Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
zulässigen, oft sogar unabdingbaren Forschungsinstrument -<br />
auch Forschungsmotiv und -gegenstand - wird.<br />
Die <strong>Frau</strong> samt dem Leiden an ihrem Geschlecht wird also im<br />
Folgenden als eine sozusagen veräusserlichte Form des sexuellen<br />
Prinzips und des entsprechenden Leidens im Manne und medizi-<br />
nischen Autor selbst zu untersuchen sein: die Beziehung zwi-<br />
schen den Geschlechtern als eine soziale Realisierung der Bezie-<br />
hung, wie sie das 19. Jahrhundert erlebte zwischen organisieren-<br />
dem Geist, Intelligenz, Wille etc. einerseits, Sexualität, Körper-<br />
lichkeit, Gefühlswelt, Spontaneität andererseits.<br />
In diesem Sinne möchte ich zuerst einiges über die Stellung des<br />
»Geistigen« in seiner Verbindung mit dem Männlichen im<br />
19. Jahrhundert sagen, vor allem auf die sexualgeschichtliche<br />
Dimension dieses »Geistigen« hinweisen.<br />
Tatsächlich scheint es, als hätte der Geist im 19. Jahrhundert<br />
soziale Funktionen, die ursprünglich der Sexualität oblegen<br />
haben. »Potenz« im Sinne von »Macht«, »Leistungsfähigkeit«,<br />
ursprünglich sehr weitgehend an sexuelle Potenz gebunden,<br />
scheint sich im Laufe der späteren Neuzeit zunehmend an<br />
geistig-intellektuelle Leistung zu binden. Über Jahrhunderte,<br />
sogar wohl Jahrtausende, ist menschliche Verfügungsgewalt und<br />
Freiheit unter anderem an Zeugungskraft, materialisiert in Sa-<br />
men, gebunden gewesen. Damit war der Mann zum vornherein<br />
privilegiert, da die <strong>Frau</strong> als samenlos oder doch samenarm und<br />
gewissermassen impotent galt. Kraft seiner Zeugungsfähigkeit<br />
schaffte sich der Mann seine Familie, die erste, entscheidende<br />
Erweiterung seines Verfügungsbereiches; bis heute tragen vieler-<br />
orts Gattin und Kinder seinen Namen. Die Kinder garantieren,<br />
falls sie Knaben sind, dem Manne auch die mindestens virtuelle<br />
Verfügung über die Zukunft, die Unsterblichkeit.<br />
So zeugt der Mann in antik-aristotelischer Tradition, die bis weit<br />
in die Neuzeit hinein wirksam geblieben ist, im Idealfall Knaben,<br />
die ihm selbst bis zur Identität ähnlich sind (vgl. S. 21 u. 36).<br />
Noch in der Gerichtsmedizin des 16. und frühen 17. Jahrhunderts<br />
wird die Heiratsfähigkeit des Mannes an seiner sexuellen Potenz<br />
96