DING UND EVIDENZ: DER VERSTANDESBEGRIFF UND DIE ...

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— 272 — Möglichkeit von Kategorien a priori steht und fällt: Wie kann ich mich der Gewißheit der Geltung der Kategorien versichern, wenn ich offensichtlich keine Möglichkeit eines Vergleiches ihrer Anwendung auf einen unzweifelhaft in seinem Sosein gegebenen Gegenstand besitze, von welchem ich ausgehen kann? Eben die damit verbundenen Fragen bestimmen auch den Gang der vorliegenden Untersuchung. So ist schon der Überlegung Kants bei aller Schwierigkeit nicht zu widersprechen, daß auch in der Geometrie von Erkenntnis nicht ohne empirische Erfahrung die Rede sein kann. Objektive Geltung der Geometrie scheint demnach an die Bedingung der selben Möglichkeit wie Erfahrung überhaupt gebunden zu sein, welche die Möglichkeit, den Begriffen Gegenstände objektiver Realität zu geben, ist. Das bedeutet nun nichts anderes, als die objektive Geltung der Geometrie vom Ursprung der Begriffe der Substanz und Ursache abhängig zu machen. Gleich im Anschluß an das obige Zitat wird der Raum, eben nicht als Gegenstand der Geometrie, dem Stoff äußerer Erfahrung vorausgesetzt: »Ob wir daher gleich vom Raume überhaupt, oder den Gestalten, welche die produktive Einbildungskraft im ihm verzeichnet, so vieles a priori in synthetischen Urteilen erkennen, so, daß wir wirklich hierzu gar keiner Erfahrung bedürfen; so würde doch dieses Erkenntnis gar nichts, sondern die Beschäftigung mit einem bloßen Hirngespinst sein, wäre der Raum nicht als Bedingung der Erscheinungen, welche den Stoff zur äußeren Erfahrung ausmachen, anzusehen: daher sich jene reinen synthetischen Urteile, obzwar nur mittelbar, auf mögliche Erfahrung, oder vielmehr auf dieser Möglichkeit selbst beziehen, und darauf allein die objektive Gültigkeit ihrer Synthesis gründen.« 3 Im letzten Satz unterscheidet Kant die mögliche Erfahrung von deren Möglichkeit selbst; die reinen synthetischen Urteile können sich auf beide beziehen. Nun ist genau auf die Bedeutung der verwendeten Begriffe zu achten: In den ersten Erklärungen zum synthetischen Urteil a priori (so etwa in der Dritten metaphysischen Erörterung des Raumes in der transzendentalen Ästhetik) 4 demonstriert Kant das synthetische Urteil a priori nicht anhand des Überganges vom philosophischen Begriff 5 einer 3 B 196/A 157 4 § 2, B 39/A 25. Von den Gegenden im Raume, Prolegomena, § 13. 5 Vgl. Kants Unterscheidung in der Methodenlehre von Philosophie (exponieren) und Mathematik (definieren).

— 273 — geometrischen Figur zum geometrischen Urteil in der Darstellung der inneren Verhältnisse ihres Konstruktionsbegriffs in der Konstruktion, sondern im Übergang von demselben zu seinen Folgen in der reinen Anschauung. Daß im zweiten gegebenen Zitat nicht gleich die transzendentalen Sätze der Geometrie 6 oder das synthetische Urteil a priori, das aus der reinen Anschauung erschlossen wird, aber eben auch nicht die Synthesis der formalen Anschauung in der transzendentalen Apprehension, sondern eben die »reinen synthetischen Urteile« auf die Demonstration einfacher geometrischer Sätze in der Konstruktion zu beziehen sein sollten, kann nun ohne weiteres begründet werden. Dazu ist nur zu klären, worauf Kant mit der Unterscheidung in mögliche Erfahrung und deren Möglichkeit selbst eigentlich hinweisen wollte. Meines Erachtens ist der Ausdruck »mögliche Erfahrung« nichts anderes als eine Bezeichnung für die reine Anschauung, die darauf verweist, daß, wie Kant im Zitat einen Satz zuvor schreibt, wir für die (geometrischen) synthetischen Urteile a priori selbst zwar keinerlei empirische Erfahrung benötigen, aber ohne äußere Erfahrung diese Erkenntnis nur die Beschäftigung mit Hirngespinsten sei. 7 Dahinter steht die Überzeugung Kants, daß die, die Erscheinungen konstituierenden Kategorien mit den »mathematischen« Kategorien völlig zur Deckung zu bringen sind; das ist für Kant gleichbedeutend damit, daß alle Anschauung unter den Gesetzen euklidischer Geometrie stehen sollten. Insofern ist die reine Anschauung geometrischer Verhältnisse ganz korrekt als »mögliche Anschauung« zu bezeichnen. Diese Bezeichnung spricht nun deutlich für die Auffassung, unter dem Ausdruck »reine synthetische Urteile« seien eben bereits die geometrischen Sätze der Konstruktion und nicht eigens transzendentale 6 »Es gibt aber reine Grundsätze a priori, die ich gleichwohl doch nicht dem reinen Verstande eigentümlich beimessen möchte, darum, weil sie nicht aus reinen Begriffen, sondern aus reinen Anschauungen (obgleich vermittelst des Verstandes) gezogen sind; Verstand ist aber das Vermögen der Begriffe. Die Mathematik hat dergleichen, aber ihre Anwendung auf Erfahrung, mithin ihre objektive Gültigkeit, ja die Möglichkeit solcher synthetischer Erkenntnis a priori (die Deduktion derselben) beruht doch immer auf dem reinen Verstande. Daher werde ich unter meine Grundsätze die der Mathematik nicht mitzählen, aber wohl diejenigen, worauf sich dieser ihre Möglichkeit und objektive Möglichkeit a priori gründet, und die mithin als Principium dieser Grundsätze anzusehen sind, und von Begriffen zur Anschauung, nicht aber von der Anschauung zu Begriffen gehen.« (A 159 f./B 198 f.). 7 Wie im § 22 (B 147) der transzendentalen Deduktion ausgeführt, vgl. auch B 196 (Anmk.1)

