Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger

Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger Krankheit Frau - Esther Fischer-Homberger

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21.07.2013 Aufrufe

Tauglichkeit als Virginitätszeichen zweifelt. Die Erfahrung wider- spreche den Gegnern des Hymens, soll er gesagt haben, «und ich selbst bewahre ein Hymen von einer Jungfer von 4 Jahren ...» Und: man könne «sicher im allgemeinen die Gegenwart des Hy- mens als ein Zeichen der Jungferschaft gelten lassen» 242 . Diese An- sicht hat sich im weiteren Verlauf des Jahrhunderts dann durchge- setzt, und gegen Ende des Jahrhunderts findet man in Joseph Jakob Plenks (1738-1807) durchaus unoriginellem Kompendium der gerichtlichen Medizin (1782) den Zustand des Jungfernhäutchens ganz einfach als das Hauptkennzeichen der unverletzten bezie- hungsweise verletzten Jungfrauschaft deklariert 243 . Damit konnte sich nun aber doch - und sei es nur des histori- schen Interesses wegen - die Frage erheben, ob denn die medizini- sche Wissenschaft nun auf die Virginitätsdiagnostik der alten Heb- ammen gekommen sei, und ob nun die Hebammen rückwirkend rehabilitiert werden müssten? Es ist wohl kein barer Zufall, dass sich gerade Morgagni der Beantwortung dieser Frage angenommen hat. 1763 244 hat er - in seinem und seiner Kollegen Namen, wie es heisst - ein Gutachten verfasst über die Frage, ob die Beurteilung der Virginität den Hebammen zu überlassen sei 24 . Und hier wird nun nochmals über «Hebammen und Hymen» gesprochen. Die Zeichen der Jungfernschaft sind unsicher, beginnt der Autor, das bezeugten die Doktoren von jeher. Wenn aber die Doktoren in dieser Sache unsicher sind, wieviel weniger werden die Hebam- men, die über keine Doktrin und keine Anatomie verfügen, da zu- ständig sein? Immerhin gibt es zwei Zeichen, die auf Virginität hinweisen können: die Enge beim Orificium vaginae und die Membran, die Hymen genannt wird. Die Enge kann sich spontan oder durch Krankheit wieder herstellen oder durch die Bosheit der Frauen si- muliert werden - nach Michael Alberti können Frauen ihre Vagina auch durch einen speziellen Muskel so zusammenziehen, dass eine jungfräuliche Enge resultiert. Der Hymen kann als Virginitätszeichen ebenfalls täuschen. Doch zuerst muss gesagt werden, was überhaupt ein Hymen ist und was nicht. Denn es ist nicht mit den Hebammen zu irren und als Hy- 103

men zu betrachten, was Paré als widernatürliche Verschliessung nachgewiesen hat, weshalb auch viele andere Autoren dieses Ge- bilde als widernatürlich und sehr selten beschrieben haben. Eigent- lich hätten die Hebammen, die sich mit ihrer Erfahrung in Jung- fernschaftssachen so sehr brüsten, diesen Irrtum am ersten fallenlas- sen sollen -, doch sie haben im Gegenteil, wie wiederum Paré be- zeugt, versichert, sie könnten anhand dieser Membran mit Gewiss- heit eine Jungfrau von einer Angetasteten unterscheiden. Wenn aber die Pariser Hebammen, die doch als einigermassen fachkundig gelten, in diesen Irrtum fallen, wieviel mehr ist von unseren Heb- ammen zu befürchten. Wie ja auch Schurig (Martin Schurig, 16 6- 1733, ein berühmter gynäkologisch-geburtshilflich-embryologi- scher Kompilator) schreibe, früher seien die Hebammen gelehrte und fachkundige Frauenärztinnen gewesen, während sie heute nur noch zum Nabelabschneiden und zum Auffangen des Neugebore- nen taugten. Deshalb auch übertrüge ihnen der Magistrat nie mehr die Besichtigung und Begutachtung von Frauen, die Hebamme werde lediglich noch als Helferin des Arztes gebraucht. Wenn wir die Berichte unserer Hebammen lesen, fährt Morgagni fort, ist es verwunderlich, was da an monströsen und wunderbaren Dingen steht über ein Jungfernhäutchen, über die Kohärenz der Teile und was sie sonst alles gefunden haben wollen. Und wenn man sie dann fragt, was sie meinten, wissen sie entweder nichts oder etwas ganz falsches zu antworten. Denn sie kennen die Litera- tur nicht. Sie kennen Pineaus Werk nicht, und wenn sie’s sähen, würden sie’s nicht verstehen, denn auch er irrt insofern, als er die Überreste des Hymens, die Carunculae, als Virginitätszeichen be- trachtet. Abgesehen von diesen fälschlicherweise als Hymen bezeichneten seltenen Missbildungen - gibt es nicht vielleicht doch ein Gebilde, das zu recht als Hymen bezeichnet wird? Gewiss, nämlich immer an demselben Ort, im Eingang der Vagina, findet man eine Dupli- catur der Scheidenwand, die etwas ringförmig so gelegen ist, dass ein Foramen freibleibt. Die besten Anatomen haben dieses Gebilde beschrieben - es folgt auch hier reichliches Autoritätenmaterial. Wieso aber haben so viele andere hochgelehrte Männer den Hy- 104

