Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
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abzuleiten, die Vernunft sei daher Voraussetzung aller Rechts-<br />
und Pflichtfähigkeit. Wie der Staat andererseits eine geist- und<br />
vernunftdurchwirkte höhere Einheit ist, »so folgt, dass [. . .] die<br />
Gesammtkraft des Staats der Intelligenz untergeordnet [. . .]<br />
seyn müsse«.<br />
Dieser Aufstieg des Geistes gegenüber dem Samen, geistiger<br />
Potenz gegenüber sexueller Potenz, findet etwa in demselben<br />
Zeitraum statt, in welchem der weibliche Zeugungsbeitrag, das<br />
weibliche Ei, definitiv beschrieben und anerkannt wird (17. bis<br />
frühes 19. Jahrhundert; vgl. S. 137 f.) - als ob die Anerkennung<br />
eines dem männlichen ebenbürtigen Zeugungsbeitrags erst mög-<br />
lich geworden wäre mit der Entwertung der sozialen Bedeutung<br />
dieses Beitrags, als ob andererseits diese Anerkennung eine<br />
Verschiebung der sozial bedeutsamen Geschlechtsunterschiede<br />
auf das Gebiet des Geistes bedingt hätte. Denn die Verschiebung<br />
der sozial relevanten Potenz vom Sexuellen auf Geistiges bringt<br />
keineswegs eine soziale Gleichberechtigung der <strong>Frau</strong> mit dem<br />
Manne mit sich - wiewohl gerade das 18. Jahrhundert, die Zeit<br />
des Überganges, dergleichen folgerichtigerweise erwogen hat.<br />
Gerade das 19. Jahrhundert zeichnet sich aus durch sehr klare,<br />
fast überklare Vorstellungen von den geistigen Geschlechtsun-<br />
terschieden und dem entscheidenden Mangel der <strong>Frau</strong> an geisti-<br />
ger Potenz.<br />
Dabei scheint dem Diskurs über Geistiges sehr oft das sexuelle<br />
Modell zugrunde zu liegen. War der Mann bis dahin kraft seines<br />
»schöpferischen Safts« (Albrecht von Haller) ein voller Mensch<br />
gewesen, so ist er es nun kraft seines schöpferischen Geistes. Am<br />
Anfang unseres Jahrhunderts wird der Trivialphilosoph Otto<br />
Weininger (1880-1903) schreiben, »dass Genialität an die Männ-<br />
lichkeit geknüpft ist, dass sie eine ideale, potenzierte Männlich-<br />
keit vorstellt«. Es ist, als ob dem Manne im 19. Jahrhundert der<br />
Samen buchstäblich in den Kopf gestiegen wäre. Geistige Aktivi-<br />
tät, Fruchtbarkeit, Intelligenz, Unternehmergeist, Genie, Erfin-<br />
dertum, Entdeckertum charakterisieren nun den rechten Mann.<br />
Mit Ideen, Forschungsergebnissen, Erfindungen und Geld<br />
schwängert er seine Bezugsgruppe, wenn er sehr potent ist, die<br />
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