre lang nur den Buchrücken kannte. Lange sollten kurzes Haar und lange Hosen (Möbius: »Langes Haar, kurzer Verstand«) meine Loyalität und meinen Wunsch bekunden, in der männlich-wissenschaftlichen Berufswelt mit- zuspielen. Und wirklich gefiel mir diese Welt auch: die Pflicht und Freiheit nachzudenken, die angebotenen Werkstätten und Werkzeuge, der konzentrierte und begrenzte, abstrahierende und dabei spielerische Umgang mit Fragen, die mich angingen und interes- sierten. So stieg ich schliesslich in eine akademische Karriere ein. Die Grenzen, welche akademischer Freiheit gesetzt sind, waren 149

so ungefähr meine eigenen, so dass sie mir eher Schutz als Enge bedeuteten. Wenn ich etwa an der Medizingeschichte der weibli- chen Minderwertigkeit arbeitete, war ich ganz froh um die vier Wände meines Büros und um die akademische Pflicht, von meiner eigenen Person abzusehen. Haben Männer die Schwäche und Verletzlichkeit, die sie an sich selbst nicht akzeptieren konnten, lange als »Krankheit Frau« auf das »Andere Ge- schlecht« projiziert und abgeschoben, so habe ich meine »Krankheit Frau« mindestens als Geschichts-Wissenschaftlerin ins Reich der Vergangenheit verbannt und ihre aktuellen Er- scheinungen methodisch zu Resten der Prähistorie verarbeitet. Ein Glück, dass die Universität die kaltfedrige, objektivierende Distanznahme honoriert; mit-leidender hätte ich es einfach nicht geschafft. Dass ich dabei eigene Schwäche und Empfindlichkeit auf traditionell-männliche Weise abgespalten und anästhesiert habe, war wohl der Preis, in der gegebenen Situation aber auch die Voraussetzung für meine Forschungen. Was aber zunächst geschützter Freiraum gewesen war, wurde mir allmählich eng und bedrohlich. Einmal von aussen - Sitzun- gen nahmen zu, das Sitzen wurde mir überhaupt zu viel, Mitgliedschaften nisteten sich ein, einige Repräsentationspflich- ten waren schlichtweg unvermeidlich, das Institut wuchs, ob- wohl ich es bewusst klein hielt. Ferner die widersprüchlichen Anforderungen - der doublebind des Systems -: kreativ und doch berechenbar, offen und doch innerhalb bestimmter Gren- zen und so weiter; und dann zusätzlich, falls mann Frau ist: die Erwartungsschere, welche verlangt, dass frau ihren Mann stehe und dabei doch »ganz-Frau-bleibe«. Zudem wollen und können Frauen im allgemeinen von den vom System offerierten Kom- pensationen für das, was ihnen zugemutet wird, weniger Ge- brauch machen als Männer. Mir ging es jedenfalls so. Das kritische Mehr an Zumutungen, was mir als Frau begegnete, und das Weniger an konventionellen Kompensationen haben bei mir den Leidensdruck auf einen Punkt bringen helfen, wo Änderun- gen möglich werden. Irgendwann wird die Angst, zum Opfer aller angebotenen Sicherheiten zu werden, grösser als die Angst, 150

unserer Klasse Hobeln und Schraubenversenken lernten. Die<br />

Liebe zum Lernen und Wissen hat am besten überlebt, unter<br />

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Stammhalter geboren wurde, war dadurch meine Position in der<br />

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traditionell-weibliche Beschäftigungen verstärkt. Ich wollte<br />

wohl sicherstellen, dass man mich auch künftig akzeptiere wie<br />

bisher, zudem half mir abstrahierendes Denken, mich von<br />

meinem Gefühl der Entthronten zu distanzieren, ja mich über<br />

dieses hinauszuschwingen. Ich glaube, es war in jener Zeit, dass<br />

meine Intellektualität sinnenabgewandt und etwas überheblich<br />

wurde - sie sollte ja Schmerzen abwehren.<br />

Als sich später Fragen der Berufswahl und der beruflichen<br />

Identität stellten, habe ich mich natürlich viel mehr an meinem<br />

juristischen Vater, zwei Medizineronkeln und dem Vater meiner<br />

Primarschulfreundin, der Zoologieprofessor war, orientiert als<br />

an meiner Mutter, welche ihr Germanistikstudium abgebrochen<br />

hat, um Gattin, Mutter und Hausfrau zu werden. Wie weit ich<br />

fortgeführt habe, was sie angefangen hat, ist eine andere Frage.<br />

Auch durch Lektüre fühlte ich mich »Männern, die den Tod<br />

besiegten« und »Grossen Ärzten« damals näher als etwa Eve<br />

Curies »Madame Curie«, von der ich viele Jahre lang nur den<br />

Buchrücken kannte.<br />

Lange sollten kurzes Haar und lange Hosen (Möbius: »Langes<br />

Haar, kurzer Verstand«) meine Loyalität und meinen Wunsch<br />

bekunden, in der männlich-wissenschaftlichen Berufswelt mit-<br />

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Und wirklich gefiel mir diese Welt auch: die Pflicht und Freiheit<br />

nachzudenken, die angebotenen Werkstätten und Werkzeuge,<br />

der konzentrierte und begrenzte, abstrahierende und dabei<br />

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