Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
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den Einfluss der Sexualität auf historische Entwicklungen. Und<br />
noch immer wird die Geschichte der Sexualität, der <strong>Frau</strong>, der<br />
Familie tendenziell kleingeschrieben und an den Rand gerückt,<br />
und sei es nur dadurch, dass sie als Spezialgebiet deklariert oder<br />
<strong>Frau</strong>en überlassen wird.<br />
In unserem Falle, bei unserem Suchen nach den Wurzeln des<br />
Konzeptes von der »<strong>Krankheit</strong> <strong>Frau</strong>« im Bereich des Sexuellen<br />
kommen weitere Schwierigkeiten hinzu. Denn in gewissem<br />
Sinne dient ja das Reden über die Schwäche und Minderwertig-<br />
keit der <strong>Frau</strong> gerade der Verdeckung und Verleugnung solcher<br />
Wurzeln. Die Erhellung der Leiden weiblicher Existenz scheint<br />
die Ausblendung jeglicher Problematik der männlichen Sexuali-<br />
tät geradezu zu bezwecken. Alle Leiden an der eigenen Ge-<br />
schlechtlichkeit sind mit der Projektion auf die <strong>Frau</strong> gewisserma-<br />
ssen ins Objektive abgeschoben. Man könnte wohl sagen, dass es<br />
eine »<strong>Krankheit</strong> weibliches Geschlecht« gar nicht gäbe, wenn<br />
ihre Entdecker sich über die Verwurzelung dieses Leidens in<br />
ihrer eigenen Beziehung zu <strong>Frau</strong>en und eigener Sexualität klar<br />
gewesen wären.<br />
Wir können daher, wenn wir eine solche Verwurzelung aufzei-<br />
gen wollen, kaum auf direkte Belege hoffen, auf erotische<br />
Autobiographien all derer etwa, welche die Pathologisierung der<br />
<strong>Frau</strong> im 19. Jahrhundert festgeschrieben haben, oder auf direkte<br />
Hinweise in den vorhandenen Quellen - nicht in beweiskräftiger<br />
Quantität jedenfalls. Vielmehr müssen wir, wenn wir an unse-<br />
rem Vorhaben festhalten wollen, indirekt von den vorliegenden<br />
Konzepten auf sexuelle Hintergründe schliessen in der Annah-<br />
me, dass da eine wechselseitige Beziehung bestehe, in der Annah-<br />
me, dass man auf Grund eigenen Erlebens bis zu einem gewissen<br />
Grade vom einen auf das andere schliessen kann, und in der<br />
Überzeugung, dass persönliches Erfahren von Quellen legitime<br />
und gelegentlich sogar einzige Basis von geschichtlichen Rekon-<br />
struktionen sein kann. Und ausdrücklich sei festgehalten, dass es<br />
sich dabei nicht um Subjektivismus oder Relativismus handelt,<br />
sondern um eine Erweiterung des historiographischen Gesichts-<br />
feldes auf die Situation des Historikers selbst, die damit zum<br />
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