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DING UND EVIDENZ: DER VERSTANDESBEGRIFF UND DIE ...

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Dritter Abschnitt<br />

<strong>DING</strong> <strong>UND</strong> <strong>EVIDENZ</strong>:<br />

<strong>DER</strong> <strong>VERSTANDESBEGRIFF</strong> <strong>UND</strong> <strong>DIE</strong> SCHEMATEN<br />

<strong>DER</strong> EINBILDUNGSKRAFT IM ÜBERGANG VON<br />

METAPHYSISCHER ZU TRANSZENDENTALER<br />

DEDUKTION


— 270 —


— 271 —<br />

1. Anschauung, Vorstellung, Begriff<br />

§ 1 Die synthetischen Urteile a priori in der Geometrie<br />

Die Figuren der Geometrie sind zweifellos Vorstellungen, die mögliche<br />

Anschauung beinhalten, zugleich ist ihre Subsumierbarkeit unter genau<br />

bekannten Regeln unbestritten; so sind die Figuren der Geometrie ein<br />

ausgezeichneter Ausgangspunkt, die Untersuchung einer Vorstellung<br />

überhaupt in Beziehung auf den Verstand zu beginnen. Im Obersten<br />

Grundsatz aller synthetischen Urteile findet sich nun eine Überlegung, aus<br />

der nicht nur die Vorausgesetztheit des Raumes, sondern noch die der<br />

dynamischen Kategorien als die Bedingung aller Erfahrung und objektiver<br />

Gültigkeit zu entwickeln ist. Das Zitat beginnt mit der allgemeinsten<br />

Bedingung für Erfahrung oder, was gleichbedeutend ist, für alle<br />

synthetischen Urteile:<br />

»Die Erfahrung hat also Prinzipien ihrer Form a priori zum Grunde liegen,<br />

nämlich allgemeine Regeln der Einheit in der Synthesis der Erscheinungen,<br />

deren objektive Realität, als notwendige Bedingungen, jederzeit in der<br />

Erfahrung, ja so gar ihrer Möglichkeit erwiesen werden kann. Außer dieser<br />

Beziehung aber sind synthetische Sätze a priori gänzlich unmöglich, weil<br />

sie kein Drittes, nämlich reinen Gegenstand haben, an dem die<br />

synthetische Einheit ihrer Begriffe objektive Realität dartun könnte.« 1<br />

Die Hervorhebung stammt von mir, sie soll darauf hinweisen, daß in AA<br />

III, 2 welche die Lesarten der fünf Originalausgaben von Hartknoch angibt,<br />

an der Stelle von reinen von Kant auch keinen (Gegenstand) verwendet<br />

wird. Man wird nicht fehl gehen, wenn man sich zunächst daran hält, Kant<br />

wollte eigentlich sagen: Außer der Bedingung der Möglichkeit von<br />

Erfahrung seien synthetische Sätze a priori unmöglich, weil sie keinen<br />

Gegenstand haben, an dem die synthetische Einheit ihrer Begriffe objektive<br />

Realität dartun könnte. Weshalb schließlich vorgezogen wurde, den<br />

Ausdruck vom »reinen« Gegenstand zu verwenden, und inwieweit dies<br />

noch von Kant selbst so entschieden wurde, entzieht sich meiner Kenntnis,<br />

doch ist offensichtlich damit ein Problem angesprochen, mit dem die<br />

1 K.r.V., B 195/A 156<br />

2 Kant’s gesammelte Schriften. Herausgegeben von der Königlich Preußischen<br />

Akademie der Wissenschaften Band III. Erste Abteilung: Werke Dritter Band, Berlin<br />

1911


— 272 —<br />

Möglichkeit von Kategorien a priori steht und fällt: Wie kann ich mich der<br />

Gewißheit der Geltung der Kategorien versichern, wenn ich offensichtlich<br />

keine Möglichkeit eines Vergleiches ihrer Anwendung auf einen<br />

unzweifelhaft in seinem Sosein gegebenen Gegenstand besitze, von<br />

welchem ich ausgehen kann? Eben die damit verbundenen Fragen<br />

bestimmen auch den Gang der vorliegenden Untersuchung. So ist schon<br />

der Überlegung Kants bei aller Schwierigkeit nicht zu widersprechen, daß<br />

auch in der Geometrie von Erkenntnis nicht ohne empirische Erfahrung<br />

die Rede sein kann. Objektive Geltung der Geometrie scheint demnach an<br />

die Bedingung der selben Möglichkeit wie Erfahrung überhaupt gebunden<br />

zu sein, welche die Möglichkeit, den Begriffen Gegenstände objektiver<br />

Realität zu geben, ist. Das bedeutet nun nichts anderes, als die objektive<br />

Geltung der Geometrie vom Ursprung der Begriffe der Substanz und<br />

Ursache abhängig zu machen. Gleich im Anschluß an das obige Zitat wird<br />

der Raum, eben nicht als Gegenstand der Geometrie, dem Stoff äußerer<br />

Erfahrung vorausgesetzt:<br />

»Ob wir daher gleich vom Raume überhaupt, oder den Gestalten, welche<br />

die produktive Einbildungskraft im ihm verzeichnet, so vieles a priori in<br />

synthetischen Urteilen erkennen, so, daß wir wirklich hierzu gar keiner<br />

Erfahrung bedürfen; so würde doch dieses Erkenntnis gar nichts, sondern<br />

die Beschäftigung mit einem bloßen Hirngespinst sein, wäre der Raum<br />

nicht als Bedingung der Erscheinungen, welche den Stoff zur äußeren<br />

Erfahrung ausmachen, anzusehen: daher sich jene reinen synthetischen<br />

Urteile, obzwar nur mittelbar, auf mögliche Erfahrung, oder vielmehr auf<br />

dieser Möglichkeit selbst beziehen, und darauf allein die objektive<br />

Gültigkeit ihrer Synthesis gründen.« 3<br />

Im letzten Satz unterscheidet Kant die mögliche Erfahrung von deren<br />

Möglichkeit selbst; die reinen synthetischen Urteile können sich auf beide<br />

beziehen. Nun ist genau auf die Bedeutung der verwendeten Begriffe zu<br />

achten: In den ersten Erklärungen zum synthetischen Urteil a priori (so<br />

etwa in der Dritten metaphysischen Erörterung des Raumes in der<br />

transzendentalen Ästhetik) 4 demonstriert Kant das synthetische Urteil a<br />

priori nicht anhand des Überganges vom philosophischen Begriff 5 einer<br />

3 B 196/A 157<br />

4 § 2, B 39/A 25. Von den Gegenden im Raume, Prolegomena, § 13.<br />

5 Vgl. Kants Unterscheidung in der Methodenlehre von Philosophie (exponieren) und<br />

Mathematik (definieren).


— 273 —<br />

geometrischen Figur zum geometrischen Urteil in der Darstellung der<br />

inneren Verhältnisse ihres Konstruktionsbegriffs in der Konstruktion,<br />

sondern im Übergang von demselben zu seinen Folgen in der reinen<br />

Anschauung. Daß im zweiten gegebenen Zitat nicht gleich die<br />

transzendentalen Sätze der Geometrie 6 oder das synthetische Urteil a<br />

priori, das aus der reinen Anschauung erschlossen wird, aber eben auch<br />

nicht die Synthesis der formalen Anschauung in der transzendentalen<br />

Apprehension, sondern eben die »reinen synthetischen Urteile« auf die<br />

Demonstration einfacher geometrischer Sätze in der Konstruktion zu<br />

beziehen sein sollten, kann nun ohne weiteres begründet werden. Dazu ist<br />

nur zu klären, worauf Kant mit der Unterscheidung in mögliche Erfahrung<br />

und deren Möglichkeit selbst eigentlich hinweisen wollte. Meines<br />

Erachtens ist der Ausdruck »mögliche Erfahrung« nichts anderes als eine<br />

Bezeichnung für die reine Anschauung, die darauf verweist, daß, wie Kant<br />

im Zitat einen Satz zuvor schreibt, wir für die (geometrischen)<br />

synthetischen Urteile a priori selbst zwar keinerlei empirische Erfahrung<br />

benötigen, aber ohne äußere Erfahrung diese Erkenntnis nur die<br />

Beschäftigung mit Hirngespinsten sei. 7 Dahinter steht die Überzeugung<br />

Kants, daß die, die Erscheinungen konstituierenden Kategorien mit den<br />

»mathematischen« Kategorien völlig zur Deckung zu bringen sind; das ist<br />

für Kant gleichbedeutend damit, daß alle Anschauung unter den Gesetzen<br />

euklidischer Geometrie stehen sollten. Insofern ist die reine Anschauung<br />

geometrischer Verhältnisse ganz korrekt als »mögliche Anschauung« zu<br />

bezeichnen.<br />

Diese Bezeichnung spricht nun deutlich für die Auffassung, unter dem<br />

Ausdruck »reine synthetische Urteile« seien eben bereits die<br />

geometrischen Sätze der Konstruktion und nicht eigens transzendentale<br />

6 »Es gibt aber reine Grundsätze a priori, die ich gleichwohl doch nicht dem reinen<br />

Verstande eigentümlich beimessen möchte, darum, weil sie nicht aus reinen<br />

Begriffen, sondern aus reinen Anschauungen (obgleich vermittelst des Verstandes)<br />

gezogen sind; Verstand ist aber das Vermögen der Begriffe. Die Mathematik hat<br />

dergleichen, aber ihre Anwendung auf Erfahrung, mithin ihre objektive Gültigkeit, ja<br />

die Möglichkeit solcher synthetischer Erkenntnis a priori (die Deduktion derselben)<br />

beruht doch immer auf dem reinen Verstande.<br />

Daher werde ich unter meine Grundsätze die der Mathematik nicht mitzählen, aber<br />

wohl diejenigen, worauf sich dieser ihre Möglichkeit und objektive Möglichkeit a<br />

priori gründet, und die mithin als Principium dieser Grundsätze anzusehen sind,<br />

und von Begriffen zur Anschauung, nicht aber von der Anschauung zu Begriffen<br />

gehen.« (A 159 f./B 198 f.).<br />

7 Wie im § 22 (B 147) der transzendentalen Deduktion ausgeführt, vgl. auch B 196<br />

(Anmk.1)


— 274 —<br />

Sätze oder etwa analytische Sätze aus philosophischen Begriffen der<br />

Geometrie oder gar das synthetische Urteil a priori in der Geometrie zu<br />

verstehen, wie sie Kant ansonsten anführt. 8 Kant sagt nunmehr, daß sich<br />

die reinen synthetischen Urteile auf die mögliche Erfahrung, oder vielmehr<br />

auf diese Möglichkeit selbst, beziehen. Was ist nun unter der »Möglichkeit<br />

selbst« zu verstehen? Die »reinen synthetischen Urteile« können es nach<br />

der obigen Erörterung nach nicht sein, zumal auch diese »Möglichkeit<br />

selbst« es erst sein soll, was die objektive Gültigkeit ihrer Synthesis qua<br />

objektiver Realität begründet. Es handelt sich also um einen Begriff von<br />

Möglichkeit, der weder bloß auf die Möglichkeit der geometrischen<br />

Synthesis als Konstruktion zu beziehen ist noch einfach die Möglichkeit<br />

der reinen Anschauung, Teil der Erfahrung zu werden, bedeuten kann,<br />

sondern eben erst deren »Möglichkeit selbst« ist: Entweder der<br />

metaphysisch vorauszusetzende Raum, also nicht bloß als<br />

Anschauungsform, sondern als der, der erst die Bedingung der Materie<br />

der Erscheinungen ist; oder aber der Raum als Form der transzendentalen<br />

Ästhetik, in welcher allein sinnliche Erscheinungen gegeben werden<br />

können.<br />

Diese Unterscheidung in »mögliche Erfahrung« und die »Möglichkeit<br />

selbst« (aus B 196/A 157) ist schon in der transzendentalen Ästhetik (§ 3)<br />

Gegenstand einer näheren Erörterung des Verhältnisses eines Prinzips (die<br />

Möglichkeit selbst) und dessen Anwendung geworden: »Ich verstehe unter<br />

einer transzendentalen Erörterung die Erklärung eines Begriffes, als eines<br />

Prinzips, woraus die Möglichkeit anderer synthetischen Erkenntnisse a<br />

priori eingesehen werden kann.« 9 Die Erklärung eines Prinzips, woraus<br />

»die Möglichkeit anderer synthetischen Erkenntnisse a priori eingesehen<br />

werden kann«, hat nun eine Schwäche in der Formulierung aufzuweisen:<br />

es wird nicht klar, ob die »Möglichkeit anderer synthetischen<br />

Erkenntnisse« a priori eingesehen werden kann, oder ob die »Möglichkeit<br />

anderer synthetischen Erkenntnisse a priori« eingesehen werden kann.<br />

Diese Frage vermag nicht einfach entschieden werden, indem entweder<br />

die transzendentale Erörterung ein Prinzip zum Gegenstand hat, das die<br />

Möglichkeit synthetischer Urteile einsehen läßt, und zwar a priori, oder ein<br />

Prinzip zum Gegenstand hat, das die Möglichkeit synthetischer Urteile a<br />

8 Vergl. Prolegomena, § 13 oder die dritte metaphys. Erörterung des Raumes: Daß die<br />

zwei Katheten in einem Dreieck größer sind als die Hypotenuse ist ein synthetischer<br />

Satz, daß nur aus der Anschauung gewonnen werden kann.<br />

9 B 40


— 275 —<br />

priori einsehen läßt, dies ebenfalls a priori. Man sieht leicht, daß beides<br />

eine transzendentale Erörterung sein kann. — Im Kapitel »Von der<br />

transzendentalen Logik« ist zu lesen, »daß nicht jede Erkenntnis a priori,<br />

sondern nur die, dadurch wir erkennen, daß und wie gewisse<br />

Vorstellungen (Anschauungen oder Begriffe) lediglich a priori angewandt<br />

werden, oder möglich seien, transzendental (d. i. die Möglichkeit der<br />

Erkenntnis oder Gebrauch derselben a priori) heißen müsse.« 10<br />

Das ist deutlich als weitere Einschränkung zu verstehen und kann diese<br />

Stelle nicht mit der vorhergehenden einfach identifiziert werden. Die<br />

transzendentale Erörterung von Prinzipien, die die Möglichkeit anderer<br />

synthetischer Erkenntnisse a priori oder deren Verwendung a priori<br />

einsehen lassen kann, ist nun die Erörterung sowohl von Erkenntnissen a<br />

priori wie von transzendentalen Erkenntnissen a priori. Nach dieser<br />

Einteilung wäre auch die analytische Erörterung der Bedingung der<br />

Möglichkeit eine transzendentale Untersuchung. Zuvor (B 40) war das<br />

Kennzeichen der Transzendentalität der Erörterung aber noch die<br />

Möglichkeit anderer synthetischer Erkenntnisse (a priori). Hier (B 80) wird<br />

zwar präzisiert, daß nur jene Erkenntnisse transzendental heißen,<br />

»dadurch wir erkennen, daß und wie gewisse Vorstellungen<br />

(Anschauungen oder Begriffe) lediglich a priori angewandt werden, oder<br />

möglich seien«, es geht aber nicht mit letzter Klarheit daraus hervor, ob<br />

schon die »gewissen Vorstellungen (Anschauungen oder Begriffe)«<br />

synthetische Erkenntnisse genannt werden können, oder erst ihre<br />

Anwendung; schließlich aber doch dann wieder die Möglichkeit der<br />

»gewissen Vorstellungen (Anschauungen oder Begriffe)« als Prinzip selbst.<br />

Hier sticht die Abwandlung zur Anwendung als Grund von Synthesis zu<br />

sprechen hervor.<br />

»Daher ist weder der Raum, noch irgend eine geometrische Bestimmung<br />

derselben a priori eine transzendentale Vorstellung, sondern nur die<br />

Erkenntnis, daß diese Vorstellungen gar nicht empirischen Ursprungs<br />

seien [nicht auf die gleiche Weise empirisch wie die damit gemachten<br />

Erfahrungen]; und die Möglichkeit, wie sie sich gleichwohl a priori auf<br />

Gegenstände der Erfahrung beziehen könne, kann transzendental<br />

heißen.« 11<br />

10 B 80 f./A 56<br />

11 B 80 f./A 56


— 276 —<br />

Das bestätigt die vorangegangenen Unterscheidungen zwischen<br />

»möglicher Erfahrung« und »Möglichkeit selbst«; auch Raum und<br />

Geometrie sind nicht selbst transzendentale Erkenntnisse, sondern nur die<br />

Erkenntnis ihres Zustandekommens heißt transzendental. Gleichwohl soll<br />

auch der Begründungsversuch der Anwendbarkeit auf Gegenstände der<br />

Erfahrung transzendental heißen können. Ich halte es für entscheidend,<br />

daß Kant hier diesen Unterschied zwischen Möglichkeit als Ermöglichung<br />

und Möglichkeit als Anwendung aufrecht erhält.<br />

§ 2 Verstand und Anschauung<br />

Zur Klärung der transzendentalpsychologischen Voraussetzungen<br />

zwischen rationaler Psychologie und rationaler Physiologie des<br />

transzendentalen Subjekts bietet sich der Anfang des § 17 der<br />

transzendentalen Deduktion an: Dort wird die Möglichkeit aller<br />

Anschauung einmal als auf die Sinnlichkeit und einmal als auf den<br />

Verstand bezogen erklärt.<br />

»Der oberste Grundsatz der Möglichkeit aller Anschauung in Beziehung<br />

auf die Sinnlichkeit war laut der transzendentalen Ästhetik: daß alles<br />

Mannigfaltige derselben unter den formalen Bedingungen des Raumes<br />

und der Zeit stehe. Der oberste Grundsatz eben derselben in Beziehung auf<br />

den Verstand ist: daß alles Mannigfaltige der Anschauung unter<br />

Bedingungen der ursprünglich-synthetischen Einheit der<br />

Apperzeptionstehe°. Unter dem ersteren stehen alle mannigfaltige<br />

Vorstellungen der Anschauung, so fern sie uns gegeben werden, unter<br />

dem zweiten so fern sie in einem Bewußtsein müssen verbunden werden<br />

können [...].«<br />

°»Der Raum und die Zeit und alle Teile derselben sind Anschauungen,<br />

mithin einzelne Vorstellungen mit dem Mannigfaltigen, das sie in sich<br />

enthalten (siehe die transzendentale Ästhetik), mithin nicht bloße Begriffe,<br />

durch die eben dasselbe Bewußtsein, als in vielen Vorstellungen, sondern<br />

viel Vorstellungen als in einer, und deren Bewußtsein, enthalten, mithin<br />

als zusammengesetzt, folglich die Einheit des Bewußtseins, als synthetisch,


— 277 —<br />

aber doch ursprünglich angetroffen wird. Diese Einzelheit derselben ist<br />

wichtig in der Anwendung (siehe § 25)« 12<br />

Die Untersuchung der transzendentalen Ästhetik wie zum § 13 der<br />

Prolegomena haben gezeigt, daß die reinen »synthetischen Urteile a<br />

priori«, anders als in der Geometrie, hier nunmehr bloß die Regeln der<br />

Verbindung des gegebenen Mannigfaltigen in der Anschauung sein<br />

können, auch dann, wenn sie die Merkmale, die nur die Konstruktion der<br />

Figur ausmachen, enthalten und diese dann für sich gar nicht mehr<br />

beinhaltet als die vom Konstruktionsbegriff in die reine Anschauung<br />

hineingelegte Mannigfaltigkeit. Sie stehen demnach schon zwischen den<br />

Bedingungen der Einheit der Apperzeption als die eine Bedingung der<br />

Synthesis und der anderen Bedingung der Möglichkeit der Anschauung,<br />

der formalen Bedingung von Raum und Zeit. So ist im vorher gegebenen<br />

Zitat aus den Obersten Grundsätzen aller synthetischer Urteile<br />

offensichtlich die reine Anschauung den reinen synthetischen Urteilen<br />

gegenübergestanden, deren Verhältnisse nur insofern objektive Gültigkeit<br />

erhalten können, als daß sie Formen möglicher Erfahrung sind; noch mehr,<br />

schließlich sogar zur Konstitution der empirischen Anschauung<br />

vorauszusetzen sind. In § 17 steht aber transzendental-analytisch der<br />

»Möglichkeit selbst« nicht die reine, sondern die der reinen Anschauung<br />

vorausgesetzte formale Anschauung der Verbindung der Mannigfaltigkeit<br />

durch dem Verstand gegenüber. In der Anmerkung zum zweiten<br />

gegebenen Zitat aus dem § 17 gibt Kant anhand der Darstellung der Teile<br />

der Anschauungsform als Vorstellungen, die Mannigfaltiges, also »viel<br />

Vorstellungen als in einer« enthalten, einen Kommentar zu einer<br />

notorischen Schwierigkeit in der Bestimmung der Stellung von<br />

Anschauung und Vorstellung im Gang der Deduktion. Zunächst nochmals<br />

die Anmerkung: »Der Raum und die Zeit und alle Teile derselben sind<br />

Anschauungen, mithin einzelne Vorstellungen mit dem Mannigfaltigen,<br />

das sie in sich enthalten (siehe die transzendentale Ästhetik), mithin nicht<br />

bloße Begriffe, durch die eben dasselbe Bewußtsein, als in vielen<br />

Vorstellungen, sondern viel Vorstellungen als in einer, und deren<br />

Bewußtsein, enthalten, mithin als zusammengesetzt, folglich die Einheit<br />

des Bewußtseins, als synthetisch, aber doch ursprünglich angetroffen wird.<br />

Diese Einzelheit derselben ist wichtig in der Anwendung (siehe § 25)« 13<br />

12 B 136 f.<br />

13 B 136 f.


— 278 —<br />

Das Entscheidende dieser Anmerkung ist, wie die Unterscheidung von<br />

Begriff und Vorstellung getroffen wird. Dazu wird zuerst der Raum und<br />

die Zeit so wie deren Teile als Anschauung angesprochen. Das muß vor<br />

diesem Hintergrund gesehen werden, daß Raum und Zeit als<br />

Anschauungsform der Möglichkeit nach das totum bedeutet, als gegebene<br />

Anschauung aber immer nur ein Teil von Raum und Zeit sein kann. 14 Nur<br />

gegebene Anschauung kann sowohl Teil von Raum und Zeit wie auch<br />

Vorstellung sein. Daraus wird die Folgerung gezogen: Die Teile von Raum<br />

und Zeit sind Anschauungen und »mithin einzelne Vorstellungen«. Hier<br />

wird der Begriff der Vorstellung eindeutig anders verwendet als in der<br />

Erklärung im Abschnitt »Von den Ideen überhaupt«, 15 dort ist der Begriff<br />

der Vorstellung der Oberbegriff von Anschauung, Erscheinung und<br />

Begriff. Hier wird die Vorstellung dem Begriff gegenübergestellt. 16<br />

Diese Vorstellung enthält nun ihrerseits Mannigfaltiges. Kant folgert<br />

daraus weiters, daß diese Vorstellungen »mithin nicht bloße Begriffe,<br />

durch die eben dasselbe Bewußtsein, als in vielen Vorstellungen«, also<br />

identes Bewußtsein gegeben wird, sind, »sondern viel Vorstellungen als in<br />

einer, und deren Bewußtsein, enthalten«. Das Argument für die Einheit<br />

des Bewußtseins im Begriff ist nochmals die Identität des Bewußtseins in<br />

vielen Vorstellungen, wodurch diese eine Einheit bilden. Das Argument<br />

für die Einheit des Bewußtseins in dieser im spezifischen Sinn einer<br />

apprehendierten Erscheinung verwendeten Vorstellung ist, daß in dieser<br />

spezifischen Vorstellung viele Vorstellungen enthalten sind. Diese beiden<br />

Argumente sind aber nicht einfach symmetrisch angeordnet, sondern die<br />

vielen Vorstellungen in der Einheit bloßer Begriffe sind selbst weder in<br />

einem Begriff enthalten noch im Bewußtsein, wie eben die vielen<br />

Vorstellungen in der spezifisch gebrauchten Vorstellung als Teil von Raum<br />

und Zeit, also als Anschauung, sondern gehorchen nur der Regel im<br />

Begriff, alle diejenigen Vorstellungen, die den Merkmalen des Begriffes<br />

unterstehen, zu verknüpfen. Die Einheit des Begriffes liegt im Konzept der<br />

Zusammensetzung, in dem das selbe Bewußtsein jeweils als möglicher Teil<br />

14 Vierte metaphys.Erklärung (Totalität als Gegebenes) versus Widerlegung der<br />

Antinomien (Totalität nur als Idee der unendliche Progression zu denken möglich).<br />

Vgl. hiezu auch Heinrich 1986, p. 144 ff.<br />

15 K. r. V., B 376 f., wo Kant zwischen Perzeption, Empfindung, Erkenntnis (diese<br />

wieder zwischen Anschauung und Begriff) und bloßer Notion oder Idee<br />

unterscheidet.<br />

16 Diesem Begriff von einer Vorstellung, die selbst weder ein Begriff ist, noch einen<br />

solchen enthält, läßt sich bei Bolzano ein Komplement finden.◊


— 279 —<br />

einer jeden einzelnen möglichen Vorstellung des Schemas gewußt wird<br />

(vgl. § 16, Anmerkung zu B 133). 17 Demgegenüber wird diejenige<br />

Vorstellung, die Anschauung enthält und auf Erscheinungen angewandt<br />

werden kann, auf eine Weise charakterisiert, die zur Synthesis keinerlei<br />

Verstandesbegriffe benötigt, aber doch entweder deren Synthesis der<br />

Anschauung nach einem Schema analysierbar ist oder als Vorstellung eine<br />

Stelle in der Synthesis im Begriff (Rekognition) erhält. 18<br />

Offensichtlich wird die Vorstellung in beiden Fällen nicht auf gleiche<br />

Weise gebraucht: Während im Falle der spezifischen Verwendung von<br />

Vorstellung als Anschauung anzunehmen ist, daß die Teile dieser<br />

Vorstellungen als das Mannigfaltige, das als Anschauung gegeben ist,<br />

17 »Die analytische Einheit des Bewußtseins hängt allen gemeinsamen Begriffen, als<br />

solchen, an, z.B. wenn ich mir rot überhaupt denke, so stelle ich mir dadurch eine<br />

Beschaffenheit vor, die (als Merkmal) irgend woran angetroffen, oder mit anderen<br />

Vorstellungen verbunden sein kann; also nur vermöge einer vorausgedachten<br />

synthetischen Einheit kann ich mir die analytische vorstellen. Eine Vorstellung, die<br />

als verschiedenen gemein gedacht werden soll, wird als zu solchen gehörig<br />

angesehen, die außer ihr noch etwas Verschiedenes an sich haben, folglich muß sie in<br />

synthetischer Einheit mit anderen (wenn gleich nur möglichen Vorstellungen)<br />

vorher gedacht werden, ehe ich die analytische Einheit des Bewußtseins, welche sie<br />

zum conceptus communis macht, an ihr denken kann.« (K.r.V., B 133) Eine<br />

ausführliche Darstellung des hier angezogenen Problems habe ich in »Grund und<br />

Ganzes«: Die ursprüngliche Einheit der Apperzeption §§ 16-17« gegeben: Erst die<br />

Zusammensetzung (das Hinzusetzen einer Vorstellung zu einer anderen) ergibt die<br />

Möglichkeit, sowohl das Bewußtsein als Teil einer Vorstellung von etwas zu<br />

bezeichen wie, analog zum Beispiel der Vorstellung von Röte in der eben gegebenen<br />

Anmerkung, zu behaupten, daß in jeder Vorstellung von etwas das selbe Bewußtsein<br />

enthalten sei.<br />

18 Letzteres ist m. E. mit der Entwicklung des Begriffs einer Variablen in der<br />

mathematischen Logik in Zusammenhang zu bringen. Vgl. dazu Gottlob Frege, Sinn<br />

und Bedeutung, in: Funktion, Begriff, Bedeutung, Hrsg. von Günther Patzig, Götting<br />

4 1975; auch Bolzano, das »dies« und die »Unterlage« des Satzsubjekts, weiters: Satz<br />

und Satzform, in: Wissenschaftslehre. Versuch einer ausführlichen und größtenteils<br />

neuen Darstellung der Logik mit steter Rücksicht auf deren bisherigen Bearbeiter,<br />

Sulzbach 1837, §§ 48-53. Vgl. weiters das Imprädikativ bei Kurt Gödel, Russells<br />

mathematische Logik, (Erstveröffentlichung in: The Philosophy of Bertrand Russell,<br />

hrsg. von Paul A. Schilpp, The Library of Living Philosophers, Evanston, III., New<br />

York: The Tudor Publishing Company 1944, S. 125-153) hinsichtlich der Nicht-<br />

Konstruierbarkeit von Existenz im Zusammenhang von Sinn und Bedeutung des<br />

Begriffes vom »Konzept«. Hier nach: Alfred North Withehead, Bertrand Russell,<br />

Principia Mathematica. Vorwort und Einleitungen übersetzt von Hans Mokre. Mit<br />

einem Beitrag von Kurt Gödel, Frankfurt am Main, Suhrkamp 1 1986, p. XVI f., aber<br />

auch p. XXVI: »In einem zweiten Sinn wird eine Proposition analytisch genannt,<br />

wenn sie hält „aufgrund des Sinnes der in ihr vorkommenden Konzepte“, wobei<br />

dieser Sinn vielleicht undefinierbar (d. h. irreduzibel auf etwas Grundlegenderes)<br />

sein kann.« Die dazu gehörige Fußnote stellt für diese zweite Bedeutung von<br />

»analytisch« auch die Möglichkeit, so viel wie »tautologisch« zu bedeuten, anheim.<br />

»Schema« der Konstruktion und »Stellung« im methodisch geregelten<br />

Untersuchungsgang ◊◊


— 280 —<br />

selbst wiederum Vorstellungen genau im gleichen Sinn sind, da abermals<br />

Mannigfaltiges enthaltend (zumindest der Möglichkeit nach), sind die<br />

vielen Vorstellungen, in denen dasselbe Bewußtsein jeweils ein Teil ist<br />

(Identität), schon als Begriff des Gegenstandes derselben, und zwar jeweils<br />

als Begriff und als Anschauung in der Vorstellung des Teilbegriffes als<br />

Ganzes der Vorstellung in Gebrauch. Weiters: Während die einzelne<br />

Vorstellung als Anschauung immer schon Einheit voraussetzt, in welcher<br />

das Mannigfaltige (weitere, viel Vorstellungen) und deren Bewußtsein<br />

enthalten ist, ist das Mannigfaltige der vielen Vorstellungen, in welchem<br />

jeweils das selbe Bewußtsein enthalten ist, durch bloße Begriffe zur Einheit<br />

erst verbunden. Nun kann aus der Anmerkung in § 16 auch erschlossen<br />

werden, was Kant hier unter »bloße Begriffe« eigentlich versteht: die<br />

reinen Kategorien anscheinend noch nicht, sondern zunächst nur die<br />

allgemeine logische Eigenschaft von Begriffen, aus vielen Vorstellungen<br />

eine Menge von Vorstellungen herauszustellen, die alle unter ein Merkmal<br />

fallen. Es handelt sich hier, will man weiter wie in der Anmerkung des § 16<br />

verfahren, genau um das gleiche Verfahren, wie man auch Gegenstände<br />

gemäß einer ihnen allen gemeinsamen Eigenschaft unter einen Begriff<br />

fallen lassen kann und nicht um das Problem, wie aus einer Menge vieler<br />

verschiedener Vorstellungen erst eine Einheit durch Synthesis gebildet<br />

werden kann. Genau das aber beansprucht Kant sowohl im Text von § 16<br />

wie in der Anmerkung zu § 17 auf verschiedene Weise. Diese Spannung ist<br />

auch im Text des § 17 zwischen den beiden Grundsätzen und im ganzen<br />

weiteren Verlauf der Untersuchung zu verzeichnen. 19<br />

Die formale Anschauung im ersten Grundsatz des § 17 wird eben selbst<br />

erst durch Apprehension und Reproduktion sukzessive durch<br />

Zusammensetzung erzeugt 20 (viel Vorstellungen als in einer), sodaß die<br />

einzelne Vorstellung als Teil von Raum und Zeit selbst nicht diejenige<br />

absolute Einheit ist, als welche sie eben ursprünglich derjenigen<br />

synthetischen Einheit, die durch bloße Begriffe im Begriff einer Menge von<br />

Vorstellungen verbunden wird, vorausgesetzt wurde. Die Anschauung<br />

behält aber auch dann, wenn sie ihre Ursprünglichkeit bezüglich der<br />

Einheit des Bewußtseins im Gang der Deduktion der reinen<br />

Verstandesbegriffe als Kategorien verliert, nach wie vor die Eigenschaft,<br />

beliebig weiter teilbar zu sein. Wie in der Anmerkung von § 17 wird die<br />

19 Brentanos semantische Interpretation des Roten und die Anmk. in § 16<br />

20 Vgl. auch die »Axiome der Anschauung«, K.r.V., B 202/A 162


— 281 —<br />

hier gemeinte ursprüngliche Zusammensetzung von Kant deshalb aber<br />

nicht durch bloße Begriffe vorgestellt, während man das sowohl dem § 16<br />

wie dem zweiten Grundsatz von § 17 entnehmen mußte, also z. B. hier in<br />

§ 17 der oberste Grundsatz der Möglichkeit aller Anschauung in<br />

Beziehung auf den Verstand darin besteht, daß alles Mannigfaltige der<br />

Anschauung unter der intellektuellen Bedingung der ursprünglichsynthetischen<br />

Einheit der Apperzeption stehe. Allerdings wird nach § 24<br />

letztenendes nicht die reine synthesis intellectualis sondern die<br />

transzendentale Funktion der Einbildungskraft in der ursprünglichsynthetischen<br />

Einheit der Apperzeption tätig, 21 worunter bereits die<br />

Vereinigung alles in einer Anschauung gegebene Mannigfaltige in einem<br />

Begriff vom Objekt 22 (und eben nicht in einem Begriff einer bloßen Menge)<br />

verstanden, und doch die Synthesis, ganz wie in der vorangegangenen<br />

Abhandlung, durch Begriffe bewerkstelligt wird. In § 16 ist aber gerade<br />

das das Thema: nämlich wie aus der Vorstellung, daß jede Erscheinung<br />

mit Bewußtsein begleitet wird, die Vorstellung wird, daß alle Vorstellung<br />

(als Erscheinungen) meine Vorstellungen sind; also auch die reine und<br />

nicht sinnliche Vorstellung, daß alle Vorstellungen die meinen sind. Dieser<br />

Untersuchungsgang ist zweifellos transzendentale Analytik, geht aber in<br />

die entgegengesetzte Richtung als die transzendentale Funktion der<br />

Einbildungskraft, und zwar um zwischen Apperzeption und inneren Sinn<br />

deutlich unterscheiden zu können. Die Vorstellung als Anschauung ist<br />

nicht nur durch die formale Bedingung von Raum und Zeit, sondern in<br />

§ 16 zuerst durch die ursprüngliche Einheit des Bewußtseins zur<br />

Vorstellung bestimmt; denn erst durch das Zusammensetzen des<br />

Mannigfaltigen der Anschauung soll sowohl die formale Anschauung, der<br />

Gegenstand wie hier insbesondere das Bewußtseins als Selbstbewußtsein,<br />

d. i. Bewußtsein der Identität des Bewußtseins, hergestellt werden, was<br />

dann im Satz »ich denke« ausgedrückt wird. M.a.W., die reinen<br />

Anschauungsformen wären demnach nicht die formalen Bedingungen der<br />

ursprünglichen Einheit des Bewußtseins selbst: Der Satz »Die Vorstellung,<br />

die vor allem Denken gegeben sein kann, heißt Anschauung« (§ 16)<br />

beansprucht die Anschauung nur hinsichtlich ihrer Eigenschaft,<br />

Mannigfaltiges zu geben. Nunmehr hat sich zeigt, daß die behandelte<br />

Anmerkung des § 17 eine ganz andere Pointe hat: die Einheit des<br />

Bewußtseins, die als synthetisch, aber doch ursprünglich, angetroffen<br />

21 K.r.V., § 24. B 151<br />

22 § 18, B 139 und § 24, B 154


— 282 —<br />

wird, wird hier eben eindeutig nicht auf Begriffe wie im Text von §§ 16-17,<br />

sondern auf das Mannigfaltige von viel Vorstellungen in einer, also auf die<br />

Einheit der einzelnen Vorstellung als Anschauung (ein Teil von Raum und<br />

Zeit) zurückgeführt. Im Text des § 17 wird aber, auch im Widerspruch zur<br />

vorgeschlagenen Interpretation anhand der transzendentalen Funktion der<br />

Einbildungskraft aus § 24 stehend, weiterhin mit dem absoluten Primat der<br />

Verstandeseinheit argumentiert: Die ursprünglich-synthetische Einheit der<br />

Apperzeption sei von allen Bedingungen der sinnlichen Anschauung<br />

unabhängig:<br />

»Das erste reine Verstandeserkenntnis also, worauf sein ganzer übriger<br />

Gebrauch sich gründet, welches auch zugleich von allen Bedingungen der<br />

sinnlichen Anschauung ganz unabhängig ist, ist nun der Grundsatz der<br />

ursprünglichen synthetischen Einheit der Apperzeption. So ist die bloße<br />

Form der äußeren sinnlichen Anschauung, der Raum, noch gar keine<br />

Erkenntnis; er gibt nur das Mannigfaltige der Anschauung a priori zu<br />

einem möglichen Erkenntnis.« 23<br />

Strenger noch als in den Portalsätzen des § 17 wird hier Verstand und<br />

Sinnlichkeit getrennt; diese Darstellung widerspricht also glatt der<br />

überraschenden Darstellung in der vorangehenden Anmerkung dortselbst.<br />

Erst in § 21 wird diese Spannung wieder in dieser Form aufgegriffen und<br />

wenigstens etwas gemildert: »Ein Mannigfaltiges, das in einer<br />

Anschauung, die ich die meinige nenne, enthalten ist, wird durch die<br />

Synthesis des Verstandes als zur notwendigen Einheit des<br />

Selbstbewußtseins gehörig vorgestellt, und dieses geschieht durch die<br />

Kategorie.° Diese zeigt also an: daß das empirische Bewußtsein eines<br />

gegebenen Mannigfaltigen Einer Anschauung eben sowohl unter einem<br />

reinen Selbstbewußtsein a priori, wie empirische Anschauung unter einer<br />

reinen sinnlichen, die gleichfalls a priori Statt hat, stehe. «<br />

°»Der Beweisgrund beruht auf der vorgestellten Einheit der Anschauung,<br />

dadurch ein Gegenstand gegeben wird, welche jederzeit eine Synthesis des<br />

Mannigfaltigen zu einer Anschauung gegebenen in sich schließt, und<br />

schon die Beziehung dieses letzteren auf Einheit der Apperzeption<br />

enthält.« 24<br />

23 K.r.V., § 17, B 137<br />

24 B 144


— 283 —<br />

Der Anfang von § 21 drückt genauer das aus, was die Portalsätze von § 17<br />

auch behaupten, nämlich das Zusammenwirken von den Bedingungen der<br />

Anschauungsform und den Bedingungen der Verbindung deren<br />

Mannigfaltigkeit durch Begriffe in der Apperzeption. Die Anmerkung in<br />

§ 21 bezieht sich offensichtlich auch auf die in der Anmerkung von § 17<br />

gegebene Darstellung, und betont abermals die eigenständige und der<br />

apperzeptiven Synthesis vorgeordnete Einheit bloßer Anschauung, setzt<br />

jedoch diese Einheit schon in Beziehung auf die Einheit der Apperzeption.<br />

Dies geschieht hier durch die Einschränkung auf die Anschauung, dadurch<br />

ein Gegenstand gegeben wird , eine Voraussetzung, die Kant als<br />

selbstverständlich ansieht, da Anschauung nur Anschauung von etwas<br />

sein kann, nämlich von einem Gegenstand, ansonsten nicht von<br />

Anschauung die Rede sein könnte. 25 Das ist analytisch und synthetisch<br />

zugleich: Damit erweitert Kant die Notwendigkeit eines Gegenstandes für<br />

unsere Prädikate auf die Notwendigkeit eines Gegenstandes für unsere<br />

Vorstellungen und somit für Anschauung und Erscheinung. Die Einheit in<br />

einer Anschauung ist ohne den Bezug zu einem Gegenstand nicht zu<br />

denken; das Denken eines Gegenstandes ist aber selbst Angelegenheit der<br />

Einheit in der Apperzeption und nicht der Einheit in der Anschauungform.<br />

§ 3 Identität und Einheit des Bewußtseins als Selbstbewußtsein<br />

a) Numerische Einheit und Identität des Bewußtseins<br />

Nunmehr sollen die Vorstellungen in Beziehung auf den Verstand<br />

eingeteilt werden. 26 Kant unterscheidet nun in § 16 die intellektuelle<br />

Spontaneität zweimal von der bloßen Vorstellung als Anschauung, wobei<br />

erst die zweite Unterscheidung die intellektuelle Spontaneität zum<br />

Verstand bestimmt. Zuerst wird die Vorstellung als bloße Perzeption der<br />

Vorstellung als notio (Idee) gegenübergestellt: »Diejenige Vorstellung, die<br />

vor allem Denken gegeben sein kann, heißt Anschauung. Also hat alles<br />

Mannigfaltige der Anschauung eine notwendige Beziehung auf das Ich<br />

denke, in demselben Subjekt, darin dieses Mannigfaltige angetroffen wird.<br />

Diese Vorstellung aber ist ein Actus der Spontaneität, d.i. sie kann nicht als<br />

zur Sinnlichkeit gehörig angesehen werden. Ich nenne sie die reine<br />

Apperzeption, um sie von der empirischen zu unterscheiden, oder auch<br />

die ursprüngliche Apperzeption, weil sie dasjenige Selbstbewußtsein ist,<br />

25 Vgl. Prolegomena, § 13, erster Absatz<br />

26 Vgl. den Portalsatz in § 17


— 284 —<br />

was, indem es die Vorstellung Ich denke hervorbringt, die alle anderen<br />

muß begleiten können, und in allem Bewußtsein ein und dasselbe ist, von<br />

keiner weiter begleitet werden kann.« 27<br />

Bezeichnenderweise ist hier das Kriterium der Einheit der Anschauung<br />

nicht die formale Bedingung der Anschauung (Raum und Zeit), sondern<br />

bloß, daß alle Vorstellungen (das Mannigfaltige der Anschauung als der<br />

einzelnen Vorstellung absolute Einheit) in demselben Subjekt angetroffen<br />

wird. Der Begriff der Anschauung ist hier also auf das bloße dem Denken<br />

Gegebensein reduziert und ohne jede weitere Kontinuitätsbedingung<br />

zwischen den vielen Vorstellungen. Die reflektierende Feststellung, daß in<br />

diesem psychologischen Sinne jede Vorstellung meine Vorstellung sein<br />

können muß, ist zwar Grund genug, diese selbst empirische Feststellung<br />

von der Feststellung der Vorstellungen, die empirische Anschauung<br />

enthalten, unterscheiden zu wollen, aber doch noch nicht Grund genug,<br />

die Spontaneität zum Verstand, also zum »Ich denke« im engen Sinn zu<br />

bestimmen. Gegenüber dieser unsinnlichen Vorstellung der Jemeinigkeit<br />

aller Vorstellungen überhaupt bestimmt Kant die Anschauung als<br />

empirische Apperzeption. 28 Dazu drückt er sich in der ersten Fassung noch<br />

deutlicher aus:<br />

»Das Bewußtsein seiner selbst, nach den Bestimmungen unseres<br />

Zustandes, bei der inneren Wahrnehmung ist bloß empirisch, jederzeit<br />

wandelbar, es kann kein stehendes oder bleibendes Selbst in diesem Fluße<br />

innerer Erscheinungen geben, und wird gewöhnlich der innere Sinn<br />

genannt, oder die empirische Apperzeption.« 29<br />

Die Zeit ist aber die erste formale Bedingung der Anschauungsform. Die<br />

Frage ist, was der Ausdruck »das Bewußtsein seiner selbst« an dieser Stelle<br />

bedeuten kann: nur das Bewußtsein der Perzeptionen oder schon das<br />

Selbstbewußtsein? Doch wohl nur ersteres, fährt man an der gegebenen<br />

Stelle der ersten Fassung fort, wo erst im Anschluß die Bedingung des<br />

Selbstbewußtseins behandelt wird:<br />

27 B 132<br />

28 Offensichtlich wird hier das Wort »empirisch« für zwei verschiedene Begriffe<br />

verwendet: zuerst bedeutet es nichts weiter als Erfahrung machen überhaupt, und<br />

dann setzt es die formalen und die dynamischen Bedingungen dessen, was in der<br />

Sinnlichkeit an Realem gegeben werden kann, voraus.<br />

29 A 107


— 285 —<br />

»Das was notwendig als numerisch identisch vorgestellt werden soll, kann<br />

nicht als ein solches durch empirische Data gedacht werden. Es muß eine<br />

Bedingung sein, die vor aller Erfahrung vorhergeht, und diese selbst<br />

möglich macht, welche eine solche transzendentale Voraussetzung geltend<br />

machen soll. Nun können keine Erkenntnisse in uns stattfinden, keine<br />

Verknüpfung und Einheit desselben, ohne diejenige Einheit des<br />

Bewußtseins, welche vor allen Datis der Anschauung vorhergeht, und,<br />

worauf in Beziehung, alle Vorstellungen von Gegenständen allein möglich<br />

ist. Dieses reine ursprüngliche, unwandelbare Bewußtsein will ich nun die<br />

transzendentale Apperzeption nennen.« 30<br />

In der ersten Fassung der transzendentalen Deduktion erklärt Kant den<br />

Grund dieser notwendigen numerischen Einheit mit der reinen<br />

Vorstellung, daß alle Vorstellungen die meinigen sind. Nun ist die<br />

Anschauung am Anfang des § 16 einstweilen nur ein gegebenes<br />

Mannigfaltiges, deren Zusammengehörigkeit hier weder durch die<br />

formalen Bedingungen der Anschauung (Raum und Zeit) noch durch den<br />

Verstand durch Zergliederung und Zusammensetzung bestimmt worden<br />

ist, sondern allein aus dem Grund, daß Vorstellungen von mir als die<br />

meinigen erkannt werden, bloß weil sie sich in meinem Bewußtsein<br />

befinden. 31 Derart sollte auch schon die Vorstellung meiner Identität als<br />

numerische Einheit möglich geworden sein. Die bloße Vorstellung von<br />

Einheit macht aber erst die Möglichkeit zu einem Begriff der Verbindung<br />

des Mannigfaltigen aus; 32 so kann diese Vorstellung einer Einheit nicht der<br />

Sinnlichkeit selbst entspringen. Das heißt aber auch, daß allein damit der<br />

Begriff der Verbindung noch nicht gegeben wird, sondern nur seine<br />

Möglichkeit. Damit ist aber nur die Einheit und nicht die Identität des<br />

empirischen Bewußtseins bestimmt worden; eben nur die Reflexion auf die<br />

Vorstellung der numerischen Einheit des — immer empirischen —<br />

Subjektes, in welchem die Vorstellungen (auch als Anschauungen)<br />

erscheinen. Dieses »ich« ist nur insofern auch schon Ausdruck von<br />

Identität, indem es die bloße Zusammengehörigkeit verschiedenster<br />

Vorstellungen bedeutet, ohne das der Verstand die Verbindungsbegriffe<br />

(zunächst die formalen Bedingungen der Anschauung: Raum und Zeit)<br />

30 l. c.<br />

31 A 117, Anmerkung: »Hier ist nun eine synthetische Einheit des Mannigfaltigen<br />

(Bewußtseins) die a priori erkannt wird, und gerade so den Grund zu synthetischen<br />

Sätzen a priori, die das reine Denken betreffen, als Raum und Zeit zu solchen Sätzen,<br />

die die Form der bloßen Anschauung angehen, abgibt.«<br />

32 § 15:


— 286 —<br />

schon näher spezifiziert haben könnte. Kant hält diese Überlegung aber<br />

letztlich selbst nicht für ausreichend: in der ersten Fassung verlegt er den<br />

eigentlichen Grund der Einheit in die Notwendigkeit eines Gegenstandes.<br />

»Also ist das ursprüngliche und notwendige Bewußtsein der Identität<br />

seiner selbst zugleich ein Bewußtsein einer eben so notwendigen Einheit<br />

der Synthesis aller Erscheinungen nach Begrffen, d.i. nach Regeln, die sie<br />

nicht allein notwendig reproduzibel machen, sondern dadurch auch ihrer<br />

Anschauung einen Gegenstand bestimmen, d.i. den Begriff von Etwas,<br />

darin sie notwendig zusammenhängen: denn das Gemüt könnte sich<br />

unmöglich die Identität seiner selbst in der Mannigfaltigkeit seiner<br />

Vorstellungen und zwar a priori denken, wenn es nicht die Identität seiner<br />

Handlung vor Augen hätte, welche alle Synthesis der Apprehension (die<br />

empirisch ist) einer transzendentalen Einheit unterwirft, und ihren<br />

Zusammenhang nach Regeln a priori zuerst möglich macht.« 33<br />

b) Die transzendentale Einbildungskraft ersetzt die Einheit der<br />

Anschauung<br />

Schon in der ersten Fassung wird der Begriff vom Gegenstand von der<br />

Identität der Handlung, zu deren Substrat er nach der Reproduktion<br />

herabgewürdigt wird, ersetzt. Die Identität der Handlung des Subjekts tritt<br />

dem Gegenstand (in der Erkenntnis wie in der Bearbeitung) erst entgegen,<br />

und ist der entscheidende Schritt, um schon in der ersten Fassung die<br />

Einheit der ursprünglichen (hier: empirischen) Apperzeption von der<br />

Einheit der reinen Synthesis im Begriff der Verbindung des Mannigfaltigen<br />

(nach einer Regel) zu unterscheiden. 34 In der zweiten Fassung wird<br />

hingegen der Begriff vom Gegenstand — wohl wegen seiner notorischen<br />

Zweideutigkeit — in § 16 gleich ganz weg gelassen: »Nämlich diese<br />

durchgängige Identität der Apperzeption eines in der Anschauung<br />

gegebenen Mannigfaltigen, enthält eine Synthesis der Vorstellungen, und<br />

ist nur durch das Bewußtsein der Synthesis möglich. Denn das empirische<br />

Bewußtsein, welches verschiedene Vorstellungen begleitet, ist an sich<br />

zerstreut und ohne Beziehung auf die Identität des Subjekts. Diese<br />

Beziehung geschieht also dadurch noch nicht, daß ich jede Vorstellung mit<br />

Bewußtsein begleite, sondern daß ich eine zu der anderen hinzusetze und<br />

33 A 108<br />

34 Vgl. den Schluß von § 15


— 287 —<br />

mir der Synthesis derselben bewußt bin. Also nur dadurch, daß ich ein<br />

Mannigfaltiges gegebener Vorstellungen in einem Bewußtsein verbinden<br />

kann, ist es möglich, daß ich mir die Identität des Bewußtseins in diesen<br />

Vorstellungen selbst vorstelle, d.i. die analytische Einheit der<br />

Apperzeption ist nur unter der Voraussetzung irgend einer synthetischen<br />

möglich.« 35<br />

Es scheint im zweiten Satz des gegebenen Zitates, als würde Kant die bloße<br />

Begleitung der Vorstellungen mit dem Bewußtsein nicht länger als Grund<br />

für die Identität und numerische Einheit des Bewußtseins gelten lassen<br />

wollen; nunmehr soll erst die bewußte Synthesis als Handlung Grund sein<br />

können, von Identität und Einheit des Bewußtseins zu sprechen. Bei<br />

näherer Betrachtung aller bisher vorgebrachter Argumente schien die<br />

formale Bedingung der Anschauung, wenn schon allein nicht ausreichend<br />

zum Satz »Ich denke«, doch zu genügen, um auch der nur empirischen<br />

Apperzeption einen Grund zu geben, von dieser die Einheit des<br />

Bewußtseins zu behaupten. Allerdings ist die Einheitsbedingung in § 16,<br />

daß alle gegebenen Vorstellungen immer auch schon meine Vorstellungen<br />

sein können müssen, unabhängig von der Einheitsbedingung der reinen<br />

Anschauungsform. In der zweiten Fassung der Deduktion wird eigentlich<br />

nicht die ursprüngliche Einheit der Anschauungsform bestritten, aber doch<br />

zur Deduktion der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption<br />

nicht herangezogen; die Einheit der Anschauungsform, die in Folge einmal<br />

sogar als ursprünglich synthetische Einheit von Kant beschrieben worden<br />

ist, ist von der transzendentalen Funktion der Einbildungskraft, wenn z. B.<br />

die synthesis speciosa »auf die ursprünglich-synthetische Einheit der<br />

Apperzeption; d.i. diese transzendentale Einheit geht, welche in den<br />

Kategorien gedacht wird«, 36 zu ersetzen. — Diese Ersetzung erfolgt aber<br />

nicht selbst in § 16.<br />

Eine solche Ersetzung bedenkt Kant in zwei Alternativen: Das<br />

transzendentale Produkt der Synthesis der bestimmenden Urteilskraft<br />

(Verstand unter Vernunft) bestimmt den inneren Sinn im<br />

Schematismuskapitel nach den Bedingungen seiner Form, und zwar<br />

wiederum in Ansehung aller Vorstellungen, worunter eben auch<br />

Vorstellungen, die Anschauung enthalten, fallen. Dort allerdings nach<br />

35 B 133<br />

36 B 151


— 288 —<br />

einer allgemeinen Bedingung, deren Regel bereits in der formalen<br />

Bedingung, und diese wiederum im reinen Verstandesbegriff enthalten<br />

sein soll, und im transzendentalen Schematismus das »transzendentale<br />

Produkt« als reine Vorstellung, die nicht in ein Bild gebracht werden kann,<br />

zu denken erlauben können soll. 37 In § 24hingegen wird die synthetische<br />

Einheit der Apperzeption noch als intellektuelle der bloßen Form der<br />

Anschauung gegenübergestellt, aber die »transzendentale Einheit«, die in<br />

den Kategorien gedacht wird (B 151), soll bereits in der ursprünglichsynthetischen<br />

Einheit der Apperzeption, und zwar mittel der<br />

transzendentalen Funktion der Einbildungskraft, gedacht werden. —<br />

Offensichtlich ein Rest der Bedeutung des Gegenstandes aus der<br />

Deduktion in A: »Die Apperzeption und deren synthetische Einheit ist mit<br />

dem inneren Sinne so gar nicht einerlei, daß jene vielmehr, als der Quell<br />

aller Verbindung, auf das Mannigfaltige der Anschauung überhaupt unter<br />

den Namen der Kategorien, vor aller sinnlicher Anschauung auf Objekte<br />

überhaupt geht; dagegen der innere Sinn die bloße Form der Anschauung,<br />

aber ohne Verbindung des Mannigfaltigen in derselben, mithin noch gar<br />

keine bestimmte Anschauung enthält, welche nur durch das Bewußtsein<br />

der Bestimmung desselben durch die transzendentale Handlung der<br />

Einbildungskraft, (synthetischer Einfluß des Verstandes auf den inneren<br />

Sinn) welche ich die figürliche Synthesis genannt habe, möglich ist.« 38<br />

Zwischen Sinnlichkeit, Einbildungskraft und Verstand kommt es in der<br />

transzendentalen Deduktion selbst allerdings nicht zu einer abschließend<br />

entscheidenden Diskussion, vielmehr kann allgemein nur von einer<br />

situationsabhängigen Verbesserung der Präzision der<br />

Begriffsverwendungen zwischen dem Anspruch des Vorranges der reinen<br />

Intellektualität einerseits und dem Anspruch des Vorranges von<br />

Sinnlichkeit oder transzendentaler Einbildungskraft andererseits<br />

gesprochen werden. In § 20 wird nochmals klar die Forderung erhoben,<br />

daß die Einheit der Anschauung Voraussetzung für die Möglichkeit der<br />

Begriffe und des Erfahrungsmachens ist. 39 Zu diesen Schwierigkeiten<br />

kommen weitere hinzu: Schon in § 24 (die Bestimmung der Sukzessivität<br />

des inneren Sinnes geschieht ohne Einbildungskraft), aber auch in § 26 (die<br />

37 B 181<br />

38 B 154<br />

39 Dieter Henrich, Die Beweisstruktur von Kants transzendentaler Deduktion«, in:<br />

Kant. Zur Deutung seiner Theorie von Erkenntnis und Handeln, Hrsg. v. G. Prauss,<br />

Köln 1973. p. 98


— 289 —<br />

Demonstration der ersten beiden dynamischen Kategorien geschieht durch<br />

Wegnahme der Zeitbedingung) wird die Kritik aus dem Paralogismus<br />

wirksam, welche Kant an der synthetisch-metaphyischen Methode übt, um<br />

ihr die transzendentalanalytische Methode gegenüberzustellen. Sowohl die<br />

Bestimmung der Sukzessivität des inneren Sinnes in § 24 wie die<br />

Demonstrationen der dynamischen Kategorien in § 26 sind präzise im<br />

Sinne dieser paralogistischen Kritik Definitionen nach der<br />

»transzendentalanalytischen Methode« und kommen völlig ohne<br />

transzendentale Einbildungskraft aus.<br />

c) Die ursprüngliche Einheit des Bewußtseins ist intellektuell und nicht<br />

die der Synthesis der Einbildungskraft<br />

Man sieht sich in der Frage nach der ursprünglichen Einheit der<br />

Apperzeption in der transzendentalen Deduktion spätestens ab dem<br />

abrupten Wechsel von der unter dem Verstandesbegriff stehenden<br />

Einbildungskraft zur Bestimmung der Sukzessivität des inneren Sinnes<br />

allein aus dem Verstandesbegriff in § 24 dortselbst auch noch mit einer<br />

radikalen Fassung der »transzendentalanalytischen Methode«<br />

konfrontiert, welche die rationale Physiologie des inneren Sinnes als bloß<br />

restringierte Metaphysik, und somit zur synthetisch-metaphysischen<br />

Methode gehörig entlarvt. Diesem Problem soll im fünften Kapitel dieses<br />

Abschnittes noch näher nachgegangen werden. Einstweilen kann gesagt<br />

werden, daß insgesamt dem Verstandesvermögen sein Primat gegenüber<br />

der Sinnlichkeit in der transzendentalen Deduktion abgesichert wird. 40 Die<br />

Einheit der Anschauungsform wird aber nicht zur Deduktion der<br />

ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption herangezogen,<br />

sondern beschränkt sich auf die Form des inneren Sinnes, wonach der<br />

Raum als erst zu konstituierende Anschauungsform zur Synthesis der<br />

ursprünglich-synthetischen Einheit gar nicht vorausgesetzt ist, 41 sondern<br />

nur die Zeit.<br />

40 Fortsetzung des gegebenen Zitates: die Handlung der Synthesis bringt sogar die<br />

Sukzession des inneren Sinnes hervor. Vgl. dazu hier §§ 3-4, insbesondere § 24<br />

41 Es sei denn als jenes, was erst die empirische Mannigfaltigkeit gibt : »Nämlich diese<br />

durchgängige Identität der Apperzeption eines in der Anschauung gegebenen<br />

Mannigfaltigen, enthält eine Synthesis der Vorstellungen, und ist nur durch das<br />

Bewußtsein dieser Synthesis möglich. Denn das empirische Bewußtsein, welches<br />

verschiedene Vorstellungen begleitet, ist an sich zerstreut und ohne Beziehung auf<br />

die Identität des Subjektes.« (B 133).


— 290 —<br />

Das bloße empirische Bewußtsein einer inneren oder äußeren<br />

Wahrnehmung aber, welche weder Bewußtsein vom Bewußten, noch<br />

Vorstellung vom Vorgestellten unterscheiden kann, kann mit der ersten<br />

Forderung Kants in § 16, daß alle Vorstellungen als meine Vorstellungen<br />

gedacht werden können müssen, nicht gemeint sein, wenngleich hier das<br />

Bewußtsein die Zustände des inneren Sinnes unbedingt begleiten muß,<br />

aber eben nicht als Denken im präzisen Sinne von bewußt urteilen. Die<br />

bloße Begleitung der Erscheinungen selbst mit Bewußtsein (was analytisch<br />

im Begriff »Erscheinung« ebenso enthalten ist wie im Begriff<br />

»Vorstellung«) wird vom »ich denke« also nicht ausgedrückt, sondern, daß<br />

diese Begleitung ein spontaner und absichtlicher Akt des Denkens und<br />

derart nicht das empirische Faktum des Bewußtseins selbst ist, vielmehr<br />

den Akt der Zuschreibung in der Reflexion darauf bereits analytisch<br />

enthält. Beide Forderungen, die erste aus der numerischen Einheit, daß das<br />

»ich denke« alle meine Vorstellungen begleiten können muß (wenn nicht,<br />

dann handelt es sich eben um die empirische Apperzeption; oder<br />

Perzeption), wie die zweite, daß zur bewußten Einheit des Bewußtseins die<br />

Vorstellungen untereinander verbunden (hinzugesetzt) werden müssen,<br />

sind also gemeinsam zu bedenken. Der Satz »Ich denke« drückt in der<br />

engen Bedeutung also mehr aus als die bloße Vorstellung, daß alle<br />

Vorstellungen die meinen sind, denn erst nach der zweiten Forderung des<br />

Hinzusetzens einer Vorstellung zu einer anderen wird auch die<br />

Vorstellung, daß alle Vorstellungen im selben Subjekt stattfinden, also die<br />

meinigen sind, zum Verstandesurteil, weil erst dann die Einheit, als bloße<br />

Vorstellung, daß alle Vorstellungen meine Vorstellungen sind, zur<br />

Mannigfaltigkeit der gegebenen Vorstellungen selbst mit Gewißheit<br />

(Wahrheit) hinzugesetzt werden kann wie es das zweite Kriterium des<br />

Hinzusetzens im § 16 auch gemäß der Vereinigung von Mannigfaltigkeit<br />

und Einheit in § 15 verlangt. 42<br />

Der Geltungsumfang der Kategorien bleibt aber hinter dem des Prinzips<br />

der Einheit der Handlung, in der zweiten Fassung im Hinzusetzen einer<br />

Vorstellung zu einer anderen als bewußte Synthesis ausgedrückt, zunächst<br />

an Allgemeinheit zurück. Der berühmte Satz aus dem § 16 bleibt also<br />

mehrdeutig:<br />

»Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können; denn<br />

sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht<br />

42 Vgl. den Anfang von § 21 in der ersten Kritik


— 291 —<br />

werden könnte, welches eben so viel heißt, als die Vorstellung würde<br />

entweder unmöglich, oder wenigstens für mich nichts sein.« 43<br />

Die Alternative zwischen einer unmöglichen Vorstellung und einer Vorstellung,<br />

die für mich nichts sein könnte; vielleicht, weil letztere weder<br />

formale Bedingungen der Anschauung noch die Identität der Handlung<br />

als Einheitsgrund angeben könnte, deshalb alleine aber noch nicht eine<br />

unmögliche Vorstellung überhaupt genannt werden könnte, verlangt nach<br />

einer Erklärung. Es kann vermutet werden, daß Kant damit schon jene<br />

Unterscheidung getroffen hat, die Bolzano mit der Unterscheidung in „sich<br />

widersprechende“ und in „unmögliche“ Vorstellungen ausgedrückt hat: In<br />

sich widersprüchliche Vorstellungen haben wohl einen Inhalt, aber eben<br />

wegen dessen Widersprüchlichkeit keinen Gegenstand. Die unmögliche<br />

Vorstellung bezieht sich aber für Bolzano schon auf Gesetze, die für ihren<br />

als real behaupteten Gegenstand gelten, aber ihren Inhalt eben diesen<br />

Gesetzen gemäß für unmöglich erklären müssen, obgleich die Vorstellung<br />

selbst aus für sich selbst widerspruchsfreien Elementen besteht. 44<br />

Wesentlich ist dabei die Unterscheidung in Widerspruchsfreiheit der<br />

Prädikate untereinander und in Widerspruchsfreiheit der Konsequenzen<br />

dieser Prädikate. Die unmöglichen Vorstellungen Bolzanos wären bei Kant<br />

aber vermutlich doch solche Vorstellungen, die »wenigstens für mich<br />

nichts sein« könnten, sofern sie keine sinnlich gegebene Anschauung<br />

enthalten könnten; die sich widersprechenden Vorstellungen Bolzanos<br />

wären diejenigen, die Kant »unmögliche« Vorstellungen nennt. Bolzano<br />

nennt also diejenigen Vorstellungen unmöglich, die einem physikalischen<br />

(jedenfalls wirklichen) Gesetz widersprechen, Kant bezeichnet eben<br />

dieselbe Art von Vorstellungen als solche, die »wenigstens für mich nichts<br />

sein« könnten, weil sie nicht unserer empirischen Organisation der Sinne<br />

und der Erkenntnisvermögen entsprechen. Hingegen sind diejenigen<br />

Vorstellungen, die Kant als »unmöglich« bezeichnet, bei Bolzano jene, die<br />

dieser als widersprüchlich bezeichnet, aber deshalb noch nicht als für<br />

unser Denken als unmöglich, da wir eben unter anderen sehr wohl auch<br />

widersprüchliche Vorstellungen denken. — Kants Begriff von einer<br />

Vorstellung ist hier offensichtlich ursprünglich auf Vorstellungen mit<br />

Anschauung beschränkt.<br />

43 B 131<br />

44 Bernard Bolzano: Wissenschaftslehre. Versuch einer ausführlichen und größtenteils<br />

neuen Darstellung der Logik mit steter Rücksicht auf deren bisherigen Bearbeiter,<br />

Sulzbach 1837, § 67 (unmögliche Vorstellungen) und § 70 (imaginäre Vorstellungen).


— 292 —<br />

Das »ich denke« drückt allgemein das synthetische Hinzukommen der<br />

Vorstellung von Einheit zur Vorstellung der Mannigfaltigkeit aus. 45 Der<br />

zentrale Satz der rationalen Psychologie vermag mit dieser Interpretation<br />

in der Tat beides auszudrücken: die erste Reflexion auf das Faktum des<br />

Bewußtseins einer jeden Erscheinung, die im Fluß der empirischen<br />

Apperzeption (innerer Sinn) anhebt und vergeht, als auch die Reflexion<br />

auf die durchgängige Identität der Apperzeption im Sinne eines expliziten<br />

Nachweises der numerischen Einheit des Bewußtseins. 46 Davon zu<br />

unterscheiden wird intellektuell die Identität der Handlung in der<br />

Reproduktion schon abstrakt mittels der Regel der Reproduktion<br />

festgestellt, die nunmehr im Zusammennehmen der Vorstellungen eine<br />

allgemeinste Definition in der Rekognition (als Urbild der Regel) erhalten<br />

hat. Wenn Kant in der zweiten Fassung ab § 18 das Objekt der Vorstellung<br />

als den Gegenstand objektiver Realität auffaßt, hat der Verstand jedoch<br />

schon das Privileg des ontologischen Gottesbeweises geerbt. Dazwischen<br />

versucht Kant der Regel in der Reproduktion über die bloße<br />

Rekognoszierbarkeit derselben trotz der Distanzierung des Gegenstandes<br />

in B gegenüber A hinaus ein Kriterium zu finden. Wie nun später noch im<br />

Einzelnen zu zeigen sein wird, übertrifft aber die Notwendigkeit, die im<br />

ontologischen Gottesbeweis beansprucht werden kann, nicht die<br />

Notwendigkeit der Einheit der Handlung.<br />

§ 4 Zur Vieldeutigkeit des Begriffes vom Gegenstand<br />

Einer ersten näheren Untersuchung des Verhältnisses von Vorstellung,<br />

Anschauung und Erscheinung zum Begriff vom Gegenstand kann anhand<br />

des Abschnittes »Von der Synthesis der Rekognition im Begriffe« in der<br />

ersten Fassung der Deduktion der geeignete Rahmen gegeben werden.<br />

Dort wird der Vorstellung zunächst abstrakt qua Vorstellbarkeit ihre<br />

Gegenständlichkeit gegeben 47 :<br />

45 K.r.V., § 15, »Aber der Begriff der Verbindung führt außer dem Begriffe des<br />

Mannigfaltigen, und der Synthesis desselben, noch den der Einheit desselben bei<br />

sich. Verbindung ist Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen. Die<br />

Vorstellung dieser Einheit kann also nicht aus der Verbindung entstehen, sie macht<br />

vielmehr dadurch, daß sie zur Vorstellung des Mannigfaltigen hinzukommt, den<br />

Begriff der Verbindung allererst möglich.« (B 131)<br />

46 B 133<br />

47 Vgl. dazu Bernard BOLZANO, Wissenschaftslehre. Versuch einer ausführlichen und<br />

größtenteils neuen Darstellung der Logik mit steter Rücksicht auf deren bisherige


— 293 —<br />

»Alle Vorstellungen haben, als Vorstellungen, ihren Gegenstand, und<br />

können selbst wiederum Gegenstände anderer Vorstellungen sein.« 48<br />

Das bringt einen rein theoretischen Gegenstandsbegriff aufgrund der<br />

Bestimmung der Vorstellung qua Vorstellbarkeit zu einem Begriff<br />

(Schema) mit sich. Dieser entbehrt jeder objektiven Bedeutung sondern<br />

bleibt ein bloßer Reflexionsbegriff. 49 Dann wird anhand der<br />

Unmittelbarkeit der Erscheinung der Bezug zur Anschauung hergestellt:<br />

»Erscheinungen sind die einzigen Gegenstände, die uns unmittelbar<br />

gegeben werden können, und das, was sich darin unmittelbar auf den<br />

Gegenstand bezieht, heißt Anschauung. Nun sind diese Erscheinungen<br />

nicht Dinge an sich selbst, sondern selbst nur Vorstellungen, die wiederum<br />

ihren Gegenstand haben, der also von uns nicht mehr angeschaut werden<br />

kann, und daher der nichtempirische, d.i. transzendentale Gegenstand = X<br />

genannt werden mag.« 50<br />

a) Erscheinungen sind also Vorstellungen, deren Begriff der<br />

Gegenständlichkeit zu dem der bloßen Vorstellbarkeit noch beinhaltet, daß<br />

sie unmittelbar gegeben werden. Offensichtlich ist das so gemeint, daß nur<br />

die Sinnlichkeit Erscheinungen gibt . Das, was sich in den Erscheinungen<br />

auf den Gegenstand der Erscheinung unmittelbar beziehen soll, ist nun die<br />

Anschauung. Der Gegenstand ist da aber nicht länger der<br />

Selbstbezüglichkeit der Gegenständlichkeit der Vorstellung qua<br />

Vorstellbarkeit entsprungen, sondern scheint schon die transzendente<br />

Erweiterung des bisherigen auf die Vorstellbarkeit beschränkten<br />

Gebrauchs des Begriffes von einem Gegenstand zu bedeuten. Diese<br />

Erweiterung des Gebrauchs kann nun notwendigerweise so nicht mit dem<br />

vollen Begriff von der objektiven Realität der Bedeutung nach von selbst<br />

zusammenstimmen, da dazu die Kriterien fehlen, sondern ist als<br />

notwendige Möglichkeit aus den fundamental-ontologischen Bedingungen<br />

Bearbeiter« (Sulzbach 1837): §§ 48-53: Vorstellungen sind oder bestehen aus<br />

einfachen Ideen, Sätzen, Begriffen, oder Anschauungen.<br />

48 K.r.V., A 108<br />

49 »Nun kann man zwar alles, und sogar jede Vorstellung, sofern man sich ihrer<br />

bewußt ist, Objekt nennen; allein was dieses Wort bei Erscheinungen zu bedeuten<br />

habe, nicht, insofern sie (als Vorstellungen) Objekte sind, sondern nur ein Objekt<br />

bezeichnen, ist von tieferer Untersuchung.« (B 234 f./A 189)<br />

50 l. c.


— 294 —<br />

der Ersten metaphysischen Erörterung des Raumes spekulativ gewonnen. 51<br />

Jedoch soll auch dieser Begriff des transzendentalen Gegenstandes, im<br />

Vernunftbegriff als Ding an sich gedacht, schon allgemein genug sein,<br />

auch vor seiner allgemein-inhaltlichen Bestimmung Existenz analytisch zu<br />

enthalten. 52<br />

b) Die Gegenständlichkeit der Erscheinungen selbst aber soll damit<br />

ausgezeichnet sein, daß sie die einzigen Gegenstände sind, die unmittelbar<br />

gegeben werden; im Gegensatz zum transzendentalen Gegenstand. Jedoch<br />

sollen die Erscheinungen selbst durchaus Vorstellungen sein; also nicht<br />

bloß Vorstellungen sein können, sondern hier anscheinend<br />

notwendigerweise auch Vorstellung sein müssen. Nur das erste Mal<br />

bezieht sich die Unmittelbarkeit des Gegebenseins für uns auf die<br />

Gegenständlichkeit einer Vorstellung qua Vorstellbarkeit, während das<br />

zweite Mal der unmittelbare Bezug in der Anschauung auf den<br />

Gegenstand zunächst den Gegenstand, der in den Kategeorien gedacht<br />

und in sinnlicher Anschauung gegeben wird, betreffen sollte, was<br />

objektive Realität bedeuten würde. Die Erscheinungen für sich selbst sind<br />

aber keine Dinge an sich selbst, deren Begriff die Existenz zugleich in<br />

objektiver Bedeutung analytisch enthalten müßte, sondern eben insofern<br />

als solche auch nur Vorstellungen, die nun den ihnen äußerlichen<br />

transzendentalen Gegenstand als Gegenstand haben.<br />

c) In diesen Erscheinungen bezieht sich etwas unmittelbar auf den<br />

Gegenstand, daß heißt wohl, nicht alles bezieht sich in einer Erscheinung<br />

auf den Gegenstand. Daß heißt weiters, daß formal und abstrakt betrachtet<br />

die Erscheinung nicht der Gegenstand ist, worauf sich etwas in der<br />

Erscheinung als Anschauung auf diesen Gegenstand bezieht. Gerade der<br />

51 Vgl. hier den ersten Abschnitt, Schlußwort des 1. Kapitels: Die Unterscheidung von<br />

Innen und Außen liegt nicht nur der Distanzgewinnung zwischen Subjekt und<br />

Objekt in der Anschauung zugrunde, sondern ist auch die Form des<br />

Argumentierens, mit welchem über den Begriff von Realität entschieden wird:<br />

Ursurpiert das Subjekt seine Objekte? Oder wird das Subjekt zum bloßen<br />

Schauplatz der Erscheinungen?<br />

52 Vgl. HEINRICH 1985. Die Form des Nachweises des objektiven Raumes anhand der<br />

Erweiterung des disjunktiven Urteils (ausschließendes oder) zur Totalität aller<br />

Glieder der ganzen Erkenntnis (Aggregat von Alternativen), oder das disjunktive<br />

Urteil als nicht-ausschließendes oder eben nur als Organisationsform der Vorstellung<br />

(absolute Einheit versus infinitesimale Teilbarkeit des sukzessive synthetisierten<br />

Kontinuums) hat die Form des ontologischen Gottesbeweises. Hingegen sei der<br />

Nachweis, daß eine bestimmte Art von Vorstellung kein Begriff ist, schon der Beweis<br />

für die Objektivität (nicht Realität) des Raumes.


— 295 —<br />

transzendentale Gegenstand kann aber nicht angeschaut werden, folglich<br />

ist der Gegenstand, worauf die Anschauung sich unmittelbar beziehen<br />

soll, weder das Ding an sich selbst noch die Erscheinung. Damit wären als<br />

einziger Ausweg der Anschauung als Vereinigung der Prädikate und der<br />

Vorstellungen in einem Objekt der Erfahrung die Grundsätze der<br />

Erfahrung, also die dynamischen Kategorien, vorauszusetzen; die Einheit<br />

in der reinen Anschauungsform reicht dann für sich aber nicht mehr aus,<br />

um die objektive Einheit der Apperzeption zu fundieren. Die<br />

Unmittelbarkeit der Beziehung der Anschauung auf ihren Gegenstand<br />

kann dann nur mehr dahingehend verstanden werden, daß dieser<br />

Gegenstand bereits in den Erscheinungsverhältnissen als selbstständiges<br />

Phänomen gedacht werden müßte, das weder allein dem erkennenden<br />

Subjekt noch allein dem bereits in einem Zusammenhang mit anderen<br />

Objekten stehenden erkannten Objekt zugerechnet werden kann.<br />

In der zweiten Fassung stellt Kant die Erscheinung nicht am Anfang der<br />

Untersuchung, sondern erklärt diese gleich zum Produkt: Die<br />

Zusammensetzung des Mannigfaltigen in einer empirischen Anschauung<br />

macht die Wahrnehmung, d.i. empirisches Bewußtsein derselben (als<br />

Erscheinung), erst möglich. 53 Diese Doppeltheit des Begriffes von der<br />

Erscheinung wird noch zu verfolgen sein.<br />

§ 5 Zur zweifachen ursprünglichen Einheit<br />

Ein Zitat aus dem § 24 hat weiter oben im Paragraphen über die<br />

ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption (hier § 3) das<br />

besondere Interesse gefunden, da darin behauptet wird, daß die Synthesis<br />

in der bloßen Kategorie intellektuell ist; die ursprünglich-synthetische<br />

Einheit aber immer schon Einbildungskraft benötigt.<br />

»Diese Synthesis des Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung, die a<br />

priori möglich und notwendig ist, kann figürlich (synthesis speciosa )<br />

genannt werden, zum Unterschiede von derjenigen, welche in Ansehung<br />

des Mannigfaltigen einer Anschauung überhaupt in der bloßen Kategorie<br />

gedacht würde, und Verstandesverbindung (synthesis intellectualis ) heißt;<br />

beide sind transzendental, nicht bloß weil sie selbst a priori vorgehen,<br />

sondern auch die Möglichkeit anderer Erkenntnis a priori gründen. Allein<br />

53 K.r.V., B 160


— 296 —<br />

die figürliche Synthesis, wenn sie bloß auf die ursprünglich-synthetische<br />

Einheit der Apperzeption, d.i. diese transzendendentale Einheit geht,<br />

welche in den Kategorien gedacht wird, muß, zum Unterschiede von der<br />

bloß intellektuellen Verbindung, die transzendentale Synthesis der<br />

Einbildungskraft heißen.« 54<br />

Hier scheint die Schwierigkeit der verschiedenen Auffassungen, die sich in<br />

den Portalsätzen des § 17 und deren Anmerkung gezeigt haben,<br />

einigermaßen einer Lösung näher gebracht worden zu sein. 55 Es bleibt<br />

jedoch das Problem, daß Kant im Anschluß an die Vorstellung der beiden<br />

Beziehungen des obersten Grundsatzes der Möglichkeit aller Anschauung<br />

in § 17 die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption als ganz<br />

unabhängig von der bloß figürlichen Form der äußeren sinnlichen<br />

Anschauung vorstellt, während in der Anmerkung in § 17 gerade die<br />

einzelne Anschauung als ursprüngliche Synthesis behauptet und der<br />

ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption (in diesem<br />

Zusammenhang nur als synthesis intellectualis zu verstehen möglich)<br />

gegenüber gestellt wird. Andernorts wird seit § 16 und schließlich<br />

ausdrücklich nochmals im gegebenen Zitat aus § 24 die ursprünglich —<br />

synthetische Einheit bereits immer wieder als die Synthesis der<br />

Sinnlichkeit bzw. schließlich der Einbildungskraft mit dem<br />

Verstandesvermögen vorgestellt. Wir haben also drei synthetische<br />

Fassungen der Einheit der Apperzeption: eine ursprünglich synthetische in<br />

der Einheit der einzelnen Anschauung, eine ursprünglich — synthetische in<br />

der abstraktiven und intellektuellen Fassung der rationalen Psychologie<br />

des »ich denke«, und eine ursprünglich — synthetische Einheit in der<br />

Fassung der Vereinbarung von Verstand und Sinnlichkeit in<br />

transzendentaler Subsumtion und im transzendentalen Schematismus, in<br />

welchem die transzendentale Einbildungskraft eine selbst doppelte Rolle<br />

spielt. Allerdings vermag nach meinen bisherigen Ausführungen die<br />

produktive Einbildungskraft im § 16 weder von selbst die Einheit der<br />

Anschauungsform noch die Einheit in den Kategorien zu erreichen. So<br />

kann diese Stelle nur so verstanden werden, daß nunmehr auch die<br />

transzendentale Funktion der Einbildungskraft in der synthesis speciosa als<br />

ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption fungiert, obwohl der<br />

Ausdruck »ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption« in § 16<br />

54 B 151<br />

55 Im vierten Kapitel dieses Abschnitts wird diese Schwierigkeit im Rahmen des<br />

Schematismus der reinen Verstandesbegriffe weiter behandelt.


— 297 —<br />

auf keine Weise selbst die Einheit in den Kategorien bedeuten kann —<br />

dazu sind eben die Schematen der reinen Verstandesbegriffe von nöten.<br />

Die Gegenüberstellung von ursprünglich synthetischer Einheit und<br />

ursprünglich-synthetischer Einheit bleibt hier nun deshalb über die<br />

antinomische Struktur hinaus von Bedeutung, weil Kant im gegebenen<br />

Zitat aus § 24 von der synthesis intellectualis im Konjunktiv spricht; also die<br />

Voraussetzung als bloße Denkmöglichkeit macht, es gäbe ein Denken ohne<br />

gegebene Anschauung. Gäbe es ein Denken ohne gegebene Anschauung,<br />

dann wäre die synthesis intellectualis die ursprüngliche Einheit der<br />

Apperzeption. Wohl gilt aber auch: Gäbe es die Einheit der einzelnen<br />

Anschauung (Vorstellung) ohne Verstandesbegriffe, dann wäre die<br />

einzelne Vorstellung als Anschauung aus der Anmerkung des § 17 die<br />

ursprüngliche Einheit der Apperzeption. Schon in § 22 (Die Kategorie hat<br />

keinen anderen Gebrauch zum Erkenntnisse der Dinge, als ihre<br />

Anwendung auf Gegenstände der Erfahrung) wird die gleiche<br />

Schwierigkeit behandelt:<br />

»Sich einen Gegenstand denken, und einen Gegenstand erkennen, ist also<br />

nicht einerlei. Zum Erkenntnisse gehören nämlich zwei Stücke; erstlich der<br />

Begriff, dadurch überhaupt ein Gegenstand gedacht wird (die Kategorie),<br />

[...]« –<br />

— in dieser Gegenüberstellung wird der Gegenstand bereits allein vom<br />

Verstand gedacht<br />

»[...] und zweitens die Anschauung, dadurch er gegeben wird; denn,<br />

könnte dem Begriffe eine korrespondierende Anschauung gar nicht<br />

gegeben werden, so wäre er ein Gedanke der Form nach, aber ohne allen<br />

Gegenstand, und durch ihn gar keine Erkenntnis von irgend einem Dinge<br />

möglich; [...] —<br />

— hier sagt Kant ausdrücklich, daß ein Gedanke der Form nach keinen<br />

Gegenstand besitzt. Zuzustimmen ist, daß ohne Sinnlichkeit der Begriff<br />

vom Gegenstand keinerlei Erkenntnisse von einem Ding mit sich führen<br />

kann. Es muß aber Gründe geben, die einen Gedanken nur »der Form<br />

nach« auch ohne Anschauung von anderen Gedanken unterscheiden<br />

lassen, die überhaupt keinen Gegenstand im Sinne der Kantschen<br />

»Erkenntnis« als Erkenntnis von einem Ding besitzen können. Schließlich


— 298 —<br />

scheint Kant auch hier nicht zu einer eindeutigen Entscheidung über den<br />

Gegenstandsbegriff zu gelangen, wenn er zuerst behauptet, daß zum<br />

Denken eines Gegenstandes nur Verstand notwendig ist, ein gedachter<br />

Gegenstand ohne Anschauung aber gar keine Erkenntnis mehr sein sollte.<br />

Denn dann schreibt Kant: »Durch Bestimmung der ersteren [reine<br />

Anschauung] können wir Erkenntnisse a priori von Gegenständen (in der<br />

Mathematik) bekommen, aber nur ihrer Form nach, als Erscheinungen; ob<br />

es Dinge geben könne, die in dieser Form angeschaut werden müssen,<br />

bleibt noch unausgemacht.« 56<br />

Reine Anschauung wird also durchaus einer Bestimmung, insofern einer<br />

intentionalen Gegenständlichkeit ohne konkreter empirischer Anschauung<br />

für fähig erachtet. — Für die Beobachtung des Gebrauchs der<br />

grundlegenden Begriffe der Analytik der Begriffe und der Grundsätze für<br />

Erkenntnisse von Dingen ist hier aber bedeutsam: Wahrnehmungen sind<br />

mit Empfindung begleitete Vorstellungen: »Dinge im Raum und in der<br />

Zeit [also nicht selbst die Gegenständlichkeit im Verstandesbegriff<br />

berührend] werden aber nur gegeben, so fern sie Wahrnehmungen (mit<br />

Empfindung begleitenten Vorstellungen) sind, mithin durch empirische<br />

Vorstellung.« 57<br />

Damit können hier nun korrekt die gegebenen Dinge und die gedachten<br />

Gegenstände unterschieden werden. Mit dieser Feststellung kann nun in<br />

die eigentümliche Bestimmung Kantens gegangen werden: »Sinnliche<br />

Begriffe sind Titel der Anschauung, Regel der Wahrnehmung in der<br />

Erfahrung sind Titel der Erscheinungen.« 58<br />

Hier wird der Erscheinung im Gegensatz zur ersten Fassung bereits in<br />

Aussicht gestellt, als Produkt des Erfahrungsbegriffes gelten zu können.<br />

Anschauung aber wäre demnach das Produkt sinnlicher Begriffe.<br />

Erfahrungsbegriff und sinnlicher Begriff geraten so in Konkurrenz. Denn:<br />

Nach § 22 sind Wahrnehmungen mit Empfindung begleitete<br />

Vorstellungen. Sinnliche Begriffe sind nach B 180/A 141f.<br />

(Schematismuskapitel), solche, die Vorstellungen enthalten, die<br />

Anschauung enthalten. Diese aber ist wiederum eben durch Sinnlichkeit<br />

gekennzeichnet — und wie aus dem Zusammenhang geschlossen werden<br />

muß, durch empirische Sinnlichkeit. Demnach ist die Anschauung ein<br />

56 K.r.V., B 147<br />

57 l. c.<br />

58 Refl. 4681, AA XVII. p. 666 f., vgl. dazu auch BENEDIKT 1977, p. 261ff. p. 263:


— 299 —<br />

sinnliches Produkt der Einbildungskraft nach oder gemäß sinnlicher<br />

Begriffe und die Erscheinung ein sinnliches Produkt der Regel der<br />

Wahrnehmungen, die selbst freilich Vorstellungen sind, die Empfindung<br />

beinhalten.<br />

Wahrnehmungen sind also Vorstellungen, die Anschauung beinhalten<br />

(wie in der Rekognition), und bedeuten selbst, so weit mit Gewißheit<br />

ausgesagt werden kann, nichts weiter als empirische Sinnlichkeit — und<br />

zwar eben die gleiche Sinnlichkeit, der auch der sinnliche Begriff<br />

verpflichtet ist. »Regel der Wahrnehmung in der Erfahrung sind Titel der<br />

Erscheinung«: das unterscheidet die sinnlichen Begriffe an der Oberfläche<br />

vom Titel der Erscheinung bloß daran, als ob der »sinnliche Begriff«<br />

gegenüber der empirischen Sinnlichkeit (Empfindung) keinerlei Regel<br />

hätte. Entscheidend ist also zunächst, daß auch im sinnlichen Begriff eine<br />

(qualitative) Regel der Erfahrung qua Begrifflichkeit enthalten sein muß,<br />

ansonsten nicht von Begriff gesprochen werden könnte; doch ist mit der<br />

Unterscheidung in »sinnlichen Begriff« und der »Regel der Wahrnehmung<br />

in der Erfahrung« eben auch der Horizont der anschaulichen und<br />

kontinuierlichen Gegenwart ausdrücklich verlassen worden, welche die<br />

»sinnlichen Begriffe« (und in einem gewissen Sinn ein Teil der<br />

»Wahrnehmungen«) auszeichnet. Es geht nunmehr um den Vergleich von<br />

Teilen bzw. Ausschnitten (eben Anschauung) der jeweils gegebenen<br />

kontinuierlichen Gegenwart (als Erscheinungsreihe) mit einem Konzept<br />

über deren Organisiertheit; was eben Erfahrung von der Beschreibung<br />

unterscheidet (Erklärung gegenüber der Anschauung).<br />

§ 6 Sind die Kategorien anthropologisch fundiert?<br />

Kant hält die letzte Aussage von § 22 (»Folglich haben die Kategorien<br />

keinen anderen Gebrauch zum Erkenntnisse der Dinge, als nur so fern<br />

diese als Gegenstände möglicher Erfahrung angenommen werden.«) nicht<br />

zu unrecht für zentral: »Der obige Satz ist von größter Wichtigkeit; denn er<br />

bestimmt eben sowohl die Grenzen des Gebrauchs der reinen<br />

Verstandesbegriffe in Ansehung der Gegenstände, als die transzendentale<br />

Ästhetik die Grenzen des Gebrauchs der reinen Form unserer sinnlichen<br />

Anschauung bestimmete.« 59<br />

59 § 23, B 149


— 300 —<br />

Im ersten Fall bestimmt die Sinnlichkeit die Grenze des Verstandes, im<br />

zweiten Fall bestimmt die transzendentale Ästhetik »die Grenzen des<br />

Gebrauchs der reinen Form unserer sinnlichen Anschauung«. Demnach<br />

bestimmt die transzendentale Ästhetik nicht selbst »die reine Form unserer<br />

sinnlichen Anschauung«; dazu sind zwei Fragen zu stellen: erstens, von<br />

woher nimmt die transzendentale Ästhetik ihre Gründe; zweitens, woher<br />

nimmt die »reine Form« ihre Gründe? Ersteres ist kaum zu beantworten;<br />

jedenfalls kann von hier aus nur auf die metaphysischen Erörterungen des<br />

Raumes verwiesen werden. Zweiteres ist zur Beantwortung einfach<br />

entweder auf die transzendentale Psychologie zwischen rationaler<br />

Psychologie und rationaler Physiologie oder auf den Übergang von<br />

transzendentaler Subsumtion, welche eine analytisch metaphyische<br />

Interpretation entlang des Leitfadens der Prädikatenlogik besitzt, zum<br />

transzendentalen Schematismus, welche eine synthetisch (teils<br />

transzendental a priori, teils synthetisch-metaphysisch a posteriori)<br />

metaphysische Interpretation entlang des Leitfadens der Aussagenlogik zu<br />

verweisen. Jedoch ist komplementär zu bedenken: Die auf die »reine<br />

Form« unserer sinnlichen Anschauung eingeschränkte Wahrnehmungs-<br />

Vorstellungs- und und Erscheinungsreihe, worauf Erfahrung<br />

ausschließlich beruht, schränkt nunmehr den Gebrauch des<br />

Verstandesbegriffes vom Gegenstand ein, während die möglichen<br />

Verwendungen von »Anschauung« dank des psychologischen<br />

Kunstgriffes in § 1 der transzendentalen Ästhetik, »reine Sinnlichkeit« der<br />

»reinen Anschauung« vorauszusetzen, durch den Hinweis auf die<br />

Sinnlichkeit der Anschauung allein (ohne Hinweis auf die Empfindung)<br />

nicht mehr auf empirische Anschauung einzuschränken sind. Darüber<br />

hinaus schreibt Kant in § 23noch: »Die reinen Verstandesbegriffe sind von<br />

dieser Einschränkung frei, und erstrecken sich auf Gegenstände der<br />

Anschauung überhaupt, sie mag der unsrigen ähnlich sein oder nicht,<br />

wenn sie nur sinnlich und nicht intellektuell ist. Diese weitere<br />

Ausdehnung der Begriffe über unsere sinnliche Anschauung hinaus, hilft<br />

uns aber zu nichts. Denn es sind alsdenn leere Begriffe von Objekten, von<br />

denen, ob sie nur einmal möglich sind oder nicht, wir durch jene gar nicht<br />

urteilen können [...].« 60<br />

Kant vermag sich also verschiedene »Sinnlichkeiten«, zunächst womöglich<br />

auch verschiedene Formen der Anschauung, vorzustellen, denen alle<br />

60 l. c.


