Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
Oedipus im Begriffe, das Rätsel der Sphinx zu lösen sichtlich nicht heranzukommen. Gegen Ende des 19. Jahrhun- derts drang dann allmählich die Auffassung durch, dass die Lügenhaftigkeit der Frauen in sexuellen Dingen nicht so sehr oder doch nicht nur mit den Eigentümlichkeiten des weiblichen Nervensystems und der weiblichen Konstitution zusammen- hing. »Es ist wahr, dass das Weib von ihren Liebesgefühlen nichts verrathen darf«, schreibt Lombroso. »Wie vieles übrigens ver- bergen wir selber nicht vor Frauen und Kindern, besonders in bezug auf das Geschlechtsleben, worüber sie dann auf die eine oder andere Weise die Wahrheit erfahren! Wenn sie so sehen, wie um sie her beständig gelogen wird, dann gewöhnen sie sich schliesslich auch an die Lüge.« Das Weib »darf ihren Erotismus 117
nur erraten lassen. Jede plumpe [. . .] Herausforderung ihrer- seits verfehlt ihren Zweck; sie pflegt Männer abzustossen«, schreibt Forel. »Sie darf aus ihrer passiven Rolle selbst dann nicht sichtbar heraustreten, wenn sie von der grössten erotischen Sehnsucht geplagt wird.« Dass die weibliche Hysterie in dieser Situation wurzelt, wurde allmählich klarer. Krafft-Ebing weiss von der Pflicht, die der Frau von der Gesellschaft bzw. eben vom Manne auferlegt ist, ihr Sexualleben geheimzuhalten, vor dem Mann und sogar vor sich selbst. Moriz Benedikt leitet 1894 »die Eigenkrankheit des Weibes - die Hysterie« direkt von den daraus entstehenden Spannungen her (vgl. S. 31). Auch für Sigmund Freud wird der verdrängte sexuelle Affekt die Ursache der Hysterie. Auf diese Weise wandelt sich das morali- sche Urteil über die Lügenhaftigkeit zur Theorie von der Ver- drängung und der Abwehr verbotener Impulse. Freud tat aber noch mehr: er holte die Sexualität aus dem Ghetto der wissen- schaftlichen Objektivität heraus, in das sie sogar die seinerzeitige Sexologie verbannt hatte. Freud hat die Lehre von der weiblichen Hysterie zur Neurosenlehre überhaupt erweitert; nun konnten auch normale heterosexuelle Männer an ihrer Sexualität leiden. Eugen Bleuler (1857-1939) würdigte diese Leistung der Psycho- analyse, als er schrieb, es sei aus der von Männern betriebenen Wissenschaft die Sexualität verdrängt worden, und dies habe einen Objektivitätsverlust mit sich gebracht. Die Frauenheilkun- de kenne zwar die Sexualität, aber nur bei Frauen. »Damit schützt sie sich sehr energisch vor der Verallgemeinerung, dass auch die eigene Hälfte der Menschheit mit einem Geschlechts- triebe behaftet sei. Die Neurologie und Psychiatrie anerkennt den Geschlechtstrieb f. . .] bei den ›Anderen‹, verbittet sich aber den Gedanken an die eigene. In diese weise Beschränkung hat Freud Unsicherheit zu bringen versucht; er [. . .] behauptet, jedermann, alt und jung, gesund und krank, Laie und Arzt leide an Geschlechtstrieb.« Mit diesem Konzept hat Freud eine wichtige Voraussetzung für die spätere Einsicht geschaffen, dass die »Krankheit weibliches 118
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Oedipus im Begriffe,<br />
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sichtlich nicht heranzukommen. Gegen Ende des 19. Jahrhun-<br />
derts drang dann allmählich die Auffassung durch, dass die<br />
Lügenhaftigkeit der <strong>Frau</strong>en in sexuellen Dingen nicht so sehr<br />
oder doch nicht nur mit den Eigentümlichkeiten des weiblichen<br />
Nervensystems und der weiblichen Konstitution zusammen-<br />
hing. »Es ist wahr, dass das Weib von ihren Liebesgefühlen nichts<br />
verrathen darf«, schreibt Lombroso. »Wie vieles übrigens ver-<br />
bergen wir selber nicht vor <strong>Frau</strong>en und Kindern, besonders in<br />
bezug auf das Geschlechtsleben, worüber sie dann auf die eine<br />
oder andere Weise die Wahrheit erfahren! Wenn sie so sehen, wie<br />
um sie her beständig gelogen wird, dann gewöhnen sie sich<br />
schliesslich auch an die Lüge.« Das Weib »darf ihren Erotismus<br />
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