Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger

Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger

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21.07.2013 Aufrufe

Geschlecht« etwas mit der männlichen Sexualität zu tun haben könnte. Er selbst hat diesen Weg noch kaum beschritten. »Das Mädchen erlebt«, schreibt er noch 1938 in seinem »Abriss der Psychoanalyse«, »nach vergeblichem Versuch, es dem Knaben gleichzutun, die Erkenntnis ihres Penismangels oder besser ihrer Klitorisminderwertigkeit mit dauernden Folgen für die Charak- terentwicklung.« So bleibt Freud angesichts der »Krankheit Frau« der objektive, mitleidig hilflose Helfer des 19. Jahrhun- derts, wiewohl er gewusst hat, dass das Rätsel der Sphinx nicht durch einen guten Diagnostiker, sondern durch Ödipus gelöst worden ist, der sich gerade im Zusammenhang mit dieser Lösung so tief in sein eigenes Schicksal verstrickt hat, dass er darob seinen klinischen Blick um seiner Introspektion willen verloren hat. Freud hat viele Rätsel gelöst, aber es lag ihm fern, die Krankheit weibliches Geschlecht, die »Clitorisminderwertigkeit« bzw. den »Penismangel« als ein Symptom männlicher Sexualkonflikte zu sehen. James Hillman spricht in ähnlichem Zusammenhang (»Essay on Pan«) von einer Psychopathologie, die sich der Cartesischen Täuschung hingebe, dass ihre Arbeit und ihre Psychologie nichts miteinander zu tun hätten. Mithilfe der Subjekt-Objekt-Trennung könnten sich die Forscher, so schreibt er, »schützen, durch ihre Untersuchungen etwas über sich selbst und nicht nur über ihren Wissensstoff zu erfahren«. Man könnte sagen, Weininger in Wien sei in dieser Hinsicht weiter gegangen als Freud. Weininger nennt die Frau, das Weib »eine Funktion von M«, »eine Funktion, die er setzen, die er aufheben kann«, »sein Dasein ist an den Phallus geknüpft«. »Als der Mann sexuell ward, da schuf er das Weib«, schreibt er auch. »Denn das Weib ist nur die Schuld und nur durch die Schuld des Mannes. [. . .] Was die Frau [. . .] durch ihr blosses Dasein, durch ihr ganzes Wesen, ewig unbewusst auswirkt, das ist nur ein Hang im Manne, sein zweiter, unausrottbarer, sein niederer Hang.« »Er ist die Objektivation der männlichen Sexualität, die verkörperte Geschlechtlichkeit, seine Fleisch gewordene Schuld.« Weininger schliesst sich der Bisexualitätstheorie seiner Zeit an, der Mensch ist für ihn wesentlich doppelgeschlechtlich, 119

»Mann« und »Weib« repräsentieren in diesem Sinne die abstrak- ten Prinzipien dieser Verbindung. Gewiss gehört dieses Konzept zum Hintergrund von Weiningers Idee, Weib sei eine Funktion des Mannes. Trotzdem ist dieser Satz nicht umkehrbar. Die Frau bleibt das Nicht-Ich, das zweite, das niedrige Prinzip, Schuld und Krankheit. »Das Weib [scheint] gleich unendlich wie der Mann«, schreibt er, »das Nichts [W] so ewig wie das Sein; aber diese Ewigkeit ist nur die Ewigkeit der Schuld« - »die Ewigkeit der Krankheit« hätte er als Arzt vielleicht gesagt. Denn wiewohl er über Sexualität spricht und einen sexuellen beziehungsweise weiblichen Anteil in sich selbst anerkennt, und wiewohl er realisiert, dass die Beziehung zwi- schen den Geschlechtern mit seiner inneren Situation zu tun hat, behält er doch die alte Assoziation von hohem Wert, Verstand/ Geist und Ich bei. Ähnlich erkennt Schleich die Mann-Frau- Dichotomie als eine Widerspiegelung innerer Verhältnisse, ohne 120 Der Held ist im Begriffe, sich einer vom Feind gesendeten Attrappe zu entledigen: einer Frau, die sich im entscheidenden Augenblick in einen vernichtenden Polypen verwandelt hat.

Geschlecht« etwas mit der männlichen Sexualität zu tun haben<br />

könnte. Er selbst hat diesen Weg noch kaum beschritten. »Das<br />

Mädchen erlebt«, schreibt er noch 1938 in seinem »Abriss der<br />

Psychoanalyse«, »nach vergeblichem Versuch, es dem Knaben<br />

gleichzutun, die Erkenntnis ihres Penismangels oder besser ihrer<br />

Klitorisminderwertigkeit mit dauernden Folgen für die Charak-<br />

terentwicklung.« So bleibt Freud angesichts der »<strong>Krankheit</strong><br />

<strong>Frau</strong>« der objektive, mitleidig hilflose Helfer des 19. Jahrhun-<br />

derts, wiewohl er gewusst hat, dass das Rätsel der Sphinx nicht<br />

durch einen guten Diagnostiker, sondern durch Ödipus gelöst<br />

worden ist, der sich gerade im Zusammenhang mit dieser Lösung<br />

so tief in sein eigenes Schicksal verstrickt hat, dass er darob seinen<br />

klinischen Blick um seiner Introspektion willen verloren hat.<br />

Freud hat viele Rätsel gelöst, aber es lag ihm fern, die <strong>Krankheit</strong><br />

weibliches Geschlecht, die »Clitorisminderwertigkeit« bzw. den<br />

»Penismangel« als ein Symptom männlicher Sexualkonflikte zu<br />

sehen. James Hillman spricht in ähnlichem Zusammenhang<br />

(»Essay on Pan«) von einer Psychopathologie, die sich der<br />

Cartesischen Täuschung hingebe, dass ihre Arbeit und ihre<br />

Psychologie nichts miteinander zu tun hätten. Mithilfe der<br />

Subjekt-Objekt-Trennung könnten sich die Forscher, so<br />

schreibt er, »schützen, durch ihre Untersuchungen etwas über<br />

sich selbst und nicht nur über ihren Wissensstoff zu erfahren«.<br />

Man könnte sagen, Weininger in Wien sei in dieser Hinsicht<br />

weiter gegangen als Freud. Weininger nennt die <strong>Frau</strong>, das Weib<br />

»eine Funktion von M«, »eine Funktion, die er setzen, die er<br />

aufheben kann«, »sein Dasein ist an den Phallus geknüpft«. »Als<br />

der Mann sexuell ward, da schuf er das Weib«, schreibt er auch.<br />

»Denn das Weib ist nur die Schuld und nur durch die Schuld des<br />

Mannes. [. . .] Was die <strong>Frau</strong> [. . .] durch ihr blosses Dasein,<br />

durch ihr ganzes Wesen, ewig unbewusst auswirkt, das ist nur ein<br />

Hang im Manne, sein zweiter, unausrottbarer, sein niederer<br />

Hang.« »Er ist die Objektivation der männlichen Sexualität, die<br />

verkörperte Geschlechtlichkeit, seine Fleisch gewordene<br />

Schuld.« Weininger schliesst sich der Bisexualitätstheorie seiner<br />

Zeit an, der Mensch ist für ihn wesentlich doppelgeschlechtlich,<br />

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