DING UND EVIDENZ: DER VERSTANDESBEGRIFF UND DIE ...

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— 300 — Im ersten Fall bestimmt die Sinnlichkeit die Grenze des Verstandes, im zweiten Fall bestimmt die transzendentale Ästhetik »die Grenzen des Gebrauchs der reinen Form unserer sinnlichen Anschauung«. Demnach bestimmt die transzendentale Ästhetik nicht selbst »die reine Form unserer sinnlichen Anschauung«; dazu sind zwei Fragen zu stellen: erstens, von woher nimmt die transzendentale Ästhetik ihre Gründe; zweitens, woher nimmt die »reine Form« ihre Gründe? Ersteres ist kaum zu beantworten; jedenfalls kann von hier aus nur auf die metaphysischen Erörterungen des Raumes verwiesen werden. Zweiteres ist zur Beantwortung einfach entweder auf die transzendentale Psychologie zwischen rationaler Psychologie und rationaler Physiologie oder auf den Übergang von transzendentaler Subsumtion, welche eine analytisch metaphyische Interpretation entlang des Leitfadens der Prädikatenlogik besitzt, zum transzendentalen Schematismus, welche eine synthetisch (teils transzendental a priori, teils synthetisch-metaphysisch a posteriori) metaphysische Interpretation entlang des Leitfadens der Aussagenlogik zu verweisen. Jedoch ist komplementär zu bedenken: Die auf die »reine Form« unserer sinnlichen Anschauung eingeschränkte Wahrnehmungs- Vorstellungs- und und Erscheinungsreihe, worauf Erfahrung ausschließlich beruht, schränkt nunmehr den Gebrauch des Verstandesbegriffes vom Gegenstand ein, während die möglichen Verwendungen von »Anschauung« dank des psychologischen Kunstgriffes in § 1 der transzendentalen Ästhetik, »reine Sinnlichkeit« der »reinen Anschauung« vorauszusetzen, durch den Hinweis auf die Sinnlichkeit der Anschauung allein (ohne Hinweis auf die Empfindung) nicht mehr auf empirische Anschauung einzuschränken sind. Darüber hinaus schreibt Kant in § 23noch: »Die reinen Verstandesbegriffe sind von dieser Einschränkung frei, und erstrecken sich auf Gegenstände der Anschauung überhaupt, sie mag der unsrigen ähnlich sein oder nicht, wenn sie nur sinnlich und nicht intellektuell ist. Diese weitere Ausdehnung der Begriffe über unsere sinnliche Anschauung hinaus, hilft uns aber zu nichts. Denn es sind alsdenn leere Begriffe von Objekten, von denen, ob sie nur einmal möglich sind oder nicht, wir durch jene gar nicht urteilen können [...].« 60 Kant vermag sich also verschiedene »Sinnlichkeiten«, zunächst womöglich auch verschiedene Formen der Anschauung, vorzustellen, denen alle 60 l. c.

— 301 — gemeinsam ist, sinnlich, d. i. empfindend, zu sein. Damit unterscheidet Kant die »reine Anschauung« von diesen Variationen »empirischer« Anschauungformen, die, obwohl jeweils auch qualitativ verschieden, aufgrund der »formalen Anschauung« eine einheitliche Grundlage besitzen, weil diese nach den primitiven Regel der Beharrlichkeit in der Apprehension der Erscheinung und in weiterer Folge mit der logischen Regel der Sukzession vom Verstand zu bestimmen sind. Kant setzt auch die Folgen der Schematen der konstitutiven Kategorie einer anthropologischen Einschränkung aus: Einem Objekt keine Anschauung geben zu können, könnte auch heißen, daß die unsrige nicht für ihn gelte. 61 Für reine Anschauung scheint das jedoch nach dem vorhin Gesagten nicht zwingend zu gelten. — Kant wechselt in der Überschrift des § 22 62 von den »Gegenständen der Erfahrung« zu den »Gegenständen der Sinne überhaupt« in der Überschrift des § 24 63 . Man darf vermuten, daß Kant damit für den Fortgang seiner Überlegung die empirisch-anthropologische Einschränkung für die Verstandesbegriffe wieder zurücknehmen wollte. In § 24 wird ausdrücklich gesagt: »Die reinen Verstandesbegriffe beziehen sich durch den bloßen Verstand auf Gegenstände der Anschauung überhaupt, unbestimmt ob sie die unsrige oder irgend eine andere, doch sinnliche sei, [...].« 64 Kant unterscheidet aber nicht nur unsere Sinnlichkeit von anderen denkbaren Sinnlichkeiten, sondern unseren Verstand vom göttlichen Verstand: »Weil nun der Verstand in uns Menschen selbst kein Vermögen der Anschauungen ist, und diese, wenn sie auch in der Sinnlichkeit gegeben wäre, doch nicht in sich aufnehmen kann, um gleichsam das Mannigfaltige seiner eigenen Anschauung zu verbinden, so ist seine Synthesis, wenn er für sich allein betrachtet wird, nichts anderes, als die Einheit der Handlung, deren er sich, als einer solchen, auch ohne Sinnlichkeit bewußt ist, durch die er aber selbst die Sinnlichkeit innerlich in Ansehung des Mannigfaltigen, was der Form ihrer Anschauung nach ihm gegeben werden mag, zu bestimmen vermögend ist.« 65 »Denn, wollte ich mir einen Verstand denken, der selbst anschauete (wie etwa einen göttlichen, der nicht gegebene Gegenstände sich vorstellete, sondern durch dessen Vorstellung die Gegenstände selbst zugleich 61 l. c. 62 Die Kategorie hat keinen Gebrauch zum Erkenntnisse der Dinge, als ihre Anwendung auf Gegenstände der Erfahrung 63 Von der Anwendung der Kategorien auf Gegenstände der Sinne überhaupt. 64 B 150, Herv. v. Verf. 65 B 153

