Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
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nismässig geschützte Stellung, die das Weib dem unvergleichlich<br />
mehr gefährdeten Manne gegenüber einnimmt. Alle jene Schäd-<br />
lichkeiten, die der Kampf ums Dasein mit sich bringt, treffen in<br />
erster Linie und vorwiegend den Mann [. . .] Ferner ist vor allem<br />
auf die Wirkung der Ausschweifungen [. . .] hinzuweisen, Ge-<br />
fahren, denen ganz vorzugsweise der Mann . . . ausgesetzt ist.«<br />
Ähnlich Krafft-Ebing: Menstruation, Schwangerschaft, Wo-<br />
chenbett, Rückbildung und allgemeine Disposition, Ursachen<br />
weiblichen Irreseins, werden beim Manne »reichlich aufgewo-<br />
gen [. . .] durch Überanstrengung im Kampf ums Dasein [. . .],<br />
durch Trunksucht, durch sexuelle Excesse, die angreifender für<br />
den Mann sind als für das Weib. [. . .] Muss das Weib allein den<br />
Kampf ums Dasein bestehen - so manche Wittwe - dann erliegt<br />
sie leichter und rascher als der Mann«.<br />
Ein Kernstück der »<strong>Krankheit</strong> weibliches Geschlecht« ist die<br />
Hysterie. Und gerade weil sie Kernstück war, führte ihr objekti-<br />
ves Studium zu so unbefriedigenden Resultaten, dass sie schliess-<br />
lich zum Kristallisationskern neuer Denkweisen über <strong>Frau</strong> und<br />
Sexualität wurde.<br />
Die Hysterie, auch »amplification de la mentalité féminine«<br />
genannt, entspricht, wie Emil Kraepelin sagt, einer »natürlichen<br />
Entwicklungsrichtung« der <strong>Frau</strong>. Das heisst, es ist eigentlich jede<br />
<strong>Frau</strong> hysterisch. Der Gynäkologe Wilhelm Liepmann (geb.<br />
1878) nennt die Hysterie ein »Vergrösserungsglas«, durch wel-<br />
ches die physiologische Verwundbarkeit und Schwäche der <strong>Frau</strong><br />
besonders gut zu erkennen sei (»Psychologie der <strong>Frau</strong>«, 1920).<br />
Ein Vergrösserungsglas ist sie indessen, nachträglich gesehen,<br />
auch für die Vitalität der <strong>Frau</strong>en damals. Denn die hysterische<br />
<strong>Frau</strong> entspricht sogar den widersprüchlichsten Ansprüchen, die<br />
an sie gestellt werden. Die Hysterie ist das weibliche Leiden,<br />
welches Sexualität zugleich ausdrückt und versteckt, in welchem<br />
Keuschheit und Begierde erfinderisch vereinigt sind. Deshalb<br />
vielleicht wurde die Hysterie zugleich als sehr weibliches und<br />
sehr unweibliches Leiden betrachtet, als natürlicher Zug der<br />
<strong>Frau</strong> und zugleich als Stigma derer, die ihre natürliche Bestim-<br />
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