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Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger

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zu einem wichtigen Kanal, durch den die Sexualität aus ihrem<br />

19.-Jahrhundert-Schattendasein schliesslich wieder in das gesell-<br />

schaftliche Bewusstsein einfliessen sollte. »Wie soll der Mann das<br />

Weib behandeln?« fragt Weininger. »Wenn er es zu behandeln<br />

hat, wie es behandelt werden will, dann muss er es koitieren,<br />

denn es will koitiert werden, schlagen, denn es will geschlagen<br />

werden, hypnotisieren, denn es will hypnotisiert werden.«<br />

So steht im 19. Jahrhundert Geistiges vielfach für Sexuelles.<br />

Möbius geht 1900 so weit, die eigentliche Verschiedenheit der<br />

Geschlechter überhaupt in den geistigen Fähigkeiten zu suchen.<br />

»M [Mann] lebt bewusst, W [Weib] lebt unbewusst«, schreibt sein<br />

Bewunderer Weininger. »W empfängt ihr Bewusstsein von M:<br />

Die Funktion, das Unbewusste bewusst zu machen, ist die<br />

sexuelle Funktion des typischen Mannes gegenüber dem typi-<br />

schen Weibe.« »Sie schämt sich nicht, rezeptiv zu sein: im<br />

Gegenteil, sie fühlt sich nur glücklich, wenn sie es sein kann,<br />

verlangt vom Manne, dass er sie, auch geistig, zu rezipieren<br />

zwinge« - bis zu dem Punkte, wo sie überhaupt nur noch ein<br />

Geschöpf seiner Geistigkeit ist, eine Kreatur seiner krankma-<br />

chenden Konzepte gewissermassen, ein Symptom seiner Hy-<br />

sterie.<br />

»Auch die [. . .] überaus seltenen Dichterinnen [. . .] wuchern<br />

mit den Münzen, die Männer geprägt haben«, stellt Möbius fest,<br />

womit er nebenbei noch auf die geistige und sexuelle Dimension<br />

der Ökonomie, die Samenartigkeit des Geldes hinweist. Man<br />

könnte vielleicht kühn sagen, der Wandel der männlichen Potenz<br />

vom Sexuellen zum Geistigen entspreche dem Übergang von der<br />

agrarischen Produktionsweise zur industriellen. Denn nicht<br />

länger besteht die wesentliche Aktivität darin, die Überlebens-<br />

mittel fortzupflanzen; vielmehr treten jetzt vermitteitere, orga-<br />

nisatorische Tätigkeiten in den Vordergrund - für den Mann.<br />

Die <strong>Frau</strong> bleibt demgegenüber dem Bäuerisch-Reproduktiven<br />

verhaftet; dies macht auch die Enge ihrer Geistigkeit aus.<br />

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