Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
sind doch ihre Leiden wirklich: ... Ihre Klagen mit Spott oder Verachtung, als Wirkungen einer zerrütteten Einbildungskraft zu behandeln, ist ebenso thöricht, als grausam. Diese Klagen entsprin- gen meistentheils aus körperlichen Übeln ... und gesetzt auch, dass sich die Sache anders verhielte, so bleibt es immer die Pflicht des Arztes, ... zur Erquickung der Leidenden beyzutragen. Zerrüttun- gen der Einbildungskraft gehören eben sowohl für den Arzt, als Gebrechen des Körpers ...» 271 . Immanuel Kant (1724-1804) unter- scheidet «die Grillenkrankheit (hypochondria vaga), welche gar keinen bestimmten Sitz im Körper hat, ein Geschöpf der Einbil- dungskraft ist, und daher auch die dichtende heissen könnte» und die «hypochondria abdominalis», die eine körperliche Grundlage hat. Die erste ist ebenso ernst zu nehmen wie die zweite - es ist so- zusagen ein seelisches Leiden, durch Vernunft nicht zu beheben - «ein vernünftiger Mensch statuirt keine solche Hypochondrie» 272 . Die Realität, die der Krankheitseinbildung in der Folge zuer- kannt wird, ist dann vor allem diese psychologische - man kann auch sagen, dass sie im 19. und 20. Jahrhundert vor allem darin be- standen habe, dass der Arzt die eingebildeten Kranken aus seiner Praxis nicht ganz ausgeschlossen habe. Er hat für sie ja auch einen diagnostischen Terminus - «Hypochondrie» - reserviert. So «gibt» es die Hypochondrie bis heute: die Arbeitsgemeinschaft für Metho- dik und Dokumentation in der Psychiatrie definiert sie als «ab- norme, ängstlich getönte Beziehung zum eigenen Leib: objektiv unbegründete Befürchtungen, krank zu sein oder zu werden» 273 . Aber sie ist gewissermassen das Paradigma eines Sichkrankbefin- dens, dem keine körperliche Realität entspricht. III. GEBÄRMUTTER UND HYSTERIE: DIE EINBILDUNG BLEIBT AN DER MACHT Mit den gebärmütterlichen Einbildungskrankheiten, der Hysterie im weitesten Sinne (hystéra = Gebärmutter), war das anders. Wir sagten oben, dass Helmont den Uterus gleichsam «ein ander Miltz» 11
genannt hat. Man kann sich aber sogar fragen, wieweit der Uterus als Sitz von Einbildungen für die Lehre von den Einbildungen überhaupt Modell gestanden habe. In gewissem Sinne ist der Uterus ja der Inbegriff eines Organs der Einbildungen. In traditionell-aristotelischem Sinn ist er physiologischerweise dazu geschaffen, eine Ein-Bildung, das Bild des Mannes nämlich, zu empfangen. In Aristotelischer Tradition wird der Zeugungsakt ja weitgehend als die Übertragung des Bildes vom Mann auf die Frau verstanden bzw. als Einwirkung eines an den männlichen Samen gebundenen «formenden Prinzips» auf das Menstrualblut, die Materie, aus wel- cher das Kind dann «gebildet» wird. Zeugung schafft daher Knaben, d. h. Doppel des Vaters (vgl. S. 1) 274 . Damit ist das Verständnis der Schwängerung als Ein-Bildung ge- geben. Und damit lag es nun nicht so fern, auch eine sozusagen fal- sche, mutterinterne Zeugung oder Ein-Bildung zuzulassen. So Von allerlei Einbildungen geprägte wurmartige Kreaturen. Auch im Magen-Darm-Trakt konnte derartiges entstehen. 116
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sind doch ihre Leiden wirklich: ... Ihre Klagen mit Spott oder<br />
Verachtung, als Wirkungen einer zerrütteten Einbildungskraft zu<br />
behandeln, ist ebenso thöricht, als grausam. Diese Klagen entsprin-<br />
gen meistentheils aus körperlichen Übeln ... und gesetzt auch, dass<br />
sich die Sache anders verhielte, so bleibt es immer die Pflicht des<br />
Arztes, ... zur Erquickung der Leidenden beyzutragen. Zerrüttun-<br />
gen der Einbildungskraft gehören eben sowohl für den Arzt, als<br />
Gebrechen des Körpers ...» 271 . Immanuel Kant (1724-1804) unter-<br />
scheidet «die Grillenkrankheit (hypochondria vaga), welche gar<br />
keinen bestimmten Sitz im Körper hat, ein Geschöpf der Einbil-<br />
dungskraft ist, und daher auch die dichtende heissen könnte» und<br />
die «hypochondria abdominalis», die eine körperliche Grundlage<br />
hat. Die erste ist ebenso ernst zu nehmen wie die zweite - es ist so-<br />
zusagen ein seelisches Leiden, durch Vernunft nicht zu beheben -<br />
«ein vernünftiger Mensch statuirt keine solche Hypochondrie» 272 .<br />
Die Realität, die der <strong>Krankheit</strong>seinbildung in der Folge zuer-<br />
kannt wird, ist dann vor allem diese psychologische - man kann<br />
auch sagen, dass sie im 19. und 20. Jahrhundert vor allem darin be-<br />
standen habe, dass der Arzt die eingebildeten Kranken aus seiner<br />
Praxis nicht ganz ausgeschlossen habe. Er hat für sie ja auch einen<br />
diagnostischen Terminus - «Hypochondrie» - reserviert. So «gibt»<br />
es die Hypochondrie bis heute: die Arbeitsgemeinschaft für Metho-<br />
dik und Dokumentation in der Psychiatrie definiert sie als «ab-<br />
norme, ängstlich getönte Beziehung zum eigenen Leib: objektiv<br />
unbegründete Befürchtungen, krank zu sein oder zu werden» 273 .<br />
Aber sie ist gewissermassen das Paradigma eines Sichkrankbefin-<br />
dens, dem keine körperliche Realität entspricht.<br />
III. GEBÄRMUTTER UND HYSTERIE:<br />
DIE EINBILDUNG<br />
BLEIBT AN DER MACHT<br />
Mit den gebärmütterlichen Einbildungskrankheiten, der Hysterie<br />
im weitesten Sinne (hystéra = Gebärmutter), war das anders. Wir<br />
sagten oben, dass Helmont den Uterus gleichsam «ein ander Miltz»<br />
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