Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
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ten sowohl im Interesse der Angeklagten als auch in demjenigen<br />
des Staates immer, im Zweifelsfalle möglichst viele Kinder legitim<br />
zu erklären bzw. die Integrität der Familie zu erhalten. Und da er-<br />
wies sich die Imaginatio natürlich als ein nützliches gedankliches<br />
Instrument.<br />
So widmet schon Codronchi in seinem «Methodus» von 1 97<br />
(vgl. S. 90) ein längeres Kapitel der Frage, ob die Unähnlichkeit<br />
eines Neugeborenen mit seinen Eltern (gemeint ist natürlich der<br />
Vater) einen Ehebruch (natürlich der Mutter) beweisen könne? 277 .<br />
Dabei diskutiert er die verschiedenen klassisch-antiken Ähnlich-<br />
keitstheorien und ihre Schwächen - und die Lehre von der Ima-<br />
ginatio, die den klassischen Autoren nicht geläufig war. Doch<br />
Condronchi gelingt es, sich auch dabei auf die antiken Autoritäten zu<br />
berufen: er deutet eine Stelle der Aristotelischen Problemata etwas<br />
im Sinn der Imaginatiolehre um 278 und referiert einen Bericht des<br />
heiligen Hieronymus, wonach Hippokrates eine <strong>Frau</strong> vom Ehebruchs-<br />
verdacht befreite, indem er in ihrem Schlafzimmer ein für die<br />
Vater-Unähnlichkeit des Kindes verantwortliches Bildnis nach-<br />
wies 279 . Bei Pari (vgl. S. 20), dem andern frühen gerichtsmedizini-<br />
schen Autor, erscheint Hieronymus’ Kind übrigens als Negerkind<br />
eines weissen Paars, welches seine Schwärze dem Umstand ver-<br />
dankte, dass der Mutter immer das Bild eines Äthiopiers vor Augen<br />
schwebte 280 . Codronchi argumentiert auch mit der biblischen Stelle,<br />
wo Jakob gesprenkelte Schafe und Böcke züchtete, indem er dort,<br />
wo das Vieh sich begattete, Zweige anbrachte, die er stellenweise<br />
geschält hatte (1. Mos. 30, 37-42). Und er schliesst: Die Kraft des<br />
Gedankens bzw. der Imaginatio ist offenkundig, es können daher<br />
Mütter elternunähnlicher Kinder von übler Nachrede befreit wer-<br />
den.<br />
Die Imaginatio ist im Lauf des 17. und frühen 18. Jahrhunderts<br />
wohl in keiner anderen Funktion so intensiv beansprucht worden<br />
wie zur Erklärung eigentümlicher Geburten. Praktische Bedürf-<br />
nisse mögen hier bestimmend gewesen sein, ideengeschichtlich ge-<br />
sehen darf man nicht vergessen, dass die Imaginatiolehre als solche<br />
zum Teil in der Gebärmutter wurzelt.<br />
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