— 301 —<br />

gemeinsam ist, sinnlich, d. i. empfindend, zu sein. Damit unterscheidet<br />

Kant die »reine Anschauung« von diesen Variationen »empirischer«<br />

Anschauungformen, die, obwohl jeweils auch qualitativ verschieden,<br />

aufgrund der »formalen Anschauung« eine einheitliche Grundlage<br />

besitzen, weil diese nach den primitiven Regel der Beharrlichkeit in der<br />

Apprehension der Erscheinung und in weiterer Folge mit der logischen<br />

Regel der Sukzession vom Verstand zu bestimmen sind. Kant setzt auch<br />

die Folgen der Schematen der konstitutiven Kategorie einer<br />

anthropologischen Einschränkung aus: Einem Objekt keine Anschauung<br />

geben zu können, könnte auch heißen, daß die unsrige nicht für ihn gelte. 61<br />

Für reine Anschauung scheint das jedoch nach dem vorhin Gesagten nicht<br />

zwingend zu gelten. — Kant wechselt in der Überschrift des § 22 62 von den<br />

»Gegenständen der Erfahrung« zu den »Gegenständen der Sinne<br />

überhaupt« in der Überschrift des § 24 63 . Man darf vermuten, daß Kant<br />

damit für den Fortgang seiner Überlegung die empirisch-anthropologische<br />

Einschränkung für die Verstandesbegriffe wieder zurücknehmen wollte. In<br />

§ 24 wird ausdrücklich gesagt: »Die reinen Verstandesbegriffe beziehen<br />

sich durch den bloßen Verstand auf Gegenstände der Anschauung<br />

überhaupt, unbestimmt ob sie die unsrige oder irgend eine andere, doch<br />

sinnliche sei, [...].« 64 Kant unterscheidet aber nicht nur unsere Sinnlichkeit<br />

von anderen denkbaren Sinnlichkeiten, sondern unseren Verstand vom<br />

göttlichen Verstand: »Weil nun der Verstand in uns Menschen selbst kein<br />

Vermögen der Anschauungen ist, und diese, wenn sie auch in der<br />

Sinnlichkeit gegeben wäre, doch nicht in sich aufnehmen kann, um<br />

gleichsam das Mannigfaltige seiner eigenen Anschauung zu verbinden, so<br />

ist seine Synthesis, wenn er für sich allein betrachtet wird, nichts anderes,<br />

als die Einheit der Handlung, deren er sich, als einer solchen, auch ohne<br />

Sinnlichkeit bewußt ist, durch die er aber selbst die Sinnlichkeit innerlich<br />

in Ansehung des Mannigfaltigen, was der Form ihrer Anschauung nach<br />

ihm gegeben werden mag, zu bestimmen vermögend ist.« 65<br />

»Denn, wollte ich mir einen Verstand denken, der selbst anschauete (wie<br />

etwa einen göttlichen, der nicht gegebene Gegenstände sich vorstellete,<br />

sondern durch dessen Vorstellung die Gegenstände selbst zugleich<br />

61 l. c.<br />

62 Die Kategorie hat keinen Gebrauch zum Erkenntnisse der Dinge, als ihre<br />

Anwendung auf Gegenstände der Erfahrung<br />

63 Von der Anwendung der Kategorien auf Gegenstände der Sinne überhaupt.<br />

64 B 150, Herv. v. Verf.<br />

65 B 153


— 302 —<br />

gegeben, oder hervorgebracht würden), so würden die Kategorien in<br />

Ansehung eines solchen Erkenntnisses gar keine Bedeutung haben.« 66<br />

Kant unterscheidet also klar und deutlich die reine Anschauung einerseits<br />

von allen möglichen empirischen Anschauungen und andererseits von der<br />

intellektuellen Anschauung. Bemerkenswerterweise soll es möglich sein,<br />

daß es Gegenstände geben könnte, die nicht für unsere Art von<br />

Anschauung geeignet sind, obgleich die reine Anschauung unabhängig<br />

von der Art der empirischen Anschauung in der formalen Anschauung<br />

rein nach Begriffen konstruiert werden kann. Das ist auch ein Hinweis auf<br />

die Möglichkeit von Geometrien, die nicht geeignet sind, auf empirische<br />

Anschauungen angewandt zu werden.<br />

§ 7 Ding und Existenz im kategorischen Urteil<br />

a) Anschauung und Erfahrung und die endgültige Aufhebung ihrer<br />

zirkulären Argumentationsstruktur<br />

Obwohl aufgrund der Universalität von Raum und Zeit als<br />

transzendentale und reine Anschauungsform und aufgrund deren<br />

Kontinuitätsbedingung als Anschauungsform bereits ohne Substanz und<br />

ohne Kausalität (aber nicht ohne deren Möglichkeit) 67 ein System von<br />

Regeln aufgestellt werden kann, welche für alle Anschauungen gelten<br />

können muß, geben erst die dynamischen Kategorien die Möglichkeit, den<br />

konstituierten raumzeitlichen Horizont einer Anschauung als objektive<br />

Realität anzusehen. Zwar bezieht Kant schon § 14 die Erfahrung in die<br />

Konstitution mit ein, jedoch bleibt nicht nur die weiterhin unverändert<br />

gebrauchte Gegenüberstellung von Anschauung und Begriff ein Indiz für<br />

die Annahme, die Folgen der Einbeziehung der Erfahrung 68 in den Kreis<br />

der Konstituenten auf die weitere Argumentation wäre eine nur geringe:<br />

66 § 21, B 145<br />

67 Vgl. den Gedankengang in der Phoronomie (M.A.d.N.): Obwohl die Beweglichkeit<br />

der Materie bis auf eine Ausnahme in der Analytik der Grundsätze erst im Beweis<br />

der Kausalitätskategorie heran-gezogen wird (B 237), setzt die Phoronomie noch<br />

nicht die vollständige dynamische Kategorie voraus, da als Substrat anstatt der mit<br />

Kausalität begabten Materie nur das Bewegliche bestimmt wird. Die Phoronomie<br />

erfüllt also noch nicht die dynamische Kategorie der Kausalität, sofern im Grundsatz<br />

die Änderung in der Erscheinung als Änderung des Zustands als<br />

Bewegungsänderung, also als Richtungs- und/oder Geschwindigkeitsänderung<br />

vorgestellt wird, wozu zur Darstellung bloß die Mechanik benötigt wird.<br />

68 Die Erfahrung ist hier einerseits auf die kontinuierliche Vergänglichkeit der<br />

Gegenwart als empirischen Grund der Wahrnehmung angewiesen (während die


— 303 —<br />

»Nun enthält aber alle Erfahrung außer der Anschauung der Sinne,<br />

wodurch etwas gegeben wird, noch einen Begriff von einem Gegenstande,<br />

der in der Anschauung gegeben wird, oder erscheint: demnach werden<br />

Begriffe von Gegenständen überhaupt, als Bedingung a priori, darauf<br />

beruhen, daß durch sie allein Erfahrung (der Form des Denkens nach)<br />

möglich sei. Denn alsdenn beziehen sie sich notwendiger Weise und a<br />

priori auf Gegenstände der Erfahrung, weil nur vermittelst ihrer<br />

überhaupt irgend ein Gegenstand der Erfahrung gedacht werden kann.« 69<br />

Die Erfahrung enthält den Begriff vom Gegenstande; das ist selbst noch<br />

kein Hinweis auf die Bedeutung der dynamischen Kategorien für die<br />

Möglichkeit überhaupt, ein gegebenes Objekt als einzelnen Gegenstand zu<br />

denken. Die Verschiebung zur Frage nach dem grammatikalischen und<br />

logischen Ursprung des Begriffes von einem einzelnen Gegenstand, also<br />

daß im besonderen Sinne die Möglichkeit von Erfahrung »der Form des<br />

Denkens nach« von diesem abhänge, kann nicht verhindern, daß das<br />

gegebene Objekt der Anschauung in Abhängigkeit von der Erfahrung<br />

gerät, weil es als empirisches Objekt der Sinnlichkeit eben immer nur in<br />

der Erfahrung und gemäß deren Prinzipien gegeben werden kann. Kant<br />

scheint im ersten Satz mit zwei Begriffen von »Anschauung« zu operieren:<br />

zuerst betrachtet er die Anschauung als etwas in der Erfahrung<br />

enthaltenes, aber davon verschiedenes, dann soll schon die Anschauung<br />

den Begriff des Gegenstand, der erst die Möglichkeit der Erfahrung<br />

ausmacht, ohne Erfahrung gegeben haben. In welchem Sinn ist das der<br />

Anschauung zuzumuten? Sicherlich im modalen Sinne des zweiten<br />

empirischen Postulats: Zur logischen Assertion muß die Sinnlichkeit der<br />

Anschauung ein Objekt geben können. Im modalkategorialen Sinne der<br />

Konstitution eines gebbaren Objektes als möglicher Gegenstand der<br />

Erfahrung (erstes empirisches Postulat) aber offensichtlich nicht.<br />

Nunmehr soll zwar zuerst die Anschauung dem im reinen<br />

Verstandesbegriff gedachten Gegenstand die Bedingung geben, die<br />

Erfahrung erst möglich macht. Doch ist andererseits die Erfahrung<br />

Untersuchung der bloß sinnlichen Empfindung die Gegenwart selbst als<br />

unvergänglich in der epoché behielt). Andererseits beinhaltet der Begriff von der<br />

Erfahrung immer schon den Vergleich von jetzt Gegenwärtigen mit damals<br />

Gegenwärtigen. Hier soll sowohl in der Anschauung wie in der Erfahrung das<br />

Prinzip der Kausalität (ihm vorausgesetzt das Prinzip der Substanz) die reale<br />

Verknüpfung mit der Vergangenheit besorgen.<br />

69 B 126/A 93


— 304 —<br />

gleichwohl die Bedingung, daß Anschauung wirklich (d. h. als empirische<br />

Anschauung) möglich ist. Hier sind wieder einige Bestimmungen<br />

beizubringen, um die Schwierigkeiten dieser Aussage Kants deutlich zu<br />

sehen: Die erstgenannte Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung kann<br />

als die der formalen und auch der reinen Anschauung verstanden werden,<br />

deren bestimmte Regelhaftigkeit keine Gegenstände, die von der<br />

empirischen Sinnlichkeit gegeben werden könnten, benötigt. Die<br />

zweitgenannte — empirische — Bedingung der Anschauung setzt aber<br />

nicht nur Sinnlichkeit, sondern auch Erfahrung — also nicht nur reine,<br />

sondern auch empirische Sinnlichkeit — voraus. Mit der zweitgenannten<br />

Bedingung des Verstandesbegriffes als Kategorie der Erfahrung gilt aber<br />

wiederum, daß die empirisch-sinnliche Anschauung den reinen<br />

Verstandesbegriff vom Gegenstand benötigt, um allererst Erfahrung<br />

möglich zu machen. Damit scheint der Zirkelschluß unausweichlich.<br />

Doch ist die Erfahrung dem Objekt der Anschauung nur insofern<br />

vorausgesetzt, als daß die Sinnlichkeit uns nur in der Zusammenfassung<br />

der kontinuierlichen Zeit einen Gegenstand auch geben kann. Erfahrung im<br />

kategorialen Sinne des Erklärens der Anschauung zum Gegenstand<br />

beinhaltet aber schon einen Begriff der Verhältnisse der Dinge<br />

untereinander und nicht nur der Verhältnisse deren Erscheinungen. Derart<br />

werden die die Momente der Zeitlichkeit der »empeiria«, also dem<br />

erfahrenen Umgang mit seinen Sinnen und den physischen Alltagsdingen<br />

(seien sie Zivilisationsprodukte oder Naturdinge), vom Vollbegriff der<br />

Erfahrung im Rahmen der Phronesis (technische und praktische Klugheit),<br />

welche in der Idee der Wahrheit mit der Theoriefähigkeit in Beziehung<br />

steht, wieder selbstständig unterscheidbar. Auch für die<br />

formale Anschauung ist zwar die kontinuierliche Zeit wie die Sinnlichkeit<br />

gleichermaßen vorausgesetzt, doch aber zweimal nicht der Grund der<br />

Erscheinung des Objektes, sofern die Anschauung überhaupt uns die<br />

Gegenstände gibt. 70 Für die reine Anschauung gilt gleiches, weil noch die<br />

Möglichkeit der Gegenstände der reinen Anschauung (Geometrie) von<br />

Kant selbst als (selbst unzeitliche) Bedingung der möglichen Erfahrung<br />

beansprucht werden. Die Zeitlichkeit der Anschauung in jedem Sinn ist<br />

kontinuierlich und gegenwärtig, die Zeitlichkeit der Erfahrung im engeren<br />

Sinn des Wortes ist diskontinuierlich und bezieht die von der Gegenwart<br />

70 Daß wir auch den bloßen Erscheinungen immer schon ein Ding voraussetzen, wäre<br />

ohne den vollständigen Gebrauch der Kategorien als dialektisch zu kritisieren.


— 305 —<br />

getrennte Vergangenheit mit ein, wenngleich noch vorausgesetzt wird, daß<br />

der Übergang von Vergangenheit und Gegenwart kontinuierlich verläuft.<br />

Wir haben also nach Kant in der Erfahrung sowohl einen<br />

Verstandesgrund, der nicht in der kontinuierlichen Erfahrung in der<br />

Anschauungsform liegt, zu berücksichtigen, wie einen Grund, der<br />

außerhalb der Form der je aktuellen Anschauung liegt, ohne selbst deshalb<br />

bloß intellektuell zu sein.<br />

Das bedeutet nicht nur, daß es sich hiebei nicht um eine einfache<br />

Tautologie handelt, sondern in Folge auch, daß die kontinuierlich<br />

verfließende Zeit der empirischen Sinnlichkeit für sich noch keinen<br />

Gegenstand gibt, sondern dazu noch eine weitere Art von Regel der<br />

Verknüpfung der Erscheinungen hinzutreten muß. Das ist erstens nun die<br />

primitive Regel der Apprehension, welche das Beharrliche im Wechsel der<br />

Erscheinungen bestimmt, zweitens die Regeln des geometrischen Begriffs,<br />

um mittels des Schematismus der empirischen Einbildungskraft die<br />

Formen der Erscheinungen auf Begriffe zu bringen. Drittens das Prinzip<br />

der durchgängigen Bestimmung eines Dinges mittels aller möglichen<br />

Prädikate überhaupt und die Regeln des Begriffs vom einzelnen<br />

Gegenstand im Ideal der reinen Vernunft, welches die wesensnotwendigen<br />

Prädikate des allgemeinen Wesens einer Gattung auf intellektuellem Wege<br />

bestimmt. Viertens aber muß die Bestimmung zur objektiven Realität<br />

durch eine Art von Regeln erfolgen, die von der Art der Regel der<br />

logischen Gegenstände überhaupt und von den Regeln der Figuren in der<br />

Geometrie und der Größen in der Arithmetik verschieden sind, da das<br />

Ding überhaupt und der Begriff von einem einzelnen Gegenstand zwar die<br />

Existenz analytisch notwendigerweise beinhalten, aber, wie eben die<br />

transzendentale Analytik zeigt, nur als subjektive (oder nur hinsichtlich<br />

des Einschränkungsgrundes der Zweckmäßigkeit der Mathematik auch<br />

schwächer als objektiv zu bezeichnende) Realität. Aber auch die subjektive<br />

Realität eines Dinges überhaupt und die subjektive »reine Form« der<br />

Erscheinungen vermögen zusammen zwar genau genommen nur objektive<br />

Giltigkeit, aber nicht schon objektive Realität zu erweisen. Es ist in den<br />

folgenden Untersuchungen also weiterhin darauf zu achten, wie die<br />

Hinweise gegeben werden, die für den Begriff des Gegenstandes oder<br />

Objektes in der transzendentalen Analytik eine Verbindung zu den<br />

dynamischen Kategorien vor den synthetischen Grundsätzen der<br />

konstitutiven Kategorien selbst zumindest anweisen.


— 306 —<br />

Kant exponiert bereits in § 18 die transzendentale Einheit der<br />

Apperzeption wieder 71 als in der Anschauung auf ein Objekt bezogen.<br />

Dazu dient aber die Konstitution eines geometrischen Elements, nämlich<br />

das Ziehen einer Linie und der darin bestimmte Begriff eines bestimmten<br />

Raumes 72 als Vorbild. Ohne also hier auf das reine synthetische Urteil a<br />

priori im Rahmen der Geometrie nochmals eingehen zu müssen, soll die<br />

Konstruktion einer geometrischen Figur (hier eine Strecke) als Vorbild der<br />

Vereinigung des in einer Anschauung gegebenen Mannigfaltigen in einem<br />

Begriff vom Objekte dienen können. 73 Während in § 18 die subjektive<br />

Einheit des Bewußtseins als die der Assoziation und Reproduktion, die<br />

objektive Einheit aber lediglich durch die »notwendige Beziehung des<br />

Mannigfaltigen der Anschauung zum Einem: ich denke; also durch die<br />

reine Synthesis des Verstandes, welche a priori der empirischen zum<br />

Grunde liegt« 74 bestimmt wird, und so dem Begriff des Objektes<br />

anheimgestellt ist, bloß das Duplikat der Einheit und der Identität der<br />

ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption zu werden, 75 gibt<br />

Kant in § 19 das berühmte Beispiel, wie aus einem hypothetischen Urteil<br />

über die bloße Assoziation in der Anschauung: »Wenn ich einen Körper<br />

trage, so fühle ich einen Druck der Schwere« zum kategorischen Urteil:<br />

»Der Körper ist schwer« übergegangen werden soll. 76 Ungeachtet der<br />

Frage nach der Quantität des Urteils, also ungeachtet ob dieses<br />

kategorische Urteil wirklich notwendigerweise allgemeingültig ist, wird<br />

damit die Absicht in der zweiten Fassung Kants deutlich, mit der Einheit<br />

der Mannigfaltigkeit der Anschauung in der Apperzeption als die Einheit<br />

der Mannigfaltigkeit eines Begriffes auch das Ungleichartige (Ausdehnung<br />

und Schwere) in einem Objekt synthetisch zu verbinden. Daraus geht aber<br />

wiederum nicht sofort hervor, inwieweit die dynamische Kategorie zur<br />

Konstitution eines gegebenen Objektes zum einzelnen Gegenstand als<br />

unbedingt notwendig herausgestellt werden kann. — Daß in der Ersten<br />

71 Kant wiederholt damit eine Position aus der ersten Fassung (A 104), wo die<br />

Konstitution des Objekt als Voraussetzung für die transzendentale Einheit der<br />

Apperzeption fungiert. Das wird bekanntlich in B vom zweiten Kriterium in § 16,<br />

dem Hinzusetzen einer Vorstellung zu einer anderen, ersetzt.<br />

72 K. r. V., B 138<br />

73 B 139<br />

74 B 140<br />

75 Vgl. den Paralogismus der rationalen Psychologie: »Was nicht anders als Subjekt<br />

gedacht werden kann, existiert auch nicht anders als Subjekt, und ist also Substanz.<br />

Nun kann ein denkendes Wesen, bloß als ein solches betrachtet, nicht anders als<br />

Subjekt gedacht werden. Also existiert es auch nur als ein solches, d. i. als Substanz.«<br />

(B 410 f.)<br />

76 B 142


— 307 —<br />

metaphysischen Erörterung des Raumes bereits die Realität eines Dinges<br />

und die Realität räumlicher Distanz aus der ursprünglichen Beziehung von<br />

Subjekt und Objekt (Affinität qua Intentionalität) ausgedrückt wird,<br />

widerspricht dieser kritischen Haltung gegenüber der Konstitution des<br />

Gegenstandes aus der bloßen Anschauung 77 nicht, da hier nach der<br />

Konstitution eines Objektes der Erfahrung im Begriff von einem einzelnen<br />

Gegenstand und nicht bloß nach einem Ding überhaupt vor jeder<br />

Anschauungsform gefragt wird. 78<br />

Auch wenn die Einheit von Raum und Zeit als Anschauungsform oder die<br />

ursprüngliche Synthesis als formale Anschauung für die Apprehension<br />

vorauszusetzen ist, ist deshalb damit noch gar nicht bekannt, was von der<br />

gegebenen Mannigfaltigkeit der Anschauung (hier eben noch nicht als<br />

Produkt der dynamischen Kategorien) zu ein und demselben Objekt<br />

gehört und was nicht (auch sieht man einmal von der Schwierigkeit ab,<br />

daß z. B. gewisse Phänomene wie etwa Farbe oder Wärme gar nicht im<br />

ontologischen Sinne eindeutige Akzidentien eines bestimmten<br />

Gegenstandes allein sind). Kant schränkt aber den Horizont der<br />

Anschauung immer schon auf ein Objekt ein und verweist hier dabei noch<br />

auf Bedingungen zur Einheit des Begriffes im reinen Verstandesgebrauch<br />

und nicht auf weitere Differenzierung des Begriffes der Anschauungsform<br />

oder auf die Bedeutung der Einheit der Erfahrung für die<br />

Gegenstandskonstitution wie Husserl immerhin im Konzept der<br />

»Appräsentation«. Genau die Beziehung der qualitativen Einheit eines<br />

Begriffes auf ein Objekt konnte als notwendige Bedingung des Konzeptes<br />

vom Konzept in ihren Grundlagen aber noch gar nicht aufgeklärt werden.<br />

Dazu erfolgt hier im nächsten Kapitel eine grundlegende Untersuchung<br />

des offenbar bei aller Kritik unumgänglichen Idealismus.<br />

77 In diesen Zusammenhang also auf die Konstitutionsleistung der mathematischen<br />

Kategorien beschränkt. Vgl. B 222: »Eine Analogie der Erfahrung wird also nur eine<br />

Regel sein, nach welcher aus Wahrnehmungen Einheit der Erfahrung (nicht wie<br />

Wahrnehmung selbst, als empirische Anschauung überhaupt), und als Grundsatz<br />

von den Gegenständen (der Erscheinung) nicht konstitutiv, sondern bloß regulativ<br />

gelten.«<br />

78 Vgl. hiezu Kants Ablehnung der These Leibnizens, daß die Lage der Substanzen<br />

zueinander zu deren individuellen Wesensidee gehöre. In: Von den Gegenden im<br />

Raum.


— 308 —<br />

b) Das kategorische Urteil steht sowohl zur Totalität wie zur Kontingenz<br />

in Beziehung<br />

Kant hat den Gegenstand in dem hier angezogenen Zusammenhang<br />

bislang als ein Problem zwischen Anschauung und Vorstellung einerseits<br />

und zwischen Vorstellung und Begriff andererseits bestimmt, in § 19 der<br />

transzendentalen Deduktion wird allerdings erstmals die logische Form<br />

des kategorischen Urteils zur Bestimmung des Begriffes von einem Objekt<br />

herangezogen. 79 Damit scheint aber doch mehr geleistet worden zu sein,<br />

als den transzendenten Gebrauch der reinen Vernunftbegriffe, d.i. die<br />

Subreption im Ideal der reinen Vernunft, von der Allheit möglicher<br />

Prädikate a priori auf ein existierendes Ding an sich selbst zu schließen, im<br />

Rahmen der sinnlichen Anschauung überhaupt als für gerechtfertigt zu<br />

erklären: Im Kapitel über das transzendentale Ideal wird mittels dreier<br />

Selektionsverfahren zuerst zwar die Allheit der möglichen Prädikate eines<br />

Dinges bestimmt, schließlich aber der das Existenzprädikat enthaltende<br />

(nach sich ziehende) Teil der Sphäre der (gemäß dem subkonträren Urteil)<br />

entgegengesetzen Prädikate dann ersetzt vom wesensnotwendigen<br />

Merkmal des allgemeinen Begriffs von einem einzelnen Gegenstand. Trotz<br />

der Erklärung der Subreption der Vernunft im transzendentalen Ideal wird<br />

nochmals der das Existenzprädikat enthaltene Teil der Sphäre aller<br />

möglichen Prädikate eines Dinges auf die Allheit möglicher Prädikate<br />

sinnlich gegebener Anschauung angewendet. 80 Nicht nur, daß der<br />

Verstand trotz der Sinnlichkeit als einschränkende Bedingung des<br />

Gegebenseins von Prädikaten eben die gleiche Subreption vollzieht, wenn<br />

die ganze Anschauung mit einem Objekt gleichgesetzt wird, können<br />

sinnlich mögliche Prädikate eines Dinges nacheinander möglich sein, die<br />

in »Einer Anschauung« nicht zusammen möglich sind. Die fließende<br />

Grenze von Anschauung und Erfahrung dokumentiert sich nirgends<br />

besser darin, als daß in § 12 (»qualitative Einheit« des Begriffes) die Folgen<br />

der sinnlich gebbaren Merkmale als Prädikate gelten sollen und erst<br />

insofern die Eigenschaften eines wirklichen Gegenstandes vollständig<br />

beschreiben können. Das führt aber nicht zu einem eindeutigen Ergebnis,<br />

sondern wie in der weiter oben geführten Untersuchung des Begriffes vom<br />

transzendentalen Objekt = X im Kapitel über die Rekognition, zu einem<br />

79 Vgl. die Beziehung zwischen der »Synthesis der Reproduktion in der Einbildung«<br />

mit der ersten Seite in der „Synthesis der Rekognition im Begriffe« bezüglich der<br />

Verwendung des Begriffes der Regel, vgl. aber auch (A 104) mit §§ 15-17 in B.<br />

80 B 609 f./A 581 f.


— 309 —<br />

mehrdeutigen Begriff vom Gegenstand. 81 Insofern die empirische<br />

Apperzeption in A 104 mit der absoluten Einheit der Anschauung keinerlei<br />

Ansatz für die Anschauungsform des Raumes bietet, hat sie selbst keine<br />

Bedingungen, ein Objekt figürlich zu denken, zumal vorhin das einfache<br />

Faktum bewußter (also gegebener) Erscheinungen (d.i. die empirische<br />

Apperzeption) von den formalen Bedingungen der Anschauung nur die<br />

zeitliche Bedingung erfüllt hat. 82 Obgleich also das Ding überhaupt mit der<br />

Distanz des Raumes als ursprünglich gegeben anzusehen ist, 83 gelingt es<br />

nicht, allein aus der Zeit als Anschauungsform analytisch ein Objekt der<br />

Erscheinung als Gegenstand zu konstituieren. 84 Dazu ist ein reiner<br />

Verstandesbegriff und die Zusammenfügung mit den Schematen der<br />

Sinnlichkeit erforderlich.<br />

Die Präzisierung in der zweiten Fassung (B) gegenüber der ersten Fassung<br />

(A) hinsichtlich der Verbindung der Formen der logischen Funktionen und<br />

der formalen Bedingungen der Sinnlichkeit, die in der Konstitution des<br />

Objekts der Anschauung maßgebend sind, vermag deutlich werden zu<br />

lassen, daß auch die Einheit der reinen Anschauungsform ursprünglich<br />

gerade nicht den Begriff vom einzelnen Gegenstand enthält, wie das<br />

eingangs gegebene Zitat aus § 14 noch behauptet. Die Einheit der Einen<br />

Anschauung ist bereits die Zusammensetzung von Raum und Zeit und<br />

nicht selbst eine reine Anschauungsform. Die Erklärungen, daß die<br />

Anschauung immer Anschauung von Etwas, die Vorstellung immer die<br />

Gegenüberstellung von Etwas ist, und so im Etwas auch der Begriff des<br />

Gegenstandes gerechtfertigt sei, übersehen überdies, daß damit mitnichten<br />

der Begriff vom einzelnen Gegenstand gesichert worden ist, sondern<br />

81 Vgl. in der Dialektik der theologischen Idee: Prototypon - Begriff, ectypa -<br />

Anschauung<br />

82 Ohne aber die Zeit als Anschauungsform und als Form der Verstandeshandlung<br />

auseinanderhalten zu können.<br />

83 Vgl. hier den ersten Abschnitt, I., d).<br />

84 Vgl. folgende Kontoverse: J. Hintikka: Zweck der Erkenntnis ist der Gegenstand. (On<br />

Kant‘s Notion of Intuition, p. 38 ff.; ders.: Kants‘s „New Method of Tought“ and His<br />

Theory of Mathematics. In: T. Penelhum, J.H. MacInthos (Hg.). The First Critique,<br />

Belmont, California, 1969, p. 38 ff.). R. Heinrich: Zweck der Erkenntnis ist die<br />

Anschauung. Einerseits mit Heidegger (Kant u. d. Probl. d. Metaphysik, p. 28),<br />

andererseits gegen Heidegger geht es Heinrich um die Eigenständigkeit der<br />

Anschauung und wie Anschauung für sich selbst hervortritt: als Raum und Zeit. Das<br />

objektiv Endliche als Zweck der Anschauung in der Erkenntnis [statt wie R.Heinrich<br />

anfangs (p. 35) formuliert: die Anschauung als Zweck der Erkenntnis] ist das<br />

eigentliche Ergebnis der Überlegung Heideggers für die Kant-Interpretation; in: R.<br />

Heinrich: Kants Erfahrungsraum ... , 1986, p. 34)


— 310 —<br />

immer nur die Idee irgend eines Dinges. 85 Daß damit allein keineswegs<br />

gesichert werden kann, daß ein Begriff des Gegenstandes der Vorstellung<br />

auch der Begriff dieses Dinges ist, versteht sich von selbst. — Auch<br />

behandelt weder die erste metaphysische Erörterung des Raumes den<br />

Raum als Anschauungsform, noch ist die Regel der Beharrlichkeit im<br />

Rahmen der formalen Anschauung allein schon Grund genug, von<br />

Anschauung oder von einem einzelnen Gegenstand zu sprechen. Allerding<br />

enthält die Anschauung den Begriff irgendeines Objektes oder eines<br />

Systems von Objekten: etwas.<br />

Kant vermeint in § 19 sich diesen Schwierigkeiten überheben zu können,<br />

indem er das Wörtchen »ist« als logisches Merkmal eines kategorischen<br />

Urteils anführt: Dessen Existenzbehauptung bezieht sich aber zuerst nicht<br />

auf die Geltung des logischen Verhältnisses der Verbindung eines<br />

Prädikatsbegriffes mit dem Merkmal des Begriffes vom Satzsubjekt, 86<br />

sondern entweder problematisch, assertorisch oder apodiktisch auf die<br />

reale Möglichkeit der Geltung des Subjektbegriffes samt allen zugehörigen<br />

qualitativen Merkmalen; d. i. allen möglichen notwendigen Wahrheiten<br />

bzw. Aussagen über das Objekt dieses Begriffes — Kant untersucht hier<br />

am Urteil zuerst nicht die logische Form einer einzelnen Ausage (Satz),<br />

sondern die Form der inhaltlichen Verknüpfung im Begriff als System von<br />

möglichen Aussagen. In der transzendentalen Logik bedeutet dies nichts<br />

als die Untersuchung der Verstandeshandlung. 87 Zu dieser Argumentation<br />

kommt das Problem der Kontingenz der Erfahrung hinzu. Folgendes Zitat<br />

verbindet beide Argumentationswege miteinander: Ich behaupte nun, die<br />

85 Vgl. Franz Brentanos Argumentation gegen den Substanzbegriff: Beharrlichkeit<br />

benötigt keine einfache Substanz (es reicht ein kollektives Aggregat), in:<br />

Kategorienlehre p. 139. Brentano versucht schließlich den Ort als Zentrum des<br />

Substanzbegriffes wie des Raumbegriffes zu situieren.<br />

86 Refl. 3049: »Urtheil ist ist die Vorstellung des Verhältnisses der Begriffe<br />

untereinander.« (AA XVI, p. 632, nach 1776).<br />

87 Ich teile hier die Auffassung von Stuhlmann-Laeisz (Kants Logik, Berlin/New York<br />

1976, p. 59), daß der § 19 von der transzendentalen Logik handelt, die er dort<br />

entgegen H. J. Paton vertritt (Formal and transcendental Logic, in: Kant-Studien, Bd.<br />

49, 1957/58, p. 245-263). Vgl. auch: »Das Wort: Realität, welches im Begriffe des<br />

Dinges anders klingt, als Existenz im Begriffe des Prädikats, macht es nicht aus.<br />

Denn, wenn ihr auch alles Setzen (unbestimmt was ihr setzt) Realität nennt, so habt<br />

ihr das Ding schon mit allen seinen Prädikaten im Begriffe des Subjekts gesetzt und<br />

als wirklich angenommen, und im Prädikate wiederholt ihr es nur. Gesteht ihr<br />

dagegen, wie es billigermaßen jeder Vernünftige gestehen muß, daß ein jeder<br />

Existenzialsatz synthetisch sei, wie wollet ihr denn behaupten, daß das Prädikat der<br />

Existenz sich ohne Widerspruch nicht aufheben lasse? Da dieser Vorzug nur den<br />

analytischen, als deren Charakter eben darauf beruht, eigentümlich zukommt.«<br />

(B 625 f./A 597 f.)


— 311 —<br />

Interpretation forcierend, im unten stehenden Zitat entstammt die<br />

Zufälligkeit der empirischen Erfahrung zunächst einfach der wechselnden<br />

Lage des erkennenden Subjekts zum Objekt der Erfahrung:<br />

»Denn dieses [das Wörtchen ist] bezeichnet die Beziehung derselben auf<br />

die ursprüngliche Apperzeption und die notwendige Einheit derselben,<br />

wenn gleich das Urteil selbst empirisch, mithin zufällig ist, z. B. die Körper<br />

sind schwer. Damit ich zwar nicht sagen will, diese Vorstellungen gehören<br />

in der empirischen Anschauung notwendig zu einander , sondern sie<br />

gehören vermöge der notwendigen Einheit der Apperzeption in der Synthesis<br />

der Anschauung zu einander, d. i. nach Prinzipien der objektiven<br />

Bestimmungen aller Vorstellungen, so fern daraus Erkenntnis werden<br />

kann, welche Prinzipien alle aus dem Grundsatze der transzendentalen<br />

Einheit der Apperzeption abgleitet sind. Dadurch allein wird aus diesem<br />

Verhältnisse ein Urteil, d. i. ein Verhältnis, das objektiv gültig ist [...].« 88<br />

Die Vorstellungen gehören in der empirischen Anschauung nicht<br />

»notwendig zu einander«: bedeutet das, einmal sind die Merkmale in<br />

diesen Vorstellungen am Objekt der Erfahrung zu finden, einmal nicht,<br />

wie die erste kritische Überlegung von wesentlichen und unwesentlichen<br />

Merkmalen dazu geführt hat, daß die Wesentlichkeit von Merkmalen nicht<br />

von ihrem andauernden äußerlichen Erscheinen abhängt? Immerhin<br />

müssen nicht alle die in der Einheit der Apperzeption notwendig<br />

verbundenen Vorstellungen zusammen in der selben empirischen<br />

Anschauung auftreten, was in diesem Zusammenhang nicht gegen eine<br />

solche Überlegung spricht. — Im Sinne des weiteren Fortganges der hier<br />

von Kant verfolgten Überlegung kann diese Formulierung für dieses<br />

Beispiel (oder ähnlich geartete) aber nur bedeuten, daß wir uns erst in die<br />

geeignete Lage zum beobachteten Ding bringen müssen, um beide<br />

genannten Vorstellungen (ausgedehnter Körper, Schwere) in<br />

einer Erfahrung zu besitzen. D. h., die aktuelle und kontinuierliche<br />

Erfahrung zeigt nicht immer diejenige Einheit der Vorstellungen, die in der<br />

notwendigen Einheit in der Apperzeption ausgesprochen wird, doch<br />

immer soll die Möglichkeit bestehen, daß diese Vorstellungen (zugleich<br />

und nacheinander) in einer zusammenhängenden Erfahrung zusammen<br />

gegeben werden. 89<br />

88 K.r.V., B 142, Hervorhebung von Kant<br />

89 Vgl. Edmund Husserl: »Alle Räumlichkeit konstituiert sich, kommt zur Gegebenheit,<br />

in der Bewegung, in der Bewegung des Objektes selbst und in der Bewegung des


— 312 —<br />

Daß ein empirisches Urteil assertorisch gilt, ist nun nicht von der weiteren<br />

Eigenschaft eines bestimmten Merkmals allein abhängig, das im<br />

Satzsubjekt oder im Prädikat Existenz behauptet: Die bloße<br />

Existenzbehauptung von irgendetwas, das mit einem einzelnen Merkmal<br />

auch immer behauptet werden kann, ist entgegen Herbart aus logischen<br />

Gründen allein nicht zwingend als eine eigene Urteilsklasse zu<br />

betrachten, 90 die etwa erst assertorisch zur problematischen Form der<br />

inhaltlichen Verknüpfung von Prädikat einerseits und Subjektbegriff als<br />

intuitive Teilvorstellung des ganzen Gegenstandes andererseits<br />

hinzutreten muß, um ein apodiktisches und kategorisches Urteil zu<br />

ergeben. 91 Dazu wäre das Grundurteil, das nur ein Merkmal besitzt, gar<br />

nicht mehr geeignet, denn nicht nur die einzelne Anschauung<br />

(conceptus singularis ) geht von mehreren Merkmalen aus sondern auch das<br />

einzelne Urteil (in § 9: judicium singulare ). Ein Urteil, welches aber einen<br />

Gegenstand A behauptet, bevor das Urteil der Verbindung von A mit<br />

einem Prädikat B behauptet werden kann, ist aber selbst schon ein<br />

kategorisches Urteil. — Daß ein kategorisches Urteil assertorisch ist, hängt<br />

also davon ab, daß alle für ein Konzept eines Objekts der Erscheinung (also<br />

dem Begriff vom einzelnen Gegenstand) entscheidenden Merkmale<br />

sinnlich gegeben werden können, und nicht davon, daß allein mit der<br />

‚Ich‘ mit dem dadurch gegebenen Wechsel der Orientierung.«; in: Edmund Husserl,<br />

Ding und Raum. Vorlesungen 1907., Hrsg. Karl-Heinz Hahnengress und Smail<br />

Rapic, Text nach Husserliana XVI, Hamburg: Meiner 1991, p. 154 ff..<br />

90 Vgl. Franz Brentano: Psychologie vom empirischen Standpunkt, 2. Bd.: Von der<br />

Klassifikation der psychischen Phänomene, (Hrsg. Oskar Kraus, Hamburg 1959,<br />

Nachdruck von 1925, p. 54 ff.). Herbart unterscheidet wie auch Kant die<br />

Existentialsätze als besondere Urteilsart von den kategorischen Urteilen, führt<br />

letztere aber auf das hypothetische Urteil zurück, indem er die Existenz des<br />

Subjektes als vom kategorischen Urteil getrennt zu behauptende Bedingung auffaßt,<br />

die erst hinzukommen muß. Hingegen hält Brentano die Existenzbehauptung des<br />

Subjekts in der Geltungsbehauptung der Aussage schon immer für<br />

eingeschlossen.Vgl. dazu aber auch: Ursprung der sittlichen Erkenntnis, 1889, p. 57<br />

und p. 120.) Vermutlich hat Herbart die Unterscheidung eines Merkmals als Prädikat<br />

eines Dinges in der qualitativen Einheit des Begriffs vom Objekte und als Teilbegriff<br />

im Sinne des Merkmals als Erkenntnisgrund einer ganzen Anschauung nicht mehr<br />

machen können. Vgl. hingegen die Stellung des Grundurteil über ein einzelnes<br />

Merkmal einer Erscheinung im Rahmen der transzendentalen Ästhetik, wobei die<br />

dem Urteil zugrundeliegende Erscheinung aber aus nichts als aus eben der<br />

Vorstellung dieses Merkmals besteht. Hier insbesondere im ersten Abschnitt,<br />

Anhang a.<br />

91 Insofern also bereits mit den transzendentallogischen Bedingungen der Beziehung<br />

der Vorstellungen auf ein Objekt in Übereinstimmung stehend und nicht mehr bloß<br />

logisch möglich — vgl. das zweite und das dritte empirisches Postulat.


— 313 —<br />

Aussage über ein einzelnes Merkmal analytisch auch Existenz von etwas<br />

behauptet wird.<br />

Dabei ist zu bedenken, daß Kant trotz dieses Wechsels von unbestimmter<br />

Existenzbehauptung zur empirischen Sinnlichkeit als modal<br />

entscheidendes Charakteristikum der Merkmale des Dinges eines<br />

Erkenntnisurteils noch immer die metaphysische Überlegung in Stellung<br />

hält, daß nur die synthesis intellectualis die objektive Realität erreicht, indem<br />

nur diese in der Erkenntnis des wesentlichen Merkmals eines<br />

Gegenstandes dem göttlichen Verstand in ihrem Bezug auf Totalität<br />

ähnlich ist. Ist also ein kategorisches Urteil wahr, so ist die<br />

Existenzbehauptung eines Gegenstandes mit dieser oder jenen qualitativen<br />

Bestimmung, also auch zugleich mit diesem herausgehobenen Prädikat,<br />

zumindest problematisch wahr, was nichts anderes heißt, als daß es in<br />

Übereinstimmung mit den Bedingungen von Verstand und Anschauung<br />

steht und ein mögliches Erfahrungsurteil ist. Ist dem kategorischen Urteil<br />

zudem noch möglich, noch aktuell wahr zu sein, d. i. assertorisch, so soll es<br />

von apodiktischer Geltung sein. 92<br />

c) Zur Modalität des kategorischen Urteils<br />

Dieser Sprung von einem problematischen Urteil zum apodiktischen Urteil<br />

allein über die Möglichkeit, das problematische Urteil auch assertorisch zu<br />

denken, führt zu der Schwierigkeit, daß Beliebiges, wird es nur gemäß des<br />

Kategoriengerüstes gedacht, im Falle aktueller Assertion auch dem<br />

konkret-empirischen Inhalt nach als apodiktisches Urteil zu denken sei,<br />

obgleich doch diese Modalität sich nur darauf beziehen kann, daß damit<br />

die Kategorien demonstriert, und nicht eine empirisch-allgemeine<br />

Determination konkret und apodiktisch ausgedrückt werden soll. Freilich<br />

drückt sich Kant nicht immer gleich glücklich aus, und es darf auch bis<br />

zuletzt vermutet werden, daß er auch darin geschwankt hat, ob es nicht<br />

doch möglich sei, die mathematischen Naturwissenschaften als Teil einer<br />

zukünftigen Transzendentalphilosophie zu betrachten. Allerdings sind —<br />

92 Vgl. die syllogistische Struktur der empirischen Postulate: »1. Was mit den formalen<br />

Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und den Begriffen nach)<br />

übereinkommt, ist möglich. 2. Was mit den materialen Bedingungen (der<br />

Empfindung) zusammenhängt, ist wirklich. 3. Dessen Zusammenhang mit dem<br />

Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist (existiert)<br />

notwendig.« K.r.V., B 265 f./A 218).


— 314 —<br />

einmal abgesehen von den Erläuterungen zu den empirischen Postulaten<br />

und insbesondere im Beweis der Widerlegung des Idealismus 93 — sowohl<br />

seine Äußerungen schon in der Dialektik der ersten Kritik wie auch in der<br />

Prolegomena, diesen Verdacht für die Kritik hintanzuhalten. Obwohl der<br />

Übergang von den Metaphysischen Anfangsgründen der<br />

Naturwissenschaft zu einer alle Naturwissenschaften umfassenden<br />

Transzendentalphilosophie im Opus postumum gerade gegen diese<br />

Auffassung spricht, möchte ich zweierlei zu bedenken geben: Erstens<br />

bleibt noch dieser Übergang zur wirklichen Transzendentalphilosophie ein<br />

erst in der Zukunft zu vervollständigendes Programm, und zweitens hat<br />

Michael Benedikt gezeigt, daß die Argumentation Kants gerade nicht<br />

darauf hinausläuft, die Intelligibilität des transzendentalen Subjektes in<br />

eine wissenschaftliche Naturphilosophie aufzulösen; das geschieht<br />

vielmehr mit der rationalen Physiologie, die in einem doppelten System<br />

von »beweglichen Kräften« als Gehirnphysiologie und Metaphysik der<br />

Erscheinungen als Naturwissenschaft der Dinge die Ganzheit der Natur<br />

auszumachen hat. 94 Freilich bleibt offen, inwieweit Kant seine<br />

Archtitektonik der Metaphysik gegen Ende gegenüber der mit den<br />

Kritiken zu umschreibenden Horizont nicht schon verschoben hat, oder<br />

doch nur wieder dem Leser überlassen hat, das fehlende Seitenstück einer<br />

Metaphysik der Intelligibilität des Subjekts als Willens- und<br />

Gesellschaftsphilosophie zu ergänzen.<br />

Stuhlmann-Laeisz bemerkt anläßlich der verhandelten Stelle in § 19 zu<br />

dem Verdacht, Kant wollte dem Erkenntnis von Naturgesetzen selbst<br />

unbedingt notwendige Geltung (Apodiktizität — also gewissermaßen<br />

transitiv Apriorität) zumessen, nicht ohne Scharfsinn: »Kants<br />

Formulierung weist hier die gleiche Eigenart auf wie in der Einleitung zur<br />

transzendentalen Logik: Wenn er das Urteil durch die Forderung nach<br />

objektiver Gültigkeit erklärt, dann möchte man annehmen, daß es gar<br />

keine objektiv falschen Urteile gäbe«. 95 Seine Argumentation erweist sich<br />

aber schon ohne Vorgriff auf eine Gesamtbetrachtung des Kantschen<br />

93 Nach der Widerlegung des Idealismus zum dritten empirischen Postulat: »Alles, was<br />

geschieht, ist hypothetisch notwendig. «(B 280/A 228)<br />

94 Michael Benedikt, Philosophischer Empirismus,. Theorie. Herder, Wien 1977;<br />

Abschnitt VIII.: Der Ansatz zu einem dritten Deduktionsverfahren und das Problem<br />

der Kategorialdeduktion praktischer Vernunft bei Kant; p. 369 ff. Insbesondere 1.B.,<br />

Das Problem zweifacher Affinität im System beweglicher Kräfte (p. 375); und: Kants<br />

Deduktionsversuche nach dem distributiven Prinzip der Vollständigkeit, p. 382. ff..<br />

95 Stuhlmann-Laeisz, Kants Logik, Berlin/New York 1976, p. 58


— 315 —<br />

Gedankenganges als unzureichend. Empirische Begriffe, die jeden Bezug<br />

zu den reinen Verstandesbegriffen vermissen lassen, werden von Kant<br />

schon einmal als falsch bezeichnet, doch kann es sich dann nur um eine<br />

terminologische Unschärfe handeln, da empirische Aussagen nur unter der<br />

Voraussetzung des Kategoriengerüstes als entscheidbar zu denken sind.<br />

Zumindest die Gewißheit von der Falschheit einer empirischen Aussage<br />

setzt das (oder rein logisch auch bloß ein) Kategoriengerüst voraus. Von<br />

der einfachen und unmißverständlichen Falschheit wäre also nicht nur die<br />

Nicht-Verwendbarkeit einer Aussage für eine bestimmte Theorie, sondern<br />

auch schon für die Kategorienlehre (also vor jeder spezifischen<br />

empirischen Theorie) zu unterscheiden. Ohne den durchgängigen<br />

Gebrauch reiner Verstandesbegriffe verliert das Denken des Inhalts von<br />

Vorstellungen jeden Bezug auf ein mögliches Objekt in der Erfahrung und<br />

somit den Anspruch auf Wahrheit wie auf Falschheit.<br />

Der Vorwurf von Stuhlmann-Laeisz kann ein erstes Mal abgewendet<br />

werden, weil zwar nur diejenigen Urteile als wahrheitsfähig in<br />

transzendentaler Bedeutung angesehen werden können, die auch die<br />

Möglichkeit zu objektiver Realität besitzen, da doch mit der Formulierung<br />

des transzendentalen Kategoriengerüstes beansprucht wird, daß der<br />

Verstand reine Begriffe besitzt, die nur deshalb wahr sind, weil sie mit<br />

jedem entscheidbaren empirischen Urteil gleichermaßen a priori gedacht<br />

werden müssen, und weil sie insofern eines jeden korrekten empirischen<br />

Urteils Voraussetzung sind, auch wenn die empirische Aussage als falsch<br />

beurteilt wird. Nur dahingehend kann der Einwurf von Stuhlmann-Laeisz<br />

verstanden werden: Die Empirizität nicht-leerer reiner Verstandesbegriffe<br />

ist Voraussetzung für deren Demonstration; diese kann aber nur anhand<br />

empirischer Beispiele geschehen. So scheinen deshalb nur falsche<br />

empirische Begriffe gleich unmöglich zu sein, weil sie für die positive<br />

Demonstration kategorialer Urteile, eben zur Behauptung von objektiver<br />

Realität, ungeeignet gehalten werden. — Doch ist vielmehr der<br />

möglichen Wahrheit empirischer Begriffe die transzendentale Analytik<br />

vorausgesetzt (vgl. das erste empirische Postulat), was auch die Falschheit<br />

empirischer Begriffe einschließt, und gerade nicht die apodiktische<br />

Unmöglichkeit deren Wahrheit. Verliert ein empirischer Begriff aber jede<br />

Beziehung auf seinen Gegenstand, ist er nicht falsch im Sinne der<br />

Entgegensetzung der Wahrheitswerte wahr und falsch, sondern ist<br />

entweder kein empirischer Begriff oder zumindest nicht nach wahr und<br />

falsch entscheidbar. — Der erste Schritt der Überlegung zur Möglichkeit


— 316 —<br />

des Irrtums führt also zu folgendem Ergebnis: Ein echter empirischer<br />

Begriff kann unpräzise auch als falsch erklärt werden, wenn er in einer<br />

Aussage nicht seiner Beziehung zum Gegenstand gemäß verwendet wird,<br />

oder im präzisen Sinn als falsch beurteilt werden, weil er zwar den<br />

Bedingungen dieser transzendentalen Beziehung nicht widerspricht, aber<br />

auch als bloß real möglich hier und jetzt nicht notwendigerweise wahr sein<br />

muß, das heißt aber auch, unter solchen Umständen behauptet, auch falsch<br />

sein kann. 96 Dieses Ergebnis ist aber unzureichend, erstens weil der Begriff,<br />

was ein empirischer Begriff denn sei, letztlich nur hinsichtlich einer<br />

vorgängigen Bestimmung seiner Paßfähigkeit in die kategoriale Struktur in<br />

Betracht genommen wurde, und zweitens, weil nach der Klärung des<br />

Status empirischer Begriffe zwischen erstem und zweitem empirischen<br />

Postulat das Problem der apodiktischen Geltung des dritten empirischen<br />

Postulates nochmals zum Problem wird. Die Analyse empirischer Begriffe<br />

und die Analyse der syllogistischen Struktur der drei empirischen<br />

Postulate ist aber auseinander zu halten.<br />

Zuerst zur zweiten offenen Problemstellung: Die Schwierigkeit, die<br />

Stuhlmann-Laeisz anreißt, ist die, daß schon der kategorial korrekten<br />

Aussageform objektive Geltung a priori zukommen soll. Diese aus dem<br />

Syllogismus der empirischen Postulate hinlänglich bekannte Schwierigkeit,<br />

daß die korrekte Formulierung kategorialer Verhältnisse von<br />

Verstandesbegriff und Anschauungsform schon die reale Möglichkeit<br />

ausdrückt, 97 aber erst mit der Assertion Wirklichkeit, sodaß der<br />

syllogistisch vorgestellte Schlußsatz 98 bloß die gleiche Notwendigkeit<br />

ausdrückt wie schon eine korrekte Aussage über reale Möglichkeit,<br />

sprengt mitnichten die vorkritische Strategie, aus der Totalität des<br />

resubjektivierbaren Bewußtseins die — freilich konkret-allgemein,<br />

empirisch aber unbestimmte — Geltung des Existenzprädikates zu<br />

schließen. Es ist nämlich nicht möglich, die Notwendigkeit im Schlußsatz<br />

zu steigern, sondern Kant überträgt die formale Apriorität der Aussage im<br />

Obersatz (als logisch-problematisch und kategorial-möglich) im Schlußsatz<br />

auf die Modalität der assertorischen Existenzbehauptung. Kant scheint im<br />

dritten empirischen Postulat in der Tat die Notwendigkeit eines<br />

96 Eine Erkenntnis könne »doch noch immer dem Gegenstande widersprechen«, wenn<br />

sie auch dem Gesetzen der formalen Logik genüge, K. r. V., B 84/A 59.<br />

97 »Was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und den<br />

Begriffen nach) übereinkommt, ist möglich« (B 265 f./A 218)<br />

98 »Dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der<br />

Erfahrung bestimmt ist, ist (existiert) notwendig.«, l. c..


— 317 —<br />

bestimmten Existierenden zu behaupten, obgleich seine ganze<br />

Untersuchung nur die Aufgabe hat, die Notwendigkeit der allgemeinen<br />

Geltung eines bestimmten Begriffes vom einzelnen Gegenstand zu<br />

erweisen: nämlich jeweils bedingt notwendig zu sein. Kant hätte<br />

dahingehend formulieren müssen, daß eine solche Aussage die<br />

Notwendigkeit der Kategorien für die Behauptung objektiver Realität von<br />

Existierendem aussagt. —<br />

Nun soll das Kategoriengerüst die Bedingungen der Möglichkeit,<br />

Naturgesetze auffinden zu können, liefern, indem Erscheinungsfolgen in<br />

der Apprehension auch auf Gesetzmäßigkeiten hin untersucht werden, die<br />

nicht aus den formalen Konstitution unserer Anschauungsform selbst<br />

entspringen. Dem ist die Unterscheidung von notwendig Existierendem<br />

und nur real möglichen, also nur aus zureichendem Grund Existierenden<br />

grundsätzlich, um eine solche Untersuchung überhaupt zulassen zu<br />

können, doch in Frage steht eben: gehen die empirischen Postulate selbst<br />

auf diese modale Unterscheidung innerhalb der Kontingenz? — Kants<br />

Darstellung der Modalität der Notwendigkeit anhand der empirischen<br />

Postulate verwechselt zwar nicht die Reflexion bezüglich der<br />

Notwendigkeit von Existenz überhaupt und der Notwendigkeit der<br />

Geltung eines bestimmbaren Konzepts von Existenz, da doch im ersten<br />

empirischen Postulat behauptet wird, daß die kategoriale Reflexion<br />

unabhängig vom je aktualen Dasein (Assertion) das bloß logisch<br />

Denkmögliche vom real Möglichen zu unterscheiden imstande ist.<br />

Allerdings ist die Darstellung Kants letztlich durchaus gefährdet, konkretallgemeine<br />

empirische Bestimmung und kategorial-allgemeine empirische<br />

Bestimmung nicht durchwegs zu unterscheiden. Nur letzteres kann<br />

apodiktisch behauptet werden.<br />

Daß Kant in der Tat beabsichtigt, auch konkret-allgemeine empirische<br />

Bestimmungen apodiktisch zu behaupten, kann aus den Beginn der<br />

Erläuterung zu den empirischen Postulaten durchaus entnommen werden:<br />

»Wenn der Begriff eines Dinges schon ganz vollständig ist, so kann ich<br />

doch noch von diesem Gegenstande fragen, ob er bloß möglich, oder auch<br />

wirklich, oder, wenn er das letztere ist, ob er gar auch notwendig sei?<br />

Hierdurch werden keine Bestimmungen mehr im Objekte selbst gedacht,<br />

sondern es frägt sich nur, wie es sich (samt allen seinen Bestimmungen)<br />

zum Verstande und dessen empirischen Gebrauche, zur empirischen<br />

Urteilskraft, und zur Vernunft (in ihrer Anwendung auf Erfahrung)


— 318 —<br />

verhalte?« 99 Immerhin wird hier nach der Möglichkeit, Wirklichkeit und<br />

Notwendigkeit des Gegenstandes selbst gefragt, was in seltsamen Kontrast<br />

zur Fortführung des Gedankenganges steht, wonach nur nach der<br />

Modalität der Vorstellung dieses Gegenstandes in unserem Urteil gefragt<br />

werden dürfe. Freilich kann schon der Gebrauch des Begriffes<br />

»Gegenstand« uns daraufhin einweisen, daß hierbei nicht vom Ding selbst,<br />

sondern vom Objekt der Erfahrung als Erscheinung die Rede sein muß,<br />

doch macht das gerade für die hier erörtete Fragestellung letztendes<br />

keinerlei Unterschied: Der vollständige Begriff eines Dinges beinhaltet<br />

zweifellos nicht nur die kategoriale Bestimmung zu einem einzelnen<br />

Gegenstand sondern auch empirische Merkmale zur Bestimmung<br />

konkreten empirischen Allgemeinheit. Der Anspruch, die empirischen<br />

Postulate vermögen auch die Modalität der Kontingenz (bis dahin mit<br />

Aristoteles nur das Mögliche) weiters zu differenzieren, kann nur dann<br />

erhoben werden, wenn zwischen den beiden Bedeutungen von Empirie<br />

(also kontinuierliche sinnliche Anschauung vor — und diskontinuierliche<br />

Erfahrung nach der Gegenstandskonstitution) unterschieden worden ist;<br />

die real zwingende notwendige Verknüpfung von Empirie der<br />

Anschauung und kategorialem Schema der Erfahrung ist damit allein aber<br />

nicht vorstellig gemacht worden (das wäre pathologisch): dies ist<br />

Angelegenheit unserer Freiheit im individuellen Urteil als psychologischer<br />

Akt. Erst die Einbeziehung dieses Übersprungs zur praktischen Vernunft<br />

schließt die Reflexion des Urteilsvermögens ab.<br />

Der Obersatz (das erste empirische Postulat) müßte demnach mehr als die<br />

kategoriale Bestimmtheit des Möglichen (gegenüber der Tradition der<br />

zeitgenössischen rationalen Metaphysik nunmehr auch die<br />

Kausalitätskategorie) beinhalten, um im Schlußsatz (das dritte empirische<br />

Postulat) auch konkret-allgemeine empirische Aussagen apodiktisch<br />

behaupten zu können. Daß dies für Kant nicht prinzipiell ausgeschlossen<br />

ist, zeigen schon die M.A.d.N. und deren Übergang zur<br />

Tranzendentalphilosophie im Opus posthumum. Da gehört etwa die<br />

Beweglichkeit nicht zur Transzendentalphilosophie, weil sie aus der<br />

Erfahrung entlehnt sei. 100 Doch aber kann die Beweglichkeit in ihrer<br />

universalen Allgemeinheit qualifiziert sein, mit den kategorialen<br />

Bestimmungen in den Obersatz der empirischen Postulate aufgenommen<br />

99 K.r.V., B 266/A 219<br />

100 M.A.d.N., A 4


— 319 —<br />

zu werden. — Selbst Karl Popper hat im Anhang seiner Logik der<br />

Forschung es noch für notwendig befunden (im Gegenzug zu der Tendenz<br />

derselben, nicht-falsifizierbare »metaphysische« Sätze aus den<br />

Naturwissenschaften auszuschließen) eine »Strukturtheorie« zu situieren,<br />

die es erlauben können sollte, Falsifikationen einzelwissenschaftlicher<br />

Sätze mittels Ableitungen aus allgemeineren Sätzen der Naturwissenschaft<br />

mit neuen konkret-allgemeinen Hypothesen zu beantworten. 101 Hier ist die<br />

Situation aber umgekehrt: Die Beweglichkeit ist wie andere Grundbegriffe<br />

der M. A. d. N. auch kein Konzept aus allgemeineren Sätzen, sondern sind<br />

Begriffe einer universiellen komparativen Allgemeinheit, die aus der als<br />

vergangen gesetzten Zeit (dann allerdings bereits mit mechanisch-kausaler<br />

Begründung) herausgehoben werden. Als solche gehören sie nicht selbst<br />

zur mathematischen Theorie der Naturwissenschaften, aber auch nicht<br />

zum transzendentalen Deduktionsgang der Kategorien. Stellt sich die<br />

Frage nach der Ganzheit des transzendentalen Schematismus, wird aber<br />

auf die Begriffe von universiell-komparativer Allgemeinheit vielleicht<br />

nicht verzichtet werden können. 102 — Der fragliche Anspruch, konkretallgemeine<br />

Sätze apodiktisch zu behaupten, hängt hier also nur von<br />

zweierlei Voraussetzungen ab: Erstens von den kategorialen<br />

Bestimmungen, die Kant aus den transzendentalen Bedingungen der<br />

Möglichkeit der Erfahrung überhaupt abgeleitet und gerechtfertigt hat.<br />

Zweitens von nicht abgeleiteten, aber letztlich für uns nur a parte priori<br />

gerechtfertigten metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft.<br />

Zu dieser Rechtfertigung gehörte letztenendes die vollständige Erfahrung<br />

von der Natur. Ob dies den Fähigkeiten unseres Verstandes und unserer<br />

Vernunft überhaupt entsprechen kann, muß zunächst ebenso offen<br />

bleiben, wie eine entgegengesetzte Behauptung. Jedenfalls kann diese<br />

Frage erst am Ende der Zeit entschieden werden, einstweilen bleibt auch<br />

diese Forderung an unsere Fähigkeiten ein Postulat, wenngleich auch eines<br />

der Vernunft in Anwendung auf empirische Fragen. Wir haben uns nur zu<br />

fragen, ob für gewisse Abschnitte der Naturwissenschaft unsere<br />

gesammelte Erfahrung nicht schon ausreichen müßte, um bestimmte<br />

konkret-allgemeine empirische Aussagen apodiktisch zu behaupten. —<br />

Das ist aber eine ganz andere Problemstellung, als Stuhlmann-Laeisz hier<br />

in § 19 Kant unterschoben hatte.<br />

101 Karl Raimund Popper, Logik der Forschung, Verlag J. C. B. Mohr, Tübingen 5 1973,<br />

Neuen Anhang, X. Universalien, Dispositionen und Naturnotwendigkeit, p. 377<br />

102 Siehe hier das vierte Kapitel in diesem Abschnitt.


— 320 —<br />

Es bleibt noch zu fragen, ob die Bestimmung des empirischen Begriffes,<br />

ausschließlich im kategorialen Gerüst vorkommen zu können, wirklich<br />

vollständig ist. Zumindest ist festzustellen, daß es empirische Begriffe gibt,<br />

die zwar kategorial teilweise bestimmbar, aber nicht für die lückenlose<br />

Verwendung der Kategorien tauglich sind. Weiters, daß es empirische<br />

Begriffe gibt, die sich nicht deutlich auf sinnliche Anschauung beziehen<br />

lassen. Solche empirischen Aussagen oder Begriffe sind durchaus möglich,<br />

deren Merkmale aber nicht konstitutiv für die kategoriale Synthesis der<br />

Gegenstände als mögliches Objekt der Erfahrung sind, obgleich sie in<br />

Verknüpfung mit denselben in unserer Erfahrung überhaupt vorkommen<br />

können. So sind Grundurteile keinenfalls gleichzusetzen mit Lockes<br />

sekundären oder primären Prädikaten (auch Kausalität ist ein Gegenstand<br />

eines Grundurteiles). Der einzige Grund, weshalb Grundurteile auch<br />

falsch sein könnten, wäre aber, wenn die Wahrheit der Grundurteile<br />

bereits an der Wahrheit der Relationsbegriffe zwischen Grundurteile<br />

hängt: Grundurteile, die nicht die Definitionen der Relationen erfüllen,<br />

machen die Relationen falsch. Derart wäre ein falscher Sprachgebrauch<br />

verständlich, der Grundurteile für falsch erklärt, obwohl nur die Relation<br />

nicht erfüllt wird. Von hier aus scheint nur mehr die Sinnestäuschung als<br />

Grund eines Irrtums möglich zu sein. Wahrheit im Sinne eines logischen<br />

Erkenntnisurteiles als kategorialer Verstandesgebrauch wird im<br />

Grundurteil also gar nicht zur Entscheidung gestellt. Die Falschheit<br />

empirischer Aussagen oder Begriffe vermag demnach den Umkreis der<br />

vollständigen kategorialen Reflexion durchaus zu verlassen, sodaß nicht<br />

bloß ein Irrtum eine Aussage auf ein nur hier unzulängliches Modell<br />

bezieht, wobei diese Aussage in einem anderen Modell oder das gleiche<br />

Modell anderweitig ein rationales Ergebnis zeitigen würde, sondern in der<br />

Tat der Verlust eines jeden Bezugs des Inhalts einer Aussage auf einen<br />

Gegenstand der auf Sinnlichkeit beruhenden Erfahrung mit der<br />

Behauptung der Falschheit auch gleich als Verneinung der Möglichkeit<br />

selbst, als selbstständiges und objektiv reales Objekt vorkommen zu<br />

können, ausgesprochen werden muß. Diese Behauptung kann nun nicht<br />

einfach für alle Fälle zur Folge haben, daß der fragliche Begriff (die<br />

fragliche Aussage) eben nicht mehr empirisch genannt werden dürfte.<br />

Weiters hat Kant im Übergang vom Paralogismus zur kosmologischen<br />

Idee jeder Reflexion für sich selbst zugestanden, auch noch im »ich denke«<br />

das Empirische überhaupt (vor jeder Gegenstandskonstitution) zu<br />

beinhalten, was durchaus als Grundlage der Behauptung herangezogen<br />

werden darf, daß mit der Deduktion der Kategorien des


— 321 —<br />

Verstandesgebrauches in der auf Sinnlichkeit beruhenden Erfahrung nicht<br />

auch schon alle Noumena und alle Phaenomena eine geregelte Beziehung<br />

zueinander garantiert bekommen haben.<br />

Kant versteht unter den »formalen Bedingungen der Erfahrung (der<br />

Anschauung und den Begriffen nach)« im Obersatz der empirischen<br />

Postulate eben jene Formalität, die Begriffe als Verstandesbegriffe, die<br />

selbst nicht in der Anschauungsform enthalten sind, beinhaltet. Die<br />

Bedeutung der formalen Bedingung im Sinne der Anschauungsform ist<br />

von der formalen Bedingung »den Begriffen nach« fernzuhalten. Ist der<br />

Fall, daß ein assertorisches Urteil einen Untersatz abgibt, dann gilt bloß,<br />

daß eine der Forderung der »formalen Bedingungen«, nämlich<br />

Wahrnehmung, d. h., Empfindung, enthalten zu können, aktuell gegeben<br />

ist. Ist nun die Empfindung in der Assertion auch gegeben, kann vom<br />

Schlußsatz bloß behauptet werden, die mit dem ersten Satz vorliegende<br />

Aussage gelte also auch im jeweils vorliegendem Einzelfall, weil die<br />

Bedingungen des ersten Satzes mit dem zweiten Satz als gegeben zu<br />

denken sind. Die Vollständigkeit der Kategorien und deren lückenlose<br />

Anwendung, wie a fortiori nunmehr auch die Vollständigkeit der<br />

Erfahrung, woraus metaphysische Anfangsgründe einer<br />

Naturwissenschaft mittels einer universiell gedachten komparativen<br />

Allgemeinheit entspringen können, sind demnach die erste<br />

Voraussetzung; die Möglichkeit der Demonstration dieser Sätze in der<br />

Erfahrung (Assertion) die zweite Voraussetzung, um im Schlußsatz<br />

allgemein-universielle empirische Verhältnisse apodiktisch ausdrücken zu<br />

können. Hiebei ist die Demonstration der Kategorien von der<br />

Demonstration metaphysischer Anfangsgründe (desweiteren anderer<br />

empirisch gewonnener Sätze, die als Prinzipien a parte priori im Obersatz<br />

vorkommen können) streng zu unterscheiden. — Damit scheint die in § 20<br />

der transzendentalen Deduktion erhobene Forderung nach dem<br />

identischen Umfang von Anschauungsform und Apperzepzion zumindest<br />

dahingehend eingeschränkt, als daß allen Teilen der Kontinuität der<br />

Anschauungsform bloß die Möglichkeit zugesprochen wird, Teil einer<br />

Vorstellung zu werden, die vom reinen Verstandesbegriff regiert wird.<br />

❆<br />

Die Untersuchung kategorischer Urteile behandelt, nur weil diese<br />

allgemein wie singular gelten sollen, weder die ontologische Frage von<br />

Ding und Existenz selbst, noch weniger das Grundurteil mit einem


— 322 —<br />

einzigen Merkmal, sondern wie Kant in § 19 vorstellig macht, die<br />

Modalität der Geltung einer Aussage in allen ihren Teilen als ein System<br />

von Aussagen. 103 Die metaphysische Frage nach dem Ding überhaupt wird<br />

zunächst von der transzendentalanalytischen Formulierung ersetzt, es sei<br />

nunmehr nach den Bedingungen der Möglichkeit der Konstitution eines<br />

Gegenstandes in der Anschauung als Objekt der Erfahrung zu fragen.<br />

Damit bleibt die Wesensfrage (Eidos) mit der transzendentalanalytischen<br />

Betrachtung modaler Verhältnisse des Urteils im Satz (Genus) in<br />

Verbindung. Nach diesem, zur Klärung der Ansprüche notwendigen<br />

Vorgriff soll aber die Untersuchung der zweifachen Einheit der reinen<br />

Apperzeption gegenüber der bloßen empirischen Apperzeption, also<br />

einerseits das durch das Hinzusetzen von einer Vorstellung zur anderen<br />

verstandesgemäße Zuschreibungsurteil und andererseits die reine<br />

Anschauung in ihren Verhältnissen gegenüber dem bloßen Faktum von<br />

Erscheinungen im Bewußtsein, fortgesetzt werden.<br />

103 Der Übergang von Prädikatenlogik zu Aussagenlogik wird anhand des Anspruches<br />

der transzendentalen Logik, die Bedingung zur Wahrheitsfähigkeit kontingenter<br />

Aussagen zu sein, deutlich. Vgl.G. W. Leibniz, Generales inquisitiones de analysi<br />

notionum et veritatum, 1686, erstmals veröffentlicht von L. Couturat, Paris 1903,<br />

p. 356-399 Allgemeine Untersuchungen über die Analyse der Begriffe und<br />

Wahrheiten. Hrsg, von Franz Schupp, Hamburg 1982 (Meiners Phil. Bibl. 338), im<br />

Kommentar von Schupp p. 227 f.: Und zwar anhand der Schwierigkeit im<br />

Begriffskalkül, wo „möglich“ gleich mit „wahr“ gilt, ohne notwendigerweise<br />

„existierend“ bedeuten zu müssen, während im Aussagenkalkül gilt:<br />

möglich=wahr=existierend.


— 323 —<br />

2. Die Schematen der Begriffe<br />

a) Die qualitative Einheit des Begriffes<br />

und<br />

das Ideal der reinen Vernunft<br />

§ 8 Das Prinzip des Enthaltenseinin der ursprünglichen Einheit des<br />

Begriffes<br />

a) Die qualitative Einheit<br />

Ohne der Möglichkeit, daß eine Vorstellung vom »ich denke« begleitet<br />

werden kann, ist von Vorstellung im engeren Sinn gar nicht die Rede, da in<br />

der Unmittelbarkeit der empirischen Apperzeption (der innere Sinn)<br />

gerade die die Vorstellung erst konstituierende Reflexion auf sich selbst als<br />

Bewußtsein fehlt. So bleibt nur mehr, die als solche noch unbestimmten<br />

Erscheinungen der empirischen Apperzeption so aufzufassen, daß sie<br />

insgesamt und ohne Ausnahme die Möglichkeit besitzen, Vorstellungen zu<br />

werden, und deshalb schon mögliche Vorstellungen genannt werden<br />

können. Kant gebraucht aber bekanntlich den Begriff der Erscheinung<br />

nicht nur als den allgemeinsten Begriff von sinnlichen Gegebensein wie in<br />

§ 1 der transzendentalen Ästhetik oder in der »Synthesis der Rekognition<br />

im Begriff«, 104 die mit der Vorstellung, die vor jedem Denken gegeben ist<br />

(§ 16) übereinkommt, sondern auch als »Erscheinung der Erscheinung« 105<br />

und schließt dann schon die Vorausgesetztheit willentlicher Handlungen<br />

im Bewußtwerdung unserer Konstitutionsleistungen mit ein. Nunmehr<br />

sind also die logischen Leistungen des »Denkens« diesbezüglich näher zu<br />

betrachten.<br />

Kant folgt in § 15 der Idee, daß die Beziehung der Vorstellung auf den<br />

Verstand nicht selbst auf die Logik zurückgeht, sondern darüber hinaus<br />

104 K.r.V., A 107. Der Fluß der Erscheinungen in der empirischen Apperzeption (innerer<br />

Sinn) kollagiert in diesem Moment der Erörterung mit dem Strom von<br />

»Empfindungen«.<br />

105 Vgl. Kurt Hübner, Leib und Erfahrung in Kants Opus postumum, in: Zeitschrift für<br />

philosophische Forschung, Verlag Anton Hain, Meisenheim, Bd. 7, 1953, p. 204-219.<br />

Wiederabdruck in: Kant. Zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln,<br />

Koepenheuer&Witsch, NWB 63, 1973, p. 192-204. Hübner zitiert das O.p. nach der<br />

Ausgabe von Artur Buchenau, 2. Bde., Leipzig 1936. Zur Erscheinung der<br />

Erscheinung etwa II, p. 367, auch: »Was metaphysisch betrachtet bloß zu<br />

Erscheinungen gezählt werden muß, das ist von physischem Betracht Sache an sich<br />

selbst. (Erscheinung der Erscheinung.)«, in: II, p. 329.


— 324 —<br />

ihre Wurzel zu suchen hat. Das bleibt angesichts der bislang<br />

unwiderlegten Zeitlosigkeit der reinen Verstandesbegriffe gegenüber der<br />

Zeitlichkeit der Verstandeshandlung als synthesis intellectualis auch<br />

weiterhin von Interesse. Es soll deshalb nochmals auf die in der Einleitung<br />

schon einmal behandelte Stelle zurückgekommen werden:<br />

»Diese Einheit, die a priori vor allen Begriffen der Verbindung vorhergeht,<br />

ist nicht etwa jene Kategorie der Einheit (§ 10); denn alle Kategorien<br />

gründen sich auf logische Funktionen in Urteilen, in diesen aber ist schon<br />

Verbindung, mithin Einheit gegebener Begriffe gedacht. Die Kategorie<br />

setzt also schon Verbindung voraus. Also müssen wir diese Einheit (als<br />

qualitative § 12) noch höher suchen, nämlich in demjenigen, was selbst den<br />

Grund der Einheit verschiedener Begriffe in Urteilen, mithin der<br />

Möglichkeit des Verstandes, sogar in seinem logischen Gebrauche,<br />

enthält.« 106<br />

Kant verweist im Schlußsatz des § 15 auf die höhere Einheit, die in § 12 als<br />

qualitative Einheit des Begriffes vom Objekt behandelt wird. Es folgt nun<br />

von hier aus der Versuch der Klärung der Beziehung des Begriffes zu<br />

seinen Objekt. Diese Frage ist von zentraler Bedeutung für die Frage, ob<br />

eine Synthesis der Identität aus den vielen Vorstellungen überhaupt<br />

möglich ist; die Schwierigkeit wird von Kant auch gleich mit der<br />

Exposition der »qualitativen Einheit« des Begriffes verzeichnet: »In jedem<br />

Erkenntnis eines Objekts ist nämlich Einheit des Begriffs, welche man<br />

qualitative Einheit nennen kann, so fern darunter nur die Einheit der<br />

Zusammenfassung des Mannigfaltigen der Erkenntnisse gedacht wird, wie<br />

etwa die Einheit des Thema in einem Schauspiel, einer Rede einer Fabel.« 107<br />

»In jedem Erkenntnisse eines Objekts ist nämlich Einheit des Begriffes,<br />

welche man qualitative Einheit nennen kann [...]« Der darauf folgende<br />

zweite Teil des Satzes selbst ist für die hier beabsichtigte Abstraktheit der<br />

Untersuchung als Grundlage nicht ausreichend, erklärt aber doch, daß<br />

Kant die qualitative Einheit des Begriffes als Zusammennehmung des<br />

Ungleichartigen 108 auffaßt: »[...] so fern darunter [die qualitative Einheit<br />

106 K.r.V., B 131<br />

107 K.r.V., B 114<br />

108 B 114 f.: »Woraus erhellet, daß diese logischen Kriterien der Möglichkeit der<br />

Erkenntnis überhaupt die drei Kategorien der Größe, in denen die Einheit in der<br />

Erzeugung des Quantums durchgängig gleichartig angenommen werden muß, hier


— 325 —<br />

des Begriffs] nur die Einheit der Zusammenfassung des Mannigfaltigen<br />

der Erkenntnisse gedacht wird, wie etwa die Einheit des Thema in einem<br />

Schauspiel, einer Rede, einer Fabel.« Damit ist mit der Einheit des Begriffes<br />

zwar das Thema gefaßt worden, nicht aber der Begriff der Einheit des<br />

Objektes selbst: a) Auch handelte es sich um eine Zusammenfassung von<br />

Erkenntnissen, die jeweils als einzelne gewiß wären, so ist die<br />

Zusammengeltung aller Erkenntnisse erst die bloß logische<br />

Voraussetzung, daß unter weiteren Umständen in der qualitativen Einheit<br />

des Begriffes auch die Einheit eines Objektes gedacht werden könnte.<br />

b) Die weitere Forderung Kants zur qualitativen Einheit; also daß der<br />

Einheit die Menge der wahren Folgen der Merkmale des Begriffes als<br />

deren qualitative Vollständigkeit vorausgesetzt ist, führt ebenfalls nur<br />

allgemein-unbestimmt zu irgend einer qualitativen Vielheit der Merkmale<br />

eines Begriffes (oder gleich eines Objektes im Begriff), aber nicht zu einem<br />

eigenen qualitativen Merkmal des Begriffs des Objektes.<br />

Erst die Wahrheit der Folgen der Merkmale gemeinsam mit deren<br />

Rückführbarkeit auf die Merkmale des Begriffs sollen die Richtigkeit oder<br />

Falschheit der gewählten qualitativen Einheit der Merkmale eines Begriffes<br />

beweisen lassen. Damit ist das cartesianische Moment der Induktion nun<br />

auch am Ideal vom Begriff zu finden. Daß alle Folgen aus den Begriff wahr<br />

sein können müssen, darin unterscheidet sich zwar die qualitative Einheit<br />

des Begriffs noch nicht ohne weiteres von der bloß logischen Definition<br />

eines Begriffes, daß alles, was in einem Begriff widerspruchsfrei gedacht<br />

werden kann, denkmöglich ist; aber doch darin, daß der qualitativen<br />

Einheit des Begriffes mittels dem Kriterium der Rückführbarkeit<br />

empirische Gewißheit verschafft werden kann, während dem bloß logisch<br />

betrachteten Begriff ein Grund weder a priori noch a posteriori gegeben<br />

werden kann, sodaß dieser auch falsch oder zumindest grundlos sein<br />

kann. 109 Die qualitative Einheit des Begriffes soll aber die Kriterien der<br />

wahren Einheit eines Begriffs vom Objekt erfüllen. Hier wird ersichtlich,<br />

daß damit bereits die kategoriale Funktion der Begriffe zumindest als<br />

Forderung benötigt wird. 110 Die Forderung nach vollständiger qualitativer<br />

Einheit eines Begriffes mündet so in die Forderung nach einem<br />

nur in der Absicht auf die Verknüpfung auch ungleichartiger Erkenntnisstücke in<br />

einem Bewußtsein durch die Qualität eines Erkenntnisses als Prinzips verwandeln.«<br />

109 B 190/A 150<br />

110 Diese Bewegung wird allerdings nach der Vorstellung der reinen Verstandesbegriffe<br />

wieder von einer Gegenbewegung ersetzt, die die Kategorie vom reinen<br />

Verstandesbegriff ablöst. Vgl. hier Kap. 4., § 26.


— 326 —<br />

Verbindungsbegriff, der der in der qualitativen Einheit enthaltenen<br />

Mannigfaltigkeit der Merkmale die Wahrheit über die Regel der bloßen<br />

Widerspruchsfreiheit hinaus anhand der Regel der Rückführbarkeit der<br />

Folgen auf die Merkmale (und somit auf die Einheit des Begriffes)<br />

notwendig macht, da nunmehr sowohl die Merkmale wie deren Folgen als<br />

wahr behauptet werden sollen. Das heißt nichts anderes, daß die Ursache,<br />

oder das, was Kausalität hat, mit deren Wirkung empirisch in der<br />

Anschauung verbunden werden können muß. Damit ist zwar das<br />

Programm der dynamischen Kategorien im Kern ausgesprochen, jedoch ist<br />

damit die Unterscheidbarkeit von einem einzelnen Gegenstand und von<br />

einem System von Gegenständen nach wie vor noch nicht garantiert,<br />

sondern nur als Forderung exponiert worden.<br />

b) Die erste Fassung des Prinzips der durchgängigen Bestimmung:<br />

Allheit<br />

Dennoch wird das »Objekt« des Begriffes qualitativer Einheit offensichtlich<br />

bereits als Gegenstand gedacht (als einige, oder mindestens einer). Das<br />

Prinzip der durchgängigen Bestimmung eines Dinges aus dem ersten<br />

Abschnitt der Erörterung des reinen Ideals der Vernunft und des<br />

transzendentalen Ideals hat nun offensichtlich denselben Ausgangspunkt<br />

der qualitativen Einheit des Begriffes von einem Objekt, indem auch in<br />

§ 12 von der Menge von Merkmalen des Begriffes gehandelt wird, welche<br />

die Einheit des Begriffes von einem Objekt ausmachen soll. Sowohl in § 12<br />

wie zum Beginn im Kapitel über das prototypon transcendentale wird<br />

nach Kriterien gesucht, welche die Vielheit aller möglichen Prädikate (bzw.<br />

Begriffsmerkmale) zu einer Besonderheit einschränken (Allheit). Obgleich<br />

in § 12 die Bedingung der Einheit des Begriffes (das Konzept des<br />

Konzeptes von einem Objekt), im Ideal der reinen Vernunft die Bedingung<br />

des Begriffs von einem einzelnen Gegenstand (Allgemeinheit) untersucht<br />

wird, und auch die Kriterien der jeweiligen Bestimmungsarten der<br />

»Allheit« einander nicht bedingen (in § 12 Rückführung, im Ideal der<br />

reinen Vernunft logische Teilung durch Entgegensetzung), halte ich die<br />

skizzierte strukturelle Ähnlichkeit in beiden Argumentationen gerade für<br />

besonders geeignet, auf die Dialektik zwischen der Gegenständlichkeit des<br />

Begriffes aufgrund der vollständigen Rückführbarkeit der Folgen seiner<br />

Merkmale einerseits und dem Begriff von einem einzelnen Gegenstand<br />

aufgrund des vollständigen Ausschlusses aller aus bloßen Prädikaten<br />

abgeleiteten Prädikaten andererseits gebührend aufmerksam zu machen.


— 327 —<br />

Kant gibt im Kapitel »Vom transzendentalen Ideale« zwei Interpretationen<br />

des Prinzips der durchgängigen Bestimmung. Zuerst spricht Kant von der<br />

»Idee von dem Inbegriffe aller Möglichkeit, so fern er als Bedingung der<br />

durchgängigen Bestimmung eines jeden Dinges zugrundeliegt«. 111 Dieser<br />

Inbegriff aller Möglichkeit betrifft sowohl die »Materie zu aller<br />

Möglichkeit, welche a priori die Data zur besonderen Möglichkeit jedes<br />

Dinges enthalten soll« 112 wie die »gesamte Möglichkeit, als den Inbegriff<br />

aller Prädikate der Dinge überhaupt« 113<br />

Das Prinzip der durchgängigen Bestimmung eines Dinges selbst besitzt<br />

eine eigene logische Regel: Jedes Ding sei durchgängig bestimmt, insofern<br />

ihn von jedem möglichen Paar kontradiktorischer Prädikate genau eines<br />

zukomme (B 599 f./A 571 f.). Ich verstehe das im ersten Schritt als Versuch,<br />

eine klare semantische Abgrenzung durch die Forderung nach<br />

Entgegensetzung zu erreichen; der Unterschied muß, um logisch<br />

(allgemein) verwertbar zu sein, zum Widerspruch gesteigert werden. 114<br />

Vor der Funktion der Allgemeinheit, die die selbst wesenslogische<br />

Einzelheit des Objektes (quidditas) als Gegenstand des Begriffs von einem<br />

einzelnen Gegenstand erst notwendig macht, werden von allen möglichen<br />

Prädikaten überhaupt mittels einer Hilfshypothese jene Prädikate<br />

ausgemacht, die qualifiziert sind, Prädikate eines gemeinsamen Dinges zu<br />

sein. Dafür ist das Existenzprädikat noch nicht entscheidend. Diese<br />

Hilfshypothese besteht aus einer qualitativen Voraussetzung und aus einer<br />

logischen Bedingung. Die qualitative Voraussetzung soll aber mittels der<br />

logischen Bedingung erst charakterisiert werden, indem nur solche<br />

Prädikate zugelassen werden sollen, die Qualitäten aussagen, welche die<br />

Eigenschaft haben, das deren Zustände sich erstens verändern können und<br />

zweitens diese Veränderungen durch Entgegensetzungen der Prädikate<br />

der veränderlichen Zustände ausgedrückt werden kann. 115 — Die derart<br />

selbst nicht synthetisch auf das mögliche Zugleichsein, sondern<br />

wesensanalytisch auf die Veränderlichkeit eingeschränkte Anwendung des<br />

111 K.r.V., B 601/A 573<br />

112 l. c.<br />

113 B 600/A 572<br />

114 Vgl. Aristoteles, Satz vom Widerspruch und Satz vom ausgeschlossenen Dritten, ¢◊<br />

- Horizont der Aussage und Evidenz<br />

115 Meiner Auffassung nach greift die formallogische Fassung dieses Problems, welche<br />

die prädikative Teilung des semantischen Raumes auf die Eigenschaft, wahr oder<br />

falsch zu sein, reduziert, zu kurz, um die alleinige Grundlage der vorliegenden<br />

Untersuchung zu sein.


— 328 —<br />

principiums contradictionis habe bereits jene Prädikate ausgewählt, welche<br />

einem konkreten und einzelnem Ding überhaupt zugesprochen werden<br />

können. Diese Bestimmung muß als bloß hinreichend zur Möglichkeit,<br />

aber noch nicht zureichend zur entscheidenden Bestimmung eines Begriffs<br />

von einem einzelnen Gegenstand angesehen werden; die empirische<br />

Mannigfaltigkeit der »Empirie überhaupt« wird formal nur einer logischen<br />

Regel unterworfen, indem die Teilung der empirischen Mannigfaltigkeit in<br />

zwei Mengen kontradiktorisch entgegengesetzter Prädikate rein logische<br />

Geltung a priori beansprucht. 116 Im Text zum »prototypon<br />

transcendentale« gibt Kant dem Ding also eine kategoriale und eine<br />

logische Definition; schon die erstere führt zu zwei Interpretationen:<br />

a) qualitative Interpretationen wie »heiß-kalt«, hell-dunkel« etc.<br />

b) logisch-modale Interpretation: Demnach ist die durchgängige<br />

Bestimmung des Dinges im Sinne der Kategorie zufällig. Vgl. die<br />

Definition der reinen Kategorie des Zufälligen mittels der Möglichkeit des<br />

»Ersetzen« eines Dinges oder eines Prädikates durch das genaue Gegenteil<br />

(Refl. 4041). 117<br />

Die rein logische Interpretation hingegen bezieht sich im ersten Schritt auf<br />

die unbedingte Möglichkeit der Beziehung der Prädikate auf ein Ding und<br />

im zweiten Schritt auf die Zweiteilung der dieserart bereits immer schon<br />

116 Es handelt sich also um eine logische Normierung der Mannigfaltigkeit von Empirie<br />

überhaupt, welche die Kontinuität der Anschauung eines Dinges logisch<br />

ermöglichen können soll, auch wenn wir in concreto diese Totalität niemals<br />

darstellen können, und sich selbst auf eine Idee gründet, »welche lediglich in der<br />

Vernunft ihren Sitz hat, die dem Verstande die Regel seines vollständigen<br />

Gebrauches vorschreibt.« (B 601/A 573). Davon ist das »logische Prinzip der Arten«<br />

des regulativen Gebrauches der Ideen der reinen Vernunft zu unterscheiden,<br />

welches vorigem nachgeordnet ist. Dort schreibt Kant: »Denn aus der Sphäre des<br />

Begriffs, der eine Gattung bezeichnet, ist ebensowenig, wie aus dem Raume, den<br />

Materie einnehmen kann, zu ersehen, wie weit die Teilung derselben gehen könne.<br />

Daher jede Gattung verschiedene Arten, diese aber verschiedene Unterarten<br />

erfordert, und, da keine der letzteren stattfindet, die nicht wiederum eine Sphäre<br />

(Umfang als conceptus communis) hätte, so verlangt die Vernunft in ihrer ganzen<br />

Erweiterung, daß keine Art als die unterste an sich selbst angesehen werde, weil, da<br />

sie doch immer ein Begriff ist, der nur das, was verschiedenen Dingen gemein ist, in<br />

sich enthält, dieser nicht durchgängig bestimmt, mithin auch nicht zunächst auf ein<br />

Individuum bezogen sein könne, folglich jederzeit andere Begriffe, d. i. Unterarten,<br />

unter sich enthalten müsse.« (B 683 f./A 655 f.). Dazu ist allerding notwendig,<br />

allererst einen Begriff von einem einzelnen Gegenstand zu haben, welcher die<br />

durchgängige Bestimmung eines Dinges unabhängig von der Anschauung, die eben<br />

gar nicht alle möglichen Prädikate eines Dinges enthält, einer weiteren Selektion<br />

unterzieht. Die Kontinuität der logisch möglichen durchgängigen Bestimmung eines<br />

Dinges, die Kontinuität der Anschauung und die Kontinuität zwischen den Arten ist<br />

auseinanderzuhalten.<br />

117 Zweiter Abschnitt, Die Zeitbedingung der Wahrheit, Die modallogische Erörterung


— 329 —<br />

näher spezifizierten Menge von Prädikaten, um die Prädikatisierung im<br />

assertorischen Urteil im kategorialen Rahmen nach wahr und falsch<br />

entscheiden zu können. 118 Bemerkenswerterweise sagt Kant im<br />

unmittelbaren Umkreis der besprochenen Stelle, daß eben dieses erste<br />

logische Prinzip eines Dinges (was schließlich noch zur modalkategorialen<br />

Beurteilung zugereicht hat) inhaltlich nichts als den Inbegriff aller<br />

möglichen Prädikate überhaupt denken läßt, obgleich die erste<br />

Interpretation des logisches Prinzips der durchgängigen Bestimmung die<br />

Menge aller möglichen Prädikate nur unter der Bedingung, daß Prädikate<br />

sich notwendigerweise auf Dinge beziehen, in zwei Klassen<br />

entgegengesetzter Prädikate eingeteilt hat, die rein formallogisch eben<br />

nichts anderes ausdrücken, als daß es unter den realmöglichen Prädikaten<br />

wahre und falsche Prädikate gebe: Hier ist der Verdacht angebracht, es<br />

könne sich um eine Subreption handeln, die den Inbegriff aller Prädikate<br />

überhaupt (von vielen Dingen) mit dem Inbegriff aller möglichen<br />

Prädikate eines Dinges zu vertauschen in Begriff steht. Derart scheint die<br />

reine kategoriale Definition eines Dinges mittels der Allheit der möglichen<br />

Prädikate den notwendigen Bezug auf ein Objekt der Erfahrung (Existenz)<br />

zu verlieren, wenn schon die Idee eines Dinges sich aufzulösen droht.<br />

c) Die zweite Fassung des Prinzips der durchgängigen Bestimmung:<br />

Allgemeinheit<br />

Dann aber gibt es eine zweite Fassung des Prinzips der durchgängigen<br />

Bestimmung bei der Bestimmung des Begriffes vom einzelnen<br />

Gegenstand: Wir finden doch »bei näherer Untersuchung, daß diese Idee<br />

[eben der Inbegriff aller Möglichkeit], als Urbegriff, eine Menge von<br />

Prädikaten ausstoße, die als abgeleitet durch andere schon gegeben sind,<br />

oder neben einander nicht stehen können, und daß sie sich bis zu einem<br />

durchgängig a priori bestimmten Begriffe läutere, und dadurch der Begriff<br />

von einem einzelnen Gegenstand werde, der durch die bloße Idee<br />

durchgängig bestimmt ist [...].« 119 Also zuerst bezieht sich das Prinzip der<br />

durchgängigen Bestimmung auf die gesamte Sphäre möglicher Prädikate<br />

überhaupt (bzw. die Materie zu aller Möglichkeit), spätestens mit der<br />

disjunktiven Teilung der Menge aller möglichen Prädikate aber soll sich<br />

118 Vgl. hier auch § 19, insbesondere e) Hinsichtlich der dialektisch (wesenslogisch)<br />

begründeten Logik<br />

119 B 602/A 574, Hervh. v. Autor


— 330 —<br />

das Prinzip der durchgängigen Bestimmung bereits auf die besondere<br />

Möglichkeit eines jeden Dinges beziehen können. Unabhängig davon<br />

sollten aus dem selben Inbegriff aller Möglichkeiten — aus dem Inbegriff<br />

aller möglichen Prädikate überhaupt — mit Hilfe zweier weiterer Kriterien<br />

der logischen Allgemeinheit die besonderen (wesentlichen) Prädikate eines<br />

einzelnen Gegenstandes gefunden werden. Offensichtlich sollen diese<br />

Kriterien den Begriff von einem einzelnen Gegenstand, aber nicht das<br />

vorausgesetzte Ding (und daher auch nicht das Objekt) des Begriffs vom<br />

einzelnen Gegenstandes ableiten. 120<br />

Zwar hat es damit den Anschein, als wären alle Prädikate, die gemäß der<br />

kategorialen Interpretation nach dem Prinzip der Allheit eine notwendige<br />

Qualität eines Dinges bezeichnen, schon auch jene Prädikate, die nicht von<br />

anderen Prädikaten abgeleitet sind, wüßte man nur, welches Glied des<br />

abgeleiteten Gegensatzes in einer Qualität, die einem Ding notwendig<br />

zukommen müsse, nun mit mit welchem Glied des Gegensatzes einer<br />

anderen, gleichfalls notwendigen Qualität zusammen gelten kann. Kant<br />

kennzeichnet diese Prädikate, die Qualitäten bezeichnen, nur indirekt, aber<br />

keineswegs hauptsächlich derart, daß die formallogische Lesart, es handle<br />

sich dabei nur um die Unterscheidung der Prädikate von Wahrheit bzw.<br />

Falschheit, sich als die einzige oder sofort und umstandslos als eigentliche<br />

Interpretation erweisen lassen könnte. Es handelt vielmehr von Prädikate,<br />

deren Qualität jeweils empirisch wiederum immer nur durch ein Prädikat<br />

ausgedrückt werden kann, das nur an Stelle seines Gegenteiles an einem<br />

Ding gelten muß, gilt nur das notwendige Prädikat des Dinges, welches<br />

die Qualität allgemein bezeichnet und dem Ding allgemein zuschreibt.<br />

Und es ist zunächst für sich auch durchaus plausibel, das zweite Kriterium<br />

eines Begriffes vom einzelnen Gegenstand, daß die Prädikate, die<br />

nebeneinander nicht stehen können, ausgestoßen werden, dahingehend zu<br />

verstehen, eben jenes verlangte Kriterium zu sein, welches in der Frage,<br />

welche Glieder der einen möglichen Gegensatz enthaltenen qualitativen<br />

Prädikate eines Dinges zusammen gelten können, zu einer Entscheidung<br />

verhelfen könnte. —<br />

120 Vgl. dazu die Interpretation zur Darstellung der Wesenslogik in Kants Antwort auf<br />

Eberhards Kritik: Dort unterscheidet Kant das Wesen von allen Prädikaten, welche<br />

logisch aus den wesentlichen Prädikaten analytisch abgeleitet werden können. (Über<br />

eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere<br />

entbehrlich gemacht werden soll, Königsberg 1790, BA 83). Vgl. hier auch: Zweiter<br />

Abschnitt, Zeitbedingung der Wahrheit, Die wesenslogische Erörterung.


