Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
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schmissen, wenn es ihnen nicht mehr passe. Aber das ist mir nun<br />
ja wirklich kein Anliegen, dass auch die <strong>Frau</strong>en noch berechenbar<br />
werden. Es war nicht Gelegenheit, mit diesem Kollegen ausführ-<br />
licher zu reden. Er war zur Zeit dieses Gesprächs so sehr in einer<br />
neuen Stufe universitären bzw. wissenschaftspolitischen Auf-<br />
stiegs begriffen, dass mir eine Bildsequenz von Wilhelm Busch<br />
einfällt, wo ein Räuber nachts in eine Mühle eindringen wollte,<br />
ihn aber deren Mahlwerk so am Rockzipfel erwischte, dass er<br />
papierartig auf eine Walze aufgerollt wurde. Einem ausführli-<br />
chen Dialog stand vielleicht auch entgegen, dass mein Austritt aus<br />
der Universität ja doch meine akademische Gesprächswürdig-<br />
keit, meinen akademischen Anlagewert gewissermassen, herab-<br />
setzte. Tatsächlich trug meine Rückverwandlung in eine <strong>Frau</strong><br />
durch Rücktritt unverkennbare Züge einer Degradierung, ja<br />
eines Falles. Nachdem eine Zeitung im Rahmen einer Serie »Aus-<br />
und Umsteiger« einiges veröffentlicht hatte, was meinen Schritt<br />
etwas beleuchtete, hat mein Doktor- und Habilitationsvater<br />
mich schmerzlicherweise wissen lassen, dass er nicht mehr mit<br />
mir verkehren wolle. »Du hast die Schande öffentlich gemacht«,<br />
kommentierte eine Kennerin der Geschichte der Schwanger-<br />
schaft im 19. Jahrhundert.<br />
Ein Berufskollege hat auf jenen Artikel im Namen des »einfachen<br />
Bürgers« einen Leserbrief verfasst, der es deutlich macht, dass ich<br />
einen Rückschritt in die Weiblichkeit getan hatte. »Kann und<br />
darf denn ein Professor, eines blossen Unbehagens wegen, seine<br />
... wissenschaftlichen Vereine so mir nichts dir nichts im Stiche<br />
lassen? Gibt es an der Universität keine bindenden moralischen<br />
Pflichten . . .?« Und etwas später: »Ein fettes ›Ruhegehalt‹ wird<br />
der Ex-Professorin nach ihrer Fahnenflucht. . . kaum winken.«<br />
Als Akademiesoldat also wäre ich Mann, als Ex (da täuscht er<br />
sich übrigens, der Titel bleibt mir erhalten) macht er mich zum<br />
Weibe.<br />
Wie weit aber habe ich mich durch meinen Rücktritt auch für<br />
mein eigenes Gefühl von männlichen Stereotypen befreit? Wie<br />
weit habe ich selbst von der Männlichkeit meines Amts Ge-<br />
brauch gemacht, wie weit als etablierte Wissenschaftlerin meine<br />
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