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Im ersten Fall bestimmt die Sinnlichkeit die Grenze des Verstandes, im<br />

zweiten Fall bestimmt die transzendentale Ästhetik »die Grenzen des<br />

Gebrauchs der reinen Form unserer sinnlichen Anschauung«. Demnach<br />

bestimmt die transzendentale Ästhetik nicht selbst »die reine Form unserer<br />

sinnlichen Anschauung«; dazu sind zwei Fragen zu stellen: erstens, von<br />

woher nimmt die transzendentale Ästhetik ihre Gründe; zweitens, woher<br />

nimmt die »reine Form« ihre Gründe? Ersteres ist kaum zu beantworten;<br />

jedenfalls kann von hier aus nur auf die metaphysischen Erörterungen des<br />

Raumes verwiesen werden. Zweiteres ist zur Beantwortung einfach<br />

entweder auf die transzendentale Psychologie zwischen rationaler<br />

Psychologie und rationaler Physiologie oder auf den Übergang von<br />

transzendentaler Subsumtion, welche eine analytisch metaphyische<br />

Interpretation entlang des Leitfadens der Prädikatenlogik besitzt, zum<br />

transzendentalen Schematismus, welche eine synthetisch (teils<br />

transzendental a priori, teils synthetisch-metaphysisch a posteriori)<br />

metaphysische Interpretation entlang des Leitfadens der Aussagenlogik zu<br />

verweisen. Jedoch ist komplementär zu bedenken: Die auf die »reine<br />

Form« unserer sinnlichen Anschauung eingeschränkte Wahrnehmungs-<br />

Vorstellungs- und und Erscheinungsreihe, worauf Erfahrung<br />

ausschließlich beruht, schränkt nunmehr den Gebrauch des<br />

Verstandesbegriffes vom Gegenstand ein, während die möglichen<br />

Verwendungen von »Anschauung« dank des psychologischen<br />

Kunstgriffes in § 1 der transzendentalen Ästhetik, »reine Sinnlichkeit« der<br />

»reinen Anschauung« vorauszusetzen, durch den Hinweis auf die<br />

Sinnlichkeit der Anschauung allein (ohne Hinweis auf die Empfindung)<br />

nicht mehr auf empirische Anschauung einzuschränken sind. Darüber<br />

hinaus schreibt Kant in § 23noch: »Die reinen Verstandesbegriffe sind von<br />

dieser Einschränkung frei, und erstrecken sich auf Gegenstände der<br />

Anschauung überhaupt, sie mag der unsrigen ähnlich sein oder nicht,<br />

wenn sie nur sinnlich und nicht intellektuell ist. Diese weitere<br />

Ausdehnung der Begriffe über unsere sinnliche Anschauung hinaus, hilft<br />

uns aber zu nichts. Denn es sind alsdenn leere Begriffe von Objekten, von<br />

denen, ob sie nur einmal möglich sind oder nicht, wir durch jene gar nicht<br />

urteilen können [...].« 60<br />

Kant vermag sich also verschiedene »Sinnlichkeiten«, zunächst womöglich<br />

auch verschiedene Formen der Anschauung, vorzustellen, denen alle<br />

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