— 331 —<br />

Ich hoffe aber zeigen zu können, daß erstens dies nicht notwendigerweise<br />

die einzige Interpretation der Kriterien des Begriffs vom einzelnen<br />

Gegenstand ist, und daß zweitens eine stärkere Interpretation auch die<br />

Feststellung berücksichtigt, daß die Eigenschaft eines Prädikats, ein Glied<br />

einer notwendigen Qualität (gleichfalls ein Prädikat) zu sein, zwar das<br />

notwendige Prädikat dazu qualifiziert, gemeinsam mit anderen<br />

qualitativen Prädikaten ein Prädikat eines bestimmbaren Dinges zu sein,<br />

aber es bleibt weiters die Frage, ob Prädikate ausschließlich mit der<br />

Qualifikation, den Zustand einer Qualität mit entgegengesetzter Prädikate<br />

zu bezeichnen, auf einen Begriff des Dings auf eine Weise bezogen werden<br />

können, die dieses Ding zu einen bestimmten, d. h. einzelnen Gegenstand<br />

macht. Der entscheidende Schritt dazu wird nämlich erst mit der<br />

Bestimmung des oder der wesentlichen Prädikate gemacht, der es erst<br />

erlaubt, allgemein von besonderen Dingen zu reden; oder, was<br />

gleichbedeutend ist, mit der Formulierung des frühen Kant, den Verstand<br />

imstand setzt, mit einem Teilbegriff den ganzen Gegenstand vorzustellen<br />

(also ausdrücklich ohne die vielen Prädikate, die zur Beschreibung zumal<br />

eines Erfahrungsobjektes anhand von Merkmalen nötig sind). Dazu wird<br />

aber ein Verfahren benötigt, welches zuerst die wesentlichen Prädikate (ut<br />

constitutiva) von den unwesentlichen Prädikaten unterscheidet. Das ist die<br />

konsequente Anwendung der logischen Teilung als Negation durch<br />

Entgegensetzung; dies aber nicht in Gestalt der Entgegensetzung von<br />

Zuständen einer Qualität, sei es »hell – dunkel« oder »wahr – falsch«,<br />

vielmehr als Entgegensetzung von wesentlichen und unwesentlichen<br />

Prädikaten. Das ist mit der klassischen Auffassung, wesentliche Prädikate<br />

hätten ihre Ursache in der Substanz völlig vereinbar. Man muß<br />

insbesondere die drei Kritiken Kants dahingehend lesen, einerseits<br />

analytisch die Prädikate ut constitutiva herauszufinden (ein wenn auch<br />

nicht kontingentes, doch auch nie vollständig zu Ende bringendes<br />

Geschäft), andererseits aber synthetisch Urteile a priori herzustellen, was<br />

nichts anderes bedeutet, die Methode kennenzulernen, wie man zuerst<br />

nicht-wesentliche Prädikate mittels Prädikate ut constitutiva rechtfertigen<br />

kann zu Prädikate ut rationata. An dieser Formulierung hängt schon vor<br />

der Zuspitzung der Untersuchung in transzendentaler Hinsicht auch die<br />

Möglichkeit des Wissenschaftsfortschrittes.<br />

— Die eben skizzierten Interpretationen beruhen einerseits auf der nicht<br />

ausgewiesenen Annahme der hinreichenden Vollständigkeit der<br />

Logifizierung der Anschauung durch die erste Regel der Allheit im Prinzip


— 332 —<br />

der durchgängigen Bestimmung eines Dinges; andererseits stellt die<br />

stärkere zweite Regel die Anschauung unter den Vernunftbegriff vom<br />

einzelnen Gegenstand (dem Ideal der reinen — theoretischen — Vernunft),<br />

und somit unter eine notwendige Idee der reinen Vernunft<br />

(transzendentale Idee). Diese Unterstellung der Sinnlichkeit unter die<br />

Vernunft (später die Vernünftigkeit der Natur) scheint mir ein<br />

unverzichtbarer Bestandteil der Reflexion des transzendentalen<br />

Schematismus (also des eigentlich transzendentalanalytischen<br />

Verhältnisses von Verstand und Sinnlichkeit) zu sein, obwohl hier mit der<br />

Ersetzung der Kontinuitätsbedingung der Sinnlichkeit durch eine logische<br />

Regel die Sinnlichkeit abermals nur als passives Gegenüber des Verstandes<br />

auftritt, ohne selbstständig Anschauungsformen a priori oder auch nur<br />

Bedingungen der sukzessiven Zusammensetzung der Vorstellungen<br />

einzufordern.<br />

Der Begriff von einem einzelnen Gegenstand ist also nicht nur ein logisch zu<br />

verstehender Begriff, noch weniger ein empirischer Begriff mit komparativer<br />

Allgemeinheit, sondern soll auch individualisierende Bestimmungsstücke als<br />

Grund der Allgemeingültigkeit beinhalten können, gerade weil er Vernunftbegriff<br />

und nicht bloße Anschauung nochVerstandesbegriff ist.<br />

d) Die transzendentalen Prinzipien von Deduktion und Induktion<br />

Meines Erachtens nach sind in den Überlegungen zur qualitativen Einheit<br />

des Begriffes in § 12 als der qualitativen Verwendung der Kategorie des<br />

Quantums von Kant die Beziehung des Begriffs auf ein Objekt einfach<br />

vorausgesetzt worden, ohne daß aus der dort gegebenen Darstellung der<br />

Begriff von einem einzelnen Gegenstand analytisch mit Notwendigkeit<br />

herausspringen könnte. Es besteht ja auch nur der Anspruch auf die<br />

Einheit des Begriffes. Daß die stattgefundene Untersuchung der<br />

entscheidenden Stellen von § 12 die analytische Logik voraussetzt, ist klar<br />

genug: die Unterscheidung von Merkmal eines Begriffes und diesen selbst<br />

ist eine logische Unterscheidung. Jedoch behandelt Kant in § 12 das<br />

Verhältnis von Merkmal und Begriff gar nicht im Sinne des Enthaltenseins<br />

eines Begriffes in einem anderen. Kant verwendet das Konzept vom<br />

Begriff vielmehr selbst hier grundsätzlich so, daß er nur an der<br />

Subjektstelle eines Satzes stehen kann. Sollen nun die Prädikate (also die<br />

Merkmale) mittels Einschließung und Ausschließung dem Begriff auch zu-


— 333 —<br />

und abgesprochen werden, so ist in § 12 die Einheit des Begriffes zwar<br />

durch die Vielheit der wahren Folgen und deren Rückführbarkeit auf den<br />

Begriff gerechtfertigt worden, das Substrat des Begriffs selbst aber, sofern<br />

dieser mehr bedeutet als die bloße Menge seiner Merkmale — und das<br />

scheint auch seine unverückbare Stellung im Satzsubjekt aller möglichen<br />

analytischen Urteile deutlich genug anzuzeigen — ist wiederum nur als<br />

Negation des Prinzips der Einschließung zu denken möglich. Die<br />

Reflexion der Fixierung des Begriffes auf die Stellung im Satzsubjekt in<br />

§ 12 führt letztlich gerade auf ein ähnliches Prinzip wie das des ersten<br />

Kriteriums des Ideals der reinen Vernunft: Aber anstatt nur alle Prädikate,<br />

die von anderen Prädikaten abgeleitet sind, auszuschließen, was immerhin<br />

die Möglichkeit von wesentlichen (analytischen) Prädikaten offen läßt,<br />

wird in § 12 vom Begriff des Objektes a fortiori verlangt, selbst überhaupt<br />

kein Merkmal bzw. Prädikat eines weiteren Begriffes sein zu können.<br />

Zwischen der Negation als der Auschließung eines zufälligen Prädikates<br />

(Merkmales) aus der Menge der wesentlichen Merkmale eines Begriffes<br />

und der Negation als der Ausschließung des Prinzips des Enthaltenseins<br />

überhaupt (da in § 12 der Begriff immer der Begriff des Substrats des<br />

Satzsubjekts sein muß und nicht nochmals irgend ein Prädikat sein kann)<br />

ergeben sich eine Reihe eigenständiger Problemstellungen: Die qualitative<br />

Verwendung der Kategorie der Größe als Umfang der Menge von<br />

möglichen Prädikaten nach der Einschränkung auf ein Ding oder auf eine<br />

Klasse von Dingen ist in den Überlegungen zum reinen und zum<br />

transzendentalen Ideal den dortigen Definitionen von Allheit ebensogut<br />

vorauszusetzen wie die erste Fassung des Prinzips der durchgängigen<br />

Bestimmung eines Dinges und dessen Zweitteilung der Sphäre möglicher<br />

Prädikate eines Dinges anhand der Frage nach von Falschheit und Unsinn<br />

unterscheidbarer Wahrheit und einzelner objektiver Existenz, worauf sich<br />

auch der Begriff des Objekts (ohne Ideal der reinen Vernunft nichts als die<br />

Einheit der Menge seiner empirisch bewiesenen Merkmale) doch zu<br />

beziehen hat. Soll aber das Konzept des Begriffes von einem Gegenstand<br />

nicht nur in seiner grammatikalischen Stellung im reinen kategorischen<br />

Urteil gegründet sein, dann muß die logische Funktion des Quantums, d. i.<br />

hier die Allgemeinheit, die Beziehung zwischen den Prädikaten näher<br />

bestimmen. 121 Wie aber kann das erste Prinzip des Begriffs vom einzelnen<br />

Gegenstand die Allgemeinheit notwendig machen? Wohl nicht<br />

121 K.r.V., B 599, Fußnote


— 334 —<br />

phänomenologisch mit der Suche nach allen möglichen Qualitäten eines<br />

Dinges überhaupt, wie die erste logische Regel im Prinzip der<br />

durchgängigen Bestimmung eines Dinges voraussetzt, wenn man nicht<br />

ausschließlich der transzendentalen Reduktion auf das Existenzprädikat<br />

als Ursache oder Folge dieser logischen Teilung folgt. Gleichwohl sollte<br />

gemäß der ersten Interpretation nur das nach dem Prinzip der<br />

durchgängigen Bestimmung der Allheit bestimmte Ding die Grundlage<br />

des nach einem neuen Prinzip zu bestimmenden Begriff von einem<br />

einzelnen Gegenstand sein, obwohl an dieser Stelle auch ein anderes<br />

Selektionsprinzip (z. B. die Kriterien von § 12) stehen könnte. Die<br />

Weiterbestimmung des Dinges geschieht nun mit der Bestimmung<br />

derjenigen Prädikate, die notwendig für die Einheit eines Begriffs vom<br />

Objekt sind, und derart das Ding zum bestimmten, d. i. in seiner Einzelheit<br />

und Besonderheit gewußten Gegenstand bestimmen. Allerdings: zunächst<br />

für sich ohne transzendentale Zeitbedingung; und gleichgültig, ob aus der<br />

Menge der in Oppositionen darstellbaren Prädikate, oder nicht. Das kann<br />

nun anhand der stärkeren wesenslogischen Interpretation des Kriteriums<br />

der auszuschließenden aus Prädikate abgeleiteten Prädikate oder anhand<br />

des schwächeren qualitativen Kriteriums der Rückführbarkeit der Folgen<br />

entschieden werden — es wäre zu erwarten, daß beide Kriterien, auch<br />

wenn sie zu verschiedenen methodischen Ansätzen gehören, zum gleichen<br />

Ergebnis führen. Die deduktive Vorgangsweise wäre dann die, die gemäß<br />

den beiden Kriterien des zweiten logischen Prinzips der durchgängigen<br />

Bestimmung des Begriffs gemäß einer Idee die wesenslogischen Prädikate<br />

eines Gegenstandes als Allgemeinheit bestimmte; die induktive<br />

Vorgangsweise jene, welche mittels des Prinzips der Rückführbarkeit der<br />

Folgen auf den Begriff des Objektes die qualitative Einheit des Begriffs in<br />

allen seinen Merkmalen an der Erfahrung nachweisen könnte. Allein aus<br />

der grammatikalischen Sonderstellung eines Begriffes, der selbst nicht<br />

Prädikat sein kann, läßt sich aber allgemein nur ein Substrat als das<br />

transzendentale Objekt = X (Ding an sich) folgern. 122<br />

122 Es ist bemerkenswert, daß aber die Kriterien der »qualitativen« Einheit des Begriffes<br />

vom Objekte (§ 12) gleichfalls als eine Interpretation des ersten logischen Prinzips<br />

der durchgängigen Bestimmung eines Dinges gelten können: Die Folgen eines<br />

durchgängig bestimmten Dinges können nach dem ersten logischen Prinzip eines<br />

Dinges nur das jeweils andere Prädikat der entgegengesetzten Glieder der<br />

qualitativen Prädikate sein. Nun bietet sich nach der logischen Regel der<br />

Zeitbedingung des »Veränderlichen« die Spekulation an, daß in der Verknüpfung<br />

des Prädikats mit dem Gegenteil der reale Prozess der kontinuierlichen Zeit in der<br />

Gestalt des Wechsels von einem Glied der qualitativen Gegensätze zum anderen<br />

geschieht. Das dritte Kriterium der »qualitativen« Einheit des Begriffes vom Objekt


— 335 —<br />

§ 9 Die »qualitative Einheit« des Begriffes in § 12 und der Begriff von<br />

einem einzelnen Gegenstand im Ideal der reinen Vernunft<br />

Wie sind die Kriterien des Begriffes von einem einzelnen Gegenstand in<br />

den Kantschen Untersuchungen zum Ideal der reinen Vernunft nun mit<br />

den Bedingungen zur qualitativen Einheit des Begriffes vom Objekt in § 12<br />

näher in Zusammenhang zu bringen?<br />

a) Widerspruchsfreiheit und Folgenschar<br />

Das Nicht-neben-einander-stehen-Können als zweitgenanntes Kriterium<br />

des Ausschlusses im Ideal der reinen Vernunft ist nun insofern<br />

komplementär als übereinstimmend mit der zweiten Bedingung der<br />

»qualitativen Einheit« eines Begriffes vom Objekt zu denken, wenn mit ihr<br />

auch schon behauptet wird, daß alle wahren Folgen neben einander<br />

(be)stehen können. Genau das scheint nun mit der dritten Bedingung der<br />

»qualitativen« Einheit des Begriffes von Kant auch behauptet zu werden:<br />

Die Idee vom transzendentalen bonum im scholastischen transzendentalen<br />

Ideal wird in der qualitativen Verwendung der Kategorien des Quantums<br />

mit der Rückführbarkeit der wahren Folgen auf die Merkmale des Begriffs<br />

zur qualitativen Vollständigkeit (Ganzheit) depotenziert. Was es näher mit<br />

dieser Interpretierbarkeit der »Ganzheit« auch auf sich haben mag,<br />

jedenfalls ist mit der Forderung nach der Rückführbarkeit der Folgen auch<br />

die Geltung des principium contradictionis mit eingeschlossen. Im Sinne der<br />

Fragestellung nach dem Zugleichsein von Folgen ist der Grund für diese<br />

Annahme allerdings nicht so offensichtlich: Bei genauer Betrachtung wird<br />

das zweite Kriterium des Begriffes von einem einzelnen Gegenstand als<br />

das Ideal der reinen Vernunft von der Bedingung der Vielheit der wahren<br />

Folgen aus der »qualitativen Einheit« des Begriffs aus § 12 nicht mit<br />

Sicherheit erfüllt. Das Nicht-neben-einander-stehen-Können als<br />

Ausschließungsgrund eines von zwei entgegengesetzten bloß überhaupt<br />

möglichen Prädikaten eines Dinges überhaupt kann als einfache<br />

Übersetzung des Satzes vom Widerspruch aufgefaßt werden; das Nichtneben-einander-(be)stehen-Können<br />

der Folgen ist aber nicht mit<br />

Notwendigkeit ein Hindernisgrund für die Rückführbarkeit auf die<br />

Merkmale der »qualitativen Einheit« eines Begriffes. Die real mögliche<br />

wäre damit durchaus erfüllt. Das würde aber offensichtlich nur die Vorstellung einer<br />

Oszillation zwischen zwei Zuständen, aber nicht die kontinuierlich verlaufende Zeit<br />

ergeben.


— 336 —<br />

Einheit der wahren Folgen wird mit dieser Argumentation selbst gar nicht<br />

beansprucht sondern nur deren Rückführbarkeit; wird aber nur die<br />

Rückführbarkeit auf den Begriff des Objektes gemeint, wenn in § 12 von<br />

der Einheit der wahren Folgen gehandelt wird?<br />

Kant führt die Bedingungen der »qualitativen Einheit« eines Begriffes in<br />

§ 12 selbst auf das hypothetische Urteil zurück: »So ist das Kriterium der<br />

Möglichkeit eines Begriffes (nicht des Objektes derselben) die Definition, in<br />

der die Einheit des Begriffes, die Wahrheit alles dessen, was zunächst aus<br />

ihm abgeleitet werden mag, endlich die Vollständigkeit dessen, was aus<br />

ihm gezogen worden, zur Herstellung des ganzen Begriffes das<br />

Erforderliche desselben ausmacht; oder so ist auch das Kriterium einer<br />

Hypothese die Verständlichkeit des angenommenen Erklärungsgrundes<br />

oder dessen Einheit (ohne Hilfshypothese)[,] die Wahrheit<br />

(Übereinstimmung unter sich selbst und mit der Erfahrung) der daraus<br />

abzuleitenden Folgen, und endlich die Vollständigkeit des<br />

Erklärungsgrundes zu ihnen, die auf nichts mehr noch weniger<br />

zurückweisen, als in der Hypothese angenommen worden, und das, was a<br />

priori synthetisch gedacht war, a posteriori analytisch wieder liefern und<br />

dazu zusammenstimmen. — « 123<br />

Es gibt im obigen Zitat offenbar eine Stelle in der zweiten Formulierung<br />

des Gedankenganges nach dem Semikolon, die im Sinne des<br />

realmöglichen Zusammen-bestehen-könnens lesbar ist: »die Wahrheit<br />

(Übereinstimmung unter sich selbst und mit der Erfahrung) der daraus<br />

[der Einheit des Begriffes in der Definition bzw. Hypothese] abzuleitenden<br />

Folgen«. Immerhin kann die Formulierung im Klammerausdruck<br />

»Übereinstimmung unter sich selbst« in Bezug auf die Folgen als<br />

Interpretation des Kompossibilitätsprinzips, und insofern auch als<br />

Interpretation des principium contradictionis als zweites Kriterium des<br />

Begriffs vom einzelnen Gegenstand verstanden werden. Doch ist diese<br />

Lesart sehr wahrscheinlich nicht die einzige entsprechende: Eher ist<br />

anzunehmen, daß mit dem Ausdruck »Übereinstimmung unter sich<br />

selbst« die Relation zwischen Merkmal und Folge, und zwar die Folge<br />

sowohl als abgeleitete wie als in der Erfahrung bestätigte, gemeint worden<br />

ist. Für Kant ist das induktive Moment im Kriterium der Rückführbarkeit<br />

123 B 115; das Komma ist eine Einfügung vom Autor, die sich aus der Aufzählung vor<br />

dem Semikolon im gegebenen Zitat von selbst ergibt.


— 337 —<br />

und die Vollständigkeit im Begriff (Definition bzw. Hypothese), nicht die<br />

Vollständigkeit im Dasein entscheidend. Offenbar wird hier nur die<br />

Relation von Merkmal und Folge behandelt und nicht die Möglichkeit<br />

realer Zusammengeltung von Merkmalen oder Folgen eines Objektes im<br />

Modus des Zugleichseins. Allerdings sticht hier eine Inkonsequenz<br />

Kantens ins Auge: Offenbar bezeichnet Kant im letzten Satz des gegebenen<br />

Zitates das, was in der Hypothese gedacht wird, als synthetisches Urteil a<br />

priori (ohne Hilfshypothese), die Rückführung als a posteriori analytisch.<br />

Letzteres ist unbestreitbar; weshalb eine Hypothese, nur weil sie ohne<br />

Hilfshypothese als wahr erwiesen werden konnte, als ein synthetisches<br />

Urteil a priori bezeichnet werden können sollte, bleibt unklar; bestenfalls<br />

könnte hier die Formulierung »a parte priori« diskutiert werden. Es ist hier<br />

auch nicht die geeignete Stelle, durch Nachforschungen in der Kantschen<br />

Logik eine etwa dahinter stehende logische These zu identifizieren, denn,<br />

wenn auch, wie ich vermute, die Erklärung dieser Stelle in der »verdeckten<br />

Konsequenz« zu suchen ist, die nach Kant die unechten Syllogismen (die<br />

nicht Barbara sind) kennzeichnen und später in einer Theorie des<br />

hypothetischen Urteils herangezogen werden, 124 würde die »verdeckte<br />

Konsequenz« nicht zureichen, von einer Theorie des synthetischen Urteil a<br />

priori zu sprechen. Es bleibt der Verdacht, Kant hätte hier<br />

unerlaubterweise die ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption<br />

(§ 16) abermals mit einem anderen Problemkreis in Verbindung gebracht<br />

(wie zuvor in § 24 anhand der transzendentalen Einbildungskraft mit den<br />

Kategorien), diesmal demnach mit der inneren Begründungsproblematik<br />

der formalen Aussagenlogik. Ich weigere mich nach wie vor, die<br />

ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption aus § 16 analytischdeduktiv<br />

zu belasten: weder enthält diese Einheit schon die Kategorien<br />

(und zwar weder mit noch ohne transzendentale Einbildungskraft), und<br />

noch weniger kann diese »Synthesis a priori« (wie Kant sich in § 12<br />

ausdrückt) die formallogischen Probleme beheben. Bemerkenswert bleibt,<br />

daß sich auch hier die Schwierigkeit durchzeichnet, das hypothetische<br />

124 Kants Werke, Akademie – Textausgabe, Walter de Gruyter, Berlin 1968, Bd. IX; § 25,<br />

Anmk. 2: in kategorischen Urteilen ist alles assertorisch, in hypothetischen nur die<br />

Konsequenz. § 74:aus den letzten drei Figuren des Syllogismus erhellt, daß in einem<br />

jeden unmittelbaren Schluß (consquentia immediata) eingemischt ist, der zwar nicht<br />

ausdrücklich bezeichnet wird, aber doch stillschweigend mit einverstanden werden<br />

muß. § 75, Anmk. 1: der versteckte Minor ist der von einem problematischen Satz<br />

des Antecendes im Übergang zur Geltung der Konsequenz in einen kategorischen<br />

Satz verwandelte Antecedens. § 80: ein versteckter Vernunftschluß, in welchem dir<br />

rinr Prämisse nicht ausgedrückt, sondern nur mit gedacht wird, heißt ein<br />

verstümmelter oder ein Enthymema. Vgl. hier den vierten Abschnitt, II, b.


— 338 —<br />

Urteil formallogisch zu fassen. Aber nunmehr kann vielmehr gerade<br />

wegen des Problemes zwischen Hypothese und der »Synthesis a priori«<br />

erwartet werden, daß Deduktion und Induktion echte Alternativen und<br />

nicht etwa jeweils das verkappte Gegenteil des anderen sind, und sich<br />

schließlich am Ende ihrer dialektischen Romanze in eine Tautologie<br />

ergießen: Die Merkmale, die durch Rückführung ohne Hilfshypothese als<br />

zur qualitativen Einheit des Begriffs erwiesen betrachtet werden können,<br />

können auch als Prädikate ut constitutiva angesehen werden, sodaß der<br />

Problemkreis der Prädikate ut rationata analog als Rückführungen von<br />

Merkmalen mittels Hilfshypothesen zu verstehen wäre.<br />

Es läßt sich also einstweilen nur so viel sagen, daß das zweite Kriterium<br />

des Ausschlußes von nicht wesentlichen Prädikaten (das Nicht-nebeneinander-stehen-Können)<br />

aus der den Begriff vom einzelnen Gegenstand<br />

durchbestimmenden Idee nicht als logisch äquivalent mit dem Kriterium<br />

der Rückführbarkeit der qualitativen Einheit der Merkmale eines Begriffes<br />

vom Objekt anzusehen ist, und daß zweitens vielmehr das erste Kriterium<br />

des Ideals der reinen Vernunft, das dem entscheidenden Kriterium der<br />

Rückführbarkeit aus § 12 bei aller Verschärfung und kontradiktorischen<br />

Entgegensetzung zumindest noch darin ähnlich ist, als daß wesentliche<br />

Pradikate nicht ausgeschlossen werden, und daß Prädikate »ut rationata«<br />

einer weiteren Rechtfertigung zugänglich gemacht werden können, als<br />

Analogon für das Prinzip der Rückführbarkeit dienen könnte.<br />

b) Der Begriff vom einzelnen Gegenstand ist ein Wesensbegriff<br />

Die Nichtableitbarkeit des Prädikates aus einem anderen als das erste und<br />

eigentliche Kriterium des Begriffs von einem einzelnen Gegenstand im<br />

Ideal der reinen Vernunft bleibt unbestimmt der Untersuchung der<br />

»qualitativen Einheit« des Begriffs vom Objekte vorausgesetzt, ansonsten<br />

mit der Hypothese nicht ein Begriff vom Objekt, sondern nur die<br />

qualitative Bestimmung eines syntaktisch nicht weiter qualifizierten<br />

Begriffs gedacht werden könnte.<br />

Das zum Ideal der reinen Vernunft führende erste Kriterium ist nun nur<br />

das der Ausstoßung derjenigen Prädikate, die von woanders schon<br />

gegeben oder schon durch andere als abgeleitet betrachtet werden


— 339 —<br />

müssen. 125 Damit verbietet sich die Unterstellung der Schar der Folgen in<br />

§ 12 unter dem Satz vom Widerspruch von selbst, da nun von der<br />

»qualitativen Einheit« des wesentlichen Begriffs aus gesehen zuvor schon<br />

diese alle als aus den wesentlichen Merkmalen abgeleitet angesehen<br />

werden, jedoch Folgen als wesentliches Prädikat noch nicht in Frage<br />

kommen. 126 Insofern schränkt im Ideal der reinen Vernunft das erste<br />

Kriterium schon von vornherein darauf ein, daß nur die Merkmale des<br />

Begriffes, die aus ihn unmittelbar (ohne Hilfshypothese) abgeleitet werden<br />

können, gemeint sein können. Kein Prädikat darf abgeleitet sein; daß soll<br />

heißen, weder von wo anders hergenommen, etwa durch Vergleich, noch<br />

analytisch aus einem anderen Prädikat des vorausgesetzten Dinges<br />

gewonnen. 127 Die Widerspruchsfreiheit scheint sich daraus schon zu<br />

ergeben. Sind die möglichen Prädikate aber nicht schon als wesentliche<br />

Prädikate eines gemeinsamen Dinges zu verstehen, von welchem der<br />

Begriff von einem einzelnen Gegenstand verfertigt werden soll, ist<br />

demnach nicht gestattet, ohne weiteres aus dem Fall des Neben-einanderstehen-könnens<br />

zweier Prädikate auf deren Wesentlichkeit für irgend<br />

einen Gegenstand zu schließen. Das sogenannte zweite Kriterium im Ideal<br />

der reinen Vernunft ist also unter Voraussetzung des ersten gar kein<br />

eigenes Argument sondern selbst nur eine Schlußfolgerung aus dem ersten<br />

Kriterium.<br />

Die wesenslogische Interpretation des Ideals der reinen Vernunft operiert<br />

mit zwei Ableitungsbegriffen: Die Ableitung der Folgen aus Prädikate<br />

wird verboten, der auf diese Weise durch Einschränkung gewonnene<br />

Begriff ist dann nichts als dasjenige Prädikat, von dem behauptet wird, es<br />

wäre das aus der Idee des »Inbegriffes aller Möglichkeit, so fern er als<br />

Bedingung der durchgängigen Bestimmung eines jeden Dinges zum<br />

Grunde liegt«, (dem Urbegriff) abgeleitete Prädikat. 128 Die<br />

wesensnotwendigen Prädikate als die rationalen Bestandteile eines<br />

Wesensbegriffes (unabhängig ob selbst nur synthetisch zu erreichen — ut<br />

125 »[...] so finden wir doch bei näherer Untersuchung, daß diese Idee, als Urbegriff, eine<br />

Menge von Prädikate ausstoße, die als abgeleitet durch andere schon gegeben sind<br />

[...]«, B 601/A 573<br />

126 Vgl. abermals Kants Antwort auf Eberhard (1790);. vgl. hier den zweiten Abschnitt,<br />

Kap. I., 1. Die dort zu findende wesenslogische Darstellung zweier Folgebegriffe<br />

muß hiezu freilich noch kontrastiert werden. (BA 83)<br />

127 Die erste Bedingung erfüllt die Definition der ut constitutiva, die zweite die<br />

Definition der ut rationata; in der Darstellung der Wesenslogik durch Kant in seiner<br />

Antwort auf Eberhard.<br />

128 K.r.V. B 601/A 573


— 340 —<br />

rationata — oder immer schon analytisch als Ganzheit in der Idee gegeben<br />

— ut constitutiva ) vermögen selbst nur Elemente der Begründung<br />

(Rechtfertigung) einer Ableitung, aber nicht Grund der Ableitung eines<br />

weiteren wesensnotwendigen Prädikates als das eine Eigenschaft eines<br />

bestimmten einzelnen Gegenstandes Aussagende zu sein. Der Grund der<br />

wesenslogischen Ableitung und der Grund seiner rationalen Begründung<br />

sind nicht ident, obgleich beide sich auf die selbe vorausgesetzte Identität<br />

beziehen. 129 Der intuitive Wesensbegriff wird damit aber nicht erreicht<br />

sondern nur seine wesensnotwendigen Prädikate, aus welchen selbst zwar<br />

keine weiteren wesentlichen Prädikate abzuleiten sind, aber zur<br />

Rechtfertigung einer weiteren Intuiton dienen können. Gerade aber die<br />

qualitative Einheit des Begriffes vom Objekt ist damit vom intuitiven<br />

Wesensbegriff bedroht: »Im einzelnen Urteil hingegen wird der<br />

Prädikatsbegriff allein auf den Gegenstand bezogen [Kant meint in diesem<br />

Zusammenhang: nicht auf andere Begriffe], denn hier fungiert als Subjekt<br />

eine Vorstellung von Einzelnem, und "repraesentatio singularis" — hat<br />

einen intuitum, zeigt ihn unmittelbar an, ist aber im Grunde kein<br />

conceptus. Z. B. Sokrates ist kein conceptus.« 130<br />

Das heißt soviel wie: Wird der Begriff vom Objekt als intuitiver Begriff im<br />

Sinne einer Einzelanschauung verstanden, wie offenbar der Teilbegriff als<br />

»Vorstellung des ganzen Gegenstandes« aufgefaßt werden kann, so ist ein<br />

Begriff als conceptus, somit eine Definition des Objekts oder eine<br />

Hypothese über das Objekt des Begriffes der qualitativen Einheit, gar nicht<br />

möglich. Nun ist im hier verhandelten Fall von der Intuitivität des<br />

Wesensbegriffes die Rede, was für sich nicht allein Anschauung sondern<br />

auch Idee bedeuten kann. So ist auch das obige Zitat aus der Logik Dohna-<br />

Wundlacken zwar eine Vorstellung, die auf das Einzelne, also auf das<br />

existierende Objekt, verweist, was im allgemeinen als eine zureichende<br />

Definition von Anschauung gelten kann, doch bringt das Beispiel vom<br />

Sokrates einen Aspekt herein, der eindeutig ideell und nicht anschaulich<br />

ist. Insofern bleibt auch das wesentliche oder die wesentlichen, nicht aus<br />

anderen Prädikaten abgeleiteten Begriffe in dieser Schwebe. Der<br />

Wesensbegriff bleibt zwischen Idee und Anschauung unentschieden (wohl<br />

auch wegen der Möglichkeit der Selbstversinnbildlichung einer Idee von<br />

einem Objekt der Erscheinung) und ist eine »repraesentatio singularis« mit<br />

129 Vgl. Kants Antwort auf Eberhard; vgl. hier Abschnitt B »Logik der Wahrheit«,<br />

Kapitel »Die Zeitbedingung der Wahrheit«, a) »Die wesenlogische Erörterung«<br />

130 (Logik Dohna-Wundlacken, AA XXIV, p. 754)«


— 341 —<br />

einem anzeigendem »intuitum« und als solches nicht selbst ein Konzept<br />

oder eine Konstruktionsregel. Wie zu sehen, ist auch in § 12 die Frage, wie<br />

aus der mittels Rückführung der Folgen auf die selben Merkmale<br />

qualifizierte qualitative Einheit des Begriffs vom Objekt ein Begriff von<br />

einem Gegenstand, hier im Sinne eines Konzeptes, wird: In der Erörterung<br />

der qualitativen Einheit des Begriffs vom Objekt geht Kant bekanntlich<br />

über, den Begriff als Definition oder Hypothese zu bezeichnen, auch dort<br />

ohne näher bezeichneten Grund. Im dortigen Zusammenhang läßt sich die<br />

Verwendung der Ausdrücke wie »Definition« und »Hypothese« aber auch<br />

dadurch erklären, daß damit Vermutungen über den Zusammenhang von<br />

Merkmale und Folgen gemeint sind, also Teilkonzepte über<br />

Zusammenhänge der Merkmale eines Objekts untereinander ausdrücken,<br />

aber nicht die Definition eines Objektes im aristotelischen Sinne oder im<br />

Sinne der vorkritischen Definition Kantens vom Teilbegriff, der den<br />

ganzen Gegenstand vorstellen lassen können soll, und schon einmal von<br />

der bloßen Menge möglicher Prädikate als Merkmale eines Begriffes<br />

unterschieden worden ist.<br />

Der Begriff vom einzelnen Gegenstand ist aber als nicht-komparativer<br />

Allgemeinbegriff gegenüber dem Begriff eines Dinges und der Menge<br />

seiner möglichen Prädikate (als von der Vielheit der Prädikate überhaupt<br />

eingeschränkte Allheit möglicher Prädikate) eingeführt worden. Dieser<br />

Anspruch kann mit der Darstellung des intuitiven Wesensbegriffes aus der<br />

Logik Dohna-Wundlacken nicht allein erfüllt werden: Eine »repraesentatio<br />

singularis« ist selbst kein Konzept. Nun hat Kant später und auch schon<br />

hier mindestens ein wesentliches Prädikat des Wesensbegriffes für möglich<br />

erachtet. Kant muß also seine Auffassung über den Wesensbegriff<br />

geändert haben; zu Intuitivität und Diskursivität tritt Konzeptualität als –<br />

zumindest hier — wesentliche Charakteristik hinzu. Der Wesensbegriff ist<br />

wegen seiner Intuitivität offenbar selbst kein diskursiver Begriff, jedoch<br />

kann er nunmehr wesentliche Prädikate beinhalten; diese wesentlichen<br />

Prädikate stehen aber für einen minimalen konzeptuellen Aspekt des<br />

Begrifflichen. Darauf fußen die Prädikate ut constitutiva; die einfache<br />

Unterscheidung in solche und in unwesentliche Attribute verwischt gemäß<br />

der hier vertretenen Auffassung die eigenständige Stellung der Prädikate<br />

ut rationata, die in der weiter oben angeführten Art und Weise als ein<br />

Vorläufer des synthetischen Urteils a priori zu gelten haben, die aus durch<br />

Prädikate ut constitutiva gerechtfertigte Intuitionen eben Prädikate ut<br />

rationata entstehen lassen. Solche Prädikate unterscheiden sich


— 342 —<br />

grundsätzlich von extraessentiellen Attributen; auch wenn sie nicht alle<br />

synthetische Urteile a priori sind, stehen sie doch für synthetische Urteile.<br />

Was aber das eigentliche Kriterium für Prädikate ut rationata ist, die als<br />

gerechtfertigt modal den Prädikaten ut constitutiva gleich kommen (in<br />

anderen Worten, synthetischen Urtreilen a priori entsprechen), bleibt auch<br />

für die angestrengte wesenslogische Untersuchung weitgehend im<br />

Dunkeln.<br />

Ich habe weiter oben schon deutlich gemacht, daß es zumindest als<br />

denkbar möglich ist, alle durch die Bestimmung der Allheit möglicher<br />

Prädikate eines Dinges betroffenen Prädikate als solche wesentlichen<br />

Prädikate anzusehen. Durch das Begriffsmerkmal des Konzeptuellen eines<br />

Begriffes als solchen, diesmal aber nicht auf Merkmale des Objekts,<br />

sondern auf das Objekt als Gegenstand der Erfahrung gerichtet, wurde<br />

vom Begriff der Allheit der Begriff von der (nicht-komparativen)<br />

Allgemeinheit aber deutlich unterschieden. Diese starke Interpretation des<br />

Verhältnisses des ersten logischen Prinzips der durchgängigen<br />

Bestimmung eines Dinges zu den Kriterien der durchgängigen<br />

Bestimmung des Begriffs vom einzelnen Gegenstand macht die<br />

Unabhängigkeit der Kriterien des Ideals der reinen Vernunft vom ersten<br />

logischen Prinzip der Durchbestimmung des Dinges abermals deutlich.<br />

Obwohl die qualitativen Prädikate eines Dinges auch gemäß des ersten<br />

logischen Kriteriums der durchgängigen Bestimmbarkeit desselben<br />

(Allheit) als wesenslogische Prädikate ut constitutiva verstehbar sind, ist<br />

offensichtlich in der starken Interpretation des Begriffs vom einzelnen<br />

Gegenstand (Allgemeinheit) der wesenslogische Begriff des Gegenstandes<br />

nicht länger mit dem kategorial durchbestimmten Ding der Allheit<br />

notwendigerweise verbunden; das wesenslogische Prinzip der<br />

Durchbestimmung erweist sich gegenüber einem jedem Begriff vom Ding<br />

als Menge von Qualitäten zusprechenden Prädikate der formalen<br />

Möglichkeiten nach unabhängig und ist als weiteres Auswahlprinzip<br />

gegenüber dem logischen Kontinuum der Menge möglicher Prädikate<br />

anzusehen. — Jede Verbindung mit einer Logizität der Anschauung qua<br />

Prädikation scheint aufgehoben und durch eine Schlußfolgerung ersetzt<br />

worden zu sein. Diese Schlußfolgerung sollte allerdings in der empirischen<br />

Anschauung durch die Verbindung von Merkmal und Folge nach dem<br />

dritten Kriterium der qualitativen Einheit des Begriffes vom Objekt (§ 12)<br />

in der Erfahrung demonstriert werden können. Insofern erreicht sowohl<br />

das erste wie das zweite Prinzip der durchgängigen Bestimmung nicht die


— 343 —<br />

vollständige Logifizierung der Anschauung, wie es mit dem Prinzip von<br />

Teil und Ganzes für den Raum als Räumliches immerhin formal möglich<br />

schien. Aus diesem Prinzip allein konnte aber ein Ding an sich nicht<br />

deduktiv erschlossen werden.<br />

Der Grundsatz, der mit dem »Ich denke« ausgesprochen worden ist,<br />

bekommt also erst mit dem Wechsel vom Satzsubjekt zum Satzobjekt im<br />

synthetischen Grundsatz jenes Auge eingesetzt, welches schon Klaus Reich<br />

in seiner Darstellung der ursprünglich-synthetischen Einheit der<br />

Apperzeption mit Fichte — allerdings nur für die transzendentale<br />

Deduktion — letztenendes fälschlicherweise beansprucht. Erst mit der<br />

Berücksichtigung der Folgen der dem Objekt zugesprochenen Merkmale<br />

ist sichergestellt, daß die Zusammensetzung (Hinzusetzung) von<br />

Vorstellungen im Bewußtsein überhaupt ein Objekt der Erfahrung<br />

entsprechen könnte. 131 Allerdings gilt auch, daß erst das Ideal der Vernunft<br />

(Allgemeinheit) über einen einzelnen Gegenstand mit Verstandesbegriffen<br />

zu urteilen erlaubt. Der Begriff vom einzelnen Gegenstand ist als<br />

Vernunftbegriff selbst keinesfalls der erste und ursprüngliche Grund der<br />

ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption; die wesenslogische<br />

Interpretion entdeckt im ersten Kriterium aber zwei Ableitungsformen<br />

(Herkunft und Rechtfertigung), die mit der Form der synthetischen<br />

Grundsätze der Kategorien in Zusammenhang gebracht werden können.<br />

Die grammatikalische Definition der Substanz (reine Kategorie) ist<br />

eindeutig; sie fixiert den Begriff der Substanz an der Subjektstelle. Die<br />

wesenslogische Definition verlangt aber nur, daß ein wesensnotwendiges<br />

Prädikat nicht aus anderen Prädikaten abgeleitet sei: Das kann nun für den<br />

Begriff, der nur an der Stelle des Satzsubjekts stehen kann, gelten, aber<br />

auch für Bestimmungen des Satzobjektes. Das aber zeigt wiederum nur<br />

das systematische Ungenügen einer bloßen Prädikatenlogik in dieser Frage<br />

an.<br />

c) Nichtableitbarkeit und Selbstständigkeit<br />

Das Kriterium der Nichtableitbarkeit, wird dieses bloß als zur Analyse<br />

primitiver grammatikalischer Verhältnisse des Satzsubjektes in einem Satz<br />

geeignet betrachtet (§ 12 in radikaler Interpretation der reinen Kategorie,<br />

131 Brentano spricht auch vom primären Objekt, das aber im dritten Band der<br />

»Empirischen Psychologie« vom Subjekt abgelöst wird (Primäre Intention in recto:<br />

Satzobjekt; primäre Intention in obliquo: Satzsubjekt).


— 344 —<br />

der Begriff vom transzendentalen Objekt=X) oder auch als<br />

wesenslogisches Kriterium des Ausschlusses aller nicht wesentlicher<br />

Prädikate (Ideal der reinen Vernunft; hier auch schon in Hinblick als der<br />

Begriff vom Inbegriff einer Idee vom einzelnen Gegenstand im<br />

transzendentalen Ideal) — , es führt also weder zum Begriff der einfachen<br />

Substanz noch zu der letzten und absoluten Eminenz des Substrates der<br />

Erfahrung als einzelner Gegenstand in Einer Anschauung, sondern zur<br />

freilich selbst nur relativen Selbstständigkeit des im ut constitutiva auch<br />

qualitativ im Teilbegriff als Besonderes zu denken gegebenen Objekts; das<br />

allerdings ohne deshalb absolut Individualität (d. h. in concreto und in<br />

individio bestimmbare Idealität) zu beanspruchen, die mehr als bloß<br />

mögliche Existenz beansprucht.<br />

Der selbst gegenüber allen Gattungen des Seienden allgemeine, also<br />

universielle Grund der aktuellen Existenz im Sinne eines gegenüber<br />

Ursprung, Wechselwirkung mit anderen Objekten, und allgemein in<br />

Rechnung gestellter subjektiver Konstitutionsleistung relativ<br />

selbstständigen Substrats wird letztlich nachgefragt. Die Nichtableitbarkeit<br />

des Grundes eines einzelnen Gegenstandes bleibt hier genau gegenüber<br />

der Regression der Ursachen der Eigenschaften dieses Gegenstandes in<br />

Stellung, und ist insofern letztenendes mit dem logischen Gegensatz zur<br />

bloßen Denkunmöglichkeit, die den letzten Grund von unbedingt<br />

Notwendigem ausmachen soll, zu identifizieren, 132 als daß weder die<br />

transzendentale Materie in der analytisch-metaphysischen Reflexion, oder<br />

die gegebene sinnliche Empfindung der Wahrnehmung in den<br />

Erscheinungen für sich allein (die rationale Physiologie im neuen<br />

Kantschen synthetisch-metaphysischen Topos der Reflexion), noch das<br />

Argument der Widerlegung des Idealismus auf kausale Verhältnisbegriffe<br />

gebracht werden kann. 133 M. a. W., weder die Reflexion auf die<br />

transzendentale Materie noch die Reflexion auf die sinnliche Empfindung<br />

in der gegebenen Wahrnehmung vermag in ihrem Rahmen die Frage nach<br />

dem Ursprung zu stellen, sondern stellen jeweils ihre Denknotwendigkeit<br />

gewissermaßen als Faktum dar, das, ohne den jeweiligen Rahmen der<br />

konstituierenden Reflexion zu verlassen, nicht weiter erklärt werden kann.<br />

132 Vgl. Nova dilucidatio, Prop. VI.<br />

133 Vgl. einerseits das auf Suarez zurückgehende akausale Begründungsverhältnis der<br />

Teilakte der Wahrnehmung. Vgl. auch K.r.V., Widerlegung des Idealismus, B 275.<br />

Andererseits wird die gleiche Problemstellung im Regressus in den kosmologischen<br />

Ideen behandelt; hier im vierten und fünften Abschnitt.


— 345 —<br />

Der Grund des einzelnen Gegenstandes selbst liege alsdenn, wenn er außer<br />

dem Begriff gesetzt wird, allerdings in einem Argument der gleichen<br />

Form.<br />

Das logische Kriterium der Nichtableitbarkeit als Anzeichen eines<br />

metaphysischen Grundes eines intelligibel vorauszusetzenden Substrates<br />

zu verstehen findet aber schon vor der Behandlung der Frage nach der<br />

Vollständigkeit der Prämissen darin seine materiale Grenze, als daß<br />

gegenüber der einfachen sinnlichen Empfindung das Ding überhaupt nur<br />

synthetisch als die Beharrlichkeit des Objekts der Erfahrung anhand des<br />

Wechsels der Erscheinungen im inneren Sinn ausgemacht werden kann.<br />

Dessen Erscheinung (die Beharrlichkeit als Erscheinung der<br />

Erscheinungen) kann wohl nicht mehr die einfache Ursache der sinnlichen<br />

Empfindung selbst sein (was eine kausale Ableitung erlauben würde), und<br />

vermag seine eigene Begründung als die einer dynamischen<br />

Substanzkategorie nur zwischen dem Schema von objektiver<br />

Erscheinungsreihe und subjektiver Vorstellungsreihe einerseits und in der<br />

rational-metaphysischen Erklärung des Prädikats zur Akzidenz, die<br />

zunächst gleich als Wirkung der selbst unerkannten Substanz angesehen<br />

wird (oder doch erst umwegig in der Dynamik der M. A. d. N. als<br />

undogmatischer Universalbegriff) andererseits zu finden. Die Kriterien des<br />

Ideals der reinen Vernunft (des Begriffs vom einzelnen Gegenstand) selbst<br />

bleiben hingegen trotz der Erweiterung des grammatikalischen Kriteriums<br />

des nicht weiter prädizierbaren Satzsubjekts (§ 12) auf den Satzgegenstand<br />

(was das erste Kriterium des logischen Prinzips der Allgemeinheit betrifft:<br />

Allgemeines allgemein ausgesagt) noch in den negierenden<br />

Formulierungen der Ableitungen aus empirischen oder selbst abgeleiteter<br />

Prädikate befangen, in welchen der eigentliche Anspruch der<br />

wesenslogischen Untersuchung, wie die wesentlichen Prädikate zur<br />

Rechtfertigung empirischer Prädikate dienen könnten, gar nicht selbst<br />

deutlich wird. — Das Prinzip des Enthaltenseins der Prädikate selbst wird<br />

allerdings im Gegensatz zur Erörterung des Begriff des Objekts selbst in<br />

§ 12 im Ideal der reinen Vernunft nicht aufgehoben; es bleibt das Problem,<br />

wie die intuitiven Prädikate (womöglich durch Anschauung oder<br />

Erfahrung gegeben) durch die wesentlichen Prädikate (ut consitutiva )<br />

selbst gerechtfertigt, ebenfalls zu wesentlichen Prädikate werden könnten<br />

(ut rationata ). Der später noch ausführlicher behandelte Vorschlag, dies<br />

geschehe mittels Konstruktion in reiner Anschauung, befördert nur den<br />

Verdacht, der schon von Eberhard ausgesprochen worden ist: daß nämlich


— 346 —<br />

die Kantsche Kategorienlehre, wenn überhaupt, bestenfalls nur dazu<br />

befähigt sei, ein synthetisches Urteil a priori in der Geometrie zu<br />

befestigen. — Jedenfalls sind auch die als wesentlich ausgezeichneten<br />

Prädikatsverhältnisse im Ideal der reinen Vernunft nichts als logische<br />

Verhältnisprädikate der Prädikate des reinen Begriffs eines einzelnen<br />

Gegenstandes.<br />

d) prototypon transcendentale<br />

Es sind für das Ideal der reinen Vernunft noch einige vorläufig<br />

abschließende Bemerkungen zum Verhältnis der in § 12 genannten<br />

Bedingungen der »qualitativen Einheit« eines Begriffes zu den Kriterien<br />

des Ideals der reinen Vernunft (dem Begriff von einem einzelnen<br />

Gegenstand) zu machen: Beide Ansätze vernachlässigen<br />

verständlicherweise die dritte dynamische Kategorie des Commerciums,<br />

doch während in § 12 das Konzept eines Begriffes (als Begriff eines<br />

Objektes) in eine Hypothese überführt und damit zum Erfahrungsbegriff<br />

eines gegebenen Objektes hin geöffnet wird, haben sich die Kriterien der<br />

Ableitung des Begriffs von einem einzelnen Gegenstand als ungeeignet<br />

erwiesen, selbst die Grundlage eines Erfahrungsbegriffes auszumachen:<br />

Vielmehr erweisen diese Kriterien neben ihren heuristischen Wert in der<br />

Fassung als regulativer Gebrauch der Vernunftideen die unbedingte<br />

Vorausgesetztheit eines Dinges an sich selbst allein aus der Differenz des<br />

Umfanges aller möglichen Prädikate überhaupt zum Umfang aller<br />

möglichen Prädikate eines Dinges überhaupt. Auch mit der möglichen<br />

Vorwegnahme der dritten dynamischen Kategorie, nach der spekulativ die<br />

Ganzheit des Wirklichen (omnitudo realitatis ) womöglich nochmals als<br />

Ding angesprochen werden könnte, bleibt eine Differenz zur Allheit aller<br />

möglichen Prädikate überhaupt weiter bestehen, da auch dann nicht<br />

garantiert werden kann, daß alle möglichen Prädikate überhaupt immer<br />

(in allen Epochen) oder auch nur, daß alle möglichen Prädikate überhaupt<br />

in der Summe aller Epochen einmal an diesem allumfassenden oder auch<br />

nur sonst irgend einem Ding gelten müssen: Kant macht sich eines<br />

terminologischen Fehlers schuldig, indem er hartnäckig von Allheit der<br />

möglichen Prädikate überhaupt spricht, obgleich von der Vielheit aller<br />

möglichen Prädikate vor jedem Prinzip der durchgängigen Bestimmung<br />

eines Dinges auszugehen ist. Der Begriff von einem einzelnen Ding beruht<br />

insofern auf einer wahrhaft metaphysischen Ableitung, die allerdings<br />

selbst hinsichtlich der räumlichen und zeitlichen Bedingung der gedachten


— 347 —<br />

Ganzheit von Wirklichkeit mehrfach offene Probleme hinterläßt. Kant fällt<br />

hier insofern hinter der Entwicklung eines Systems von Einschränkungen<br />

und Einteilungen zurück, wie er es schon vorkritisch in der Raumfrage<br />

parallel zur Einschränkung und Teilung des logischen Raumes vorgestellt<br />

hat.<br />

Das Ding, anhand die Vielheit der Prädikate eine Einschränkung erfährt,<br />

die zur durchgängigen Bestimmung des Dinges zum Ding mittels<br />

Prädikate führen soll, kann nun nicht ohne weiteres als das Ding an sich<br />

als transzendentales Objekt = X verstanden werden. Letztere Fassung des<br />

Dinges ist ohne jede Bestimmung, eben an sich, während das kategoriale<br />

Ding der Allheit indifferent die transzendentale Materie vorausgesetzt hat,<br />

woher die Prädikate ihren Inhalt hernehmen. In diesem Zusammenhang<br />

wurde schon bald auch der Vorwurf erhoben, das Ding an sich Kantens als<br />

Unerkennbares widerspräche der mittels Kategorien erreichbaren<br />

Erkenntnis der Objekte. Die Antwort darauf ist einfach: Das Ding an sich<br />

wird von Kant nicht als Objekt in Zeit und Raum angesehen, unsere<br />

Erkenntnisse beziehen sich auf Objekte in Zeit und Raum. Damit ist zwar<br />

der Vorwurf der Selbstwidersprüchlichkeit Kantens vom Tisch, aber doch<br />

um den Preis einer Behauptung über Naturgegenstände, die uns in<br />

realistisch-naturwissenschaftlicher Einstellung nicht befriedigen kann.<br />

Dazu gibt es drei Argumentationsgänge: Erstens ist unabhängig von der<br />

Frage, ob es einen objektiven Raum gibt oder nicht, jedes empirische<br />

Objekt nur in unseren Anschauungsformen gegeben; ob es nun für das<br />

Ding an sich einen objekten Raum gibt oder nicht, muß spätestens nach der<br />

Überwindung der perzepierenden Monade und der daraus folgenden<br />

(auch räumlichen) Stellenordnung untereinander zunächst der bloßen<br />

Spekulation überlassen werden. Empirische Erkenntnisse beziehen sich<br />

aber auf Objekte der Erfahrung und bleiben somit auf Gegenstände gemäß<br />

den formalen Möglichkeiten in unseren Anschauungsformen beschränkt.<br />

Zweitens ist das Ding an sich eine notwendige Annahme der<br />

Erkenntnistheorie vor jeder (kategorialen) Erkenntnis allein aus Gründen<br />

einer Theorie von Erkenntnis (Urteilslehre) im Rahmen der<br />

Intentionslehre; das gilt besonders, wenn mit dem Erkenntnis ein logisches<br />

Urteil verbunden ist, und ist ansonsten für die Bestimmung der Washeit<br />

völlig unwichtig. Das Ding an sich gehört so einerseits zu den bloßen entis<br />

rationis sine fundamentum in re (wie bloße entis lucationis auch — z. B.<br />

Zentauren), andererseits ist es die subjektive Bedingung für alle semientia


— 348 —<br />

(entis rationis cum fundamento in re). Während aber die logische<br />

Gegenständlichkeit einer eindeutigen Gerichtetheit einer Intention<br />

womöglich noch im Verstandesurteil allein subjektiv bleibt, hält das Ding<br />

an sich als das selbst unerkennbare transzendentale Objekt den Platz für<br />

die freilich erst von einer sinnerfüllenden Intention zu treffenden<br />

subjektunabhängigen Existenz frei — Echo. Der Vorwurf der<br />

Selbstwidersprüchlichkeit des Programms der transzendentalen Analytik,<br />

den auch Wittgenstein erhoben hat (»transzendentales Paradox«), besitzt<br />

also keine Grundlage: Vielmehr exportiert Kant das »transzendentale<br />

Paradox«, daß mit unbekannten Erkenntnisvermögen unbekannte<br />

Gegenstände erkannt werden sollen, eben mit dem Ding an sich als<br />

transzendentales Objekt. — Deshalb kann es auch nicht Element irgend<br />

einer Art von Ontologie sein.<br />

Drittens ist auf die Änderung der Auffassung Kants zu verweisen, die seit<br />

der Kritik der reinen Vernunft und den M.A.d.N. im Opus postumum<br />

stattgefunden hat: Nicht mehr die Leibnizsche Monade (ihrerseits in<br />

Spannung zu Spinozas Substanz und dem vorsokratischen Apeiron<br />

stehend) ist im Opus postumum der Hintergrund des Kantschen Ding an<br />

sichs selbst (als Objekt der Erfahrung potentiell mit dem Begriff von einem<br />

einzelnen Gegenstand mittels Deckungsgleichheit identifizierbar), sondern<br />

das Konzept des Äthers. M. a. W., der Gegenstand des Objektes der<br />

Erfahrung ist als sich selbst bloß Erscheinung der Prozesse in der Natur.<br />

Man könnte glauben, daß ein Vorläufer dieser Auffassung des Ding an<br />

sichs in der Verwendung des Ausdruckes »transzendentale Materie«,<br />

woher die Menge aller möglichen Prädikate überhaupt ihren<br />

transzendentalen Inhalt als Inbegriff der Prädikate sowohl im ersten<br />

(Allheit) wie im zweiten Prinzip der durchgängigen Bestimmung eines<br />

Dinges (Allgemeinheit, B 601/A 573) hernimmt; oder als omnitudo realitatis<br />

in der spezifisch modallogischen Bestimmung des ens realissimum<br />

(transzendentales Ideal, B 604/A 576) im Kapitel über das prototypon<br />

transcendentale zu finden ist. Davon wäre dann unter dieser<br />

Voraussetzung das prototypon transcendentale nicht mehr zu unterscheiden<br />

— es droht eine weitere Subreption, denn das prototypon transcendentale<br />

beansprucht nicht nur einzelner Gegenstand, sondern letztlich der einzige<br />

wirkliche Gegenstand zu sein, der allen anderen einzelnen und schließlich


— 349 —<br />

selbst wirklichen Gegenständen (ectypa ) erst Existenz und Wesen<br />

verleiht. 134<br />

Für die in § 12 gestellte Frage bleibt nun die Ableitung des Ideals der<br />

reinen Vernunft selbst als finale Möglichkeit der Bestimmung des<br />

eigentlichen Begriffs vom Objekt voraussetzungsvoll in Stellung, wenn<br />

auch in § 12 von Kant die Einheit des Begriffes gegenüber der Erfahrung<br />

als Hypothese und nicht als den Begriff vom einzelnen Gegenstand mit der<br />

Überzeugung von einem metaphysisch vorausgesetzten Ding des Wesens<br />

formuliert wird. Die in § 12 mittels Negation weiterführende Überlegung<br />

des eigentlichen Merkmals eines Begriffes vom Objekt (nicht nur als Titel<br />

der Menge aller Merkmale) vermag die Fixierung des fraglichen Begriffs<br />

von einem Objekt an die Stelle des Satzsubjekts ohne Hilfshypothesen nur<br />

damit zu kennzeichnen, daß dieser Begriff in einem Urteil nicht an<br />

Prädikatsstelle stehen könne. Im Ideal der reinen Vernunft wird<br />

bekanntlich nur jede Folge als Ableitung aus Prädikate ausgeschlossen,<br />

was die Prädikate ut constitutiva übrig läßt. Die transzendentale<br />

Überlegung der wesenslogischen Verhältnisse hat die Stellung dieser<br />

Prädikate ut constitutiva aus dem Satzsubjekt in den Satzgegenstand<br />

verschoben, da der Wesensbegriff selbst, als repraesentatio singularis<br />

zwischen Anschauung und Idee stehend, sich als ungeeignet für eine<br />

Definition herausgestellt hat, und nichts als die qualitative Einheit des<br />

Begriffes vom Objekt (§ 12) besitzt, während der Begriff von einem<br />

einzelnen Gegenstand ein Merkmal desselben von nicht-komparativer<br />

Allgemeinheit (Notwendigkeit) beansprucht. Allein diese zweifache<br />

Grenzziehung der Bedeutung (termini ) einmal nach rein<br />

grammatikalischen, einmal nach wesenslogischen Kriterien soll das<br />

Konzept des Begriffes in die Lage versetzen, die »unmittelbar« (d. i. in<br />

einem Satz, Urteil, Proposition etc.) vermittelbare Beziehung zu seinem<br />

Gegenstand zu behaupten.<br />

Kants logische Untersuchungen in der Merkmalslehre vermochten bislang<br />

weder für intuitive Merkmale oder für diskursive Merkmale, noch im<br />

Konzept des Merkmals als Teilbegriff, der die qualitative Einheit des<br />

bezeichneten Dinges »in der gantzen Vorstellung« repräsentiert, den<br />

134 Heideggers Auffassung, das omnitudo realitatis drücke die Vielheit aller möglichen<br />

Prädikate überhaupt aus, muß also trotz der gleichsinnigen Stelle bei Kant (dort<br />

allerdings fälschlicherweise als Allheit, und K.r.V., B 603) fallen gelassen werden.


— 350 —<br />

Grund dieser »Unmittelbarkeit« auszumachen. 135 Allerdings verspricht die<br />

starke wesenslogische Interpretation des Ideals der reinen Vernunft im<br />

Begriff vom einzelnen Gegenstand eben jene Eigenschaft auszumachen,<br />

welche erlaubt, in einem Teilbegriff die ganze Vorstellung eines Dinges<br />

zumindest zu denken, wenn schon nicht anhand dessen Merkmal<br />

anzuschauen: Nicht Bezeichnung einer Beobachtung oder eingeborener<br />

Gattungsbegriff (notio), sondern Schlußfolgerung (ut rationata) nach dem<br />

von der Vernunft angezeigte Schema, wie Intuitionen durch wesentliche<br />

Prädikate (ut constitutiva ) gerechtfertigt werden sollen, und damit selbst<br />

sogar zu wesentlichen Prädikaten (ut rationata ) werden könnten, wird aber<br />

nicht ausgeführt. 136 — Das Prinzip der Rückführbarkeit wahrer Folgen aus<br />

§ 12 wäre selbst ein solches wesentliches Prädikat, das aber nur zur<br />

logischen Regel der Allgemeinheit qua Notwendigkeit der<br />

Rückführbarkeit der Erscheinungen auf Merkmale des Begriffs vom Objekt<br />

dienen kann, und das im Ideal gesuchte heuristische Prinzip dem<br />

Inhaltsumfang (Bedeutungsumfang) nach auch unterbieten kann und den<br />

modalen Anspruch nach aber überbietet.<br />

e) Wesenslogik und transzendentale Logik<br />

Kants wesentliche Ausage über den reinen Gegenstand der<br />

transzendentalen Logik greift nun auf beide Argumentationswege der<br />

Allgemeinheit (dem Rückführungskriterium aus § 12 und dem<br />

wesenslogischen Kriterium des Ideals der reinen Vernunft) zurück:<br />

»Die Logik kann nun wiederum in zwiefacher Absicht unternommen<br />

werden, entweder als Logik des allgemeinen, oder des besonderen<br />

Verstandesgebrauchs. [...] Jene kann man Elementarlogik nennen, diese<br />

aber das Organon dieser oder jener Wissenschaft.«. 137 Zur Möglichkeit<br />

einer transzendentalen Logik selbst: »In diesem Falle würde es eine Logik<br />

geben, in der man nicht von allem Inhalt der Erkenntnis abstrahierte; denn<br />

diejenige, welche bloß die Regeln des reinen Denkens eines Gegenstandes<br />

135 Erst mit der Überlegung, ob es möglich sei, vom Ich selbst Erfahrungen zu machen,<br />

findet Kant den ausreichenden Grund, die äußere Erfahrung als die primäre<br />

Erfahrung anzusehen, die aller persönlicher Erfahrung sowohl was Habitus wie<br />

Charakter angeht, empirisch wie praktisch voranzugehen habe, indem letztere sich<br />

als entscheidend nicht ohne der Erfahrung der Moralität auf Grund empirisch<br />

Handlungen zeigen. ◊<br />

136 Nach Kants Überlegungen in der Methodenlehre wäre das auch nur als Übergang<br />

von Intuition zur Konstruktion möglich, z. B. B 747/A 719.<br />

137 K.r.V., B 76/A 52


— 351 —<br />

enthielte, würde alle diejenigen Erkenntnisse ausschließen, welche von<br />

empirischen Inhalte wären. Sie würde auch auf den Ursprung unserer<br />

Erkenntnisse von Gegenständen gehen, so fern er nicht den Gegenständen<br />

zugeschrieben werden kann [...]« 138<br />

Die entscheidende Regel für den reinen Begriff des Objekts selbst, die auch<br />

anhand der Erörterung des § 12 gefunden werden konnte (selbst kein<br />

Prädikat mehr sein zu können), ist nur dann auch in Übereinstimmung mit<br />

der Regel zu bringen, die mit dem Ideal der reinen Vernunft gewonnen<br />

werden konnte (die Auschließung der bloß logisch möglichen, aber nicht<br />

notwendigen Prädikate), wenn es sowohl keinen Wesensbegriff vor der<br />

Erfahrung gibt wie auch mit einem verschärften ersten Kriterium des<br />

Ideals der reinen Vernunft alle empirischen Inhalte, als durch Vergleich<br />

oder Ableitung aus einem Prädikat (aus anderweitiger Erfahrung)<br />

gewonnen, ausgeschlossen werden müssen. Welcher Inhalt der reinen<br />

Erkenntnis a priori außer Negationen kann der transzendentallogische<br />

Gegenstandsbegriff nun noch besitzen? Nun sagt Kant selbst, daß solche<br />

Erkenntnisse »auch auf den Ursprung unserer Erkenntnisse von<br />

Gegenständen gehen, sofern er nicht den Gegenständen zugeschrieben<br />

werden kann«.<br />

Das heißt also erstens: Unter der Voraussetzung, daß Kant den<br />

Wesensbegriff in der Schrift gegen Eberhard nur zur Darstellung des<br />

historischen Ursprunges zweier Begriffe der Folgebeziehung (Ableitung<br />

und Begründung bzw. Rechtfertigung) benutzt hat und die wesenslogische<br />

Ableitung mit der Ableitung der Bedingungen der Möglichkeit von<br />

Erfahrung überhaupt ersetzt, führt der Begriff von einem einzelnen<br />

Gegenstand (das Ideal der reinen Vernunft) dann allerdings zum Begriff<br />

des Objekts der Erfahrung, dessen Kriterium der Rückführbarkeit zur<br />

kritischen Einschränkung der Vielheit der Folgen auf wahre Folgen der<br />

Merkmale eines Begriffes nunmehr die Funktion eines Prädikates<br />

ut rationata übernimmt, welche die wesenslogisch verfaßte Ableitung der<br />

Schlußfolgerung aus der Anschauung an den Verhältnissen der<br />

Erscheinungen in der Wahrnehmung rational zu rechtfertigen hat. Dazu<br />

gibt eben das Kriterium der Rückführbarkeit der wahren Folgen nach § 12<br />

eine erste Methode zur Hand, wie aus empirischer Erfahrung Begriffe zu<br />

138 B 79 f./A 55 f.. Zur Einteilung der Logik vergleiche die sehr gelungene Analyse in<br />

STUHLMANN-LAEISZ 1976


— 352 —<br />

machen sind. Diese Methode der komplementären Reflexion von<br />

Wesenslogik und induktiver Rückführung der Folgen auf Merkmale von<br />

Erscheinungen ließe sich nach der Verabschiedung einer apophantischen<br />

Wesenslogik nun auch als Beschreibung des transzendentallogischen<br />

Inhalts des Gegenstandsbegriffes auffassen.<br />

Zweitens sollten diese notwendigen Prädikate, welche den Kriterien des<br />

Begriffes vom einzelnen Gegenstand — und somit der Wesenslogik —<br />

genüge tun, weder dem ersten logischen Prinzip der durchgängigen<br />

Bestimmung eines Dinges noch ursprünglich gleich einer abstrakten Idee<br />

des individuellen Objekts entsprechen, wie allerdings gefordert wird. Es<br />

wäre vielmehr zu zeigen, daß die Kategorien gemäß den in abstrakter<br />

Allgemeinheit überhaupt gefaßten Kriterien der »qualitativen« Einheit des<br />

Begriffs vom Objekt wesentliche Prädikate des Begriffs vom einzelnen<br />

Gegenstand sind: Was ursprünglich und unabhängig von jeder Kategorie<br />

transzendentallogisch bloß die Form des Gedankens von einem<br />

Gegenstand ausgedrückt hat (metaphysisch-analytisch), dem wird mittels<br />

der systematischen Inbeziehungsetzung der rationalen Psychologie und<br />

der rationalen Physiologie in der transzendentalen Deduktion und im<br />

Schematismuskapitel die Kategorie als wesentliches (nunmehr<br />

transzendental: metaphysisch-synthetisches) Prädikat eines<br />

Erfahrungsbegriffes notwendig gemacht; — und zwar, weil die<br />

wesentlichen Prädikate, die dann eben nur Prädikate ut rationata sein<br />

können, synthetische Grundsätze voraussetzen müssen, die<br />

grammatikalisch nicht allein Prädikationsverhältnisse des Satzsubjektes,<br />

vielmehr deren Relationen zu den Prädikationsverhältnissen des<br />

Satzgegenstandes betreffen. Drittens hat sich aber bereits gezeigt, daß es<br />

im Fortgang einer umgreifenden Untersuchung metaphysische Begriffe<br />

mit transzendentaler Funktion geben wird — so in den M.A.d.N., die als<br />

Ergebnis der transzendentalen Analyse im Sinne der Bedingung der<br />

Möglichkeit materieller Phänomene zwar erst a posteriori, aber dennoch<br />

wegen der phänomenologischen Vollständigkeit mit a priori Gültigkeit<br />

derselben, das Bewegliche (also nicht bloß das Beharrliche in der<br />

Apprehension der Erscheinungen selbst) als Substrat der empirischen<br />

Erfahrung vorauszusetzen in der Lage sind (ein Prädikat ut constitutiva ). 139<br />

139 Vgl. das Grundurteil über Kausalität. Vgl. hier auch: Die logischen und die<br />

metaphysischen Bedingungen der Wahrheit, I. Die Zeitbedingung der Wahrheit, 2)<br />

Die modallogische Erörterung, aber auch dort in II. Substanz und Beharrlichkeit, 9)<br />

Realität und Objektivität.


— 353 —<br />

Ebenso sollte sich desweiteren herausstellen, daß Ähnliches auch für die<br />

Mathematik in Stellung zu bringen sein muß, obgleich Kant in dieser Frage<br />

im Umfeld des transzendentalen Schematismus nicht eindeutig genug<br />

Stellung bezieht.<br />

§ 10 Die Ontologia der Transzendentalphilosophie als formale Basis<br />

zur Rekonstruktion des reinen Begriff des Gegenstandes aus der<br />

Struktur der konstitutiven Kategorie<br />

In der Architektonik der reinen Vernunft zählt Kant die Frage nach dem<br />

Begriff vom Gegenstand vor jeder Erfahrung zur<br />

Transzendentalphilosophie:<br />

»Die im engeren Verstande so genannte Metaphysik [die Metaphysik der<br />

Natur] besteht aus der Transzendentalphilosophie und der Physiologie der<br />

reinen Vernunft. Die erstere betrachtet nur den Verstand, und Vernunft<br />

selbst in einem System aller Begriffe und Grundsätze, die sich auf<br />

Gegenstände überhaupt beziehen, ohne Objekte anzunehmen, die gegeben<br />

wären (Ontologia); die zweite betrachtet Natur, d.i. den Inbegriff<br />

gegebener Gegenstände, (sie mögen nun den Sinnen, oder, wenn man will,<br />

einer anderen Art von Anschauung gegeben sein,) und ist also Physiologie<br />

(obgleich nur rationalis)«. 140<br />

Es bleibt also die Frage, woher die reine Vorstellung eines Gegenstandes<br />

kommt. Die anhand des Anfangs dieses Abschnittes gegebenen Hinweise<br />

aus der ersten Fassung der transzendentalen Deduktion (hier § 4), welche<br />

allein aus der Bestimmbarkeit einer Vorstellung durch ihre abermalige<br />

Vorstellbarkeit einen Begriff des Gegenstandes als theoretischen Begriff<br />

ermöglichen sollen, können für sich nicht befriedigen. Ebensowenig<br />

vermag die Exposition des Objekts der reinen Transzendentalphilosophie<br />

als transzendentales Objekt = X schon zwischen einem bloßen<br />

Abstraktionsbegriff a posteriori und dem dialektischen »intelligiblen«<br />

Subjekt auch nur die Vorstellung eines einzelnen und wirklichen<br />

Gegenstandes a priori zu rechtfertigen, von der aus überhaupt erst im<br />

transzendieren eine transzendentale Analogie sinnvoll sein kann.<br />

140 K.r.V., B 873/A 845


— 354 —<br />

Obgleich diese Problemstellung also keineswegs allein durch eine<br />

Formalontologie befriedigt werden kann, was ein Blick auf das Verhältnis<br />

der dynamischen Kategorien und deren synthetischen Grundsätze zu den<br />

»Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft« auch ohne<br />

nähere Erläuterung der Bedeutung einer solchen Unterscheidung für die<br />

selbst reine praktische Vernunft zu zeigen imstande wäre, so ist doch ein<br />

formalontologischer Lösungsansatz ein Indiz für die logische<br />

Präzisierbarkeit der weiterreichenden systematischen Bestrebungen, auch<br />

wenn ein solcher das transzendentale Prinzip der Kausalität nicht selbst<br />

zum Gegenstand einer formalen Deduktion haben kann. Ein spekulativer<br />

Ansatz aus genormten Elementen der Deduktion, der als bloß formal<br />

sowohl über die abstrakte Allgemeinheit universal gültiger Kriterien der<br />

»qualitativen« Einheit des Begriffs vom Objekt wie über die Essentialität<br />

des ursprünglichen Zielpunktes der wesenslogischen Kriterien des Ideals<br />

der reinen Vernunft hinauszugehen hat, wäre zugleich die Basis, den<br />

Begriff der »intellektuellen« Anschauung von der Verwechslung Kants mit<br />

dem intuitiven Verstand, der unmittelbar auf Dinge an sich geht (und<br />

schließlich fälschlicherweise für die synthetischen Urteile a priori in der<br />

Geometrie von Kant beansprucht wird) freizumachen. Dazu ist zu<br />

beobachten, welche signifikatorische Bedeutung die<br />

Begriffsverwendungen von Raum und Zeit jeweils haben: Zunächst ist die<br />

Zeit ursprüngliche Eigenschaft des inneren Sinnes (von Sukzessivität kann<br />

hier aber noch nicht die Rede sein), während der formalen Anschauung<br />

gegenüber der Raum die Objektivität der Erscheinungsform als die Weise<br />

seiner Bestimmbarkeit vorstellt (wovon — wegen der Einführung der<br />

reinen Sinnlichkeit — die Begründung der Geometrie von der Arithmetik<br />

als Formalwissenschaften eben nochmals zu unterscheiden ist). Schließlich<br />

wird aber in den dynamischen Kategorien die Zeit das Medium der<br />

transzendentalen Objektivität gegenüber der Objektivität der<br />

Erscheinungs- und Vorstellungsformen aus der transzendentalen<br />

Subjektivität. Hiezu kann der Konstruktionsbegriff und die Abhängigkeit<br />

von der Zeit der Verstandeshandlung einmal in rein formaler<br />

Konstruktion und einmal in technischer Konstruktion, wo die Zeit mehr<br />

bedeutet als bloße Bestimmung der Reihenfolge, sondern noch die Zeit des<br />

realen Wirkungsgefüges zu berücksichtigen ist, als Indiz für<br />

unterscheidbare Zeitbedingungen herangezogen werden. Die synthetische<br />

Einheit der Zeit überhaupt wird damit noch nicht in Frage gestellt.


— 355 —<br />

Wird die Zeit der Konstruktion der Formen selbst betrachtet, kann anhand<br />

der Konstruktion einer Vorstellung (als die Konstitution ihrer reinen<br />

Gegenständlichkeit) gemäß den mathematischen Kategorien einmal als<br />

Kontinuität der Veränderlichkeit (Antizipation der Wahrnehmung:<br />

Intensität) die beliebig teilbar ist und einmal als Reihenfolge der<br />

Konstruktion, deren einzelne Schritte wechseln (Axiome der Anschauung)<br />

jeweils ein intellektuelles Substrat der reinen Anschauung gedacht<br />

werden. Was hindert nun, den naheliegenden Gedanken spekulativ<br />

auszuführen, als deren Vereinbarung ein gemeinsames intellektuelles<br />

Substrat der reinen Anschauung zu denken? Dazu sind im verschiedenen<br />

Außmaß die reinen Schematen aller (?) Kategorien notwendig, erlauben<br />

hier deshalb aber allein keinen Schluß auf ein selbst empirisches<br />

Substrat. 141 — Eben die Forderung nach der Vereinbarkeit von Kontinuität<br />

und Rekonstruierbarkeit kann nun auch im synthetischen Grundsatz der<br />

ersten dynamischen Kategorie als Kants Forderung gedacht werden: »So<br />

können wir, in einem etwas paradox erscheinenden Ausdruck, sagen: nur<br />

das Beharrliche (die Substanz) wird verändert, das Wandelbare erleidet<br />

keine Veränderung, sondern einen Wechsel, da einige Bestimmungen<br />

aufhören, und andere anheben.« 142 Substanz als Begriff der ersten Art der<br />

Beharrlichkeit der Zeit aus der Feststellung des Beharrlichen in den<br />

Erscheinungen ist somit gegenüber der Notwendigkeit einer Folge<br />

dadurch gekennzeichnet, daß sie in der Zeit sowohl einen Wechsel ihrer<br />

Akzidentien wie auch deren Veränderung erleidet. Allein aus dieser<br />

Differenz vermeint Kant den metaphysischen Begriff der Substanz bereits<br />

von anfang an auch formalontologisch (hier transzendentalanalytisch im<br />

rein restringierten Sinne von synthetisch-metaphysisch) rechtfertigen zu<br />

können. 143 Es erlaubt gerade die Verwendung der Verstandesbegriffe,<br />

sofern sie nicht auf Erscheinungen eines Dinges an sich (wie in der<br />

transzendentalen Analytik in der ersten Kritik), sondern auf die<br />

Bestimmung der Inhalte eines Urteilsaktes gehen, die Möglichkeit der<br />

Vereinbarung beider mathematischen Kategorien als Bestimmung einer<br />

Vorstellung zu denken, welche damit zur rein immanenten Vorstellung<br />

eines Gegenstandes überhaupt erklärt werden kann, was die Forderung<br />

141 K. r. V., B 269/A 220 f.<br />

142 B 230<br />

143 Das analytische Enthaltensein des Veränderlichen aus dem logischen Gegensatz von<br />

Beharrlichkeit und Veränderlichkeit ist so zwar mit der Definition des Beharrlichen<br />

gegeben, vermag diese aber auch allein nicht auszumachen: In Frage steht, wie kann<br />

dem bloßen Wechsel und wie kann dem bloß Veränderlichen Kontinuität<br />

zugesprochen werden?


— 356 —<br />

nach objektive Realmöglichkeit gemäß den ersten beiden empirischen<br />

Postulaten bereits erfüllen könnte. Obgleich damit in transzendentalsubjektiver<br />

Hinsicht der theoretische Begriff eines Gegenstandes nur als<br />

Thematisierung der Idee von der Einfachheit und der<br />

Zusammengesetztheit der Substanz aus den Paralogismen in A und in der<br />

zweiten kosmologischen Antinomie gerechtfertigt werden kann, 144<br />

bedeutet dieser formalontologische Ansatz vom Standpunkt der reinen<br />

Vernunft aus gesehen bereits unabhängig vom Totum regressiver oder<br />

progressiver Vollständigkeit den Übergang von transzendentaler<br />

Einfachheit, in welcher die transzendentale Deduktion stattfindet, zur<br />

Form des Gegebenseins von empirischer Mannigfaltigkeit.<br />

Eine kurze Einführung in die Grundzüge der diesbezüglichen<br />

Überlegungen soll das hier Interessierende etwas deutlicher machen.<br />

Die Distributionseigenschaften der einzelnen Bestimmungstücke<br />

(Kontinuität und Teil einerseits und Konstruktion und einzelner<br />

Konstruktionsschritt andererseits) jeweils untereinander und auf ein<br />

transzendentales Objekt (z.B. geometrische Konstruktion einer Figur und<br />

deren kontinuierliche Veränderung des Quantums des Maßes durch<br />

Perspektive und Ähnlichkeit) erfüllen je verschieden das logische<br />

Quantum von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit. Dabei erweist<br />

sich die Doppeltheit der Zuordnung von Allgemeinheit, Besonderheit und<br />

Einzelheit des logischen Quantums zur Allheit, Vielheit und Einheit des<br />

kategorialen Quantums auch in der transzendentalen Einfachheit der<br />

Distributionseigenschaften als bedeutsam (Vgl. hiezu Ȇber die<br />

Zuordnung der Quantitäten des Urteils und der Kategorien der Größe bei<br />

Kant« von M. Frede und L. Krüger, in: Kant-Studien, Bd. 61, p. 28-49):<br />

Wird die Prädikation eines Kontinuums mit dessen Qualität von der<br />

Prädikation mit dessen Quantität ebenso unterschieden, wie die<br />

Prädikation einer Konstruktion von der Prädikation eines<br />

Konstruktionsschrittes, so ist die Prädikation einer Konstruktion immer<br />

die Einheit der Allgemeinheit (aber nicht als Menge aller Subjekte mit<br />

diesem Prädikat wie in der Prädikatenlogik extensiv darstellbar, sondern<br />

144 K. r. V., »Dieser dialektischen Vernunftschlüsse gibt es also nur dreierlei Arten, so<br />

vielfach, als die Ideen sind, auf die ihre Schlußsätze hinauslaufen.[...]«<br />

(B 398 f./A 340 f.) Kant nennt Paralogismus, Antinomie und das Ideal der reinen<br />

Vernunft. Vgl. bezüglich der Einfachheit der Substanz der Seele die Widerlegung des<br />

dritten Paralogismus in A. Vgl. bezüglich des Begriff des Gegenstandes die Antithese<br />

der zweiten Antinomie zwischen einfacher und zusammengesetzter Substanz.


— 357 —<br />

als Konjunktion der Prädikate der Teilschritte der Konstruktion — aber<br />

eben nicht Intensität); die Prädikation der Kontinuität aber die Allheit<br />

einer qualitativen Einzelheit (aber nicht die Allheit des transzendentalen<br />

Ideals im qualitativen Gebrauch des kategorialen Quantums sondern als<br />

einzelne Qualität und Intensität).<br />

Erst die zweite Prädikation erreicht dann schon die Möglichkeit, einem<br />

Prädikat eines weiter teilbaren Teiles oder eines Konstruktionsschrittes<br />

(Teilprodukt) mehrere Objekte vom Prädikat aus an die Subjektstelle des<br />

Urteils zu setzen (erlaubt also eine extensive Darstellung als<br />

Prädikatenlogik; und ist somit disjunktiv gegliedert). Damit sind die<br />

formalen Bedingungen des Überganges von der Betrachtung der<br />

Distributionsverhältnisse in transzendentaler Einfachheit (d. i. die<br />

Gegenstandskonstitution in der reinen Vernunftidee) zur empirischen<br />

Mannigfaltigkeit bereits gegeben worden: Nunmehr wird das<br />

transzendentale Objekt (abermals das intellektuelle Ding der Konstruktion<br />

als transzendentallogischer Gegenstand ohne gegebenes Objekt; also nicht<br />

grammatikalisch und nicht ontologisch betrachtet) selbst auf verschiedene<br />

Gegenstände (als bloße Abstraktionsbegriffe komparativer Allgemeinheit)<br />

distribuiert, deren Bedeutung von Raum und Zeit von der Bedeutung von<br />

Raum und Zeit der Konstruktion verschieden ist. Hiebei kann nochmals<br />

Konstruktionsbegriff und Maßbegriff getrennt betrachtet werden: Die<br />

Allgemeinheit (Notwendigkeit oder Gesetzmäßigkeit) einer Konstruktion<br />

distribuiert sich dann sowohl nach Raum wie nach Zeit, da eine<br />

Konstruktion eine abgeschlossene Zeitfolge ist (bei infinitesimalen<br />

Operationen in der Mathematik ist zumindest ein Beginn angebbar),<br />

während die Einzelheit der Kontinuität (Quale) nur nach dem Raum<br />

weiter distribuiert werden kann, da ein Kontinuum sich in der Zeit nur<br />

nach dem Grad (Quantität) unterscheiden kann.<br />

Diese sehr abgekürzte Darstellung soll zeigen, wie die Konstitution eines<br />

»intellektuellen« Gegenstandes sowohl mit den immanenten Bedingungen<br />

des Überganges von transzendentaler Einfachheit zur empirischen<br />

Mannigfaltigkeit, wie auch mit der Bestimmung der Logik (als Bedingung<br />

der Möglichkeit derselben jeweils als Prädikatenlogik und als<br />

Aussagenlogik) zur Formalwissenschaft zusammenhängt, ohne selbst auf<br />

das Ideal der reinen Vernunft (dem Begriff vom einzelnen Gegenstand)<br />

ausdrücklich zurückkommen zu müssen. Es ist also die Analogie der<br />

Schematismen der synthetischen Grundsätze der dynamischen Kategorien


— 358 —<br />

in transzendental-subjektiver Hinsicht nicht mit der Entdeckung des<br />

praktischen Kerns in der »Handlung« der theoretischen Vernunft auch<br />

schon theoretisch gerechtfertigt, sondern diese Rechtfertigung besteht<br />

selbst erst darin, Bedingungen zu entwickeln, die den Übergang der<br />

Betrachtung der Distributionseigenschaft innerhalb der derart<br />

weiterbestimmten reinen Mannigfaltigkeit zu einer nicht näher<br />

bestimmbaren empirischen Mannigfaltigkeit ermöglichen; freilich ohne<br />

selbst diesen Übergang zur Empirie modal veranlassen zu können. Die<br />

Überlegung, daß es möglich sei, zwischen dem Abstraktionsbegriff<br />

komparativer Allgemeinheit und dem »intelligiblen« Subjekt der<br />

dialektischen Metaphysik als Urbild jeder substantialen Form ein rein<br />

intellektuelles Ding zu konstruieren, ist aber für den hier insgesamt<br />

angezogen Argumentationsgang gar nicht notwendig, falls solches für den<br />

Leser abermals als zu sperrig erscheint; es reicht dazu die Betrachtung der<br />

Konstruktionen der Geometrie völlig aus, um die Gegenständlichkeit als<br />

Bestimmbarkeit einer Vorstellung über die Gegenständlichkeit einer<br />

Vorstellung qua Vorstellbarkeit hinausgehend zu denken, womit allein<br />

schon erwiesen werden könnte, daß der Verstand notwendig ist, um<br />

Erscheinungen auf einen Gegenstand zu beziehen. Freilich wird sich bei<br />

näherer Betrachtung der Gegenstand dann als Vorstellung (reine<br />

Anschauung gegenüber Anschauungsform, vgl. Anmk. § 26, B 160) bereits<br />

als genau der selbe herausstellen, der gerade als intellektuelles Ding<br />

eingeführt worden ist, da die Geometrie als Formalwissenschaft nicht nur<br />

aus Schematen der Konstruktion, sondern auch aus Schematen des<br />

Messens besteht, und die Teilbarkeit einer Geraden geradewegs in das<br />

gleiche Problem des Infinitesimalen führt, wie die Teilbarkeit der Intensität<br />

aus den Antizipation der Wahrnehmung. Entscheidend für den hier<br />

angezogen Argumentationsgang ist aber, daß eine solche Konstruktion<br />

nicht als Subsistenz - Inhärenz - Relation gedacht werden kann (nur mehr<br />

die Bestimmung der Elemente und der Einheit der Verstandeshandlung<br />

selbst sind dann noch prädikativ; vgl. die selbst prädikative Bestimmung<br />

der Kalküle der Aussagenlogik). — Nun wurden anhand der Konstruktion<br />

eines intellektuellen Dinges in transzendental-subjektiver Hinsicht aus der<br />

intellektuellen Synthesis der mathematischen Kategorien im Rahmen der<br />

ersten dynamischen Kategorie der Substanz (an Stelle des<br />

transzendentalen Objektes) die formalen Bedingungen der Konstruktion<br />

der Logik aufgezeigt, ohne daß diese bereits die Bedingungen der<br />

Möglichkeit von Erfahrung (Wirklichkeit) an sich hätte, aber doch selbst<br />

erst die logische Bedingung der empirischen Anschauung in der Erfahrung


— 359 —<br />

gibt. An dieser Überlegung ist zumindest noch bemerkenswert, daß die<br />

Kategorie der Substanz schon ohne den dynamischen Begriffen der<br />

Inhärenz und Subsistenz als erfüllt betrachtet werden kann. Diese<br />

merkwürdige Stellung der Substanzkategorie zwischen den konstitutiven<br />

Kategorien und den dynamischen Kategorien überhaupt hat sich bereits in<br />

ganz anderer Lage bei der Behandlung der Beharrlichkeit als Schema der<br />

Apprehension sowohl gegenüber der metaphysischen Forderung der<br />

Dauer an die Substanz und deren dynamischen Begründung wie<br />

gegenüber dem Beweglichen der Phoronomie bestätigt. 145<br />

b) Versuch der Grundlegung einer allgemeinen Mengenlehre<br />

§ 11 Der zweifache Ursprung des Enthaltenseins<br />

Die Untersuchung beginnt wieder wieder mit dem Schlußsatz des § 15, wo<br />

Kant das ursprüngliche Verhältnis von Einheit und Mannigfaltigkeit vor<br />

den Kategorien ansetzt, weil diese bereits logische Verbindung enthalten.<br />

Die gedachte reine Relation des Enthaltenseins ist dem Grund der<br />

Zurechenbarkeit der Prädikate zum Begriff gegenüber indifferent und<br />

drückt in § 12 nur allgemein mittels der Rückführbarkeit der Folgen eines<br />

Begriffsmerkmals auf die Einheit im Begriff vom Objekt die Notwendigkeit<br />

aus, daß dieses Merkmal zur Einheit des Begriffes gehört. Also<br />

gleichgültig, ob die Menge der Dinge unter einem Merkmalsbegriff, wie<br />

die Stammbegriffe des logischen Quantums (Einzelheit, Besonderes,<br />

Allgemeinheit) anhand der klassischen Problemstellung zwischen<br />

singulärem und plurativem Urteil diskutiert werden, 146 oder ob die Menge<br />

aller (ungleichartigen) Prädikate (nach dem ersten Prinzip der<br />

durchgängigen Bestimmung eines Dinges) 147 oder die Menge aller<br />

(gleichartigen) Teile eines Kontiuums 148 als die Grundlage der Kategorien<br />

145 Zweiter Abschnitt, II. und vierter Abschnitt, III (die Analogie zur Tafel der<br />

Aussagenlogik: die Pendenz), aber auch die Exposition der Kategorie der<br />

Beharrlichkeit in § 26 (B 162), die auf die Kategorie der Größe hinausläuft.<br />

146 Vgl. eben Michael Frede u. Lorenz Krüger: Über die Zuordnung der Quantitäten des<br />

Urteils und der Kategorien der Größe bei Kant, in: Kant. Zur Deutung seiner Theorie<br />

von Erkennen und Handeln, Hrsg. Gerold Prauß, Köln 1973 (NWB 63), p.130-150.<br />

147 K.r.V., B 599 f./A 571 f.<br />

148 Axiome der Anschauung,: »Alle Erscheinung enthalten, der Form nach, eine<br />

Anschauung im Raum und Zeit,welche ihnen insgesamt a priori zum Grunde liegt.<br />

Sie können also nicht anders apprehendiert, d.i. ins empirische Bewußtsein<br />

aufgenommen werden, als durch die Synthesis des Mannigfaltigen, wodurch die<br />

Vorstellungen eines bestimmten Raumes oder Zeit erzeugt werden.« (B 202/A 162)


— 360 —<br />

des Quantums vorgestellt wird, es bleibt zunächst unverständlich, weshalb<br />

der Konjunktion der Vorstellung von Einheit und der Vorstellung von<br />

Mannigfaltigkeit am Ende des § 15 jede Beziehung auf den Begriff der<br />

Relation, die in jeder logischen Funktion enthalten ist, abgesprochen<br />

werden sollte. 149 Der hier weiter oben aufgestellte Behauptung aus § 15,<br />

daß die Idee der Einheit und der Mannigfaltigkeit nicht schon die<br />

Kategorien des Quantums sind, könnte zwar in § 12 versuchsweise ein<br />

Argument gegeben werden, indem die Vielheit der wahren Folgen nicht<br />

als Größe gedacht werden können soll, doch handelt es sich in § 12<br />

jedenfalls um eine kategoriale Darstellung, wenn auch eben in qualitativer<br />

Hinsicht, was schon allein als Erklärungsgrund der Aussage, das die<br />

Vielheit der wahren Folgen nicht als Größe gedacht werden könnte,<br />

ausreicht.<br />

Es ist allein aus den Gründen dieser Kritik jedoch nicht die komplementäre<br />

Feststellung abzuleiten, daß vor jeder weiteren Erörterung über die<br />

Herkunft der Spezifikation der Größe, worauf die Kategorie dann<br />

eingeschränkt werden sollte, es eine logische Relation gibt, die selbst<br />

keinen kategorialen Anspruch erhebt. Aber nicht die Grund-Folge-<br />

Beziehung in der selbst induktiven Ableitung der qualitativen Einheit des<br />

Begriffes vom Objekt, die dem Kriterium der Rückführbarkeit in § 12<br />

vorauszusetzen ist und auch nicht die daraus allererst bewährte Relation<br />

des Enthaltenseins, sondern die aller Kategorie vorausliegenden<br />

Zusammensetzung 150 im »ich denke« liegt zuerst den Kategorien voraus,<br />

aber eben nicht, wie Kant in § 15 wollte, die Ideen von Einheit und<br />

Mannigfaltigen (Vielen) ohne die logische Funktion. In diesem präzisen<br />

Sinne kann allerdings die logische Funktion nicht schon als Begriff des<br />

logischen Quantums oder einer anderen Tafel der logischen Funktionen in<br />

Analogie zu den Tafeln der Kategorie verstanden werden, sondern bloß als<br />

die Funktion des »ich denke« im Hinzusetzen von einer Vorstellung zu<br />

einer anderen (andernfalls wäre die transzendentale Einbildungskraft die<br />

Bedingung zur Intellection). Das Enthaltensein hat zwar den Begriff des<br />

Zusammengesetzten ebenso vorausliegen wie jede bislang nur unbestimmt<br />

transzendentalsubjektiv deduzierte Kategorie, ist allerdings vor dieser als<br />

eigene Relation abzuleiten: wird das Mannigfaltige zusammengesetzt,<br />

149 Vgl. Kaulbach, NWB 63, p. 129.<br />

150 »Der Begriff des Zusammengesetzten überhaupt ist keine besondere Kategorie,<br />

sondern in allen Kategorien (als synthetische Einheit der Apperzeption) enthalten.«<br />

(AA XII, p. 222)


— 361 —<br />

wird der Mannigfaltigkeit damit eine Einheit angewiesen, in der das<br />

Mannigfaltige dann als analytische Folge naturgemäß enthalten ist.<br />

Allerdings ist das bloß die Demonstration der Idee des Enthaltenseins im<br />

Sich-decken des Begriffes mit seinen Merkmalen als Darstellung des Satzes<br />

von der Identität und nicht gleich ein Begriff der Relation des<br />

Enthaltenseins; noch weniger ein Begriff vom einzelnen Gegenstand im<br />

Sinne eines die ganze Vorstellung eines Objektes repräsentierenden<br />

Teilbegriffes. Letzteres steht hier gar nicht zur Diskussion.<br />

Die Relation des Enthaltenseins kann erst dann weiter ausgebildet werden,<br />

wenn das Allgemeine eines Merkmals der Menge qualitativ näher<br />

bestimmt worden ist und dadurch innerhalb der noch unbestimmten<br />

gegebenen Mannigfaltigkeit eine Menge von Elementen auszeichnet, die<br />

erst eine eindeutige Zuordnung erlaubt und die gebildete Menge von<br />

anderen möglichen unterscheiden läßt. 151 — Derart würde die Aussage<br />

Kants gegen Ende des § 15, daß die bloßen Ideen von Mannigfaltigkeit und<br />

Einheit für sich selbst keine kategorialen Begriffe seien, einen guten Sinn<br />

erhalten. Jedoch macht diese Überlegung auch unmöglich, an eine reine<br />

Kategorie des Quantums überhaupt zu denken. 152 Der Hinweis auf § 12 im<br />

Schluß des § 15 gilt also einer rein transzendentallogischen Darstellung<br />

und nicht dem Mannigfaltigen und der Einheit vor jeder kategorialen<br />

und logischen Verbindung. Damit bleibt auch die Unterscheidung des<br />

Enthaltenseins eines Begriffes in einem Begriff vom Enthaltensein eines<br />

Kontinuums, Dinges, Gegenstandes unter einem Begriff einer<br />

vollständigen Untersuchung des logischen Gegenstandsbegriffes noch<br />

vorbehalten. 153 Wie ein Begriff in einem anderen enthalten sein kann, also<br />

die Vorbedingung eines jeden Syllogismus, ist im verhandelten Umkreis<br />

aber nirgends zu finden, da weder in § 12 noch im Ideal der reinen<br />

Vernunft ersichtlich geworden ist, daß jedes Merkmal eines Begriffes selbst<br />

151 Das steht allerdings in direktem Widerspruch zu der Auffassung von W. V. O.<br />

Quine, die er in dem Aufsatz »Über die Individuation von Eigenschaften« vertreten<br />

hat (in: Willard Van Orman QUINE, Theorien und Dinge, dtsch: Suhrkamp wiss. Bibl.<br />

Nr.960, Frankfurt a. M., 1 1991, p. 128, engl. Havard 1981). Eine Diskussion über das<br />

Verhältnis dieser Auffassung zu Gödels »Imprädikativ« (im Rahmen der<br />

Auseinandersetzung mit Bertrand Russell) steht noch aus.<br />

152 Das betrifft aber nicht mehr die logische Unterscheidung in Begriff vom Raume und<br />

im Begriff vom Gegenstand im ersten Abschnitt, c) Die Logizität des totum<br />

analyticum , da dort der Raum schon als Ausdehnung charakterisiert worden ist.<br />

153 So wird in der Anmerkung zu B 599 die Allgemeinheit und die Allheit, also logisches<br />

und kategoriales Quantum , als Verfahren der Reflexion dem Gegenstand und dem<br />

Ding zugeordnet.