men zu betrachten, was Paré als widernatürliche Verschliessung<br />

nachgewiesen hat, weshalb auch viele andere Autoren dieses Ge-<br />

bilde als widernatürlich und sehr selten beschrieben haben. Eigent-<br />

lich hätten die Hebammen, die sich mit ihrer Erfahrung in Jung-<br />

fernschaftssachen so sehr brüsten, diesen Irrtum am ersten fallenlas-<br />

sen sollen -, doch sie haben im Gegenteil, wie wiederum Paré be-<br />

zeugt, versichert, sie könnten anhand dieser Membran mit Gewiss-<br />

heit eine Jungfrau von einer Angetasteten unterscheiden. Wenn<br />

aber die Pariser Hebammen, die doch als einigermassen fachkundig<br />

gelten, in diesen Irrtum fallen, wieviel mehr ist von unseren Heb-<br />

ammen zu befürchten. Wie ja auch Schurig (Martin Schurig, 16 6-<br />

1733, ein berühmter gynäkologisch-geburtshilflich-embryologi-<br />

scher Kompilator) schreibe, früher seien die Hebammen gelehrte<br />

und fachkundige <strong>Frau</strong>enärztinnen gewesen, während sie heute nur<br />

noch zum Nabelabschneiden und zum Auffangen des Neugebore-<br />

nen taugten. Deshalb auch übertrüge ihnen der Magistrat nie mehr<br />

die Besichtigung und Begutachtung von <strong>Frau</strong>en, die Hebamme<br />

werde lediglich noch als Helferin des Arztes gebraucht.<br />

Wenn wir die Berichte unserer Hebammen lesen, fährt Morgagni<br />

fort, ist es verwunderlich, was da an monströsen und wunderbaren<br />

Dingen steht über ein Jungfernhäutchen, über die Kohärenz der<br />

Teile und was sie sonst alles gefunden haben wollen. Und wenn<br />

man sie dann fragt, was sie meinten, wissen sie entweder nichts<br />

oder etwas ganz falsches zu antworten. Denn sie kennen die Litera-<br />

tur nicht. Sie kennen Pineaus Werk nicht, und wenn sie’s sähen,<br />

würden sie’s nicht verstehen, denn auch er irrt insofern, als er die<br />

Überreste des Hymens, die Carunculae, als Virginitätszeichen be-<br />

trachtet.<br />

Abgesehen von diesen fälschlicherweise als Hymen bezeichneten<br />

seltenen Missbildungen - gibt es nicht vielleicht doch ein Gebilde,<br />

das zu recht als Hymen bezeichnet wird? Gewiss, nämlich immer<br />

an demselben Ort, im Eingang der Vagina, findet man eine Dupli-<br />

catur der Scheidenwand, die etwas ringförmig so gelegen ist, dass<br />

ein Foramen freibleibt. Die besten Anatomen haben dieses Gebilde<br />

beschrieben - es folgt auch hier reichliches Autoritätenmaterial.<br />

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