Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
Gattin, Tochter, Angestellte oder Muse unterstützt sie den Mann bei seinen höheren Funktionen. »Wie nützlich das Weib auch sein kann«, schreibt Lombroso im Vorwort zu seinem Buch, »das habe ich bei der Vorbereitung dieses Buches durch die Mitarbeiterschaft einer Reihe ausgezeichneter Frauen erfah- ren. [. . .] Und am meisten beweist Du es mir, meine geliebte Gina [Lombrosos Tochter und seines Mitarbeiters Ferrero Gat- tin] - das letzte und einzige Band, das mich an das Leben fesselt, die kräftigste und fruchtbarste Mitarbeiterin und Beseelerin aller meiner Arbeit.« Namentlich als Mutter ist die in der Frau verkörperte Sexualität in den Dienst der Fortpflanzung, der Familie und letztlich des (nach Heinroth geist- und intelligenzbestimmten) Staates ge- stellt, dem Staate gewissermassen einverleibt. Die Frau verkör- pert für die höhere gesellschaftliche Einheit die Gebär-Mutter, so wie das Staatsoberhaupt den Kopf verkörpert, wie am indivi- duellen Organismus andererseits die Gebärmutter oft einfach »Mutter« genannt wird. Die Mutterschaft ist letztes Ziel jeden Frauenlebens, »denn das Wesen des Weibes wird nur dann vollendet«, schreibt Adolph Henke 1814, »seine Bestimmung, sein Beruf nur dann erfüllt, wenn es Gattin und Mutter wird«. Und die Frau setzt alles dran, Mutter zu werden. Nach Möbius ist die an sich schwachsinnige Frau in jungen Jahren sogar geist- und intelligenzfähig, nur um an den Mann zu kommen. »Der Geist der Jungfrau ist erregt, feurig, scharf. Dadurch wird einerseits ihre Kraft, anzuziehen, gesteigert, andererseits wird sie befähigt, bei der geschlechtlichen Auswahl activ zu sein, im Liebesspiele und Liebeskampfe dem Gegner ebenbürtig zu sein. Die ganze Bedeutung des weiblichen Lebens hängt davon ab, dass das Mädchen den rechten Mann erhalte; auf diesen Moment, als den Höhepunkt des Lebens, sind alle Kräfte gerichtet und alle Geistesfähigkeiten werden auf das eine Ziel concentrirt.« Denn »das Weib soll Mutter sein; um es aber zu werden, muss sie erst einen Mann haben, der die Sorge für sie und die Kinder auf sich nimmt«. Entsprechend nimmt die weibliche Sexualität im Normalfalle die 105
Form des Kinderwunsches an. »Wenn der Anblick eines be- stimmten Mannes in einem jungen Mädchen sehnsüchtige Sym- pathiegefühle erregt«, schreibt Auguste Forel in seiner »Sexuel- len Frage«, »nehmen sie die Form der Begierde nach Kinderer- zeugung durch eben diesen Mann, nach ›sich demselben (oft sklavisch) hingeben‹, nach [. . .] einer Stütze für das Leben an. Es ist [. . .] eine Sehnsucht, nach Familiengründung und Mutter- glück, nach [. . .] Befriedigung einer im ganzen Körper verallge- meinerten Sinnlichkeit, die sich [. . .] nicht besonders auf die Sexualorgane konzentriert oder nach Begattung verlangt.« Denn die eigentliche Liebe des Weibes ist die höhere, die Mutterliebe. »Vor der Mutterliebe«, schreibt Krafft-Ebing, »schwindet die Sinnlichkeit.« Wenn man nun fragt, ob Sexualität hier in Mutterliebe verwan- delt bzw. domestiziert werde oder einfach verschwunden sei, ob Liebe mit Sexualität überhaupt etwas zu tun habe oder nicht, so muss die Antwort paradox ausfallen: beides ist der Fall. Und das Bild von der Frau als verkörperte Sexualität im Dienste höherer Werte, welches ja das Anforderungsprofil an die gesunde, normale, akzeptierte Frau darstellt, enthält dieses Paradox auch. Denn letztlich schliessen sich ein Leben für die Sexualität und ein Leben für Mann, Familie und Staat gegenseitig aus, auch wenn sich beide im Leben der Mutter, in der geistigen Liebe zwanglos vereinen zu lassen scheinen. Wenn man dies sieht, versteht man etwas von dem Druck, der die Frau des 19. und eines grossen Teils des 20. Jahrhunderts in die Mutterschaft zwang, etwas von dem Zusammenhang zwischen paradoxen Anforderungen und sozialer Diskrimination und etwas von der Schwierigkeit dieser Zeit, mit Sexualität und mit Frauen umzu- gehen. Tatsächlich war die Logik solcher Konzepte nur dank der Tatsache gewährleistet, dass die Begriffe »Liebe« und »Sexuali- tät« ganz unklar und ihre Beziehung zueinander ungeklärt blieben - eine konfliktschwangere Tatsache allerdings. Und diese Konfliktschwangerschaft wurde nun elegant dem weibli- chen Teil der Menschheit zugeschoben. Die Frau wurde bald so, 106
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Gattin, Tochter, Angestellte oder Muse unterstützt sie den<br />
Mann bei seinen höheren Funktionen. »Wie nützlich das Weib<br />
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so wie das Staatsoberhaupt den Kopf verkörpert, wie am indivi-<br />
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»Mutter« genannt wird. Die Mutterschaft ist letztes Ziel jeden<br />
<strong>Frau</strong>enlebens, »denn das Wesen des Weibes wird nur dann<br />
vollendet«, schreibt Adolph Henke 1814, »seine Bestimmung,<br />
sein Beruf nur dann erfüllt, wenn es Gattin und Mutter wird«.<br />
Und die <strong>Frau</strong> setzt alles dran, Mutter zu werden. Nach Möbius<br />
ist die an sich schwachsinnige <strong>Frau</strong> in jungen Jahren sogar geist-<br />
und intelligenzfähig, nur um an den Mann zu kommen. »Der<br />
Geist der Jungfrau ist erregt, feurig, scharf. Dadurch wird<br />
einerseits ihre Kraft, anzuziehen, gesteigert, andererseits wird<br />
sie befähigt, bei der geschlechtlichen Auswahl activ zu sein, im<br />
Liebesspiele und Liebeskampfe dem Gegner ebenbürtig zu sein.<br />
Die ganze Bedeutung des weiblichen Lebens hängt davon ab, dass<br />
das Mädchen den rechten Mann erhalte; auf diesen Moment, als<br />
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»das Weib soll Mutter sein; um es aber zu werden, muss sie erst<br />
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