— 362 —<br />

schon als Begriff zu behandeln ist: In § 12 wurde nur derjenige Begriff, der<br />

nur an der Stelle des Satzsubjektes eines kategorischen Urteiles stehen<br />

kann, als Begriff auch ausdrücklich anerkannt. Es konnte allerdings<br />

erwiesen werden, daß der einzelne Gegenstand als das Ideal der reinen<br />

Vernunft unter einen Begriff fällt, der allerdings schon deshalb zu keiner<br />

Rechtfertigung anhand der Sinnlichkeit oder anhand der Erfahrung fähig<br />

ist, solange die Prädikate, die als Ergebnis der Einschränkung gedacht<br />

werden sollen, als Ableitung aus dem sich freilich selbst entziehenden<br />

Wesensbegriff zu verstehen sind. Da ist im Gegenverhältnis zum § 12 der<br />

Grund der Frage zu sehen: Ist der Begriff nur eben der Titel der Menge der<br />

Prädikate, deren Zusammenhang sich desweiteren nach Raum und Zeit<br />

beschreiben und womöglich nach einem Gesetz verbinden läßt oder führt<br />

die Untersuchung zu einem wirklichen Begriff von einem einzelnen<br />

Gegenstand? 154<br />

Zuerst soll eine Darstellung der Problemstellung der analytisch<br />

vorgehenden Logik folgen, wie nun das Enthaltensein eines Gegenstandes<br />

unter einen Begriff und das Enthaltensein eines Begriffes in einem anderen<br />

zu denken ist, ohne der zusätzlichen Schwierigkeit, wie denn eine Menge<br />

von Vorstellungen auf den Begriff eines einzelnen Gegenstandes zu<br />

bringen sei, weiters Rechnung tragen zu müssen.<br />

§ 12 Subordination und Subsumtion bei Frege und Kant<br />

Es war — einmal abgesehen von der Erörterung des Grundurteils — nicht<br />

allein die Leistung Kants, von der zeitgenössischen Gepflogenheit, entlang<br />

einer Reihe von Begriffen in der Logik bruchlos bis zum<br />

conceptus singularis vorzustoßen, abzugehen, 155 und die Anschauung in der<br />

Frage nach dem Ursprung eines materialen Merkmals eines Begriffes<br />

eigens in Stellung zu bringen, 156 aber Kant hat wohl die logischen Probleme<br />

154 So etwa in Refl. 4681, AA XVII. p. 666 f.: sinnliche Begriffe sind Titel der<br />

Anschauung, Regel der Wahrnehmung in der Erfahrung sind Titel der<br />

Erscheinungen.<br />

155 Dieter Henrich Vortrag vom 20. 5. 1985 in Wien zur Methode in der Logik Kants: Der<br />

Syllogismus ist für Kant nicht die erste Form des Schließens (nach Rüdiger-<br />

Hoffmann-Crusius), sondern nur unentbehrlich in der - analytischen - Darstellung<br />

des Begriffs.<br />

156 »Etwas sich durch Begriffe, d .i. im Allgemeinen vorstellen, [...] Die unmittelbare<br />

Vorstellung des Einzelnen ist Anschauung« (Fortschritte der Metaphysik, AA XX,<br />

p. 325), vorsichtiger auch schon gegenüber der Einzelheit in der Anschauung:


— 363 —<br />

seiner Zeit mit mehr Konsequenz als andere bearbeitet. Im Zuge der<br />

Reflexionen zur reinen Logik kommt Kant denn auch zu einer modern<br />

anmutenden Auffassung, was die Formulierung der Beziehung von<br />

Vorstellungen zu ihren Gegenständen betrifft: »Wir können hier den<br />

Umfang und den Inhalt eines Begriffes in Erwägung ziehen. Sphaera ist<br />

der Umfang eines Begriffes, und geht auf die Menge der Dinge, die unter<br />

dem Begriff enthalten sind. Nach dem Inhalt betrachten wir den Begriff,<br />

wenn wir auf die Menge der Vorstellungen sehen, die in dem Begriff selber<br />

enthalten sind.« 157<br />

Kant fühlt sich nur in Untersuchungen, die die Verhältnisse der<br />

allgemeinen und besonderen Logik betreffen, verpflichtet, diese und nur<br />

diese Verwendung von Enthaltensein durchzuhalten. Aber auch gerade<br />

transzendentalanaytische Fragestellungen gegenüber den Problemkreisen<br />

der anschauungsimmanenten Strukturmerkmale und der Ontologie des<br />

physisch Realen haben u. U. Kant bewogen, von dieser Gepflogenheit<br />

abzuweichen. — Auf Fragen der Art, ob trotz der Leugnung eines »Dinges<br />

an sich« Frege gerade wegen dieser Negation gewissermaßen<br />

spiegelbildlich in Abhängigkeit von Kant geraten ist, kann nun<br />

verständlicherweise nicht eingegangen werden; im Aufsatz »Über Begriff<br />

und Gegenstand« 158 trifft Frege aber die Unterscheidungen, die auch für<br />

die hier anstehende Untersuchung von zentralem Interesse sind. Zuerst<br />

stellt Frege bloß einen Unterschied in der Verwendungsweise des Begriffs<br />

der logischen Relation des Enthaltenseins fest: Das Fallen eines<br />

Gegenstandes unter einen Begriff ist nicht gleichzusetzen mit der<br />

Unterordnung eines Begriffes unter einen Begriff. 159 Weiters bestreitet<br />

Frege, daß die Unterscheidung in Objektsprache und Metasprache eine<br />

beliebige sein müsse. Frege stimmt Kerry nicht zu, daß unter dem<br />

Ausdruck »Fallen eines Gegenstandes unter einem Begriff« eine Beziehung<br />

zu verstehen sei, in welcher einmal das, was als Gegenstand erscheint, ein<br />

anderesmal als Begriff auftreten könne. Findet man ein Kriterium der<br />

»Wenn eine Vorstellung nicht repraesentatio communis ist: so ist sie gar kein<br />

Begriff« (Wiener Logik, AA XXIV, p. 908). Aber: »Der Gebrauch eines conceptus<br />

kann singularis seyn. [...] Wir theilen also nicht die conceptus in universales,<br />

particulares und singulares ein, sondern die Urtheile.« (Wiener Logik, AA XXIV,<br />

p. 908 f.)<br />

157 Wiener Logik, AA XXIV, p. 911, Hvh. von mir<br />

158 In: Vierteljahreschrift f. wissensch. Philosophie 16, 1892, p. 192-205, in:<br />

Nachgelassene Schriften, Bd. I, p. 96-127, in: Gottlob Frege, Funktion, Begriff,<br />

Bedeutung, Hrsg. Günther Patzig, Göttingen 4 1975 ( 1 1962).<br />

159 cit. op. ,p. 68 (Anmk.2).


— 364 —<br />

Gegenständlichkeit, welche den wechselweisen Gebrauch des Begriffs von<br />

der Gegenständlichkeit von Vorstellungen und Begriffe überhaupt<br />

einschränkt, zumindest aber den dialektischen Gebrauch Kerrys Einhalt<br />

gebietet, dann kann dieser Unterschied als Begriff einer Differenz näher<br />

bestimmt werden:<br />

»Man könnte vielleicht, um dem Unterschiede zugleich mit der<br />

Ähnlichkeit gerecht zu werden, sagen, ein Gegenstand falle unter einen<br />

Begriff erster Stufe, und ein Begriff falle in einen Begriff zweiter Stufe.« 160<br />

Frege unterscheidet weiters Eigenschaften eines Gegenstandes von<br />

Merkmalen eines Begriffes. 161 Eigenschaften eines Gegenstandes machen<br />

als Begriffsmerkmal, daß dieser Gegenstand unter den Begriff fällt<br />

(Subsumtion), während die Unterordnung eines Begriffes unter einen<br />

anderen Begriff direkt anhand eines Merkmals als Fallen des ersten in den<br />

zweiten bezeichnet wird (Subordination). Nach Frege bedeutet die<br />

Subsumtion das Enthaltensein eines Gegenstandes unter seinem Begriff,<br />

die Subordination das Enthaltensein eines Begriffs unter einen anderen<br />

Begriff. Die Formulierung, »ein Begriff falle in einen Begriff zweiter Stufe«<br />

darf wohl auf das Verhältnis von der Bestimmbarkeit der Stelle der<br />

Variable und eingesetztem Begriff bezogen werden. 162 Daß ein Gegenstand<br />

unter einem Begriff falle, bedeutet für Kant in der transzendentalen<br />

Analytik zwar, daß die Vorstellung desselben mit der Vorstellung des<br />

Begriffes gleichartig sei (näher: daß reproduktive Einbildungskraft und<br />

produktive Einbildungskraft — die auch ohne sinnlich aktuell gegebenen<br />

Gegenstand möglich ist — das gleiche Bild erzeugen), aber doch nicht die<br />

vollständige Bestimmung des einzelnen Gegenstandes selbst in einem<br />

singulären Begriff. 163 Komplementär ist die Formulierung, daß ein<br />

160 cit. op., p. 76.<br />

161 Vgl. auch Bernard Bolzanos Elementarlehre in: Wissenschaftslehre. Versuch einer<br />

ausführlichen und größtenteils neuen Darstellung der Logik mit steter Rücksicht auf<br />

deren bisherigen Bearbeiter, Sulzbach 1837<br />

162 Darauf kann die Unterscheidung Freges in Begriffe erster und zweiter Stufe zwar<br />

nicht beschränkt werden, (vgl. die delikate Prädikatisierung der Prädikate bei B.<br />

Russell) wohl aber ist zu vermuten, daß Freges Beobachtungen zu diesem<br />

Themenkreis, der anderswo Objektsprache und Metasprache heißt, gerade in der<br />

Auseinandersetzung mit Kerry die Reife erlangt hat, mit der Frege die<br />

mathematischen Funktionsbegriffe, wie eben die der Variable und ihr Wert im<br />

möglichen Wertebereich, von logischer Seite erstmals zu kritisieren.imstande war.<br />

163 Jeder Begriff hat einen Umfang, in: Logisches Prinzip der Arten, (K.r.V.,<br />

B 683/A 655). Der klassische conceptus singularis aber hätte keinen Umfang. Vgl.<br />

aber auch in § 9: »Wenn ich ein einzelnes Urteil (judicium singulare) nicht bloß nach


— 365 —<br />

Gegenstand unter eine Vorstellung eines Gegenstandes falle, bei Kant i. a.<br />

gerade das Argument, daß es sich um keinen reinen Begriff, sondern um<br />

eine diskursive Vorstellung handelt, die auch noch Anschauung enthält<br />

(nach »Synthesis der Rekognition«, A 104: Erscheinung). Subordination ist<br />

nun ohne Anschauung allein zwischen Begriffen möglich; gleich ob die<br />

Schematen der produktiven Einbildungskraft, d.h. insbesondere hier von<br />

sinnlichen Begriffen ausgehend, aber auch der für die Darstellung reiner<br />

Verstandesbegriffe schematisch verfahrenden reinen Einbildungskraft<br />

entstammen; 164 Subsumtion vergleicht aber die Schematen der reinen und<br />

der empirischen produktiven Einbildungskraft einerseits und der<br />

reproduktiven Einbildungskraft andererseits. Keine der beiden (weder<br />

Subordination noch Subsumtion) erreicht für sich die durchgängige<br />

Bestimmung des gegebenen Objekts zum einzelnen Gegenstand. Kant setzt<br />

deshalb die ausstehende Vermittlung von Verstand und Sinnlichkeit<br />

(Möglichkeit und Assertion) im Denken von Gegenständen als Objekte der<br />

Erfahrung unter den Titel der transzendentalen Subsumtion. Spätestens<br />

hierin ist Frege von Kant aus zu kritisieren: Frege ist nicht an den<br />

Bedingungen des Gegegebenseins eines Gegenstandes interessiert,<br />

sondern untersucht letztendlich doch nur die weiteren Bedingungen im<br />

logischen Urteil, während Kant noch die Bedingungen des singulären<br />

Urteils zuerst mit den Anschauungsformen, schließlich mit dem<br />

Schematismus des reinen Verstandesbegriffes anzugeben versucht —<br />

wenngleich hinsichtlich der Erfüllung des conceptus singularis vergeblich.<br />

Kaulbach 165 macht in diesem Zusammenhang auf diese wesentliche<br />

Unterscheidung aufmerksam, die aber als solche mit der klassischen<br />

Unterscheidung in Merkmale eines Begriffs und Eigenschaft eines<br />

Gegenstandes bisher weder Kant noch Frege entgangen sein dürfte: die<br />

Unterscheidung zwischen Gegenstand und seinem Bilde. 166 Die<br />

seiner inneren Gültigkeit, sondern auch, als Erkenntnis überhaupt, nach der Größe,<br />

die es in Vergeichung mit anderen Erkenntnissen hat, schätze, so ist es allerdings<br />

von gemeingültigen Urteilen (judicia communia) unterschieden, und verdient in<br />

einer vollständigen Tafel der Momente des Denkens überhaupt (obzwar freilich<br />

nicht in der bloß auf den Gebrauch der Urteile untereinander eingeschränkten<br />

Logik) eine besondere Stelle.« (B 97/A 71)<br />

164 K.r.V., Schematismus der reinen Verstandesbegriffe, B 180 f./A 140 f..<br />

165 Friedrich Kaulbach, Schema, Bild und Modell nach den Voraussetzungen des<br />

Kantischen Denkens, in NWB 63, Köln 1873, p. 113.<br />

166 »In allen Subsumtion eines Gegenstandes unter einen Begriff muß die Vorstellung<br />

des ersteren mit der letzteren gleichartig sein, d.i. der Begriff muß dasjenige<br />

enthalten, was in dem darunter zu subsumierenden Gegenstande vorgestellt wird,<br />

denn das bedeutet eben der Ausdruck: ein Gegenstand sei unter einem Begriff<br />

enthalten.« (K.r.V., B 176)


— 366 —<br />

transzendentale Subsumtion geschieht aber auch bei Kant nicht selbst<br />

allein durch das einfache Enthaltensein des Bildes eines Gegenstandes im<br />

Schema der bestimmenden Einbildungskraft seines Begriffes, also nicht<br />

selbst durch die Unterstellung des sinnlichen Schemas unter einen<br />

empirischen Begriffes, sondern durch die Unterstellung eines Systems von<br />

empirischen Begriffen unter den reinen Verstandesbegriff der Kategorie.<br />

Jedoch beachtet Frege, wie in diesem Fragepunkt auch Kant, nur den Fall,<br />

daß die Relation der Mengenlehre sich mittels Begriffsmerkmale (also<br />

anhand einer Eigenschaft am Gegenstand) 167 auf Gegenstände bezieht, und<br />

nicht den freilich nur an Kant kritisch heranzubringenden Fall, daß die<br />

Einheit der Vorstellung allein anhand eines raumzeitlichen<br />

Zusammenseins verschiedener Gegenstände begründet werden könnte.<br />

Neben den alternativen Formulierungen, ein Begriff falle als diskursiver<br />

Teilbegriff in eine Vorstellung oder eine Vorstellung falle als intuitives<br />

Merkmalsprädikat in einen Begriff, schließlich, ein Begriff falle in einen<br />

Begriff, wie sie dann Kant ganz wie Frege auch im logischen Sinne<br />

gebraucht, bleibt also noch eine weitere Möglichkeit der Bedeutung der<br />

Mengenlehre offen, die auch die selbst rein theoretische Erörterung<br />

derselben übersehen muß: nämlich die Zugehörigkeit von Elementen zu<br />

einer Menge nicht wegen einer Eigenschaft, die begrifflich als Merkmal,<br />

das die Eigenschaft eines als Gegenstand gedachtes Elementes bedeuten<br />

soll, die allgemeine Bedingung (Regel) ausmacht, sondern bloß aus<br />

raumzeitlichen (im Sinne Kants ursprünglich formalen) Bedingungen. 168<br />

Frege versucht nun in einem anderen Aufsatz, die Zeitlichkeit, die<br />

analytisch im Begriff des Veränderlichen enthalten sein muß, in der Stelle<br />

der Variable als etwas außerhalb der Logik darzustellen, 169 indem er<br />

aufzeigt, daß das Veränderliche immer nur in einem konkreten Wert<br />

betrachtet werden kann, um den Wahrheitswert der Funktion jeweils zu<br />

bestimmen. M. a. W., um eine Funktion in einem bestimmten<br />

Wertebereich, also in einer bestimmbaren Abfolge von jeweils diskreten<br />

Werten in der Variablen einer Funktion betrachten zu können, darf der<br />

Verlauf des Veränderlichen nicht als Kontinuum, sondern bereits nur als<br />

Folge jeweil punktuell diskreter Momente gesetzmäßig zu denken möglich<br />

167 Gottlob Frege, Über Begriff und Gegenstand, in: Funktion, Begriff, Bedeutung, Hrsg.<br />

von Günther Patzig, Götting 4 1975, p. 76.<br />

168 Vgl. hier im ersten Abschnitt, insbesondere a), b)<br />

169 Was ist eine Funktion?, Festschrift f. Ludwig Boltzmann, 1904; cit. op., p. 81 ff.


— 367 —<br />

sein. Die Reihe der möglichen Werte des Veränderlichen implizieren<br />

jeweils ihre Unveränderlichkeit im Moment ihrer Bewertung und gehören<br />

demnach nicht zum Veränderlichen selbst. Damit wird aber nur einseitig<br />

das Kontinuum als mit dem verstandesgemäßen Produkt der reinen<br />

Einbildungskraft für vereinbar erklärt. 170 Hingegen gibt die Darstellung<br />

Kants und dessen Festhalten an der Bedeutung der kontinuierlichen<br />

Anschauung für die empirische Erkenntnis die Gelegenheit, die Einheit<br />

des Begriffes der da wie dort nur abstrakt vorausgesetzten<br />

Gegenständlichkeit des gegebenen Mannigfaltigen kritisch weiter zu<br />

verfolgen, wenn auch einstweilen die Unterscheidung zwischen<br />

kontinuierlich Gegebenen der sinnlichen Anschauung und<br />

diskontinuierlich Gegebenen der Erfahrung logisch noch nicht hinreichend<br />

diskutiert werden konnte. 171<br />

Die vorhin erwiesene Abstraktheit des Begriffs der Menge als für sich reine<br />

Idee des Enthaltenseins 172 in der zweiseitigen Identität des Prädikats als<br />

Merkmal der Elemente und als Merkmal des Allgemeinbegriffs ihrer<br />

Menge hingegen ist zwar intellektuell, aber nach abermaliger Überlegung<br />

nicht geeignet, auch nur das Muster der reinen synthesis intellectualis im<br />

Sinne Kants auszumachen, denn Kant scheint die synthesis intellectualis nur<br />

als die begriffene Form der Zeitlichkeit der zusammensetzenden<br />

170 Hierin dem isolierten Argument Kantens ähnlich, daß das sinnlich Gegebene zuerst<br />

nur mittels des conceptus singularis , dann später mittels des Grundurteils aber nicht<br />

nur den Raum sondern sogar die Kausalität für unmittelbar appizipierbar erklärt.<br />

— aber eben nicht mehr deren Einheit als garantierte Synthesis im conceptus<br />

singularis . Vgl. den ersten Abschnitt, B, a.<br />

171 Etwa das Planck‘sche Wirkungsquantum gegen die Kantsche Auffassung des<br />

Kontinuums in Stellung bringen zu wollen, geht allerdings an der Problemstellung<br />

mehrfach vorbei: Erstens stellt Frege die Ersetzung des Veränderlichen durch eine<br />

Reihe von diskreten Punkten, die von einer Funktion ausgedrückt werden können,<br />

klar und deutlich als Leistung des Verstandes vor und sagt nichts über die<br />

Kontinuität des Veränderlichen selbst aus. Zweitens wird auch von Kant die<br />

Kontinuität im strengen Sinne nur von den Anschauungsformen postuliert; die<br />

sukzessive Erzeugung bzw. die Teilbarkeit der Vorstellungen geht zwar ebenfalls<br />

von dem Postulat unendlicher Teilbarkeit aus, dieses Postulat ist aber schon<br />

angesichts der Leibniz‘schen Erörterungen zum Kontinuum (ideales Kontinuum<br />

versus Kontinuation materieller Phänomene) eher als Ergebnis denkökonomischer<br />

Vereinfachung der theoretischen Überlegungen zu werten. Drittens führt der<br />

cartesianische Hintergrund der Diskussion diskreter Punkte oder Momente zur<br />

ontologischen Problematik der creatio continua , also der fortwährenden<br />

Neuschöpfung (Meditationes II, Œuvres, ed. Ch. Adam/P. Tannery, Paris 1879 ff.,<br />

VII, p. 23) und nicht zur Diskretheit des materiell/energetischen Wirkungsgefüges.<br />

172 Die synthetische Einheit der zusammengesetzten Mannigfaltigkeit., hier § 11. — Also<br />

von allen als vorausgesetzt gedachten „Logischen Funktionen“ im bloßen<br />

Zusammensetzen unabhängig zu denkende reine Idee der Einheit des<br />

Mannigfaltigen.


— 368 —<br />

Verstandeshandlung zu verstehen. Dieser steht allerdings die Zeitlosigkeit<br />

der reinen Verstandesbegriffe ebenso gegenüber, wie im Abschnitt »Von<br />

den Gründen a priori zur Möglichkeit der Erfahrung« im Rahmen der<br />

Apprehension in A die »absolute Einheit« der sukzessive<br />

zusammenzunehmenden Mannigfaltigkeit als Ausgangselement<br />

gegenübergestellt wird. Die nähere Analyse der »Antizipationen der<br />

Wahrnehmung« würde zeigen können, daß die Intensität als Größe sowohl<br />

als Sinnesempfindung, wie als reines Bewußtsein (Intensität=0) jeweils<br />

genau die fehlende nicht-sukzessive Synthesis im »Realen der<br />

Apperzeption« beansprucht: Die Sukzession, anhand welcher die<br />

Übereinstimmung von Verstandeshandlung und Einbildungskraft in der<br />

Schematen die Möglichkeit erwiesen werden soll, wird nun zur<br />

(räumlichen und räumlich-zeitlichen) Darstellung der Intensität als Größe<br />

(z.B. Größe der Bewegungsänderung) gebraucht; ihr voran geht aber eine<br />

andere Synthesis, die von Fall zu Fall als nicht-sukzessive Synthesis<br />

erwähnt wird. Dieser Weg der Deduktion der Qualität aus der Assertion<br />

führt in von Kant kaum angeschnittene Erörterungen des transzendentalen<br />

Ideals und in die Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises, also der<br />

Erörterung des Unterschiedes von omnitudo realitatis vom<br />

ens realissimum und ens necessarium und so zur Frage, was das Allerrealste<br />

vor dem Realen auszeichnen könnte.<br />

Die Rechtfertigung des Begriffes von der Objektivität der Realität kann<br />

zwar nur durch die Darstellung als ausgedehnte Größe, d.h. auch nur<br />

sukzessive erfolgen. Ohne Verstandesbegriff, aber auch ohne<br />

Verstandeshandlung gegenüber den Erscheinungen der Sinnlichkeit kann<br />

niemals objektive Realität e r k a n n t werden. Demnach dürfte auch eine<br />

synthesis intellectualis , die im Sinne der Einheit im reinen Verstandesbegriff<br />

ohne jede objektive Zeitbedingung gedacht werden sollte, der Zeitlichkeit<br />

der Verstandeshandlung bedürfen, um allererst rein gedacht werden zu<br />

können. Der abstrakte Begriff der Menge ist aber nicht selbst das Urbild<br />

der Einheit einer jeden Verstandeshandlung als das konjunktive<br />

Enthaltensein der verschiedenen dazu notwendigen Abschnitte der<br />

Handlung in der intentionalen Akteinheit, die auf Allgemeinheit wie auf<br />

die Besonderheit des Wesens geht, sondern die Einheit der Menge setzt<br />

bereits die Differenz in der Funktion eines Merkmals voraus, einmal das<br />

Formalobjekt (bloß gedachter Gegenstand der Vorstellung) als<br />

Formbestimmung des Elements einer Menge in der individuellen<br />

Bezeichnung zugleich notwendig zu denken, und einmal die Menge solcher


— 369 —<br />

jeweils individuell zu denkenden Elemente empirisch allgemein als Allheit<br />

von bloßer unbestimmter Vielheit abzugrenzen: Der Begriff der Menge ist<br />

also ohne kategoriales und ohne logisches Quantum im Sinne der<br />

logischen Tafeln (§ 9) — d. h. aber auch ohne Beziehung auf einen<br />

einzelnen Gegenstand — hier nicht zu denken möglich. Allerdings ist die<br />

kategoriale Durchbestimmung nicht Bedingung. Eben dieses Verhältnis<br />

wird aber von der Relation des Enthaltenseins, die mit unter<br />

gekennzeichnet wurde, bedeutet. Auch ohne eigene inhaltlich mit einem<br />

Merkmal bezeichenbare specifica differentia wie zwischen Art- und<br />

Gattungsbegriff einerseits und Individualbegriff andererseits bleibt nun in<br />

der reinen Mengenlehre die mit dieser Differenz gekennzeichneten Stelle<br />

der Reflexion auch dann bedeutsam, wenn die Differenz zwischen<br />

allgemein-besonderen Gebrauch und individuell bezeichnenden Gebrauch<br />

des Begriffes keine eigene forma mehr bezeichnet, wie bei Begriffen der<br />

Klassenbildungen über empirische Gegenstände der Begriffsinhalt oder<br />

Bedeutungsumfang mit dem Begriffsumfang des Begriffes zwischen<br />

allgemeiner und individueller Verwendung als intentionale Differenz auch<br />

mit einer semantischen Differenz zu Buche schlägt.<br />

§ 13 Ursprüngliche Unterscheidungen in der Relation des<br />

Enthaltenseins<br />

a) Die Struktur der Affinität als Voraussetzung der logischen Menge<br />

Es bleibt nun für Kant, sofern es sich um Erkenntnis handelt, die<br />

Beziehung des Enthaltenseins mindestens eines Dinges unter einem Begriff<br />

noch notwendig, und auch für die abstrakte Behandlung der Menge<br />

vorausgesetzt, gleichgültig, ob Teile eines Kontinuums oder Prädikate<br />

eines Gegenstandes oder Gegenstände mit gleichen Eigenschaften oder<br />

überhaupt Begriffe als Teilbegriffe eines Oberbegriffes als Elemente einer<br />

Menge betrachtet werden.<br />

In der metaphysischen Betrachtung ist die Frage zu stellen, inwiefern es<br />

überhaupt möglich ist, nach einer theoretischen Erörterung der<br />

Mengenlehre in der Logik weiters qualifiziert von einer Menge von<br />

Prädikate eines Dinges aufgrund von Distributseigenschaften von<br />

Merkmalen auf einen Gegenstand in qualitativer Hinsicht zu sprechen, da<br />

diese Prädikate für sich doch kein gemeinsames Merkmal besitzen, das


— 370 —<br />

erlaubt, mit ihnen eine Menge zu bilden. Derart wäre es nur möglich, aus<br />

den möglichen Artbegriffen einer Gattung einen theoretisch haltbaren<br />

Mengenbegriff zu formulieren, der allerdings nur empirisch (logisch als<br />

Organon einer bestimmten Wissenschaft) von Bedeutung sein könnte. So<br />

versammelt auch der Begriff vom Raum seine Teile wie der Begriff vom<br />

Gegenstand als Gattungsbegriff die in Frage kommenden Gegenstände;<br />

der weitere Unterschied besteht nur darin, daß im Begriff vom Gegenstand<br />

ein Merkmal enthalten ist, welches erlaubt, die benannten Gegenstände<br />

dem Begriff zu subordinieren, während der Begriff vom Raum dessen<br />

Teile nicht subordiniert, weil dessen Merkmale nicht bloß eine<br />

Teilvorstellung des wirklichen Gegenstandes ausmachen, und diese<br />

Begriffe von Raumteilen eben so gut einen Teil des Raumes wie einen<br />

anderen Teil oder gleich den ganzen Raum denken lassen. 173<br />

Die »Menge« aller möglichen Prädikate eines Dinges kann nun auf eine<br />

mit der Wesenslogik vergleichbare Weise logisch gebildet werden wie der<br />

reine Raumbegriff (die Identität der Teile von einem Dritten abzunehmen),<br />

allerdings aus dem entgegengesetzten Grund: Die Prädikate eines Dinges<br />

haben in der Tat kein gemeinsames Merkmal, außer der abstraktallgemeinen<br />

Beziehung aus der Grammatik, daß jedes Prädikat qua<br />

Prädikat eine Beziehung auf einen Gegenstand besitzen müsse. Diese<br />

Beliebigkeit macht auch den Gebrauch von »Ding« und »Gegenstand« bei<br />

Kant verständlich: Der Begriff von einem einzelnen Gegenstand muß aus<br />

dem beliebigen und auch modalkategorial als zufällig befundenen Ding<br />

erst hergestellt werden. Damit wird aber die abstrakt-allgemeine<br />

Beziehung eines Prädikates auf irgend ein Ding nicht erst bewiesen,<br />

sondern abermals nur vorausgesetzt. Hierin steht die Erörterung des<br />

Verhältnisses von »Ding« und »Gegenstand« vor der gleichen<br />

Schwierigkeit wie der Nachweis der Einheit der Apperzeption, welche<br />

einerseits Bewußtsein immer schon analytisch-numerisch voraussetzen<br />

muß, aber erst als ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption<br />

rechtfertigen kann. 174 Aber sowohl ein individuell verwendeter<br />

Gattungsbegriff wie auch ein individuell verwendeter Begriff vom Raume<br />

exkulpiert das individuelle Merkmal im Falle allgemeiner Verwendung.<br />

173 Vgl. hier auch den ersten Abschnitt, I b), c).<br />

174 Vgl. erster Abschnitt, Kap. 2.


— 371 —<br />

Also erst die metatheoretische Prädikatisierung aller möglichen Prädikate<br />

eines Dinges als Vorstellungen, die qua Vorstellung schon sowohl meine<br />

Vorstellung genannt werden können wie auch die Beziehung auf ein Ding<br />

voraussetzen (die erste transzendentale Reflexion), erlaubt von einer<br />

»Menge« der Prädikate eines Dinges zu sprechen. Diese unerweisliche<br />

Beziehung des Prädikates auf ein Ding ist also von zwei Seiten zu<br />

betrachten: erstens transzendental als intentionale Differenz von gedachten<br />

Merkmalen (bzw. von Prädikatsverhältnissen eines Gegenstandes) und<br />

»sinnerfüllender« Intention 175 auf die gegebene Anschauung (das »Ding«<br />

als Zielpunkt der Intention gegenüber dem »Gegenstand« der<br />

Vorstellung), zweitens ontologisch als Eigenschaft von »etwas«. Diese<br />

Richtungen des Zuschreibungsurteiles bilden gemeinsam das Fundament<br />

des Urteils und bilden die von Kant kritisch eingeschränkte<br />

Affinitätsvoraussetzung, wovon diejenige, die in der Aussage ein Merkmal<br />

auf ein wirkliches Ding bezieht, mit Leibniz auch als der zureichende<br />

Grund bekannt ist. Hingegen scheint die bloß deïctische<br />

Zusammenfassung von Objekten in »Einer Anschauung« nach wie vor<br />

ungeeignet für einen logischen Mengenbegriff, da die Objekte zwar auch<br />

als Gegenstände eines Gattungsbegriffes in der Anschauung als Teil des<br />

Raumes jeweils nach den Distributionseigenschaften des anschaulichen<br />

Merkmals des Gattungsbegriffes ihre Identität in der Anschauung<br />

erhalten, aber ohne gemeinschaftliche Ursache oder ohne Kategorie der<br />

Wechselwirkung die verschiedenen Gegenstände als bloße Objekte »Einer<br />

Anschauung« über die allgemeine Anschaulichkeit hinaus kein<br />

gemeinsames Merkmal besitzen. Dazu muß abermals in einer<br />

metatheoretischen Reflexion das subjektive Merkmal dieser Objekte, in<br />

»Einer Anschauung« vorzukommen (was allerdings ohne Vorgriff auf den<br />

Erfahrungsbegriff nicht möglich sein wird), den Objekten selbst als<br />

»objektive« Eigenschaft zugeschrieben werden. Erst nach dieser der<br />

Struktur nach schon bekannten Operation kann die bloß deïctische<br />

Zusammenfassung in »Einer Anschauung« mengentheoretisch behandelt<br />

werden. Auch ist eine transzendentale Reflexion vorausgesetzt: allerdings<br />

geht diese Reflexion auf die subjektive Anschauungsform.<br />

Es zeigt sich also, daß die mengentheoretische Erörterung keine einfache<br />

Voraussetzung für die transzendentale Deduktion der Logik und der<br />

Arithmetik als Formalwissenschaften sein kann. Allerdings erweist sich<br />

175 Wie sich Husserl in den LU II ausdrückt


— 372 —<br />

die Mengenlehre als geeignet, beliebige bezeichenbare Entinitäten zu<br />

Mengen zusammenzufassen, indem die zur Zuordenbarkeit derselben zu<br />

Mengen erforderliche Operation zwar die Differenz von individueller und<br />

allgemeiner Verwendung voraussetzt, aber jeweils durch die<br />

Zuschreibbarkeit der Erfordernisse für diese Operation als Eigenschaften<br />

der fraglichen Elemente der Menge auch schon kategoriale<br />

Voraussetzungen mit der Fähigkeit zur Unterscheidung von Arten von<br />

Gegenständen in Stellung gebracht werden können. Die<br />

Steigerungsfähigkeit der Abstraktheit der möglichen Zuschreibungen soll<br />

verhindert, daß trotz der kategorialen Voraussetzung in der<br />

unumgänglichen Differenz von individueller und allgemeiner<br />

Verwendung eines Prädikates ein paralogistischer Kategorienfehler<br />

auftritt, wenn Objekte nicht aus Gründen der Verhältnisse untereinander,<br />

sondern aus Gründung der Stellung zum Subjekt Eigenschaften<br />

zugeschrieben bekommen. 176<br />

b) Angebliche und wirkliche Unabhängigkeit der Wahrheit vom Subjekt<br />

Diesem Entwurf aus transzendentalsubjektiver Hinsicht will ich einen<br />

Entwurf als Gegengewicht gegenüberstellen, worin behauptet wird, daß<br />

der Begriff der Menge völlig unabhängig von einem individuell<br />

existierenden Subjekt gebildet werden kann. Dies behauptet etwa Bernard<br />

Bolzano in seiner Schrift »Paradoxien des Unendlichen« in § 14. Diese<br />

Auffassung hat schon in der vorangehenden Wissenschaftslehre ihre<br />

176 Der Zielpunkt dieser Überlegung scheint mir zu gestatten, gewissermaßen als<br />

Vorerinnerung, ein Zitat aus einem Aufsatz von Kurt Gödel einzuschalten:<br />

»Ebensowenig ist es selbstwidersprüchlich, daß ein besonderer Teil identisch (nicht<br />

bloß gleich) sein soll mit dem Ganzen, wie im Falle von Strukturen im abstrakten<br />

Sinne zu sehen ist. Die Struktur der Reihe der ganzen Zahlen, z. B., enthält sich selbst<br />

als einen besonderen Teil, und es ist leicht zu sehen, daß auch Strukturen existieren,<br />

die unendlich viele verschiedene Teile enthalten, wobei jeder die gesamte Struktur<br />

als einen Teil enthält. Überdies existieren, sogar innerhalb des Bereiches der<br />

konstruktivistischen Logik, gewisse Annäherungen an diese Selbstreflexivität<br />

imprädikativer Eigenschaften, nämlich Propositionen, die als Teile ihres Sinns nicht<br />

sich selbst enthalten, sondern ihre eigene formale Beweisbarkeit. Formale<br />

Beweisbarkeit einer Proposition nun (im Falle, die Axiome und Schlußregeln sind<br />

korrekt) impliziert diese Proposition und ist in vielen Fällen mit ihr äquivalent. Des<br />

weiteren existieren zweifellos Sätze, die sich auf eine Totalität von Sätzen beziehen,<br />

zu der sie selbst gehören, wie, z.B., der Satz: „Jeder Satz (einer gegebenen Sprache)<br />

enthält mindestens ein Beziehungswort“.« Kurt Gödel, Russells mathematische<br />

Logik, in: A. N. Withehead, B. Russell, Principia Mathematica, Vorwort und<br />

Einleitungen, Übersetzt von Hans Mokre, Suhrkamp 593, Frankfurt a. M., 1986,<br />

S. XVI f. ◊◊


— 373 —<br />

Wurzeln, die wegen des engeren Zusammenhangs mit der hier<br />

stattfindenden Diskussion auch herangezogen werden soll.<br />

Bolzano widerspricht im § 14 der Paradoxien des Unendlichen der eben<br />

gegebenen Darstellung: Die Wahrheiten an sich »gibt« es nicht auf Grund<br />

der Möglichkeit einer wirklichen Intelligenz; die Bedeutung von »es gibt«<br />

sei unabhängig von möglichen wirklichen Intelligenzen wie von deren<br />

bloßer Möglichkeit. Dieses Argument ist zweimal leibnizianisch zu<br />

interpretieren. Erstens hat das »es gibt« bezüglich der Wahrheiten an sich<br />

zwar seine Bedeutung, weil der göttliche Verstand alle Wahrheiten (wahre<br />

und falsche Sätze an sich) denkt, also auch solche, die kein Mensch bisher<br />

gedacht hat oder auch niemals, sei es aus historischen Gründen oder aus<br />

Gründen der Beschränktheit unserer Vernunft, denken wird. Schließlich ist<br />

aber zweitens zu bedenken, daß es sich in der Arithmetik, Geometrie und<br />

Logik um Wahrheiten handelt, die Leibniz zwar als notwendige<br />

Wahrheiten im göttlichen Verstand ansieht, aber ihren Ursprung gerade<br />

nicht in den göttlichen Verstand verlegt, sondern als diesem, wie also auch<br />

der Schöpfung in Raum und Zeit, vorausgesetzt denkt. Ich denke doch,<br />

daß man Bolzano in diesem Punkt von den ersten zwei Bänden seiner<br />

Wissenschaftslehre aus widersprechen muß: Die Wahrheit an sich<br />

entspricht trotz des aus dem zweiten Punkt möglich scheinenden<br />

Einwandes der Realisation in einem Verstande, hier dem göttlichen<br />

Verstand. Zwar hat Bolzano mit Bayle und Leibniz darin recht, daß der<br />

Grund der Wahrheiten an sich nicht der Grund der Möglichkeit von<br />

wirklichen Intelligenzen ist, in seiner Darstellung doch aber Raum für die<br />

Möglichkeiten zu Mißverständnissen gelassen. Denn zwar ist der Grund<br />

einer Wahrheit an sich mit dem Grund der Möglichkeit von Intelligenzen<br />

nicht gleichzusetzen, doch die Wahrheit ist als solche immer ein Begriff der<br />

Modalität der Affinität von Subjekt und seinem Gegenstand, und setzt als<br />

»Horizont der Begegnung« des Subjekts mit einem entgegenstehenden<br />

Objekt das Subjekt abermals voraus. Es ist also die ganze Überlegung<br />

dahingehend zu präzisieren, daß zwar der sachliche Grund der Wahrheit<br />

an sich nicht in dem Grund der Möglichkeit von Intelligenzen selbst liegen<br />

kann, doch aber der Grund, daß man von dem »es gibt« in Verwendung<br />

auf Wahrheiten an sich sprechen kann, also näher, der Grund für die<br />

Realität der Wahrheiten an sich als Wahrheiten doch immer nur in einer<br />

Intelligenz zu finden ist.


— 374 —<br />

Anhand Bolzanos Untersuchung der Wahrscheinlichkeit (WL II, § 161)<br />

wird deutlich, daß Aussagen über Wahrscheinlichkeiten und Aussagen<br />

über Möglichkeiten sich darin unterscheiden, als daß erstere sich auf<br />

Verhältnisse zwischen Sätze, zweiter aber auf Verhältnisse zwischen<br />

wirklichen Gegenständen bzw. wirklich möglichen und wirklichen<br />

Gegenständen beziehen. Es kann daraus gezeigt werden, daß das<br />

Verhältnis von realen Dingen und subjektiv mit Evidenz Urteilenden auch<br />

bei Bolzano ursprünglich folgendermaßen interpretiert werden kann, daß<br />

mit jedem Ereignis, auch ohne ein aktuell urteilendes Subjekt oder auch<br />

nur dessen Möglichkeit, die Möglichkeit einer Vorstellung und eines<br />

Urteils ontologisch schon von jeher mitgegeben ist. Diese Möglichkeit ist in<br />

einem von Wirkung und Selektion möglicher Wechselwirkung des<br />

Seienden strikt unterschiedenen Sinn, woraus verständlich wird, daß die<br />

bloße Unterscheidung in Reales und Mögliches gegenüber deren<br />

Vereinigung in der aristotelischen Kontingenz nicht ausreichen kann, die<br />

Unterscheidungen des »es gibt« bei Bolzanos zu interpretieren.<br />

Hingegen versucht Brentano in seiner Lehre von der Evidenz den<br />

Unterschied von evidente und wahre Urteile einerseits und bloß wahre,<br />

nur mittelbar evidente Urteile andererseits aufzuklären. Brentano verfährt<br />

in cartesianischer Tradition strikt transzendentalsubjektivistisch.<br />

Möglichkeit im ursprünglichen Sinne aber gehört zur Wirklichkeit des je<br />

individuellen Realen und so auch zur Existenz im Sinne der primären<br />

Intentionalität, die wieder aus dem individuell Realen als Subjektivität<br />

hinausführt. Freilich läßt sich auch mit Brentano nichts anderes sagen, als<br />

daß nunmehr zur Möglichkeit, soweit sie zur Existenz gehört, auch die<br />

Wahrnehmung durch ein vorstellendes und urteilendes Wesen gehört.<br />

Damit ist der eigentliche Fragepunkt Bolzanos aber noch gar nicht berührt,<br />

da Brentano anders als Kant selbst die Realität der beurteilten Dinge von<br />

der Existenz des Vorstellenden und Urteilenden abzuleiten beginnt.<br />

Obwohl Kant die objektive Realität in der Tat anders rechtfertigt als<br />

Brentano, so ist doch zu sagen, daß Kant in der Widerlegung des<br />

Idealismus selbst den Versuch unternimmt, die Objektivität eines<br />

Gegenstandes im Raum allein unter der Voraussetzung der primären<br />

Intentionalität aus dem bloßen Faktum des Selbstbewußtseins abzuleiten.<br />

Bolzano hingegen hält die Wahrheit für die platonische Idee und sowohl<br />

für unabhängig von der Möglichkeit diese subjektiv urteilend mit Evidenz<br />

zu erkennen wie auch für unabhängig von Existenz im Sinne konkreter<br />

und individualer Realität überhaupt. Der Unterschied der Ausdrucksweise


— 375 —<br />

zieht aber einiges nach sich: Für Bolzano ist die Wahrheit an sich; und nur<br />

in diesem Beispiel auch gemeinsam mit der Existenz im Sinne der Realität<br />

als wechselwirkender Wirklichkeit. Für Brentano ist die Wahrheit allein<br />

ein fingiertes Seiendes, welches erst durch die gemeinsame Existenz von<br />

Urteilenden und Vorstellenden und Beurteiltem bzw. Vorgestelltem ist .<br />

❆<br />

Es gibt in transzendentaler Betrachtung aber mindestens zwei Gründe,<br />

weshalb mögliche Elemente einer Menge nicht nur bloß rein intellektuell<br />

als Elemente derselben Menge zueinander in Beziehung gesetzt werden<br />

können: Der eine liegt in der realen Wechselwirkung anstatt in der<br />

Wesensnotwendigkeit, mit der die Prädikate eines Gegenstandes in der<br />

Definition über ein Drittes, dem Wesensbegriff, aufeinander bezogen<br />

werden, der andere in der kontinuierlichen Erzeugung der formalen<br />

Anschauung von Raum und Zeit, anstatt die Teile des Raumes mittels<br />

Identität der Teile mit dem ganzen Raum — also wiederum wesenslogisch<br />

über ein Drittes — in Beziehung zu setzen. 177 Damit sollte die logische<br />

Zufälligkeit des bloßen Anwesens auch unabhängig von der dynamischen<br />

Wechselwirkung in der Kategorie des Commerciums als wirklicher Grund<br />

des Zugleichseins widerlegt werden können: Während die Erscheinungen<br />

im Fluß der empirischen Apperzeption vor dem willentlichen Hinzusetzen<br />

einer Vorstellung zu einer anderen in § 16 keinen anderen Grund als eben<br />

die Willkür unserer spontanen Verstandeshandlung oder die zufällige<br />

Assoziativität sinnlicher Affektationen vor jeder kategorialen Bestimmung<br />

besitzt, wird der bloßen Anwesenheit von »etwas« in der formalen<br />

Anschauung bereits ein raumzeitlich geregelter Horizont konstituiert.<br />

Deren Elemente besitzen also bereits zueinander Relationen, die nicht<br />

allein in der Beliebigkeit der abstrakt festsetzbaren Zuordenbarkeit eines<br />

Elementes zu einer Menge begründet sein können, auch ohne sofort auf<br />

einen dynamischen Realgrund angewiesen zu sein. 178<br />

177 Refl. 4049, AA. XVII, p. 389.<br />

178 In diesem Zusammenhang ist folgende Reflexion bemerkenswert: »Die Einheit der<br />

apprehension ist mit der Einheit der Anschauung Raum und Zeit nothwendig<br />

verbunden, denn ohne diese würde die letztere keine realvorstellung geben. Die<br />

principien der exposition müssen einerseits durch die Gesetze der apprehension<br />

bestimmt seyn, andererseits durch die Einheit des Verstandesvermögens.« (Refl. 4678,<br />

AA XVII, p. 660). Zu den Gesetzen der Apprehension zählt offensichtlich auch die<br />

Bedingung, daß die Einheit der Apprehension mit der Einheit der Anschauung<br />

verbunden sein muß, um eine »Realvorstellung« zu ergeben.


— 376 —<br />

c) Die Affinität als Voraussetzung eines Horizontes der Anschauung<br />

Kant verwendet die Kennzeichnung in nicht durchwegs für Verhältnisse<br />

zwischen logische Begriffe. Im Übergang von der abstrakten Bezogenheit<br />

einer Vorstellung auf einen Gegenstand im Begriff zum Verhältnis von<br />

Begriffen im Urteil wird zur weiteren Bestimmung der logischen Relation<br />

in der prädizierenden Aussage das Quantum des Urteils in eine<br />

intensionale und extensionale Beziehung gebracht, welche eben die oben<br />

getroffene Unterscheidung mittels in und unter gebraucht:<br />

»Da keine Vorstellung unmittelbar auf den Verstand geht, als bloß die<br />

Anschauung, so wird ein Begriff niemals auf einen Gegenstand<br />

unmittelbar, sondern auf irgend eine andere Vorstellung von demselben<br />

(sei es Anschauung oder selbst schon Begriff) bezogen. Das Urteil ist also<br />

die mittelbare Erkenntnis eines Gegenstandes, mithin die Vorstellung einer<br />

Vorstellung desselben. In jedem Urteil ist ein Begriff, der für viele gilt, und<br />

unter diesem Vielen auch gegebene Vorstellung begreift, welche letztere<br />

dann auf den Gegenstand unmittelbar bezogen wird. [...] Alle Urteile sind<br />

demnach Funktionen der Einheit unter unseren Vorstellung, da nämlich<br />

statt einer unmittelbaren Vorstellung eine höhere, die diese und mehrere<br />

unter sich begreift, zur Erkenntnis des Gegenstandes gebraucht, und viel<br />

mögliche Erkenntnisse dadurch in einer zusammengezogen werden.« 179<br />

Die Unterscheidung des Enthaltenseins Freges in der Funktion für Begriffe<br />

(in einem Begriff) und in der Funktion für Begriff und seinem Gegenstand<br />

(unter einem Begriff enthalten) ist hier also unter der Voraussetzung, daß<br />

die Schematen der Synthesis der Vorstellungen (seien sie nun rein oder<br />

sinnlich) den Gegenstand der Anschauung unter den Begriff bekommen,<br />

für die Verwendung der Kennzeichnung in durchaus angezeigt, obgleich<br />

Kant in transzendentaler Einfachheit die Prädikate nur als Merkmal des<br />

Begriffes im Urteil und nicht eigens als Begriff vorstellt, 180 wie es Frege tut.<br />

Im Nachweis der transzendentalen Ästhetik in § 2, daß der Raum kein<br />

Begriff, sondern Anschauungsform eines Gegenstandes sei, ist die<br />

Bedeutung der Kennzeichnung der Relation des Enthaltenseins mit in<br />

allerdings gegenläufig. In der vierten metaphysischen Erörterung des<br />

179 K.r.V., B 93/A 68 (Hervorhebung von mir)<br />

180 Selbstredend ist das weder Kants Auffassung in der reinen noch in der allgemeinen<br />

Logik selbst sondern ist nur im Zusammenhang mit der Erörterung der<br />

tranzendentalen Logik anläßlich der Schwierigkeiten eines Konzepts im Grundurteil<br />

erklärbar.


— 377 —<br />

Raumes ist diesbezüglich nachzulesen: 181 »Nun muß man zwar einen jeden<br />

Begriff als eine Vorstellung denken, die in einer unendlichen Menge von<br />

verschiedenen möglichen Vorstellungen (als ihr gemeinschaftliches<br />

Merkmal) enthalten ist, mithin diese unter sich enthält; aber kein Begriff,<br />

als ein solcher, kann so gedacht werden, als ob er eine unendliche Menge<br />

von Vorstellungen in sich enthielte. Gleichwohl wird der Raum so gedacht<br />

(denn alle Teile des Raumes ins unendliche sind zugleich). Also ist die<br />

ursprüngliche Vorstellung vom Raume Anschauung a priori, und nicht<br />

Begriff .« 182<br />

Hier wird im ersten Schritt der Begriff als Vorstellung seiner Merkmale<br />

aufgefaßt — also bereits als Vorstellung, die Anschauung enthält, und als<br />

solche in einer Menge von verschiedenen möglichen Vorstellungen<br />

enthalten ist. Das geht daraus hervor, daß Kant gleich von einer<br />

womöglich unendlichen Menge verschiedener möglicher Vorstellungen<br />

spricht. Dennoch ist das Enthaltensein der Vorstellungen der Merkmale in<br />

der unendlichen Menge möglicher Vorstellungen nach dem Vorbild des<br />

Enthaltenseins von einem Begriff in einem anderen gedacht, da eigentlich<br />

nicht gemeint ist, daß die Merkmalsvorstellungen in einer Menge anderer<br />

Vorstellungen einfach enthalten sind, sondern die Merkmalsvorstellung<br />

(sei sie nun selbst auch noch komplex) jeweils als Teilvorstellung der<br />

verschiedenen möglichen Vorstellungen in jeder von ihnen (als ihr<br />

gemeinschaftliches Merkmal) enthalten ist. Im zweiten Schritt werden<br />

zuerst die möglichen Vorstellungen der Merkmale (als Prädikate) noch wie<br />

die Gegenstände unter die Einheit des Begriffes gebracht, insofern die<br />

Anschauung enthaltenden Vorstellungen Produkte der unter den Begriff<br />

gebrachten Einbildungskraft sind. Anschließend wird im dritten Schritt<br />

aber nicht das Enthaltensein eines Begriffes in einem anderen wie in der<br />

allgemeinen Logik oder das Enthaltensein einer Vorstellung als jeweilige<br />

Teilvorstellung in anderen Vorstellungen, sondern das Enthaltensein<br />

unendlich vieler Vorstellungen in einer Vorstellung als Kennzeichnung der<br />

Anschauung gedacht. Der eigentliche Unterscheidungsgrund liegt also im<br />

Quantum: es ist denkbar, daß eine endliche Menge von Vorstellungen in<br />

einem Begriff als seine Merkmale enthalten sind, mit welchen diejenigen<br />

unendlich vielen Vorstellungen, die die möglichen Anschauungen der<br />

Gegenstände einer Gattung enthalten, unter dem Begriff gebracht werden,<br />

181 Das eine unendliche Größe als gegebene Größe nur gedacht, aber nicht selbst als<br />

gegeben werden kann, ist hier nicht der Fragepunkt.<br />

182 K.r.V., B 39 f./A 25 f.


— 378 —<br />

in welchem die Merkmalsvorstellungen enthalten sind. Sollen aber<br />

unendlich viel Vorstellungen in einer Vorstellung enthalten sein, dann sei<br />

diese Vorstellung kein Begriff, sondern Anschauung. Kant hat aber nicht<br />

bedacht, daß die unendlich vielen Vorstellungen, die in der Vorstellung<br />

der Anschauung enthalten sind, nicht dem Enthaltensein der Merkmale in<br />

ihrem Begriff, sondern dem Enthaltensein der Gegenstände unter einem<br />

Begriff entsprechen. Er übersieht also, daß weder unendlich viele<br />

Vorstellungen individueller Gegenstände unter einen Begriff enthalten<br />

sind, sondern nur bestimmte Vorstellungen (als Anschauung enthaltend)<br />

womöglich unendlich viele Gegenstände betreffen könnten; noch daß der<br />

Raum (hier als bloße Vorstellung von Anschauung überhaupt) unendlich<br />

viele Vorstellungen (also unendlich viele qualitative Merkmale respektive<br />

ihre Abschattungen) enthält. 183 Richtig wäre es allerdings, den Begriff vom<br />

objektiven (noch nicht im vollen Sinn realen) Raume von einem Begriff<br />

eines Gegenstandes darin zu unterscheiden, daß die Unterschiede<br />

zwischen Gattungsbegriff und Artbegriff, und zwischen diesem und dem<br />

Individualbegriff im letzten Falle spezifische Differenzen ausbildet, im<br />

ersten Falle aber nicht. Dieses der Kantschen Argumentationsstruktur im<br />

logischen Verhältnis von Vorstellungen immanentes Element kann nicht<br />

durch die Kritik des Teilbegriffes als Merkmal der Vorstellung des ganzen<br />

Gegenstandes hintergangen werden.<br />

d) Die Struktur der Affinität als Vorausetzung des Horizontes von<br />

Existenz<br />

Abermals anders wird das gleiche formale Argument (die Unterscheidung<br />

in in und unter) im schon bekannten Abschnitt »Vom transzendentalen<br />

Ideale« gebraucht: »Also ist der transzendentale Obersatz der<br />

durchgängigen Bestimmung aller Dinge nichts anderes, als die Vorstellung<br />

des Inbegriffs aller Realität, nicht bloß ein Begriff, der alle Prädikate ihrem<br />

transzendentalen Inhalte nach unter sich, sondern der sie in sich begreift,<br />

und die durchgängige Bestimmung eines Dinges beruht auf der<br />

Einschränkung dieses All der Realität, indem Einiges derselben dem Ding<br />

beigelegt, das übrige aber ausgeschlossen wird, welches mit dem<br />

Entweder und Oder des disjunktiven Obersatzes und der Bestimmung des<br />

183 Vgl. Grund und Ganzes, I, b: Dort wird gezeigt, unter welchen Bedingungen eine<br />

Vorstellungen sich nicht von ihrem Gegenstand unterscheidet: divisio logica und<br />

Prädikate des Raumes, Prädikate eines Gegenstandes.


— 379 —<br />

Gegenstandes, durch eins der Glieder dieser Teilung im Untersatze,<br />

übereinkommt.« 184 Während die Vorstellung als Anschauung enthaltend<br />

zur Fundierung der Objektivität des Raumes (bei Kant allerdings<br />

geometrisch auch gleich mit der Dreidimensionalität so gut wie schon<br />

mitgegeben) das Ding an sich, das der Anschauung zugrundeliegt,<br />

intellektuell als notwendige Voraussetzung immer schon aus der ersten<br />

metaphysischen Erörterung des Raumes mitbringt, 185 auch ohne deshalb<br />

zuvor formale oder auch reine Anschauung vom Objekt der Erfahrung zu<br />

benötigen, welches als eigenes Merkmal die Verwendung von »unter«<br />

gestatten würde, ist im zuletzt gegebenen Zitat von Anschauung oder von<br />

etwas außer sich nicht die Rede: Nicht der Begriff, der alle Prädikate ihrem<br />

transzendentalen Inhalte nach unter sich hat, wird in der<br />

Anschauungsform gedacht, sondern nur derjenige Begriff, der alle<br />

Merkmale des von den Dingen schon abgesondert gedachten Raumes in<br />

sich vereinigt. Hier nun aber ist ausgehend vom Begriff des Gegenstandes<br />

vom Inbegriff der Realität die Rede. 186 Während anhand § 12 gerade die<br />

Frage aufgeworfen wurde, wie aus einer Menge von Prädikaten der Begriff<br />

von einem Objekt werden könnte, und sei ihr Zusammenhang<br />

untereinander auch nur deshalb gesetzmäßig, da die Beziehung der<br />

Prädikate (Merkmale und Folgen) auf den Begriff ein und der selben<br />

Bedingung (der Rückführbarkeit) unterworfen ist, wird im Ideal der reinen<br />

Vernunft die Bedingung gesucht, welche die wesensnotwendigen<br />

Prädikate (Merkmale) im Begriff von einem einzelnen Gegenstand von<br />

anderen möglichen Prädikaten dieses Dinges unterscheidet. In § 12 geht es<br />

nur um die Einheit des Begriffsinhaltes, im Ideal der reinen Vernunft ist<br />

hingegen die Beziehung des wesentlichen Merkmals als Prädikat des<br />

Gegenstands des Begriffes und als wesenslogischer Grund der Einheit<br />

eines jeden Begriffes desselben Gegenstandes explizite vorausgesetzt. 187<br />

Der Inbegriff der Realität im transzendentalen Obersatz geht über den<br />

Begriff von einem e i n z e l n e n Gegenstand aber hinaus: Dann ist das<br />

184 K.r.V. B 605, Hervh. von mir<br />

185 Und zwar nicht nur intellektuell sondern auch empirisch a priori: Vgl. hiezu die<br />

Untersuchung der Ersten metaphysischen Erörterung des Raumes in »Grund und<br />

Ganzes«<br />

186 HEINRICH 1986: p. 88, Existentialurteile sind synthethisch - die logische Struktur von<br />

Existentialurteile ist verschieden von der logischen Struktur der Urteile über den<br />

Begriffsinhalt; p. 90, Vaihinger: Aufhebung des Raumes widerspricht sich nicht<br />

(Notiz Kants in seinem Handexemplar der K. r. V.) - die logische Struktur von<br />

Raumurteile ist insofern gleich der logischen Struktur der Urteile über den<br />

Begriffsinhalt.<br />

187 Vgl. die Funktion des Teilbegriffes als Erkenntnisgrungd der ganzen Vorstellung. ◊◊


— 380 —<br />

Kriterium der Zugehörigkeit eines Merkmals zum Begriff nicht mehr die<br />

der qualitativen Einheit als Einheit eines Begriffes von einem in der<br />

Erfahrung gebbaren Objektes, noch die Wesensnotwendigkeit des<br />

Prädikates für den Begriff des Gegenstandes, sondern wiederum nichts<br />

anderes als diejenige vermeintliche Ganzheit der Allheit aller möglichen<br />

Prädikate, welche gegenüber der Totalität aller Prädikate das Prädikat, das<br />

Existenz bejahend aussagt, enthalten muß, wie es zuvor schon das<br />

disjunktiv vorgehende erste Prinzip der durchgängigen Bestimmung eines<br />

Dinges mittels Prädikate verlangt: »Es ist aber auch durch diesen Allbesitz<br />

der Realität [als Bestimmung des omnitudo realtatis] der Begriff eines<br />

Dinges an sich selbst, als durchgängig bestimmt, vorgestellt, und der<br />

Begriff eines entis realissimi ist der Begriff von einem einzelnen Wesen,<br />

weil von allen möglichen entgegengesetzten Prädikaten eines, nämlich das,<br />

was zum Sein schlechthin gehört, in seiner Bestimmung angetroffen<br />

wird.« 188 Das, »was zum Sein schlechthin gehört«, ist aber die Existenz,<br />

weshalb die Definition der Allheit der Prädikate eines Dinges als<br />

Einschränkung der Totalität der Prädikate ersetzt werden kann durch die<br />

ontologische Identität von Ding und Existenz. Die Definition der Allheit<br />

der Prädikate hat bekanntlich den Fehler, daß die freilich notwendige<br />

Beziehung der Prädikate auf etwas, schließlich auf ein Ding, von Kant<br />

diskussionslos auf ein einzelnes konkretes Ding gewendet wird, während<br />

doch eine Vielheit der Dinge die Bedingung der Prädikate, auf etwas<br />

beziehbar zu sein, ebensogut erfüllt. 189<br />

Das erste logische Kriterium der durchgängigen Bestimmung eines Dinges<br />

soll insofern durchaus noch eine diskriminierende Funktion besitzen, da es<br />

nicht selbstverständlich ist, daß die Totalität des Realen (hier gleich ob<br />

extensiv als omnitudo realitatis oder intensional als ens realissimum ) die<br />

Totalität aller möglichen Prädikate überhaupt ausschöpft, sondern die<br />

Totalität aller möglichen Prädikate überhaupt allererst nur durch das<br />

Existenzprädikat in Reales und Mögliches geteilt wird. 190 Es stellt sich von<br />

hier aus die Frage: ist dazu aber das Konzept des Dinges überhaupt noch<br />

erforderlich? — Die Menge der möglichen Prädikate überhaupt reicht für<br />

sich jedenfalls nicht zur Weiterbestimmung des Begriffes der Relation des<br />

188 K.r.V., B 603/A 575<br />

189 Vgl. dazu etwa Robert Zimmermann, Anthroposophie im Umriss. Entwurf eines<br />

Systems idealer Welt- ansicht auf realistischer Grundlage, Wien 1882, §§ 270-274<br />

190 Zitat aus transzendentalen Ideal: Die zwei Fassungen der Einteilung der möglichen<br />

und wirklichen Prädikate (B 599 ff.).


— 381 —<br />

Enthaltenseins aus, 191 sondern muß zuerst eingeteilt werden. 192 Die Frage,<br />

inwieweit zu dieser Einteilung ein Begriff vom Ding schon kanonisiert<br />

worden sein muß, führt neben der Unterscheidung in der Frage, ob ein<br />

Prädikat sich auf eines oder auf viele Dinge bezieht, bzw. ob viele<br />

Prädikate sich auf ein oder auf mehrere (viele) Dinge beziehen, noch zu<br />

einer dritten Möglichkeit der Interpretation der Beziehung eines<br />

Prädikates auf etwas: nämlich die Beziehung eines Prädikates nur auf ein<br />

Element der Sphäre der Vielheit (oder auch der ursprünglichen Totalität)<br />

bezogen. Daraus folgt von selbst mindest eine weitere Möglichkeit:<br />

Prädikate, die sich auf die Vielheit (auch als jeweilige Totalität) als Ganzes<br />

charakterisierend beziehen. Daraus wieder: Prädikate bloß als Titel einer<br />

Mannigfaltigkeit, die allerdings als Zusammenfassendes charakterisierbar<br />

sein muß. Dieser oder ein ähnlicher als Inbegriff der Realität vorgestellter<br />

Begriff vom ens realissimum soll hier offenbar noch ungeteilt (die<br />

intensionale Fassung des nicht-ausschließendes »oder«) das Urbild und<br />

wohl zugleich das Substrat der konkreten und individuellen Realität sein,<br />

bevor die unmittelbare Selbstkritik Kantens das transzendentale Ideal<br />

(prototypon transcendentale als ens realissimum und ens originarium)<br />

endgültig vom »transzendentalen Obersatz« (der Inbegriff möglicher<br />

Prädikate) unterscheidet. Das scheint intellektuell auch die Vorausetzung<br />

zu sein, daß von einem prädikatisierbaren Ding in kategorialer Hinsicht<br />

desweiteren überhaupt die Rede sein kann (ectypa).<br />

Es bleibt festzuhalten, daß Kant sowohl Anschauungsverhältnisse wie das<br />

Verhältnis der Prädikate als Begiffe des transzendentalen Inhalts durch die<br />

Kennzeichnung des Enthaltenseins mit in indiziert; gemeinsam ist ihnen<br />

ein System vorgängiger Einschränkungen eines totums , auch wenn im<br />

»prototypon transcendentale« das System der Einschränkung nur erwähnt<br />

aber nicht auf die Allheit (eigentlich Vielheit) der möglichen Prädikate<br />

191 Die erste logische Regel des Prinzips der durchgängigen Bestimmung eines Dinges<br />

benötigt wie die bloße synthetische Einheit des Mannigfaltigen als primitive Regel<br />

des Enthaltenseins mittels Identität (Sich-decken) eine vorgängige Einschränkung<br />

des totums .; hier in § 11.<br />

192 Vgl. ImreThot, Von Wien bis Temesvar: Johann Bolyais Weg zur nichteuklidischen<br />

Revolution, in: in: Verdrängter Humanismus - Verzögerte Aufklärung, Bd. 3,<br />

Philosophie in Österreich 1820 - 1880: Bildung und Einbildung, Vom verfehlten<br />

Bürgerlichen zum Liberalismus, Michael Benedikt, R. Knoll (Hg.), Ruppitz (Mithg.),<br />

Klausen-Leopoldsdorf-Ludwigsburg-Klausenburg, Etidura Triade 1995, p. 419 ff..<br />

Aristoteles: Der Punkt, der eine Linie teilt, und anschließen ein Doppelpunkt ist (je<br />

Linien-abschnitt ein Punkt). Diese Teilung stellt den Blick in die Fluchtlinie der<br />

geometrischen Linie; der Doppelpunkt ist gleichsam der Punkt von Rückblick und<br />

Vorblick.


— 382 —<br />

angewendet wird. Die Definition der Einschränkung der Vielheit auf die<br />

Allheit aller möglichen Prädikate eines Dinges hat hier einen eigenen<br />

Ursprung: eben die oben angeführte Ineinssetzung von Existenz und Ding<br />

der Möglichkeit nach. Das ist aber keine einfach fortgehende<br />

Einschränkung eines vorgängigen Totums, sondern setzt für das Konzept<br />

(Begriff) eines Dings nur mögliche Existenz, für die Existenz ein Ding, das<br />

aber eben unbedingt, voraus. 193<br />

Diese Assymmetrie hat zur Folge, daß das Konzept eines universiellen<br />

Dinges unter Druck kommt, einen Begriff als Definition des universiellen<br />

Dinges, das eben nicht sofort das Ding an sich ist, zu geben, und der<br />

verschieden ist von der Menge zuschreibbarer Prädikate und den<br />

Verfahren aktueller oder überhaupt bloß giltiger Zuschreibung derselben.<br />

Der Definitionsnotstand hinsichtlich eines eigenen Begriffes vom Ding<br />

führt weiter zur Frage nach dem eigentlichen Begriff vom Objekt (nicht als<br />

Titel aller Merkmale) in § 12 und schließlich zur reinen Kategorie der<br />

Substanz, also zu einer rein grammatikalischen und formal fassbaren<br />

Definition. Das aber führt nur zum transzendentalen Objekt = X ganz ohne<br />

jede prädikative Bestimmbarkeit und somit erst zum Ding an sich. Diese<br />

topologische Definition des Substrats vermag zwar weder das Konzept des<br />

durchgängig bestimmbaren Dinges noch das Konzept des von einer Idee<br />

durchgängig bestimmten Begriffes (Begriff vom einzelnen Gegenstand) zu<br />

befriedigen, jedoch zeigt sich daran auch analytisch die Notwendigkeit des<br />

Konzeptes eines prädikatisierbaren Dinges im Gang der Untersuchung,<br />

und sei es nur, die Einschränkung der Vielheit der Prädikate<br />

zustandezubringen, die der Teilung der Menge der Prädikate eines Dinges<br />

gemäß dem Existenzprädikat vorausgesetzt ist. — Daß zuvor oder<br />

unabhängig davon die Frage entschieden sein muß, ob ein bestimmtes<br />

Prädikat nur einem oder vielen Dingen zukommen kann, und warum in<br />

der Fragestellung nach dem Etwas eines Prädikates die intensionale<br />

Fassung der extensionalen Fassung der Logik vorgezogen werden muß,<br />

193 Vgl. »Von den Beweisgründen der spekulativen Vernunft, auf das Dasein eines<br />

höchsten Wesens zu schließen« (B 611 ff./A 583 ff.). Dort wird noch versucht,<br />

kritisch die absolute Notwendigkeit der obersten Ursache im Verhältnis zum<br />

Allerrealsten zu argumentieren. Hier wird von mir schon vorweggenommen, daß<br />

für uns nur das kontingente Dasein als Ausgangspunkt einer solchen Spekulation in<br />

Frage kommt, sodaß die Idee von der absoluten Notwendigkeit transzendental in<br />

Abhängigkeit von einer bedingten Existenz kommt. Komplementär erhält a fortiori<br />

die bedingte Existenz nur mittels durchgängiger Determination durch die als<br />

wirklich gesetzte obersten Ursache selbst als Zufall die modal gleichzubewertende<br />

Notwendigkeit zugesprochen.


— 383 —<br />

hat Kant nicht ausreichend explizit dargestellt, obgleich für letzteres<br />

genügend Hinweise verstreut aufzufinden sind. Die Untersuchung der<br />

Ersetzung des wesenslogischen Prädikates durch das Existenzprädikate<br />

verläßt also nicht von selbst notwendigerweise die intensionale Logik und<br />

folgt insofern der Definition des Enthaltenseins gemäß dem Partikel »in«.<br />

Die Vorstellung, daß alle möglichen Prädikate überhaupt einen<br />

transzendentalen Inhalt besitzen müssen, weil sie nach dem Prinzip der<br />

durchgängigen Bestimmbarkeit eines Dinges zu möglichen Prädikaten<br />

eines und nur eines Dinges (einzelnen Wesens) erklärt worden sind, ist<br />

nach der Darstellung des »Inbegriffs« als gegliederte Disjunktion im<br />

ausschließendem »oder« des transzendentalen Obersatzes 194 nicht aufrecht<br />

zu erhalten: Die starke ausschließende Interpretation der Disjunktion nach<br />

Entweder und Oder verbietet jede Spekulation, die bloße Denkmöglichkeit<br />

(d. h. hier dann schon auch gleich jede bloß gedachte Realmöglichkeit)<br />

ohne der Möglichkeit einer ursprünglich kontingenten Assertion<br />

apodiktisch zu behaupten. — Eine Aufhebung der starken Interpretation<br />

widerspräche auch dem zweiten Kriterium des Ideals der reinen Vernunft,<br />

das Prädikate, die neben einander nicht stehen können, ausschließt. Dieser<br />

Widerspruch wäre nur damit zu beheben, wenn die Realität, die im<br />

Inbegriff der Realität als Übereinstimmung des All der Realität mit der<br />

Allheit aller möglichen Prädikate eines Dinges begriffen werden sollte,<br />

eine andere Bedeutung besitzt, als die vom Ding dem Begriff von einem<br />

einzelnen Gegenstand vorausgesetzte Existenz. Genau das scheint aber<br />

von der Differenz der eingangs zitierten Erklärung des transzendentalen<br />

Obersatzes zum Inbegriff der Realität als Vertretung des ens realissmum ,<br />

welcher erst eingeteilt werden muß, zur Unterscheidbarkeit von omnitudo<br />

realitatis und ens realissimum in der Definition des Begriffs von einem<br />

einzelnen Wesen (der erste und zweite logische Bedingung des Prinzips<br />

der durchgängigen Bestimmung — also Allheit und Allgemeinheit — zu<br />

vereinbaren scheint) angezeigt zu sein.<br />

Ich komme also nochmals auf die Fassung zurück, wonach die omnitudo<br />

realitatis als die Allheit möglicher Prädikate eines Dinges zu gelten hat,<br />

dabei aber immer noch ein Rest an Unklarheit geblieben ist, ob damit die<br />

verlangte Einteilung der Sphäre aller möglichen Prädikate eines Dinges<br />

194 Als alternative Argumentationen im »Ganzen der möglichen Erkenntnis«, vgl. § 9<br />

und § 11 der metaphyischen Deduktion. Nicht mehr sagt bekanntlich der<br />

»transzendentale Obersatz« im disjunktiven Urteil des transzendentalen Ideals aus.


— 384 —<br />

nach dem Existenzprädikat der Charakterisierung der Allheit möglicher<br />

Prädikate eines Dinges vorangeht oder nachfolgt. So sollen die Begriffe der<br />

entscheidenden Opposition im Felde der logischen Analogien des<br />

transzendentalen Ideals nochmals dargestellt werden:<br />

a) omnitudo realitatis versammelt alle möglichen Prädikate entweder eines<br />

existierenden Dinges oder aller möglichen Dinge (ectypa ), worauf die<br />

Menge aller möglichen Prädikate überhaupt (Vielheit) zu beziehen<br />

genügen würde, eine kategoriale Definition der Allheit zu erhalten.<br />

b) Das ens realissimum ist hingegen bei Kant erst dann eindeutig die Idee<br />

eines Substrats des Begriffs von einem einzelnen Gegenstand, wenn die<br />

Allheit der möglichen Prädikate eines Dinges durch das Existenzprädikat<br />

in zwei entgegengesetzte Sphären geteilt werden kann. Diese Teilung ist<br />

eine kategoriale Bedingung der Wahrheit, setzt hier aber eine ontologische<br />

Implikation (die Existenz) und eine logische Bedingung (das<br />

Existenzprädikat als möglicher Einteilungsgrund) voraus. Letzteres hat zur<br />

Folge, daß die Prädikate die phänomenologische Charakteristik erhalten,<br />

daß sie in entgegengesetzten Termen ausgedrückt werden können (kalt,<br />

warm, hell, dunkel etc.), um das Existenzprädikat als Einteilungsgrund<br />

empirisch anwenden zu können. — Der Begriff von einem einzelnen<br />

Gegenstand im Ideal der reinen Vernunft setzt als Wesenslogik hingegen<br />

nur die R e a l m ö g l i c h k e i t voraus; erst die Vereinigung von<br />

Wesenslogik und Modallogik anhand des Existenzprädikats gibt die<br />

Notwendigkeit, auch für einen eingegrenzten Seinsbezirk die Einzelheit<br />

notwendig als konkret und individuell zu denken.<br />

Im transzendentalen Ideal, das als Bestimmung des Begriffs vom einzelnen<br />

Wesen dem Ideal der reinen Vernunft nachfolgt, geht es auch um die<br />

Zusammensetzung der logischen Regeln der Durchbestimmung zwischen<br />

Merkmalslehre und Urteilslehre; nicht nur Zusammensetzung zweier<br />

gleichursprünglicher Horizonte des Zusammenhangs von Existenz und<br />

Ding: 1. direkt intensional im Vergleich der Begriffe an ihrer Möglichkeit,<br />

2. indirekt extensional in der Bestimmung der Sphäre möglicher Prädikate<br />

eines Dinges.<br />

Aber im Ideal der reinen Vernunft (dem Begriff vom einzelnen<br />

Gegenstand) wird direkt intensional Ding und Existenz in eins gedacht.<br />

Wo noch das wesenslogisch entscheidende Merkmal des Gegenstands<br />

gesucht wird, indem alle aus Prädikate abgeleiteten Prädikate


— 385 —<br />

ausgeschieden werden, kann keine kontinuierliche Beziehung in der<br />

Menge der möglichen Prädikate eines Dinges hergestellt werden. Hier sind<br />

die Definitionen des omnitudo realitatis und des prototypon<br />

transcendentale genau zu beachten, um meine Darstellung nachvollziehen<br />

zu können: a) »Wenn also der durchgängigen Bestimmung in unserer<br />

Vernunft ein transzendentales Substratum zum Grunde gelegt wird,<br />

welches gleichsam den ganzen Vorrat des Stoffes, daher a l l e<br />

m ö g l i c h e P r ä d i k a t e d e r D i n g e genommen werden können,<br />

enthält, so ist dieses Substratum nichts anderes, als die Idee von einem All<br />

der Realität (omnitudo realitatis)«; 195 (also sowohl für ein Ding wie für eine<br />

Vielheit der Dinge, wie von mir behauptet).<br />

b) »Das Ideal ist ihr also das Urbild (Prototypon) aller Dinge, welche<br />

insgesamt, als mangelhafte Kopien (ectypa), den Stoff ihrer Möglichkeit<br />

daher nehmen [...]«. 196<br />

Die Gleichsetzung der Begriffsverwendung des »Stoffes« in der Definition<br />

des omnitudo realitas und in der Definition des prototypon transcendentale<br />

wird von mir als Aufhebung des principium contradictionis im<br />

disjunktiven Urteil kritisiert: Der Stoff, worauf sich die ectypa als<br />

mangelhafte Kopien ihre Möglichkeit beziehen, ist das Urbild (prototypon<br />

transcendentale), und ist der Versuch einer Materialisation der Idee der<br />

reinen Vernunft (Begriff vom einzelnen Gegenstand). Der Stoff, woher alle<br />

möglichen Prädikate der Dinge genommen werden, ist allerdings die<br />

Sinnlichkeit (oder auch Erfahrung); insofern die bloß gedachte Totalität<br />

des inneren Sinnes als transzendentale Materie. Das entspricht durchaus<br />

der schon öfters kritisierten Neigung, Anschauungstotalität und<br />

Gegenstandstotalität räumig ineinanderfallen zu lassen, jedoch gibt es von<br />

Seiten der möglichen Definitionen der »transzendentalen Materie« keinen<br />

zureichenden Grund, Identität mit dem Substanzbegriff, den Begriff vom<br />

Ding, oder dem Begriff von einzelnen Gegenstand (noch weniger mit dem<br />

Begriff vom einzelnen Wesen) mit Notwendigkeit zu fordern. Und: Nur<br />

anhand der Sinnlichkeit kann die Kontinuitätsbedingung in der Erfahrung<br />

gegeben werden; die durchgängige Bestimmung eines Begriffes aus der<br />

Idee bleibt eine subjektive Vernunftidee. Hingegen ist der Stoff, von dem<br />

im Verhältnis von prototypon transcendentale und ectypa die Rede ist,<br />

von einer Amphibolie dieserart unberührt und bezeichnet ursprünglich<br />

195 K. r. V., B 603/A 575<br />

196 B 606/A 579


— 386 —<br />

die Idee des Begriffes vom einzelnen Gegenstand. 197 — Offenbar ist hier die<br />

Verwendung des Begriffes »Stoff« nicht nur nicht deckungsgleich<br />

(verschieden) sondern auch noch disparat. Diesen ausgezeichneten Topos<br />

der philosophischen Reflexion des Substanzbegriffes hat Robert<br />

Zimmermann schön markiert, indem er in seiner Ideenlehre jeder Idee<br />

einen eigenen »Positivimus« als pragmatischen Kanon einer<br />

Erkenntnislehre zugesprochen hat. 198 Was unter der Charakterisierung der<br />

Bestimmung eines Begriffes durch eine Idee als Durchgängigkeit<br />

methodisch zu verstehen sein soll, wird damit aber nur undeutlicher.<br />

Unter der Voraussetzung eines Wesensbegriffs (der offenbar auch das<br />

Existenzprädikat sein kann) geht es nicht mehr um die Durchbestimmung<br />

der Menge aller möglichen Prädikate, sondern es kann nur mehr die<br />

Durchbestimmung der Methode gemeint sein, eine allgemeine Regel zu<br />

bestimmen. Diese hat als Teilungsgrund der schon zur Allheit<br />

eingeschränkten Vielheit der Prädikate 1. weil auf ein Ding bezogen, 2.<br />

weil durch Existenzprädikat die Menge der möglichen Prädikate geteilt,<br />

einen logischen und einen transzendentalen Aspekt.<br />

Die Durchgängigkeit der Bestimmung als Prinzip selbst wäre mit der<br />

omnitudo realitatis als Kontinuitätsprinzip demnach zweifach zu<br />

interpretieren: Zuerst, wie Kant will, als Allheit der Prädikate bereits auf<br />

ein einzelnes Ding bezogen, woraus mittels des Begriffs von einem<br />

einzelnen Wesen die Vorstellung eines entis realissimum zu entpringen<br />

scheint. Dann aber ist hier noch als alternative Möglichkeit der<br />

Interpretierbarkeit der omnitudo realitatis bereits aufgefallen, daß die<br />

notwendige Beziehung von Prädikaten auf etwas außer sich nicht<br />

notwendigerweise als in einem Substrat vereinigbar gedacht werden muß.<br />

Das ist eine entscheidende Alternative in der Definitionsmöglichkeit, die<br />

für die Charakteristik des Inbegriffes der Realität ihre Folgen hat:<br />

1. Der I n b e g r i f f der Realität als Menge aller Dinge (ectypa) und als<br />

Menge aller Prädikate eines Dinges (nach Kant: omnitudo realitatis) ist<br />

aber zweimal ursprünglicher als V i e l h e i t gefordert: Erstens immer<br />

schon gemäß der Einheit des Raumes, und zweitens gemäß der notwendig<br />

gesetzen ursächlichen Beziehung auf das prototypon transcendentale als<br />

exzentrische Vorform der theologischen Idee, als ob die Vielheit im<br />

197 Eine — wenn auch äußerliche — Verwandtschaft zur platonischen Idee als mit<br />

dynamis und energeia begabt, ist unverkennbar.<br />

198 Zimmermann Allgemeine Aesthetik als Formwissenschaft, Wien 1865, ab § 181, § 366


— 387 —<br />

Progressus grundsätzlich Angelegenheit einer einzelnen analytisch im<br />

Regressus gefundenen ersten Ursache sein könnte. Weder diese noch jene<br />

ist aber im omnitudo realitatis trotz der mit Existenz verbundenen<br />

räumlichen und zeitlichen Aspekte mit analytischer Notwendigkeit<br />

enthalten.<br />

2. Der I n b e g r i f f der Realität als der transzendente Gebrauch des<br />

Begriffes vom einzelnen Gegenstand im Begriff vom einzelnen Wesen<br />

(ens realissimus) aber koordiniert keinerlei Prädikate, sondern bezieht sich<br />

in einer rein ontologischen Untersuchung letztlich allein auf das<br />

Existenzprädikat. 199 Ens realissimum ist also tauglich als Mittelbegriff<br />

zwischen der reinen Kategorie (grammatikalische Substanzdefinition),<br />

dem Ideal der reinen Vernunft als Begriff vom einzelnen Gegenstand, dem<br />

transzendentalen Ideal als prototypon transcendentale (ens originarium) und<br />

der theologischen Idee (als Idee des allerhöchsten Wesens). Die Frage ist,<br />

behandelt man das prototypon transcendentale als theologische Idee oder als<br />

transzendente Idee 200 weiter, die modallogisch als von jedem existierenden<br />

Ding erfüllbar zu denken ist, dessen wesentliches Prädikat bekannt ist. Es<br />

gibt demnach drei verschiedene Bedingungen für das Enthaltensein des<br />

Existenzprädikates im Begriff: Einmal als Sichdecken im Begriff von<br />

Existenz selbst im Dasein als reines Bewußtsein (a) und einmal als<br />

Existenzprädikat in der qualifizierten Menge von Prädikaten, die<br />

qualitative Merkmale vom Ding aussagen, und zwar so, das wenn sie nicht<br />

das eine Prädikat dieser Qualität, dann doch sein genaues (oppositionelles)<br />

Gegenteil aussagen (aber nicht einfach die Qualität überhaupt verneinen<br />

müssen) (b) und schließlich im transzendenten Gebrauch des Begriffs von<br />

einem einzelnen Gegenstand als Ideal (c). — Der transzendentale<br />

Gebrauch des Existenzprädikates bezieht sich aber auf unsere geordneten<br />

und geprüften Vorstellungen von einem Objekt der Erfahrung und nicht<br />

auf deren Gegenstand als Ding oder als Ding an sich und ist aquipollent<br />

mit dem Begriff »Wahrheit« — .<br />

Die mit Frege herausgearbeitete Kennzeichnung der Relationsverhältnisse<br />

von Begriff und seinem Gegenstand kann mit dem Abschnitt von §§ 10-16<br />

199 Vgl.: »Weil ein solches Wesen also das realste unter allen möglichen ist, indem so gar<br />

alle anderen nur durch dasselbe möglich sein, so ist dieses nicht so zu verstehen, daß<br />

alle mögliche Realität zu seinen Bestimmungen gehöre. Dieses ist eine Vermengung<br />

der Begriffe, die bis dahin ungemein geherrscht hat.« (Beweisgrund Gottes, A 34 f.)<br />

200 K. r. V., B 598


— 388 —<br />

der Deduktion insofern übereingestimmt werden, weil die Kennzeichnung<br />

des Enthaltenseins eines Begriffes in einem anderen durch Frege den<br />

dortigen Ausführungen von Kant nicht widerspricht, sondern von Kant<br />

für das logische Verhältnis von Vorstellungen, Merkmale und Prädikate<br />

des Begriffs zu diesem selbst herangezogen wird. Der Gebrauch der<br />

Kennzeichnung in für diese Vorstellungsverhältnisse erfährt aber sowohl<br />

im Abschnitt der transzendentalen Ästhetik wie im Abschnitt des<br />

transzendentalen Ideals eine radikale Umkehrung: Einerseits wird mit<br />

in nunmehr das Verhältnis zwischen Vorstellungen untereinander, die<br />

Anschauung enthalten, und zur Vorstellung der ursprünglichen Einheit<br />

des Bewußtseins gekennzeichnet, andererseits wird damit eine notwendige<br />

Beziehung aller möglichen Prädikate überhaupt (allerdings bereits als »alle<br />

möglichen Prädikate aller Dinge«) auf den »Inbegriff aller Realität«<br />

charakterisiert, bevor entschieden wird, welches der jeweils<br />

entgegengesetzten Prädikate dem bejahenden Existenzprädikat zugrunde<br />

liegt. Die Kennzeichnung einer Relation des Enthaltenseins mit unter wird<br />

jedoch von Kant für die transzendentale Subsumtion reserviert.


— 389 —<br />

3. Logische und transzendentale Subsumtion<br />

§ 14<br />

Die Möglichkeit der Geltung einer abstrakten Relation des Enthaltenseins<br />

selbst ist aber eben auch nicht auf das bloße Enthaltensein von<br />

Erscheinungen in unserem Bewußtsein bzw. der Begleitung der<br />

Erscheinung mit Bewußtsein zurückzuführen, sondern bleibt allen<br />

möglichen Interpretationen gegenüber abstrakt. So kann offenbar die<br />

ursprüngliche Einheit des Bewußtseins selbst nicht ohne der Relation des<br />

Zusammennehmens, des Hinzusetzens, kurz der Verbindung zwischen<br />

den Teilen gedacht werden. Die bloße Begleitung einer Erscheinung mit<br />

Bewußtsein entspricht nicht der Relation des Enthaltenseins, sondern der<br />

Relation des Zusammensetzens bzw. der Verbindung; erst der Akt der<br />

Einverleibung der Erscheinung im Zuschreibungsurteil als »ich denke«,<br />

was die Erscheinungen mit der Erklärung zu meinen Vorstellungen in<br />

Besitz nimmt, 201 sagt aus, daß die Erscheinung als meine Vorstellung im<br />

Bewußtsein aufgrund der Zusammennehmung der Anschauungen in der<br />

transzendentalen Apprehension in der ursprünglich-synthetischen Einheit<br />

der Apperzeption erst erzeugt worden sind. Damit ist auch völlig abstrakt<br />

das Bewußtsein als Regelbewußtsein meines Bewußtseins erzeugt worden,<br />

was aus der bloßen Begleitung einer Empfindung mit Bewußtsein nicht<br />

hervorgehen kann. Der Akt des »ich denke« im Hinzusetzen einer<br />

Vorstellung zu einer anderen setzt das Enthaltensein im Kontinuum eines<br />

Bewußtseins allerdings schon wieder voraus, wenn dieses Hinzusetzen<br />

bloß die Vorstellungen von den Teilen des gegebenen Mannigfaltigen<br />

betrifft. Dieses Gegebensein von Erscheinungen hat für die ursprüngliche<br />

Einheit der Apperzeption in § 16 selbst aber, wie bereits gezeigt, außer der<br />

Zeitlichkeit der spontanen intellektuellen Handlung des Verbindens keine<br />

formale Bedingung der Anschauung, sodaß hier weiterhin das abstrakte<br />

»ich denke« bislang den einzigen Verbindungsbegriff liefert.<br />

Die Zusammennehmung der Teile eines gegebenen Mannigfaltigen einer<br />

Anschauung kann demnach zwar als in der reinen Anschauungsform der<br />

Möglichkeit nach enthalten gedacht werden, doch gibt das eben noch nicht<br />

die spezifische Regel des Zusammennehmens dieser bestimmten<br />

Erscheinungen in der synthesis speciosa, noch weniger schon der<br />

201 Vgl. die Unterscheidung in quid facti und quid iuris in § 13.


— 390 —<br />

Vorstellungen in der transzendentalen Apprehension. Die<br />

Zusammennehmung selbst ist wie das Hinzusetzen einer Vorstellung zu<br />

einer anderen zunächst für sich unabhängig vom, von der<br />

Anschauungsform vorausgesetzten, Kontinuum anzusetzen. 202 Erst die<br />

Annahme eines qualifizierten Kontinuums der Erscheinungen, die über die<br />

Annahme eines Kontinuums der Aufmerksamkeit hinausgeht, erlaubt<br />

auch die Annahme, daß die Teile des Mannigfaltigen der<br />

Zusammennehmung selbst wiederum gleichartige Teile enthalten können;<br />

die Kontinuität der Zeitform des inneren Sinnes (empirische<br />

Apperzeption) reicht allein bekanntlich zur Konstitution von Kontinuität<br />

in der Wahrnehmung nicht aus.<br />

Der logischen Subsumtion (als Subordination von Begriffe unter Begriffe;<br />

von Frege gegenüber dem konkreten syllogistischen Vorbild durch in<br />

gekennzeichnet) wird in der transzendentalen Deduktion von der<br />

ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption ausgehend gleich<br />

die Verknüpfung von gegebenen Vorstellungen zur Weiterbestimmung<br />

der Relationen der Elemente der Zusammensetzung und deren Prinzipien<br />

vorausgesetzt und nicht die Relation des Enthaltenseins der<br />

Erscheinungen im Bewußtsein, die freilich ebenfalls vorausgesetzt ist, aber<br />

nur empirisch-psychologisch und kollektiv. Andererseits setzt gerade die<br />

logische Verwendung der Kennzeichnung der Relation des Enthaltenseins<br />

von Begriffen durch unter (also entgegen der Konvention Freges als<br />

Subordination) die Relation des Enthaltenseins voraus, die nur mit in zu<br />

kennzeichnen ist: Um Begriffe unter einen anderen Begriff zu bringen,<br />

muß, so scheint es, zuvor erwiesen werden, daß die Merkmale des oberen<br />

Begriffes auch im unteren enthalten sind. Allerdings bleibt dieses<br />

Bedingungsverhältnis auf die Prädikatenlogik beschränkt: aussagenlogisch<br />

sind Aussagen unter Aussagen zu bringen, weil sie Ableitungen<br />

(Vernunftschlüsse) derselben sind, ohne daß ein Nachweis, daß die<br />

gleichen Merkmale in der einen wie in der anderen enthalten sind, allein<br />

schon der Nachweis für die Richtigkeit der Ableitung als Vernunftschluß<br />

sein könnte. 203<br />

202 »Der Begriff des Zusammengesetzten überhaupt ist keine besondere Kategorie,<br />

sondern in allen Kategorien (als synthetische Einheit der Apperzeption) enthalten.<br />

Das Zusammengesetzte nämlich kann, als ein solches, nicht angeschaut werden;<br />

sondern der Begriff oder das Bewußtsein des Zusammengesetzens (einer Funktion<br />

die allen Kategorien als synthetische Einheit der Apperzeption zum Grunde liegt)<br />

muß vorhergehen (...).« Brief an Tieftrunk vom 11.12.1797, AA XII, p.222<br />

203 Kant skizziert die Regel des Vernunftschluß im logischen Gebrauch (B 361/A 303 f.):


— 391 —<br />

Die transzendentale Subsumtion (nunmehr als Subordination vom Begriff<br />

der Anschauung unter einen Begriff vom objektiven Gegenstand, also als<br />

Begriff objektiver Realität, zu denken) 204 ist nun der Wahrheit einer<br />

Aussage vorausgesetzt, denn es geht nicht allein um die Regeln des formal<br />

richtigen Schließens, deren Gebrauch selbst allemal subjektiv bleiben kann,<br />

sondern um die Regeln der objektiven Erkenntnis. Jedoch bleibt die<br />

Konzeption Kants einstweilen mit dem Makel behaftet, nur nach dem<br />

Vorbild der Prädikatenlogik vorzugehen; d.h. also, daß es seiner<br />

Darstellung gemäß zunächst vorrangig darum geht, wie ein Begriff mit<br />

einer Anschauung anhand der Doppeldeutigkeit des Begriffes einer<br />

Vorstellung (einmal als Begriffsmerkmal, einmal als Anschauung<br />

enthaltend) in Übereinstimmung gebracht werden kann. Der für objektive<br />

Realität geforderte Vernunftschluß ist aber dadurch gekennzeichnet, kein<br />

medium tertium zu besitzen. 205<br />

§ 15 Compositio und nexus<br />

a) Transzendentale Subsumtion und Verbindung<br />

Die logische Subsumtion scheint trotz der Berücksichtigung der Grenzen<br />

dieser Kennzeichnung zuvor als Enthaltensein eines Begriffes in einen<br />

anderen Begriff von Frege gegenüber der transzendentalen Subsumtion<br />

zureichend beschrieben worden zu sein, obwohl Kant im Sprachgebrauch<br />

inkonsequent bleibt. Zwanglos beschreibt er die logische Subsumtion<br />

Regel durch Verstand (Obersatz)<br />

Erkenntnis unter dessen Bedingung durch Urteilskraft (Untersatz)<br />

Bestimmung der Erkenntnis durch das Prädikat der Regel (conclusio)<br />

Beispiel: Alle Menschen sind sterblich und daraus analytische Folgerungen. Der<br />

Satz: Alle Gelehrte sind sterblich, folgt daraus nicht ohne dem Zwischenurteil: Alle<br />

Gelehrte sind Menschen.<br />

Hiezu ist die Unterscheidung in Ableitungs- und Kausalitätsbeziehung zwischen<br />

Aussagen von Bolzano in der Wissenschaftslehre erhellend: Auch der logische<br />

Ableitungsbegriff kommt ohne Enthaltensein von Merkmalen in beiden Aussagen<br />

nicht aus, allerdings sind diese Merkmale bereits Begriffe in Variablen, deren<br />

verschiedene Möglichkeiten der konkreten Einsetzung in der Aussageform dann mit<br />

der Menge der möglichen Einsetzungen einer anderen Aussageform verglichen<br />

werden. Sind alle möglichen Einsetzungen der ersten Aussageform dann wahr,<br />

wenn auch alle Einsetzungen der zweiten Aussageform wahr sind, dann besteht<br />

zwischen den beiden Aussageformen das logische Verhältnis einer richtigen<br />

Ableitung. Bernard Bolzano: Wissenschaftslehre. Versuch einer ausführlichen und<br />

größtenteils neuen Darstellung der Logik mit steter Rücksicht auf deren bisherigen<br />

Bearbeiter, Sulzbach 1837, bezüglich der Verträglichkeit von Sätzen bes. §§ 155-157<br />

204 Sinnliche Begriffe als Titel der Anschauung, Regel der Wahrnehmung in der<br />

Erfahrung als Titel der Erscheinung, ◊<br />

205 »Die hypothetischen Vernunftschlüsse haben [...] keinen medium tertium, [...].«<br />

(AA IX, § 75, p 129, Anmk. 1)


— 392 —<br />

zuerst gemäß dem extensionalen Schema von Art- und Gattungsbegriff mit<br />

Enthaltensein eines Begriffes unter einem höheren. Dann folgt die<br />

Begründung aber intensional nach der Regel der Identität; die<br />

Homogenität des niedrigeren mit dem höheren Begriff geht auf das<br />

Enthaltensein des höheren in dem niedrigeren Begriff zurück:<br />

»Die logische Subsumtion eines Begriffs unter einem höheren geschieht<br />

nach der Regel der Identität : und der niedrigere Begriff muß hier als<br />

homogen mit dem höheren gedacht werden. Die transcendentale dagegen,<br />

nämlich die Subsumtion eines empirischen Begriffs unter einem reinen<br />

Verstandesbegriffe durch einen Mittelbegriff, nämlich den des<br />

Zusammengesetzten aus Vorstellungen des inneren Sinnes ist unter eine<br />

Categorie subsumiert, darunter etwas dem Inhalte nach Heterogenes wäre,<br />

welches der Logik zuwider ist, wenn es unmittelbar geschähe, dagegen<br />

aber doch möglich ist, wenn ein empirischer Begriff unter einen reinen<br />

Verstandesbegriff durch einen Mittelbegriff, nämlich den des<br />

Zusammengesetzten aus Vorstellungen des inneren Sinnes des Subjects,<br />

sofern sie den Zeitbedingungen gemäß, a priori nach einer allgemeinen<br />

Regel ein zusammengesetztes überhaupt (dergleichen jede Categorie ist)<br />

homogen ist und so unter den Namen eines Schema die Subsumtion der<br />

Erscheinungen unter dem reinen Verstandesbegriffe ihrer synthetischen<br />

Einheit (des Zusammensetzens) nach, möglich macht. — Die darauf<br />

folgenden Beispiele des Schematismus lassen diesen Begriff nicht<br />

verfehlen.« 206<br />

Die transzendentale Subsumtion bezieht die Vorstellung demnach nicht<br />

unmittelbar auf einen Gegenstand, sondern behandelt das Verhältnis<br />

zweier Arten von Begriffen, von denen niemals unmittelbar ein Begriff in<br />

dem anderen enthalten sein kann: Die reinen Verstandesbegriffe sind nicht<br />

nur reine Begriffe a priori wie die philosophischen Begriffe der<br />

Mathematik oder der reinen allgemeinen Logik, sondern auch<br />

transzendental, enthalten aber selbst weder die empirischen<br />

Allgemeinbegriffe der gegebenen Gegenstände (Genus) noch deren<br />

empirisch-sinnliche Begriffe aus der Anschauung. Letztere werden nur<br />

durch Begriffe der empirischen synthesis speciosa assertorisch gegeben<br />

(Eidos). Durch diese empirische Begriffe sind aber niemals die reinen<br />

206 I. Kant, aus dem Briefwechsel mit Tieftrunk AA XII, 224 f. (vgl. auch BENEDIKT 1977,<br />

p. 389)


— 393 —<br />

Verstandesbegriffe für unser empirisches Bewußtsein einfach schon<br />

mitgegeben worden. Die Kategorien vereinigen den Allgemeinbegriff<br />

(Genus) eines Gegenstandes und die allgemeinen Regeln des empirischen<br />

Begriffs der Anschauung allererst mit dem universiellen kategorialen<br />

Schema seiner Anschauung und Erfahrung zum Erfahrungsbegriff; und<br />

nicht nur zum Begriff des Genus.<br />

Der Hinweis auf die Homogenität der Logik hat im obigen Zitat<br />

vermutlich die Funktion, von der formalen Wahrheit als bloße Funktion<br />

der logischen Form zur Erkenntnis im Begriff der Regel als (heterogenes)<br />

Produkt eines Urteils überzuleiten. So ist es doch entscheidend, daß von<br />

Kant an dieser Stelle das Ungleichartige, daß in der transzendentalen<br />

Subsumtion vereinigt werden soll, der Homogenität der Logik<br />

gegenübergestellt wird. In der K. r. V. kennt man die Opposition des<br />

Ungleichartigen in den Erscheinungen sonst nur als das Gleichartige der<br />

Anschaungsformen. 207 Die Homogenität liegt dann in der Allgemeinheit<br />

der Regel der formalen Anschauung gegenüber reiner und empirischer<br />

Anschauung. Im Begriff der Regel wird nun nur die Form des inneren<br />

Sinnes herangezogen. Die transzendentale Subsumtion, welche erst<br />

möglich macht, daß ein gegebenes Objekt als einzelner Gegenstand unter<br />

einen Begriff fällt, hat aber mehrfach ausdrücklich die Verbindung<br />

heterogener Vorstellungen in Raum und Zeit vorausgesetzt. — Vergleiche<br />

dazu die Verwendung der Verbindung in der Anmerkung der Einleitung<br />

zur Systematischen Vorstellung aller synthetischen Grundsätze des reinen<br />

Verstandes:<br />

»Alle Verbindung (conjunctio) ist entweder Zusammensetzung<br />

(compositio) oder Verknüpfung (nexus). Die erstere ist die Synthesis des<br />

Mannigfaltigen, was nicht notwendig zu einander gehört, wie z.B die zwei<br />

Triangel, darin ein Quadrat durch die Diagonale geteilt wird, für sich nicht<br />

notwendig zu einander gehören, 208 und dergleichen ist die Synthesis des<br />

Gleichartigen in allem, was mathematisch erwogen werden kann 209<br />

(welche Synthesis wiederum in die der Aggregation und Koalition<br />

eingeteilt werden kann, davon die erstere auf extensive, die andere auf<br />

intensive Größen Größen gerichtet ist). Die zweite Verbindung (nexus) ist<br />

207 Vgl. hiezu die Überlegungen zu Logik und totum analyticum in Grund und Ganzes<br />

208 Man könnte sagen: doch. Und zwar wegen der gemeinsamen Hypothenuse.<br />

209 Vgl. K. d. U, § 10 (Zweckmäßigkeit überhaupt, ästh. Urteil), § 61 (Zweckmäßigkeit in<br />

der Mathematik, teleolog. Urteil)


— 394 —<br />

die Synthesis des Mannigfaltigen , so fern es notwendig zu einander<br />

gehört, wie z.B. das Akzidens zu zu irgend einer Substanz, oder die<br />

Wirkung zu der Ursache, — mithin auch als ungleichartig doch a priori<br />

verbunden vorgestellt wird, welche Verbindung, weil sie nicht willkürlich<br />

ist, ich darum dynamisch nenne, weil sie die Verbindung des Daseins des<br />

Mannigfaltigen betrifft, (die wiederum in die physische der Erscheinungen<br />

unter einander, und metaphysische, ihrer Verbindung im<br />

Erkenntnisvermögen a priori, eingeteilt werden kann).« 210<br />

Die beiden Zitate sind nur bedingt vergleichbar, jedoch fällt auf, daß im<br />

ersten Zitat aus dem Brief an Tieftrunk nur die Feststellungen, daß der<br />

Mittelbegriff einen empirischen Begriff unter die Kategorie zu bringen hat<br />

und es sich bei der Zusammensetzung durch den Mittelbegriff um die<br />

Zusammensetzung von etwas Heterogenem handele, den Hinweis gibt,<br />

daß Kant hier die dynamische Kategorie im Auge hat. Also nur die<br />

standartisierte Unterscheidung von mathematischer und dynamischer<br />

Kategorie, daß die erstere Gleichartiges, die letztere Ungleichartiges<br />

zusammensetze, macht deutlich, daß es sich hiebei um die transzendentale<br />

Subsumtion eines gegebenen Gegenstandes unter einem empirischen<br />

Begriff im Sinne eines Begriffes von einem Erfahrungsgegenstand handelt<br />

und nicht nur um einen Titel der Untersuchung. 211<br />

Im ersten Absatz vom § 26 erklärt nun Kant genau den Unterschied, der<br />

oben mit compositio und nexus gekennzeichnet worden ist: nicht die Form<br />

der Anschauung, sondern die Gesetze ihrer Verbindung a priori zu<br />

erkennen; also »der Natur gleichsam das Gesetz vorzuschreiben« 212 führt<br />

zu objektiven Erkenntnis: »In der metaphysischen Deduktion wurde der<br />

Ursprung der Kategorien a priori überhaupt durch ihre völlige<br />

Zusammentreffung mit den allgemeinen logischen Funktionen des<br />

Denkens dargetan, in der transzendentalen aber die Möglichkeit derselben<br />

als Erkenntnisse a priori von Gegenständen einer Anschauung überhaupt<br />

(§§ 20, 21) dargestellt.«<br />

»Jetzt soll die Möglichkeit, durch Kategorien die Gegenstände, die nur<br />

immer unseren Sinnen vorkommen mögen, und zwar nicht der Form ihrer<br />

210 K.r.V., B 201/A 161,<br />

211 B 181/A 142. Vgl. hier auch das nachfolgende Kapitel über die Schematen der<br />

Einbildungskraft.<br />

212 B 159 f.


— 395 —<br />

Anschauung, sondern den Gesetzen ihrer Verbindungen nach a priori zu<br />

erkennen, also der Natur gleichsam das Gesetz vorzuschreiben und sie so<br />

gar möglich zu machen, erklärt werden. Denn ohne diese ihre Tauglichkeit<br />

würde nicht erhellen, wie alles, was unseren Sinnen nur vorkommen mag,<br />

unter den Gesetzen stehen müsse, die apriori aus dem Verstande allein<br />

entspringen.« 213<br />

Darin ist ein Übergang zur praktischen Vernunft zu erkennen: Das<br />

Erfahrungmachen in § 26 (B 518) verlangt zur Konstitution des<br />

transzendentalen Subjekts bereits nach dem Subjekt der praktischen<br />

Vernunft, und gehört somit womöglich nicht mehr zur<br />

transzendentalanalytischen Methode, sondern zu der von Kant im<br />

Paralogismus entgegengesetzte Methode, das Bewußtsein als synthetischmetaphysisches<br />

Wesen vorauszusetzen. — Insofern gewinnt Heideggers<br />

Darstellung des personalen Subjekts bei Kant als unmittelbar an<br />

scholastische Traditionen anschließend (in: Grundprobleme der<br />

Phänomenologie), an Gewicht. Allerdings würde ich meine Kritik an<br />

dieser Darstellung auch gegen Kant selbst aufrecht halten: Der<br />

Paralogismus der psychologischen Idee ist mit der Widerlegung der<br />

Mendelsohnschen Seelenlehre im Rahmen einer ontologischen Erörterung<br />

des Daseins nicht erschöpft, und auch nicht durch eine synthetische<br />

Metaphysik der praktischen Vernunft ersatzlos außer Kraft zu setzen.<br />

Diese kritische Haltung wird meines Erachtens durch die psychologischen<br />

Abschnitte in der Kritik der praktischen Vernunft (Gefühl der Achtung<br />

nach dem Vorbild des Erhabenen aus der dritten Kritik gegenüber der<br />

Psychologie von Engeln in der Dialektik — wie in Bolzanos Ästhetik)<br />

einerseits wie durch eine kritische Untersuchung der Maximenlehre<br />

insbesondere hinsichtlich des kategorischen Imperativs und dessen<br />

Beziehung zur Allgemeinheit der geforderten Geltung zum schlichten<br />

Wollenkönnen andererseits unterstützt.<br />

❆<br />

Vermag nun der § 26 der Ankündigung Kants im § 21 zu entsprechen? Wie<br />

sich zeigen wird, vielleicht mit größerer Entschiedenheit, keinesfalls mit<br />

größerer Deutlichkeit als in den Reflexionen Kants zur Wahrheitsfrage im<br />

Duisburger Nachlaß. Es wird aber im Fortgang der Untersuchung im<br />

213 l. c.


