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Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger

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nur erraten lassen. Jede plumpe [. . .] Herausforderung ihrer-<br />

seits verfehlt ihren Zweck; sie pflegt Männer abzustossen«,<br />

schreibt Forel. »Sie darf aus ihrer passiven Rolle selbst dann nicht<br />

sichtbar heraustreten, wenn sie von der grössten erotischen<br />

Sehnsucht geplagt wird.«<br />

Dass die weibliche Hysterie in dieser Situation wurzelt, wurde<br />

allmählich klarer. Krafft-Ebing weiss von der Pflicht, die der<br />

<strong>Frau</strong> von der Gesellschaft bzw. eben vom Manne auferlegt ist,<br />

ihr Sexualleben geheimzuhalten, vor dem Mann und sogar vor<br />

sich selbst. Moriz Benedikt leitet 1894 »die Eigenkrankheit des<br />

Weibes - die Hysterie« direkt von den daraus entstehenden<br />

Spannungen her (vgl. S. 31).<br />

Auch für Sigmund Freud wird der verdrängte sexuelle Affekt die<br />

Ursache der Hysterie. Auf diese Weise wandelt sich das morali-<br />

sche Urteil über die Lügenhaftigkeit zur Theorie von der Ver-<br />

drängung und der Abwehr verbotener Impulse. Freud tat aber<br />

noch mehr: er holte die Sexualität aus dem Ghetto der wissen-<br />

schaftlichen Objektivität heraus, in das sie sogar die seinerzeitige<br />

Sexologie verbannt hatte. Freud hat die Lehre von der weiblichen<br />

Hysterie zur Neurosenlehre überhaupt erweitert; nun konnten<br />

auch normale heterosexuelle Männer an ihrer Sexualität leiden.<br />

Eugen Bleuler (1857-1939) würdigte diese Leistung der Psycho-<br />

analyse, als er schrieb, es sei aus der von Männern betriebenen<br />

Wissenschaft die Sexualität verdrängt worden, und dies habe<br />

einen Objektivitätsverlust mit sich gebracht. Die <strong>Frau</strong>enheilkun-<br />

de kenne zwar die Sexualität, aber nur bei <strong>Frau</strong>en. »Damit<br />

schützt sie sich sehr energisch vor der Verallgemeinerung, dass<br />

auch die eigene Hälfte der Menschheit mit einem Geschlechts-<br />

triebe behaftet sei. Die Neurologie und Psychiatrie anerkennt<br />

den Geschlechtstrieb f. . .] bei den ›Anderen‹, verbittet sich aber<br />

den Gedanken an die eigene. In diese weise Beschränkung hat<br />

Freud Unsicherheit zu bringen versucht; er [. . .] behauptet,<br />

jedermann, alt und jung, gesund und krank, Laie und Arzt leide<br />

an Geschlechtstrieb.«<br />

Mit diesem Konzept hat Freud eine wichtige Voraussetzung für<br />

die spätere Einsicht geschaffen, dass die »<strong>Krankheit</strong> weibliches<br />

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