Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
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müsste deshalb der Sexualität grösste Aufmerksamkeit schenken;<br />
trotzdem hat sie bisher mehr andere Determinanten historischer<br />
Entwicklungen, vor allem die ökonomischen, herausgearbeitet.<br />
Dies teils in Fortsetzung ihrer historisch-materialistischen Tra-<br />
dition, teils in Einlösung ihres Anspruchs, auch historische<br />
Aussagen auf messbare, objektive, jederzeit und persönlichkeits-<br />
unabhängig nachprüfbare Daten zu gründen.<br />
Tatsächlich sind ökonomische Daten relativ leicht fassbar und<br />
quantifizierbar. An die Sexualität früherer Zeiten und ihre<br />
Geschichtswirksamkeit indessen ist so kaum heranzukommen -<br />
als ob der objektivierende Blick da immer wieder abglitte. Nicht<br />
nur, dass die Quellen selten und ungenau von Sexuellem spre-<br />
chen: noch entscheidender ist, dass selbst da, wo über Sexualität<br />
gesprochen wird, diese gewöhnlich vom übrigen Lebenszusam-<br />
menhang isoliert wird - als ob da keine Zusammenhänge bestün-<br />
den, als ob ausser Künstlern nie jemand in Wechselwirkung mit<br />
seinem Sexualleben Karriere oder ein wissenschaftliches Kon-<br />
zept gemacht oder eben nicht gemacht hätte.<br />
Dies entspricht der allgemeinen Tendenz unserer westlich-<br />
neuzeitlichen Kultur, sexuelle Dinge vom übrigen Kulturzusam-<br />
menhang abzuspalten. Im Bereich der Geschichtsschreibung hat<br />
sich lange etwas Ähnliches abgespielt: lange ist die Geschichte<br />
der Sexualität neben der gewissermassen konventionellen Ge-<br />
schichte hergelaufen, als ob beides miteinander kaum etwas zu<br />
tun hätte. Und die Abspaltung war diskriminierend: die »Bett-<br />
Geschichten« fürstlicher Häupter lieferten Stoff für historische<br />
Romane, die gehobenen Historiker interessierten sich für sie nur<br />
begrenzt. Am ehesten noch wurde in der Geschichte der Kunst<br />
eine Geschichtswirksamkeit der Sexualität anerkannt - wie eben<br />
dem künstlerischen Schaffen Spontaneität, Emotionalität und<br />
Körperlichkeit konstitutiv zugestanden wird.<br />
In jüngerer Zeit wird die Geschichte der Sexualität nun zwar von<br />
vielen Historikern seriös bearbeitet und auch in ihren Zusam-<br />
menhang mit der Geschichte anderer Lebensbereiche gestellt.<br />
Noch immer aber weiss man bedeutend mehr über den Einfluss<br />
aller möglicher historischer Faktoren auf die Sexualität als über<br />
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