— 396 —<br />

Rahmen der Analytik der Begriffe und Grundsätze des Verstandes der<br />

Ursprung der Notwendigkeit dynamischer Grundsätze kenntlich gemacht<br />

(und zwar in beiden Fassungen): nicht die Form der Anschauung, sondern<br />

die Gesetze ihrer Verbindung nach a priori zu erkennen; also »der Natur<br />

gleichsam das Gesetz vorzuschreiben« vervollständigt erst den<br />

Erfahrungsbegriff (die Einheit der Apprehension in der Einheit der<br />

Apperzeption). 214<br />

»Alles, was im Raume oder der Zeit bestimmt vorgestellt werden soll«,<br />

muß »a priori als Bedingung der Synthesis aller Apprehension schon mit<br />

(nicht in) diesen Anschauungen zugleich gegeben« sein. 215 Kant findet in<br />

der Deduktion selbst nur zu einer sehr ungefähren Darstellung der mit der<br />

Unterscheidung in compositio und nexus aufgetretenen Aufgabenstellung:<br />

Und zwar noch am Besten in der Gegenüberstellung von<br />

natura materialiter spectata (Natur als Inbegriff aller Erscheinungen der<br />

Natur) — natura formaliter spectata (Natur als Grund der notwendigen<br />

Gesetzmäßigkeit und Inbegriff aller Arten von notwendigen<br />

Verbindungen der Erscheinungen der Natur). 216 Es bleibt weiterhin die<br />

Bedeutungsveränderung der Formalität gegenüber der formalen<br />

Bedingung der Anschauung zu bedenken. In der Fußnote aus dem Text,<br />

der den Unterschied von »Welt« und »Natur« (Welt als mathematisches,<br />

Natur als dynamisches Ganzes im Dasein der Erscheinungen) erläutert,<br />

findet sich dazu: »Natur, adjective (formaliter) genommen, bedeutet den<br />

Zusammenhang der Bestimmungen eines Dinges, nach einem inneren<br />

Prinzip der Kausalität. Dagegen versteht man unter Natur, substantive<br />

(materialiter), den Inbegriff der Erscheinung, so fern diese, vermöge eines<br />

inneren Prinzips der Kausalität, durchgängig zusammenhängen. Im<br />

ersteren Verstande spricht man von der Natur der flüssigen Materie, des<br />

Feuers etc. und bedient sich dieses Worts nur adjective; dagegen, wenn<br />

man von den Dingen der Natur redet, so hat man ein bestehendes Ganzes<br />

in Gedanken.« 217<br />

Während die Erklärung der natura formaliter spectata im § 26 allem<br />

Anschein nach auf die Einheit der Spontaneität im intelligiblen Wesen<br />

selbst zielt, bleibt die Erklärung aus dem System der kosmologischen<br />

214 l. c.<br />

215 B 161<br />

216 B 163 f.<br />

217 B 446/A 418


— 397 —<br />

Ideen (der erste Abschnitt der Antinomien) unmißverständlich im Ganzen<br />

der Natur. Es ist zu erkennen, daß der Überschritt aus dem Formalen der<br />

Anschauung in das Formale der wirklichen Verbindungen der Dinge im<br />

Ganzen der Natur (und nicht nur im Ganzen des Daseins) nur mittels den<br />

Vernunftbegriffen der transzendentalen Ideen gelingen kann.<br />

b) Die formale und die allgemeine Bedingung<br />

Ich will nun anhand der obigen Unterscheidung in compositio und<br />

nexus die verschiedenen Darstellungen des Problems in Verbindung<br />

bringen. Damit soll der Hintergrund zur prädikatslogisch verfaßten<br />

transzendentalen Subsumtion geliefert werden, um zu einem schärfer<br />

differenzierenden Entwurf zu gelangen. — Entscheidend für die Stellung<br />

der beiden Ansätze vor allem in der Analytik der ersten Kritik, und<br />

entscheidend für die hier waltende Absicht ist die Normierung des<br />

Verhältnisses von Begriff und Anschauung im Kapitel »Von dem<br />

Schematismus der reinen Verstandesbegriffe« allein anhand des<br />

Verhältnisses von Begriff und Sinnlichkeit: »Denn da haben wir gesehen,<br />

daß Begriffe ganz unmöglich sind, noch irgend eine Bedeutung haben<br />

können, wo nicht, entweder ihnen selbst, oder wenigstens den Elementen,<br />

daraus sie bestehen, ein Gegenstand gegeben ist, mithin auf Dinge an sich<br />

(ohne Rücksicht, ob und wie sie uns gegeben werden mögen) gar nicht<br />

gehen können; daß ferner die einzige Art, wie uns Gegenstände gegeben<br />

werden, die Modifikation unserer Sinnlichkeit sei; endlich, daß reine<br />

Begriffe a priori, außer der Funktion des Verstandes in der Kategorie,<br />

noch formale Bedingungen der Sinnlichkeit (namentlich des inneren<br />

Sinnes) a priori enthalten müssen, welche die allgemeine Bedingung<br />

enthalten, unter der die Kategorie allein auf irgend einen Gegenstand<br />

angewandt werden kann.« 218<br />

Nun kann im Lichte des vorhergehenden Zitats die Formulierung der<br />

allgemeinen Bedingung des Zusammensetzens entweder nur als die der<br />

compositio nicht aber als die der Verknüpfung (nexus) verstanden werden,<br />

sodaß die Verknüpfung in die Position der allgemeinen Bedingung<br />

gegenüber der formalen Bedingung der Zusammensetzung bloß deren Regel<br />

218 B 178 f./A 139 f., Herv. v. Verf.. Im vierten Kapitel dieser Arbeit werden die<br />

Verhältnisse der Schematismen der reinen Verstandesbegriffe mit Rücksicht sowohl<br />

auf die dafür bedeutsamen Aussagen in der transzendentalen Deduktion wie auf die<br />

Positionen in den synthetischen Grundsätzen näher erörtert.


— 398 —<br />

ausdrückt, 219 oder aber doch in die Position einer Regel, die noch über den<br />

allgemeinen Bedingungen der Zusammensetzung der Teile des Kontinuums,<br />

das die formale Bedingung ausdrückt, als nexus zu stehen kommt, wonach<br />

erst die Vorstellungen des inneren Sinnes gemäß den objektiven und<br />

realen Zeitbedingungen zusammengesetzt werden müßten. Damit gerät<br />

aber im zweiten Falle die mathematische Kategorie im Aufbau der<br />

Schematen der reinen Verstandesbegriffe unter den Einfluß der<br />

dynamischen Kategorie. 220 Daß die Mathematik und die Geometrie ihren<br />

Charakter als Erkenntnis anhand der objektiven Realität erhält, die<br />

letztlich erst im Begriff der Kausalität erkannt werden kann, gehört zum<br />

Verständnis Kants von Erkenntnis überhaupt. Während deshalb in der<br />

K.r.V. über die Selbstständigkeit der mathematischen und geometrischen<br />

Erkenntnis Zweifel bestehen bleibt, drückt sich Kant zum Verhältnis von<br />

Mathematik und wirklicher Erfahrung am deutlichsten in der Analytik der<br />

teleologischen Urteilskraft aus:<br />

»Alle geometrischen Figuren, die nach einem Prinzip gezeichnet werden,<br />

zeigen eine mannigfaltige, oft bewunderte, objektive Zweckmäßigkeit,<br />

nämlich die Tauglichkeit zur Auflösung vieler Probleme nach einem<br />

einzigen Prinzip, und auch wohl eines jeden derselben auf unendlich<br />

verschiedene Arten an sich. Die Zweckmäßigkeit ist hier offenbar objektiv<br />

und intellektuell, nicht aber bloß subjektiv und ästhetisch. Denn sie drückt<br />

die Angemessenheit der Figur zur Erzeugung vieler abgezweckter<br />

Gestalten aus, und wird durch Vernunft erkannt. Allein die<br />

Zweckmäßigkeitmacht doch den Begriff von dem Gegenstande selbst nicht<br />

möglich, d.i. er wird nicht bloß in Rücksicht auf diesen Gebrauch als<br />

möglich angesehen.« 221<br />

Die Objektivität und Intellektualität der Geometrie sichert ihrer<br />

Zweckmäßigkeit die Unabhängigkeit sowohl von der Subjektivität des<br />

ästhetischen Urteils wie auch vom Begriff vom Gegenstand. Der Grund der<br />

Abzweckung vom Prinzip einer Figur zur Erzeugung einer bestimmten<br />

Gestalt liegt aber gänzlich außerhalb der Geometrie: obwohl Kant eben<br />

219 B 179/A 139 f.<br />

220 Diese Formulierung ist nur mit Bedacht richtig zu verstehen: Sie ist zunächst nur in<br />

Hinblick auf die objektive Geltung der Geometrie richtig; im Aufbau des<br />

transzendentalen Arguments ist die konsti-tutive Kategorie vorausgesetzt, um die<br />

weiteren Gründe der Zusammensetzung, die nicht in der Erscheinung selbst zu<br />

finden sind, überhaupt erst ausmachen zu können.<br />

221 K.d.U., § 62, B 271/A 267


— 399 —<br />

den geometrischen Figuren eine gewisse Gegenständlichkeit für sich selbst<br />

als bestimmte Vorstellungen zugestanden hat (was er deutlicher auch in<br />

der K. r. V. hätte tun müssen), bleibt der Begriff vom einzelnen<br />

Gegenstand im transzendentalen Ideal im Verhältnis von Erster<br />

metaphysischer Erörterung des Raumes und der Bestimmung des Dinges<br />

überhaupt eingespannt und erlaubt dessen Vernunftbegriff nur in den<br />

Grenzen der Erkenntnis von Wirklichkeit. Anders als in der K. r. V.<br />

bestimmt Kant in der K. d. U. die Objektivität der Mathematik<br />

(insbesondere der Geometrie) aber unabhängig vom Gegenstand: »Diese<br />

intellektuelle Zweckmäßigkeit aber, ob sie gleich objektiv ist (nicht wie die<br />

ästhetische subjektiv), läßt sich gleichwohl ihrer Möglichkeit nach als bloß<br />

formale (nicht reale), d.i. als Zweckmäßigkeit, ohne daß doch ein Zweck<br />

ihr zum Grunde zu legen, mithin Teleologie dazu nötig wäre, gar wohl,<br />

aber nur im allgemeinen, begreifen.« 222<br />

Daß gemäß der Willkürlichkeit der compositio in der Anmerkung zu B 201<br />

die mathematische Kategorie gleich keiner allgemeinen Regel mehr fähig<br />

sein sollte, dürfte also doch zu weit zu gehen, vergegenwärtigt man sich<br />

noch dazu, daß Kant die mathematischen Kategorien alternativ auch<br />

konstitutive Kategorien nennt. Vielmehr lassen sich die beiden Zitate dann<br />

übereinstimmen, wenn die weitere Bestimmung des Begriffes der<br />

Zusammensetzung im ersten Zitat aus dem Brief an Tieftrunk so<br />

verstanden wird, daß sowohl die mathematische wie die dynamische<br />

Kategorie die Vorstellungen im inneren Sinn zusammensetzt, aber eben<br />

nach zweierlei Regeln, womit sowohl die Unterscheidung in compositio und<br />

nexus aus B 201 wie deren Einordnung in ein Konzept der<br />

transzendentalen Subsumtion möglich bleibt. Die Vorrede zur<br />

»Systematischen Vorstellung aller synthetischen Grundsätze«, wo Kant die<br />

Unterscheidung derselben in mathematische und in dynamische<br />

Grundsätze vorstellt (aber an Stelle von compositio und nexus aus der<br />

Anmerkung im Text Intuitivität und Diskursivität zur Unterscheidung<br />

heranzieht) schließt mit einem Gedanken, der diese Überlegung indirekt<br />

unterstützt: »Man wird aber wohl bemerken: daß ich hier eben so wenig<br />

die Grundsätze der Mathematik in einem Falle, als die Grundsätze der<br />

allgemeinen (physischen) Dynamik im anderen, sondern nur die des<br />

reinen Verstandes im Verhältnis auf den inneren Sinn (ohne Unterschied<br />

der darin gegebenen Vorstellungen) vor Augen habe, dadurch denn jene<br />

222 cit. op. B 274/A 270


— 400 —<br />

insgesamt ihre Möglichkeit bekommen. Ich benenne sie also mehr in<br />

Betracht der Anwendung, als um ihren Inhalts willen [...].« 223<br />

Kant will also allein die Verhältnisse der Spontaneität des<br />

Apperzeptionsvermögens betrachten, unterstellt dabei aber eine den<br />

mathematischen wie dynamischen Kategorien gemeinsame Methode<br />

(»dadurch denn jene insgesamt ihre Möglichkeit bekommen«), die nur<br />

anhand der Arten der Anwendung unterschieden werden soll. Dafür bietet<br />

sich der einfachen Spontaneität von Einbildungskraft und<br />

Verstandeshandlung 224 die obige doppelte Interpretation der formalen und<br />

allgemeinen Bedingung geradezu an.<br />

c) Die »Intellection« der Subjektivität ist Objektivität<br />

Zumal in der K.r.V. die Zeitlichkeit des inneren Sinnes als<br />

Anschauungsform und die Zeitlichkeit der Verstandeshandlung<br />

keineswegs in die Parallelisierung von synthesis speciosa und<br />

synthesis intellectualis aufgeht, vielmehr nach wie vor die Unzeitlichkeit<br />

des reinen Verstandesbegriffes und die Nicht-Sukzessivität der<br />

Einbildungskraft in der »absoluten Einheit« der (transzendentalen)<br />

Apprehension auch in den Kritiken in Stellung bleibt, kann in diesem<br />

Zusammenhang m. E. durchaus auf die Reste der Konzeption von 1770 225<br />

zurückgegriffen werden, wonach die »subjektive Erscheinungsform des<br />

Mannigfaltigen der Sinnlichkeit (als Raum und Zeit)« dem »nicht mehr<br />

näher abgeleiteten abstrakt-objektiven System der Verstandeswelt (als<br />

logische Reflexion des gesamten Vernunftraumes)« 226 gegenübergestellt<br />

und zur Vermittlung aufgeben wird:<br />

»Die subiective Bedingungen der Erscheinungen, welche a priori erkannt<br />

werden können, sind Raum und Zeit: intuitionen.<br />

Die subiective Bedingung der empirischen Erkenntnis ist die apprehension<br />

in der Zeit überhaupt und also nach Bedingungen des innern Sinnes<br />

überhaupt.<br />

223 K.r.V., B 201/A 162<br />

224 Die selbe Funktion, die als Verstandeshandlung Einheit im Urteil schafft, gibt auch<br />

der bloßen Synthesis verschiedener Vorstellungen in einer Anschauung Einheit.<br />

(B 105/ A 78 f.)<br />

225 I. Kant, De mundi sensibilis atque intelligibililis forma et principiis, § 3, 4, 8, 12, 24<br />

u.a.<br />

226 BENEDIKT 1977 p. 254 ff.


— 401 —<br />

Die subjektive Bedingung der rationalen Erkenntnis [ist] die construction<br />

[in der Zeit] durch die Bedingung der apprehension überhaupt.<br />

Alles, was gegeben wird, wird unter den allgemeinen Bedingungen der<br />

apprehension gedacht. Also ist das subiectiv allgemeine der apprehension<br />

die Bedingung des obiectiv allgemeinen der intellection.« 227<br />

Nun ist das subjektiv Allgemeine in der K.d.U. die Grundlage, im<br />

ästhetischen Urteil, sowohl im Falle des Schönen wie im Falle der<br />

Erhabenheit, Allgemeinheit zu beanspruchen , also auch dann, wenn deren<br />

Objektivität gerade nicht dargetan werden kann. Im Rahmen der K.r.V.,<br />

insbesondere in der Frage des Schematismus der reinen<br />

Verstandesbegriffe, interessiert aber zuerst, daß im obigen Zitat die<br />

Bedingungen der Apprehension, eben die Unterscheidung von formaler<br />

Bedingung der Apprehension (innerer Sinn) und allgemeiner Bedingung<br />

der Konstruktion aus dem Schematismuskapitel noch im Subjektiven<br />

verbleiben. 228 Deshalb bleibt diese Unterscheidung zwischen subjektiver<br />

und objektiver Geltung hier wegen der subjektiv bleibenden Bedeutung<br />

der »Konstruktion« noch im Rahmen der compositio . Insofern ist fraglich,<br />

ob die Unterscheidung der formalen Bedingung des inneren Sinnes von<br />

der allgemeinen Bedingung der Regel im Kapitel »Vom Schematismus der<br />

reinen Verstandesbegriffe« auch wirklich zur »objektiven Realität«<br />

zureicht, die die Definition des nexus in der Anmerkung aus der Vorrede<br />

zur »Systematischen Vorstellung aller synthetischer Grundsätze« zugleich<br />

mit der metaphysischen Notwendigkeit (d.i. ihre Verbindung a priori im<br />

Erkenntnisvermögen!) vorstellig macht, oder ob sie bloß die Differenz von<br />

Intuition und Diskursivität beschreibt, 229 ohne die Regeln der Verhältnisse<br />

der Objekte der Erfahrung (die also nicht in den Erscheinungen selbst<br />

227 Refl. 4675, AA XVII, p. 652 f.. Die nachfolgend behandelten Reflexionen sind unter<br />

der Bezeichnung des Duisburger Nachlaß bekannt; sie wurden zuerst von Th.<br />

Haering bearbeitet: Der Duisburg'sche Nachlaß und Kants Kritizismus um 1775,<br />

Tübingen 1910.<br />

228 Vgl. in § 10: »Das erste, was uns zum Behuf der Erkenntnis aller Gegenstände a<br />

priori gegeben sein muß, ist das Mannigfaltige der reinen Anschauung; die Synthesis<br />

dieses Mannigfaltige durch die Einbildungskraft ist das zweite, gibt aber noch keine<br />

Erkenntnis. Die Begriffe, welche dieser reinen Synthesis Einheit geben, und lediglich<br />

in der Vorstellung dieser notwendigen synthetischen Einheit bestehen, tun das dritte<br />

zum Erkenntnisse eines vorkommenden Gegenstandes, und beruhen auf dem<br />

Verstande.« (B 104 f./A 78)<br />

229 Kant stellt in der Logik der einzelnen Vorstellung (repraesentatio singularis) den<br />

Begriff gegenüber: dieser ist eine allgemeine (repraesentatio per notas communes)<br />

oder eine reflektierte Vorstellung (repraesentatio discursiva). (Logik, hersg. von G. B.<br />

Jäsche, Werke, Bd. IX, Wiederabdruck Berlin 1968, p. 91).


— 402 —<br />

gefunden werden können, vgl. § 26) 230 zu erreichen. Obgleich die<br />

Beobachtung der Diskursivität als analoges Prinzip zur Objektivität in der<br />

Darstellung intensiver Größen durch Bewegung im Raume (also nur durch<br />

extensive Größen) auf eine ebenfalls entscheidenden Entwicklungslinie<br />

Kantens hinweist, kann allein daraus gerade nicht die Lösung der<br />

anstehenden Probleme erwartet werden. 231 So beruht andernorts der<br />

Begriff der Regel immer schon auf der Assertion des Einzelfalles unter<br />

einer allgemeinen Bedingung:<br />

»Eine Regel ist eine Assertion unter einer allgemeinen Bedingung. Das<br />

Verhältnis der Bedingung zur Assertion, wie nämlich diese unter jener<br />

steht, ist der Exponent der Regel.« 232<br />

Hier wird der Grund dieses Übersprunges von der allgemeinen Bedingung<br />

zur Regel im Einzelfall noch nicht ersichtlich. Die Regel, die eine solche<br />

Assertion allgemein ermöglichte, wäre selbst schon das Allgemeine des<br />

Subjektiven im Einzelfall der Begegnung mit Einzelnem. Sofern nun die<br />

formale Bedingung vor der Interpretation der allgemeinen Bedingung als<br />

nexus selbst eine allgemeine Bedingung beansprucht, kann diese<br />

formale Bedingung noch nicht den Einzelfall bestimmen, da die<br />

formale Bedingung nur das Allgemeine am Subjektiven beinhalten kann,<br />

und die allgemeine Bedingung der formalen Bedingung im Rahmen der bloßen<br />

intellektuellen Zweckmäßigkeit verbleibt. 233 Es bleibt also fraglich, ob es<br />

von Kant ausgehend gelingt, der formalen Anschauung (als produzierte<br />

Vorstellung von Raum und Zeit) die Leistung, auf Individuelles und<br />

Einzelnes zu gehen, nachzuweisen. Dazu bleibt noch zu beobachten, daß<br />

Kant in diesem Zusammenhang die Formen der Anschauung überhaupt<br />

schon zur reinen Form hin entwickelt hat, und gegenüber dem<br />

conceptus singularis fraglich bleibt, ob Kant das »Intuitum« für eine formale<br />

230 Was offensichtlich nichts anderes als das Ergebnis der kritischen Abarbeitung des<br />

Begriffes vom nexus ist (K.r.V., B 162)<br />

231 Refl. 2875: »Bei jedem conceptus communis müssen zwar Vergleichungen angestellt<br />

werden, sonst wäre er nicht conceptus communis, aber er darf doch nicht allererst<br />

aus diesen verglichenen Vorstellungen gebildet werden.«<br />

Logik Dohna-Wundlacken:,»Im einzelnen Urteil hingegen wird der Prädikatsbegriff<br />

allein auf den Gegenstand bezogen, denn hier fungiert als Subjekt eine Vorstellung<br />

von Einzelnem, und "repraesentatio singularis " — hat einen intuitum, zeigt ihn<br />

unmittelbar an, ist aber im Grunde kein conceptus. Z. B. Sokrates ist kein<br />

conceptus.«(AA XXIV, p. 754)«<br />

232 Refl. 3202, vgl. Klaus Reich, Die Vollständigkeit der Kantischen Urteilstafel,<br />

Hamburg, 3 1986, p.. 66<br />

233 K.d.U., § 62.


— 403 —<br />

Anschauung (Konstruktion) noch weiter behaupten kann. Andererseits<br />

bleibt das Problem, dem nexus als das allgemeine Prinzip selbst eine eigene<br />

formale Bedingung zu geben (natura formaliter spectata ).<br />

Nun unterscheidet Kant in der Refl. 4675 234 die Zeitlichkeit des inneren<br />

Sinnes überhaupt als erste Bedingung der Apprehension, die selbst als<br />

Bedingung für die »construction« als die zweite Bedingung derselben<br />

Apprehension zu verstehen ist. 235 Insbesondere mit dem Zusatz zur<br />

»construction«, daß es sich bei der »construction« um die Bedingungen der<br />

Erkenntnis handelt, ist auch schon klar geworden, daß die »construction«<br />

zuerst die Hinordnung einer allgemeinen Regel der compositio auf die<br />

Intuitivität als Medium der Evidenz von Realität im subjektiven Sinne der<br />

Materialität von Erscheinungen qua sinnlicher Empfindung und Form der<br />

Ausdehnung bedeutet und erst in zweiter Linie die Diskursivität als<br />

Kriterium der Intersubjektivität. 236 Das dem subjektiv Allgemeinen<br />

entgegengestellte objektiv Allgemeine des letzten Satzes aus dem<br />

gegebenen Zitat der Refl. 4675 hingegen stimmt im normativen Anspruch<br />

schon mit der metaphysischen Definition der Verknüpfung (nexus ) aus der<br />

Anmerkung in der Vorrede zur »Systematischen Vorstellung aller<br />

synthetischen Grundsätze« zusammen. Damit bleibt aber die »objektive<br />

Realität« wie die a priori Geltung der — logischen — Gesetze der<br />

Verstandeswelt für die Apperzeption jeweils ein gleichermaßen<br />

unableitbares Faktum, ohne daß diese schon verbunden werden konnten<br />

— die Synthesis (Physik und Metaphysik), die im Begriff des nexus zu<br />

denken aufgegeben wurde, bleibt unerklärlich.<br />

234 Refl. 4675, AA XVII, p. 652 f.<br />

235 Wie anfangs der Axiome der Anschauung die reine Anschauungsform auf die<br />

formale Anschauung gebracht worden ist.<br />

236 Das wird in der Methodenlehre der K.r.V. deutlicher ausgedrückt: »Alle unsere<br />

Erkenntnis bezieht sich doch zuletzt auf mögliche Anschauungen: denn durch diese<br />

allein wird ein Gegenstand gegeben. Nun enthält ein Begriff a priori (ein nicht<br />

empirischer Begriff) entweder schon eine reine Anschauung in sich, und alsdenn<br />

kann er konstruiert werden; oder nichts als die Synthesis möglicher Anschauungen,<br />

die a priori nicht gegeben sind, und alsdenn kann man wohl durch ihn synthetisch<br />

und a priori urteilen, aber nur diskursiv, nach Begriffen, und niemals intuitiv durch<br />

die Konstruktion des Begriffes.« (B 747/A 719)


— 404 —<br />

§ 16 Die subjektiven Bedingungen des »Konzepts« und die Objektivität<br />

der Erkenntnis<br />

a) Die ganze Sinnlichkeit und das ganze Denken<br />

Dazu gibt folgende Reflexion noch näheres zu bedenken: »Concipere heißt<br />

sich einen Begriff wovon a priori machen. Die principien der conception<br />

(gehen auf subj) sind entweder des Denkens überhaupt oder des absoluten<br />

setzens oder der zusammennehmung a priori. Vom ersten ist die sinnliche<br />

Bedingung die ganze Sinnlichkeit, von dem zweyten das ganze Denken in<br />

ansehung eines dati überhaupt, vom dritten das ganze an sich selbst oder<br />

totalitaet.« 237<br />

Die Refl. 4683 behandelt, was es heißt, »sich einen Begriff wovon a priori<br />

[zu] machen« (concipere); danach gibt es dreierlei Arten von Prinzipien der<br />

conception : die des Denkens überhaupt, die des absoluten Setzens und die<br />

der Zusammennehmung a priori. Diese alle gehen einerseits aber auf das<br />

Subjektive; sollen andererseits aber noch am Boden des Subjektiven<br />

zusammen betrachtet, zum Objektiven gelangen können. In der<br />

Zusammenstellung dieser und umliegender Stellen: »Die principien der<br />

conception (gehen auf subj) sind entweder des Denkens überhaupt oder<br />

des absoluten setzens oder der zusammennehmung a priori«; 238 und »in<br />

der Synthesis aber [ist] die Zeit durch eine Erscheinung z.E. dessen, was<br />

existiert oder geschieht oder zusammen ist [bestimmt]«; 239 aber auch<br />

»welche Verbindung, weil sie nicht willkürlich ist, ich darum dynamisch<br />

nenne, weil sie die Verbindung des Daseins des Mannigfaltigen betrifft,<br />

(die wiederum in die physische der Erscheinungen unter einander, und<br />

metaphysische, ihrer Verbindung im Erkenntnisvermögen a priori,<br />

eingeteilt werden kann)«, 240 zeigt sich, wie Kant versucht, von der<br />

subjektiven Bedingung zur objektiven Bedingung der Erkenntnis<br />

überzugehen. Bemerkenswert ist besonders die Beziehung, die sich<br />

zwischen »absoluten setzen«, »geschieht« einerseits und der<br />

Zusammennehmung und der »dynamischen Verbindung« andererseits<br />

herstellen läßt. Diese auf den ersten Blick vielleicht etwas willkürlich<br />

scheinende Verbindung kann durch folgende Erklärungen klarer werden.<br />

237 Refl. 4683, AA XVII, p. 670<br />

238 l. c.<br />

239 Refl. 4684, AA XVII, p. 671<br />

240 K.r.V., B 201/A 161


— 405 —<br />

(a) Das Prinzip des »Denkens überhaupt« macht zuerst nur die (formale)<br />

Bedingung der Sinnlichkeit 241 zur Basis der allgemeinen Bedingung; und<br />

das gleich in zweierlei Hinsicht: einerseits als kollektive Einheit der Form<br />

der Sinnlichkeit und andererseits als jene Allgemeinheit des Subjektiven,<br />

wonach dem ästhetischen Urteil nur der Anspruch auf Allgemeingültigkeit<br />

(nicht die Geltung selbst) jederzeit zuzugestehen ist. In Frage steht<br />

insbesondere im Vergleich der verschiedenen Zitate, ob eben schon als Zeit<br />

und Raum.<br />

(b) Das Prinzip des »absoluten Setzen« scheint nun auf den ersten Blick<br />

gänzlich ungeeignet zu sein, auf das Subjektive zu gehen, doch wird eine<br />

Erinnerung an die Paralogismen der reinen Vernunft 242 oder besser noch,<br />

an die Widerlegung des Idealismus zureichen, den Problemkreis gerade<br />

hier ein erstes Mal genauer ausmachen zu können: Denn zwar fundiert<br />

gerade die subjektive Gewißheit des Daseins eine »absolute« Position;<br />

Kant hält den archimedischen Punkt des cartesianischen Zweifels aber für<br />

nicht ausreichend und stellt in der Widerlegung des Idealismus in<br />

verschiedenen Stufen der Argumentation deutlich fest, daß es nicht die<br />

reine subjektive Selbstgewißheit ohne empirische Beziehung ist, von der er<br />

ausgeht. Stärker noch als im Übergang von der rationalen Psychologie zur<br />

Kosmologie wird nicht nur das Empirische des Daseins (Ich existiere als<br />

Denkendes) behauptet, was für sich sicherlich nichts an der Subjektivität<br />

des Daseins ändert, sondern den Gegenstand zugleich mit dem Raume<br />

exponiert: »Das bloße, aber empirisch bestimmte, Bewußtsein meines<br />

eigenen Daseins beweiset das Dasein der Gegenstände im Raum außer<br />

mir.« 243 In der ersten Anmerkung wird das Dasein vom Gegenstand im<br />

Raum zur Voraussetzung der Bestimmung der inneren Erfahrung in der<br />

Zeit: »Allein hier wird bewiesen, daß äußere Erfahrung eigentlich<br />

unmittelbar sei, 244 daß nur vermittelst ihrer, zwar nicht das Bewußtsein<br />

241 Die scheinbar sichere Quelle des Subjektiven, während die a priori Geltung der<br />

logischen Gesetze der Verstandeswelt für die Apperzeption einerseits subjektiv ist,<br />

aber doch zugleich auch objektiv gelten soll — vgl. auch K.r.V., § 19<br />

242 Hierin ist besonders an den Portalsatz von der »Allgemeinen Anmerkung, den<br />

Übergang von der rationalen Psychologie zur Kosmologie betreffend« zu denken:<br />

»Der Satz, Ich denke, oder ich existiere denkend, ist ein empirischer Satz.« (B 428)<br />

243 Widerlegung des Idealismus, B 275<br />

244 An dieser Stelle gibt Kant eine Fußnote, die eine psychologische Argumentatinslinie<br />

verfolgt: »Das unmittelbare Bewußtsein des Daseins äußerer Dinge wird in dem<br />

vorstehenden Lehrsatze [Das bloße, aber empirisch bestimmte, Bewußtsein meines<br />

eigenen Daseins beweiset das Dasein der Gegenstände im Raum außer mir] nicht<br />

vorausgesetzt, sondern bewiesen, die Möglichkeit dieses Bewußtseins mögen wir<br />

einsehen, oder nicht. Die Frage wegen der letzteren würde sein: ob wir nur einen


— 406 —<br />

unserer eigenen Existenz, aber doch die Bestimmung derselben in der Zeit,<br />

d.i. innere Erfahrung möglich sei.« 245<br />

Die im obigen Zitat gegebene Erklärung des »absoluten« Setzens ist auch<br />

in Verbindung zur ersten metaphysischen Erörterung des Raumes<br />

ausdrückbar: Dessen Prinzip bezieht sich auf »das ganze Denken in<br />

Ansehung eines dati überhaupt«, wobei im Begriff des Datums, wenn<br />

schon nicht Objektivität, dann doch zwischen Realität der Apperzeption<br />

(ich existiere als Denkendes ) und der Ersten metaphysischen Erörterung des<br />

Raumes (dati als sich auf etwas außer mich beziehendes ) Äußerlichkeit schon<br />

impliziert ist. Ohne Zweifel bedeutet »absolut« in diesem Zusammenhang<br />

das wenigste, was man von einem Gegenstand sagen kann; 246 eben als<br />

diejenige Voraussetzung der Affinität, die Kant schon in der ersten<br />

metaphysischen Erörterung des Raumes herausgestellt hat. Allerdings<br />

bleibt hier dem ganzen Denken »in Ansehung eines dati überhaupt« das<br />

»Denken überhaupt« als das Vermögen gegenübergestellt, zuvor die<br />

sinnliche Bedingung als ganze Sinnlichkeit zu denken — also ohne einen<br />

bestimmten Gegenstand und Raum.<br />

Die Zeitbedingung der Sinnlichkeit und die Konstruktion als die zwei<br />

unabhängigen Bedingungen der Apprehension aus Refl. 4675 sind mit<br />

dieser Unterscheidung erst in Zusammenhang zu bringen: Wohl ist die<br />

Zeitbedingung als die sinnliche Bedingung zu denken, doch das »absolute<br />

Setzen« kann mit der hier vorgestellten Interpretation gemäß der ersten<br />

metaphysischen Erörterung des Raumes nichts mit Konstruktion zu tun<br />

haben. Die weitere Gegenüberstellung der zuletzt behandelten Reflexionen<br />

inneren Sinn, aber keinen äußeren, sondern bloß äußere Einbildung hätten. Es ist<br />

aber klar, um uns auch nur etwas als äußerlich einzubilden, d.i. dem Sinne in der<br />

Anschauung darzustellen, wir schon einen äußeren Sinn haben, und dadurch die<br />

bloße Rezeptivität einer äußeren Anschauung von der Spontaneität, die jede<br />

Einbildung charakterisiert, unmittelbar unterscheiden müssen. Denn sich auch einen<br />

äußeren Sinn bloß einzubilden, würde das Anschauungsvermögen, welches durch<br />

die Einbildungskraft bestimmt werdensoll, selbst vernichten.« (Anmk. zu B 276)<br />

245 B 275 f.<br />

246 »Das Wort absolut wird jetzt öfters gebraucht, um bloß anzuzeigen, daß etwas von<br />

einer Sache an sich selbst betrachtet und also innerlich gelte. In dieser Bedeutung<br />

würde absolut möglich das bedeuten, was an sich selbst (interne) möglich ist,<br />

welches in der Tat das wenigste ist, was man von einem Gegenstande sagen kann.<br />

Dagegen wird es bisweilen gebraucht, um anzuzeigen, daß etwas in aller Beziehung<br />

(uneingeschränkt) gültig ist, (z. B. die absolute Herrschaft,) und absolutmöglich<br />

würde in dieser Bedeutung dasjenige bedeuten, was in aller Absicht in aller<br />

Beziehung möglich ist, welches wiederum das meiste ist, was ich über die<br />

Möglichkeit eines Dinges sagen kann.«, B 381/A 324 f.


— 407 —<br />

würde aber erwarten lassen, daß dem Konzept der Konstruktion in der<br />

Idee des ganzen Denkens »in Ansehung eines datis« eine systematische<br />

Stelle gegeben werden kann. Dazu müßte die angestrebte Totalität aus<br />

definierbaren Teilen synthetisch zu konstruieren sein. Das ganze Denken<br />

wäre dann, »absolut« genommen, das meiste, was man von einem<br />

Gegenstand sagen kann: die völlige rationale Konstruierbarkeit. 247<br />

(c) Das Prinzip der »Zusammennehmung a priori« wird nun im gegebenen<br />

Zitat aus der Refl. 4683 dahingehend erklärt, daß es das Prinzip des<br />

Ganzen an sich selbst sei — Totalität. Erst die Beziehung auf Totalität<br />

könnte dem ganzen Denken »in Ansehung eines datis« auch<br />

objektive Realität verschaffen, und zwar indem erstens das<br />

Konstruktionsprinzip an der Totalität geprüft wird 248 und zweitens das<br />

gegebene Datum darin eine Stelle erhält. 249 Gemäß der Aufstellung in der<br />

Erklärung des »concipere« kann die Konstruktion nicht dem »absoluten<br />

Setzen« zugemutet werden, das selbst noch in der ursprünglichen<br />

Beziehung auf das Objekt zu sehen ist, und mithin sich zwar auf objektive<br />

Realität bezieht, aber nicht was die Möglichkeit eines inhaltlichen<br />

Konzeptes des Objektes angeht, und so im Subjektiven verbleibt. Jedoch<br />

findet die Konstruktion einerseits im Konzept der erst einzuschränkenden<br />

Totalität der (erst dadurch objektivierbaren) Möglichkeiten dieses Objekts<br />

in der sinnlichen Anschauung indirekt, 250 oder andererseits gleich als<br />

Identifikation der Bedingung der Konstruktion mit der Zeitbedingung der<br />

Sinnlichkeit im Denken überhaupt direkt, noch ihren systematischen<br />

Platz. 251<br />

In der Erklärung des »concipere« hat die Konstruktion ihre Stellung erst zu<br />

finden, da die »Zusammennehmung« eine vorhergehende Regel verlangt,<br />

um die zu konstruierenden Elemente der »Zusammennehmung« allererst<br />

bestimmen zu können. Diese Untersuchung der Bedingung der<br />

»Zusammennehmung« selbst kann unter diesem Gesichtspunkt mit der<br />

247 AA XVII, p. 652 f.<br />

248 Das kann nach Leibniz auf zwei Wege geschehen: Erstens als Nachweis, daß die<br />

Wahrheit (Urteil als Aussage, Satz usf.) endlich analysierbar ist oder wenn nicht,<br />

dann zweitens, daß die Wahrheit unendlich analysierbar ist. Letzteres gibt<br />

zumindest eine Regel der Analyse. Der Nachweis der Wahrheit wird demnach nur<br />

dadurch verhindert, wenn gezeigt werden kann, daß sich eine gegebene Reihe nicht<br />

anhand einer gleichen Regel als endlos analysierbar herausstellt.<br />

249 Vgl. Obersatz und Untersatz der empirischen Postulate<br />

250 Vgl. das Ding der Allheit im Kapitel über das prototypon transcendentale<br />

251 Vgl. das primitive Schema der Apprehension; hier in: A, II, b


— 408 —<br />

eidetischen Variation Edmund Husserls oder mit den Variablen in den die<br />

Aussageformen interpretierenden Sätzen Bolzanos verglichen werden. —<br />

Die Dynamik wird im Duisburger Nachlaß nicht eigens thematisiert.<br />

b) Begriff und transzendentale Idee<br />

Die Prinzipien, die für die Bildung eines Begriffes (Konzeptes) von<br />

»etwas« nötig sind, sind transzendentale Ideen: Wenn auch die Refl. 4683<br />

(und deren Umkreis) nicht völlig mit der Entwicklung im zweiten<br />

Abschnitt der Dialektik der K.r.V. zusammengestimmt werden kann, ist<br />

der Zusammenhang unübersehbar: »Nun ist das Allgemeine aller<br />

Beziehung, die unsere Vorstellungen haben können, 1) die Beziehung aufs<br />

Subjekt, 2) die Beziehung auf Objekte, und zwar entweder als<br />

Erscheinungen, oder als Gegenstände des Denkens überhaupt. Wenn man<br />

diese Untereinteilung mit der oberen verbindet, so ist alles Verhältnis der<br />

Vorstellungen, davon wir uns entweder einen Begriff, oder eine Idee<br />

machen können, dreifach: 1. das Verhältnis zum Subjekt, 2. zum<br />

Mannigfaltigen des Objekts in der Erscheinung, 3. zu allen Dingen<br />

überhaupt.« 252<br />

Versteht man den zweiten Abschnitt des gegebenen Zitates dahingehend,<br />

daß a) das »Verhältnis zum Subjekt« die Prinzipien des »Denken<br />

überhaupt« als die sinnliche Bedingung, b) die Beziehung »zum<br />

Mannigfaltigen des Objekts in der Erscheinung« als das »ganze Denken in<br />

Ansehung eines dati überhaupt« und c) die Beziehung »zu allen Dingen<br />

überhaupt« als das »Ganze an sich selbst oder Totalität« aufzufassen ist, so<br />

wird man sich auch der Auffassung, daß Kant den Ursprung eines<br />

Begriffes oder eines Konzeptes in den transzendentalen Ideen<br />

(psychologisch, kosmologisch, theologisch), die auf Totalität gehen,<br />

gesucht und gefunden hat, anschließen können. 253 Kant läßt die Ideenlehre<br />

252 K.r.V., B 390 f./A 333 f.<br />

253 Vgl. Refl. 2836 (1772-1777): »Cognitio est vel intuitus vel conceptus (repraesentatio<br />

discursiva). Beim ersteren bin ich leidend (Rezeptivität), beim zweiten handelnd<br />

(Spontaneität). Intuitus ist einzeln, conceptus ist repraesentatio per notam<br />

communem. Der Verstand ist hier die formale Ursache der Begriffe. Notio (conceptus<br />

intellectualis): wenn der Begriff auch dem Inhalte nach aus dem Verstande<br />

entspringt.« (Herv. v. Verf.) Zur Stützung der Auffassung, daß die oben im Text<br />

gemachten Überlegungen zur transzendentalen Idee auch für Konzepte gelten<br />

können, deren Inhalte nicht aus dem Verstand entspringen, vgl. hier »Der Verstand<br />

ist hier die formale Ursache der Begriffe«, was für alle »notio« gelten soll, und die<br />

Anmk. aus der Logik, § 4: »Die Form eines Begriffes als einer diskursiven<br />

Vorstellung ist jederzeit gemacht.« (AA IX, p. 93) — also unabhängig vom Ursprung


— 409 —<br />

auf reine Vernunftschlüsse beruhen 254 und kritisiert in der Dialektik die<br />

Totalität, die nicht nur in der metaphysischen Deduktion (§ 9, § 11)<br />

sondern noch in § 26 der transzendentalen Deduktion die Voraussetzung<br />

für eine prinzipiell restlose (wenn im metaphysischen Abschnitt der<br />

Deduktion auch alternative) Teilung der gegebenen ganzen Erkenntnis<br />

war, als bloß unvermeidlichen Schein von objektiver Realität.<br />

»Nun beruhet wenigstens die transzendentale (subjektive) Realität der<br />

reinen Verstandesbegriffe darauf, daß wir durch einen notwendigen<br />

Vernunftschluß auf solche Ideen gebracht werden. Also wird es<br />

Vernunftschlüsse geben, die keine empirische Prämissen enthalten und<br />

vermittelst deren wir von etwas, das wir kennen, auf etwas anderes<br />

schließen, wovon wir doch keinen Begriff haben, und dem wir gleichwohl,<br />

durch einen unvermeindlichen Schein, objektive Realität geben.« 255<br />

»Dieser dialektischen Vernunftschlüsse gibt es also nur dreierlei Arten, so<br />

vielfach, als die Ideen sind, auf die ihre Schlußsätze auslaufen«; 256 diese<br />

sind die Paralogismen der absoluten Einheit des Subjekts selbst, die<br />

Antinomien der absoluten Totalität der Reihe der Bedingungen zu einer<br />

gegebenen Erscheinung und das Ideal der reinen Vernunft »von der<br />

Totalität der Bedingungen, Gegenstände überhaupt, so fern sie mir<br />

gegeben werden können, zu denken, auf die absolute synthetische Einheit<br />

aller Bedingungen der Möglichkeit der Dinge überhaupt« 257 zu bringen.<br />

Für die Erörterung der Dialektik der reinen Verstandesbegriffe der<br />

Kategorien ist die kosmologische Idee (der absoluten Totalität der Reihe<br />

der Bedingungen zu einer gegebenen Erscheinung) wesentlich. Kant stellt<br />

die vier kosmologische Ideen zu einer eigenen Tafel auf: Die absolute<br />

Vollständigkeit (1) der Zusammensetzung des gegebenen Ganzen aller<br />

Erscheinung, (2) der Teilung eines gegebenen Ganzen in der Erscheinung,<br />

(3) der Entstehung einer Erscheinung überhaupt, (4) der Abhängigkeit des<br />

Daseins des Veränderlichen in der Erscheinung. 258<br />

des Inhalts, sondern als »diskursive Vorstellung«. Bekanntlich hat Kant zu diesem<br />

Zeitpunkt noch nicht streng systematisch zwischen Verstand und Vernunft<br />

unterschieden.<br />

254 K.r.V., B 605/A 577<br />

255 B 397/A 339<br />

256 B 397 f./A 339 f.<br />

257 B 398/A 340<br />

258 B 442/A 416


— 410 —<br />

»Zuerst ist hierbei anzumerken: daß die Idee der absoluten Totalität nichts<br />

anderes, als die Exposition der Erscheinungen, betreffe, mithin nicht den<br />

reinen Verstandesbegriff von einem Ganzen der Dinge überhaupt.« 259<br />

»Die Ideen, mit denen wir uns jetzt beschäftigen, habe ich oben<br />

kosmologische Ideen genannt, teils darum, weil unter Welt der Inbegriff<br />

aller Erscheinungen verstanden wird, und unsere Ideen auch nur auf das<br />

Unbedingte unter den Erscheinungen gerichtet sind, teils auch, weil das<br />

Wort Welt, im transzendentalen Verstande, die absolute Totalität des<br />

Inbegriffs existierender Dinge bedeutet, und wir auf die Vollständigkeit<br />

der Synthesis (wiewohl nur eigentlich im Regressus zu den Bedingungen)<br />

allein unser Augenmerk richten.« 260<br />

Die absolute Totalität des Inbegriffs ist also erstens nicht der Inbegriff aller<br />

Prädikate eines Dinges sondern ein Inbegriff aller existierender Dinge,<br />

zweitens bedeutet dieser Inbegriff im transzendentalen Verstand nur die<br />

Vollständigkeit der Synthesis im Regressus. Gleich in welcher Alternative<br />

der Antinomien die Lösung auch erwartet wird, es bleibt der Gegenstand<br />

der Aufmerksamkeit die Ganzheit der als Vergangenheit gesetzten Zeit. —<br />

Die »Exposition der Erscheinungen« unter Verstandesbegriffe zu<br />

bekommen soll aber die Aufgabe der Kategorien sein Das macht für den<br />

Gang dieser Untersuchung die Wesentlichkeit der kosmologischen Ideen<br />

aus. Die kosmologischen Ideen, deren Antinomien von Kant anschließend<br />

aufgestellt werden, haben die Eigentümlichkeit, daß sie gleich auf eine<br />

Weise eingeführt werden, die alle mögliche Kritik eines transzendentalen<br />

Scheines vorwegnimmt (eben die Einschränkung der Totalität auf die<br />

regressive Synthesis), während Kant in den Paralogismen wie im<br />

prototypon transcendentale den dialektischen Schein und seine immanente<br />

Notwendigkeit vor der Kritik vorstellt. Allerdings zeigt ein Blick auf die<br />

Antinomien selbst, daß dort Kant die Progression nicht völlig ausschließen<br />

kann.<br />

Eine weitere Eigentümlichkeit ist in der Exposition der Antinomie (Die<br />

Antinomie der reinen Vernunft) zu finden. Die Einteilung der<br />

dialektischen Vernunftschlüsse wird dort noch logisch vorgenommen: Die<br />

kategorischen Vernunftschlüsse gehen auf »die unbedingte Einheit der<br />

subjektiven Bedingungen aller Vorstellungen überhaupt«, die<br />

259 B 443/A 416<br />

260 B 447/A 418


— 411 —<br />

hypothetischen Vernunftschlüsse auf »die unbedingte Einheit der<br />

objektiven Bedingungen in der Erscheinung« und »die dritte Art« hat die<br />

»unbedingte Einheit der objektiven Bedingungen der Möglichkeit der<br />

Gegenstände überhaupt« zum Thema. 261 Kant meint nun, die disjunktiven<br />

Vernunftschlüsse (die dritte Art) seien ausschließlich die logische Basis der<br />

Antinomien der kosmologische Idee und unterscheidet zwei Seiten weiter<br />

den Weltbegriff der absoluten Totalität in der Synthesis der Erscheinungen<br />

als transzendentale Idee einerseits vom Ideal der reinen Vernunft,<br />

»welches von dem Weltbegriffe gänzlich unterschieden ist, ob es gleich<br />

darauf in Beziehung steht« 262 (vgl. das »ganze Denken in Ansehung eines<br />

dati überhaupt« [Refl. 4683] und andererseits deren Beziehung »zum<br />

Mannigfaltigen des Objekts in der Erscheinung« [K. r. V.,<br />

B 390 f./A 333 f.]). Die Tafel der kosmologischen Ideen selbst hat den<br />

hypothetischen Vernunftschluß, als dialektischer Vernunftschluß in der<br />

Exposition der Antinomie aber den disjunktiven Vernunftschluß zum<br />

logischen Leitfaden: Die »absolute Vollständigkeit der Entstehung einer<br />

Erscheinung überhaupt« 263 ist eindeutig gleichsinnig mit der Exposition<br />

der Totalität der hypothetischen Vernunftschlüsse zu verstehen; nämlich,<br />

indem diese »die unbedingte Einheit der objektiven Bedingungen in der<br />

Erscheinung zu ihrem Inhalt machen«. 264 — Der Unterschied besteht nur<br />

darin, daß Kant hier vom hypothetischen Vernunftschluß verlangt, die<br />

objektiven Bedingungen alle als in der Erscheinungsreihe enthalten zu<br />

denken, während die dritte kosmologische Idee zwar die absolute<br />

Vollständigkeit der Entstehung einer Erscheinung überhaupt denken zu<br />

können voraussetzte, aber nicht verlangt, daß alle objektiven Bedingungen<br />

auch aktuell in derselben Erscheinungsreihe enthalten sein müßten. Es<br />

handelt sich um einen Lapsus Kantens: Die Totalität der kosmologischen<br />

Idee ist schon in der Einleitung zu den Antinomien auf die Reihe<br />

empirischer Erscheinungen restringiert worden, während erst der<br />

dialektische disjunktive Vernunftschluß selbst die Bedingung der Totalität<br />

logisch unbedingt fordert — aber eben ohne insgesamt deren<br />

Enthaltensein in einer einzelnen Erscheinungsreihe zu verlangen. Die<br />

Bestimmung der Antiomie einmal anhand des hypothetischen<br />

Vernunftschlusses und einmal anhand des disjunktiven Vernunftschlusses<br />

führt zur Frage nach der Zeitbedingung. Ist die Zeit nun kontinuierlich<br />

261 B 432 f./A 405 f.<br />

262 B 435/A 408<br />

263 B 442/A 416<br />

264 B 433/A 406


— 412 —<br />

vergehend wie in der Sinnlichkeit, unterscheidbar und doch untrennbar<br />

verknüpft wie der Stoß mit der »Richtungsänderung« in der Mechanik,<br />

oder historisch. Oder schließlich in regressiver Betrachtung der Kette von<br />

Ursache und Wirkung oder der Zustände der Dinge?<br />

Die Eigentümlichkeit der kosmologischen Idee und deren Antinomie<br />

gegenüber den kategorialen, hypothetischen und disjunktiven<br />

Vernunftschlüssen der anderen transzendentalen Ideen war nun an der<br />

logischen Darstellung im Stück »Die Antinomie der reinen Vernunft«<br />

abzulesen: Zur Aufstellung der kosmologischen Antinomien benötigt Kant<br />

sowohl die Überlegung zu den Paralogismen der unbedingten Einheit aller<br />

Vorstellungen (ad 1), das Prinzip der durchgängigen Bestimmung eines<br />

Dinges (ad 2), die Regression der empirischen Ursachen (ad 3) wie das<br />

Ideal der reinen Vernunft in der Dialektik zwischen der zum Weltbegriff<br />

oder schon zum einzelnen Gegenstand restringierten Totalität (ad 4).<br />

❆<br />

Die Ideenlehre Kants weist den transzendentalen Analogien der reinen<br />

Verstandesbegriffe der Kategorien präzise ihre systematische Stelle zu: die<br />

kosmologischen Ideen. So stellen sich die kosmologischen Ideen aus<br />

architektonischen Gründen der Ideenlehre für die Deduktion der<br />

Kategorien als entscheidend heraus: In den Antinomien wird das Ganze<br />

wieder wie in der metaphysischen Deduktion als alternative Totalität<br />

diskutiert, die schon in Refl. 4675 und Refl. 4683 im Übergang vom bloß<br />

subjektiven Ganzen zur objektiven Realität als einfaches Kriterium<br />

gefordert wird. Auch ist die kontinuierliche Zeitbedingung in der<br />

kosmologischen Idee der K. r. V. bereits eine der gemachten und zu<br />

machenden Erfahrung 265 eher zur Form der Sinnlichkeit oder der<br />

Konstruktionshandlung passend als für einen Erfahrungsbegriff im<br />

historischen Sinn. Ich verzichte hier darauf, weitere Parallelen zu den<br />

transzendentalen Ideen aufzuzeigen, wie sie insbesondere anhand der<br />

Entwicklung zu den kosmologischen Ideen im Kontrast zur theologischen<br />

Idee zu verfolgen interessant wären. 266 Vielmehr sind noch einige<br />

Betrachtungen darüber anzustellen, was näher unter der<br />

physischen Verbindung der Erscheinungen unter einander zu verstehen ist<br />

265 Die Reihe der Erscheinungen, die die empirische Ursachen enthalten, in der Thesis<br />

der dritten Antinomie<br />

266 B 442/A 416


— 413 —<br />

und wie, komplementär dazu, die metaphysische Verbindung im<br />

Erkenntnisvermögen abermals das Problem von Subjektivität und<br />

Objektivität bloß reproduziert — oder wie aus einer subjektiven Idee eine<br />

transzendentale Idee werden soll.<br />

c) Logische und analytische Definitionen<br />

Die Erscheinung ist das Gegebene, welches erst analytisch zerlegt werden<br />

muß, um die Erscheinung als Anschauung in der Wahrnehmung zu<br />

apprehendieren, worauf das Schema der — transzendentalen —<br />

Apprehension die Erscheinung im Konzept vom einzelnen Gegenstand<br />

erst als Objekt der Erfahrung zu apperzipieren erlaubt. Diese von mir<br />

schon seit Beginn herausgestellte Unterscheidung im Gebrauch des<br />

Begriffs von einer »Erscheinung« ist der Kantinterpretation zumeist erst<br />

anhand der Beschäftigung mit der Spätphilosophie Kantens bewußt<br />

geworden. 267 Diese variable Doppeltheit im Gebrauch des Begriffes von der<br />

»Erscheinung« drückt Kant schon im Duisburger Nachlaß folgendermaßen<br />

aus:<br />

»Sonst werden Erscheinungen durch die Zeit determiniert; in der Synthesis<br />

aber die Zeit durch eine Erscheinung z.E. dessen, was existiert oder<br />

geschieht oder zusammen ist.« 268<br />

Unter dem Titel der Mehrdeutigkeit der »Erscheinung« ist also auch die<br />

Mehrdeutigkeit der »Apprehension« befaßt, 269 die damit eben mit der<br />

doppelsinnigen Verwendung des Begriffs der »Zusammensetzung«, die<br />

einmal als compositio und einmal als nexus nach dem weiter oben<br />

gegebenen Zitat aus dem Brief an Tieftrunk bestimmt werden kann. In<br />

dem hier gegebenen Zitat ist aber offensichtlich eine Schleife eingebaut:<br />

Die Erklärung, daß die Zeit durch eine Erscheinung determiniert wird,<br />

267 »Die reine Anschauung des Mannigfaltigen im Raum enthält die Form des<br />

Gegenstandes in der Erscheinung a priori vom ersten Rang, d. i. direkte. Die<br />

Zusammensetzung der Wahrnehmungen, Erscheinung [...] zum Behuf der Erfahrung<br />

ist [...] indirekt und ist vom zweiten Range, Erscheinung von der Erscheinung [...].«<br />

(AA XXII, p. 367), »Der Gegenstand einer indirekten Erscheinung ist [...] ein solcher,<br />

den wir nur insofern aus der Anschauung herausheben, als wir sie selbst<br />

hineingelegt haben, d. i. insofern sie unser eigenes Erkenntnisprodukt ist.« (AA XXII,<br />

p. 340)<br />

268 Refl. 4684, AA XVII, p. 671<br />

269 Also einerseits zwischen Apprehension, Reproduktion und Rekognition in A und<br />

andererseits zwischen Apprehension, transzendentaler Apprehension und<br />

Apperzeption in B


— 414 —<br />

macht nicht deutlich, wie die »Erscheinung«, die zuerst bloß das subjektiv<br />

in der empirischen Apperzeption gegebene Phänomen ist, und erst deren<br />

erkennbaren Teile in der Synthesis der transzendentalen Apprehension,<br />

die die Vorstellung eines Raumes und einer Zeit erzeugt, 270 eine Stelle in<br />

der Zeit erhalten haben, 271 nun von der selben Erscheinung ihr eigenes<br />

Verhältnis zu anderen Erscheinungen in der Zeit bestimmt bekommen soll.<br />

Durch welche Synthesis die Bestimmung von »objektiver« Realität geleistet<br />

werden soll — nämlich die Bestimmung der Zeit durch das, was existiert<br />

(Beharrliches) und durch das, was geschieht (Ereignis), bleibt hier unklar<br />

oder scheint gleich wieder in einem Zirkelschluß zu münden. Damit<br />

würde nicht die »objektive Realität« unserer Vorstellungen erwiesen<br />

werden, sondern die Position, von wo aus die »objektive Realität« unserer<br />

Vorstellungen zu beurteilen ist, schon vorausgesetzt werden.<br />

Im Duisburgschen Nachlaß findet sich eine andere Variante zu dieser<br />

Problemstellung, die besser zum synthetischen Grundsatz paßt: »Durch<br />

die Regeln der Wahrnehmung sind die (Sachen) Objekte der Sinne<br />

bestimmbar in der Zeit; in der Anschauung sind sie als Erscheinung bloß<br />

gegeben. Nach jenen Regeln wird eine ganz andere Reihe gefunden, als die<br />

ist, worin der Gegenstand gegeben war.« 272 Das drückt in der Konsequenz<br />

eine zum vorhergehenden Zitat differenziertere Ansicht aus: Zwar sind die<br />

Erscheinungen, die durch die Zeit determiniert werden, jene, die in der<br />

Anschauung bloß gegeben werden, aber nicht die Erscheinungen<br />

bestimmen im Anschluß wiederum die Objekte der Sinne in der Zeit,<br />

sondern die Regeln der Wahrnehmung sollen das Objekt der Erscheinung<br />

gemäß der zeitlichen Form der Sinne bestimmen. 273 Hier sind die Regeln<br />

270 K. r. V., B 202/A 162<br />

271 Als reproduzierte Erscheinungen dann eben schon Vorstellungen<br />

272 Refl. A 4681, AA XVII, p. 666. Vgl. dazu K. r. V.: »Man siehet bald, daß, weil<br />

Übereinstimmung der Erkenntnis mit dem Objekt Wahrheit ist, hier nur nach den<br />

formalen Bedingungen der empirischen Wahrheit gefragt werden kann, und<br />

Erscheinung, im Gegenverhältnis mit den Vorstellungen der Apprehension, nur<br />

dadurch als das davon unterschiedene Objekt derselben könne vorgestellt werden,<br />

wenn sie unter einer Regel steht, welche sie von jeder anderen Apprehension<br />

unterscheidet.« (B 236/A 191)<br />

273 Vgl. dazu auch aus dem synthetischen Grundatz: »Wenn wir also erfahren, daß<br />

etwas geschiehet, so setzen wir dabei jederzeit voraus, daß irgend etwas vorausgehe,<br />

woraus es nach einer Regel folgt. Denn ohne dieses würde ich nicht von dem Objekte<br />

sagen, daß es folge, weil die bloße Folge in meiner Apprehension, wenn sie nicht<br />

durch eine Regel in Beziehung auf ein vorhergehendes bestimmt ist, keine Folge im<br />

Objekte berechtiget. Also geschieht es immer in Rücksicht auf eine Regel, nach<br />

welcher die Erscheinungen in ihrer Folge, d. i. so wie sie geschehen, durch den<br />

vorigen Zustand bestimmt sind, daß ich meine subjektive Synthesis (der


— 415 —<br />

auch als jene der bloßen compositio gegenüber denen des nexus zu<br />

verstehen: sinnliche Begriffe sind Titel der Anschauung, Regel der<br />

Wahrnehmung in der Erfahrung sind Titel der Erscheinungen. 274 Damit hat<br />

auch der Begriff der Erscheinung den Stellungswechsel als Begriff des<br />

Gegebenen zum Begriff der Wahrnehmung als Erscheinung des Objektes<br />

der Erfahrung schon hinter sich gebracht.<br />

❆<br />

Kant schlägt parallel dazu eine Brücke von der formalen Bedingung des<br />

inneren Sinnes zur allgemeinen Bedingung (im Sinne des<br />

Schematismuskapitels, bes. B 180 f.), indem er die Unterscheidung in<br />

formale und in allgemeine Bedingung als bloße Gegenüberstellung von<br />

Analysis und Synthesis vorstellt: »Die Regeln also der Auflösung der<br />

Erscheinungen sind eigentlich die Bedingungen der Apprehension,<br />

insofern sie von einer zur anderen übergeht und sie konjugiert.« 275 Mit<br />

dieser, die vorige Darstellung zweier Reihen (der in der Anschauungsform<br />

gegebenen Erscheinungen und der durch eine Regel bestimmten<br />

Vorstellungen, die Anschauung enthalten), unterbietende Vorstellung sind<br />

die Regeln in Abhängigkeit von den Definitionen von »Erscheinung« und<br />

»Apprehension« zu verstehen: Insofern es die Apprehension ist, die etwas<br />

konjugiert, wird sich das zweite »sie« im obigen Zitat nicht auf die<br />

Apprehension oder auf deren Bedingungen sondern auf die<br />

Erscheinungen beziehen. Diese aber müssen als gegebene Erscheinungen<br />

betrachtet werden, deren Analyse erst die Regeln der Apprehension gibt.<br />

Zunächst bedeutet das Konjugieren der Erscheinungen für sich nichts als<br />

die Indifferenz zwischen den Regeln des nexus und den Regeln der<br />

compositio ; erst schränkt man das Gegebenwerden auf die Kontinuität<br />

nicht nur des inneren Zeitsinnes sondern auch auf die Kontinuität der<br />

äußeren Sinnlichkeit ein, wird auch der Begriff der Regel auf die<br />

allgemeine Bedingung der formalen Bedingung (compositio ) beschränkt.<br />

Damit ist aber nicht nur die subjektive Bedingung der Erscheinungen,<br />

welche als Anschauungsformen a priori erkannt werden können (Raum<br />

und Zeit) den selbst subjektiven Bedingungen der empirischen Erkenntnis,<br />

Apprehension) objektiv mache, und, nur lediglich unter dieser Voraussetzung allein,<br />

ist selbst die Erfahrung von etwas, was geschieht, möglich.« (B 240/A 195)<br />

274 BENEDIKT 1977, . p. 261ff. p. 263: Refl. 4681, AA XVII. p. 666 f..<br />

275 Refl. 4678, AA XVII, p. 660 f.


— 416 —<br />

also der Apprehension in der Zeit überhaupt nach Bedingungen des<br />

innern Sinnes überhaupt gegenübergestellt worden, 276 sondern auch die,<br />

für sich freilich noch nicht befriedigende, aber entscheidende<br />

Unterscheidung von compositio und nexus betroffen. Die Unterscheidung<br />

des Zusammensetzens in compositio und nexus wird also auch als<br />

Unterscheidung im Konzept eines Begriffes negativ erkenntlich, sofern nur<br />

die ursprüngliche Komposition der Erscheinung die Möglichkeit der<br />

Dekomposition, also eines reinen analytischen Verfahrens besitzt. Deshalb<br />

ist nur jene Naturwissenschaft wirklich Wissenschaft, wenn sie ihre<br />

Verhältnisse auch quantitativ (mathematisch) zur Darstellung bringen<br />

kann. Das sagt nun nichts weiter über die physische Verbindung zwischen<br />

den Gegenständen der Erscheinungen selbst aus, macht aber doch den<br />

Mangel der einfachen Unterscheidung des Begriffs der Verbindung<br />

zwischen Erscheinungen vom Begriff der Verbindung zwischen<br />

Eigenschaften des Gegenstandes oder der Gegenstände untereinander<br />

gegenüber der transzendentalen Analytik deutlich: Kants Einsicht besteht<br />

darin, daß es kein befriedigendes Verfahren gibt, daß die Verhältnisse der<br />

Eigenschaften empirisch gegebener Gegenstände (Objekte) selbst als<br />

Verhältnisse in der Anschauungsform untersucht, sondern daß nur ein<br />

Verfahren möglich ist, welches zwischen Regeln der Zusammensetzung<br />

von Erscheinungen in der Anschauung , die der Dekomposition und<br />

Synthesis a posteriori der kontinuierlichen Anschauung entspringen (als in<br />

der Anschauung gegeben), und Regeln der Zusammensetzung<br />

in der Erfahrung , welche der Analyse der Bedingungen von Erfahrung<br />

entstammen (als mit der Anschauung gegeben), die eben nicht alle in der<br />

Kontinuität der äußeren Sinnlichkeit als Anschauungsform sondern bloß<br />

wieder in der Kontinuität des inneren Zeitsinnes fundiert sind, zu<br />

unterscheiden vermag. — Die eigentlich reine metaphysische Analytik,<br />

welche dem Satzsubjekt den Begriff sucht, welcher nicht selbst mehr in<br />

einem Satz als Prädikat verwendet werden kann, ist gleichfalls nicht die<br />

der Dekomposition von Erscheinungen eines Gegenstandes eines solchen<br />

Begriffes. Vielmehr bedarf der Begriff vom Objekt selbst der<br />

Verhältnisprädikate von Erscheinungen, um das transzendentale<br />

Objekt = X als unbestimmtes Ding an sich mit der limitierenden Negation<br />

aller Möglichkeiten weiter zum Begriff vom einzelnen Gegenstand zu<br />

bestimmen. Diese besondere Art von Verhältnisprädikate beziehen sich<br />

aber nicht auf bloße Erscheinungsverhältnisse, sofern darunter nichts als<br />

276 Vgl. Refl. 4675, AA XVII, p. 652 f.


— 417 —<br />

Verhältnisse möglicher Erscheinungen in der Anschauung zu verstehen<br />

sind, sondern sind mit dem Begriff des nexus hinreichend deutlich<br />

gekennzeichnet worden: Erst der Schluß auf die Kausalität der Objekte<br />

selbst, die den Erscheinungen zugrundeliegen (die physische Verbindung),<br />

kann dem Begriff eines einzelnen Gegenstandes (die metaphysische<br />

Verbindung) objektive Realität geben.<br />

Jedoch wird bei näherer Untersuchung ersichtlich werden, daß die<br />

regressive Reihe der Kausalität, welche Ort, Lage und Qualitäten eines<br />

einzelnen Gegenstandes letztlich, d. h. aus wirklichen Gründen bestimmt,<br />

wie auch die grammatikalische Analytik des kategorischen Urteiles zur<br />

metaphysischen Bestimmung, was der einzelne Gegenstand an sich selbst<br />

ist, verlassen werden muß; also die Regression auf die letzte bzw. auf die<br />

erste Ursache der Reihe in der Frage nach objektiver Realität des<br />

gegebenen Gegenstandes nicht entscheidend ist. Die Reihe der Regression<br />

der empirischen (Natur-)Ursachen wird also nicht nur mit dem Begriff<br />

vom intelligiblen Subjekt verlassen, von wo aus dem Einsatz der<br />

menschlichen Freiheit (Kausalität aus Freiheit mittels Kausalität durch<br />

Freiheit) die Möglichkeit offen gehalten wird, sondern schon mit dem<br />

Begriff von der Substanz. 277 Aber eben gilt nunmehr: Weder der einfachen<br />

Substanz noch der Wesentlichkeit der Merkmale des Begriffs von einem<br />

einzelnen Gegenstand kann selbst objektive Realität gegeben werden,<br />

sondern diese ist immer nur vermittelst der Art der Verbindungen der<br />

Eigenschaften, die in und mit den Erscheinungen gegeben werden, zu<br />

denken möglich.<br />

277 Vgl. Friedrich Kaulbach, Der philosophische Begriff der Bewegung, Köln, Graz 1965,<br />

ab p. 181. Vgl. auch die direkte Argumentation in der zweiten Anmerkung zur<br />

zweiten Antithesis der Antinomien der reinen Vernunft: »Es mag also von einem<br />

Ganzen aus Substanzen, welches bloß durch den reinen Verstand gedacht wird,<br />

immer gelten, daß wir vor aller Zusammengesetzung desselben das Einfache haben<br />

müssen; so gilt dieses doch nicht vom totum substantiale phaenomenon, welches, als<br />

empirische Anschauung im Raume, die notwendige Eigenschaft bei sich führt, daß<br />

kein Teil desselben einfach ist, darum, weil kein Teil des Raumes einfach ist.«<br />

(B 471/A 443) — Die Fortsetzung des Zitats führt in die nämliche Schierigkeit<br />

zwischen Ich und einfacher Substanz wie im Text angedeutet.


— 418 —<br />

§ 17 Die Allgemeinheit der Reflexionsformen im Urteil<br />

a) Das Gegebene, die Bedingung des Gegebenseins und das Prinzip<br />

Inzwischen ist hinreichend deutlich geworden, daß ein Begriff von einem<br />

Gegenstand, nur als Verstandesbedingung der Anschauung betrachtet,<br />

zwar auch mit den Kriterien des Ideals der reinen Vernunft<br />

übereingestimmt werden kann, obwohl nur das sinnlich Gegebene und<br />

dessen Verhältnisse, aber nicht deren Stellung in der Reihe der Ursachen<br />

betrachtet wird, aber gerade deshalb nicht die objektive Gültigkeit so ohne<br />

weiteres zugesprochen bekommen kann. Unabhängig davon aber kann<br />

ohne Anschauungsbedingungen der Begriff vom einzelnen Gegenstand<br />

auch nicht als Objekt der Erfahrung interpretiert werden. Der sinnlichen<br />

Empfindung wird demnach zwar transzendentalanalytisch die absolute<br />

Position der Realität überhaupt zugesprochen, was gemäß den<br />

Überlegungen zur Ersten metaphysischen Erörterung des Raumes die Idee<br />

vom Ding überhaupt (ontologisch als das bereits von sich Verschiedene<br />

und Distanzierte als Nicht-ich und bloß psychologisch als Grund der<br />

Störung des einfachen Gleichgewichts) mit sich bringt. Aber erst den<br />

Grundsätzen der Erfahrung anhand der Verhältnisse der sinnlichen<br />

Empfindungen untereinander gemäß der Ordnung der Erscheinungen in<br />

der Anschauung (also schon den Regeln im Sinne von compositio und von<br />

nexus gemäß) ist es demgegenüber möglich, das Ding überhaupt als die<br />

Grundlage des Begriffes vom einzelnen Gegenstand in einem in der<br />

Erscheinung gegebenen Objekt der Erfahrung auch in objektiver Realität<br />

zu denken.<br />

Schon in den Überlegungen im Duisburger Nachlaß findet sich die<br />

eigentümliche Stellung der formalen Bedingung wieder, einerseits<br />

gegenüber dem Ding überhaupt einer allgemeinen Bedingung der<br />

Verhältnisse der Erscheinungsprädikate untereinander im Begriff von<br />

einem einzelnen Gegenstand unterworfen zu werden (universalitas), 278<br />

andererseits gegenüber der allgemeinen Bedingung der durchgängigen<br />

Bestimmung eines Dinges als Allheit aller Prädikate hervorzutreten<br />

(universitas), 279 und zwar jeweils ohne eine Anschauungsform zu<br />

beanspruchen. Der Begriff des Formalen ist nicht nur darauf hin zu<br />

fixieren, ausschließlich als Form des Gegebenseins von Anschauung und<br />

278 B 600/A 572<br />

279 B 601 f./A 573 f


— 419 —<br />

Sinnlichkeit zu fungieren, wie schon aus der Überlegung, ob denn die<br />

formale Logik gegenüber der allgemeinen Logik einen eigenen<br />

Begründungszusammenhang zwischen Diskursivität und Intuitivität<br />

besitzt, hervorgegangen ist. Vielmehr ist das Formale auch zur<br />

Bezeichnung von Begriffsverhältnissen in Absehung von Inhalten in<br />

Gebrauch, ohne das aus diesem Gebrauch zu schließen wäre, die<br />

fraglichen Inhalte wären alle notwendigerweise ihrer Form nach auch<br />

gegeben. 280<br />

Im Kernstück des Duisburger Nachlasses scheint das Verhältnis von<br />

formaler und allgemeiner Bedingung im Verhältnis von aptitudo des<br />

Gegebenen zur Regel und vom Exponenten der Regel, der die Abhängigkeit<br />

des Prinzips von den Formen des Gegebenseins ausdrückt, diskutiert zu<br />

werden, ohne die formale Bedingung auf Formen der Anschauung<br />

zwangsläufig zu einzuschränken. Dabei wird der Exponent u. a. selbst<br />

nochmals als das Verhältnis des schon der Regel unterworfenen<br />

Gegebenen zum Prinzip der Regel (also nicht als Regel der formalen<br />

Bedingung der Erscheinung selbst) beschrieben. Kant erhebt im Zuge<br />

seiner Untersuchungen zwei Forderungen: Einerseits geht Kant von der<br />

Idee der Einheit der Apperzeption aus, und andererseits versucht er das<br />

Konzept des Exponenten regional zu spezifizieren. Für die hier<br />

stattfindende Untersuchung scheint der Einsatz mit der Refl. 4676 am<br />

geeignetsten zu sein. Zunächst wird eine Reflexion über die zwei Kriterien<br />

des »ich denke« in § 16 als Vorbild der transzendentalen Apprehension<br />

vorgestellt:<br />

»Wenn etwas apprehendiert wird, so wird es in die function der<br />

apperception aufgenommen. ich bin, ich denke, Gedanken sind in mir.<br />

Dieses sind insgesamt verhältnisse, welche zwar nicht regeln der<br />

Erscheinungen gaben, aber machen, daß alle Erscheinungen als unter<br />

Regeln enthalten vorgestellt werden. Das Ich macht das Substratum zu<br />

einer Regel überhaupt aus, und die apprehension bezieht jede Erscheinung<br />

darauf.« 281<br />

280 Vgl. weiter oben § 16, b zum doppelten Ursprung der transzendentalen Idee als<br />

intelligible Anschauung der Vernunft (intuitus der notio): »Intuitus ist einzeln,<br />

conceptus ist repraesentatio per notam communem. Der Verstand ist hier die formale<br />

Ursache der Begriffe. Notio (conceptus intellectualis): wenn der Begriff auch dem<br />

Inhalte nach aus dem Verstande entspringt.« (Refl. 2836)<br />

281 AA XVII, p. 656


— 420 —<br />

Das heißt wohl soviel, wie daß die Regel der Zusammensetzung von<br />

Vorstellungen, die in § 16 erst ein Ich, das denkt, rechtfertigen konnte, jene<br />

»Regel überhaupt« ist. Dieses Urbild einer jeden weiteren Regel soll nun<br />

weiter bestimmt werden. In unmittelbarer Folge darauf versucht Kant die<br />

konstitutiven Verhältnisse einer Regel der Sinnlichkeit im reinen Verstand<br />

zum ersten Mal in einer Formel zu erfassen:<br />

»Zur Entstehung einer Regel werden drey Stücke Erfordert: 1. x. als das<br />

datum zu einer Regel (object der Sinnlichkeit oder vielmehr sinnliche reale<br />

Vorstellung), 2. a. die aptitudo zur Regel oder die Bedingung, dadurch sie<br />

überhaupt auf eine Regel bezogen wird. 3. b. der exponent der Regel.« 282<br />

Die Formulierung des ersten Bestimmungsstückes als Datum oder Objekt<br />

der Sinnlichkeit beinhaltet kein Bestimmungsstück der reinen<br />

Anschauungsform; aber der Ausdruck »sinnlich reale Vorstellung« zwingt<br />

zu bedenken, ob damit auch die formale Bedingung in diesem Sinne als<br />

mit eingeschlossen zu gelten hat. 283 Ist der Begriff a (als aptitudo zur Regel)<br />

ein Teil der — vollständigen — gegebenen Erfahrung X, dann sieht Kant<br />

zunächst keine Schwierigkeiten für synthetische Urteile überhaupt. 284 Im<br />

Duisburger Nachlaß wird das x nur teilweise voraussetzungslos als der<br />

Gegenstand gedacht, von dem Erfahrung gemacht wird, und die<br />

entscheidende Frage nach dem Verhältnis vom Begriff a und dem<br />

Erfahrungsganzen gestellt, die Kant in der Einleitung der K. r. V. schon<br />

gelöst zu haben verspricht. Hier wird eben das Verhältnis vom Begriff a<br />

und dem Ganzen der Erfahrung nochmals problematisiert, aber doch so,<br />

daß nach wie vor das x auch als transzendentaler Gegenstand vorkommt:<br />

»Wenn ich beide Prädikate auf das x referiere und dadurch aufeinander, so<br />

ist es synthetisch. [...] Wenn aber a von b in x nicht getrennt werden kann,<br />

282 l. c.<br />

283 cit. op., »Ist das x die Form der Sinnlichkeit oder das reale der Apperzeption?«,<br />

p. 657.<br />

284 Vgl. auch in der Einleitung zur K.r.V., A 8: »Nun ist hieraus klar: 1. daß durch<br />

analytische Urteile unsere Erkenntnisse gar nicht erweitert werden, sondern der<br />

Begriff, den ich schon habe, auseinandergesetzt, und mir selbst verständlich gemacht<br />

werde; 2. daß bei synthetischen Urteilen ich außer dem Begriffe des Subjekts noch<br />

etwas anderes (X) haben müsse, worauf sich der Verstand stützt, um ein Prädikat,<br />

das in jenem Begriffe nicht liegt, doch als dazu gehörig zu erkennen. Bei empirischen<br />

oder Erfahrungsurteilen hat es hiermit gar keine Schwierigkeit. Denn dieses X ist die<br />

vollständige Erfahrung von dem Gegenstande, den ich durch einen Begriff A denke,<br />

welcher nur einen Teil dieser Erfahrung ausmacht. [...].«


— 421 —<br />

e.g. kein x, was ein Körper ist, ist untheilbar, so ist zu sehen, daß das x,<br />

welches durch a gedacht wird, niemals durch non a könne gedacht<br />

werden, daß kein Wesen, was die Natur eines Körpers hat, niemals<br />

unkörperlicher werden könne und daß das a an sich selbst in Ansehung<br />

des x kein Prädikat sei, sondern mit ihm ein Wechselbegriff sei und also<br />

substantive gültig sei. [...] Wenn aber a und b nicht identisch sind, sie<br />

mögen nun bejahend oder verneinend gebraucht werden, und x ist durch<br />

den Begriff von a nicht ganz bestimmt gedacht, so sind a und b nicht in<br />

logischem, sondern realem Verhältnisse der Kombination, mithin nicht der<br />

Involution. Also ist ihr Verhältnis nicht durch ihre Begriffe an sich selbst,<br />

sondern vermittelst des x, wovon a die Bezeichnung enthält, bestimmt. 285<br />

Wie sind solche syntheses möglich?« 286<br />

Hier wird das (a), anhand des zuvor gegebenen Zitates als aptitudo (die<br />

Bedingung zur Regel) bezeichnet, im analytischen Urteil des gegebenen<br />

Beispieles als jener Begriff, der mich einen Gegenstand denken läßt,<br />

bezeichnet, und (b) als Prädikat, welches mich anweist, in welchen<br />

Erfahrungszusammenhang ich nun (a) zu denken habe. Eben diese<br />

Erfahrungsbedingung (b) des x ist nun die Bedingung, ob die Menge der<br />

sinnlichen dati überhaupt im Begriff a und seinem Erfahrungsganzen X<br />

analytisch gedacht werden können, oder ob das Merkmal in (b) nicht in<br />

der vom Begriff (a) bezeichneten Menge der sinnlichen dati enthalten ist.<br />

Kant wirft also zwei Fragen auf: Die Frage: Wie ist eine solche Synthesis<br />

möglich? hat zwei Aspekte zu berücksichtigen. Erstens ist nicht<br />

selbstverständlich, daß es möglich sein muß, daß der Begriff eines Dinges<br />

ein weiteres Merkmal aufnehmen kann; es ist zuerst die Kompossibilität<br />

als das Nebeneinanderstehenkönnen von Prädikaten eines Dinges (!) zu<br />

entscheiden. Zweitens ist zu fragen, ob eine solche Erweiterung des<br />

Ganzen der Erfahrung (also einmal empirisch-synthetisch, einmal<br />

analytisch) nicht auf eine Regel bezogen werden können muß, welche die<br />

Form des Gegebenseins näher zu bestimmen und zu unterscheiden<br />

vermag:<br />

»Weil nun alles in der Zeit gegeben sein muß, sie also alles in sich befasset,<br />

so ist (b) ein actus (function) der apperzeption; nämlich das Bewußtsein<br />

des Subjekts, welches appercepiert, als desjenigen, was in der ganzen Zeit<br />

285 Offensichtlich ist a ein Begriff, der ein Teilmerkmal, der das ganze Objekt bezeichnet,<br />

enthält.<br />

286 Refl. 4676


— 422 —<br />

gegeben ist, ist notwendig damit verbunden, denn sonst würde die<br />

Empfindung nicht als zu mir gehörig vorgestellt werden.« 287<br />

Die formale Bedingung ist als aptitudo also nicht primär jene Form der<br />

Anschauung der Sinne, die dem gegebenen Objekt vorausliegt, 288 die,<br />

gleichwohl dieses bloß der Möglichkeit nach jener vorausliegt, zur<br />

Kontinuität der formalen Anschauung noch notwendigerweise die reine<br />

Möglichkeit des bloß aus dem Erscheinungsverhältnissen<br />

herauszuhebenden Begriff von der Beharrlichkeit anhand der Sinnlichkeit<br />

benötigt, 289 sondern vor allem die Bedingung der Diskursivität der<br />

Merkmale des Begriffes a. Das Prädikat b als Erweiterung des<br />

Erfahrungsganzen über den Begriff a hinaus hat zwar eine synthetische<br />

Funktion in der Apperzeption zu Grunde liegen (was in der ganzen Zeit<br />

gegeben ist und b), ist aber noch nicht selbst die erwartete empirischkonkrete<br />

Bestimmung des Erfahrungsganzen im Naturgesetz zur Einheit<br />

der ganzen Zeit im Bewußtsein des apperzepierenden Subjekts, in welcher<br />

nur jede Erfahrung gegeben werden muß, wie es oben in Refl. 4676<br />

geschieht. Die Zeitlichkeit des inneren Sinnes als Funktion der<br />

Apperzeption ist hier nun aber abstrakt der Exponent der allgemeinen<br />

Bedingung als Prinzip der Einheit des Bewußtseins selbst.<br />

b) Das Argument in der Grammatik<br />

Der Exponent der Regel ist nun unabhängig von dieser transzendentalen<br />

Bestimmung nichts als die bestimmte Anweisung der Regel auf ihren<br />

Geltungsbereich selbst; gilt eine Regel, sei sie nun auf Begriffsverhältnisse<br />

oder auf Verhältnisse formaler Anschauung bezogen, so gilt ein Exponent<br />

als Charakteristik eines bestimmten Verfahrens, der die Angemessenheit<br />

der anzuwendenden Regel für die aptitudo des Gegebenen wie der<br />

Angemessenheit der anzuwendenden Regel für die allgemeine Bedingung<br />

der Regel (dem Prinzip der Regel) ausdrückt. Der dazu gegebene<br />

Algorithmus bleibt allerdings zunächst auf die Ableitungen der<br />

grammatikalischen Form der Prädikatsverhältnisse in einem Urteil<br />

beschränkt: »Wir denken uns alles durch Prädikate, also ist jederzeit ein<br />

287 Refl. 4676, AA XVII, p. 656<br />

288 Vgl. Prol., § 13: Anschauung von etwas setzt aber immer schon etwas vor der<br />

Anschauung voraus.; gleichwohl liegt beiden die Anschauungsform subjektiv<br />

allgemein voraus.<br />

289 HEINRICH 1985, p. 90, Vaihinger: Aufhebung des Raumes widerspricht sich nicht<br />

(Notiz Kants in seinem Handexemplar der K. r. V.)


