Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
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Schon mehr identifiziert habe ich mich mit dem männlich-<br />
wissenschaftlichen Stereotyp der Zerstreutheit. Von diesem habe<br />
ich oft und in den verschiedensten Lebenslagen Gebrauch ge-<br />
macht.<br />
Im Institut, wenn ich mal wieder die Pein hatte, meinen Mitar-<br />
beiterinnen irgendwelche Arbeit anzuhängen, die ich aber doch<br />
nicht selber machen wollte; in Gesellschaften, wenn mir zu eng<br />
wurde, und im Angesicht von Beamten zur Entschuldigung<br />
meiner allgemeinen Defizienz. Dieser Flor der Wissenschaftlich-<br />
keit fehlt mir denn auch heute sehr. Es beweist nun nicht mehr<br />
meine Gelehrtheit, wenn ich Milch überlaufen und Eingekauftes<br />
im Laden liegenlasse, allzu vieles vergesse und im Leben über-<br />
haupt versage, sondern nur meine weibliche Konzentrations-<br />
schwäche und fortschreitende Hausfrauenverblödung.<br />
Ich habe auch Eigenes traditionell männlich gestaltet und zwei-<br />
fellos wurde ich dadurch für den Aufstieg im Wissenschaftsbe-<br />
trieb geeignet.<br />
Als dritte Tochter meiner Eltern in Kriegszeiten geboren, hätte<br />
natürlich auch ich ein Junge sein sollen, und habe mich also<br />
bemüht, diesem Wunsche zu genügen. Zudem fand ich, indem<br />
ich mich weniger für Nähen, Frisuren und Stricken und mehr für<br />
Klettern, Handwerk, Schiessen und Wissen aller Art interessier-<br />
te, eine soziale Nische, die meine beiden Schwestern noch nicht<br />
mit grösserer Kompetenz besetzt hielten. Meine wissenschaftli-<br />
che Tätigkeit begann zuoberst auf unserem gestuften Kachel-<br />
ofen, wo sich eine stuhl-und-schreibtischartige Formation be-<br />
fand. Dort zeichnete ich, da ich noch nicht schreiben konnte,<br />
tagelang alles, was ich kannte, auf rund ausgeschnittene bunte<br />
Papierchen, um es als mein Universum in meinem Zimmer<br />
aufzustapeln. So wuchs ich eigentlich zufrieden auf. Mit den<br />
Jahren allerdings zeigte es sich auch an mir, dass ich als Mädchen<br />
doch die meisten von meinen Fertigkeiten und Interessen nicht<br />
weiter pflegen konnte. Das Schiessen verbot mir meine Mutter,<br />
sobald sie davon erfuhr, vom Leben auf den Bäumen wendete ich<br />
mich im späteren Gymnasium von selbst ab, als Schreinerin blieb<br />
ich Autodidaktin und musste stricken, während Buben aus<br />
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