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Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger

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mung verweigerten: der <strong>Frau</strong>en, deren Sexualität nicht in Mut-<br />

terliebe aufging, der Prostituierten, der Nymphomanen, Lom-<br />

brosos Krimineller, aber auch erfolgreicher Schauspielerinnen,<br />

Tänzerinnen, Künstlerinnen und der Emanzipierten, die auf<br />

Kosten ihrer Weiblichkeit zu denken angefangen hatten. Tat-<br />

sächlich werden die Hysterikerinnen immer wieder als intelli-<br />

gent beschrieben.<br />

So diente das Hysteriekonzept dem Ausdruck und zugleich der<br />

Verstärkung der männlichen Ambivalenz gegenüber <strong>Frau</strong>en und<br />

Sexualität: ein Angelpunkt der Pathologisierung des weiblichen<br />

Geschlechts. Unter diesem Gesichtspunkt ist es auch ein Vergrö-<br />

sserungsglas für die Art und Weise, in welcher die Wissenschaft<br />

des klassischen 19. Jahrhunderts mit sexuellen Fragen umging.<br />

Charakteristisch dabei ist, dass das in der Literatur am meisten<br />

hervorgehobene Merkmal der Hysterie ihre objektive Ungreif-<br />

barkeit ist. Die Hysterie scheint sich dem klinischen Blick ihrer<br />

Zeit konsequent zu entziehen. Kein einziges Symptom konnte<br />

für sie als eindeutig bezeichnend nachgewiesen werden, nicht<br />

einmal eine umschriebene Symptomengruppe. Im Gegenteil, die<br />

Hysterie war typischerweise wechselhaft und ihre Symptome<br />

unendlich vielfältig. Keine Ursache war sichergestellt, nicht<br />

einmal ihr <strong>Krankheit</strong>scharakter stand fest. Carl Ludwig Schleich<br />

nannte die Hysterie die »<strong>Krankheit</strong> ohne Ursache«, »eigentlich<br />

gar keine <strong>Krankheit</strong>«, den Wechselbalg von Leid und Lüge, eine<br />

Gauklerin. Jean Martin Charcot hat sie als »grande simulatrice«<br />

bezeichnet.<br />

»Die Hysterie ist das Schmerzenskind der Nervenpathologie«,<br />

leitet Otto Binswanger (1852-1929) sein dickes Buch zum<br />

Thema (Wien 1904) ein, »weil alle Bemühungen, welche seit<br />

Jahrhunderten auf die Erkennung und begriffliche Würdigung<br />

der hierher gehörigen <strong>Krankheit</strong>serscheinungen verwandt wor-<br />

den sind, zu keiner auch nur einigermassen befriedigenden und<br />

den Widerstreit der Meinungen ausgleichenden Lösung geführt<br />

haben. Die Unklarheit und Unsicherheit der Begriffsbestim-<br />

mung hat dazu geführt, dass nicht bloss im Laufe der vergangenen<br />

Zeiten die widersprechendsten Anschauungen [. . .] gelehrt<br />

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