— 423 —<br />

Verhältnis zu x. In Urtheilen aber ist ein Verhältnis von a : b, welches<br />

beydes sich auf x bezieht. a und b in x, x vermittelst des a : b, endlich a + b<br />

= x.« 290<br />

Jedes Prädikat und jede Vorstellung bezieht sich auf x, aber eben bloß auf<br />

ein Ding überhaupt, nicht auf einen bestimmten einzelnen Gegenstand. In<br />

Urteilen besitzen i. a. sowohl Subjektbegriff wie Prädikatsbegriff ein<br />

eigenes Merkmal und bilden also das Verhältnis a : b, wobei beide Glieder<br />

sich auf das selbe Subjekt x, also auf eine möglich seiende Identität von<br />

Ungleichartigen, beziehen sollen (die Bestimmung des Gegebenen zum<br />

Gegenstand). Nun muß aber aus dem Text ein Grund gefunden werden,<br />

ob das »x« bloß das gegebene Datum ist (dessen innere Struktur wiederum<br />

zwischen Sinnlichkeit und Erfahrungsbedingung verborgen bleibt), oder<br />

doch schon das — transzendentale — Objekt selbst. Es gelte also in jedem<br />

Falle die Annahme, daß a in x und daß b in x. Diese Ausdrucke bedeuten<br />

nun nicht, daß der Begriff a oder der Begriff b in den Begriff x falle, wie in<br />

der logischen (syllogistischen) Subsumtion, weil »x« gar kein Begriff ist,<br />

der ein subordinierendes Merkmal zum Inhalt hat. Vielmehr halte ich hier<br />

bereits die transzendentale Beziehung von a und b auf ein x vorausgesetzt;<br />

und zwar unabhängig, ob unter dem x die (mögliche) ganze Erfahrung<br />

vom transzendentalen Objekt oder gleich dieses selbst gemeint ist. Die<br />

Formulierung »x vermittelst des a : b« ist nun ein deutlicher Hinweis, daß<br />

das »x« bereits als der Gegenstand des Urteils zu denken ist, da allein aus<br />

dem Verhältnis der Prädikate in einem Urteil nicht die vollständige<br />

Einteilung des Ganzen der Erfahrung von diesem Gegenstand erwartet<br />

werden kann. Vielmehr bleibt die Bestimmung des Verhältnisses von a : b<br />

gemäß der logischen Subsumtion übrig: welcher Begriff, a oder b, an der<br />

Stelle des Satzsubjekts, und welcher an der Stelle des Prädikates nach der<br />

Proportion der extensionalen Begriffsumfänge oder der intensionalen<br />

Bedeutungsumfänge zu stehen kommt. Die Proportion a : b ist hier der<br />

Exponent der Regel, die aber nur nach der Bestimmung der extensionalen<br />

Umfangsverhältnisse von Satzsubjekt und Prädikat als logische Form des<br />

Gegebenseins dann schon dem intensionalen Enthaltensein der Merkmale<br />

des höheren Begriffs im niedrigeren analytisch (begriffslogisch) oder<br />

synthetisch (aus der Erfahrung) vorhergeht.<br />

290 Refl. 4676, AA XVII, p. 656 f.


— 424 —<br />

Jedoch kann das x vermittelst von a : b nicht anders herausgehoben<br />

werden, wie schon vermittelst a oder b allein das x herausgehoben werden<br />

könnte. Es bleibt fraglich, wie diese Proportion dem bloß vorausgesetzten<br />

gemeinsamen x als der transzendentale Gegenstand eine Bestimmung<br />

hinzufügen können sollte. Der Ausdruck a + b bedeutet nun erst in Bezug<br />

auf x die Behauptung, daß a und b Eigenschaften des selben einzelnen<br />

Gegenstandes aussagen, weil zur Ganzheit der Erfahrung nicht nur die<br />

formale Bedingung als Einheit der Zeit der Erfahrung, sondern auch die<br />

aptitudo des Begriffes a, daß etwas in dieser Zeit sei, was Objekt der<br />

Erfahrung werden kann, gehört: Das x bleibt so in der Doppelrolle als<br />

(mögliche) Ganzheit der Erfahrung (alle möglichen Prädikate eines<br />

Dinges) und als das transzendentale Objekt = X der Erfahrung, dessen<br />

unvollständige Bezeichnung mit dem Subjektbegriff (a) nur die aptitudo<br />

zur Regel zum Vorschein bringt, welche das x mittels des a mit dem<br />

Prädikat b verbinden kann. Ob das a + b nun analytisch oder synthetisch<br />

zu deuten ist, kann daraus abermals nicht geschlossen werden.<br />

Das ist hier der Exponent der Regel: die Behauptung, daß a und b nicht<br />

bloß beliebig die Stellen in der Konjunktion von Prädikaten einnehmen,<br />

und daß a und b nicht in einem bloß problematischen Urteil als<br />

Eigenschaften eines einzelnen Gegenstandes ausgedrückt werden, sondern<br />

in ihrem S-P-Verhältnis apodiktisch in jedem wahren assertorischen Urteil<br />

gelten. 291 Der normative Gehalt, Satzsubjekt und Prädikat aus der<br />

Proportion der extensionalen Begriffsumfänge zu bestimmen, erscheint in<br />

diesem Beispiel als der Prinzip; daß diese Prädikate in der Erfahrung auf<br />

den Begriff von einem einzelnen Gegenstand überhaupt bezogen werden<br />

können, erscheint hier als die ursprünglicheaptitudo zur Regel. Allem<br />

Anschein nach ohne ausreichende Argumente wird im weiteren<br />

Zusammenhang dieser Überlegung auch die Synthesis nach einer Regel a<br />

priori beansprucht; und zwar mittels einer weiteren Bestimmung von (a)<br />

zur Regel des reinen Denkens des Objektes:<br />

»Die Synthesis enthält regeln des Denkens a priori, aber in so fern es auf<br />

obiecte bestimmt ist. Also ist darin 1. das reine Denken (a) und die Regel<br />

291 Vgl. das syntaktische Kriterium in der analytischen Urteilstheorie Leibnizens (1686):<br />

Schupp (22, 274 f.):»A ist B, wenn jedes A und ein B sich decken«, (22, 271 f.): »A sei<br />

das Subjekt, B das Prädikat, wenn B an die Stelle von A unbeschadet der Wahrheit<br />

substituiert werden kann.« C 325, 2. Satz: »ist, z.B. e>d, bedeutet, daß d an die Stelle<br />

von e substituiert werden kann.« (wobei > intensional zu lesen wäre), GI § 195, § 184:<br />

»jene, die sich decken, sind wechselseitig ineinander enthalten«


— 425 —<br />

desselben, 2. die Bedingung des obiects, d.i. unter der etwas als obiect zu<br />

denken gegeben ist (x) (oder gebracht wird), 3. die Bestimmung des<br />

Gedankens aus diesem Verhältnis (b).« 292<br />

Das (x) wird hier auf das sinnliche Datum ohne jede weitere eigene<br />

Bedingung des Erfahrungsganzen (der inneren Struktur des Datums)<br />

beschränkt; das (b) wird hier als das Verhältnis der Regel in (a) und der<br />

Bedingung des Gegebenseins eines Objektes in (x) bezeichnet. Die<br />

Funktion des Exponenten ist wohl ähnlich, wie weiter oben angeführt, aber<br />

nunmehr wird die Regel nicht zur Verbindung eines Prinzips mit dem<br />

Merkmal der Geeignetheit von etwas Gegebenen, unter dieses Prinzip<br />

gebracht zu werden, gebraucht, sondern nunmehr wird die Regel der<br />

Mannigfaltigkeit des reinen Denkens von (a) entnommen. Insofern wird<br />

zwar der Anspruch auf eine Regel der Synthesis auf richtige und selbst<br />

regelgerechte Weise erhoben, doch die Regel der Synthesis ist nur die des<br />

reinen Gegenstandes und somit nicht die gesuchte Synthesis, die nur a<br />

posteriori notwendig gemacht werden kann. — Abgesehen von der<br />

überhaupt bestehenden Schwierigkeit, zwischen synthetischem Urteil und<br />

analytischem Urteil ein für alle Mal zu unterscheiden (so auch an den<br />

Beispielen synthetischer Urteile a priori in der Geometrie ersichtlich), ist<br />

hier auch kein Grund ausfindig zu machen, zwischen einem synthetischen<br />

Urteil a posteriori und a priori verläßlich zu unterscheiden.<br />

In der Sammlung der logischen Vorlesungen Kants, bearbeitet und<br />

herausgegeben von Jäsche ist in den Vernunftschlüssen der Obersatz das<br />

Prinzip, der Untersatz der Exponent, um über eine bestimmte Art von<br />

Gegenständen oder über einen einen bestimmten einzelnen Gegenstand<br />

eine allgemeine Regel aussagen zu können (Konsequenz). Auf diese<br />

Auffassung vom Exponenten spielt Kant auch in den allgemeinen<br />

Aussagen zu den Vernunftideen in der Dialektik der ersten Kritik an. 293<br />

Die formallogische Interpretation des Exponenten folgt der obigen<br />

Erklärung nur äußerlich, auch bedarf das principium contradictionis im<br />

292 Refl. 4678, AA XVII, p. 661, vgl.dazu BENEDIKT 1977. p. 270<br />

293 Kant, Logik Jäsche, AA IX, p. 121, § 58, Wesentliche Bestandstücke der<br />

Vernunftschlüsse, Anmerkung:»Eine Regel ist eine Assertion unter einer<br />

allgemeinen Bedingung. Das Verhältnis der Bedingung zur Assertion, wie nämlich<br />

diese unter jener Steht, ist der Exponent der Regel. Die Erkenntniß, daß die<br />

Bedingung (irgendwo) stattfinde, ist die Subsumtion. Die verbindung desjenigen,<br />

was unter der Bedingung subsummiert worden, und der Assertion der Regel ist der<br />

Schluß.«


— 426 —<br />

Syllogismus eine weitere Bedingung. Im Untersatz (dem Exponenten) wird<br />

dem Prinzip aus dem Obersatz die Gattung des Objektes zugesprochen,<br />

also das Gegebene (a) für das Prinzip für tauglich erklärt. Im Schlußsatz<br />

fallen das transzendentale Objekt = X und das »x« als Erfahrungsganzes<br />

zusammen.<br />

§ 18 Der Exponent als der zureichender Grund der Konstitution des<br />

Begriffes vom Gegenstand in der Verstandeshandlung<br />

Eine andere Auswahl aus den Reflexionen 4674-4684 zeigt auch einen<br />

anderen Horizont der Entwürfe der Verhältnisse von a, b und x; nämlich<br />

die Beziehbarkeit dieses Entwurfes sowohl auf die Metaphysik der Logik<br />

wie auf die Psychologie des Gemüts. Dabei ergeben sich auch weitere<br />

Definitionen der zuvor eingeführten Glieder:<br />

»In der Erscheinung x also, worin a ein begrif ist, müßen außer dem, was<br />

durch a gedacht wird, Bedingungen seiner specificationen enthalten seyn,<br />

welche eine regel nothwendig machen, deren function durch b<br />

ausgedrückt wird. a kann nicht anders specifisch determinirt werden in<br />

der Zeit, wenn es geschieht, als vermittels einer Regel.« 294<br />

Es fällt auf, daß Kant hier gegen Ende seiner variierenden Überlegungen x<br />

wieder als Erscheinung behandelt. Abermals wird der Exponent (b) zur<br />

Spezifikation des Mannigfaltigen der Erscheinung (x) herangezogen.<br />

Unabhängig vom Mannigfaltigen des Erfahrungsganzen und unabhängig<br />

von jeder Anweisung durch den Begriff a kann dem Prinzip der Regel die<br />

Bedingung der Zeitlichkeit als Exponent gegeben werden. Zu untersuchen<br />

ist, ob weitere Bestimmungen des Exponenten nur mehr anhand der<br />

Mannigfaltigkeit des Gegebenen möglich sind. Es soll nun zunächst eine<br />

weitere den hier vorliegenden Kantschen Entwürfen nahestehende<br />

Interpretation und anschließend eine in diesen Entwürfen nicht intendierte<br />

Anwendung auf die Logik selbst vorgestellt werden.<br />

294 Refl. 4680, AA XVII, p. 665


— 427 —<br />

a) Hinsichtlich des Gemüts<br />

»Die Apperzeption ist das Bewußtsein des Denkens, das ist der<br />

Vorstellungen, so wie sie im Gemüte gesetzt werden. Hierbei sind drei<br />

Exponenten: 1. der Verhältnis zum Subjekt, 2. der Verhältnis der Folge<br />

untereinander, 3. der Zusammennehmung [...]« 295<br />

Es ist aus der Fortsetzung des obigen Zitates aus der Refl. 4674 zu<br />

entnehmen, wie (a) als aptitudo der Regel und wie (b) als Exponent durch<br />

die gegebenen Zitate zu interpretieren ist, aber nicht, woran die drei<br />

Exponenten sich näher unterscheiden: »Die Bestimmung von a in diesen<br />

momentis der Apperzeption ist die Subsumtion unter einen von diesen<br />

actibus des Denkens; man erkennt ihn als an sich selbst bestimmbar und<br />

also objektiv, nämlich den Begriff a, wenn man ihn unter eine dieser<br />

allgemeinen Handlungen des Denken bringt, vermittelst deren er unter<br />

einer regel kommt. Dergleichen Satz ist ein principium der Regel [...].« 296<br />

(a) als aptitudo der Regel ist also die Möglichkeit, den Namen a von x<br />

unter die Allgemeinheit der Handlung (actibus) des Denkens, d.i. erst<br />

unter einen Begriff zu bringen. Der Satz, der diese Handlung in einer<br />

allgemeinen Regel zum Ausdruck bringt, ist als Prinzip der Regel zu<br />

bezeichnen. Das ist soweit schon bekannt: »Weil nun alles in der zeit<br />

gegeben sein muß, sie also alles in sich befasset, so ist (b) ein actus<br />

(function) der Apperception; nämlich das bewußtseins, welches<br />

appercepiert, als dasjenigen, was in der ganzen Zeit gegeben ist, ist<br />

notwendig damit verbunden, denn sonst würde die empfindung nicht als<br />

zu mir gehörig vorgestellt werden«. 297 In diesem Zusammenhang ist nun<br />

noch die Bestimmung des Exponenten bedeutsam, nämlich den gegebenen<br />

und in a gedachten Vorstellungen die Zeitstelle zu bestimmen: »b<br />

[bedeutet] die allgemeine Funktion des Gemüts, dem a seine Stelle in [ihm]<br />

zu determinieren, also den Exponenten der Verhältnisse der [gegebenen<br />

Vorstellungen], mithin deren Stelle nach einer Regel zu bestimmen.« 298<br />

Zwar sagt zum letzten Zitat Klaus Reich nicht ganz zu unrecht, daß die<br />

»Stelle« nicht ein Begriff sei, der notwendigerweise die Begriffe des<br />

295 Refl.4674, AA XVII p. 647; Klaus Reich, Die Vollständigkeit der Kantischen<br />

Urteilstafel, Hamburg, 31986 p. 68<br />

296 AA XVII, p. 647<br />

297 Refl. 4676, AA XVII, p. 656<br />

298 cit. op., p. 655,


— 428 —<br />

Raumes oder der Zeit voraussetzt, doch hat Reich im vorhergehenden<br />

Zitat die Stellen, die auf die Zeitlichkeit nicht nur der Handlung, sondern<br />

auch des mediums, welches die Vorstellungen, die a gibt, verweist,<br />

herausgestrichen. 299 — Die aptitudo zur Regel ist in diesem Zusammenhang<br />

also nichts als die Möglichkeit der sinnlich gegebenen Empfindungs-<br />

Komplexionen, die mit der Vorstellung von a verbunden werden können,<br />

dem Schema des Exponenten einer Regel zu gehorchen, welches für das<br />

ganze x gelten können muß. Dem gegenüber soll die allgemeine Funktion<br />

des Gemüts, in welchem die Empfindungskomplexion mit dem<br />

Bedeutungssyndrom 300 in Verbindung kommt, vom Exponenten der Regel<br />

erst die »Stelle« bestimmt bekommen: »1. der Verhältnis zum Subjekt, 2.<br />

der Verhältnis der Folge untereinander, 3. der Zusammennehmung«. 301<br />

Die vom Exponenten bestimmte Stelle als Zugehörigkeit zu einer der<br />

transzendentalen Ideen überhaupt zu verstehen, entspricht durchaus der<br />

Textlage; es kann aber nicht der Aufmerksamkeit entgehen, daß »das<br />

Verhältnis der Folgen untereinander« dazu bestimmt ist, den gegebenen<br />

Vorstellungen in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen daseiender<br />

Objekte die Stelle in der Zeitreihe zu bestimmen. Der Exponent als<br />

Zeitbedingung des Bewußtseins hatte im ersten Schritt 302 noch allein die<br />

Zugehörigkeit der Vorstellungen zu einem als in der »ganzen Zeit«<br />

gegebenes identischen Bewußtsein zum Thema. Nunmehr stellt sich im<br />

nächsten Schritt doch die Frage nach der objektiven zeitlichen Bedeutung<br />

der zu bestimmenden »Stelle« der Vorstellungen im Bewußtsein. Im<br />

Duisburger Nachlaß kann die dritte transzendentale Idee der<br />

Zusammennehmung überhaupt der Untersuchung zugrundegelegt<br />

werden; diese wird, wie bekannt, ebenfalls bis zum Problem der<br />

Bestimmbarkeit des Einzelfalles geführt: »Eine Regel ist eine Assertion<br />

unter einer allgemeinen Bedingung. Das Verhältnis der Bedingung zur<br />

Assertion, wie nämlich diese unter [!] jener steht, ist der Exponent der<br />

Regel.« 303<br />

Hier wird die Regel selbst als die Assertion, also nur in der Anwendung<br />

auf den gegebenen Einzelfall stehend, aufgefaßt, und das Allgemeine einer<br />

299 REICH 1986, p. 69<br />

300 BENEDIKT. 1977, p. 267, Refl. 4678, AA 660 ff.<br />

301 Vgl. Refl. 4674<br />

302 Refl. 4676, AA XVII, p. 656<br />

303 REICH 1986, p. 66, Refl. 3202


— 429 —<br />

jeden Regel der möglichen Einzelfälle, die unter diese Regel fallen, der<br />

Assertion als Prinzip gegenübergestellt. Der Exponent wäre dann wieder<br />

als das Verhältnis der »allgemeinen Bedingung« als das Prinzip der Regel<br />

zur Möglichkeit (aptitudo ) des Gegebenen der Assertion (insofern das<br />

Gegebensein selbst als formale Bedingung) zu denken. Der Einzelfall ist<br />

bereits als Benennung einer Vorstellungskomplexion aus dem<br />

Erfahrungsraum x zum Bedeutungssyndrom geworden und bleibt als<br />

»Ereignis« der systematischen Unterscheidung in Wahrnehmungsurteil<br />

und Erfahrungsurteil gegenüber indifferent, obwohl aus den Attributen<br />

des Erfahrungsraumes und der »ganzen Zeit« des identischen Bewußtseins<br />

anzunehmen ist, daß Kant in seiner vorläufigen Untersuchung des<br />

synthetischen Urteils eher von der Vorstellung eines Erfahrungsurteiles als<br />

von der Vorstellung eines Wahrnehmungsurteiles ausgegangen ist.<br />

Erst nach der erfolgten Abstraktion vermag das Kalkül von aptitudo und<br />

Exponent im Rückblick von der Kritik der reinen Vernunft aus ein Modell<br />

der Synthesis der bislang nur getrennt in den Blick der Untersuchung zu<br />

bringenden Weisen von Synthesis des Wahrnehmungsurteiles (als Prinzip<br />

des Gegebenen) und des Erfahrungsurteil (als Prinzip des Grundes)<br />

vorstellen lassen: nämlich erstens die Synthesis im Wahrnehmungsurteil<br />

entsprechend des ersten Schrittes in der Untersuchung des Schematismus<br />

der reinen Verstandesbegriffe als die allgemeine Regel der formalen<br />

Bedingung des inneren Sinnes, in welcher die Regeln eines in reiner<br />

Anschauung Gegebenen (des Zweckes jeder Anschauung) der Möglichkeit<br />

nach in der Zweckmäßigkeit der Mathematik 304 schon als enthalten zu<br />

denken sind (compositio) 305 und zweitens die Synthesis im Erfahrungsurteil<br />

entsprechend des zweiten Schrittes als allgemeine Regel der allgemeinen<br />

Bedingung der Objekte der gegebenen Erscheinungen (Erscheinung der<br />

Erscheinungen) 306 im erfahrenden Gemüt (nexus). Die im Duisburger<br />

Nachlaß formulierte Problemstellung bis zur Doktrin der transzendentalen<br />

Einbildungskraft durchzutragen habend, vermöchte ich also das Problem<br />

der transzendentalen Subsumtion etwa wie folgt formulieren: Im<br />

jeweiligen Verhältnis dieser allgemeinen Bedingungen der Regel (also<br />

jeweils Wahrnehmungsurteile wie Erfahrungsurteile auch nach aptitudo<br />

und Exponent betrachtet) zur angewendeten Regel im Einzelfall der<br />

Assertion (also diesmal an jener Stelle in der objektivierenden Synthesis,<br />

304 K.d.U., § 62<br />

305 K. d. V., B 181<br />

306 Refl. 4681, AA XVII, p. 666 f.


— 430 —<br />

die K. Reich vermutet hat) sei nun erst die vollständige Definition der<br />

Exponenten der Assertion zu finden möglich. — Hier werden eindeutig<br />

die Problemstellungen der »transzendentalen Logik« angerissen, die im<br />

Duisburger Nachlaß nicht gelöst werden können, weil die Frage nach dem<br />

Ursprung der Regel des Exponenten zwischen dem gegebenen<br />

Mannigfaltigen und dem Prinzip unentschieden geblieben ist. 307<br />

b) Hinsichtlich der Struktur der transzendentalen Reflexion überhaupt<br />

Es liegt nahe, unter der Bestimmung des Exponenten überhaupt die<br />

transzendentale Reflexion zu verstehen. Der unterstellten Erklärung des<br />

behaupteten Unterschiedes von Wahrnehmungsurteil und<br />

Erfahrungsurteil als Weiterbestimmung der drei Arten von Exponenten<br />

kommt man auf diese Weise aber nicht näher, sondern wird vorausgesetzt:<br />

»Weil aber, wenn es nicht auf die logische Form, sondern auf den Inhalt<br />

der Begriffe ankommt, d.i. ob die Dinge selbst einerlei oder verschieden,<br />

einstimmig oder im Widerstreit sind etc., die Dinge ein zwiefaches<br />

Verhältnis zu unserer Erkenntniskraft, nämlich zur Sinnlichkeit und zum<br />

Verstande haben können, auf diese Stelle aber, darin sie gehören, die Art<br />

ankommt, wie sie zueinander gehören sollen: so wird die transzendentale<br />

Reflexion, d.i. das Verhältnis gegebener Vorstellung zu einer oder der<br />

anderen Erkenntnisart, ihr Verhältnis untereinander allein bestimmen<br />

können, und ob die Dinge einerlei oder verschieden, einstimmig oder<br />

widerstreitend seien etc., wird nicht so fort aus den Begriffen selbst durch<br />

bloße Vergleichung (comparatio), sondern allererst durch die<br />

Unterscheidung der Erkenntnisart wozu sie gehören, vermittelst einer<br />

transzendentalen Überlegung (reflexio) ausgemacht werden können.« 308<br />

Die Grundoperation des Denkens als Verstandestätigkeit ist demnach das<br />

Vergleichen von Begriffen. Hier ist auf die universielle Interpretierbarkeit<br />

von aptitudo und Exponent hinzuweisen: Die transzendentale Reflexion hat<br />

noch die comparatio vorausliegen, das bloße Vergleichen von Begriffen geht<br />

der Bestimmung der Bedingungen, um den Satz vom Widerspruch<br />

überhaupt anwenden können, voraus. Auch hier lassen sich die<br />

(intensionalen) Verhältnisse der Begriffsteile (Begriffsmerkmale) als<br />

307 Vgl. hiezu die Behandlung der Regel in der Reproduktion und in der Rekognition in<br />

der ersten Fassung der K.r.V..<br />

308 Von der Amphibolie der Verstandesbegriffe:, B 318


— 431 —<br />

aptitudo und der Satz vom Widerspruch als logischen Exponenten<br />

darstellen. (Diese Interpretation ist bemerkenswerterweise in der formalen<br />

Konsequenz vergleichbar mit dem Gegensatz zur metaphysischen<br />

Interpretation der logischen Prinzipien, also der Interpretation des<br />

transzendentalanalytischen Untersuchungsganges zur Logik: auch dort ist<br />

die Anwendung des Satzes vom Widerspruch erst die Konsequenz; vgl.<br />

den Fortgang dieser Punktation). Dem Satz vom Widerspruch ist schon<br />

von Leibniz die Beziehbarkeit der Aussagen auf wirklich Mögliches (das<br />

Mittlere zwischen Notwendigkeit und Unmöglichkeit = Kontingenz) 309<br />

vorausgesetzt worden. 310 Insofern sind demnach die Kategorien hier das<br />

erste Prinzip (reflexio), principium contradictionis als zweites Prinzip der<br />

Exponent , und die Vergleichbarkeit der Begriffsmerkmale (comparatio ) 311<br />

die aptitudo der gegebenen Mannigfaltigkeit. Um empirische Begriffe nicht<br />

nur zu vergleichen, sondern auch auf Widersprüchlichkeit ihrer<br />

Zusammensetzung zu untersuchen, bedürfen diese eben eine kategoriale<br />

Deduktion. Allerdings finden sich bei Leibniz wie bei Kant auch<br />

überzeugende Stellen, die den Satz vom Widerspruch traditionell der<br />

metaphysischen Untersuchung analytisch voraussetzen. Dies dürfte aber<br />

vor allem ein Problem der Wahl der Perspektive der transzendentalen<br />

Überlegung zu sein: so findet Kant auch nicht die richtige Formulierung,<br />

zwischen Widersprüchlichkeit empirischer Konzepte und logischen<br />

Widersprüchen in der Deduktion des transzendentalen Schematismus mit<br />

letzter Deutlichkeit zu unterscheiden.<br />

c) Hinsichtlich der metaphysisch (rational) begründeten Logik:<br />

In den verschiedenen Metaphysiken (Logiken) behandelt Kant nun zwei<br />

Prinzipien der Logik der Wahrheit, die mit den zwei Abschnitten der<br />

Urteilsreflexion aus dem Duisburger Nachlaß übereingestimmt werden<br />

können. Die Beziehung des Denkens auf Wahrheit im Sinne von<br />

Erkenntnis hat für sich gleichfalls zwei Bedingungen. Die erste Bedingung:<br />

Der Satz vom Widerspruch als das Prinzip des Denkens von der logischen<br />

Möglichkeit. Die zweite Bedingung ist der Satz vom zureichenden Grund<br />

(als das Prinzip des Denkens der realen Möglichkeit). Aber auch hier wird<br />

deutlich, daß mit dem Verlassen der logischen Denkmöglichkeit das<br />

309 Man beachte den Unterschied diesbezüglich zwischen Aristoteles und Leibniz.<br />

310 Vgl. zunächst die »24 Sätze« Leibnizens, Gerhardt, Bd. VII, Kap. VIII, p. 289 ff<br />

311 Beachte für die auch der Diairesis vorausgesetzen comparatio die für die<br />

Vergleichung grundlegende Unterscheidung von disparat und verschieden bei Leibniz,<br />

GP VII., p. 225, p. 237.


— 432 —<br />

Denken bloß ins konkrete subjektive Bewußtsein entlassen wird und dann<br />

erst das Problem ansteht, wie man zum objektiven Bewußtsein gelangt:<br />

»Subjective Wahrheit ist Übereinstimmung mit den Gesetzen des<br />

Verstandes und der Vernunft« 312<br />

»Ist die Rede vom Criterio der Wahrheit, so kann es hier nur bestehen in<br />

der Übereinstimmung des Erkenntnisses mit der Regel des Verstandes<br />

überhaupt.« 313<br />

»Die Logik hat nur mit der Zusammenstimmung der erkenntnis mit sich<br />

selbst so wohl nach dem principio contradictionis als rationis zu thun.« 314<br />

Obwohl in diesen beiden Zitaten bereits von Erkenntnisse gehandelt wird,<br />

bleibt offen, ob schon die »subjective Wahrheit«, von der Kant in der<br />

Wiener Logik ausdrücklich spricht, wirklich verlassen werden konnte.<br />

»Die Formale wesentliche Kentniße der Wahrheit a.) eine Kentniß muß<br />

möglich seyn, dies ist ein negatives Kriterium, b.) eine Erkentniß muß<br />

gewißerweise gegründet seyn.« 315<br />

»Die Regeln der Übereinstimmung der Erkenntniße mit sich selbst sind 1.)<br />

der Satz des Widerspruches und 2.) der Satz des zureichenden<br />

Grundes.« 316<br />

»Das erste Kriterium der Wahrheit (nach dem Satz des Widerspruchs) [...]<br />

Das zweite Prinzip ist der Satz des zureichenden Grundes.« 317<br />

Das erste Zitat aus der Logik Busolt läßt anscheinend ausdrücklich eine<br />

Weise von Begründetsein zu, welche nicht notwendig anders nicht sein<br />

könnte. Ausgehend von der rein modallogischen Behandlung des Dinges,<br />

das selbst zufällig ist und woraus doch aus den zufälligen<br />

Prädikatsverhältnissen desselben eine Regel der Verknüpfung aus dem<br />

Gegensatz zu entnehmen sein sollte, wie sie Kant in der sogenannten<br />

312 Wiener. Logik, AA XXIV, p. 833<br />

313 Logik Pölitz, AA XXIV, p. 527<br />

314 Refl. 2142, AA XVI, p. 250<br />

315 Logik Busolt, AA XIV, p. 629<br />

316 l. c.<br />

317 Logik Dohna-Wundlacken, AA XIV, p. 719


— 433 —<br />

»vorkritischen« Zeit und noch in den Siebziger Jahren vorgestellt hat, 318<br />

will ich zu den genannten zwei logischen Prinzipien auf folgenden<br />

Hintergrund aufmerksam machen:<br />

Zum ersten »logischen« Prinzip: Vgl. in der Nova dilucidatio: Nicht eine<br />

Ursache, sondern die bloße Denkunmöglichkeit des Gegenteils ist der<br />

Grund eines unbedingten Seins (prop. VI). Kant verlegt hier letztlich das<br />

unbedingte Sein in das Denken im Sinne des logischen Urteilens, indem er<br />

hier in der Negation zwischen Erkenntnisgrund und Seinsgrund nicht<br />

unterscheidet.<br />

Zum zweiten »logischen« Prinzip: Vgl. in der Widerlegung des<br />

ontologischen Gottesbeweises: Nicht nur der Grund, warum eher das ist,<br />

als jenes, sondern auch der Grund, weshalb eher etwas als nichts ist, ist<br />

gegenüber der bloß logischen Möglichkeit real nur zufällig. 319<br />

»Es ist etwas überaus Merkwürdiges, daß, wenn man voraussetzt, etwas<br />

existiere, man der Folgerung nicht Umgang haben kann, daß auch irgend<br />

etwas notwendigerweise existiere. Auf diesem ganz natürlichen (obzwar<br />

darum noch nicht sicheren) Schlusse beruhete das kosmologische<br />

Argument. Dagegen mag ich einen Begriff von einem Dinge annehmen,<br />

welchen ich will, so finde ich, daß sein Dasein niemals von mir als<br />

schlechterdings notwendig vorgestellt werden könne, und daß mich nichts<br />

hindere, es mag existieren, was da wolle, das Nichtsein desselben zu<br />

denken, mithin ich zwar zu dem Existierenden überhaupt etwas<br />

Notwendiges annehmen müsse, kein einziges Ding aber selbst als an sich<br />

notwendig denken könne. Das heißt: ich kann das Zurückgehen zu den<br />

Bedingungen des Existierens niemals vollenden, ohne ein notwendiges<br />

Wesen anzunehmen, ich kann aber von demselben niemals anfangen.« 320<br />

Kant sieht hier offenbar keine reelle Möglichkeit, die Frage, warum das<br />

eine und nicht das andere ist, einer prinzipiellen Erörterung zuzuführen.<br />

Aber auch nach dem Grund, warum eher etwas ist als nichts, kann nur<br />

analytisch-regressiv im Rückgang von einem bereits existierenden Etwas<br />

gefragt werden und versäumt die Möglichkeit, diese Frage aus einem<br />

obersten Prinzip abzuleiten, bereits von je her. Kant zeigt nun, daß eben<br />

318 Vgl. hier den zweiten Abschnitt (B), I., 2.<br />

319 Leibniz, »Die vierundzwanzig Sätze«, GP p. 289<br />

320 K.r.V., B 643 f./A 615


— 434 —<br />

diese Möglichkeit als bloße Denkmöglichkeit nur transzendentaler Schein<br />

ist. Das Prinzip des zureichenden Grundes ist aber nicht nur nicht<br />

imstande, allein den Ausgangspunkt des Seins oder der Vernunft zu<br />

sein, 321 sondern, wie in den Antinomien der kosmologischen Idee<br />

gelegentlich zu zeigen sein wird, auch außerstande, den Regressus auf die<br />

Bedingungen des Existierens zu vollenden.<br />

Kant hat in der Analytik in der K.r.V. demgegenüber wie gegenüber der<br />

Aussage in der Nova dilucidatio den Erkenntnisvermögen deutlich die<br />

Kategorie der Kausalität als Prinzip der Erfahrung zugrunde gelegt;<br />

allerdings: nur unter der Bedingung der Einschränkung auf mögliche<br />

Erfahrung erhält die kontingente Geltung des Satzes von Grund und Folge<br />

eine vom Zufall unterscheidbare Bestimmung, während die reine<br />

kategoriale Bestimmung des Zufalls selbst bloß dem Satz vom<br />

Widerspruch nicht widerspricht — allerdings zuerst allein unter der<br />

Voraussetzung des Kompossibilitätsprinzip betrachtet. 322 — Demgemäß<br />

und nach den Logiken aber wäre (x) die Kenntnis oder Erkenntnis, also die<br />

Wahrheit, deren Rechtfertigung allein durch Gesetze der Logik gesucht<br />

wird. D.h., nicht die Kenntnis quid facti wird behandelt, sondern nur<br />

deren Wahrheit soll erwiesen werden — allerdings hier nur im Rahmen<br />

der »rationalen« Logik. (a) ist dann die negative Möglichkeit, der Satz vom<br />

Widerspruch als das der Logik zugrundeliegende formale Prinzip des<br />

Vergleichens von Begriffssystemen und insofern die aptitudo der<br />

gegebenen Kenntnis zur Regel: das als Wahrheit zu rechtfertigende<br />

Gewußte (Kenntnis) muß widerspruchsfrei sein, was gegenüber bloß<br />

reproduktiv zusammengenommener Assoziation (die selbst keiner<br />

Wahrheit fähig ist) die Bedingung ist, als Denkmöglichkeit überhaupt erst<br />

321 Zunächst ist zwischen Satz vom zureichenden Grund und dem Satz vom<br />

ununterscheidbaren Unterschied zu unterscheiden und erst dann zwischen dem Satz<br />

vom zureichenden Grund und dem Satz vom Widerspruch. Leibniz, Die<br />

vierundzwanzig Sätze, GP VII, p. 289 ff. — Demzufolge ist der Unterschied vom Satz<br />

vom Widerspruch und vom Satz vom ausgeschlossenen Dritten allein<br />

grammatikalisch-logisch nicht zu erklären. Mit dem Satz vom ausgeschlossenen<br />

Dritten dürfte einerseits schon das Kontinuitätsprinzip der mathematisch-logischen<br />

Formalwissenschaft (an Stelle des Kompossibilitätsprinzipes) gegeben worden sein,<br />

während derselbe andererseits bei Aristoteles im Problem der Aussagen über<br />

zukünftige Ereignisse aufgehoben wird.<br />

322 Schon Leibniz unterscheidet im Prinzip der Kompossibilität das Prinzip des<br />

Zugleichseins und das Prinzip des Widerspruches. Nochmals anders unterscheidet<br />

Kant letztlich in der ersten Kritik die Anwendungsbedingungen des principium<br />

contradictionis in die der Wesenslogik und in die der Aussagenlogik im<br />

transzendentralen Schematismus. Vgl. hier den dritten Teil des vierten Abschnittes.


— 435 —<br />

als Erkenntnis (Wahrheit) erwiesen werden zu können. (b) ist demnach der<br />

Exponent als das Verhältnis des Prinzips der Regel (dem Satz vom<br />

zureichenden Grund) 323 zu der allgemeinen Möglichkeit des Gebbaren,<br />

unter eine Regel der Assertion gebracht zu werden: im Rahmen des auf die<br />

verfließende Zeit erweiterten Kompossibilitätsprinzips eben den Satz von<br />

Grund und Folge durch den Satz vom Widerspruch weiterbestimmend<br />

zum Satz vom zureichenden Grund.<br />

d) Hinsichtlich der doppelten Struktur des zureichenden Grundes im<br />

transzendentalen Schematismus:<br />

Wie bereits im ersten Teil des zweiten Abschnitts und auch hier schon<br />

festgestellt worden ist, wird aber die Relation der Kausalität, die zweifelos<br />

eine Interpretation der Beziehung von Grund und Folge ist, nicht durch<br />

das Kompossibilitätsprinzip im Rahmen der Charakteristik des<br />

Zugleichseins, was der Geltung des Satzes vom Widerspruch für<br />

Objektaussagen vorausgesetzt ist (und nicht umgekehrt), oder durch ein<br />

Kompossibilitätsprinzip im Rahmen der Charakteristik der verfließenden<br />

Zeit gerechtfertigt, sondern der zureichende Grund in der Interpretation<br />

des Kausalitätsprinzips (als Relationsbegriff und nicht als Grundurteil)<br />

wird zur Bedingung der Anwendung des Satzes vom Widerspruch auf<br />

empirische Aussagen: Es ist also das Kausalitätsprinzip (als Relation) der<br />

zureichende Grund, die Kompossibilität der Objekte im Zugleichsein und<br />

in der verfließenden Zeit in zufällige (nur dem Satz vom Widerspruch<br />

gehorchend) oder in gesetzmäßige Abläufe des Geschehens (nunmehr:<br />

Kausalität als Determination) diskriminieren zu können. Diese<br />

Weiterbestimmung zur Alternativität sollte also in Hinblick auf die erste<br />

Kritik folgendermaßen gedacht werden: Das Gegebene (datis in Beziehung<br />

323 Der Satz vom zureichenden Grund und der Satz von Grund und Folge: Eine andere<br />

Interpretation dieses Satzes geht von der Frage aus, wie der Grund, als das den<br />

Ungrund in seiner Abgründigkeit Verbergende jeweils von uns aus gesehen letzte<br />

Ereignis, mit der Folge beliebiger Erscheinungen zusammenkommt. Vergleiche auch<br />

§ 15 (K. r. V.): Vereinigung von Einheit und Mannigfaltigkeit (als Vorstellungen)<br />

ergibt Verbindung. — Unter der Voraussetzung der Zeitlichkeit geht es um die<br />

Interpretation folgender Formel in zwei Richtungen: {a,b,c,d,...}={x,x,x,x,...}. Geht<br />

man vom x aus, bleibt die Frage, wie kommt es zum Gewinn der Bestimmungen.<br />

Geht man von a aus, bleibt die Frage, wie kommt es zum Verlust der Bestimmungen.<br />

Zwischen Komprehension und Abstraktion stellt sich die Frage nach dem Grund<br />

noch verwickelter, als hier angedeutet; hier ist bloß formal nach dem Grund des<br />

Überganges von einer Reihendarstellung zur anderen gefragt. — Grund und Folge<br />

(Vgl. Bolzano, Wissenschaftslehre, zweites Buch, zur Unverträglichkeit der Sätze<br />

und zum Verhältnis der Relation logischer Ableitung und der Relation kausaler<br />

Folgesätze)..


— 436 —<br />

auf das transzendentale Objekt = X) wird zwar in der objektiven Zeit<br />

gegeben, aber im inneren Sinn vorgestellt und in der Apperzeption<br />

gedacht, wozu das principium contradictionis zur Möglichkeit einer<br />

Erkenntnis notwendig ist. Der Grund der Verknüpfung der Vorstellungen<br />

und Gedanken zu empirischer Erkenntnis liegt jedoch in der objektiven<br />

Zeit und ist »mit« (nicht ausschließlich »in«) der Anschauung gegeben.<br />

Dieser Grund wird von den Verstandesbegriffen bzw. Kategorien der<br />

dynamischen Grundsätze allgemein ausgesagt, und ist für die synthetische<br />

Metaphysik der Erkenntnisbedingungen der zureichende Grund.<br />

Der Grund der Verknüpfung von Prädikaten in der Zeit setzt nun, wie<br />

bereits gesagt, überhaupt die logische Regel der Sukzessivität voraus,<br />

Prädikate ein und desselben Dinges, die zugleich geltend kontradiktorisch<br />

entgegengesetzt wären, in der Zeit zu verbinden. Das wurde im zweiten<br />

Abschnitt, I (»Die Zeitbedingung der Wahrheit«) als sprachliche<br />

Eigenschaft ausführlich genug vorgestellt. Nicht die empirischen Inhalte<br />

der Anschauung überhaupt (worunter auch bloße Empfindungen<br />

verstanden werden könnten) oder deren Stellung in der Zeitreihe, sondern<br />

die Beziehungen derselben auf einen äußerlichen Gegenstand ist die<br />

hinzutretende Bedingung zur Bestimmung des Wechsels der<br />

Erscheinungen zur Sukzessivität gemäß dieser logischen Regel der<br />

Verknüpfung von zugleich entgegengesetzten Erscheinungen in der Zeit.<br />

Der Grund einer Erkenntnis liegt hier aber zuerst in der Beziehung der<br />

Erscheinungen auf einen äußerlichen Gegenstand überhaupt als ersten<br />

zureichenden Grund Leibniz und ist dem Prinzip der Regel der<br />

Sukzessivität der Erscheinungen vorgeordnet. Die allgemeine Bedingung<br />

dieser Beziehung wäre demnach das Prinzip überhaupt, daß<br />

Erscheinungen sich auf Gegenstände beziehen, und deren Exponent unter<br />

der Bedingung der Zeit die logische Regel der Sukzessivität als der<br />

zureichende Grund der Beziehbarkeit von verschiedenen Prädikaten auf<br />

ein und den selben Gegenstand in der verfließenden Zeit.<br />

Dieses Ergebnis der grammatikalisch-logischen Untersuchung des<br />

Gebrauches der Prädikate in der Zeit stimmt aber nicht überein mit der<br />

metaphysischen Untersuchung der Logik: Es ist dem Ergebnis der<br />

Untersuchung der zwei Bedingungen aus den Logiken genau<br />

entgegengesetzt. Nunmehr ist nicht die gegebene Mannigfaltigkeit als<br />

modallogisch definierte Sukzessivität jenes, was das Prinzip vom<br />

Widerspruch repräsentiert, und der zureichende Grund ist nicht der der


— 437 —<br />

Verknüpfung oder nexus im Dasein sondern eben die bloße<br />

Veränderlichkeit der Merkmale oder der bloße Wechsel der Prädikate ist<br />

das Gegebene und die Bestimmung der verfließenden Zeit zur<br />

Sukzessivität ist der Exponent, wobei die Beziehung des Prädikats auf den<br />

gemeinten Gegenstand, der intentional als etwas vom Prädikat<br />

verschiedenes gedacht werden muß, das reine Prinzip des Exponenten ist<br />

(grammatikalisch-logische Analyse). Zuerst soll die Verknüpfbarkeit<br />

einander zugleich widersprechender Prädikate in der Zeit den<br />

zureichenden Grund Leibnizens, eben die vorausgesetzte Beziehung von<br />

Prädikate auf Gegenstände, allererst transzendentallogisch rechtfertigen,<br />

schließlich muß hier nunmehr ein synthetisches Urteil a priori die<br />

Verknüpfung von Prädikaten zur transzendentalen Rechtfertigung der<br />

zweiten Fassung des zureichenden Grundes in der Zeit bewerkstelligen.<br />

Man sieht, daß man mit der Interpretation der Unterscheidung in<br />

principium contradictionis und zureichenden Grund insbesondere in der<br />

Fassung der Logik Busolt, gemäß welcher nicht strenger Determinismus<br />

gefordert werden kann, nach aptitudo des Gegebenen, dem Prinzip, und<br />

dem Exponenten des Prinzips in der Lage ist, eine Fassung des<br />

transzendentalen Schematismus herzustellen. Es muß aber bezweifelt<br />

werden, daß Kant selbst dergleichen unternommen hat, obwohl die<br />

Zwecksetzung seiner Unternehmen damit in modaler Hinsicht vermutlich<br />

erreicht werden würde. Allerdings kann mit einer solchen Vorgangsweise<br />

nicht auch das systematische Ziel Kants, die Unterscheidung und<br />

Vereinbarung von Verstand und Sinnlichkeit erreicht werden, vielmehr<br />

fiele mit dieser sprachanalytisch-intentionalen Vorgangsweise die<br />

Sinnlichkeit wieder ohne weitere eigene inhaltliche Charakterisierung<br />

außer dem unbestimmbaren aptitudo in ihre völlige Passivität zurück. Der<br />

Erfahrungsraum wäre demnach nicht logisch anhand der Sukzessivität<br />

durchgehend charakterisierbar. So wird die hier vorgelegte Fassung eines<br />

transzendentalen Schematismus, wenngleich sie meiner Auffassung nach<br />

auch völlig korrekt aufgestellt wurde, nicht das gewünschte Ergebnis<br />

erzielen, weil der Erfahrungsraum nicht wie in der Kritik der reinen<br />

Vernunft durch die Sinnlichkeit transzendentalästhetisch eingeschränkt<br />

worden ist, was offenbar die Bedingung für eine kontinuierliche<br />

Prädikation ist. Im Erfahrungsraum des Duisburger Nachlasses ist die<br />

Sinnlichkeit hingegen nur passiv als das die Mannigfaltigkeit ursprünglich<br />

gebene Moment berücksichtigt.


— 438 —<br />

Die in den folgenden Kapitel (viertes Kap.: Die Schematen der<br />

Einbildungskraft, und fünftes Kap.: Intellection und Einbildungskraft)<br />

durchgeführten Untersuchungen werden aber nicht nur zeigen, daß die<br />

Fassung des transzendentalen Schematismus im Abschnitt<br />

(Transzendentale Logik, Die transzendentale Analytik) der ersten Kritik<br />

eben das Verhältnis von Verstand und Sinnlichkeit zum Gegenstand hat<br />

und daraus auch seine Rechtfertigung erfährt, sondern auch, daß der<br />

seinerseits unhintergehbare metaphysische Abschnitt des transzendentalen<br />

Schematismus eine Umgestaltung erfahren hat. Es scheint, das es nach der<br />

Kritik hinsichtlich der Reinheit und Idealität zu einer Widerlegung der<br />

rationalen Metaphysik gar nicht kommt, sondern vielmehr nur die<br />

Vernunftideen dargestellt und deren Dialektik kritisiert werden.<br />

e) Hinsichtlich der dialektisch (wesenslogisch) begründeten Logik:<br />

Die Frage nach dem Übergang vom mittels Entgegensetzung möglicher<br />

Prädikate bestimmten Ding (kategoriale Allheit) zum Begriff vom<br />

einzelnen Gegenstand im Ideal der reinen Vernunft (logische<br />

Allgemeinheit) im Kapitel über das transzendentale Ideal als prototypon<br />

transcendentale führt die Darstellung der logischen Bedingungen der<br />

Erkenntnis im Rahmen der Anwendbarkeit von aptitudo und Exponent zu<br />

folgender Betrachtung:<br />

Das erste Prinzip der durchgängigen Bestimmung (Allheit) schließt<br />

bekanntlich implizite für sein Verfahren zuerst unter allen möglichen<br />

Prädikaten eines Dinges überhaupt diejenigen aus, die kein Gegenteil<br />

haben. Unter der zusätzlichen, von Kant an Ort und Stelle nicht eigens<br />

diskutierten Bedingung, daß immer nur eines von zwei kontradiktorisch<br />

entgegengesetzen Prädikate der jeweils gleichen Qualität gelten kann,<br />

werden weiters »alle möglichen Prädikate eines Dinges« diesem Ding<br />

zugeschrieben. Für das entscheidende Kriterium des Ausschlußes von<br />

Prädikaten aus der nunmehr bereits gemäß dem Prinzip der Allheit<br />

spezifizierten Menge »aller möglichen Prädikate eines Dinges«, der zum<br />

Begriff vom einzelnen Gegenstand führt (das zweite Prinzip der<br />

Durchbestimmung eines Dinges: Allgemeinheit gemäß der Idee), ist das<br />

erste Prinzip der durchgängigen Bestimmung aber nicht in einem präzise<br />

logisch faßbaren Sinn die Bedingung, die vorliegen muß, bevor mit der<br />

Operation zur Herstellung eines allgemeinen Begriffs vom Gegenstand<br />

begonnen werden kann. Das erste Kriterium der logischen Allgemeinheit


— 439 —<br />

als Ideal der reinen Vernunft erweist sich als unabhängig von der<br />

kategorialen Allheit des Dinges. 324<br />

Wir denken mit dem ersten Prinzip der durchgängigen Bestimmung eines<br />

Dinges (Allheit) auch nicht den »Inbegriff aller möglichen Prädikate<br />

überhaupt«, wie Kant unterstellt werden kann, 325 sondern bereits einen<br />

Inbegriff »aller möglichen Prädikate eines Dinges überhaupt«. Das kann<br />

man, wie weiter oben gezeigt, für die Erkenntnis des Einzelnen die<br />

aptitudo zur Regel der Allgemeinheit nennen; die Beziehung des Prädikates<br />

auf irgendein Ding allerdings ist auch ohne dem Verfahren der<br />

Einschränkung der Vielheit auf das erste Prinzip (Allheit) dem Prädikat<br />

von wo anders vorauszusetzen. So halte ich zwar den Moment der Menge<br />

aller Merkmale überhaupt in ihrer durch die Einklammerung sich<br />

zeigenden Beziehungslosigkeit eigens fest, bevor ich durch Einschränkung<br />

der Vielheit durch die Bedingung, daß alle möglichen Prädikate Prädikate<br />

eines einzelnen Dinges sein sollen, die Menge erst zur Allheit bestimme,<br />

aber stelle mir unter dem Inbegriff aller Prädikate die Idee des Beziehens<br />

eines abstrakt gedachten Vorstellungsinhalts auf ein Ding vor, die man<br />

formal jedem Prädikat abermals zusprechen kann, und nicht das Ding an<br />

sich. Der logische Gegenstand der Intentionalität ist wiederum nicht das<br />

Ding an sich, sondern dieses hat immanent betrachtet die Funktion des<br />

Statthalters für das Substrat des Erfahrungsobjektes. Allerdings vermute<br />

ich, daß im Zuge der Erörterung der hier anstehenden Fragen Kant diese<br />

Unterscheidungen nicht immer konsequent durchgehalten hat.<br />

Auch die beabsichtigte Offenhaltung einer Äquipollenz zwischen<br />

»Inbegriff aller möglichen Prädikate überhaupt« (Vielheit) und »Inbegriff<br />

aller möglichen Prädikate eines Dinges« (Allheit) kann ich an dieser Stelle<br />

nicht völlig ausschließen, könnte mich dieser Vorgangsweise aber nicht<br />

anschließen. Die Einschränkung der ersteren auf die Allheit der zweiteren<br />

ist mit der Beziehung der Prädikate in einem Urteil, und somit erst<br />

dadurch auf ein Ding (logischer Gegenstand) bezogen und entspricht dem<br />

zureichenden Grund aus der selbst schon transzendentalen Kritik der<br />

»rationalen« logischen Metaphysik nach Leibniz, wie im vorangehenden<br />

Punkt behandelt. Das eigentliche Verfahren der Limitation und Negation<br />

nach dieser ersten Einschränkung besteht selbst aus zwei Schritten. Zuerst<br />

324 Vgl. hier §§ 8-13<br />

325 K.r.V., B 601/A 572


— 440 —<br />

wird von allen möglichen Prädikate eines Dinges ein zusätzliches<br />

Kriterium verlangt, nämlich ein Gegenteil zu haben. Danach entscheidet<br />

jeweils die Empirie (das Existenzprädikat) welches der beiden<br />

Möglichkeiten gelte. Derart ergibt sich ein Profil in der selbst<br />

gleichbleibenden Idee eines durchbestimmten Dinges, das bestimmte<br />

Prädikate ein-, und das Gegenteil bestimmter Prädikate auschließt. Das<br />

kann nicht als Erzeugung des logischen Gegenstandes der Intention<br />

verstanden werden, sondern ist bereits die Weiterbestimmung der Stelle,<br />

die vom Ding an sich freigehalten worden ist, zu einem Begriff vom<br />

aktuellen und wirklichen (physischen) Objekt zwischen Grundurteil,<br />

Wahrnehmungsurteil und Erfahrungsurteil. Die Teilung aller teilbaren (in<br />

Oppositionen ausdrückbare) Prädikate gemäß dem Existenzprädikat kann<br />

dann als das Prinzip, die Teilbarkeit (die oppositionelle Ausdrückbarkeit)<br />

der emprischen Prädikate als dessen Exponent, und die Menge aller<br />

möglichen Prädikate überhaupt als die aptitudo besitzend, auf ein Ding<br />

(zunächst noch unentschieden, ob auf ein Ding überhaupt oder auf irgend<br />

ein Ding) qua Prädikat bezogen zu sein, dargestellt werden. Erst darauf<br />

aufbauend kann in der nächsten Abstraktionsstufe das Existenzprädikat<br />

des Dinges (selbst nur ein Urteil über eine Vorstellung des Dinges) als<br />

Geltungssaussage über eine bestimmte Aussage (Wahrheit oder Falschheit)<br />

aufgefaßt werden, womit das Prinzip der Limitation und Negation durch<br />

das einfache principium contradictionis hinsichtlich der Wahrheitswerte<br />

von Aussagen ersetzt wird. Das ist die Fundierungsebene der Logik als<br />

Formalwissenschaft, die aber doch schon den Prinzipien der rationalen<br />

Metaphysik mit vorausgesetzt ist. Dies ist in der transzendentalen Analyse<br />

nicht mit der gleichen Sicherheit und vor Allem nicht mit gleichen Umfang<br />

von Beginn an zu behaupten.<br />

❆<br />

Das Prinzip der Regel als zweites Prinzip der durchgängigen Bestimmung<br />

(Allgemeinheit) ist dann in der Forderung Kants enthalten, den Begriff<br />

vom einzelnen Gegenstand als Ergebnis der durchgängigen Bestimmung<br />

eines Begriffs durch die bloße Idee anzusehen. 326 Das könnte aus dem<br />

Zusammenhang, wie schon angedeutet, freilich auch so verstanden<br />

werden, als würde das erste Prinzip der durchgängigen Bestimmung die<br />

Kriterien des Ausschlusses zur Bestimmung der Idee zu einem Begriff<br />

326 B 602/A 573


— 441 —<br />

schon erfüllen. Das Ding ist nämlich nun auch schon seit Beginn die Idee<br />

eines die transzendentale Materie vereinigenden Substrates und nicht nur<br />

das zwischen Vielheit und Einzelheit unbestimmte etwas aller möglichen<br />

Prädikate, die allerdings erstens zusammen gelten können und zweitens<br />

analytisch das Existenzprädikat der Vorstellung vom Ding selbst auch<br />

schon vor der Teilung enthalten müssen. Ich denke aber doch, daß der<br />

wesenslogischen Formulierung der logischen Allgemeinheit eine von der<br />

kategorialen Allheit selbstständige Bedeutung unterlegt werden kann: Die<br />

Idee ist zum Begriff zu bestimmen, um einen allgemeinsten Begriff zu<br />

erhalten, und sei es ein bloß spekulativer Vernunftbegriff (was vom<br />

transzendenten Gebrauch reiner Verstandesbegriffe als Quelle des Scheins<br />

zu unterscheiden ist). Demnach wären die Kriterien des Ausschlusses des<br />

zweiten Prinzips der durchgängigen Bestimmung eines Dinges (Prädikate<br />

zu erhalten, die nicht aus Prädikaten abgeleitet sind und ohne<br />

Widerspruch nebeneinander stehen können), die aus der Vorstellung<br />

(Idee) eines Dinges den Begriff vom einzelnen Gegenstand machen, bereits<br />

als die Exponenten des Ideals der reinen Vernunft zu interpretieren, um<br />

ein bestimmtes Prädikat auf einen durch den Exponenten auch spezifisch<br />

bestimmbaren Gegenstand mit Notwendigkeit zu beziehen. 327 Die<br />

aptitudo des Gegebenen (hier dann die Bestimmung zu Prädikate, wovon<br />

schon die Untersuchung von aptitudo und Exponent des<br />

Bedeutungssyndroms a ausgeht) wäre dann, um es nochmals zu sagen,<br />

unabhängig vom ersten Prinzip der durchgängigen Bestimmung<br />

(kategoriale Allheit) die vorausgesetzte Beziehung der Vorstellungen auf<br />

ein bestimmbares Ding, was zuvor bereits als eine Interpretation des<br />

zureichenden Grundes nach Leibniz firmiert hat. Unter diesen<br />

Voraussetzungen wäre dann das wesensnotwendige Prädikat (klassisch:<br />

Begriffsmerkmal als Teilbegriff eines nur möglichen ganzen Begriffs vom<br />

Gegenstand) der Exponent des (wesenslogischen) Prinzips, den Begriff aus<br />

einer Idee, schließlich abstrakt-allgemein den Begriff von einem einzelnen<br />

327 BENEDIKT 1977:»Jedenfalls ist interessant, daß Kant die Reflexion des gesamten<br />

Vernunftraumes, ob jetzt nur partiell (im Sinne der Konstruktionslogik der Setzung<br />

der Vernunft unter den Verstand und der Bestimmung der Basis der Position der<br />

sinnlichen Mannigfaltigkeit in diesem Rahmen) als Prädikatenlogik durch die<br />

Vorstellung der kategorischen Beurteilungsform als Wahrnehmungsurteil in die<br />

Basis materialer Implikation der Propositionslogik im Falle der Exigenz des<br />

gesamten Vernunftraumes über die Anschauungsintention hinaus nochmals<br />

analytisch als prinzipielle Denkbarkeit (a) im Sinne des Prädikativ-Allgemeinen<br />

zusammenfaßt. Von hier aus stellt sich die Frage, wie dieses Bedeutungssyndrom (a)<br />

auf das gesuchte: das (x) der sinnlichen Gegenstandsbeziehung unserer<br />

Erkenntnisweisen, hier also als das problematisch, das heißt abstrakt Gemeinte<br />

unseres subjektiven Sinnes, zu vermitteln ist.« (p. 266 f.)


— 442 —<br />

Gegenstand aus der Idee vom Ding zu bestimmen. — Es wäre aber ein<br />

Fehler, würde man den Begriff vom einzelnen Gegenstand, die sogenannte<br />

Idee vom Ding und den logischen Gegenstand im Verstandesurteil<br />

schlechterdings in eins setzen wollen. Der Begriff vom einzelnen<br />

Gegenstand ist eine Vernunftidee (Ideal der reinen Vernunft); die Idee vom<br />

Ding entstammt der vollständigen (transzendentalen) Intentionalität des<br />

Vorstellens (sinneserfüllende Intention), die Vorstellung des logischen<br />

Gegenstandes entspringt dem Verstandesurteil und kann Verstandesidee<br />

heißen.<br />

Die Prinzipien der Reflexion des Verstandesvermögens führen also nicht<br />

garantiert zum gleichen Substrat, führen aber gegenüber der sinnlichen<br />

Erfahrung (die also Anschauung beinhaltet) zu aufeinander beziehbaren<br />

Ergebnissen. Kant steigert damit aber nicht, wie im Syllogismus der<br />

empirischen Postulate versucht, mit der Wesentlichkeit des das Ding zum<br />

Gegenstand bestimmenden Prädikates die Notwendigkeit der Beziehung<br />

eines Prädikates auf etwas außer sich, sondern setzt diese Beziehung da<br />

wie dort voraus und dehnt im Ideal der reinen Vernunft den<br />

Geltungsbereich notwendiger Bestimmungen der Wesenslogik auf die<br />

Allgemeinheit von Erfahrungsbegriffen aus — allerdings ohne dortselbst<br />

Erfahrungsbedingungen angeben zu können, weshalb der Begriff vom<br />

einzelnen Gegenstand auch kein Verstandesbegriff, sondern ein<br />

Vernunftbegriff ist.<br />

§ 19 Der Übergang von der metaphysischen zur transzendentalen<br />

Deduktion<br />

Die eigentliche Problemstellung bleibt nun die aus dem § 18 der<br />

transzendentalen Deduktion bekannte Unterscheidung in subjektive und<br />

in objektive Einheit des Bewußtseins, die dann in § 19 anhand der<br />

Unterscheidung des hypothetischen Urteils vom kategorischen Urteil als<br />

bereits grundsätzlich gelöst nochmals vorstellig gemacht worden ist. Im<br />

Rückblick auf die Einheit des Bewußtseins von der Dreifaltigkeit des<br />

Prinzips des concipere ausgehend lassen sich folgende Formulierungen<br />

finden, welche zusammendfassend die fragliche Gliederung der<br />

Erkenntnisvermögen, die in der Kritik der reinen Vernunft weiter


— 443 —<br />

behandelt wird, 328 schon im Duisburger Nachlaß im Rahmen der<br />

bekannten Formel einer ersten transzendentalen Untersuchung näher<br />

bringen. Dazu gibt es eine Fassung der Formel von x, a, und b, die zwar<br />

gegenüber der von mir gewählten Grundauffassung defizient ist, weil b<br />

nur als allgemeine Handlung beschrieben wird, was zu Mißverständnissen<br />

führen kann, hier aber deshalb interessant ist, weil x als die Stelle der<br />

subjektiven Bedingungen, und a gleich als einzelne Erscheinung, und nicht<br />

mehr als Namen einer Vorstellungs-Komplexion (oder gleich eines<br />

Bedeutungssyndroms) eingeführt wird: »Weil also die subjektiven<br />

Bedingungen (x) zu allen diesen Positionen zulangen soll, so muß die<br />

Bestimmung von (a) d.i. (b) eine allgemeine Handlung sein, wodurch die<br />

Erscheinung von a exponiert wird.« 329<br />

Die Allgemeinheit der Handlung soll also nicht nur das Allgemeine des<br />

Subjektiven, sondern das Allgemeine von Subjekt und Objekt in der<br />

Handlung umfassen. Das ist der entscheidende Punkt, worin Kant den<br />

Überschritt von traditioneller Metaphysik einerseits und cartesianischen<br />

radikalen Transzendentalsubjektivismus andererseits zur<br />

Transzendentalphilosophie eigentlich vollzieht. In diesem Punkt spaltet<br />

sich die Strategie der Argumentation: Einerseits bleibt alles unter dem<br />

Prius der allgemeinen Handlung, die nach der erfolgten Trennung von<br />

subjektiver und objektiver Realität des Daseins nunmehr die bewußte<br />

Synthesis leisten soll, andererseits sollen die drei subjektiven Funktionen<br />

des Gemüts die Exponenten der Regel allererst bestimmen:<br />

»Die drey Verhältnisse im Gemüth erfordern also drey analogien der<br />

Erscheinung, um die [...] subjectiven functionen des Gemüths in obiective<br />

zu verwandeln und [...] sie dadurch zu Verstandesbegriffe zu machen,<br />

welche den Erscheinungen realität geben.« 330<br />

Welche drei Verhältnisse sind gemeint? Man erinnere sich an die drei<br />

subjektiven Bedingung, die zusammen als das subjektiv Allgemeine die<br />

Bedingung zum objektiv Allgemeinen (die Intellection) ausmachen<br />

sollten. 331 Die subjektiven Bedingungen der Erscheinung als<br />

328 Und zwar in § 10 der Deduktion wie in der Ideenlehre der Dialektik in der K.r.V..<br />

329 Refl. 4678, AA XVII. p. 660 ff.<br />

330 Refl. 4675, AA XVII, p. 648<br />

331 »Die subiective Bedingungen der Erscheinungen, welche a priori erkannt werden<br />

können, sind Raum und Zeit: intuitionen.


— 444 —<br />

Anschauungsform, als Bedingung der Apprehension und als Bedingung<br />

der Konstruktion sollten in der Refl. 4675 zur »intellection« zureichen. Man<br />

denke auch an die Erklärungen zum »concipere«: 332 Die Anschauungsform<br />

und die Bedingung zur Apprehension wird in der Refl. 4683<br />

zusammengefaßt zur sinnlichen Bedingung der ganzen Sinnlichkeit, die<br />

Bedingung der Konstruktion erklärt Kant dortselbst mit dem Prinzip des<br />

»ganzen Denkens in Ansehung eines dati überhaupt« in der Konsequenz<br />

schon als so gut wie mitgegeben, bevor er anhand der<br />

Zusammennehmung wiederum zur Totalität übergeht, welche Objektivität<br />

garantieren soll. 333 Hiebei ist die Formulierung eines Prinzipes des »ganzen<br />

Denkens in Ansehung eines dati überhaupt« besonders bemerkenswert,<br />

weil es hier nicht um die Empirie überhaupt geht, sondern eben um das<br />

Prinzip des Umgangs mit einen selbst schon als Assertion bestimmten<br />

empirischen Datums, sei es hier in der Allgemeinheit der Erörterung auch<br />

unbestimmt, welches. Es bleibt aber dennoch verblüffend, welche<br />

Formulierung er für diese als da wie dort als subjektiv vorgestellte<br />

Prinzipien findet:<br />

»Es dienen also die Begriffe Substanz, Grund und Ganzes nur dazu, um<br />

jeder realität [Erscheinung] in der Erscheinung ihre Stelle anzuweisen,<br />

indem ein jedes eine function oder [potenz der] dimension der Zeit<br />

vorstellt, darin das obiect, was wargenommen wird, soll bestimmt und aus<br />

der Erscheinung Erfahrung werden.« 334<br />

Demnach ist die »sinnliche Bedingung der ganzen Sinnlichkeit« (Refl. 4683;<br />

das Denken überhaupt) bzw. die Anschauungsform und die zeitliche<br />

Die subiective Bedingung der empirischen Erkenntnis ist die apprehension in der<br />

Zeit überhaupt und also nach Bedingungen des innern Sinnes überhaupt.<br />

Die subjektive Bedingung der rationalen Erkenntnis [ist] die construction [in der<br />

Zeit] durch die Bedingung der apprehension überhaupt.<br />

Alles, was gegeben wird, wird unter den allgemeinen Bedingungen der<br />

apprehension gedacht. Also ist das subiectiv allgemeine der apprehension die<br />

Bedingung des obiectiv allgemeinen der intellection.« (Refl. 4675, AA XVII, p. 652 f.).<br />

Vgl. hier § 16, c<br />

332 »Die principien der conception (gehen auf subj) sind entweder des Denkens<br />

überhaupt oder des absoluten setzens oder der zusammennehmung a priori. Vom<br />

ersten ist die sinnliche Bedingung die ganze Sinnlichkeit, von dem zweyten das<br />

ganze Denken in ansehung eines dati überhaupt, vom dritten das ganze an sich<br />

selbst oder totalitaet.« (Refl. 4683, AA XVII, p. 670)<br />

333 Vgl. diese naive Einstellung mit der differenzierteren Darstellung des Unterschiedes<br />

von omnituda synthetica (der Kategrorie der Größe) und Totalität hier im ersten<br />

Abschnitt.<br />

334 Refl. 4682, AA XVII, p. 669


— 445 —<br />

Bedingung zur Apprehension (Refl. 4675, als innerer Sinn) in die Stellung<br />

eines Prinzips der Substanz (Seinsgrund) gerückt und das Prinzip des<br />

»ganzen Denkens in Ansehung eines dati überhaupt« und damit das<br />

Prinzip der Konstruktion zum Prinzip des Erkenntnisgrundes geworden.<br />

Zusammenfassend scheint der damit initierte Begriff von Substanz sich<br />

ohne Bedingung der Konstruktion vom Status von »Empirie überhaupt« in<br />

der ersten Bestimmung der Materie in der M.A.d.N. nicht deutlich zu<br />

unterscheiden:<br />

»Wenn ich den Begriff der Materie nicht durch ein Prädikat, was ihr selbst<br />

als Objekt zukommt, sondern nur durch das Verhältnis zum<br />

Erkenntnisvermögen, in welchem mir die Vorstellung allererst gegeben<br />

werden kann, erklären soll, so ist Materie ein jeder Gegenstand äußerer<br />

Sinne, und dies wäre die bloß metaphysische Erklärung derselben.« 335<br />

»Der Raum aber wäre bloß die Form aller äußeren sinnlichen Anschauung<br />

(ob eben dieselbe auch dem äußeren Objekt, das wir Materie nennen, an<br />

sich selbst zukomme, oder nur in der Beschaffenheit unseres Sinnes bleibe,<br />

davon ist hier gar nicht die Frage.) Die Materie wäre im Gegensatz der<br />

Form das, was in der äußeren Anschauung ein Gegenstand der<br />

Empfindung ist, folglich das Eigentlich-Empirische der sinnlichen und<br />

äußeren Anschauung, weil es gar nicht a priori gegeben werden kann.« 336<br />

Offensichtlich stimmt der Begriff der Materie, wie Kant sich in den jeweils<br />

ersten Formulierungen Kants im Duisburger Nachlaß gebildet hat, mit der<br />

Überlegung zur »Empirie überhaupt« in den M.A.d.N. insofern überein.<br />

Hingegen stimmt die Bestimmung von »Empirie überhaupt« schon in der<br />

Absicht nicht mit den oben gegebenen letzten Zitaten des Duisburger<br />

Nachlasses überein, die auf Begriffe der dynamischen Kategorien gehen<br />

(Substanz, Grund, Ganzes): der Gebrauch des Ausdruckes »Gegenstand«<br />

ist m. E. gerade im Zusammenhang mit Empfindungen durchaus kein<br />

Anlaß, hier eine Weise der Gegenstandskonstitution bei Kant zu vermuten,<br />

335 M. A. d. N., Erkl. 1, Anmk. 2, AA IV, 481. Vgl dazu auch in der K. r. V.: »[...]<br />

Wahrnehmung überhaupt und deren Verhältnis zu anderer Wahrnehmung, ohne<br />

daß irgendein besonderer Unterschied dersel-ben und Bestimmung empirisch<br />

gegeben ist, kann nicht als empirische Erkenntnis, sondern muß als Erkenntnis des<br />

Empirischen überhaupt angesehen werden, und gehört zur Untersuchung der<br />

Möglich-keit einer jeden Erfahrung, welche allerdings transzendental ist.«<br />

(B 401/A 343)<br />

336 M. A. d. N., Phoron. Erkl. 1, Anmk. 2, AA IV p. 481


— 446 —<br />

sondern bloß als verkürzte Redeweise zu verstehen. Konrad Cramer<br />

kritisiert an diesen Formulierungen insofern zu Recht, daß sie nicht<br />

zureichen, die Kriterien für die Koextensivität von »Materie« und<br />

»Gegenstände der äußeren Sinne« zu enthalten. 337 Richtig ist in jedem Fall,<br />

daß mit obiger Argumentation kein Gegenstandsbegriff notwendig<br />

gemacht wurde, sondern eben nur »Empirie überhaupt« (Materie). Die<br />

Verwendung der Formulierung vom »Gegenstand der äußeren Sinne«<br />

bleibt nicht zuletzt wegen dem Attribut »metaphysisch« für die<br />

Erklärungsart zweideutig, wegen des weiteren Textverlaufes darf aber<br />

vermutet werden, daß Konrad Cramer auch für die erste Phoronomische<br />

Erklärung recht behalten dürfte, wo die »Materie« abatraktiv zum<br />

Massepunkt wird.<br />

Allerdings geben die zuletzt gegebenen Definitionen aus dem Duisburger<br />

Nachlaß durchaus Anlaß, den Begriff eines einzelnen Gegenstandes als<br />

Begriff eines Objekt der Erfahrung im Sinne der Kritik der theoretischen<br />

Vernunft zu denken, auch wenn sie noch nicht als kategoriale Ableitungen<br />

ausgewiesen werden können: Der selbst subjektive, aber reale Grund des<br />

Gegenstandes (der selbst eben noch nicht objektiv als »Gegenstand«<br />

angesprochen werden kann: Erfahrungsobjekt) hat anhand seiner<br />

objektivierbaren Verknüpfungen unter dem Prinzip des »ganzen Denkens<br />

in Ansehung eines dati überhaupt« schließlich im Übergang zur<br />

synthetischen Totalität nach der Bedingung der Konstruktion mit der<br />

gesuchten Definition des Verbindungsbegriffes zu tun, welcher den mit<br />

der Affinität von Gegenstand, Raum und Bewußtsein immer schon<br />

vorauszusetzenden nexus auszudrücken imstande sein soll. Die<br />

Bedingungen der Objektivierbarkeit der dynamischen Verknüpfung, die<br />

im Zusammenhang des Duisburger Nachlasses, wenn auch defizient,<br />

zumindest als Forderung formuliert werden konnte, werden erst in der<br />

transzendentalen Analytik der ersten Kritik ausreichend diskutiert.<br />

❆<br />

In § 19 der transzendentalen Deduktion scheint es, als wäre das<br />

hypothetische Urteil transzendental (als Bedingung der Möglichkeit) die<br />

Voraussetzung zum kategorischen Urteil; und somit auch die<br />

transzendentale Analogie des ersteren die Voraussetzung für die Analogie<br />

337 CRAMER 1985, p. 134; Cramer beruft sich in dieser Frage auf P. Plaass.


— 447 —<br />

des zweiteren. Allerdings: Zwar benötigt die Analogie der Kategorie der<br />

Substanz die Zeit, um den Begriff als Schema der Apprehension der<br />

Beharrlichkeit in den Erscheinungen zu bilden, aber nicht die Kausalität.<br />

Vielmehr kommt die Analogie der Kategorie der Kausalität ohne<br />

Substanzbegriff nicht aus. Dieser kann aber für die Kategorie der<br />

Kausalität nicht selbst einfach der Begriff der Beharrlichkeit oder der<br />

Beweglichkeit als Bestimmung der kontinuierlichen<br />

Erscheinungsverhältnisse sein, sondern nimmt den Status einer<br />

analytischen Ableitung aus dem Begriff der Ursache ein (Repulsion) ein,<br />

deren Wirkung die Ausgedehntheit der Substanz ist. 338 Diese Behandlung<br />

der Ursache führt aber erstens über die logische Form des bloßen<br />

Grundurteils nicht hinaus, und ist zweitens sowenig wie die Sollizitation<br />

im mechanischen Stoß Bestandteil der Kontiniuitätsbedingungen, die mit<br />

der reinen Anschauungsform in Raum und Zeit gefordert werden. Hier<br />

wird aber gefordert, die Kausalität als Relation zu denken, womit deutlich<br />

wird, daß der Substanzbegriff nicht geeignet ist, selbst den Rahmen für<br />

eine Diskussion des dynamischen Verbindungsbegriffes abzugeben.<br />

Hingegen ist der Begriff (das Schema) der Beharrlichkeit die Legitimation<br />

des Substanzbegriffes in der kontinuierlichen Anschauung, die sich aber<br />

noch nicht selbst ausdrücklich auf dynamische Verhältnisse bezieht.<br />

Insofern ist aus der Sicht des Methodenvergleichs der Begriff des<br />

Beharrlichen ein Seitenstück zur Phoronomie und nicht zur Dynamik.<br />

Beharrlichkeit und Wechsel bilden ein ähnliches Paar wie Ursache und<br />

Wirkung, insofern von beiden sowohl gesagt werden kann, daß die<br />

Behauptung des einen analytisch die Behauptung des anderen nach sich<br />

zieht, wie auch, daß sie einander entgegengesetzt sind. Für die Begriffe<br />

von Ursache und Wirkung ist dies schon bekannt, für die Begriffe von<br />

Beharrliches und Wechsel (der Wechsel ist zunächst allerdings auch als<br />

Veränderliches unabhängig von einer Kontinuitätsbedingung zu denken)<br />

scheint dieser selbstverständliche Gedankengang bislang noch wenig<br />

beachtet worden zu sein: Es ist eine logische und metaphysische Aussage,<br />

wenn in Form einer bloßen Namenserklärung expliziert wird, daß das<br />

Beharrliche als solches nur im Wechsel von Veränderlichem hervortreten<br />

kann, und die Veränderung nur anhand eines Beharrlichen erscheint. 339<br />

Insofern gehorchen die reinen Verstandesbegriffe dem ersten logischen<br />

338 In der traditionellen analytischen Metaphysik Leibnizens wird das Merkmal des<br />

wesentlichen Prädikats als Wirkung einer Ursache verstanden, die ident ist mit der<br />

Substanz.<br />

339 Vgl. in diesem Abschnitt Kap. 5


— 448 —<br />

Prinzip der Durchbestimmung eines Dinges mittels der Allheit der<br />

Prädikate, deren Teilung in zwei Mengen einander entgegengesetzter<br />

Prädikate das Existenzprädikat bestimmen lassen sollte; darüberhinaus<br />

sind die beiden Paare durch die logische Bestimmbarkeit des<br />

Veränderlichen noch strukturell über die transzendentale Zeitbedingung<br />

der Kategorie mit der Kausalitätskategorie verbunden. Der an dieser Stelle<br />

vielleicht zu erhebende Einwand, es gäbe nicht den geringsten Hinweis auf<br />

eine ausgezeichnete Stellung der behandelten analytisch<br />

entgegengesetzten Begriffspaare, also die Behauptung reiner<br />

Verstandesbegriffe von Kategorien sei bloße Willkür, muß eben wegen der<br />

Verbindung des Veränderlichen, einmal im Rahmen des reinen<br />

Verstandesbegriffes analytisch das notwendige Gegenüber des<br />

Beharrlichen zu sein, ein andermal modalkategorial der logischen<br />

Definition der verlaufenden Zeit zur Sukzession, welche eine kausale<br />

Interpretation der Zeit transzendentallogisch überhaupt erst möglich<br />

macht, zu Grunde zu liegen, unbedingt widersprochen werden.<br />

Mit der sich seit der streng und rein analytischen Vorstellung der<br />

Substanzkategorie in § 26 durchzeichnenden relativen Unabhängigkeit des<br />

Substanzbegriffes von der eigentlich dynamischen Kategorie der<br />

Kausalität besteht aber die Neigung, daß die Problematik, den nexus nach<br />

phänomenalen Grund, nach physischem Grund und nach metaphysischem<br />

Grund unterscheiden und wieder vereinbaren zu müssen, innerhalb der<br />

Erörterung der Substanzkategorie von der metaphysischen Notwendigkeit<br />

(ens rationis : das Prinzip des zureichenden Grundes) verschluckt und als<br />

bereits immer schon gelöst vorgestellt wird: Das Mannigfaltige der<br />

Subordination, weil dieses in der Subordination als das Ganze gedacht<br />

werden muß, ist sowohl als Ganzes des Bewußtseins, dessen Prinzip die<br />

Subordination ist, wie auch als Menge der koordinierbaren Teile des<br />

Ganzen zu denken notwendig, ansonsten die Subordination nicht die<br />

ganze Mannigfaltigkeit subordiniert hätte.<br />

Eben diese Forderung wird von Kant im Duisburger Nachlaß parallel zu<br />

den Bestimmungsversuchen der Exponenten der Regel ausdrücklich<br />

erhoben: »Die transcendentale Logik handelt von Erkenntnissen des<br />

Verstandes dem Inhalte nach, aber unbestimmt in ansehung der Art, wie<br />

obiecten gegeben sind. Die Bedingung aller apperception ist die Einheit<br />

des denkenden subjects. Daraus fließt die Verknüpfung (des<br />

Mannigfaltigen) nach einer Regel und in einem Ganzen, weil [...] die


— 449 —<br />

Einheit der Funktion sowohl zur subordination als coordination zureichen<br />

muß.« 340<br />

Sofern die ganze Mannigfaltigkeit subordiniert wird, muß das<br />

Mannigfaltige als Ganzes auch seine Teile koordiniert beinhalten, was es<br />

nunmehr herauszuheben gelte. Kant meint nun die logische<br />

Unterscheidung der Disjunktion nach dem nicht auschließenden »oder«<br />

und nach dem auschließenden »oder« in der logischen Funktion mit den<br />

Kriterien des Ideals der reinen Vernunft im transzendentalen Obersatz<br />

zuerst vereinbaren zu können, um diese anschließend in der Zeit als<br />

Antinomie zwischen der empirisch unbedingten Möglichkeit eines<br />

intelligiblen Wesens, welches darum von aller empirischen Bedingung<br />

nicht nur als frei zu denken ist, sondern vielmehr den Grund der<br />

Möglichkeit aller dieser Erscheinungen enthält, einerseits, und dem<br />

Eigenrecht der als »empirischbedingt« bezeichneten Existenz andererseits,<br />

herausstellen zu können. 341 Die empirisch unbedingte Möglichkeit ist<br />

gemäß dem ausschließenden »oder« strukturiert: Entweder es existiert<br />

etwas oder es existiert nichts. Der Grund, warum eher etwas als nichts<br />

existiert 342 ist für Leibniz das principium rationis oder das ens rationis (das<br />

Prinzip des zureichenden Grundes); Kant bleibt für diese Frage letztlich<br />

bei der lapidaren modallogischen Feststellung, daß das Gegenteil<br />

denkunmöglich ist: 343 Die Aufhebung des ganzen Seins schließt die<br />

Aufhebung des Denkens mit ein. Über die absolute Notwendigkeit von<br />

340 Refl. 4675, AA XVII, p. 651, Kant spricht hier von der Beharrlichkeit des Raumes<br />

341 In: »Vom empirischen Gebrauche des regulativen Prinzips«: »Es ist aber hierbei<br />

garnicht die Meinung, das unbedingtnotwendige Dasein eines Wesens zu beweisen,<br />

oder auch nur die Möglichkeit einer bloß intelligibelen Bedingung der Existenz der<br />

Erscheinung der Sinnenwelt hierauf zu gründen, sondern nur eben so, wie wir die<br />

Vernunft einschränken, daß sie nicht den Faden der empirischen Bedingungen<br />

verlasse, und sich transzendente und keiner Darstellung in concreto fähiger<br />

Erklärungsgründe verlaufe, also auch, andererseits, das Gesetz des bloß empirischen<br />

Verstandesgebrauchs dahin einzuschränken, daß es nicht über die Möglichkeit der<br />

Dinge überhaupt entscheide, und das Intelligibele, ob es gleich von uns zur<br />

Erklärung der Erscheinungen nicht zu gebrauchen ist, darum nicht für unmöglich<br />

erkläre. Es wird also dadurch nur gezeigt, daß die durchgängige Zufälligkeit aller<br />

Naturdinge und aller (empirischer) Bedingungen, ganz wohl mit der willkürlichen<br />

Voraussetzung einer notwendigen, ob zwar bloß intelligibelen Bedingung<br />

zusammen bestehen könne, also kein wahrer Widerspruch zwischen diesen<br />

Behauptungen anzutreffen sei, mithin sie beiderseits wahr sein können.«<br />

(B 590 f./A 562 f.)<br />

342 G. W. Leibniz, Gerhardt, Bd. VII, p. 289, Kap. VIII, Vierundzwanzig Sätze<br />

343 Nova dilucidatio, prop. VI: Die Formulierung ist aber so gehalten, daß dieser Satz<br />

nur die Frage nach dem Grund von konkret einzelnen Seienden zu beantworten<br />

scheint.


— 450 —<br />

Sein überhaupt wird damit aber so oder so nichts ausgesagt, dessen<br />

Notwendigkeit ist nicht mehr oder weniger notwendig, wie auch ein<br />

Produkt des Zufalls ein nicht aufhebbares Faktum sein kann, selbst wenn<br />

es zuvor vermeidbar gewesen wäre. Die empirisch bedingte Existenz als<br />

bestimmte Washeit unterscheidet sich der Notwendigkeit nach nicht von<br />

der Notwendigkeit der unbedingten Möglichkeit der Empirie selbst,<br />

sondern nur im Grund der Notwendigkeit. Die Folgen empirisch bedingter<br />

Existenz sind gemäß dem nicht ausschließenden »oder« strukturiert: Die<br />

Frage nach dem Grund, warum eher dies und nicht das andere existiert,<br />

behandelt beide Alternativen gleichermaßen als real möglich. Um<br />

zwischen real möglichen Alternativen nicht bloß zu unterscheiden,<br />

sondern auch zu entscheiden, welcher Grund für die Existenz des einen<br />

und nicht des anderen ausschlaggebend ist, muß allerdings neuerlich nach<br />

dem zureichenden Grund gefragt werden.<br />

Es zeigt sich mit dem Fortgang der Untersuchung, daß es keine einzelne<br />

Handlung gibt, die die Subordinierung des Ganzen der Mannigfaltigkeit<br />

wie auch die Koordination ihrer Teile auf einem Schlag zustande bringen<br />

kann. 344 Deshalb war es m. E. auch richtig, die Spannungen in §§ 15-18 der<br />

transzendentalen Deduktion gegenläufig zu der Vorstellung aus der<br />

transzendentalen Ästhetik zu interpretieren, daß Ganze sei vor seinen<br />

Teilen gegeben; also daß vielmehr erst die Zusammensetzung der<br />

Mannigfaltigkeit (Koordination) das Ganze derselben als Einheit<br />

rechtfertigen könne. Im Kontrast der oben gebotenen Überlegungen aus<br />

dem Duisburger Nachlaß, daß das »Ich als Substratum aller Regel«<br />

imstande sei, mit der Subordination des Mannigfaltigen als ein Ganzes<br />

auch deren Teile zu koordinieren, zeigt sich schon ebendort, daß es zu<br />

mehreren Handlungen kommen muß, um das mannigfaltige Ganze bzw.<br />

das Mannigfaltige als Ganzes zu denken. Diese jeweils »allgemeinen<br />

Handlungen« (die Funktionen des Exponenten: b) haben nun eine<br />

Funktion für das Gemüt (die Einheit des Bewußtseins in dem damit<br />

gedachten Gedanken) und eine Funktion, den in den Gedanken gedachten<br />

Gegenstände objektive Realität zu geben. So hat Kant schon im Duisburger<br />

Nachlaß die Frage nach subjektiver und objektiver Einheit des<br />

344 »Die transcendentale Logik handelt von Erkenntnissen des Verstandes dem Inhalte<br />

nach, aber unbestimmt in ansehung der Art, wie obiecten gegeben sind. Die<br />

Bedingung aller apperception ist die Einheit des denkenden subjects. Daraus fließt<br />

die Verknüpfung (des Manigfaltigen) nach einer Regel und in einem Ganzen, weil<br />

[...] die Einheit der Funktion sowohl zur subordination als coordination zureichen<br />

muß.« (Refl. 4675, AA XVII, p. 651)


— 451 —<br />

Bewußtseins mit hinreichenden Deutlichkeit aufgestellt, auch wenn trotz<br />

der Betonung des Konstruktionsprinzips das Kausalitätsprinzip keine<br />

eigene Stellung erhält.<br />

In der K. r. V. ist aber bis zur systematischenVorstellung aller<br />

synthetischen Grundsätze außer in § 19 (hypothetisches — kategorisches<br />

Urteil) kein weiteres eindeutiges Kriterium zu finden, der Grund zur<br />

Annahme geben könnte, daß die subjektive Allgemeinheit verlassen<br />

worden wäre, um die geforderte objektive Allgemeinheit zu erreichen,<br />

wenngleich natürlich in der transzendentalen Deduktion selbst die<br />

Forderung nach der objektiven Gültigkeit der Kategorien erhoben und<br />

begründet wird, aber nichts als die Notwendigkeit dieser Forderung<br />

bewiesen wird. 345 Erst in der systematischen Vorstellung der synthetischen<br />

Grundsätze sind neben analytisch metaphysischen (naturphilosophischleibnizianische)<br />

und synthetisch-metaphysischen (spinozistischpsychologische)<br />

Abschnitten auch Argumente aus dem Bereich der<br />

metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaften zu finden,<br />

welche den Anspruch auf objektive Allgemeinheit dokumentieren. Die<br />

eigentliche transzendentale Deduktion findet aber zwischen Verstand und<br />

Sinnlichkeit anhand des Vergleiches von Erscheinungsreihe und<br />

Vorstellungsreihe statt. Obgleich allem Anschein nach in direktem<br />

Widerspruch zur Bestimmung der transzendentalen Logik, daß sie von<br />

Inhalten, unabhängig wie sie uns gegeben sein mögen, handele, wird<br />

dementsprechend im Kapitel »Von dem Schematismus der reinen<br />

Verstandesbegriffe« behauptet, daß die formale Bedingung schon auch die<br />

allgemeine Bedingung enthalte:<br />

»Nach demjenigen, was in der Deduktion der Kategorien gezeigt worden,<br />

wird hoffentlich niemand im Zweifel stehen, sich über die Frage zu<br />

entschließen: ob diese reine Verstandesbegriffe von bloß empirischem oder<br />

auch von transzendentalem Gebrauche seien, d.i. ob sie lediglich, als<br />

Bedingung einer möglichen Erfahrung, sich a priori auf Erscheinungen<br />

beziehen, oder ob sie, als Bedingung der Möglichkeit der Dinge überhaupt,<br />

auf Gegenstände an sich selbst (ohne einige Restriktion auf unsere<br />

Sinnlichkeit) erstreckt werden können.« 346<br />

345 Diese zentrale Schwierigkeit wird in Folge nach der Analyse des<br />

Schematismuskapitels noch eingehend behandelt werden.<br />

346 K.r.V., B 178 f./A139 f.,


— 452 —<br />

Mit der hier gebrauchten Unterscheidung in empirischem und<br />

transzendentalem Gebrauch wird freilich nicht etwa die Idee der<br />

transzendentalen Subsumtion aufgegeben: 347 »Denn da haben wir gesehen,<br />

daß Begriffe ganz unmöglich sind, noch irgend eine Bedeutung haben<br />

können, wo nicht, entweder ihnen selbst, oder wenigstens den Elementen,<br />

daraus sie bestehen, ein Gegenstand gegeben ist, mithin auf Dinge an sich<br />

(ohne Rücksicht, ob und wie sie uns gegeben werden mögen) gar nicht<br />

gehen können; daß ferner die einzige Art, wie uns Gegenstände gegeben<br />

werden, die Modifikation unserer Sinnlichkeit sei; endlich, daß reine<br />

Begriffe a priori, außer der Funktion des Verstandes in der Kategorie, noch<br />

formale Bedingungen der Sinnlichkeit (namentlich des inneren Sinnes) a<br />

priori enthalten müssen, welche die allgemeine Bedingung enthalten, unter<br />

der die Kategorie allein auf irgend einen Gegenstand angewandt werden<br />

kann.« 348 Das Schematismuskapitel in der K. r. V. droht also das<br />

Problembewußtsein, das anhand der Diskussion der gegeben Zitate aus<br />

dem Duisburger Nachlaß gewonnen worden ist, insofern zu unterbieten,<br />

indem die formale Bedingung (im Schematismuskapitel der K. r. V.<br />

zunächst vorwiegend als Anschauungsform in Gebrauch) bereits die ganze<br />

allgemeine Bedingung (dann also schon die Regel des nexus) beinhalten<br />

347 Hier stellt sich die Frage: Vermögen empirische Begriffe als solche den reinen<br />

Verstandesbegriffen zu widerprechen? Vgl. R. Stuhlmann-Laeisz: Widersprechen<br />

empirische Begriffe ohne Bezug auf einen Gegenstand den transzendentalen Sätzen?<br />

Dieser Widerspruch ist im Vergleich zum Widerspruch zwischen empirischen<br />

Begriffen zu betrachten, die den Bezug zum Gegenstand erst jeweils mittels den<br />

transzendentalen Sätzen (den synthetischen Grundsätzen der Kategorien) erhalten<br />

(und damit die Wahrheitsfähigkeit). In diesem Sinne ist kein Widerspruch denkbar.<br />

Andererseits D. Henrich: alle sinnlichen Begriffe der Anschauung müssen unter<br />

Kategorien zu bringen sein (§ 20). Die Vorstellung, es gäbe derart einen empirischen<br />

Begriff, der nicht den Bedingungen der Kategorien genügen könnte, würde schon<br />

einen Widerspruch hervorrufen. Das Problem entsteht aber nur aus einer nur<br />

scheinbar noch strengeren Fragestellung: alle empirischen Begriffe müßten wahr<br />

sein. Letzteres ist offensichtlich eine Überinterpretation; die immer nur innere<br />

Widersprüchlichkeit von empirischen Begriffen, die keinen Bezug zum Gegenstand<br />

erhalten können, bleibt in der transzendentalen Reflexion verschieden vom<br />

Widerspruch zwischen wahren und falschen empirischen Begriffen, die alle einen<br />

solchen Bezug voraussetzen (§ 20) — und zwar unabhängig von dem<br />

Scheinproblem, ob empirische Begriffe überhaupt falsch sein könnten: Denn es ist<br />

erst festzustellen, ob ein empirischer Begriff falsch ist, weil er unmöglich ist oder<br />

eben bloß jetzt nicht zutrifft. Keinesfalls läßt sich daraus schließen, bei Kant müßten<br />

alle empirischen Begriffe zu den reinen Verstandesbegriffen im Widerspruch stehen.<br />

Vielmehr wäre mit sinnlichen Begriffen zu rechnen, die sich nicht nach Raum und<br />

Zeit darstellen lassen, und so auch nicht in die Verlegenheit kommen, der Forderung<br />

in § 20 nachkommen zu müssen. Vgl. Dieter Henrich, Die Beweisstruktur von Kants<br />

transzendentaler Deduktion«, in: Kant. Zur Deutung seiner Theorie von Erkenntnis<br />

und Handeln, Hrsg. v. G. Prauss, Köln 1973.<br />

348 K. r. V., B 178 f./A 139 f.,


— 453 —<br />

können soll. Soll in diesem Sinne die ganze allgemeine Regel in der<br />

formalen Bedingung enthalten sein, bliebe aber die Erörterung im Rahmen<br />

der compositio ohne eine allgemeine Regel oder auch nur allgemeine<br />

Bedingung über die Möglichkeiten (als innere Zweckmäßigkeit) der<br />

Anschauungsform hinausgehend ausfindig gemacht zu haben. Inwieweit<br />

dieser Vorwurf gerechtfertigt ist, und ob die Darstellung der empirischen<br />

und reinen Schematen, die dem Schematismus der transzendentalen<br />

Apprehension vorausgesetzt sind, trotz dieses Vorwurfs einen Fortschritt<br />

in der Frage, wie dem wesenslogischen Begriff vom einzelnen Gegenstand<br />

eine allgemeine Bedingung der Erfahrung gegeben werden kann,<br />

anzuzeigen imstand ist — oder zumindest, wie dieser Begriff als Ideal der<br />

reinen Vernunft an den allgemeinen Bedingungen der Erfahrung<br />

gerechtfertigt werden kann — soll in weiterer Folge behandelt werden.


— 454 —<br />

4. Die Schematen der Einbildungskraft<br />

(Zur transzendentalen Doktrin der Urteilskraft)<br />

§ 20 Die Aufgabenstellung des Schematismus der<br />

reinenVerstandesbegriffe<br />

Wenn auch bisher wenig dafür spricht, daß in der transzendentalen<br />

Analytik der Grundsätze die Unterscheidung der Verbindungsbegriffe in<br />

compositio und in nexus von selbst mit der gewünschten Deutlichkeit zur<br />

Darstellung kommt, ist es neben den doch zu erwartenden Fortschritten<br />

hinsichtlich der ungenügenden Unterscheidung zwischen der<br />

Verwendung des Regelbegriffs in der Reproduktion und in der<br />

Rekognition in der ersten Fassung der ersten Kritik einerseits bzw. der<br />

Verwendung des Regelbegriffs zwischen dem Syndrom (a) und dem<br />

Syndrom (b) im Duisburger Nachlaß andererseits noch aus anderen<br />

Gründen entscheidend, daß das Subjekt und seine Vermögen zum<br />

eigentlichen Gegenstand der Untersuchung gemacht worden ist: Erstens<br />

wird mit der bloßen Unterscheidung der Arten von Verbindungsbegriffe<br />

die Bedeutung der Sinnlichkeit und der Einbildungskraft in der<br />

Anschauung für eine wirkliche Erkenntnis unterschlagen. Damit wird in<br />

Aussicht gestellt, dem Kalkül von aptitudo und Exponent in der<br />

Untersuchung des Verhältnisses von Sinnlichkeit und Verstand eine<br />

nähere Bestimmung beibringen zu können, ohne eine universielle<br />

Kontinuitätsbedingung wie die reine Sinnlichkeit des inneren<br />

Zeitbewußtseins voraussetzen zu müssen. Zweitens aber würde ohne der<br />

möglichen Transformation der Substanzmetaphysik zum Ich im<br />

intelligiblen Subjekt der ontologische Moment der Handlung im<br />

Erfahrungmachen unterschlagen. Erst mit der anthropologischen<br />

Betrachtung des Subjekts der Handlungen und Entscheidungen ist der<br />

Horizont der Erörterung um die Dimension des Freiheitsproblems reicher,<br />

die eine transzendentale Analyse des Bewußtseins systematisch überhaupt<br />

möglich macht. Ohne wenigstens auf die praktisch-anthropologische Seite<br />

der Überlegungen Kants zu hinzuweisen, wird es nicht möglich sein, den<br />

Verwicklungen der Untersuchung gerecht zu werden. Es ist aber trotz<br />

dieser Implikation des Freiheitsproblems 349 weiterhin die Frage nach der<br />

Bedingung von wahrheitsfähiger empirischer Kenntnis, die Erkenntnis<br />

349 Vgl. eben die besondere Schwierigkeit, zwischen Folgen der Naturkausalität und<br />

Folgen der Kausalität durch Freiheit zu unterscheiden, welche die Anmerkung zur<br />

Antithese der dritten Antinomie ausdrückt.