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Möglichkeit von Kategorien a priori steht und fällt: Wie kann ich mich der<br />

Gewißheit der Geltung der Kategorien versichern, wenn ich offensichtlich<br />

keine Möglichkeit eines Vergleiches ihrer Anwendung auf einen<br />

unzweifelhaft in seinem Sosein gegebenen Gegenstand besitze, von<br />

welchem ich ausgehen kann? Eben die damit verbundenen Fragen<br />

bestimmen auch den Gang der vorliegenden Untersuchung. So ist schon<br />

der Überlegung Kants bei aller Schwierigkeit nicht zu widersprechen, daß<br />

auch in der Geometrie von Erkenntnis nicht ohne empirische Erfahrung<br />

die Rede sein kann. Objektive Geltung der Geometrie scheint demnach an<br />

die Bedingung der selben Möglichkeit wie Erfahrung überhaupt gebunden<br />

zu sein, welche die Möglichkeit, den Begriffen Gegenstände objektiver<br />

Realität zu geben, ist. Das bedeutet nun nichts anderes, als die objektive<br />

Geltung der Geometrie vom Ursprung der Begriffe der Substanz und<br />

Ursache abhängig zu machen. Gleich im Anschluß an das obige Zitat wird<br />

der Raum, eben nicht als Gegenstand der Geometrie, dem Stoff äußerer<br />

Erfahrung vorausgesetzt:<br />

»Ob wir daher gleich vom Raume überhaupt, oder den Gestalten, welche<br />

die produktive Einbildungskraft im ihm verzeichnet, so vieles a priori in<br />

synthetischen Urteilen erkennen, so, daß wir wirklich hierzu gar keiner<br />

Erfahrung bedürfen; so würde doch dieses Erkenntnis gar nichts, sondern<br />

die Beschäftigung mit einem bloßen Hirngespinst sein, wäre der Raum<br />

nicht als Bedingung der Erscheinungen, welche den Stoff zur äußeren<br />

Erfahrung ausmachen, anzusehen: daher sich jene reinen synthetischen<br />

Urteile, obzwar nur mittelbar, auf mögliche Erfahrung, oder vielmehr auf<br />

dieser Möglichkeit selbst beziehen, und darauf allein die objektive<br />

Gültigkeit ihrer Synthesis gründen.« 3<br />

Im letzten Satz unterscheidet Kant die mögliche Erfahrung von deren<br />

Möglichkeit selbst; die reinen synthetischen Urteile können sich auf beide<br />

beziehen. Nun ist genau auf die Bedeutung der verwendeten Begriffe zu<br />

achten: In den ersten Erklärungen zum synthetischen Urteil a priori (so<br />

etwa in der Dritten metaphysischen Erörterung des Raumes in der<br />

transzendentalen Ästhetik) 4 demonstriert Kant das synthetische Urteil a<br />

priori nicht anhand des Überganges vom philosophischen Begriff 5 einer<br />

3 B 196/A 157<br />

4 § 2, B 39/A 25. Von den Gegenden im Raume, Prolegomena, § 13.<br />

5 Vgl. Kants Unterscheidung in der Methodenlehre von Philosophie (exponieren) und<br />

Mathematik (definieren).

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