Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger
auch Tetanus, schwarzes Erbrechen, Gelbsucht 263 dazugehören, und es gab Autoren, welche die im 18. Jahrhundert so panisch gefürch- tete Entvölkerung des Erdballs darauf zurückführten 264 . Typischer- weise gehörten dazu aber auch psychische Störungen, und dies vor allem dann, wenn die hypochondrischen Gase und Schadstoffe in den Kopf aufstiegen 26 . Denn das 18. Jahrhundert hatte die alte Tra- dition, die Seele mindestens zum Teil im Oberbauch zu lokalisieren (die mit der Melancholielehre wie mit Helmonts Ideenlehre in enger Beziehung steht), weitgehend vergessen und stattdessen das Zen- tralnervensystem bzw. das Gehirn als einzigen Seelenträger gesetzt. Auch Einbildungen, fixe Ideen, Spleens, Grillen entstanden vor- wiegend durch ein derartiges Mit-Leiden des Gehirns - man spricht ja heute noch davon, dass jemandem etwas «in den Kopf gestiegen» sei, wenn man ihn als «eingebildet» empfindet. Einbildungen gehörten allgemein zu den wichtigsten psychi- schen Erscheinungen der Hypochondrie - man nannte diese daher auch «Grillenkrankheit». Eine geradezu zentrale Stellung nahmen Der scharlataneske Doktor von Kalabrien (ca. 17. Jh.) befreit seine Patienten durch che- miatrische Methoden von ihren Einbildungen in Kopf und Bauch: Würmer, Hasen, wis- senschaftliche und künstlerische Dinge, allerlei Mücken. 113
speziell die eigentlichen «Krankheitseinbildungen» ein. Damit sind wir eigentlich wieder bei van Helmonts Assoziation von Milz, Krankheit, Hypochondrie und Einbildung. Nur dass die hypo- chondrische Einbildung des 18. Jahrhunderts gegenüber derjenigen Helmonts gewaltig an Realitätswert eingebüsst hat. Sie ist nicht mehr die reale Ursache wirklicher körperlicher Veränderungen, sie ist bestenfalls noch ein unspezifisches Symptom einer körperlichen Störung von immer mehr verschwindender Bedeutung. So wurde die Hypochondrie im Laufe des 18. Jahrhunderts zur eigentlichen «eingebildeten Krankheit» im modernen Sinn. So ordnet Carl von Linné (1707-1778), Arzt und Pflanzensystematiker, der nicht nur die Blumen, sondern auch die Krankheiten klassifiziert hat, die Hy- pochondrie der Klasse , morbi mentales, Ordnung 2, morbi ima- ginarii zu und definiert sie als «imaginatio fati lethalis ex levi malo» 266 . Ein anderer Systematiker jener Zeit nannte die Hypo- chondrie ein Leiden, «wobey der Kranke aus... leichten Übeln, die er empfindet, sich einbildet, in würklicher Todesgefahr zu seyn» 267 . Am Ende des Jahrhunderts findet man als hypochondrisch bezeich- net: die «Einbildung eines gewissen Zustandes des Körpers, in dem sich der Kranke nicht befindet» 268 . Ein gewisser Realitätscharakter blieb der Hypochondrie aber zu- erkannt - sonst wäre sie ja nichts gewesen, und vor allem nichts, womit der Arzt sich beschäftigt hätte. Die Realität, die man ihr zu- gestand, war entweder die eines Symptoms - das sich von einem realen körperlichen Leiden ableitet - oder dann eine psychologi- sche Realität. «Die hypochondrische Krankheit eine Einbildung zu nennen, ist Unwissenheit und Grausamkeit», schreibt 1766 der englische Naturforscher John Hill (1716-177 ). «Es ist eine wirkli- che und betrübte Krankheit: eine Verstopfung der Milz, welche von verdicktem unordentlichem Blute entstehet, und sich oft bis in die Leber und andere Theile ausbreitet» 269 . Ulrich Bilguer (1720- 1796) führt die hypochondrische Verrücktheit 1767 auf eine «im Unterleibe liegende gallichte Materie» zurück, welche «die Werk- statt der Ideen belästiget» 270 . Und John Gregory (1724-1773) schreibt über die Hypochonder, die er nun Nervenkranke nennt: «Ob- gleich die Furcht dieser Patienten gemeiniglich ohne Grund ist, so 114
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Auch Einbildungen, fixe Ideen, Spleens, Grillen entstanden vor-<br />
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ja heute noch davon, dass jemandem etwas «in den Kopf gestiegen»<br />
sei, wenn man ihn als «eingebildet» empfindet.<br />
Einbildungen gehörten allgemein zu den wichtigsten psychi-<br />
schen Erscheinungen der Hypochondrie - man nannte diese daher<br />
auch «Grillenkrankheit». Eine geradezu zentrale Stellung nahmen<br />
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