— 455 —<br />

genannt zu werden verdient, eigens zu untersuchen, und wie die formale<br />

und die allgemeine Bedingung im Kapitel »Von dem Schematismus der<br />

reinen Verstandesbegriffe« vor dem Hintergrund der Unterscheidung in<br />

subjektive und objektive Bedingung zusammenhängt.<br />

In § 10, wo Kant die Tafel der Kategorien vorstellt, leitet er dieselbe mit<br />

folgenden Worten ein:<br />

»Das erste, was uns zum Behuf der Erkenntnis aller Gegenstände a priori<br />

gegeben sein muß, ist das Mannigfaltige der reinen Anschauung; die<br />

Synthesis dieses Mannigfaltige durch die Einbildungskraft ist das zweite,<br />

gibt aber noch keine Erkenntnis. Die Begriffe, welche dieser reinen<br />

Synthesis Einheit geben, und lediglich in der Vorstellung dieser<br />

notwendigen synthetischen Einheit bestehen, tun das dritte zum<br />

Erkenntnisse eines vorkommenden Gegenstandes, und beruhen auf dem<br />

Verstande.« 350<br />

»Wir wollen diese Begriffe, nach dem Aristoteles, Kategorien nennen,<br />

indem unsere Absicht uranfänglich mit der seinigen zwar einerlei ist, ob<br />

sie sich gleich davon in der Aufführung gar sehr entfernete.« 351<br />

Die genannten Begriffe sind jene reine Verstandesbegriffe, die Kategorien<br />

genannt werden können, weil sie sich a priori auf Gegenstände beziehen.<br />

In Frage steht von Anfang an die Bedingung der Möglichkeit einer »reinen<br />

Mannigfaltigkeit« und die Bedeutung derselben für die objektive<br />

Geltungsfähigkeit unserer Vorstellungen. Der Umfang der Aufgabe,<br />

Verstandesvermögen und Sinnlichkeit zu vermitteln, welche die<br />

Schematen zu leisten haben, wird aber erst anhand der Gegenüberstellung<br />

folgender Zitate aus dem »Schematismus der reinen Verstandesbegriffe«<br />

und aus dem »Obersten Grundsatz aller synthetischen Urteile« wirklich<br />

deutlich. Zunächst scheint es sich nur psychologisch um die besagte<br />

Vermittlung der beiden Erkenntnisvermögen zu handeln:<br />

»Nun ist klar, daß es ein Drittes geben müsse, was einerseits mit der<br />

Kategorie, andererseits mit der Erscheinung in Gleichartigkeit stehen muß,<br />

und die Anwendung der ersteren auf die letzte möglich macht. Diese<br />

350 K.r.V., B 104 f./A 78<br />

351 B 105 f./A 79


— 456 —<br />

vermittelnde Vorstellung muß rein (ohne alles Empirische) und doch<br />

einerseits intellektuell, andererseits sinnlich sein. Eine solche ist das<br />

transzendentale Schema.« 352<br />

Geht man weiter zum Obersten Grundsatz aller synthetischen Urteile,<br />

wird der Zielpunkt des hier anstehenden Untersuchungsabschnittes klar:<br />

Diese »vermittelnde Vorstellung« (im übrigen eine höchst problematische<br />

Formulierung) 353 soll allererst die Bedingung der Möglichkeit von<br />

synthetischen Urteilen zu erklären gestatten. Zum folgenden Zitat sollte<br />

man sich an das anfangs zum reinen synthetischen Urteil in der Geometrie<br />

Gesagte erinnern:<br />

»Also zugegeben: daß man aus einem gegebenen Begriffe hinausgehen<br />

müsse, um ihn mit einem anderen synthetisch zu vergleichen; so ist ein<br />

Drittes nötig, worin allein die Synthesis zweier Begriffe entstehen kann.<br />

Was ist nun aber dieses Dritte, als das Medium aller synthetischen Urteile?<br />

Es ist nur ein Inbegriff, darin alle unsere Vorstellungen enthalten sind,<br />

nämlich der innere Sinn, und die Form desselben a priori, die Zeit. Die<br />

Synthesis der Vorstellungen beruht auf der Einbildungskraft, die<br />

synthetische Einheit derselben aber (die zum Urteile erforderlich ist) auf<br />

der Einheit der Apperzeption. Hierin wird also die Möglichkeit<br />

synthetischer Urteile, und da alle drei die Quellen zu Vorstellungen a<br />

priori enthalten, auch die Möglichkeit reiner synthetischer Urteile zu<br />

suchen sein, ja sie werden sogar aus diesen Gründen notwendig sein,<br />

wenn eine Erkenntnis von Gegenständen zu Stande kommen soll, die<br />

lediglich auf der Synthesis der Vorstellungen beruht.« 354<br />

Offensichtlich stellt Kant hier wieder den Gebrauch verschiedener<br />

Vorstellungsbegriffe unmittelbar nebeneinander: Die erste Nennung im<br />

dritten Satz verwendet anscheinend das Wort »Vorstellung« gleichsinnig<br />

mit der Bestimmung des inneren Sinnes, der sowohl Begriff wie auch<br />

Anschauung als Oberbegriff umfaßt. 355 Die Formulierung eines bloßen<br />

Inbegriffes, worin alle unsere Vorstellungen enthalten sind, legt das um so<br />

eher nahe, als das dieses Dritte, das man erreicht, wenn man aus einem<br />

352 B 177/A 138<br />

353 Der transzendentale Schematismus ist selbst nicht vorstellbar. (B 181 f.)<br />

354 K. r.V., B 194/A 155<br />

355 Die Vorstellung wird von Kant in Perzeption, Empfindung, Erkenntnis (diese wieder<br />

zwischen Anschauung und Begriff) und bloßer Notion oder Idee unterschieden<br />

(»Von den Ideen überhaupt«, B 376 f.)


— 457 —<br />

gegebenen Begriff hinausgeht, nicht etwa die reine Anschauung ist, wie im<br />

rein geometrischen synthetischen Urteil, sondern allgemeiner das Medium<br />

des synthetischen Vergleiches des Begriffs eines gegebenen mit einem<br />

anderen Begriff, der offensichtlich ebenfalls ein Begriff von etwas<br />

Gegebenen ist, ohne analytisch im Begriff des ersteren enthalten zu sein.<br />

Dieses Medium sei gleich der innere Sinn 356 und die Form desselben ist die<br />

Zeit.<br />

Es bleibt aber aber unbestimmt, ob Kant im vierten Satz mit der<br />

Gegenüberstellung von der Synthesis der Vorstellungen (dann<br />

offensichtlich auf Anschauung bezogen), die auf der Einbildungskraft<br />

beruht, und der Einheit der Apperzeption überhaupt hat ausdrücken<br />

wollen, daß auch die Einheit der Apperzeption der Form des inneren<br />

Sinnes unterstünde, oder ob damit die reinen Verstandesbegriffe selbst frei<br />

von jeder Zeitbedingung gestellt und derart von der Zeitlichkeit der<br />

Einbildungskraft getrennt werden sollten. Im fünften Satz sucht Kant den<br />

noch fehlenden Grund zur Erkenntnis von Gegenständen eben dort, wo<br />

auch die reinen 357 synthetischen Urteile ihren Ursprung haben sollen: in<br />

den drei Quellen, synthetische Einheit der Apperzeption, Synthesis der<br />

Vorstellungen durch die Einbildungskraft, und nunmehr als dritte Quelle,<br />

dem inneren Sinn. Nun sagt hier Kant im Schlußsatz aber, daß die<br />

Erkenntnis von Gegenständen, die nunmehr in Rede steht, lediglich auf<br />

der Synthesis der Vorstellungen beruht. Das kann doch nur bedeuten, daß<br />

von den drei Quellen eine besonders angesprochen ist; daß also das reine<br />

synthetische Urteil a priori, das gesucht wird, das Schema der<br />

Einbildungskraft in der Synthesis der (verschiedenartigen) Vorstellungen<br />

sein muß. Dennoch wird der innere Sinn als Medium der Vermittlung<br />

nochmals herausgestellt, erfährt dabei aber eine Erweiterung seiner<br />

Bestimmung.<br />

356 Die Abhebung der Vorstellung als Begriff von den Vorstellungen als Affektationen<br />

(Zustände) des inneren Sinnes kennzeichnet Kant ansonsten auch gerne mit dem<br />

Gebrauch des Wortes „Gemüt“ an Stelle von „innerer Sinn“.<br />

357 Diese Reinheit entspringt Vorstellungen oder besser Vorstellungsverhältnissen, die<br />

Kant als a priori bezeichnet. Darunter wird aber eher Ursprünglichkeit zu verstehen<br />

sein als deren abermaligen Reinheit. Die Reinheit, die analytische oder synthetische<br />

Sätze über a priori geltende Verhältnisse besitzen sollen, ist eines; diese Verhältnisse<br />

aber können ihrerseits einen Grund besitzen, der u.U. zwar a priori gilt, aber selbst<br />

nicht rein genannt werden kann. Vgl. die Kausalität, die selbst nicht angeschauut<br />

werden kann, als Erkenntnis eines reinen Begriffes. Vgl. die verschiedenen<br />

Verhältnisse von a priori und rein im Kantschen Text bei K.Cramer, Nicht-reine<br />

synthetische Urteile a priori, Heidelberg 1985


— 458 —<br />

Wie erinnerlich, war der innere Sinn zuerst die Form der empirischen<br />

Apperzeption und der Assoziation, 358 dann prägte die<br />

Verstandeshandlung die Sukzessivität als allgemeinste Regel, die alle<br />

weiteren der Möglichkeit nach enthält, dem inneren Sinn als Form auf. 359<br />

Jedoch konnte die Zeit als Form des inneren Sinnes selbst bislang nicht<br />

mehr nach dem Grund der Sukzession und dem Grund der Zeitlichkeit der<br />

Verstandeshandlung verläßlich unterschieden werden. Dabei blieb der<br />

innere Sinn aber das Medium, in welches die Spontaneität der<br />

Verstandeshandlung mittels Einbildungskraft sich darstellt, indem die<br />

Apperzeption nicht nur als Aufmerksamkeit die Affektationen des inneren<br />

Sinnes wahrnimmt, sondern diese als Spontaneität auch in der<br />

reproduktiven Synthesis ordnet. 360 Der Ausdruck »Synthesis der<br />

Vorstellungen durch die Einbildungskraft« kann also sowohl bedeuten,<br />

daß die bestimmende Urteilskraft die Vorstellungen nach einem Konzept<br />

(Schema) ordnet, wie es bedeuten kann, daß die Erscheinungen durch die<br />

reproduktive Funktion der Einbildungskraft zusammengenommen<br />

werden, ohne das eine Verstandeshandlung vorliegt. 361 Damit wird jedoch<br />

prinzipiell eingeschlossen, daß der Schematismus dieser reproduktiven<br />

Funktion zum Schema eines Verstandesbegriffes tauglich wäre. Derart<br />

findet aber die Synthesis der Vorstellungen durch die Einbildungskraft<br />

doch immer schon im inneren Sinn statt, und zwar gleich, ob als<br />

Verstandeshandlung oder nicht. Jedoch hat der innere Sinn selbst nichts<br />

zur Synthesis der Vorstellung beizutragen, außer eben das Medium der<br />

Synthesis zu sein.<br />

Weiters: Die Verselbstständigung des inneren Sinnes als dritte Quelle des<br />

gesuchten synthetischen Urteils a priori (mit eigenen Verhältnisprädikaten<br />

und Vorstellungsverhältnissen a priori) ist mit der Entscheidung, die<br />

Synthesis der Vorstellungen durch die Einbildungskraft wäre in diesem<br />

Zusammenhang eben nur als Synthesis ohne Verstandeshandlung zu<br />

verstehen, noch nicht systematisch begründbar, da Kant von einem<br />

Zusammenwirken von Sinnlichkeit und Verstand ausgeht. Ohne weitere<br />

Eigenschaften des inneren Sinnes als notwendig anzunehmen, bliebe diese<br />

Erweiterung des inneren Sinnes ein bloßes Manöver, dem Widerspruch,<br />

358 Rekognition im Begriffe, A 107<br />

359 § 24, B 154 f.<br />

360 Vgl. dazu die Subordination des Ganzen, die zugleich die Koordination der Teile der<br />

Mannigfaltig-keit des Ganzen beinhalten sollte.<br />

361 Im Sinne des Übergangs im Begriff der Regel in der Synthesis der Reproduktion in<br />

der Einbildung und in der Synthesis der Rekognition im Begriffe, A 99 ff..


— 459 —<br />

den inneren Sinn, der schon der Synthesis der Vorstellungen (die<br />

Anschaungen enthalten) durch die Einbildungskraft psychologisch als<br />

Medium vorausgesetzt worden ist, nochmals als eigene Quelle der<br />

Urteilssynthesis herauszuheben, aus dem Wege zu gehen.<br />

Das Motiv ist klar: Kant will der Subjektivität der Konstitutionsleistung<br />

entkommen; zumal die Rechtfertigung des Gegenstandsbegriffes am<br />

gegebenen Objekt der Erfahrung bislang nicht restlos geglückt ist. Kant<br />

befreit nun den inneren Sinn von jedem Zusammenhang mit der<br />

transzendentalen Physiologie und macht ihn zum Innenraum der<br />

Probehandlung: Nicht Wahrnehmungen sollen verknüpft, sondern<br />

Begriffe zuerst anhand der Erfahrung verglichen werden, bevor ihr<br />

Verhältnis bestimmt wird, das im Anschluß daran den Vorstellungen in<br />

der Synthesis des Ungleichartigen begrifflich vorgeschrieben wird. Kant<br />

setzt an dieser Stelle also die Freiheit und Spontaneität der produktiven<br />

Einbildungskraft selbst, deren Unterordnung (Subordination) unter dem<br />

Verstand nur in der bestimmenden Urteilskraft allgemein gesichert ist,<br />

voraus. Unterscheiden und Vergleichen sind die Grundoperationen der<br />

Reflexion, und diese setzen die Freiheit der Reflexion voraus, die in der<br />

bloß reproduktiven Funktion der Einbildungskraft nicht gegeben ist. Es<br />

gibt also einige Gründe, Kant an dieser Stelle die Überlegung zuzumuten,<br />

er hätte mit der Heraushebung des inneren Sinnes zu einer eigenen Quelle<br />

des gesuchten reinen synthetischen Urteils a priori nicht jenen logischen<br />

Fehler begangen, sondern wahrhaftig hier mit dem Ausdruck »innerer<br />

Sinn« etwas anderes gemeint, als die psychologische Verwendung des<br />

gleichen Ausdrucks im Rahmen der Synthesis der Vorstellungen durch die<br />

Einbildungskraft bedeutet hat: denn diese Verwendung vermochte gerade<br />

psychologisch die Spontaneität in der Handlung der Reflexion nicht von<br />

der Spontaneität in der reproduktiven Funktion der Einbildungskraft zu<br />

unterscheiden.<br />

Die Hereinnahme der für sich selbst praktischen reinen Vernunft, die zur<br />

rein theoretischen Rechtfertigung der Möglichkeit von Erkenntnis<br />

offensichtlich nötig ist, bringt freilich einen Grund mit sich, die<br />

Subjektivität des erkennenden Subjekts gegenüber einem anderen<br />

erkennenden Subjekt intersubjektiv zu verlassen. Gerade das diskursive<br />

Moment an den Begriffen unseres Verstandes überhaupt kann aber nicht<br />

die Quelle des fraglichen Inhalts der empirischen Begriffe ausmachen; die<br />

Eröffnung des inneren Sinnes zum Raum von als praktisch vorgestellten


— 460 —<br />

Probehandlungen mit empirischen Begriffen kann in diesem Rahmen nur<br />

in der Funktion einer Hilfshypothese gesehen werden.<br />

Es bleibt also die Gegenüberstellung dreier Argumentationslinien zu<br />

beachten: 1. Die Zeitlichkeit der Verstandeshandlung versus Zeitlichkeit<br />

der Form des inneren Sinnes, 2. Die Synthesis als compositio und als nexus,<br />

3. Die Erweiterung des »inneren Sinnes« vom Raum der Konstruktion zum<br />

Innenraum der selbst schon diskursiv verfaßten Probehandlung. — Man<br />

sieht, wie der Raum der transzendentalen und reinen Reflexion mit den<br />

Raum der Synthesis mittels der Einbildungskraft in der Anschauung und<br />

in den sinnlichen Vorstellungen beginnen, ineinander überzugehen.<br />

§ 21 Die Zeitlichkeit der Verstandeshandlung und des inneren Sinnes<br />

a) Das ursprünglich bestimmende Verhältnis ist keines<br />

der Einbildungskraft<br />

In § 24 rechnet Kant eben dieses bestimmende Verhältnis von spontaner<br />

(reproduzierender und produzierender) Einbildungskraft zum inneren<br />

Sinn zuerst noch zur transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft: »Er<br />

[der Verstand] also übt, unter der Benennung einer transzendentalen<br />

Synthesis der Einbildungskraft, diejenige Handlung aufs passive Subjekt,<br />

dessen Vermögen er ist, aus, wovon wir mit Recht sagen, daß der innere<br />

Sinn dadurch affiziert werde. Die Apperzeption und deren synthetische<br />

Einheit ist mit dem inneren Sinne so gar nicht einerlei, daß jene vielmehr,<br />

als Quell aller Verbindung auf das Mannigfaltige der Anschauung<br />

überhaupt unter dem Namen der Kategorien, vor aller sinnlichen<br />

Anschauung auf Objekte überhaupt geht; dagegen der innere Sinn die<br />

bloße Form der Anschauung, aber ohne Verbindung des Mannigfaltigen in<br />

derselben, mithin noch gar keine bestimmte Anschauung enthält, [...].« 362<br />

Die transzendentale Synthesis dürfte nach der Überlegung im hier<br />

vorhergehenden Paragraphen also die Bestimmung der empirischen<br />

Begriffe von den Affektationen des inneren Sinnes im Rahmen der<br />

Begrifflichkeit von Erscheinungsverhältnissen zwischen und innerhalb der<br />

Erscheinungen zu leisten haben. In der in § 24 darauf folgenden<br />

Darstellung bleibt für die Einbildungkraft aber kein Platz: die Sukzessivität<br />

362 B 153 f.


— 461 —<br />

einer jeden Handlung soll nicht mittels Einbildungskraft dem inneren Sinn<br />

bestimmt werden, sondern durch Einschränkung mittels Abstraktion<br />

bereits gegebener Erscheinungen der Anschauungen: »Bewegung, als<br />

Handlung des Subjekts, (nicht als Bestimmung eines Objekts,) folglich die<br />

Synthesis des Mannigfaltigen im Raume, wenn wir von diesem abstrahieren<br />

und bloß auf die Handlung Acht haben, dadurch wir den inneren Sinn<br />

seiner Form gemäß bestimmen, bringt so gar den Begriff der Sukzession<br />

zuerst hervor.« 363<br />

b) Zwei Zeitbedingungen: Der Wechsel und die logische Regel des<br />

Veränderlichen<br />

Nun soll der innere Sinn in § 24 die Sukzessivität erst durch die reine<br />

Verstandeshandlung ganz ohne äußere Sinnlichkeit bestimmt<br />

bekommen. 364 Soll das nun bedeuten, daß der bloße Wechsel der<br />

Erscheinungen in der empirischen Apperzeption (also vor dieser<br />

Verstandeshandlung) nicht der logischen Regel der Sukzessivität gehorcht,<br />

nämlich daß das, was zugleich kontradiktorisch entgegengesetzt wäre, also<br />

unmöglich ist, nach einander möglich sein kann? 365 Ja, denn die<br />

Sukzessivität nach der logischen Regel des Veränderlichen setzt die<br />

Beziehung der Prädikate auf ein und das selbe Ding voraus, um den<br />

Unterschied von B und non-B als kontradiktorischen Unterschied<br />

darstellen zu können. Das heißt, daß der bloße Wechsel der Erscheinungen<br />

in der empirischen Apperzeption nicht mit dem kontradiktorischen<br />

Gegensatz dargestellt werden kann, weil im bloßen Wechsel der<br />

Erscheinungen, auch wenn diese als solche vorgestellt werden, noch keine<br />

Beziehung eines Prädikates auf ein Ding enthalten ist. Das geschieht in der<br />

figürlichen Konstruktion. Auch wenn die wechselnden Erscheinungen der<br />

empirischen Apperzeption als wechselnde Zustände des empirischen<br />

Bewußtseins angesehen werden, ist der bloße Wechsel im Fluß der<br />

Erscheinungen der empirischen Apperzeption nicht geeignet, von der<br />

363 B 154<br />

364 B 154, Der Begriff bringt die Sukzession im inneren Sinn erst hervor.<br />

365 „Zufällig, im reinen Sinne der Kategorie, ist das, dessen kontradiktorisches Gegenteil<br />

möglich ist. Was verändert wird, dessen Gegenteil (seines Zustandes) ist zu einer<br />

anderen Zeit wirklich, mithin auch möglich; mithin ist dieses nicht das<br />

kontradiktorische Gegenteil des vorigen Zustandes, wozu erfordert wird, daß in<br />

derselben Zeit, da der vorige Zustand war, an der selben Stelle desselben sein<br />

Gegenteil hätte sein können, welches aus der Veränderung gar nicht geschlossen<br />

werden kann. [...] Also beweist die Sukzession entgegengesetzter Bestimmungen, d.i.<br />

die Veränderung, keineswegs die Zufälligkeit nach Begriffen des reinen Verstandes.“<br />

(K.r.V., A 456/B 486 f., Herv. v. Verf.)


— 462 —<br />

logischen Regel der Sukzessivität ausgedrückt zu werden, denn unter den<br />

Erscheinungen ist keine, die als Prädikat des empirischen Bewußtseins<br />

gelten könnte; noch mehr: die Erscheinungen der empirischen<br />

Apperzeption sind schlechterdings noch nicht als Prädikate von<br />

irgendetwas aufzufassen. 366 Die Form des inneren Sinnes ist nicht von<br />

selbst reine Anschauungsform und bestimmt auch nicht alle Arten der<br />

Zeitlichkeit weiter, sondern wird weiter bestimmt; darüber hinaus ist im<br />

nächsten Schritt noch zu fragen, ob zur Bestimmung der<br />

Anschauungsform nicht die räumliche Dimension unbedingt<br />

vorauszusetzen ist, ansonsten ja nicht von Anschauungs-form die Rede sein<br />

könnte. Es ist jedoch gerade nicht möglich, jeder gegenüber dem inneren<br />

Sinn bestimmenden Verstandeshandlung eine räumliche Bedeutung zu<br />

garantieren, wie die Bestimmungsversuche der Sukzession des inneren<br />

Sinnes durch den Verstand in § 24 zeigen, wie auch die logische Regel der<br />

Sukzessivität für sich allein eben noch nicht die vollständige formale<br />

Bestimmung der reinen Anschauung nach sich zieht.<br />

Die Bestimmung des inneren Sinnes durch die Verstandeshandlung des<br />

Einteilens und Verknüpfens kann also nur die zeitliche Dimension einer<br />

reinen Anschauung betreffen. Sofern aber Erscheinungen gegeben werden,<br />

wird mit ihnen auch der Raum gegeben, sobald ich diese als Vorstellung<br />

auf ein Objekt außer mir beziehe. 367 Gegeben werden sie aber nur im<br />

inneren Sinn, dessen Form die Zeit ist, schon bevor die<br />

Verstandeshandlung diesen zur Sukzession bestimmt. Daß der Raum<br />

selbst zur Vorstellung wird, dazu ist aber die bloße Zuschreibung einer<br />

Vorstellung auf ein Objekt außer mir nicht ausreichend, denn damit wird<br />

nur das Bewußtsein der Distanz erzeugt. Erst in der Synthesis der<br />

Apprehension wird der Ausdehnung eine Vorstellung erzeugt und damit<br />

kann der Raum auch allererst von uns eingeteilt werden.<br />

Die Bedeutung des Zugleichseins für die Frage nach den Bedingungen von<br />

Erkenntnis durch Anschauung verschärft noch die Gegenüberstellungen in<br />

der Zeitbedingung überhaupt, die sowohl einerseits die Form der bloßen<br />

Assoziation (auch als empirische Apperzeption), die Form der Synthesis<br />

der geregelten Vorstellungen durch die reproduktive Funktion der<br />

empirischen Einbildungskraft, wie nochmals die Zeitlichkeit der<br />

366 R.Aschenberg, Sprachanalyse und Transzendentalphilosophie, Stuttgart 1982, p. 219.<br />

Der Wechsel der Erscheinungen ist keine Prädikabilie.<br />

367 Erste metaphys. Erörterung des Raumes


— 463 —<br />

Verstandeshandlung selbst wie auch gegenüber dem inneren Sinn als<br />

Vorstellungsreihe der reproduktiven Einbildungskraft gemäß reiner<br />

Verstandesbegriffe umfaßt, aber auch der absoluten Einheit der nichtsukzessiven<br />

Synthesis und auch der behaupteten Unabhängigkeit der<br />

reinen Verstandesbegriffe von jeder Zeitbedingung andererseits gegenüber<br />

zu stellen ist. Der Nachweis, daß auch die synthesis intellectualis als<br />

Verstandeshandlung mit der logischen Regel der Sukzession die nämliche<br />

Zeitbedingung des inneren Sinnes besitzt, reicht nicht aus, die<br />

Unabhängigkeit reiner Verstandesbegriffe von Zeitbedingungen zu<br />

widerlegen. Vgl. etwa § 25:<br />

»So wie zum Erkenntnisse eines von mir verschiedenen Objekts, außer<br />

dem Denken eines Objekts überhaupt (in der Kategorie), ich doch noch<br />

einer Anschauung bedarf, dadurch ich jenen allgemeinen Begriff<br />

bestimme, so bedarf ich auch zum Erkenntnisse meiner selbst außer dem<br />

Bewußtsein, oder außer dem, daß ich mich denke, noch eine Anschauung<br />

des Mannigfaltigen in mir, wodurch ich diesen Gedanken bestimme, und<br />

ich existiere als Intelligenz, die sich lediglich ihres Verbindungsvermögens bewußt<br />

ist, in Ansehung des Mannigfaltigen aber, das sie verbinden soll, einer<br />

einschränkenden Bedingung, die sie den inneren Sinn nennt, unterworfen,<br />

jene Verbindung nur nach Zeitverhältnissen, welche ganz außerhalb den<br />

eigentlichen Verstandesbegriffen liegen, anschaulich machen, und sich daher<br />

selbst doch nur erkennen kann, wie sie, in Absicht auf eine Anschauung<br />

(die nicht intellektuell und durch den Verstand selbst gegeben sein kann),<br />

ihr selbst bloß erscheint, nicht wie sie sich erkennen würde, wenn ihre<br />

Anschauung intellektuell wäre.« 368<br />

Zwar liegt in der transzendentalen Freiheit nichts von der Erfahrung<br />

entlehntes (B 561), aber es ist mitnichten ein Widerspruch, wenn Kant an<br />

anderer Stelle einräumt, daß die Folgen der spontanen Handlungen in den<br />

Erscheinungen erfahren werden können. Die Fortsetzung des gegebenen<br />

Zitats: »Habe ich nun nicht noch eine andere Selbstanschauung, die das<br />

Bestimmende in mir, dessen Spontaneität ich mir nur bewußt bin, ebenso<br />

so vor dem Actus des Bestimmens gibt, wie die Zeit das Bestimmbare, so<br />

kann ich mein Dasein, als eines selbstständigen Wesens nicht bestimmen,<br />

sondern ich stelle mir nur die Spontaneität meines Denkens, d. i. des<br />

368 B 158 f., Hervorh.v. mir


— 464 —<br />

Bestimmens, vor, und mein Dasein bleibt immer nur sinnlich [...]« 369 besagt<br />

aber alles andere als die Feststellung, daß die spontane Aktivität doch als<br />

unmittelbare Erfahrung existiert, wie mancherorts behauptet wird,<br />

sondern gerade, daß ich mich, im Bestimmen der Sinnlichkeit, selbst<br />

unmittelbar nur als Spontaneität meines Denkens vorstellen kann. Die<br />

Fortsetzung des Zitats, sagt also aus, daß ohne die hypothetische<br />

Selbstanschauung, wo das Bestimmende wie das Bestimmte ebenso<br />

(zugleich) gegeben wird, ich mein Dasein als ein selbsttätiges Wesen (nicht<br />

bloß empirisch kausiert) nicht bestimmen, sondern nur vorstellen könne.<br />

Nun sagt Kant schon eingangs, daß unter dem Vermögen des Vorstellenkönnens<br />

in diesem Zusammenhang nur das Denken in einem Begriff<br />

gedacht werden kann. —<br />

Kant zeigt hier zweierlei: Erstens, daß wir als anschauende Intelligenzen<br />

uns das Anschauungsvermögens a priori bewußt machen können, ohne<br />

das auf die Spezifikation der empirischen Mannigfaltigkeit<br />

zurückgekommen werden muß. Zweitens, daß die Zeitbedingung des<br />

inneren Sinnes zuerst die des Wechsels ist, auch wenn die<br />

Verstandeshandlung dem inneren Sinn die logische Ordnung der<br />

Sukzessivität gibt. Insofern muß die Gegenüberstellung von<br />

synthesis intellectualis und synthesis speciosa in § 24, B 151, die für Verstand<br />

wie für Sinnlichkeit die nämliche Zeitbedingung vorstellig macht, nicht<br />

gegen die Reinheit der Verstandesbegriffe von jeder Zeitbedingung<br />

sprechen. Im dritten Hauptstück der transzendentalen Doktrin der<br />

Urteilskraft (Analytik der Grundsätze), in: »Von dem Grunde der<br />

Unterscheidung aller Gegenstände überhaupt in Phaenomena und<br />

Noumena« findet sich eine Formulierung über die reine Kategorie ohne<br />

jede Zeitbedingung, die schon aus einem anderen Zusammenhang bekannt<br />

ist: »Vom Begriffe der Ursache würde ich (wenn ich die Zeit weglasse, in<br />

der etwas auf etwas anderes nach einer Regel folgt,) in der reinen<br />

Kategorie nichts weiter finden, als daß es so etwas sei, woraus sich auf das<br />

Dasein eines anderen schließen läßt, und es würde dadurch [...] Ursache<br />

und Wirkung gar nicht voneinander unterschieden werden können.« 370<br />

Offensichtlich wird erwartet, durch Hinwegnahme der Bedingungen der<br />

Anschauungsform zum transzendentallogischen Inhalt der reinen<br />

369 l. c.<br />

370 A 243/B 301


— 465 —<br />

Verstandesbegriffe zu gelangen. Sehen wir von der Form der Handlung<br />

ab, die uns die Objekte in der Synthesis des gegebenen Mannigfaltigen im<br />

Raume bestimmen, »so sehen wir, daß die Verstandeshandlung sogar die<br />

Sukzessivität des inneren Sinnes bestimmt« — das Absehen von der<br />

räumlichen Bedeutung des Schemas der Verstandeshandlung führt aber<br />

nicht zuerst zur Zeitlichkeit des inneren Sinnes, sondern gleich zur<br />

Zeitlichkeit der Verstandeshandlung, die ihre Regel allererst der<br />

Zeitlichkeit des inneren Sinnes aufprägt. — Wie aber soll es möglich sein,<br />

von der Zeit als Form des inneren Sinnes abzusehen, wie in § 26 für die<br />

Exponation der Kausalitätskategorie verlangt?<br />

c) Die Exponation der dynamischen Kategorien in der transzendentalen<br />

Deduktion erfolgt durch Abstraktionshandlung und nicht durch<br />

Synthesis<br />

Die systematische Exponation der dynamischen Kategorien in der<br />

transzendentalen Deduktion erfolgt nun in § 26 ebenfalls mittels der<br />

Abstraktion. Obgleich im § 24 der Deduktion zuerst die Notwendigkeit der<br />

Schematen vorgestellt wird (synthesis speciosa in empirischer und in<br />

transzendentaler Funktion), wird sowohl zur Bestimmung der Kategorie<br />

der Substanz wie der Kategorie der Kausalität in § 26 nochmals die<br />

Abstraktion herangezogen.<br />

Die Argumente der beiden Zitate (Apprehension des Hauses,<br />

Apprehension des gefrierenden Wassers) in § 26 verfahren nach dem<br />

gleichen Argument wie in § 24, nach welchem der Verstand den inneren<br />

Sinn zur Sukzessivität bestimme:<br />

i. »[...] dieselbe synthetische Einheit aber, wenn ich von der Form des<br />

Raumes abstrahiere, hat im Verstande ihren Sitz, und ist die Kategorie der<br />

Synthesis des gleichartigen in einer Anschauung überhaupt, d.i. die<br />

Kategorie der Größe [...]« (B 162)<br />

ii. »[...] wenn ich von der beständigen Form meiner inneren Anschauung,<br />

der Zeit, abstrahiere, [ist] die Kategorie der Ursache, [...]« (B 162 f.)<br />

iii. »Bewegung, als Handlung des Subjekts, (nicht als Bestimmung eines<br />

Objekts,) folglich die Synthesis des Mannigfaltigen im Raume, wenn wir<br />

von diesem abstrahieren und bloß auf die Handlung Acht haben, dadurch<br />

wir den inneren Sinn seiner Form gemäß bestimmen, bringt so gar den<br />

Begriff der Sukzession zuerst hervor.« (B 154)


— 466 —<br />

Die Abstraktion vom Raum in (i) und (iii) zu einer Regel der Zeitordnung<br />

im Begriff führt zu gegenüber der Zeitlichkeit des inneren Sinnes und der<br />

Verstandeshandlung selbstständigen Inhalten; die Abstraktion in (ii), mit<br />

welcher von der Zeit überhaupt abgesehen werden soll, nimmt aber die<br />

Zeit sowohl für die Sinnlichkeit wie für die Verstandeshandlung hinweg<br />

— ich wüßte nicht, auf welche Weise man hier noch von Kausalität reden<br />

könnte. (ii) kann so verstanden werden, daß a) die bloße Worterklärung<br />

der Ursache bereits eine Zeitbedingung mitbringt, oder aber auch so, daß<br />

b) die Kategorie der Ursache ohne Zeitbedingung nichts anderes als die<br />

mit dem Dasein notwendigerweise zu setzende Vielheit ausdrückt. Doch<br />

ist die Abstraktion in (ii) nicht als — womöglich ideales — Zugleichsein<br />

zu verstehen. Die Behandlung der Kategorien in § 26 ist in der Tat so, wie<br />

sie Konrad Cramer 371 beurteilt hat: nur das erste Beispiel der Apprehension<br />

des Hauses kann überhaupt als Kategorie in der transzendentalen<br />

Deduktion erkannt werden — aber nur als mathematische Kategorie und<br />

nicht als Kategorie der Substanz oder Beharrlichkeit. Ich schließe aber<br />

daraus, daß erstens zur Behandlung der Frage der objektiven Realität<br />

unserer Vorstellungen die Behandlung der Schematen (die Untersuchung<br />

der Urteilskraft) vorausgesetzt wird (wie eben schon in § 24 angezeigt),<br />

und daß zweitens die Bedeutung von objektiver Gültigkeit von deren<br />

grundsätzlich festgesetzten Verbindung zur objektiven Realität unserer<br />

Vorstellungen abhängt. Eine verminderte Geltung von »objektiver<br />

Gültigkeit« bietet Kant bekanntlich in der K.d.U., § 62 an: die reine<br />

Zweckmäßigkeit der Mathematik erweise ihren Elementen objektive<br />

Gültigkeit, unabhängig von einem gegebenen äußeren Zweck der<br />

Konstruktion. Insofern kann zumindest von der Exposition der Kategorie<br />

der Beharrlichkeit objektive Gültigkeit auch ohne vollständigen Nachweis<br />

371 CRAMER 1985, Exkurs IV. K.C.'s Denkfehler scheint mir in der Übertreibung zu<br />

liegen, die empirische Zufälligkeit unserer subjektiven Verfaßtheit der Sinnlichkeit<br />

auf den ganzen Umkreis des Schematismus, ja selbst auf die Subjektivität von Raum<br />

und Zeit als Formen unserer Anschauung auszudehnen: »Ich kann nicht nur,<br />

sondern muß sogar in beiden Fällen [die Beispiele der Apprehension des Hauses<br />

und des gefrierenden Wassers in § 26] von den Formen "meiner" Sinnlichkeit, Raum<br />

und Zeit, absehen, um mich darüber ins Klare zu setzen, daß die Synthesisfunktion<br />

der in Frage stehenden Kategorien auch dann, wenn sie auf diese Formen bzw. auf<br />

in diesen Formen gegebene Inhalte angewendet werden, unabhängig von dieser<br />

oder jener Anwendung zu explizieren ist. Gerade und nur auf Grund dieser ihrer<br />

logischen Unabhängigkeit von dem, auf was sie dabei angewendet werden, können<br />

sie überhaupt eine solche (oder eine andere) Anwendung erfahren — wie immer<br />

deren Bedingungen näher aussehen mögen.« (p. 373). Hingegen halte ich die<br />

empirische Zufälligkeit der Organisation unserer Sinnlichkeit nicht für äquipollent<br />

mit der Subjektivität des Bewußtseins.


— 467 —<br />

der objektiven Realität erwartet werden, der eben definitionsgemäß nur<br />

mehr dynamisch erfolgen kann.<br />

Kant hat nun inmitten und gegen Ende des Abschnittes der Deduktion, die<br />

gemeinhin als transzendentale Deduktion bekannt ist, die Überlegung<br />

zwischen rationaler Psychologie (ich denke) und rationaler Physiologie<br />

(innerer Sinn) abgebrochen, und dieser Erörterung als metaphysischsynthetische<br />

die transzendental-analytische Untersuchung<br />

gegenübergestellt. Das kann nur als Rückbesinnung auf eine Überlegung,<br />

die Kant schon in der ersten Fassung im Rahmen der Paralogismen<br />

angestellt hat, verstanden werden.<br />

d) Zur Stellung der synthetischen Metaphysik in der<br />

transzendentalen Analytik. Die Methodenfrage<br />

Nach der Substanzkritik im Paralogismus ist das Verhältnis von rationaler<br />

Psychologie des »ich denke« und rationaler Psychologie des inneren<br />

Sinnes in der transzendentalen Deduktion für Kant bereits als eine<br />

synthetisch-metaphysische Strategie zu verstehen, deren Entwürfe im<br />

Rahmen des Zusammenwirkens der Erkenntnisvermögen (also<br />

Psychologie) schlußendlich in das Schematismusproblem münden. Ich<br />

zitiere diese zentrale Schaltstelle in der Methodenfrage:<br />

»Nehmen wir nun unsere obigen Sätze, wie sie auch für alle denkenden<br />

Wesen gültig, in der rationalen Psychologie als System genommen werden<br />

müssen, in synthetischem Zusammenhange, und gehen, von der Kategorie<br />

der Relation, mit dem Satze: alle denkenden Wesen sind, als solche,<br />

Substanzen, rückwärts die Reihe derselben, bis sich der Zirkel schließt,<br />

durch, so stoßen wir zuletzt auf die Existenz derselben [...]. Hieraus folgt<br />

aber, daß der Idealism in eben demselben rationalistischen System<br />

unvermeidlich sei, wenigstens der problematische, und, wenn das Dasein<br />

äußerer Dinge zu Bestimmung seines eigenen in der Zeit gar nicht<br />

erforderlich ist, jenes auch nur ganz umsonst angenommen werde, ohne<br />

jemals einen Beweis davon angeben zu können. Befolgen wir dagegen das<br />

analytische Verfahren, da das Ich denke, als ein Satz, der schon ein Dasein<br />

in sich schließt, als gegeben, mithin die Modalität, zum Grunde liegt, und<br />

zergliedern ihn, um seinen Inhalt, ob und wie nämlich dieses Ich im Raum<br />

oder der Zeit bloß dadurch sein Dasein bestimmt, zu erkennen, so würden<br />

die Sätze der rationalen Seelenlehre nicht vom Begriffe eines denkenden


— 468 —<br />

Wesens überhaupt, sondern von einer Wirklichkeit überhaupt anfangen,<br />

und aus der Art, wie diese gedacht wird, nachdem alles, was dabei<br />

empirisch ist, abgesondert worden, das was einem denkenden Wesen<br />

überhaupt zukommt gefolgert werden [...].« 372<br />

Es gibt also in der transzendentalen Deduktion (ab § 14) nicht nur die<br />

doppelte Strategie von Anschauung oder Verstand als ursprüngliche<br />

Synthesis, sondern auch die doppelte Strategie von synthetischmetaphysischer<br />

Argumentation und transzendentalanalytischer<br />

Argumentation, wobei die erstere plötzlich auch die Argumentation der<br />

ursprünglich-synthetischen Apperzeption (und deren Doppeltheit)<br />

umfaßt, auf die am Beginn der transzendentalen Analytik, aber<br />

offensichtlich nicht im Rahmen der transzendentalen Deduktion verzichtet<br />

werden kann. Wir haben diese synthetische Metaphysik (das »Ich denke«<br />

zwischen Verstand und Anschauung: transzendentale Psychologie)<br />

selbstredend von den metaphysischen Anfangsgründen der<br />

Naturwissenschaften, aber auch von einer Metaphysik der Geschichte oder<br />

der Gesellschaft abzuheben.<br />

Ich verstehe diese Unterscheidung in synthetisch-metaphysischer und<br />

transzendentalanalytischer Methode folgendermaßen: Sind wir uns als<br />

geistige Wesen bewußt, die wir uns der objektiven Realität anhand der<br />

Erfahrung erst synthetisch vergewissern müssen, 373 dann ist formal aus<br />

dem Prinzip von Grund und Folge das Kausalitätsprinzip in beiden<br />

Sinnarten abzuleiten (Handlungsfolgen und rein naturgesetzlich<br />

beschreibbare Naturvorgänge). Sind wir uns aber als empirische Wesen<br />

bewußt, haben wir uns im Gegenzug zum cartesianischen cogito ergo sum<br />

der subjektiven Realität des eigenen Bewußtseins durch Abstraktion von<br />

jeder empirischen Erfahrung erst analytisch zu vergewissern, sodaß von<br />

dem dann nur praktisch als Postulat eines jeden Verhaltens als Handlung<br />

der Spontaneität vorausgesetzten Kausalitätsprinzip zum reinen Prinzip<br />

von Grund und Folge erst abstrahiert und verallgemeinert wird. 374 Die<br />

Verwickeltheit der Argumentation des von Kant aus guten Gründen<br />

gewählten zweiten Untersuchungsganges, der analytisch die Erfahrung als<br />

372 B 416 ff.<br />

373 Vgl. eben hier im Paralogismus die analytische (numerische) und synthetische<br />

Vorstellung des Bewußtseins als Subjekt, B 416 f..<br />

374 Das kategoriale Aussagen als Feststellung einer Schuld, M. Heidegger, Aristoteles,<br />

GW, Bd. 33: Die ersten drei Bücher der Metaphysik, § 1.


— 469 —<br />

Fundament auch der subjektiven Realität voraussetzt, führt zu der nicht<br />

wenig absonderlichen Situation, daß das Kausalitätsprinzip, ungeschieden<br />

nach Kausalität aus Freiheit (die Entscheidung, welcher Endzweck zu<br />

verfolgen ist) oder nach Kausalität als Ursache und Wirkung in der Natur<br />

überhaupt (für unsere Technik: Kausalität durch Freiheit), einem<br />

Untersuchungsgang vorausgesetzt ist, der nach der abermaligen<br />

Abstraktion von diesem allgemein intelligibel vorausgesetzten<br />

Kausalitätsprinzip nur neuerlich zum Prinzip von Grund und Folge als ein<br />

formal ursprünglich erscheinendes Gesetz der reinen Geistestätigkeit<br />

gelangt (was zuvor als synthetische Metaphysik und als unzureichend<br />

bezeichnet worden ist), von dem ausgehend dann wiederum erst die auf<br />

das Subjektive gerichtete transzendentale Analytik das Kausalitätsprinzip<br />

in der Gestalt der Kausalität aus Freiheit als Wiedergewinnung der<br />

Strebung in der transzendentalen Freiheit des Subjektiven konkretisiert<br />

wird. Zugleich tritt damit die Kausalität der Handlung (Kausalität durch<br />

Freiheit) als Vorbild der Naturkausalität nach dem Schema von Ursache<br />

und Wirkung auf, 375 dessen Überprüfbarkeit anhand der empirischen<br />

Erfahrung (entlang der Falsifikation konkreter Entwürfe) allein Auskunft<br />

über die empirische Gesetzmäßigkeit der Determinationen in der Natur<br />

überhaupt gemäß des Kausalitätsprinzipes geben können soll — dabei<br />

allerdings die transzendentale Vorausgesetztheit des Kausalitätsprinzipes<br />

überhaupt eben schon vor dessen Abstraktion zum Prinzip von Grund<br />

und Folge als Prinzip reiner, von jeder Erfahrung unabhängiger<br />

Geistestätigkeit der Verknüpfung, unterschlagend. 376<br />

Kant setzt demnach die zwei Alternativen eigentlich nicht kontradiktorisch<br />

gegeneinander, sondern weist zwei verschiedene phänomenologische<br />

Ansätze an, wobei der transzendentalanalytische zwar grundlegend ist zur<br />

Unterscheidbarkeit von möglich und wirklich, aber schon wie der<br />

synthetisch-metaphysische von der gleichen Orientierung im Denken<br />

ausgeht. 377 Geht die Untersuchung der Bedingungen der Möglichkeit von<br />

375 So im synthetischen Grundsatz, K.r,V., B 249<br />

376 Eine weiterführende Diskussion Spinozas muß ich hier leider verweigern<br />

377 Damit gehen auch die zwei Konzepte des Ding an sich einher: das eine als<br />

transzendentales Objekt = X ohne Einbildungskraft, das andere als Ding der Allheit<br />

aller möglichen Prädikate mit Einbildungskraft Vgl. dazu die verschiedene<br />

Interpretationen des philosophischen Atomismus von Herbart und Zimmermann:<br />

Herbart sieht transzendentalanlaytisch das philosophische Atom als Grund des<br />

Widerspruches in der Erfahrung, Robert Zimmermann sieht das philosophische<br />

Atom als Abschluß der Erfahrung (transzendentale Einbildungskraft). Siehe weiters<br />

auch G. W. Cernoch: Zimmermanns Grundlegung der Herbartschen Ästhetik: Eine


— 470 —<br />

Erfahrung also auf das Schema der Apprehension der Erscheinungen (der<br />

Zeitreihenfolge) oder auf eine objektiv-transzendentale Apperzeption der<br />

Zeitordnung (die allerdings gerade die Mitwirkung des intelligiblen<br />

Ursache-sein-könnens des Subjekts selbst im Rahmen der Kausalität aus<br />

Freiheit praktisch für die inhaltliche Bestimmung der Zeitordnung in<br />

kategorialer Erkenntnisabsicht ausschließt), so ist unter diesen<br />

Vorausetzungen nicht nur im Rahmen der rationalen Physiologie und der<br />

rationalen Psychologie immer schon notwendigerweise von einer<br />

synthetischen Metaphysik die Rede, die freilich streng von den<br />

metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft oder einer<br />

analytischen Metaphysik (sei sie realistisch oder hermeneutisch)<br />

überhaupt zu unterscheiden ist.<br />

Während zuerst die metaphysische Deduktion im allgemeinen mit dem<br />

§ 12 ihren Abschluß findet, weil mit dem qualitativen Gebrauch der<br />

quantitativen Kategorie auch die Erörterung des Ursprunges des<br />

Verhältnisses von logischen und kategorialen Quantum ihren ersten<br />

Endpunkt gefunden hat, erweist sich nun nach der Einspielung der<br />

gegenläufigen Perspektiven von transzendentaler Analytik und<br />

synthetischer Metaphysik aus dem Umkreis der Paralogismen (was<br />

durchaus als Selbstkritik Kantens an Teile der rationalen Physiologie der<br />

transzendentalen Analytik, insbesondere des Gebrauches der<br />

Einbildungskraft überhaupt verstanden werden kann), die transzendentale<br />

Deduktion selbst nochmals gespalten in synthetischer Metaphysik und<br />

transzendentaler Analytik. Damit wird die ursprüngliche Problemstellung<br />

zwischen formaler und allgemeiner Logik als Problem des Ursprunges der<br />

Kategorien in die Problemstellung, zwischen transzendentalem und<br />

empirischem Subjekt entscheiden zu müssen, verschoben. Das<br />

entscheidende Problem wird nicht mehr als ein allein formal zwischen<br />

Logik und Kategorie lösbares angesehen, sondern als Problem eines<br />

endlichen und in der Welt seiendes Wesens aufgefaßt, das mit Intelligenz<br />

und mit Anschauung begabt ist (transzendentale Anthropologie).<br />

Kant macht anhand des Wechsels seiner Strategie, die im § 24 anhand der<br />

Bedeutung der Einbildungskraft zwischen Verstand und Sinnlichkeit<br />

Brücke zwischen Bolzano und Brentano, in: Verdrängter Humanismus - verzögerte<br />

Aufklärung, Bd. 3, Bildung und Einbildung. Vom verfehlten Bürgerlichen zum<br />

Liberalismus. Philosophie in Österreich (1820-1880), Hrsg. Michael Benedikt,<br />

Reinhold Knoll, Verlag Edituria Triade, Klausen-Leopoldsdorf, Ludwigsburg,<br />

Klausenburg 1995


— 471 —<br />

ersichtlich wird, auf die Schwierigkeit aufmerksam, daß die theoretische<br />

Vernunft für sich selbst betrachtet, praktisch wird (so wie die<br />

Untersuchung der praktischen Vernunft, für sich selbst nach ihrem<br />

Ursprung betrachtet, theoretisch und psychologisch wird). Dieser<br />

Perspektivenwechsel ist in Ansätzen auch in den Untersuchungen des<br />

Duisburger Nachlasses zu erkennen, insofern dort — unter wechselnden<br />

Vorzeichen — vom Erfahrungsganzen ausgegangen worden ist. M. a. W.,<br />

die Neufassung der Problemstellung der transzendentalen Deduktion in B<br />

ist nicht allein dem gesteigerten Problembewußtsein Kantens hinsichtlich<br />

der Stellung der empirischen Anthropologie im Rahmen einer<br />

transzendentalen Anthropologie und Transzendentalphilosophie zu<br />

überantworten. So bleibt gerade allein auf diese Wendung zu einer<br />

»transzendentalen Psychologie« (rationale Psychologie im Verhältnis zur<br />

rationalen Pysiologie) Bezug nehmend die entscheidende Frage, wie sind<br />

synthetische Urteile a priori möglich, in kategorialer Hinsicht ohne<br />

Rückgriff auf modallogische Problemstellungen nur unvollständig<br />

beantwortbar. Eben dieser Fragestellung ist aber Kant auch nach seiner<br />

Einspielung des Paralogismus in die sogenannte transzendentale<br />

Deduktion spätestens ab § 24 beharrlich auf jenem Weg nachgegangen, der<br />

nunmehr inmitten der transzendentalen Analytik synthetischmetaphysisch<br />

heißen müßte; also in der Tat insofern schon zumindest die<br />

abschnittweise Verwandlung der Metaphysik in<br />

Transzendentalphilosophie genannt werden darf.<br />

Ich will das Ergebnis (nicht die Methode) der transzendentalen Deduktion<br />

(als Textkorpus selbst), gerade nur hinsichtlich der genannten<br />

Feststellungen zur Modalität der Kategorien in § 26 nicht für viel<br />

weitergehend halten, als das Ergebnis der Untersuchungen im Duisburger<br />

Nachlaß, die nur zur Einheit von Vernunftideen geführt haben. Die<br />

Prinzipien der Darstellung sind zwar verschieden, aber beide<br />

Unternehmungen führen bloß zur Behauptung, sie könnten die in B bereits<br />

charakterisierten Kategorien 378 mit objektiver Gültigkeit wegen der<br />

Rechtfertigung des Anspruchs auf die Einheit der natura materialiter<br />

378 Hier will ich nur kurz meine Auffassung zur Frage der Einteilung skizzieren; eine<br />

Diskussion folgt später:<br />

1) bis § 20 »daß« Kategorien gelten als Forderung aus der subjektiven Deduktion<br />

2) ab § 21, »wie« Kategorien gelten müssen als Forderung:<br />

a) Unterscheidung nach subjektiver (§ 24, 25) und objektiver Deduktion (§ 22, § 26)<br />

b) Unterscheidung nach mathematischer (§ 22) und dynamischer Kategorie (§ 26)<br />

innerhalb der objektiven Deduktion


— 472 —<br />

spectata und natura formaliter spectata (respektive auf Totalität) 379 behaupten.<br />

Ich denke nun, daß die synthetischen Grundsätze die Bedingungen der<br />

objektiven Realität unserer Vorstellungen mit objektiver Gültigkeit<br />

formulieren (oder als solche Grundsätze angesehen werden müssen), die<br />

transzendentale Deduktion aber die Notwendigkeit reiner<br />

Verstandesbegriffe für anschauende Intelligenzen sowohl in objektiver<br />

Deduktionsrichtung wie in subjektiver Deduktionsrichtung überlegt, aber<br />

ohne synthetische Grundsätze noch innerhalb der subjektiven Deduktion<br />

verbleibt. 380 — Da die synthetischen Grundsätze verschiedene Abschnitte<br />

der metaphysischen wie der transzendentalen Deduktion beanspruchen,<br />

ohne daß von Kant die Trennung in Bedingungen der empirischen<br />

Organisiertheit der Sinnlichkeit von den rein begrifflichen Bedingungen<br />

verläßlich für alle Fälle getroffen worden ist, kann insofern zumindest der<br />

Anspruch auf den verminderten Gebrauch von »objektiver Gültigkeit« wie<br />

schon für die bloße Zweckmäßigkeit der Mathematik in § 62 der K.d.U.<br />

auch erhoben werden.<br />

Das zentrale Thema, das Vermittlungsproblem von Leib und Seele, 381<br />

übersetzt sich unter diesen Umständen in die eigentlich dem Leser<br />

aufgegebene Problemstellung, nämlich die anhand der Durchlässigkeit der<br />

Begriffsunterscheidungen sich einstellende Inkonsistenz der<br />

Begriffsverwendungen gegenüber der unwiderleglich als Faktum<br />

behaupteten Möglichkeit der Vermittlung abzuwägen. Was aber soll nun<br />

semiotich diffundierend vermittelt werden? Zuerst Verstandesbegriff und<br />

Sinnlichkeit, aber es soll dem Verhältnis von Vorstellungen dabei eine<br />

Regel gefunden werden, die in der Regel der Reproduktion der bloßen<br />

Formen der Anschauung nicht enthalten sein kann, sodaß erst deren<br />

komplementäre dynamischen Verhältnisprädikate der in der Anschauung<br />

gegebenen Merkmale in der Zeit auch die Aussagen nunmehr gesuchten<br />

synthetischen Urteile a priori über die in der Anschauung identifizierten<br />

Gegenstände sein sollten. Das Bemerkenswerte daran ist, daß diejenigen<br />

Verhältnisprädikate, die die formale und die reine Anschauung<br />

379 Im Duisburger Nachlaß auf objektive Allgemeinheit der Einheit von ganzer<br />

Sinnlichkeit, dem ganzen Denken einem dati gegenüber, und Totalität bezogen.<br />

380 CRAMER 1985, p. 287: Die objektive Gültigkeit der Kategorien ist unabhängig von der<br />

Art der Sinnlichkeit nachzuweisen (Cramer) — oder es wird zuerst jeweils der<br />

Nachweis objektiver Realität der Kategorien fällig (Cernoch).<br />

381 Es soll also im inneren Sinn eine Vorstellung möglich sein, welche nach Suarez<br />

sowohl die Eigenschaften des Phantasma wie die Eigenschaften der Phantasie<br />

besitzt. Vgl. dazu J. Ludwig, Das akausale Zusammenwirken (Sympathia) der<br />

Seelenvermögen in der Erkenntnislehre des Suarez, München 1929, p. 41-51.


— 473 —<br />

konstituieren, zwar eine Synthesis a priori einschließen, aber nicht selbst<br />

ein reines synthetisches Urteil a priori der Geometrie sind; dieselben sollen<br />

vielmehr erst die Folge der Verhältnisprädikate der reinen Anschauung<br />

sein. In der dynamischen Kategorie aber ist für das Verhältnisprädikat<br />

selbst schon ein synthetisches Urteil a priori notwendig.<br />

§ 22 Die drei Quellen der »vermittelnden Vorstellung« und das<br />

transzendentale Schema<br />

a) Analytische und transzendentale Zeitordnung<br />

Nach der Vorstellung des Zielpunktes der Erörterungen im Kapitel »Von<br />

dem Schematismus des reinen Verstandesbegriffes« und der zu<br />

erwartenden Schwierigkeiten, das synthetische Urteil a priori zu<br />

rechtfertigen, kann der folgenden einführenden Bemerkung Kants<br />

nunmehr die nötigen Bestimmungsstücke gesucht werden: »Der<br />

Verstandesbegriff enthält reine synthetische Einheit des Mannigfaltigen<br />

überhaupt. Die Zeit, als die formale Bedingung des Mannigfaltigen des<br />

inneren Sinnes, mithin der Verknüpfung aller Vorstellungen, enthält ein<br />

Mannigfaltiges a priori in der reinen Anschauung. Nun ist eine<br />

transzendentale Zeitbestimmung mit der Kategorie (die die Einheit<br />

derselben ausmacht) so fern gleichartig, als sie allgemein ist und auf einer<br />

Regel a priori beruht. Sie ist aber andererseits mit der Erscheinung so fern<br />

gleichartig, als die Zeit in jeder empirischen Vorstellung des<br />

Mannigfaltigen enthalten ist. Daher wird eine Anwendung der Kategorie<br />

auf Erscheinungen möglich sein, vermittelst der transzendentalen<br />

Zeitbestimmung, welche, als das Schema der Verstandsbegriffe, die<br />

Subsumtion der letzteren unter die erstere vermittelt.« 382<br />

Demnach ist der reine Verstandesbegriff selbst nicht sukzessive, sondern<br />

erst dessen transzendentale Zeitbestimmung. Die Einheit dieser<br />

Zeitbestimmung soll aber wiederum die der Kategorie sein. 383 Die<br />

382 K.r.V., B 177 f./A 138<br />

383 Vgl. die erste Erklärung in der »Synthesis der Rekognition im Begriff« zu deren<br />

ersten Funktion, das Ganze der sukzessiven Synthesis der Reproduktion gegenüber<br />

der Möglichkeit weiterer (endloser) Sukzession zu beschränken. Diese Funktion geht<br />

der Beziehung auf das transzendentale Objekt = X voraus. Die Zeitbestimmung hier<br />

ist auch nicht sofort gleichbedeutend mit den dynamischen Zeitmodi Beharrlichkeit,<br />

Folge und Zugleichsein (B 220/A 177) oder den mathematischen modi der reinen<br />

Sinnlichkeit (quando, ubi, situs, imgleichen prius, simul, § 10, B 107/A 81); sie ist<br />

also selbst noch nicht notwendigerweise nur als kategoriale Zeitbedingung zu


— 474 —<br />

vorangehenden ersten zwei Sätze des gegebenen Zitats stellen den<br />

Verstandesbegriff als eine reine synthetische Einheit des Mannigfaltigen<br />

überhaupt enthaltend vor, dem die Zeit, als formale Bedingung des<br />

Mannigfaltigen im inneren Sinn gegenübersteht. Mit welchem Grunde<br />

kann Kant die synthetische Einheit des reinen Verstandesbegriffes mit der<br />

formalen Bedingung des inneren Sinnes verbinden, weshalb kann er die<br />

reine Mannigfaltigkeit des Verstandesbegriffes mit der Mannigfaltigkeit<br />

des inneren Sinnes, schließlich mit der Mannigfaltigkeit der reinen<br />

Anschauung identifizieren? — Im synthetischen Grundsatz wird der reine<br />

Verstandesbegriff bereits als die Zeitordnung beinhaltend vorgestellt:<br />

»Der Begriff aber, der eine Notwendigkeit der synthetischen Einheit bei<br />

sich führt, kann nur ein reiner Verstandesbegriff sein, der nicht in der<br />

Wahrnehmung liegt, und das ist hier der Begriff des Verhältnisses der<br />

Ursache und Wirkung [...],« 384<br />

»Hier muß man wohl bemerken, daß es auf die Ordnung der Zeit, und<br />

nicht den Ablauf derselben angesehen sei; das Verhältnis bleibt, wenn<br />

gleich keine Zeit verlaufen ist.« 385<br />

— hier im Schematismuskapitel benötigt der reine Verstandesbegriff die<br />

transzendentale Zeitbedingung. Die Diskussion der Zeitordnung von<br />

Ursache und Wirkung (als analytischer Begriff) zeigt, daß die wegen der<br />

Abhängigkeit der Wirkung von der Kausalität behauptete Zeitordnung<br />

noch eine »formale Bedingung« benötigt, um der Reihe der Erscheinungen<br />

eine notwendige Zeitrichtung zu bestimmen. Schließlich: Die Kausalität<br />

von Etwas allein erlaubt nicht, dieses Etwas als Ursache zu bezeichnen;<br />

erst mit der Wirkung wird das mit Kausalität begabte Etwas zur Ursache.<br />

Damit wird der dynamischen Kategorie aus der Analyse des reinen<br />

Verstandesbegriffes das Zugleichsein sowohl der Substanz oder<br />

Substanzen wie auch der realen Verbindung von Ursache und Wirkung zu<br />

Grunde gelegt und als Fundament dessen, was geschieht, angewiesen.<br />

Weder die Zeitreihe der Erscheinungen noch der selbst zureichende Grund<br />

einer Zeitordnung des Zugleichseins ist aber im analytischen (reinen)<br />

verstehen, doch aber als die allgemeine Bedingung, den reinen Verstandesbegriff in<br />

der Zeit als deren Bestimmungsgrund zu denken. Die Einheit der Zeitbestimmung<br />

ist in der transzendentalen Reflexion gewissermaßen ein Moment der Intentionalität<br />

noch vor der kategorialen Bestimmung des »Ist«-Sagens.<br />

384 B 234/A 189.<br />

385 B 249/A 202


— 475 —<br />

Verstandesbegriff enthalten. Die transzendentale Zeitbedingung ist also<br />

auch noch dann als »formale« Bedingung (auch bloß als Regel der<br />

compositio) gefordert, wenn eine Regel der Zeitordnung schon im reinen<br />

Verstandesbegriff enthalten ist, da die Zeitordnung im reinen<br />

Verstandesbegriff (hier: Ursache und Wirkung) über die Reihenfolge der<br />

Erscheinungen ohne formale Bedingungen nichts aussagen kann (vgl. etwa<br />

Stoß und Erwärmung, oder Richtungsänderung und Beschleunigung eines<br />

Körpers). Ausdrücklich wird diese Abhängigkeit von einer<br />

transzendentalen Zeitbedingung nur am Anfang des Schematismuskapitel:<br />

Die Fassung des Verstandesbegriff, die eine reine synthetische Einheit des<br />

Mannigfaltigen überhaupt enthält, steht aber selbst unter Verdacht, schon<br />

die Folge einer transzendentalen Zeitbestimmung zu sein. Zweierlei<br />

unterstützt eine solche Annahme: Erstens hat Kant im gegebenen Zitat die<br />

formale Bedingung des inneren Sinnes, anscheinend bereits zur<br />

Sukzessivität bestimmt, ohne viel Aufhebens auf den Begriff der<br />

Bedingung der Möglichkeit der Verknüpfung 386 aller Vorstellungen<br />

erweitert. Das kann doch nur unter dem Einfluß des Verstandesbegriffes<br />

auf den inneren Sinn möglich sein, wenn behauptet werden kann, daß<br />

alles, was gegeben werden kann, unter die Regel der Sukzessivität, und<br />

somit unter die, die Sukzessivität allererst konstituierende<br />

Verstandeshandlung fällt. 387 Derart ist die Frage zu stellen, ob nicht auch<br />

der synthetischen Einheit des reinen Mannigfaltigen, die im reinen<br />

Verstandesbegriff gedacht wird, erst die Bestimmung des inneren Sinnes<br />

zur Sukzessivität durch die Verstandeshandlung vorhergehen muß<br />

(weshalb sollte sie sonst »synthetisch« genannt werden?). Die nähere<br />

Bestimmung des Mannigfaltigen des inneren Sinnes als das der reinen<br />

386 »Alle Verbindung (conjunctio) ist entweder Zusammensetzung (compositio) oder<br />

Verknüpfung (nexus).« (B 201)<br />

387 Die Sukzessivität des inneren Sinnes ist nach § 24 erst die Folge der<br />

Verstandeshandlung.: »Wir können uns keine Linie denken, ohne sie in Gedanken zu<br />

ziehen, keinen Zirkel denken, ohne ihn zu beschreiben, die drei Abmessungen des<br />

Raums gar nicht vorstellen, ohne aus demselben Punkte drei Linien senkrecht auf<br />

einander zu setzen, und selbst die Zeit nicht, ohne, indem wir im Ziehen einer<br />

geraden Linie (die die äußerlich figürliche Vorstellung der Zeit sein soll) bloß auf die<br />

Handlung der Synthesis des Mannigfaltigen, dadurch wir den inneren Sinn<br />

sukzessive bestimmen, und dadurch auf die Sukzession dieser Bestimmung in<br />

demselben, Acht haben. Bewegung, als Handlung des Subjekts (nicht als<br />

Bestimmung eines Objekts), folglich die Synthesis des Mannigfaltigen im Raume,<br />

wenn wir von diesem abstrahieren und bloß auf die Handlung Acht haben, dadurch<br />

wir den inneren Sinn seiner Form gemäß bestimmen, bringt so gar den Begriff der<br />

Sukzession allererst hervor. Der Verstand findet also in diesem nicht etwa schon eine<br />

dergleichen Verbindung des Mannigfaltigen, sondern bringt sie hervor, indem er ihn<br />

affiziert« (B 154)


— 476 —<br />

Anschauung im untersuchten und eingangs gegebenen Zitat ist gemäß der<br />

Unterscheidung von formaler und reiner Anschauung ein weiterer, an<br />

Deutlichkeit kaum mehr zu überbietender Hinweis auf die Reihenfolge der<br />

Konstitution, da die Erörterungen der reinen Anschauung immer schon<br />

geometrische, also räumliche und begriffliche Verhältnisse betreffen. 388<br />

Allerdings wird hier der Terminus »Verknüpfung« nicht rein im Sinne der<br />

Definitionen von compositio und nexus gebraucht. Die Schwierigkeit der<br />

Bestimmung der Grenzen der Bedeutung von compositio<br />

(Zusammensetzung) und nexus (Verknüpfung) vor dem Hintergrund der<br />

»vermittelnden Vorstellung« (dem Schema) hat zweierlei Gründe: Erstens,<br />

daß auch für die Bestimmung der Verknüpfung im Sinne des nexus die<br />

Konstitution der Erscheinungen als Zusammensetzung der Vorstellungen<br />

der Anschauung (compositio ) vorausgesetzt ist. Aber auch zweitens, weil<br />

— und das ist hier der eigentliche Grund — die Verstandeshandlung, die<br />

erst die Sukzessivität des inneren Sinnes bestimmt, die Sukzession der<br />

Erscheinungen nicht bloß als Wechsel der Erscheinungen des empirischen<br />

Bewußtseins betrachten kann und die logische Definition der Zeit (als<br />

Verknüpfung der kontradiktorischen Gegensätze wechselnder Prädikate)<br />

die Erscheinungen schon kategorial auf Gegenstände bezieht, obwohl sie<br />

noch keine dynamische Bestimmung besitzt. Die nicht-dynamische<br />

kategoriale Bestimmbarkeit der logischen Verbindung wechselnder<br />

Erscheinungen mittels Gegensätze gegenüber der Freiheit der Spontaneität<br />

ist also der eigentliche Grund, weshalb Kant hier den Inhalt des Terminus<br />

»Verknüpfung« weiter als in der compositio (weil bloß, aber doch die<br />

Beharrlichkeit der Substanz bestimmend), aber enger als im nexus (weil<br />

nicht die dynamische Kategorie bestimmend) faßt. 389<br />

388 Vgl. den ersten Abschnitt, 2, Die reine Anschauung ist das Produkt der<br />

Einbildungskraft in der Konstruktion aus Begriffen, die formale Anschauung das<br />

Produkt der Einbildungskraft in der reproduktiven Funktion, sei es in der Synthesis<br />

der Rekognition im Begriff auf eine Größe gebracht (A 103) oder nicht.<br />

389 Refl. 4041., „Zufällig ist, dessen Gegenteil an seiner Stelle möglich ist. Veränderlich:<br />

das in Verknüpfung mit seinem Gegenteil möglich ist.“ Allerdings beansprucht Kant<br />

an anderer Stelle schon für den Gebrauch des Begriffes »Zusammensetzung« eine<br />

vorkategoriale Bedeutung: „Der Begriff des Zusammengesetzten überhaupt ist keine<br />

besondere Kategorie, sondern in allen Kategorien (als synthetische Einheit der<br />

Apperzeption) enthalten. Das Zusammengesetzte nämlich kann, als ein solches,<br />

nicht angeschaut werden; sondern der Begriff oder das Bewußtsein des<br />

Zusammengesetzens (einer Funktion die allen Kategorien als synthetische Einheit<br />

der Apperzeption zum Grunde liegt) muß vorhergehen (...).“ Brief an Tieftrunk vom<br />

11.12.1797, AA XII, p. 222. Die Verknüpfung ist also eine Bestimmung der modalen<br />

Kategorie, reicht aber nicht zu, um die dynamische Kategorie zu bestimmen.


— 477 —<br />

Dies nur zur Anleitung weiterer kritischer Betrachtung, wie Kant, hier mit<br />

einem weicheren Verknüpfungsbegriff operierend, behaupten kann, daß<br />

die transzendentale Zeitbestimmung mit der Kategorie insofern<br />

gleichartig ist, als daß sie allgemein ist und auf einer Regel a priori beruht:<br />

Die Zeitlichkeit der Verstandeshandlung ist erst in der bloßen<br />

»Verknüpfung« von Prädikaten die Bedingung, daß das Produkt der<br />

transzendentalen Zeitbestimmung im inneren Sinn mit dem reinen<br />

Verstandesbegriff übereinkommen kann. Nun ist dieses Produkt auch mit<br />

den Erscheinungen formal als gleichartig anzusehen, indem sowohl die<br />

reine Einbildungskraft den sinnlichen Begriffen ein Schema gegenüber der<br />

bloßen Zeitlichkeit der Erscheinungen im inneren Sinn vorschreibt wie<br />

auch die Zeit in jeder empirischen Vorstellung des Mannigfaltigen (als<br />

Menge von Prädikaten, welche Anschaung enthalten) enthalten ist. Das<br />

soll also nicht allein deshalb möglich sein, weil der innere Sinn<br />

definitionsgemäß alle Vorstellungen, also sowohl Anschauungen wie<br />

Begriffe enthält: Zuerst ist die transzendentale Zeitbestimmung der<br />

transzendentalen Reflexion auf die Stammbegriffe der<br />

Verstandeshandlung in der Zeitordnung der Deduktion gleichartig mit<br />

der Anwendung des reinen Begriffes in der Verstandeshandlung<br />

gegenüber dem reinen inneren Sinn als Reihenfolge, sodaß jene diesem die<br />

Sukzessivität bestimmt, nun ist sie auch gleichartig mit den Erscheinungen<br />

empirischer Vorstellung und ihrem Schema empirischer Begriffe, weil in<br />

dieser die Zeit schon qua Anschauungsform notwendig enthalten ist —<br />

sofern die Anschauung mittels empirischer Prädikate gedacht wird, eben<br />

bereits qua Prädikatisierung der logischen Regel der Sukzession<br />

gehorchend. Die logische Regel der Sukzessivität soll nur deren formale<br />

Übereinstimmbarkeit garantieren, nicht die Ursprünge der Definitionen<br />

und deren Einzigkeit oder tiefere Gründe ihrer formalen Gleichartigkeit<br />

aufklären.<br />

Die ärgerliche Unterbestimmtheit eines eigenen logischen Inhalts der<br />

Kategorien wird immanent damit begründet, daß die Anschauung das<br />

Objekt erst geben müsse, bevor die reinen Verstandesbegriffe demonstriert<br />

werden könnten. Zur Konstitution des Objekts im Begriff von einem<br />

einzelnen Gegenstand sind selbstverständlich gegebene Erscheinungen<br />

notwendig; Kant verfällt hier aber wiederum in eine petitio principii, wenn<br />

er gleich von der Erfahrung gegebener Gegenstände spricht:


— 478 —<br />

»Denn da haben wir gesehen, daß Begriffe ganz unmöglich sind, noch<br />

irgend eine Bedeutung haben können, wo nicht, entweder ihnen selbst,<br />

oder wenigstens den Elementen, daraus sie bestehen, ein Gegenstand<br />

gegeben ist, mithin auf Dinge an sich (ohne Rücksicht, ob und wie sie uns<br />

gegeben werden mögen) gar nicht gehen können; daß ferner die einzige<br />

Art, wie uns Gegenstände gegeben werden, die Modifikation unserer<br />

Sinnlichkeit sei; endlich, daß reine Begriffe a priori, außer der Funktion des<br />

Verstandes in der Kategorie, noch formale Bedingungen der Sinnlichkeit<br />

(namentlich des inneren Sinnes) a priori enthalten müssen, welche die<br />

allgemeine Bedingung enthalten, unter der die Kategorie allein auf irgend<br />

einen Gegenstand angewandt werden kann. Wir wollen diese formale und<br />

reine Bedingung der Sinnlichkeit, auf welche der Verstandesbegriff in<br />

seinem Gebrauche restringiert ist, das Schema dieses Verstandesbegriffes,<br />

und das Verfahren des Verstandes mit diesen Schematen, den<br />

Schematismus des reinen Verstandes nennen.« 390<br />

Es ist an diese zentrale Stelle zurückzukehren und das Problem der<br />

formalen und der allgemeinen Bedingung neu aufzurollen: Die formale<br />

Bedingung wird im zweiten Interpretationsgang nun nicht als eine<br />

Bestimmung der formalen Anschauung gesehen, sondern heißt nun<br />

»formal« aufgrund ihrer Stellung zum Verstandesbegriff. — Reine Begriffe<br />

a priori enthalten außer der Funktion des Verstandes in der Kategorie noch<br />

formale Bedingungen — also doch eine Funktion des Verstandes<br />

außerhalb der Kategorie macht, daß die formale Bedingung in reinen<br />

Begriffen a priori enthalten ist (die Diskursivität). Diese formale<br />

Bedingung habe weiters die allgemeine Bedingung zu enthalten, unter der<br />

die Kategorie allein auf irgend einen Gegenstand angewandt werden kann.<br />

Darunter könnte eben die transzendentale Zeitbedingung zu verstehen<br />

sein, ließe sich ausschließen, daß dann deshalb die ganze formale<br />

Bedingung im reinen Verstandesbegriff schon enthalten wäre. Über die<br />

reinen Begriffe a priori kann man aber aus diesem Zitat nur soviel sagen,<br />

daß sie erst dann die Kategorien sein können, wenn sie noch diejenige<br />

formale Bedingung enthalten, welche die allgemeine Bedingung enthält,<br />

»unter der die Kategorie allein auf irgend einen Gegenstand angewandt<br />

werden kann«. Sie können auch nicht die reinen Verstandesbegriffe sein:<br />

diese enthalten nicht die transzendentale Zeitbedingung, sondern nur eine<br />

390 K.r.V., B 178 f.


— 479 —<br />

zur notwendigen Verknüpfung von Wahrnehmungen überhaupt allein<br />

nicht zureichende Zeitordnung.<br />

Die reinen Verstandesbegriffe bedürfen also eigentlich einer Restriktion<br />

auf die Zeitbedingung, die in der empirischen Vorstellung der<br />

Erscheinungen enthalten ist, gleichwohl soll der reine Begriff a priori auch<br />

die formale Bedingung des inneren Sinnes selbst enthalten, indem er den<br />

inneren Sinn erst zur Sukzessivität bestimmt hat — und zwar eben gerade<br />

unter der Bedingung, daß Erscheinungen sich auf Gegenstände beziehen.<br />

Erst dann ist von der transzendentalen Zeitbestimmung zu erwarten, daß<br />

sie sowohl mit der Verstandeshandlung in der Kategorie, wie mit der<br />

Spontaneität der Einbildungskraft gegenüber dem inneren Sinn a priori<br />

gleichartig ist, wenn die allgemeine Regel der Verknüpfung erkannt<br />

werden kann: die Sukzessivität als allgemeinste Regel aller Regeln. 391 Die<br />

Beantwortung dieser Frage nach der Gleichartigkeit kann nun aber nicht so<br />

ohne weiteres auf Vollständigkeit der Kriterien zur Bestimmung eines<br />

Erfahrungsbegriffes Anspruch erheben, wie in der Immanenz des Begriffs<br />

unter einer transzendentalen Idee. Die logische Definition der<br />

Veränderung ist nicht dynamisch und geht auch über den Rahmen bloßer<br />

Wahrnehmungsverhältnisse in der Anschauung nicht hinaus: Die<br />

Allgemeinheit der beanspruchten Regelhaftigkeit diskriminiert also<br />

Wahrnehmungsurteile und Erfahrungsurteile 392 nicht notwendigerweise<br />

und ist bloß die intellektuelle Doublette der undifferenzierten Zeitlichkeit<br />

als bloße Form der Reproduktion im inneren Sinnes selbst. Auf diese<br />

Weise ist es leicht möglich, das Ungleichartige (Ausdehnung und<br />

Intensität einerseits und die qualitativen Differenzierungen nach Gestalt<br />

und Wirkung andererseits) im Rahmen von Verhältnissen bloß der reinen<br />

Anschauung oder eben bloß der reinen Form des inneren Sinnes als<br />

Gleichartiges zu betrachten.<br />

391 Kant bestimmt die objektive Realität der Zeit vor der Kausalitätskategorie mit dem<br />

Prinzip des kontradiktorischen Widerspruches: was nicht zugleich an einem Dinge<br />

gelten kann, kann nacheinander gelten. Der damit ausgesprochene strikte<br />

Determinismus wird aber bei einer näheren Untersuchung der Kausalitätskategorie<br />

preisgegeben werden müssen: nicht nur, daß die Behauptung der Wolffschen Partei,<br />

Kontingenz sei gleichbedeutend oder auch nur äquipollent mit Zufälligkeit, Motiv<br />

für eine solche Überzeichnung wäre, macht sich schließlich mit eingehenderer<br />

Betrachtung auch bemerkbar, daß Kant die dynamischen Kategorien immer schon<br />

auch mit regulativen Ideen verglichen hat. Vgl. hier die Zeitbedingung der Wahrheit.<br />

392 Hier den konstitutiven und den regulativen Kategorien zugeordnet.


— 480 —<br />

Es soll aber weiter der Argumentation im Schematismuskapitel gefolgt<br />

werden: Die formale und reine Bedingung der Sinnlichkeit enthält also die<br />

allgemeine Bedingung zur Anwendung der Kategorie auf Sinnlichkeit;<br />

zugleich ist die formale Bedingung im reinen Begriff a priori nach wie vor<br />

enthalten. 393 Das kann aber selbst nur in Gestalt einer allgemeinen Regel<br />

möglich sein. So müßte der reine Verstandesbegriff allererst auf die<br />

Anwendung auf Sinnlichkeit überhaupt restringiert werden, um zu der<br />

allgemeinen Bedingung für Gegenstände aller empirischen Vorstellungen<br />

zu kommen. Kant kommt aber nicht auf die Zeit, die in der »empirischen<br />

Vorstellung der Erscheinungen« (also als Produkt der reproduktiven<br />

Einbildungskraft) enthalten ist, zurück, sondern hält offensichtlich das<br />

Mannigfaltige der formalen Bedingung des inneren Sinnes schon wegen<br />

der Weiterbestimmung des Zusammennehmens der Apprehension mit<br />

dem Begriff der Verknüpfung des Mannigfaltigen für ausreichend, die<br />

allgemeine Bedingung so zu formulieren, daß auch die Zeit, die in der<br />

empirischen Vorstellung enthalten ist, als gleichartig apperzipiert werden<br />

kann. 394 Die mit der logischen Regel des sukzessiv Veränderlichen<br />

verbundene Voraussetzung, daß Erscheinungen sich auf Gegenstände zu<br />

beziehen haben, garantiert in dieser Allgemeinheit die Erfüllbarkeit der<br />

»reinen Begriffe a priori«, auch wenn damit keine dynamischen<br />

Verhältnisprädikte selbst mit eingehen.<br />

b) Intellektualität versus Anschauung<br />

I.<br />

Es ist kein Zufall, daß Kant für die vermeintliche Demonstration des<br />

Objektes als Gegenstand der Erfahrung in § 18 zuerst ein Beispiel der<br />

Anwendung geometrischer Erkenntnisse auf einen sinnlich gegebenen<br />

393 »Denn da haben wir gesehen, daß Begriffe ganz unmöglich sind, noch irgend eine<br />

Bedeutung haben können, wo nicht, entweder ihnen selbst, oder wenigstens den<br />

Elementen, daraus sie bestehen, ein Gegenstand gegeben ist, mithin auf Dinge an<br />

sich (ohne Rücksicht, ob und wie sie uns gegeben werden mögen) gar nicht gehen<br />

können; daß ferner die einzige Art, wie uns Gegenstände gegeben werden, die<br />

Modifikation unserer Sinnlichkeit sei; endlich, daß reine Begriffe a priori, außer der<br />

Funktion des Verstandes in der Kategorie, noch formale Bedingungen der<br />

Sinnlichkeit (namentlich des inneren Sinnes) a priori enthalten müssen, welche die<br />

allgemeine Bedingung enthalten, unter der die Kategorie allein auf irgend einen<br />

Gegenstand angewandt werden kann.« (B 178 f./A 139 f.)<br />

394 Vgl. Die Zeitbedingung der Wahrheit. Damit gäbe es ein weiteres Motiv für den<br />

erweiterten Gebrauches des Terminus »Verknüpfung«. Die allgemeine Bedingung<br />

der Verknüpfung muß schon ein Erfahrungsbegriff sein, auch wenn dieser kein<br />

dynamisches Prinzip ausdrückt.


— 481 —<br />

Gegenstand heranzieht, denn dann kann von Gleichartigkeit zumindest<br />

hinsichtlich der Größe überhaupt erst die Rede sein.<br />

Die aufgrund der Gleichartigkeit von Prädikat (Begriffsmerkmal) und<br />

Eigenschaft behauptete Subsumierbarkeit eines Gegenstandes unter einen<br />

Begriff setzt also schon überhaupt eine Selektion der Eigenschaften des<br />

Gegenstandes voraus. Ohne diese Selektion wäre die Identität des<br />

gedachten mit dem wirklich möglichen Gegenstand gefordert. Für die<br />

behauptete Subsumierbarkeit eines Gegenstandes unter seinem Begriff<br />

steht also durchaus noch in Frage, ob diese recht verstanden worden ist; 395<br />

die transzendentale Subsumtion bleibt von der vorangehenden Erörterung<br />

aus aber gänzlich unverständlich, denn dann ist zwar nicht mehr die<br />

Identität der Vorstellung des Gegenstandes mit seinem Begriff, doch aber<br />

die Existenz desselben in seinem Begriffe zu denken gefordert, bevor das<br />

Dasein außer den Begriff gesetzt werden kann. Kant beschränkt hier die<br />

Problematik, wie Existenz im Begriff vom Objekt enthalten zu denken ist,<br />

im Umkreis zwischen Verstand und Anschauung bekanntlich aufs<br />

Intellektuelle: 396 »Nun sind aber reine Verstandesbegriffe, in Vergleichung<br />

mit empirischen (ja überhaupt sinnlichen) Anschauungen, ganz<br />

ungleichartig, und können niemals in irgend einer Anschauung<br />

angetroffen werden. Wie ist nun die Subsumtion der letzteren unter die<br />

erste, mithin die Anwendung der Kategorie auf Erscheinungen möglich,<br />

da doch niemand sagen wird: diese, z.B. die Kausalität, könne auch durch<br />

Sinne angeschauet werden und sei in der Erscheinung enthalten? Diese so<br />

natürliche und erhebliche Frage ist nun eigentlich die Ursache, welche eine<br />

transzendentale Doktrin der Urteilskraft notwendig macht, um nämlich<br />

die Möglichkeit zu zeigen, wie reine Verstandesbegriffe auf Erscheinungen<br />

überhaupt angewandt werden können. In allen anderen Wissenschaften,<br />

wo die Begriffe, durch die der Gegenstand allgemein gedacht wird, von<br />

denen, die diesen in concreto vorstellen, wie er geben wird, nicht so<br />

unterschieden und heterogen sind, ist es unnötig, wegen der Anwendung<br />

des ersteren auf den letzteren besondere Erörterungen zu geben.« 397<br />

395 Bekanntlich unterscheidet sich die Synthesis der konstitutiven Kategorie von der<br />

Synthesis der regulativen Kategorie darin, daß die erstere das Gleichartige, die<br />

letztere das Ungleichartige nach Begriffen zusammensetzen imstande sein soll.<br />

396 Das Existenzprädikat bezieht sich auf die Vorstellung des Gegenstandes, nicht auf<br />

den Gegenstand selbst oder auf die Anschauung in der Vorstellung desselben und<br />

ist insofern notwendigerweise unanschaulich.<br />

397 K.r.V., B 176 f./A 137 f.


— 482 —<br />

Nunmehr ist die Existenz eines Objektes aber nur in einem durch eine<br />

mögliche Anschauung bestimmten Begriff von einem einzelnen<br />

Gegenstand gegenüber der aktuellen Anschauung überhaupt und deren<br />

synthetische Prädikate in der Zeit zu denken möglich, während z. B. die<br />

Kausalität wie die reine Substanz nicht angeschaut werden kann und<br />

selbst keine Erscheinung sind (Substanz und Kausalität sind<br />

transzendentale Prädikate der Erscheinung). Auch liegt das Fundament<br />

des gesuchten synthetischen Urteils a priori nicht in der analytischen<br />

Erkenntnis, daß die Totalität des formal Möglichen Existenz beinhalten<br />

muß, sondern hier eben in der Feststellung des Gesetzes der Verknüpfung<br />

der Erscheinungen von bereits als in der Anschauung (nach der Regel des<br />

Beharrlichen in der Apprehension der Erscheinungen) gewiß gegebenen<br />

Objekten. Die reinen Verstandesbegriffe aber sind nicht nur als solche<br />

intellektuell, sondern beziehen sich auch nur auf Unanschauliches.<br />

Keineswegs wird von Kant damit beabsichtigt, jedem rein intellektuellen<br />

Begriff die Qualität zuzusprechen, eine Kausalität auszudrücken oder auch<br />

nur ein Dasein außer dem Begriff zu setzen. Zunächst ist es ratsam, sich<br />

nochmals an das Schlußwort des anfangs der Erörterung des Kapitels<br />

»Von dem Schematismus des reinen Verstandesbegriffes« gegebenen<br />

Zitates zu erinnern, um den transzendentalpsychologischen<br />

Ausgangspunkt der Untersuchung nicht aus dem Auge zu verlieren: »Wir<br />

wollen diese formale und reine Bedingung der Sinnlichkeit, auf welche der<br />

Verstandesbegriff in seinem Gebrauch restringiert ist, das Schema dieses<br />

Verstandesbegriffes, und das Verfahren des Verstandes mit diesen<br />

Schematen den Schematismus des reinen Verstandes nennen«. 398 Kant<br />

scheint unter dem Schema zunächst die Restringtion des reinen<br />

Verstandesbegriffs selbst zu verstehen. Und zwar nicht, um diese allererst<br />

für das Verfahren des Verstandes gegenüber dem inneren Sinn, sondern<br />

schon um den reinen Verstandesbegriff für den Gebrauch gegenüber der<br />

Anschauung überhaupt in Stand zu setzen. Erst der Schematismus (der<br />

Gebrauch des Schemas) drückt nicht nur die Regel der formalen<br />

Bedingung des Mannigfaltigen der reinen Sinnlichkeit (insofern<br />

definitionsgemäß immer auch schon die Mannigfaltigkeit des zur<br />

Sukzessivität bestimmten inneren Sinnes) allgemein und assertorisch aus,<br />

sondern setzt auch demgegenüber die Kontinuität der Zeitlichkeit der<br />

Dinge der Anschauung in der Erfahrung, also die Beharrlichkeit eines<br />

398 B 179/A 140


— 483 —<br />

wirklichen Dinges in den Erscheinungen intellektuell voraus. Trotz dieser<br />

naturphilosophischen Erklärung der ontologischen Voraussetzung eines<br />

Substrates der Beharrlichkeit für den Gebrauch vom Begriff eines<br />

einzelnen Gegenstandes in der Anschauung überhaupt steht das Schema<br />

der Beharrlichkeit in der Apprehension der Erscheinungen aber selbst<br />

nicht für einen Begriff von Beharrlichkeit als Eigenschaft einer Substanz.<br />

Der Begriff von der Beharrlichkeit als Schema der Apprehension der<br />

Erscheinungen ist selbst nur eine Vorstellung einer Regel zur<br />

Unterscheidung in Erscheinungen, deren Reihenfolge signifikant ist und in<br />

Erscheinungen, deren Reihenfolge gleichgültig ist. Diese Regel eines<br />

grundlegenden Wahrnehmungsexperimentes erzeugt nun bei<br />

Wiederholung a priori eine Unterscheidung in der Menge aller möglichen<br />

(sinnlichen) Prädikate überhaupt nach Beharrliches und Veränderliches.<br />

Die Besonderheit dieser Regel ist u. a., daß sie selbst erstens keine sinnliche<br />

Anschauung enthält, obgleich sie nur auf Erscheinungen angewendet<br />

wird, und zweitens selbst keinerlei logische Regel enthält, da diese<br />

primitive Regel der Apprehension selbst nur durch die Beharrlichkeit in<br />

den Erscheinungen bestimmt ist; die Schlußfolgerung auf die<br />

Veränderlichkeit ist selbst kein unbedingt notwendiger Bestandteil der rein<br />

begrifflichen kategorialen Bestimmung, sondern bereits nur als Bestandteil<br />

des reinen Verstandesbegriffes analytisch notwendig.<br />

Das Schema der Sukzessivität, welches die modallogische Regel der<br />

Veränderung vorstellt, vermag also selbst den Bezug auf einen Gegenstand<br />

in der Erfahrung nicht zu rechtfertigen, obgleich dieser Bezug logisch und<br />

metaphysisch vom zureichenden Grund vorausgesetzt wird. Dazu bedarf<br />

es empirisch des Schemas der Beharrlichkeit, obgleich dessen Regel allein<br />

bekanntlich nicht zureicht, einen einzelnen Gegenstand (oder eine einfache<br />

und individuelle Substanz) eindeutig zu bezeichnen. Diese Regel der<br />

Reproduktion und Apprehension ist wohl ein »reiner Begriff a priori«,<br />

aber keine logische Regel — und doch als »Wechsel« ein reiner<br />

Verstandesbegriff der Kategorie und auch ein Begriff der eine »formale<br />

Bedingung« der Zeit als Anschauungsform ausdrückt. Metaphysisch ist<br />

wegen der analytischen Beziehung von Beharrlichkeit und<br />

Veränderlichkeit damit die Deduktion bereits abgeschlossen, weil die<br />

Normierung der logischen Regel sich über den analytischen Gegensatz der<br />

Beharrlichkeit zur Veränderlichkeit auf jene überträgt.<br />

Transzendentalanalytisch beginnt hier das eigentliche Thema der<br />

subjektiven Deduktion.


— 484 —<br />

II.<br />

Die Funktion der reinen Einbildungskraft in diesen Synthesen geht aber<br />

selbst nicht unmittelbar auf Anschauliches: »Das Schema ist an sich selbst<br />

jederzeit nur ein Produkt der Einbildungskraft; aber indem die Synthesis<br />

der letzteren keine einzelne Anschauung, sondern Einheit in der<br />

Bestimmung der Sinnlichkeit allein zur Absicht hat, so ist das Schema doch<br />

vom Bilde zu unterscheiden«. 399 Damit wird aber sowohl die Zeitlichkeit<br />

der Verstandeshandlung wie die des gegebenen Objektes der Anschauung<br />

von der Zeitlichkeit der in Frage stehenden Produkte der Einbildungskraft<br />

im inneren Sinn, einmal als Bild vom einzelnen Gegenstand und einmal als<br />

Schema (zuerst bloß das Konzept der Beharrlichkeit) der Art nach<br />

wiederum unterschieden. Die konstituierende Verstandeshandlung erfolgt<br />

hier allein als Handlung des Vermögens der Einbildungskraft gegenüber<br />

dem bloßen inneren Sinn und seiner formalen Bedingung. Die implizite<br />

Voraussetzung der dynamischen Kategorie aber, nämlich der<br />

Verknüpfung der Objekte der Erscheinungen untereinander gemäß den<br />

Naturgesetzen ihres Daseins, welche erst objektive Realität in der<br />

Erkenntnis der gegebenen Gegenstände ermöglicht, muß demnach für das<br />

Schema der Beharrlichkeit nicht weiter als Argument herangezogen<br />

werden. Gleichwohl soll damit der bloßen Objektivität der Geltung der<br />

Zeitbestimmung schon das Fundament gelegt worden sein.<br />

Schließlich ist die Beharrlichkeit sowohl als metaphysisches Konzept der<br />

Substanz, wie auch als Konzept der Apprehension von Erscheinungen<br />

gemeinsam zu bedenken und ist als solches bereits eine Demonstration der<br />

transzendentalen Subsumtion. In beiden Fällen wird nochmals deutlich,<br />

daß die Beharrlichkeit nicht das dynamische Argument benötigt. 400 Das<br />

anschauliche Produkt der Einbildungskraft unter der Verstandeshandlung<br />

entspringt aber nicht dem Schema der Beharrlichkeit sondern besitzt<br />

vielmehr in der Geometrie sein Komplement (was nicht gleich zur Folge<br />

hat, daß die Schematen der Anschauung die Individualität im Einzelnen<br />

eines Gegenstandes beinhalteten). Und nicht nur der Vernunftbegriff von<br />

einem einzelnen Gegenstand als Begriff des gegebenen Objektes in der<br />

399 B 179/A 140<br />

400 Bezüglich des metaphysischen Gebrauchs der Beharrlichkeit als Eigenschaft der<br />

Substanz kann man anderer Auffassung sein (vgl. z.B. K. r. V., B 275 ff.), was die<br />

Beharrlichkeit als Titel des Schemas der Apprehension betrifft, die gleichwohl eine<br />

transzendente Bedeutung zur Folge hat, gilt die Ausschließung der Dynamik ohne<br />

Einschränkung. Vgl. hier zweiter Abschnitt, II..


— 485 —<br />

Erfahrung sondern auch die Verstandeshandlung in der Geometrie besitzt<br />

zwei Produkte: Einerseits, als Handlung abermals betrachtet, ihr Schema<br />

als Begriff von der Handlung (Konstruktionsbegriff), andererseits als<br />

anschauliche Vorstellung ihr Bild als Produkt des Schematismus der<br />

Einbildungskraft. 401 Es ist also festzuhalten, daß nun die Einbildungskraft<br />

nicht nur ein anschauliches Produkt besitzen kann. Insofern ist<br />

transzendentalpsychologisch der Versuch, in § 18 die Einheit des<br />

Gegenstandsbegriffes nach Verstand und Sinnlichkeit zuerst mittels<br />

geometrischer Argumente zu demonstrieren, durchaus nachzuvollziehen.<br />

Allerdings bleibt einstweilen die Frage offen, ob auch das transzendentale<br />

Schema 402 insgesamt ein Produkt der Einbildungskraft ist, wie Kant<br />

anfangs dasselbe als »vermittelnde Vorstellung« bezeichnet hat.<br />

❆<br />

Kant blendet in seiner Darstellung nun die Generationen derjenigen<br />

Vorstellungen, die das Schema selbst als Bild betrachten und damit auch<br />

die Reihe eröffnet, immer wieder auf das Schema, welche das Bild des<br />

Schemas erzeugt, zu reflektieren, aus, und beschränkt sich darauf, das<br />

Schema des Bildes (als Vorstellung, die Anschauung enthält) als das<br />

transzendentale Produkt (als Vorstellung, die selbst nicht mehr<br />

Anschauung enthält) der Einbildungskraft zu bedenken. Kant<br />

unterscheidet offenbar von vornherein den Schematismus der<br />

synthesis speciosa vom Schema der synthesis intellectualis: Der<br />

begrüßenswerten Beschränkung der endlosen Aufstufung der Reflexion in<br />

der transzendentalen Reflexion auf die Stammbegriffe steht die<br />

Schwierigkeit der Vereinbarung der Intellektualität der Regel des Schemas<br />

geometrischer Figuren (Gestalt) im Raume einerseits mit der<br />

Intellektualität der Regel des Schemas der Beharrlichkeit andererseits —<br />

beide zweifelsfrei Schematen der Apprehension — gegenüber. Schließlich<br />

wird die terminologische Verwirrung im Rahmen der Interpretation<br />

Kantens damit komplettiert, daß die »transzendentale« Einbildungskraft<br />

eigentlich für die Vorstellung eines Gegenstandes in objektiver Realität<br />

reserviert bleiben soll. — Weniger als Erklärungsansatz denn als weiterer<br />

401 Bezüglich des Vernunftbegriffes ist einerseits das Verfahren der Bestimmung der<br />

Prädikate ut constitutiva und der Rechtfertigung weiterer Prädikate ut rationata,<br />

andererseits die intellektuelle Vorstellung des Wesensbegriffes vom einzelnen<br />

Gegenstand zu beachten.<br />

402 K.r.V., B 177/A 138


— 486 —<br />

Problemkreis tritt hier die Erinnerung daran auf, was hier als Grund des<br />

nexus zu überlegen wäre: der Grund der Verknüpfung der Dinge der<br />

Erscheinungen im Dasein.<br />

§ 23 Die Beschränktheit der Gegenüberstellung von »Bild« und<br />

»Schema«in der konstituierenden Kategorie<br />

a) In der Arithmetik<br />

Im Fortgang der Lesung des Kapitels »Von dem Schematismus der reinen<br />

Verstandesbegriffe« exponiert Kant die Schematen der mathematischen<br />

Kategorie. Zuerst wiederholt Kant gegenüber der Abstraktheit des Begriffs<br />

des reinen Quantums nochmals das Verhältnis von Bild und Schema:<br />

»So, wenn ich fünf Punkte hinter einander setze, ..... ist dieses ein Bild von<br />

der Zahl fünf. Dagegen, wenn ich eine Zahl überhaupt nur denke, die nun<br />

fünf oder hundert sein kann, so ist dieses Denken mehr eine Methode,<br />

einem gewissen Begriffe gemäß eine Menge (z.E. Tausend) in einem Bilde<br />

vorzustellen, als dieses Bild selbst, welches ich im letzteren Falle<br />

schwerlich würde übersehen und mit dem Begriff vergleichen können.<br />

Diese Vorstellung nun von einem allgemeinen Verfahren der<br />

Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen, nenne ich das<br />

Schema zu diesem Begriffe.« 403<br />

Kant stellt hier das Schema auf die anschauliche Vorstellbarkeit ab, und<br />

unterscheidet vom Schema die bloß rechnerisch vorgehende Methode. Im<br />

Falle eines rein arithmetischen Begriffes der Größe ist das Schema nun wie<br />

die Methode die Vorstellung des allgemeinen Verfahrens und völlig<br />

unabhängig von der Anschaulichkeit des Bildes. Von hier ausgehend<br />

scheint zwischen dem Enthaltensein der allgemeinen Regel der<br />

Verküpfung 404 in der bloß rein formalen Bedingung des inneren Sinnes und<br />

dem Enthaltensein derselben in der Zeitlichkeit der Verstandeshandlung<br />

(die logische Regel der Sukzessivität) in der Konsequenz bislang kein<br />

Unterschied festzustellen zu sein, da beide, unbesehen ihres qualitativen<br />

Unterschiedes, unter die Allgemeinheit der Zeitlichkeit der Form des<br />

403 B 179/A 140<br />

404 Wie schon w. o. bemerkt, okkupiert hier der terminus »Verknüpfung« jede<br />

Verstandeshandlung gegenüber dem inneren Sinn (etwa im Sinne des<br />

»Hinzusetzens« von einer Vorstellung zu einer anderen in § 16), sodaß hier die<br />

Anwendung der Definitionen der Verbindung nach compositio und nexus noch nicht<br />

zielführend ist.


— 487 —<br />

inneren Sinnes fallen. Allerdings steht außer Frage, daß gerade in dieser<br />

Indifferenz von Schema und Methode die Bedingung der Bestimmung der<br />

Größe im Sinne einer Vergleichung oder im Sinne einer Messung von<br />

Ausgedehntem nicht als erfüllt gedacht werden kann; dazu ist allemal<br />

eben die formale Bedingung der Anschauungsform des äußeren Sinnes<br />

vonnöten, die damit selbst allerdings auch wiederum die Formulierung<br />

einer eigenen allgemeinen Regel (als reine Sinnlichkeit und reine<br />

Anschauung) erlauben können muß. — An dieser Stelle ist an den<br />

bestehenden Problemkreis zu erinnern, daß auch die Differenz vom<br />

Schema der Beharrlichkeit (als primitives Schema der Apprehension) und<br />

vom Schema geometrischer Figuren (als Schema der reinen Anschauung)<br />

nach wie vor vernachlässigt geblieben ist. 405 — Zuerst schlägt Kant vor, die<br />

Schwierigkeit der Bestimmung, was Schema und was Methode ist,<br />

dadurch zu entgehen, indem die Versinnlichung des Schemas im Produkt<br />

auf die bloße Linearität beschränkt bleibt: »Das reine Bild aller Größen<br />

(quantorum) vor dem äußeren Sinne, ist der Raum; aller Gegenstände der<br />

Sinne aber überhaupt, die Zeit. Das reinen Schema der Größe aber<br />

(quantitas), als eines Begriffs des Verstandes, ist die Zahl, welche eine<br />

Vorstellung ist, die die sukzessive Addition von Einem zu Einem<br />

(gleichartigen) zusammenbefaßt. Also ist die Zahl nichts anderes, als die<br />

Einheit der Synthesis des Mannigfaltigen einer gleichartigen Anschauung<br />

überhaupt, dadurch, daß ich die Zeit selbst in der Apprehension der<br />

Anschauung erzeuge.« 406<br />

Zur Bestimmung des arithmetischen Schemas als Begriff der<br />

Größenverhältnisse überhaupt muß aber von vornherein über jede<br />

Anschauung (also sowohl über das Maß der Ausdehnung wie über das<br />

Maß der Intensität) hinausgegangen werden können. Die Schematen der<br />

reinen Kategorie der Größe haben nun, wie sich gezeigt hat, 407 kein<br />

gemeinsames Substrat, und also ist die reine Kategorie außer der Idee von<br />

Allheit, Vielheit und Einheit ohne Inhalt. Da das arithmetische Schema das<br />

reinste und abstrakteste aller Schematen ist, muß also der Begriff (und<br />

nicht ein Schema der Anschauung) der logische Inhalt der Kategorie sein,<br />

und, kurz gesagt, die Regel zur Bestimmung der Allheit aus Vielheit und<br />

Einheit ausmachen. 408 Das behauptet Kant in den Axiomen der<br />

405 Vgl. hiezu eben die Synthesis in der formalen Anschauung.<br />

406 K.r.V., B 182/A 142<br />

407 Vgl. die Einleitung zum ersten Abschnitt oder hier §§ 12-14<br />

408 B 111


— 488 —<br />

Anschauung nicht mehr. 409 Wie im vierten Abschnitt dieser Arbeit noch<br />

Gelegenheit sein wird, näher auszuführen, hat das Schema der Arithmetik,<br />

anhand der Addition als vollständige Summendefinition demonstriert, 410<br />

eine eigene specifica differentia zugrunde liegen, die durchaus nicht<br />

geeignet ist, auch nur den Titel eines Begriffes vom allgemeinen Quantum<br />

abzugeben. — Die Gleichgültigkeit des Begriffes der quantitas der<br />

Arithmetik gegenüber jedem Inhalt (während die quanta der Geometrie<br />

immerhin noch der Ausdehnung zugeordnet bleiben) 411 hat zur Folge, daß<br />

die Arithmetik die Differenz von Vorstellung und Gegenstand<br />

transzendentallogisch nicht auch nur negativ geltend machen müßte. Das<br />

reine Schema der Arithmetik in der Addition ganzer Zahlen benötigt selbst<br />

offensichtlich weder Bestimmungen der Ausdehnung noch der Intensität<br />

zur Darstellung der Gesetzmäßigkeit in der Reihe von Zahlformeln, die<br />

zur Reihe der natürlichen Zahlen führt.<br />

b) In der Geometrie<br />

Es wurde anhand der einfacheren Verhältnisse der reinen Anschauung in<br />

der Tat schon früher vermutet, daß das Schema des Verstandesbegriffes<br />

zunächst nichts anderes als der Konstruktionsbegriff der reinen Geometrie<br />

sei. Die geometrische Rekonstruktion von Erscheinungen im gegebenen<br />

Mannigfaltigen der Anschauung gehört entgegen der arithmetisch reinen<br />

Vorstellung der Größe schon zur Erscheinung des erscheinenden<br />

Gegenstandes, wovon die regulativen Kategorien der Erfahrung abermals<br />

zu unterscheiden sind. 412 Im Kapitel »Von dem Schematismus der reinen<br />

409 B 204 f./A 163 f.. »Was aber die Größe (quantitas) d.i. die Antwort auf die Frage: wie<br />

groß etwas sei? betrifft, so gibt es in Ansehung derselben, obgleich verschiedene<br />

dieser Sätze synthetisch und unmittelbar gewiß (indemonstrabilia) sind, dennoch im<br />

eigentlichen Verstand keine Axiomen. Denn daß Gleiches zu Gleichem hinzugetan,<br />

oder von diesem abgezogen, ein Gleiches gebe, sind analytische Sätze, indem ich mir<br />

der Identität der einen Größenerzeugung unmittelbar bewußt bin; Axiomen aber<br />

sollen synthetische Sätze a priori sein. Dagegen sind die evidenten Sätze der<br />

Zahlenverhältnisse zwar allerdings synthetisch, aber nicht allgemein, wie die der<br />

Geometrie, und eben um deswillen auch nicht Axiomen, sondern können<br />

Zahlformeln genannt werden.« Vgl. hier weiter unten in Kap. 5 a) »Zum Problem<br />

des Inhalts der quantitativen Einheit der Kategorie«.<br />

410 Bolzano, WL. II., §§ 83-86. An anderer Stelle wird Gelegenheit sein, die Definition<br />

der Reihe der natürlichen Zahlen bei Kant und bei Bolzano anhand des Vergleichs<br />

des Beispiels der Zahlenformel und der vollständigen Summendefinition eingehend<br />

zu diskutieren.<br />

411 B 204/A 163<br />

412 »Nun sind aber reine Verstandesbegriffe, in Vergleichung mit empirischen (ja<br />

überhaupt sinnlichen) Anschauungen, ganz ungleichartig, und können niemals in<br />

irgend einer Anschauung angetroffen werden. Wie ist nun die Subsumtion der


— 489 —<br />

Verstandesbegriffe« bringt Kant anschließend an das arithmetische<br />

Beispiel das gegenüber der Arithmetik wie gegenüber dem<br />

Erfahrungsbegriff selbstständige Argument, weshalb schon im Rahmen<br />

der Geometrie zu behaupten ist, daß dem Begriff (Konzept, oder hier auch:<br />

Schema) eines Gegenstandes ohne eine weitere äußere Bedingung kein<br />

Schematismus entsprechen könne:<br />

»Dem Begriff von einem Triangel überhaupt würde gar kein Bild<br />

desselben jemals adequat sein. Denn es würde die Allgemeinheit des<br />

Begriffes nicht erreichen, welche macht, daß dieser für alle, recht- oder<br />

schiefwinkelige etc. gilt, sondern immer nur auf einen Teil dieser Sphäre<br />

eingeschränkt sein.« 413<br />

Zwar ist richtig, zu behaupten, daß gar kein Bild eines Triangels der<br />

Allgemeinheit des Begriffs eines solchen jemals adequat sein kann; jedoch<br />

ist das scheinbare Gegenteil wahr: Jedes Triangel entspricht als Bild dem<br />

allgemeinen Begriff desselben. Diese Umkehrung ist aber eben nur<br />

scheinbar symmetrisch: So gibt es in der reinen Geometrie zwar für jedes<br />

konkrete Triangel einen diskreten Konstruktionsbegriff; und es kann auch<br />

der Konstruktionsbegriff seinerseits wiederum so allgemein formuliert<br />

werden, daß dieser dann als der reine Konstruktionsbegriff des<br />

allgemeinsten Begriffes eines Triangels gelten kann, allerdings ohne<br />

Angabe diskreter Größen ein bestimmtes Bild, d.h. ein bestimmtes Dreieck,<br />

noch eine bestimmte Regel der Konstruktion zustande zu bringen.<br />

So etwa, wenn der allgemeine Begriff aller schiefwinkeliger Dreiecke<br />

betrachtet wird. Wohl bedeutet dies eine Einschränkung der allgemeinen<br />

Sphäre des Begriffs vom Triangel überhaupt, doch hat dieser Begriff<br />

zugleich die nämlichen Einschränkungen gegenüber seinen konkreten<br />

Figuren (als Bilder in reiner Anschauung) wie der Allgemeinbegriff eines<br />

Dreiecks gegenüber dem Begriff schiefwinkeliger Vielecke. 414 Erst jeder<br />

beliebige diskret bestimmter Konstruktionsbegriff besitzt also mindestens<br />

letzteren unter die erste, mithin die Anwendung der Kategorie auf Erscheinungen<br />

möglich, da doch niemand sagen wird: diese, z.B. die Kausalität, könne auch durch<br />

Sinne angeschauet werden und sei in der Erscheinung enthalten?.« (K.r.V.,<br />

B 177/A 138)<br />

413 B 180/A 141<br />

414 Vgl. hiezu Edmund Husserl Logische Untersuchungen II: Die ideale Einheit der<br />

Spezies und die neueren Abstraktionstheorien, Tübingen 2 1913, 2. Kap., §§ 7-12: Die<br />

psychologische Hypostasierung des Allgemeinen, p. 121-136. Husserl gibt hier die<br />

Kritik an der Lockeschen Idee wieder, die der Kritik an der Vorstellung bei Kant<br />

soweit vorangeht.


— 490 —<br />

ein adequates Bild, so wie jedes konkrete Triangel einen diskret<br />

bestimmten Konstruktionsbegriff besitzt. Diese Beziehung ist eben<br />

asymmetrisch, da wohl jede konkrete Figur nur einen diskreten<br />

Konstruktionsbegriff, aber doch ein solcher eine Vielzahl identer Figuren<br />

besitzen kann. Weiters ist es bekanntlich möglich, aus ein und demselben<br />

diskreten Konstruktionsbegriff zwei zueinander symmetrische Figuren zu<br />

konstruieren, die nicht ineinander überführt bzw. nicht als ident<br />

bezeichnet werden können. 415 Darüber hinaus sind die näheren<br />

quantitativen Bestimmungen noch neben der Dimensionsbestimmung (ob<br />

Strecke oder Winkel) weiteren Bestimmungen der Verhältnisse ihrer<br />

Elemente unterworfen, um ein Dreieck erzeugen zu können, die nicht im<br />

»philosophischen« Begriff vom Triangel enthalten sind; so eben der Satz<br />

von der Winkelsumme euklidisch-ebener Dreiecke, oder daß die Summe<br />

der Katheten kleiner sein muß als die Strecke der Hypotenuse. 416 Es ist<br />

dabei zweifelos gesondert von der Unterscheidung in »Schema« und<br />

»Schematismus« zu beachten, daß im Konstruktionsbegriff bzw. im<br />

Schema des »philosophischen« Begriffes einer geometrischen Figur<br />

ursprünglich selbst nichts davon zu finden sein darf, was dem<br />

synthetischen Urteil a priori in der reinen Geometrie entspricht. 417<br />

Kant unterscheidet aber die konkrete Anschauung nochmals zwischen<br />

geometrischen Gegenstand der Vorstellung und empirischen Gegenstand,<br />

auf welchen geometrische Verhältnisse angewendet werden können,<br />

sofern die Figuren der reinen Anschauung in der Analytik selbst nichts<br />

sind als Vorstellung reiner Anschauung und nicht noch Vorstellung von<br />

etwas.<br />

415 Prolegomena, § 13<br />

416 Hintikka weist historisch nach, daß nach Euklid in der Unterscheidung der Sätze in<br />

Protasias, Ekthesis, Kataskeue, Apodeixis, im Begriff der Kataskeue die Idee der<br />

Synthesis enthalten ist. Sie entspricht im Rahmen der konstruierenden Geometrie<br />

den Hilfslinien. (Kant on the Mathematical Method, in: Ed. L. W. Beck, La Salle 1969,<br />

p. 117 ff.. Vgl. zum zentralen Element Th. L. Heath; the Thirteen Books of Euklid‘s<br />

Elements translated with Introduction und Commantary, 2nd Ed., New York 1956,<br />

Three Volumes, Vol. I., p. 129 f..<br />

417 K. r. V., B 746 f./A 718 f.: »Ich würde also umsonst über den Triangel<br />

philosophieren, d.i. diskursiv nachdenken, ohne dadurch im mindesten weiter zu<br />

kommen, als auf die bloße Definition, von der ich aber billig anfangen müßte.«


— 491 —<br />

c) Die empirische Einbildungskraft<br />

Kant stellt nun im Fortgang der Lesung im Schematismuskapitel die<br />

empirische Vorstellung in den theoretischen Rahmen der reinen<br />

Anschauung und vergleicht jene mit dieser:<br />

»Das Schema des Triangels kann niemals anderswo als in Gedanken<br />

existieren, und bedeutet eine Regel der Synthesis der Einbildungskraft, in<br />

Ansehung reiner Gestalten im Raume. Noch viel weniger erreicht ein<br />

Gegenstand der Erfahrung oder Bild desselben jemals den empirischen<br />

Begriff, sondern dieser bezieht sich jederzeit unmittelbar auf das Schema<br />

der Einbildungskraft, als eine Regel der Bestimmung unserer Anschauung,<br />

gemäß einem gewissen allgemeinen Begriffe.« 418<br />

Hier wird die Einbildungskraft in beiden Fällen nur für die Produktion<br />

eines Bildes gebraucht: Der geometrische Begriff einer sinnlichen Einheit<br />

von Erscheinungen erreicht schon wegen der Beschränkung des Begriffs<br />

der Größe auf reine Anschauung nicht den empirischen Begriff des<br />

einzelnen Gegenstandes. Im Begriff des Gegenstandes der Erfahrung soll<br />

nun für den empirischen Begriff der Anschauung ein gleiches gelten, da<br />

dieser nicht alle möglichen Prädikate dieses Gegenstandes enthält. 419 Die<br />

transzendentale Subsumtion des wirklichen Gegenstandes, also der<br />

transzendentalanalytische Nachweis, daß das Existenzprädikat ein<br />

Prädikat der notwendigen Prädikate ist, ist damit aber nicht geleistet. Kant<br />

entwickelt an Ort und Stelle nur ein Duplikat der rein quantitativen<br />

Argumentation für das Verhältnis von qualitativen empirischen Begriffen<br />

einer gegebenen Anschauung und allgemeinen Begriff:<br />

»Der Begriff vom Hunde bedeutet eine Regel, nach welcher meine<br />

Einbildungskraft die Gestalt eines vierfüßigen Tieres allgemein<br />

verzeichnen kann, ohne auf irgend eine besondere Gestalt, die mir die<br />

Erfahrung darbietet, oder auch ein jedes mögliche Bild, was ich in concreto<br />

darstellen kann, eingeschränkt zu sein. Dieser Schematismus unseres<br />

418 B 180/A 141<br />

419 Das neuerlich aus zwei verschiedenen Gründen: Erstens, weil die Anschauung nicht<br />

alle Prädikate enthält (sei es, daß sie einige unter anderen Umständen sehr wohl<br />

besitzen könnte, nur jetzt nicht, oder sei es, weil Anschauungen selbst nicht alle<br />

möglichen Prädikate enthalten kann). Zweitens weil ein empirischer Begriff nicht<br />

alle möglichen (jetzt im Sinne von gebbaren) Prädikate einer Anschauung tatsächlich<br />

umfassen kann, sondern bereits eine Auswahl zur Bildung eines empirischen<br />

Begriffes getroffen werden muß.


— 492 —<br />

Verstandes, in Ansehung der Erscheinungen und ihrer bloßen Formen, ist<br />

eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre<br />

Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten, und sie unverdeckt<br />

vor Augen legen werden.« 420<br />

Eben das gleiche Verhältnis stellt Kant in einem Entwurf zur späten<br />

Preisschrift analytisch vor; allerdings deutlicher nach Teilvorstellung der<br />

Sinnenvorstellung und Gemeingültigkeit des Begriffes der logischen Form<br />

nach unterschieden:<br />

»Wenn nun ein Begriff ein von der Sinnenvorstellung genommener, d.i.<br />

empirischer Begriff ist, so enthält er als Merkmal, d.i. als Teilvorstellung,<br />

etwas, was in der Sinnenanschauung schon begriffen war, und nur der<br />

logischen Form, nämlich der Gemeingültigkeit nach, sich von der<br />

Anschauung der Sinne unterscheidet, z. B. der Begriff eines vierfüßigen<br />

Tieres in der Vorstellung eines Pferdes.« 421<br />

Läßt man also die Tiefen der menschlichen Seele einstweilen beiseite, 422 so<br />

bleibt nichts als das Argument aus der Geometrie, also etwas wie die<br />

Differenz vom Begriff eines Triangels und einem konkreten Dreieck in<br />

reiner Anschauung als Argument zur Bestimmung konkreter<br />

Individualität übrig. Kant berücksichtigt hier in seinem Beispiel des<br />

Begriffs vom Hunde im bloßen Schema eines Bildes nicht den qualitativen<br />

Begriff, also daß der aus der Anschauung entnommene Begriff bloß der<br />

der eines vierfüßigen Tieres, aber nicht der eines Hundes ist. Die in Frage<br />

kommenden »bloßen Formen« sind aber auch wiederum mehr als die<br />

bloßen geometrischen Formen der Ausdehnung, da die Erfahrung von<br />

einem bestimmten Gegenstande gegenüber der wechselnden Anschauung<br />

auch Farbe, die taktilen Qualitäten des Felles, der Geruch, die Laute,<br />

schließlich allgemein das Verhalten die Vorstellung von den<br />

Erscheinungen eines bestimmten Hundes bestimmt. Während die<br />

Konstruktion einer Gestalt bloß die reine Einbildungskraft benötigt, setzt<br />

die Konstitution eines Erfahrungsgegenstandes aber bereits die<br />

Potentialität der ganzen Einbildungskraft voraus, aber ohne deren<br />

420 K.r.V., B 180/A 141<br />

421 AA XX, p. 237 f.<br />

422 Insgesamt wird das aber durchwegs nicht möglich sein: In der Erörterung des<br />

ästhetischen Urteils wird das Ideal als Normalbild einer ursprünglich<br />

psychologischen und nicht begrifflichen Leistung vorgestellt. K.d.U., B 67 f..


— 493 —<br />

Funktionen eigens als Begriff abzuleiten. Kant scheint hier aus der wie<br />

oben erweiterten »bloßen Form« der Erscheinung nicht auf mathematische<br />

sondern auf dimensionsbestimmende qualitative Relationen aus den<br />

Differenzen der gegebenen Mannigfaltigkeit vom wirklichen Gegenstand<br />

zu schließen, 423 ohne zur deutlichen Unterscheidung von konstitutiver und<br />

dynamischer Kategorie oder zu einem qualitativen Gattungsbegriff zu<br />

gelangen.<br />

d) Das reine Schema der Begriffe<br />

Kant versucht hier neben seiner Einteilung der Kategorien in<br />

mathematische und dynamische Kategorien und deren mit Rücksicht auf<br />

die Kategorie der Antizipation nur implizite zu verzeichnenden<br />

Stufenleiter von arithmetischen, geometrischen und dynamischen Schema<br />

mit den schon bekannten Schwächen ein Modell der transzendentalen<br />

Subsumtion aufzubauen, das erstens auf die psychologische<br />

Unterscheidung in die empirische, reine und transzendentale Funktion der<br />

Einbildungskraft und zweitens auf die Unterscheidung des Produkts der<br />

Einbildungskraft in Bild und Schema beruht: »So viel können wir nur sagen:<br />

das Bild ist ein Produkt des empirischen Vermögens der produktiven<br />

Einbildungskraft [...]«. 424 Gemäß den eben aufgezeigten Kriterien der<br />

Unterscheidung fährt Kant nun fort:<br />

»[Das] Schema sinnlicher Begriffe (als der Figuren im Raume) [ist<br />

hingegen] ein Produkt und gleichsam ein Monogramm der reinen<br />

Einbildungskraft a priori, wodurch und wonach die Bilder allererst<br />

möglich werden, die aber mit dem Begriffe nur immer vermittelst des<br />

Schema, welches sie bezeichnen, verknüpft werden müssen, und an sich<br />

demselben nicht völlig kongruieren.« 425<br />

Unter sinnliche Begriffe sind wohl Begriffe zu verstehen, die Vorstellungen<br />

enthalten, die Anschauungen enthalten. Allein das logische Schema der<br />

Begriffe (z.B. in der Syllogistik) kann als reines Bild abermals betrachtet<br />

werden. Derart würde sich das »Monogramm der reinen<br />

423 Vgl. die Kategorie der Antizipation: Obgleich einerseits die Geometrisierbarkeit des<br />

Raumes die eine Voraussetzung der Beschreibbarkeit des empirischen Raumes ist, ist<br />

andererseits die Materie als Substrat des Objekts des Beweglichen die andere<br />

Voraussetzung der Beschreibbarkeit des Raumes.<br />

424 B 180/A 141<br />

425 B 80/A 141 f.


— 494 —<br />

Einbildungskraft« als Schema aller empirischen Prädikate eines Dinges<br />

gerade gegenüber dem Bild eines Gegenstandes in der Anschauung<br />

verstehen lassen. Jedoch setzt Kant zu der ungewöhnlichen<br />

Ausdrucksweise »sinnlicher Begriffe« noch eine Erklärung in Klammer:<br />

»[...] das Schema sinnlicher Begriffe (als der Figuren im Raume) [...]«. 426<br />

Damit verbleibt Kant in der Konsequenz abermals nur im Rahmen der<br />

Varianz der Argumentation, wie er sie eben vorhin zwischen Geometrie<br />

und den »bloßen Formen« der empirischen und sinnlichen Anschauung,<br />

die eben über die geometrischen Formen hinausgehen, entworfen hat. Die<br />

Erwartung, mit dem »Monogramm der reinen Einbildungskraft« nun im<br />

logischen Schema von Begriffen das transzendentale Verhältnisprädikat<br />

denken zu können, erfüllt sich demnach nicht; und bleibt also neuerlich<br />

auf eine Analogie logischer Verhältnisse zum Konstruieren von »Figuren<br />

im Raume« beschränkt. Die regulativen Kategorien aber bleiben bislang<br />

bestenfalls auf eine Andeutung beschränkt.<br />

§ 24 Die Darstellung des Schematismus der reinen Verstandesbegriffe<br />

(Das transzendentale Schema)<br />

Nach der Interpretation des Bildes als Produkt der<br />

empirischen Einbildungskraft und des Schemas als Monogramm der<br />

reinen Einbildungskraft setzt Kant das Kapitel vom »Schematismus des<br />

reinen Verstandesbegriffes« damit fort, das Schema des reinen<br />

Verstandesbegriffes (nach wie vor ohne ausdrückliche Differenzierung<br />

zwischen konstitutiver und regulativer Kategorie) einmal als Schema<br />

reiner Einbildungskraft und einmal als transzendentales Produkt der<br />

Einbildungskraft vorzustellen.<br />

»Dagegen ist das Schema eines reinen Verstandesbegriffs etwas, was in gar<br />

kein Bild gebracht werden kann, sondern ist nur die reine Synthesis,<br />

gemäß einer Regel der Einheit nach Begriffen überhaupt, die die Kategorie<br />

ausdrückt, und ist ein transzendentales Produkt der Einbildungskraft,<br />

welches die Bestimmung des inneren Sinnes überhaupt, nach Bedingungen<br />

ihrer Form (der Zeit), in Ansehung aller Vorstellungen, betrifft, so fern<br />

diese der Einheit der Apperzeption gemäß a priori in einem Begriff<br />

zusammenhängen sollten. « 427<br />

426 B 181/A 141 f.<br />

427 B 181/A 142


— 495 —<br />

Kant behauptet hier nicht, daß das Schema des reinen Verstandesbegriffs,<br />

als allgemeine Regel der Einheit nach Begriffen, selbst das Produkt der<br />

transzendentalen Einbildungskraft ist, sondern daß der reine<br />

Verstandesbegriff, nur sofern er als formale Einheit des inneren Sinnes (und<br />

sofern dessen Vorstellungen der Einheit der Apperzeption gemäß a priori<br />

in einem Begriff zusammenhängen sollte) betrachtet wird, gerade in der<br />

Aktualität der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption als<br />

Schematismus ein Produkt der transzendentalen Einbildungskraft im<br />

inneren Sinn erzeugt. Diese Interpretation legt Kant an verschiedenen<br />

Stellen selbst vor; so etwa in § 10: »Dieselbe Funktion, welche den<br />

verschiedenen Vorstellungen in einem Urteile Einheit gibt, die gibt auch<br />

der bloßen Synthesis verschiedener Vorstellungen in einer Anschauung<br />

Einheit, welche allgemein ausgedrückt, der reine Verstandesbegriff heißt.<br />

Derselbe Verstand also, und zwar durch eben dieselben Handlungen,<br />

wodurch er in Begriffen, vermittelst der analytischen Einheit ; die logische<br />

Form eine Urteil zu Stande brachte, bringt auch, vermittelst der<br />

synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt,<br />

in seine Vorstellungen einen transzendentalen Inhalt, weswegen sie reine<br />

Verstandesbegriffe heißen, die a priori auf Objekte gehen, welches die<br />

allgemeine Logik nicht leisten kann.« 428<br />

Genau gelesen, heißt hier die Einheit der bloßen Synthesis verschiedener<br />

Vorstellungen, allgemein, also analytisch in Begriffen ausgedrückt, der<br />

reine Verstandesbegriff. Es gibt aber keinen Grund für die Annahme, daß<br />

Kant an der Unterscheidung von synthesis intellectualis und synthesis<br />

speciosa, wie er sie in § 24 getroffen hat, nicht auch im Schematismuskapitel<br />

festgehalten hätte: »Diese Synthesis des Mannigfaltigen der sinnlichen<br />

Anschauung, die a priori möglich und notwendig ist, kann figürlich<br />

(synthesis speciosa) genannt werden, zum Unterschiede von derjenigen,<br />

welche in Ansehung des Mannigfaltigen einer Anschauung überhaupt in<br />

der bloßen Kategorie gedacht würde, und Verstandesverbindung<br />

(synthesis intellectualis) heißt; beide sind transzendental, nicht bloß weil<br />

sie selbst a priori vorgehen, sondern auch die Möglichkeit anderer<br />

Erkenntnis a priori gründen.«<br />

»Allein die figürliche Synthesis, wenn sie bloß auf die ursprünglichsynthetische<br />

Einheit der Apperzeption, d.i. diese transzendentale Einheit<br />

428 K.r.V., B 105 f./A 79 f. (Hervorh. v. Autor)


— 496 —<br />

geht, welche in den Kategorien gedacht wird, muß, zum Unterschiede von<br />

der bloß intellektuellen Verbindung, die transzendentale Synthesis der<br />

Einbildungskraft heißen.« 429<br />

Jedoch geht es aber nunmehr nicht allein um die Konstitution eines<br />

gegebenen Objektes (oder auch der bloßen Vorstellung eines gebbaren<br />

Gegenstandes) im inneren Sinn gemäß des Begriffs eines einzelnen<br />

Gegenstandes, sondern — gewissermaßen das transzendentale Produkt aus<br />

dem Schematismuskapitel der Analytik der Grundsätze am Boden der<br />

transzendentalen Deduktion (der Analytik der Begriffe) umstülpend —<br />

abermals um die Konstitution dieses hier zuvor schon behaupteten reinen<br />

Begriffes als Kategorie und Schema gegenüber der bloßen logischen<br />

Funktion reiner Verstandesbegriffe, die diese selbst enthalten. Es ist<br />

festzuhalten, daß Kant im zweiten Abschnitt des gegebenen Zitates aus<br />

§ 24 die Kategorie letztlich nicht mehr von ihrem transzendentalen<br />

Schematismus der Einbildungskraft unterscheidet: da sagt er deutlich, daß<br />

die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft dazu nötig sei, um die<br />

ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption, die in den Kategorien<br />

gedacht wird, zu denken, während im ersten Abschnitt des Zitates in der<br />

synthesis intellectualis bloß nochmals die rein intellektuelle Verbindung der<br />

bloßen Kategorie (erster Abschnitt) von der ursprünglich-synthetischen<br />

Einheit der Apperzeption, die in den Kategorien gedacht wird (zweiter<br />

Abschnitt des Zitates), unterschieden wird. Die rein intellektuelle<br />

Verbindung kann nach der Gegenüberstellung von ursprünglichsynthetischer<br />

Einheit und der bloßen Kategorie nur mehr analytisch<br />

gedacht werden. Bemerkenswert ist aber weiters, daß im zweiten<br />

Abschnitt des Zitates die ursprünglich -synthetische Einheit in den<br />

Kategorien gedacht werden soll; etwas, das Kant in § 15 verbietet und in<br />

§ 16 auch gar nicht zustande bringen könnte. Es handelt sich also, dessen<br />

ungeachtet, in § 24 um eine Neuinterpretation des in §§ 16-17 festgestellten<br />

doppelten Interpretierbarkeit der ursprünglich-synthetischen Einheit der<br />

Apperzeption, die Kant hier einerseits intellektuell mit bloßer Kategorie und<br />

andererseits als Schema oder als Formel der Einbildungskraft mit<br />

den Kategorien kennzeichnet.<br />

Im oben gegebenen Zitat aus dem Kapitel »Von dem Schematismus der<br />

reinen Verstandesbegriffe« 430 unterscheidet Kant ebenfalls das Schema<br />

429 B 151 (Hervorh. v. Autor)


— 497 —<br />

vom Schematismus des reinen Verstandesbegriffes nach<br />

synthesis intellectualis und synthesis speciosa, aber derart, daß die erstere<br />

bereits die formale Bedingung des Gegebenseins als allgemeine Bedingung<br />

enthält. Ist in § 24 die qualifizierte Kategorie schließlich nicht mehr ohne<br />

der transzendentalen Funktion der Einbildungskraft (synthesis speciosa) zu<br />

denken möglich, sodaß die synthesis intellectualis demnach dann a<br />

posteriori als analytische Form der Verstandeshandlung in logischer<br />

Funktion verbleibt, wenn die Funktion des Verstandes die »bloße«<br />

Kategorie rein ausdrückt, enthält hier die Verstandeshandlung als<br />

synthesis intellectualis wieder a priori die formale Bedingung in Gestalt<br />

einer allgemeinen Bedingung. 431 Demnach wäre insofern bereits der reine<br />

Verstandesbegriff als die bloße Kategorie, also insofern als rein<br />

intellektuelles und als reines und intellektuelles Schema (ein bereits<br />

spezifiziertes Konzept der Konzepte) metaphysisch-logisch zu denken<br />

möglich, während die fragliche Stelle in § 24 wegen der ursprünglichsynthethischen<br />

Einheit der Apperzeption, die in den Kategorien<br />

stattfindet, nahelegt, die bloße Kategorie nur mehr als analytische<br />

Heraushebung aus der synthesis speciosa der transzendentalen<br />

Einbildungskraft zu verstehen.<br />

Benötigt die derart vorgestellte reine Kategorie, als reiner<br />

Verstandesbegriff schon die formale Bedingung in Gestalt einer<br />

allgemeinen Bedingung enthaltend, nun die transzendentale<br />

Einbildungskraft erst, wenn es sich nur um den Schematismus der<br />

430 Ich beziehe mich hier auf B 178 f./A 139 f. (»daß reine Begriffe a priori [enthalten],<br />

außer der Funktion des Verstandes in der Kategorie, noch formale Bedingungen der<br />

Sinnlichkeit [...]«) und auf B 181/A 141 (»das Schema eines reinen<br />

Verstandesbegriffes [ist] nur die reine Synthesis, gemäß einer Regel der Einheit nach<br />

Begriffen überhaupt, die die Kategorie ausdrückt [...]«). M. E. drücken beide<br />

Formulierungen eine identifizierbare Auffassung über die fraglichen Verhältnisse<br />

aus.<br />

431 K.r.V., B 178 f./A 139 f.: »Denn da haben wir gesehen, daß Begriffe ganz unmöglich<br />

sind, noch irgend eine Bedeutung haben können, wo nicht, entweder ihnen selbst,<br />

oder wenigstens den Elementen, daraus sie bestehen, ein Gegenstand gegeben ist,<br />

mithin auf Dinge an sich (ohne Rücksicht, ob und wie sie uns gegeben werden<br />

mögen) gar nicht gehen können; daß ferner die einzige Art, wie uns Gegenstände<br />

gegeben werden, die Modifikation unserer Sinnlichkeit sei; endlich, daß reine Begriffe<br />

a priori, außer der Funktion des Verstandes in der Kategorie, noch formale Bedingungen der<br />

Sinnlichkeit (namentlich des inneren Sinnes) a priori enthalten müssen, welche die<br />

allgemeine Bedingung enthalten, unter der die Kategorie allein auf irgend einen Gegenstand<br />

angewandt werden kann. Wir wollen diese formale und reine Bedingung der<br />

Sinnlichkeit, auf welche der Verstandesbegriff in seinem Gebrauche restringiert ist,<br />

das Schema dieses Verstandesbegriffes, und das Verfahren des Verstandes mit<br />

diesen Schematen, den Schematismus des reinen Verstandes nennen.«


— 498 —<br />

Synthesis einer gegebenen Mannigfaltigkeit einer bestimmten Anschauung<br />

handelt? Und ist es so, wie Kant vorstellig zu machen scheint: Nämlich,<br />

daß der reine Verstandesbegriff, hier gleich die bloße Kategorie als<br />

synthesis intellectualis gedacht, die allgemeine Bedingung (z. B. Ursache<br />

und Wirkung) in Gestalt der formalen Bedingung (die logische Definition<br />

der Sukzessivität) enthalten könnte, nur weil die bloße<br />

Verstandeshandlung der fortlaufenden Prädikatisierung des gegebenen<br />

Mannigfaltigen selbst der Zeitbedingung des inneren Sinn eine logische<br />

Zeitordnung aufgeprägt hat?<br />

§ 25 Die ersten zwei Interpretationen der »bloßen« oder »reinen«<br />

Kategorie<br />

a) Die reine Kategorie ist die analytische Einheit der Synthesis<br />

und als solche der reine Verstandesbegriff<br />

In § 10 sagt Kant deutlich, wie das Verhältnis von reinem<br />

Verstandesbegriff und Kategorie zu denken ist: »Derselbe Verstand also,<br />

und zwar durch eben dieselbe Handlungen, wodurch er in Begriffen,<br />

vermittelst der analytischen Einheit, die logische Form eines Urteils zu<br />

Stande brachte, bringt auch, vermittelst der synthetischen Einheit des<br />

Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt, in seine Vorstellungen<br />

einen transzendentalen Inhalt, weswegen sie reine Verstandesbegriffe<br />

heißen, die apriori auf Objekte gehen, welches die allgemeine Logik nicht<br />

leisten kann. [...] Wir wollen diese Begriffe, nach dem Aristoteles,<br />

Kategorien nennen, indem unsere Absicht uranfänglich mit der seinigen<br />

zwar einerlei ist, ob sie sich gleich davon in der Ausführung gar sehr<br />

entfernet.« 432<br />

Kant nennt also die reinen Verstandesbegriffe hier deshalb direkt<br />

Kategorien, weil sie sich auf Objekte der Erfahrung (der transzendentale<br />

Inhalt) beziehen, wenn deren allgemeine Regel die Mannigfaltigkeit in der<br />

Anschauung überhaupt zur synthetischen Einheit bringen, und diese<br />

reinen Verstandesbegriffe selbst — als Formen der Verstandeshandlung im<br />

Urteil mittels Begriffe — auch deren analytische Einheit ausdrücken.<br />

Nichts anderes wurde auch im Schematismusabschnitt des § 24 der<br />

Deduktion behauptet. Was kann es nun bedeuten, wenn von Kant eine<br />

432 B 105 f./A 79


— 499 —<br />

»reine« Kategorie in Stellung gebracht wird? Man darf vermuten, daß<br />

diese Kennzeichnung zunächst bloß auf die Verstandeshandlung im Urteil<br />

aus Begriffe verweisen soll. Nun aber hat Kant schließlich festgestellt, daß<br />

die Erkenntnis der Verhältnisse der Erscheinungen im Dasein nicht<br />

anschaulich sind, sondern rein intellektuell gewonnen werden. Damit ist<br />

die »Reinheit« der Kategorie neu zu bedenken. Es ist zu überlegen, daß<br />

Kant sowohl die transzendentale Reflexion der Relationen, die modale<br />

Reflexion, die Reflexion der reinen Zeckmäßigkeit möglicher<br />

Konstruktionen, aber auch die Reflexion der metaphysischen<br />

Anfangsgründe gemeint haben kann, wenn er wiederum die Erkenntnis<br />

allein in der »reinen« Intellektualität der Begriffe vorstellen kann:<br />

»Vermittelst des Begriffs der Ursache gehe ich wirklich aus dem<br />

empirischen Begriffe von einer Begebenheit (da etwas geschieht) heraus,<br />

aber nicht zu der Anschauung, die den Begriff der Ursache in concreto<br />

darstellt, sondern zu den Zeitbedingungen überhaupt, die in der<br />

Erfahrung dem Begriff der Ursache gemäß gefunden werden möchten. Ich<br />

verfahre also bloß nach Begriffen, und kann nicht durch Konstruktion der<br />

Begriffe verfahren, weil der Begriff eine Regel der Synthesis der<br />

Wahrnehmungen ist, die keine reine Anschauungen sind, und sich also a<br />

priori nicht darstellen lassen.« 433<br />

In der Anmerkung zur vierten Erklärung der Phoronomie ist zu lesen: 434<br />

»Zur Konstruktion der Begriffe wird erfodert: daß die Bedingung ihrer<br />

Darstellung nicht von der Erfahrung entlehnt sei, also auch nicht gewisse<br />

Kräfte voraussetze, deren Existenz nur von der Erfahrung abgeleitet<br />

werden kann, oder überhaupt, daß die Bedingung der Konstruktion nicht<br />

selbst ein Begriff sein müsse, der gar nicht a priori in derAnschauung<br />

gegeben werden kann, wie z.B. der von Ursache und Wirkung, Handlung<br />

und Widerstand etc.« 435<br />

In dieser Gegenüberstellung zweier ähnlicher Gedankengänge zeigt sich<br />

die Schwierigkeit, zu erfassen, was unter der »reinen Kategorie« gemeint<br />

433 K.r.V., Anmk. zu B 750/A 722<br />

434 Ähnlich in der Methodenlehre der K. r. V.: »Synthetische Sätze, die auf Dinge<br />

überhaupt, deren Anschauung sich a priori gar nicht geben läßt, gehen, sind<br />

transzendental. Demnach lassen sich transzendentale Sätze niemals durch<br />

Konstruktion der Begriffe, sondern nur nach Begriffen a priori geben. Sie enthalten<br />

bloß die Regel, nach der eine gewisse synthetische Einheit desjenigen, was nicht a<br />

priori anschaulich vorgestellt werden kann, (der Wahrnehmungen,) empirisch<br />

gesucht werden soll.« (B 748 f/A 720 f.)<br />

435 M.A.d.N., A 14


— 500 —<br />

sein kann, bedenkt man die »Reinheit« allein im Kontrast zur<br />

synthesis speciosa der empirischen Einbildungskraft und zum primitiven<br />

Schema der Apprehension, das zum Beharrlichen in der Erscheinung führt.<br />

Insofern wird die Reinheit der Kategorie aus einem Grund gefordert, der<br />

für sich selbst keinerlei Anspruch auf Apriorität erheben kann: Die<br />

Erkenntnis der dynamischen Gründe sind selbst im Sinne Kants<br />

unanschaulich und nur der Begriff vermag sich intellektuell auf das, was<br />

geschieht, zu richten. Die reine Kategorie 436 bedarf einer allgemeinen Regel<br />

gerade deshalb, weil die Erkenntnis der Gründe des Gegebenen<br />

intellektuell stattfindet, und der Grund deren Regel nicht von der<br />

Einbildungskraft abermals anschaulich vorgestellt werden kann; auch<br />

nicht von der transzendentalen Einbildungskraft. Die letztere bewirkt nur<br />

das Verständnis der Anschauung als Teil der Erfahrung und kennzeichnet<br />

die Stellen der Einsetzung des selbst unanschaulichen Grundes. Während<br />

der Grund der Reinheit, frei von Sinnlichkeit zu sein, in der Anschauung<br />

Apriorität verspricht, 437 ist der Grund der Reinheit hier als eine Bedingung<br />

des Erfahrungsbegriffen vorgestellt worden, der selbst aber nicht<br />

zureichend ist, den Grund des Geschehens a priori zu denken — dazu sei<br />

noch mehr als die Regel a posteriori der Stellung solcher Begriffe in der<br />

Reihe der Erscheinungen notwendig, die mit der Regel der Reproduktion<br />

auch schon gegeben ist.<br />

b) Die Reinheit der Kategorie als rein intellektueller Begriff oder<br />

als rein von jeder Zeitbedingung zu denkender Begriff<br />

Weiter oben (vgl. hier §§ 9-10) wurde der reine Verstandesbegriff, der<br />

grammatikalisch dasjenige in einem Urteil bestimmt, das nicht in<br />

Prädikaten weiter gedacht werden kann, schon als reine Kategorie der<br />

Substanz vorgestellt. So kehrt auch im Schematismuskapitel die<br />

grammatikalische Bestimmung des Objektbegriffes als Bestimmung der<br />

reinen Kategorie wieder, 438 obgleich das der in B 181/A 142 getroffenen<br />

436 Hier noch als reiner Verstandesbegriff zu verstehen.<br />

437 Vgl. die Strategie bei der Exponation der dynamischen Kategorien in § 26<br />

438 K.r.V., B 186/A 147: »In der Tat bleibt den reinen Verstandesbegriffen allerdings,<br />

auch nach Absonderung aller sinnlichen Bedingung, eine aber nur logische<br />

Bedeutung der bloßen Einheit der Vorstellungen, denen aber kein Gegenstand,<br />

mithin auch keine Bedeutung gegeben wird, die einen Begriff vom Objekt abgeben<br />

könnte. So würde z.B. Substanz, wenn man die sinnliche Bestimmung der<br />

Beharrlichkeit wegließe, nichts weiter als ein Etwas bedeuten, das als Subjekt (ohne<br />

ein Prädikat von etwas anderem zu sein) gedacht werden kann.«


— 501 —<br />

Darstellung der Kategorie, welche den reinen Verstandesbegriff schon rein<br />

intellektuell ausdrückt, keineswegs entspricht. 439 Beiden Auffassungen von<br />

einer »reinen« Kategorie muß übrigens das Schema (Regel, Formel) der<br />

Apprehension in figürlicher Hinsicht, aber auch allererst hinsichtlich der<br />

Beharrlichkeit erst in den Erscheinungen gefunden werden.<br />

Der Begriff der Dauerder Substanz 440 und nicht als Schema der<br />

Apprehension der Erscheinungen (Beharrlichkeit) gehört bereits zur<br />

Reflexion der Vorstellungen der metaphysischen Anfangsgründe. Insofern<br />

ist die Darstellung aus § 24, in welcher sowohl die synthesis intellectualis als<br />

reiner Verstandesbegriff wie auch die synthesis speciosa als Produkt der<br />

Einbildungkraft als transzendental bezeichnet werden, 441 gleich in<br />

mehrerer Hinsicht zu erweitern: Denn soll das Produkt der Regel der<br />

Apprehension mit objektiver Realität gedacht werden, muß schließlich der<br />

Beharrlichkeit am Ding des Objektes der Erfahrung auch eine<br />

metaphysische Voraussetzung zumindest zu denken möglich sein. Das<br />

Urteil über die Existenz gegebener Objekte der Erfahrung und über die<br />

Wirklichkeit des Geschehens gehört aber zur Reflexion über die Modalität<br />

der Aussagen. Diese Reflexionen können zweifellos nicht mehr ein<br />

Produkt der Einbildungskraft besitzen. — Der mögliche logische Gehalt<br />

einer Kategorie ist insofern nicht rein (in dem Sinne als nicht frei von<br />

kontingenten Verhältnissen, seien deren Begriffe etwa auch Folgen von a<br />

priori Geltung wie die Beharrlichkeit als Schema der Apprehension),<br />

obgleich da wie dort die sinnliche Figur in der Anschauung des<br />

Gegenstandes hierin gar nicht selbst eingeht. Bekanntlich erhält die<br />

Beharrlichkeit in diesem Zusammenhang in der M.A.d.N. späterhin eine<br />

dynamische Erklärung. 442<br />

Allerdings wurde die Beharrlichkeit selbst zuvor schon als rein<br />

intellektuelles Schema der Vermittlung vorgestellt: einmal als Regel der<br />

Apprehension der Erscheinungen (nicht selbst der Anschauung; diese<br />

geschieht nur mittels der synthesis speciosa), die unabhängig von der<br />

439 »Das Schema eines reinen Verstandesbegriffes [ist] nur die reine Synthesis, gemäß<br />

einer Regel der Einheit nach Begriffen überhaupt, die die Kategorie ausdrückt [...]«<br />

(B 181/A 142)<br />

440 M.A.d.N., Als Folge der Repulsion<br />

441 Betreffs der synthesis intellectualis wohl hinsichtlich der transzendentalen Reflexion<br />

(vgl. hier § 20), bezüglich der synthesis speciosa eindeutig hinsichtlich des<br />

»transzendentalen Inhaltes« in der Anschauung.<br />

442 M. E. ist dieser Absicht unabhängig von der Gelungenheit dieses Versuches<br />

systematische Bedeutung einzuräumen


— 502 —<br />

logischen Normierung des inneren Sinnes mittels Gegensätze ist, und<br />

einmal als intellektuelle, rein begriffliche Voraussetzung (der analytischen<br />

Worterklärung von »Beharrlichkeit« aus dem Gegensatz zu<br />

»Veränderlichkeit«), die in der grammatikalisch als Satzgegenstand<br />

bestimmten Stelle des transzendentalen Objektes = X im Urteil 443 zwischen<br />

dem mehrfach fraglichen Substrat des Begriffes vom Beharrlichen in der<br />

Apprehension der Erscheinung (das den Begriff des Veränderlichen nur<br />

als Bedingung analytisch voraussetzt) und der Idee des Beweglichen als<br />

metaphysischer Anfangsgrund analogisch (selbst ohne logische, aber mit<br />

geometrischer Definition des Veränderlichen) zu vermitteln vorgibt.<br />

Doch wird von selbst deutlich, daß die »allgemeine Bedingung«, die im<br />

Schematismuskapitel zuerst in der »formalen Bedingung«, und diese<br />

wiederum im »reinen Begriff a priori« enthalten sein soll, nicht den vollen<br />

Umfang dieser Überlegung zu tragen imstande ist — die »formale<br />

Bedingung« ist erst als transzendentale Zeitbedingung der Anschauung<br />

eigens einzuführen; in der Formulierung, daß die »allgemeine Bedingung«,<br />

die im Schematismuskapitel in der »formalen Bedingung«, und diese<br />

wiederum im reinen Begriff enthalten sein soll, ist aber erstens die<br />

»formale Bedingung« als transzendentale Zeitbedingung der Zeitordnung,<br />

wie wir anhand der Bestimmung des inneren Sinnes zur Sukzessivität<br />

mittels fortlaufender Prädikatisierung gesehen haben, schon längst mit der<br />

Bedingung der logischer Kontinuität zusammengefallen, und zweitens die<br />

analytische Zeitordnung im reinen Verstandesbegriff (Beharrlichkeit und<br />

Veränderlichkeit bzw. Ursache und Wirkung) mit eben der bloßen<br />

Prädikatisierungshandlung verwechselbar geworden, welche auch der<br />

transzendentalen Zeitbedingung erst die logische Ordnung gibt. —<br />

Die Abwägung beider Strategien der Interpretation (die aus dem Kapitel<br />

»Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe« aus B 181/A 142<br />

und die aus dem Schematismusabschnitt in § 24) wird zeigen, daß es sich<br />

bei diesen Strategien nicht um einander ausschließende Alternativen<br />

handelt, wie es zuerst nach der Feststellung der Differenzen erschienen ist.<br />

Es scheint, daß die Untersuchung der Funktion der Einbildungskraft in<br />

Schema und Schematismus zu folgenden alternativen Formulierungen<br />

443 »Bei allem Wechsel beharret die Substanz [...].« (K.r.V., B 224/A 182) bzw. »Alle<br />

Veränderungen geschehen nach dem Gesetz der Verknüpfung von Ursache und<br />

Wirkung« (B 232/A 189)


— 503 —<br />

führt, die in der Interpretation der gedoppelten Ausgangslage bei Kant<br />

einen Schritt weitergehen, indem sie jeweils eine Entscheidung benötigen,<br />

die aus der Abwägung der Argumente Kants allein nicht begründet<br />

werden kann. Erstens: In Gestalt einer formalen Bedingung auch schon die<br />

allgemeine Bedingung zu enthalten (z.B. als Ursache-Wirkung), zeichnet<br />

den reinen Begriff (synthesis intellectualis) gegenüber der logischen Regel<br />

der Sukzessivität des inneren Sinnes zur Kategorie aus. Hier droht<br />

allerdings die transzendentale Zeitbedingung, die Zeitform des inneren<br />

Sinnes und die Zeitform der Verstandeshandlung anhand der logischen<br />

Regel der Sukzessivität zusammenzufallen. Zweitens: Die allgemeine<br />

Bedingung der Reflexion auf objektive Realität zu enthalten (die logische<br />

Definition der Sukzessivität), macht die Kategorien (synthesis speciosa als<br />

transzendentales Produkt der Einbildungskraft) sowohl gegenüber der<br />

bloß logischen Funktion der Verstandeshandlung (Ursache und Wirkung)<br />

wie gegenüber der Funktion der empirischen und der reinen<br />

Einbildungskraft aus. Dann wäre die Kategorie nur mit der<br />

transzendentalen Zeitbedingung in Gestalt der logischen Definition der<br />

Sukzessivität zu geben. Zur allgemeinen Bedingung der objektiven Realität<br />

gehört aber sowohl Anschauung und auch die ganze allgemeine<br />

Bedingung der konstitutiven Kategorien (compositio) wie die intellektuelle<br />

Relationsform des nexus. Diese bisher noch unbekannte Transformation<br />

von Washeit und Modalität (Quidditas) zur Relation soll von kontingenten<br />

Aussagen entscheiden können, ob sie sich auf zufällig oder gesetzmäßig<br />

erscheinendes empirisches Geschehen beziehen lassen.<br />

Die zum reinen Begriff transzendental hinzukommende formale<br />

Zeitbedingung (in der zweiten dynamischen Kategorie schon in der<br />

logischen Regel des sukzessiv Veränderlichen ausgedrückt) ist<br />

wesentliches Bestandstück der Kategorie, ebenso wie die Zeitordnung des<br />

reinen (analytischen) Verstandesbegriffes im synthetischen Grundsatz von<br />

Ursache und Wirkung. Die Richtigkeit dieser Interpretation erweist sich<br />

einerseits darin, daß Kant die »reine Kategorie« nicht allerorts als reinen<br />

Verstandesbegriff behandelt; allerdings bloß um zu betonen, daß es sich<br />

dann nicht um die Synthesis des in einer Anschauung gegebenen<br />

Mannigfaltigen, sondern um die analytisch verfahrende<br />

synthesis intellectualis nur insofern reiner Begriffe im Urteil handelt.<br />

Schließlich stellt andererseits Kant sowohl für die Substanz- wie für die<br />

Kausalitätskategorie als »reine« Kategorie einen Begriff<br />

ohne jede Zeitbedingung vor: Eine dieserart »reine« Kategorie wurde wie


— 504 —<br />

auch die analytische Zeitordnung des reinen Verstandesbegriffes insofern<br />

zurecht für die Kausalitätskategorie als für sich allein als nicht ausreichend<br />

erachtet.<br />

c) Zeitreihe und Zeitordnung als Zeitbedingungen der Kategorie<br />

Die hier seit § 20 verfolgte Analyse ist in ihren wichtigsten Entscheidungen<br />

im Zuge der Begriffsbestimmung folgendermaßen kurz zu rekapitulieren:<br />

1. Reiner Verstandesbegriff (analytisch: Ursache-Wirkung) (*) enthält die<br />

Zeitordnung auch dann, wenn keine Zeit verlaufen ist (keine Zeitreihe<br />

entstanden ist). [synthetischer Grundsatz] 444<br />

(*) Kategorie und Verstandesbegriff relativ ungetrennt<br />

Reiner Verstandesbegriff (analytisch: reine Mannigfaltigkeit des Begriffes)<br />

(*) benötigt transzendentale Zeitbedingung. [Schematismuskapitel a] 445<br />

(*) Kategorie und Verstandesbegriff relativ ungetrennt<br />

2. synthesis intellectualis und synthesis speciosa beide in transzendentaler<br />

Verwendung. Auf nonkonformistischer Weise (bezüglich § 16)<br />

argumentiert Kant für einen Kategorienbegriff aus der synthesis speciosa,<br />

der vom reinen Verstandesbegriff anhand der Funktion der<br />

transzendentalen Einbildungskraft in der ursprünglich-synthetischen<br />

Einheit der Apperzeption unterscheidbar sein soll (*)<br />

[Schematismusabschnitt in § 24] 446<br />

(*) reine Kategorie und reiner Verstandesbegriff relativ ungetrennt<br />

Die reinen Verstandesbegriffe nach der Ordnung der Kategorien<br />

vorgestellt [Schematismuskapitel b, vgl. hier anschließend § 25 d],<br />

Kategorien: Titel einer Formel (der synthetische Grundsatz als Schema),<br />

den reinen Verstandesbegriffen beiseite gesetzt [Analogien]. Kategorien<br />

sind vom reinen Verstandesbegriff geschieden (*)<br />

444 »Der Begriff aber, der eine Notwendigkeit der synthetischen Einheit mit sich führt,<br />

kann nur ein reiner Verstandesbegriff sein, der nicht in der Wahrnehmung liegt, und<br />

das ist hier der Begriff des Verhältnisses von Ursache und Wirkung.« (B 234/A 189)<br />

445 »Der Verstandesbegriff enthält reine synthetische Mannigfaltigkeit überhaupt.«<br />

(B 177/A 138)<br />

446 B 150 f.


— 505 —<br />

(*) reine Kategorie (ohne jede Zeitbedingung) vom reinen<br />

Verstandesbegriff wie von der Kategorie verschieden (disparat: läßt sich<br />

als Gegensatz ausdrücken).<br />

Die anhand der Veränderung der Bedeutung des Ausdrucks »reine«<br />

Kategorie zu verzeichnende Veränderung des Verhältnisses von Kategorie<br />

und Verstandesbegriff setzt die Spaltung der Deduktion in zwei<br />

ursprünglich-synthetische Einheiten der Apperzeption fort; 447 diese<br />

Spaltung geht letztlich auf die logische Differenz der<br />

Distributionseigenschaften vom Begriff des Raumes (als Begriff der<br />

Anschauung) und vom Begriff des Gegenstandes zurück.<br />

❆<br />

Zwar ist die bloße Zeitreihe, die der Regel der Beharrlichkeit in den<br />

Erscheinungen zugrunde liegt, als transzendentale Zeitbedingung ohne<br />

weiteres zu verstehen. Da aber Kant im Schematismuskapitel der<br />

Zeitbedingung der dynamischen Kategorie insgesamt die Zeitordnung, die<br />

Zeitreihe aber allein dem kategorialen Quantum zuordnet, 448 verstehe ich<br />

unter der »Regel der Zeitbedingung« 449 schließlich gleich die strengere,<br />

logische Regel des Veränderlichen (obwohl der Beharrlichkeit die Zeitreihe<br />

des Quantums genügt). Der logische Inhalt der transzendentalen<br />

Zeitbedingung wird also mit der logischen Regel des sukzessiv<br />

Veränderlichen (Verknüpfung des Prädikats mit ihrem Gegenteil)<br />

identifiziert (damit wird der Begriff auf die Kategorie der Kausalität —<br />

bzw. den reinen Verstandesbegriff von Ursache und Wirkung —<br />

eingeschränkt). Der reine Verstandesbegriff (analytisch: reine<br />

Mannigfaltigkeit des Begriffes; hier: Ursache und Wirkung) wird von der<br />

Kategorie dadurch unterschieden, daß die Kategorie den reinen<br />

Verstandesbegriff und die transzendentale Zeitbedingung enthält (vgl.<br />

»der reine Begriff a priori enthält außer der Funktion des Verstandes in der<br />

Kategorie noch eine formale Bedingung«). Ab da ist die reine Kategorie<br />

(ohne Zeitbedingung) grammatikalisch [der Substanz,<br />

Schematismuskapitel] oder formalontologisch [der Kompossibilität,<br />

447 Die Rede ist von jener Spaltung der Argumentation Kantens zur ursprünglichsynthetischen<br />

Einheit der Apperzeption zwischen Einheit der Anschauung und<br />

Einheit der Verbindung im Denken, die am deutlichsten zwischen Text und Fußnote<br />

in § 17 zum Ausdruck kommt (B 136 f.)<br />

448 B 184/A 145<br />

449 l. c.


— 506 —<br />

Amphibolie] von der »ganzen« Kategorie wie vom reinen<br />

Verstandesbegriff zu unterscheiden.<br />

Die Identifikation der reinen Kategorie mit dem reinen Verstandesbegriff,<br />

obgleich zunächst nicht ausdrücklich von Kant ausgeschlossen, ist seit den<br />

Definitionen der reinen Kategorie unmöglich geworden. Der reine<br />

Verstandesbegriff bleibt der, der die analytische Zeitbedingung (in der<br />

Kausalitätskategorie die Zeitordnung gegenüber der Zeitreihe) schon<br />

logisch enthält, bevor noch der Wechsel aussagenlogisch widerspruchsfrei<br />

anhand der modallogischen Definition der Sukzessivität als Zeitordnung<br />

dargestellt werden kann. Die Diskussion, ob der reine Verstandesbegriff<br />

selbst analytisch als reiner Begriff der Ursache oder auch der Beharrlichkeit<br />

(Wirkung oder Veränderlichkeit als analytisches Gegenteil bereits<br />

enthaltend) schon eine gerichtete Zeitordnung beinhalte, ist soweit<br />

bekannt. Daß die Ursache die Kausalität besitzt, nicht die Wirkung, sollte<br />

einer solchen Behauptung unwiderruflich recht geben. Andererseits bleibt<br />

doch auch in Stellung, daß das Etwas, das Ursache genannt zu werden<br />

verdient, schon auch notwendigerweise die Wirkung mit zu bedenken hat.<br />

In der allgemeinen Regel der Wahrnehmung kann nur das Ursache<br />

genannt werden, dessen Wirkung existiert. Die Frage lautet: Ist Etwas mit<br />

Kausalität, aber ohne Wirkung, schon eine Ursache? Die Antwort kann nur<br />

nein lauten. Folglich ist die einzige »transzendentale Zeitbedingung«, die<br />

allein aus dem reinen (analytischen) Verstandesbegriff der Ursache<br />

erschlossen werden kann, die des »Zugleichseins«, worin Ursache und<br />

Wirkung in dem, was geschieht, gemeinsam existieren.<br />

Mit der Regel der Beharrlichkeit in der Apprehension der Erscheinungen,<br />

aber auch mit der modallogischen Regel des sukzessiv Veränderlichen<br />

wird ebenfalls keine Zeitrichtung bestimmt, wohl aber eine lineare<br />

Dimension der Zeit verzeichnet. Allerdings wird von der zweiten<br />

Zeitbedingung (als »unvollständige« logische Zeitordnung der<br />

Sukzessivität von mir gekennzeichnet) mit dem ersten Schritt eine<br />

Richtung determiniert — und zwar entweder regressiv oder progressiv.<br />

Gemeinsam mit der Kausalität eines Etwas, was ohne Wirkung (non-B)<br />

nicht Ursache (B) genannt werden kann, erhält die transzendentale<br />

Zeitbedingung (hier nun schon als bloß logisch normierte Zeitordnung der<br />

Sukzessivität) nunmehr eine bestimmte Zeitrichtung, welche die Richtung<br />

der Zeitreihe erklärt: Das Zukünftige des Kausalität besitzenden Etwas wie<br />

das Vergangene des die Wirkung aufnehmenden Etwas tritt im


— 507 —<br />

Zugleichsein von Ursache und Wirkung in die Gegenwart ein; und zwar<br />

gleichgültig, ob daraufhin die Ursache ihre Kausalität ganz oder nur für<br />

das die Wirkung aufnehmende Objekt verliert, oder ob die Kausalität<br />

weiter zur Aufrechterhaltung der Wirkung benötigt wird. Damit wird dem<br />

linearen Charakter der transzendentalen Zeitbedingung eine Richtung<br />

gegeben. Entlang der Reihe von Ursache und Wirkung in der Reihe der<br />

Erscheinungen wird nicht nur notwendigerweise eine Orientierung der<br />

Zeit sondern auch eine Orientierung im Raum mit der Bewegung der<br />

Kausalität von einem Objekt zum anderen nach dem mechanischen<br />

Vorbild des Stoßes gegeben. Ob diese Zeitrichtung ein reversibles oder<br />

irreversibles Ergebnis besitzt, kann von da aus aber nicht ausgemacht<br />

werden. — Diese synthetisch-progressive Vorgangsweise vermag für sich<br />

allein erst analytisch-regressiv im Rückblick jeweils eine spezifizierbare<br />

Gewißheit in dieser Frageart nach der Notwendigkeit von<br />

Determinationen des Kontingenten zu gewinnen, da kategoriale<br />

Erkenntnisse transzendental nur die Bedingungen der Möglichkeit von<br />

konkreten empirischen Erkenntnissen sein können. Für prognostische<br />

Aussagen dieserart hat man sich an die empirischen Einzelwissenschaften<br />

zu wenden.<br />

§ 26 Die vollständige Bestimmung der Einheit der Apperzeption<br />

Kant will sich nun nicht »bei einer trockenen und langweiligen<br />

Zergliederung dessen, was zu transzendentalen Schematen reiner<br />

Verstandesbegriffe überhaupt erfordert wird«, aufhalten und beginnt<br />

lieber damit, diese »nach der Ordnung der Kategorien, und in<br />

Verknüpfung mit diesen, darzustellen.« 450 Dennoch sind einige Hinweise<br />

darauf, welche Stationen eine solche Zergliederung zu durchlaufen hätte,<br />

zu erwarten. Allein schon die Ankündigung, nunmehr die reinen<br />

Verstandesbegriffe »nach der Ordnung der Kategorien und in<br />

Verknüpfung mit diesen darzustellen« gibt Anlass, über den Ursprung der<br />

Selbstständigkeit der Kategorien gegenüber den reinen<br />

Verstandesbegriffen und so über die Darstellung des Verhältnisses von<br />

synthesis intellectualis und synthesis speciosa wie in § 24 gegeben (inwieweit<br />

die ganze Kategorie selbst nur als transzendentales Produkt der<br />

Einbildungskraft besteht) weiter nachzudenken. Wie aber ist die aus dem<br />

Gesamtzusammenhang anhand des Konzepts der Beharrlichkeit<br />

450 K.r.V., B 181/A 142


— 508 —<br />

erschlossene und anhand der Kausalität von Kant selbst demonstrierte<br />

Intellektualität des Schemas, das die empirische Apprehension mit der<br />

transzendentalen Apprehension der Apperzeption zu vermitteln in der<br />

Lage sein soll, mit der zentralen Darstellung im Schematismuskapitel, der<br />

reine Verstandesbegriff enthalte die formale und allgemeine Bedingung,<br />

oder gar mit der fraglichen Gegendarstellung seit § 24, die Kategorien<br />

seien überhaupt nur in einer aktuellen ursprünglich-synthetischen Einheit<br />

der Apperzeption vollständig zu denken möglich, zu vereinbaren?<br />

Kant beginnt die Darstellung der reinen Verstandesbegriffe »nach der<br />

Ordnung der Kategorien« mit folgendem Unterscheidungskriterium von<br />

konstitutiver und von dynamischer Kategorie: »Das reine Bild aller Größen<br />

(quantorum) vor dem äußeren Sinne, ist der Raum; aller Gegenstände der<br />

Sinne aber überhaupt, die Zeit«. 451 Der Begriff vom Gegenstand ist also<br />

nicht mehr ein Begriff aller aktuell möglichen Prädikate eines Dinges,<br />

sondern schon ein Begriff deren Schemas der Zusammensetzung in der<br />

Zeit. Nun habe ich weiter oben schon ausführlich behandelt, daß sowohl<br />

die Zeit als formale Anschauungsform wie als die Form des inneren Sinnes<br />

nach der Bestimmung der logischen Regel der Sukzessivität sich formal<br />

nicht mehr von der Sukzessivität der rein intellektuellen<br />

Verstandeshandlung unterscheiden läßt. So ist eben die reine<br />

Verstandeshandlung von der gleichen abstrakten Zeitform wie der innere<br />

Sinn; und Kant sagt auch hier ausdrücklich, daß das Bild »aller<br />

Gegenstände der Sinne aber überhaupt, die Zeit« — und nicht der Raum<br />

— sei. So bleibt die Beziehung der kontradiktorischen Prädikate, die in der<br />

Zeit verknüpft werden sollen, auch hier auf ein Ding in der<br />

modalkategorialen Bestimmung des »Veränderlichen« vorausgesetzt, 452<br />

auch wenn wegen der Verwendung des Ausdrucks »Bild« eine<br />

Verbindung der Zeit mit dem Raume schon undeutlich implizite<br />

vorauszusetzen ist.<br />

Nach der Erklärung der Zeit als Form der Apprehension der Erscheinung<br />

gibt Kant eine Darstellung aller anderen Kategorien. Anschließend werden<br />

die Kategorien hinsichtlich ihrer spezifischen Zeitregel interpretiert; hier<br />

nun deren Zusammenfassung: »Man sieht nun aus all diesem, daß das<br />

Schema einer jeden Kategorie, als das der Größe, die Erzeugung<br />

451 B 182/A 142<br />

452 Refl. 4041, hier im zweiten Abschnitt, I., 2.


— 509 —<br />

(Synthesis) der Zeit selbst, in der sukzessiven Apprehension eines<br />

Gegenstandes, das Schema der Qualität die Synthesis der Empfindung<br />

(Wahrnehmung) mit der Vorstellung der Zeit, oder die Erfüllung der Zeit,<br />

das der Relation das Verhältnis der Wahrnehmungen unter einander zu<br />

aller Zeit (d.i. nach einer Regel der Zeitbestimmung ), endlich das Schema der<br />

Modalität und ihrer Kategorie, die Zeit selbst, als das Correlatum der<br />

Bestimmung eines Gegenstandes, ob und wie er zur Zeit gehöre, enthalte<br />

und vorstellig mache.« 453<br />

Die »Regel der Zeitbestimmung« bestimmt die »Zeitordnung«: »Die<br />

Schemate sind daher nichts als Zeitbestimmungen a priori nach Regeln,<br />

und diese gehen nach der Ordnung der Kategorien, auf die Zeitreihe, den<br />

Zeitinhalt, die Zeitordnung, endlich den Zeitinbegriff in Ansehung aller<br />

möglichen Gegenstände.« 454 Daraus und aus der vorangehenden<br />

Darstellung aus dem Schematismuskapitel ist zu entnehmen, daß eben nur<br />

die dynamische Kategorie, die die Relation des Verhältnisses der<br />

Wahrnehmungen unter einander zu aller Zeit bestimmt, ein<br />

transzendentales Schema zu einer Regel unbedingt benötigt. Der darin sich<br />

zwischen den Kategorien kenntlich machende Unterschied erklärt sich nun<br />

damit, daß in den konstitutiven Kategorien die Zeit als reine<br />

Anschauungsform die Stelle der Erscheinungen bestimmt, in den<br />

dynamischen Kategorien aber die Erscheinungen ihre Zeitstelle in der<br />

konstituierten empirischen Anschauung bestimmen.<br />

Bemerkenswerterweise sagt die kategorial-dynamische Definition der<br />

Relation in der Apprehension als das »Verhältnis der Wahrnehmungen zu<br />

aller Zeit« das Gleiche aus wie die Definition der Modalkategorie der<br />

Notwendigkeit: »Das Schema der Notwendigkeit ist das Dasein eines<br />

Gegenstandes zu aller Zeit.« 455 Nun sollen die dem reinen Verstandesbegriff<br />

gehorchenden Relationen zwischen den Wahrnehmungen unter der<br />

modalen Bedingung der Notwendigkeit (zu aller Zeit) die kategoriale<br />

Regel der wirklichen Verbindung der Objekte der Erscheinungen im<br />

Dasein geben.<br />

453 K.r.V., B 184/A 145<br />

454 l.c.<br />

455 B 184/A 145 Das Schema der Wirklichkeit ist das Dasein in einer bestimmten Zeit,<br />

das Schema der Möglichkeit die Bestimmung der Vorstellung eines Dinges zu irgend<br />

einer Zeit. Daß die Möglichkeit hier eine Definition erhält, die eher zum zweiten<br />

empirischen Postulat als Teilargument gehört, bzw. das zweite empirische Postulat<br />

wie eine Zusammenziehung der hier gegebenen Definitionen der Möglichkeit und<br />

der Wirklichkeit gelesen werden kann, darauf sei hier nur hingewiesen.


— 510 —<br />

Die Kausalitätskategorie soll die Regel derjenigen Verbindungen in der<br />

Anschauung ausdrücken, die mit, nicht in der Anschauung gegeben<br />

wird. 456 Die Relationen der Erscheinungen werden dann nicht selbst die<br />

der reinen Anschauungsform sein, sondern denjenigen realen Vorgängen,<br />

die den Erscheinungen zugrundeliegen, gemäß den reinen<br />

Verstandesbegriffen entsprechen müssen; doch aber müssen sie zugleich<br />

den Regeln der reinen Anschauung entsprechen können, um deren<br />

Möglichkeiten einzuschränken. 457 Diese analoge »transzendentale«<br />

Relation ist insofern auch für die subjektive Deduktion notwendig, weil<br />

nach Kants Auffassung »die Einheit alles Mannigfaltigen der Anschauung<br />

in dem inneren Sinn« 458 zur »a priori notwendigen Einheit [...] alles<br />

Bewußtseins in einer ursprünglichen Apperzeption« 459 noch nicht zureicht.<br />

Dies wird einmal klar, besieht man sich die eben gegebenen Zitate im<br />

Zusammenhang: »Hieraus erhellet nun, daß der Schematismus des<br />

Verstandes durch die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft auf<br />

nichts anderes, als die Einheit alles Mannigfaltigen der Anschauung in<br />

dem inneren Sinne, und so indirekt auf die Einheit der Apperzeption, als<br />

Funktion, welche dem inneren Sinn (einer Rezeptivität) korrespondiert,<br />

hinauslaufe. Also sind die Schemate der reinen Verstandesbegriffe die<br />

wahren und einzigen Bedingungen, diesen eine Beziehung auf Objekte,<br />

mithin Bedeutung zu verschaffen, und die Kategorien sind daher am Ende<br />

von keinem anderen, als einem möglichen empirischen Gebrauche, indem<br />

sie bloß dazu dienen, durch Gründe einer a priori notwendigen Einheit<br />

(wegen der notwendigen Vereinigung alles Bewußtseins in einer<br />

ursprünglichen Apperzeption) Erscheinungen allgemeinen Regeln der<br />

Synthesis zu unterwerfen, und sie dadurch zur durchgängigen<br />

Verknüpfung in einer Erfahrung schicklich zu machen.« 460<br />

Die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft des Mannigfaltigen<br />

der Anschauung ist eben für die Synthesis im inneren Sinne notwendig,<br />

aber nur indirekt (also nur vermittels des inneren Sinnes) notwendig für<br />

die synthetische Einheit der Apperzeption selbst. Diese noch fehlende<br />

Bedingung scheint aber nur im ersten Schritt der Erörterung eine bloß rein<br />

intellektuelle Bedingung zu sein: Neben dieser intellektuellen Bedingung,<br />

456 Also im ersten Schritt Koordination, nicht auch Subordination (Phänomenologie).<br />

457 Kd.U, § 12, Der Zweck schränkt die Zweckmäßigkeit der Mathematik ein.<br />

458 K.r.V., B 184/A 146<br />

459 B 185/A 146<br />

460 l. c., Hervorhebung vom Autor


— 511 —<br />

die im reinen Verstandesbegriff noch im Rahmen des Schemas einer reinen<br />

wie auch empirischen Einbildungskraft, einem Konstruktionsbegriff<br />

vergleichbar, enthalten sein soll, gehört also die transzendentale Synthesis<br />

des je gegebenen Mannigfaltigen zur Bedingung, die Allgemeinheit der<br />

Regel zur durchgängigen Verknüpfung in einer »ganzen« Erfahrung<br />

garantieren zu können. Diese transzendentale Funktion der<br />

Einbildungskraft bezieht sich offenbar vorzüglich auf ein Schema der<br />

Vereinbarung selbst nicht transzendentaler Schematen.<br />

Wir befinden sich also vergleichsweise auf einen Stand der<br />

Selbstinterpretation Kantens wie im § 20 der transzendentalen Deduktion.<br />

Nun ist klar und deutlich geworden, daß Kant erst mit dem Schematismus<br />

des Verstandes, daß soll also heißen, erst mit der transzendentalen<br />

Funktion der Einbildungskraft, die ursprünglich nur als a priori<br />

notwendig gedachte Einheit der Apperzeption als aktuell und empirisch<br />

(eben als synthetisches Urteil a priori) erreicht betrachtet haben muß: erst<br />

dann kann von der durchgängigen Verknüpfung der Erscheinungen in<br />

unserem aktuellen Bewußtsein zugleich als Verknüpfung der<br />

Erscheinungen in der Erfahrung gesprochen werden. Doch wird im<br />

gegebenen Zitat von Kant die allgemeine Bedingung zur durchgängigen<br />

Verknüpfung in einer Erfahrung, die erst die Einheit der Apperzeption<br />

notwendig macht, abermals allein vom Schema der reinen<br />

Verstandesbegriffe verlangt. Die transzendentale Synthesis findet durch<br />

die Einbildungskraft statt und erzeugt die Einheit der Mannigfaltigkeit der<br />

Anschauung demnach nach der allgemeinen Bedingung im reinen<br />

Verstandesbegriff, wodurch die Anschauung in der Erfahrung erst die<br />

Möglichkeit einer objektiven Bedeutung erhält. Die allgemeine Bedingung<br />

des reinen Verstandesbegriffes ist aber nicht die allgemeine Regel der<br />

(transzendentalen) Zeitbedingung der Synthesis als Verknüpfung in der<br />

Anschauungsform selbst, die erst die notwendige Einheit der<br />

durchgängigen Verknüpfung in einer Erfahrung möglich macht, sondern<br />

ist die Zeitordnung im reinen Begriff a priori: 461 Deutlich ist es hier die<br />

Kategorie, die als Exponent des reinen Verstandesbegriffes, der das<br />

allgemeine Prinzip (hier die allgemeine Bedingung als das reine Schema<br />

461 Vgl. eben K.r.V., B 178 f./A 139 f.: Reine Begriffe a priori enthalten, außer der<br />

Funktion des Verstandes in der Kategorie, noch formale Bedingungen der<br />

Sinnlichkeit (namentlich des inneren Sinnes) a priori, welche die allgemeine<br />

Bedingung enthalten, unter der die Kategorie allein auf irgend einen Gegenstand<br />

angewandt werden kann.


— 512 —<br />

der Zeitordnung im reinen Verstandesbegriff) gegenüber der allgemeinen<br />

Bedingung (hier die allgemeine Regel der transzendentalen<br />

Zeitbedingung) enthält, und erst zusammen die durchgängige<br />

Verknüpfung in der Zeit ermöglicht. — Dieses »Zusammen« soll nun<br />

durch den transzendentalen Schematismus hergestellt werden und macht<br />

das synthetische Urteil a priori in den dynamischen Kategorien aus<br />

(Grundsätze der Analogien der Erfahrung).<br />

Der transzendentale Schematismus hätte demnach die Funktion zu<br />

erfüllen, den Exponenten (die transzendentale Zeitbedingung in Gestalt<br />

der logischen Regel des sukzessive Veränderlichen) des allgemeinen<br />

Prinzips (des reinen Verstandesbegriffes) in das entsprechende Verhältnis<br />

zur aptitudo der formalen Bedingung der Anschauungsform zu bringen.<br />

Dazu wäre aber zuerst unserer empirischen Organisation der Sinnlichkeit<br />

mit der formalen Bedingung zu identifizieren (aptitudo ). 462 Weder die<br />

analytisch im reinen Verstandesbegriff enthaltene Zeitordnung (die<br />

allgemeine Bedingung) noch die logische Regel des sukzessiv<br />

Veränderlichen (als formale Zeitbedingung im reinen Begriff a priori zu<br />

verstehen) konnte für sich als kategorial vollständige Zeitordnung<br />

verstanden werden. Wie meine Untersuchungen hier weiter oben und vor<br />

allem bereits im ersten Teil des zweiten Abschnitt gezeigt haben, reicht<br />

anscheinend die allgemeine Bedingung der formalen Bedingung als Regel<br />

der bloßen Anschauungsform zwar aus, um der Zeitreihe mit der<br />

Beharrlichkeit eine kategoriale Regel zu geben, 463 aber selbst die<br />

modallogische Bestimmung der Zeitreihenfolge zur Zeitordnung des<br />

sukzessiv Veränderlichen reicht für sich allein nicht aus, die<br />

Kausalitätskategorie befriedigend darzustellen oder in der damit<br />

vorausgesetzten Beziehung der Erscheinungen auf ein Ding (oder<br />

Gegenstand) schon selbst eine Deduktion des wirklichen Gegenstandes<br />

erblicken zu können: Demgemäß bleibt die Kategorie nur der Titel einer<br />

heterogenen Zeitordnung aus analytischer und transzendentaler<br />

Zeitbedingung. 464<br />

462 Solches legt die konsequente (und m. E. zu weit gehende) Behandlung der<br />

Sinnlichkeit als unsere (gattungsspezifisch menschliche) Anschauungsform bei K.<br />

Cramer nahe. Jedoch reicht zur Identifi-zierung die formale Anschauung aus.<br />

463 Vgl. auch die Darstellung in § 26. wo von Kant die Kategorie der Größe als Beweis<br />

der Kategorie der Beharrlichkeit angeführt wird (B 162).<br />

464 »Wir werden also durch diese Grundsätze die Erscheinungen nur nach einer<br />

Analogie, mit der logischen und allgemeinen Einheit der Begriffe,<br />

zusammenzusetzen berechtigt werden, und daher uns in dem Grundsatze selbst<br />

zwar der Kategorie bedienen, in der Ausführung aber (der Anwendung auf


— 513 —<br />

Die Unvollständigkeit der Kategorie auch nach dem vollständigen<br />

transzendentalen Beweis, der allein in der Zusammenfügung der<br />

Bedingungen des Vergleichs von Erscheinungsreihe und Vorstellungsreihe<br />

liegen kann, verlangt demnach von der Einbildungskraft einerseits den<br />

Fortgang zu metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft,<br />

andererseits über alle Anschauung hinaus intellektuell die Vorstellung von<br />

Totalität und deren Einschränkung zum Begriff von einem einzelnen<br />

Gegenstand über alle Erfahrung hinaus als Ideal der reinen Vernunft.<br />

Beides kann je für sich über die Auffassung hinausgehend, das<br />

transzendentale Schema sei selbst schon allein als das Produkt der<br />

transzendentalen Einbildungskraft zu verstehen, ebenfalls als Produkt<br />

einer Funktion der Einbildungskraft verstanden werden. — Die letztere<br />

Auffassung ist als Vorläufer der transzendentalen Funktion der synthesis<br />

intellectualis anzusehen, sodaß derart die Antinomie zwischen den beiden<br />

Fassungen der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption<br />

zwischen Verstand und Anschauung (§ 17 zwischen Text und Fußnoten)<br />

im rein spekulativ-theoretischen Untersuchungsgang fortgesetzt wird.<br />

Schließlich ist noch das praktische Moment der Handlung im<br />

Schematismus als eigene Perspektive der Untersuchung in Stellung zu<br />

halten, auch wenn diesbezüglich fraglich bleibt, inwiefern die<br />

transzendentale Funktion der Einbildungskraft in diesem Rahmen<br />

konstituierend werden könnte. — Das jeweilige letzte konkrete<br />

Wahrheitskriterium liegt eben nicht selbst in der Einbildungskraft, gleich<br />

in welcher Funktion diese vorstellig gemacht wird und ist auch nicht<br />

Angelegenheit der Erörterung der transzendentalen Bedingungen der<br />

Möglichkeit der Erfahrung im Sinne von Erfahrung machen und<br />

Erfahrung anstellen können.<br />

❆<br />

Die vorzüglich von englischer Seite der Kantinterpretation in Stellung<br />

gebrachte Vorstellung, das Erfahrungsganze sei allein Angelegenheit der<br />

Erscheinungen) das Schema derselben, als den Schlüssel ihres Gebrauchs, an dessen<br />

Stelle, oder jener vielmehr, als restringierende Bedingung, unter den Namen einer<br />

Formel des ersteren, zur Seite setzen.« (B 224/A 181) Der Gebrauch des Ausdruckes<br />

»Namen« kennzeichnet die Kategorie schon als bloßen Titel des Schemas des<br />

Verstandesbegriffes; das Schema heißt nunmehr »Formel«. Von hier aus erscheint<br />

der reine Verstandesbegriff als bloßer Begriff der logischen Funktion der reinen<br />

Verstandeshandlung ohne jede weitere Zeitbedingung und die Kategorie bereits<br />

immer bloß als Titel des Schemas, das nur mit der transzendentalen Zeitbedingung<br />

gegeben werden könnte.


— 514 —<br />

Intersubjektivität der Forschergemeinschaft (oder schlicht und einfach des<br />

auch von Kant häufig in Anspruch genommenen »common sense«) muß<br />

als kritische Erweiterung unbedingt willkommen sein; zumal es auch den<br />

ursprünglichen Intentionen Kants durchaus gut entspricht, die<br />

Erweiterung des Subjektes in Hinblick auf den Gattungsbegriff zu<br />

bedenken. 465 Allerdings ist die damit verbundene Beschränkung der<br />

Argumentation in deduktiver Absicht weder den methodischen Absichten<br />

Kants hinsichtlich des transzendentalen Beweises gemäß noch auch in<br />

sachlicher Hinsicht sinnvoll: Mit dem Hinweis, daß uns das mögliche<br />

Erfahrungsganze individuell doch kaum zugänglich sei, auf das<br />

Erfahrungsganze der Gattung zu hoffen, bleibt doch nur eine Verfehlung<br />

der eigentlichen Schwierigkeit, das mögliche Erfahrungsganze jenseits von<br />

bloßen Bestimmungen des Genus abstrakt zu umreißen. 466 — Und zwar in<br />

einem doppelten Sinne: Erstens erlaubt auch das Ausweichmanöver auf<br />

das Erfahrungsganze des Gattungswesens des Menschen keineswegs die<br />

Auflösung der Schwierigkeit, das Erfahrungsganze auch nur der<br />

Möglichkeit nach konkret zu bestimmen; man sieht sich auch dann sofort<br />

vor der nämlichen Schwierigkeit wie in der vom Subjektiven ausgehenden<br />

Deduktion der Kategorien. Zweitens aber ist diese Schwierigkeit nur<br />

transzendental aufzulösen und vermag auch nicht etwa auf der Ebene des<br />

Duisburger Nachlasses bewältigt zu werden, woher der Begriff einer<br />

Totalität des Erfahrungsganzen stammt, und eben die Totalität des<br />

Erfahrungsganzen erst aus der »Intellection« des transzendentalen<br />

465 Insbesondere Peter Frederic Strawson, The Bounds of Sense, London 1966; p. 122 f.;<br />

deutsch: Die Grenzen des Sinns, Königstein 1992, p. 102 f.. Das Argument beruht<br />

allerdings auf aus dem Zusammenhang gerissenen Aussagen Kants wie: A 110: Es<br />

gibt nur eine Erfahrung; verschiedene Erfahrungen sind nur Wahrnehmungen in<br />

einer allgemeinen Erfahrung. Damit ist zwar die Unterscheidung zwischen<br />

Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteil weiters problematisierbar wie schon<br />

traditionellerweise die Unterscheidung zwischen qualitativen und quantitativen<br />

Prädikate, was eben zur Problematisierung von Wahrnehmungsurteile führt, da<br />

diese zum Teil sehr wohl Komponenten der Erfahrung voraussetzen, wie hier zum<br />

Anlaß der Kritik genommen, aber, und das ist hier entscheident, weder daraus zu<br />

folgern ist, daß z. B. die Wahrnehmung, daß ein geworfener Stein eine<br />

Fensterscheibe zertrümmert, kein Erfahrungsurteil im Sinne generalisierbarer<br />

Aussagen beinhalten soll, noch daß Erfahrungsurteile keinerlei<br />

Wahrnehmungsurteile beinhalten, was aus der These Strawsons gefolgert werden<br />

müßte.<br />

466 Vgl. Peter Rohs, Wahrnehmungsurteile und Erfahrungsurteile, in: Kant in der<br />

Diskussion der Moderne, Hrsg. von Gerhard Schönrich und Yasushi Kato,<br />

Frankfurt/Main, 2 1997 (Suhrkamp, stw 1223), p. 166-189. So glaubt Rohs, daß die<br />

Unterscheidung in Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile wegen ihrer<br />

Doppeldeutigkeit immanent einerseits Kants transzendentalphilosophischen Ansatz<br />

und andererseits Strawsons sprachphilosophischen Ansatz zu vereinbaren erlaubt.


— 515 —<br />

Subjekts gewonnen wird. Das entscheidende Mißverständnis der<br />

Auffassung, insbesondere die dynamischen Kategorien seien allein<br />

Angelegenheit der intersubjektiven Erfahrungsgemeinschaft, hängt von<br />

der Interpretation des »Möglichen« in der Formulierung des »möglichen<br />

Erfahrungsganzen« ab. — Ist es das Meiste, was ich über ein System der<br />

Erfahrung sagen will, dann hat diese englische Tradition seit Strawson<br />

insofern mit einem zweifellos recht: ein solches System ist nicht<br />

äquipollent mit der geforderten Einheit des Selbstbewußtseins. Ist es aber<br />

das Mindeste, was ich über ein System der Erfahrung sagen will, so ist es<br />

gerade so viel wie die Bedingung zur Einheit eines aktuell möglichen<br />

Selbstbewußtseins überhaupt. Soll das Erfahrungsganze nicht zur<br />

Mystifikation werden, die im anonymen Gattungswesen passiert, sondern<br />

Angelegenheit individuellen Urteilens bleiben, so ist unabhängig von der<br />

von Kant beabsichtigten Bedeutungen des Erfahrungsganzen im<br />

Duisburger Nachlaß immer eine Interpretation desselben zu finden,<br />

welche in der Tat eine Fassung der Einheit des Selbstbewußtseins (der<br />

transzendentalen Apperzeption) ausmacht, ansonsten das kollektive<br />

Gattungswesen urteilt, ohne das je ein konkretes Individuum über<br />

Erfahrung zu urteilen imstande sein müßte. — Daß diese Schwierigkeit<br />

überhaupt zu einer solchen werden konnte liegt nun im Mißverständnis<br />

des Unterschiedes zwischen konkretisierbarer Erkenntnis als solcher und<br />

der Bedingung zur Möglichkeit derselben: So wie in Nachfolge der<br />

Argumentation Strawsons gedacht wird, wird das mögliche<br />

Erfahrungsganze als System eines einzelwissenschaftlichen<br />

Aussagesystems verstanden. Genau das aber ist nicht die Bedeutung des<br />

Ausdrucks »mögliches Erfahrungsganzes« in transzendentalanalytischer<br />

Hinsicht: Vielmehr ist hier die Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung<br />

überhaupt der Untersuchungsgegenstand; und diese transzendentale<br />

Bedingung der Möglichkeit überhaupt ist nur subjektiv und individuell zu<br />

denken möglich.<br />

Zwar ist richtig, daß viele entscheidende Entdeckungen oder Erfindungen<br />

zu ihrer Zeit durchwegs nicht allgemein in ihrer Tragweite erkannt<br />

worden sind sodaß insofern auch von dieser historisch-soziologischen<br />

Seite mit Recht behauptet werden konnte, daß der individuelle<br />

Erfahrungsbereich auch durchschnittlich (kollektiv) nicht zureicht, um den<br />

Bereich der möglichen Erfahrung des Gattungswesens nur einigermaßen<br />

konkret einzuschätzen, doch wenden sich solche soziologisch-historischen<br />

Beipiele letztlich gerade gegen jene Auffassung, die in der Perspektive der


— 516 —<br />

Argumente Strawsons steht, insofern solche Entdeckungen doch immer<br />

von Individuuen gemacht worden sind. Selbst der daraufhin noch<br />

mögliche Einwand, daß die Entdecker bzw. Erfinder selbst über die<br />

wissenschaftliche und gesellschaftliche Tragweite ihrer Leistung nicht<br />

durchwegs Bescheid gewußt haben müssen, ändert nichts an der Tatsache,<br />

daß Entdeckungen und Erfindungen immer individuell gemacht werden.<br />

Auch wenn solche Leistungen im »teamwork« zustande gekommen sind,<br />

so bleiben doch die Einzelleistungen wie die Erkenntnis ihrer<br />

Zusammensetzbarkeit jeweils Leistungen von Individuen. Schließlich und<br />

endlich macht jedes Individuum Erfahrungen; und die transzendentale<br />

Deduktion hat zu allererst die Aufgabe zu zeigen, wie aus Erfahrung<br />

Erkenntnis wird, und nicht, wie daraus die mögliche Totalität<br />

systematischer Erkenntnis wird, die man auch soziologisch zu einem<br />

System wissenschaftlicher Erkenntnis zusammenfassen kann, das freilich<br />

den Umfang der Kenntnisse eine Individuums durchwegs übersteigen<br />

wird. Der Vorwurf von dieser Seite krankt also schon daran, daß das<br />

Erfahrungsganze als zu erwägender Gegenstand des<br />

Verstandesgebrauches zu unterscheiden ist von der systematischen<br />

Zusammenfassung der daraus entspringenen Erkenntnissen, die erst nach<br />

Vernunftideen geschehen kann: »Der Verstand mag ein Vermögen der<br />

Einheit der Erscheinungen vermittelst der Regeln sein, so ist die Vernunft<br />

das Vermögen der Einheit der Verstandesregeln unter Prinzipien. Sie geht<br />

also niemals zunächst auf Erfahrung, oder auf irgend einen Gegenstand,<br />

sondern auf den Verstand, um den mannigfaltigen Erkenntnissen<br />

desselben Einheit a priori durch Begriffe zu geben, welche Vernunfteinheit<br />

heißen mag, und von ganz anderer Art ist, als sie von dem Verstande<br />

geleistet werden kann.« 467<br />

Aber auch das Streben nach Vernunfteinheit muß schon im Individuellen<br />

fundiert sein, und kann nicht einfach durch die Perspektive der<br />

gesellschaftlichen Reproduktion und Produktion substituiert werden: Daß<br />

die Analyse der historischen Bedingungen unserer Vernunft von Kant<br />

nicht gebührend gewürdigt wird, will ich gerne zugeben, aber nicht, daß<br />

das transzendentale Subjekt durch einen Begriff des Gattungswesens, das<br />

bei Strawson wiederum erst empirisch-phänomenologisch zu<br />

charakterisieren ist, umstandslos ersetzt werden kann. Eine solche<br />

Operation der Ersetzung wäre nur dann möglich, wenn die<br />

467 K.r.V., B 359/A 302


— 517 —<br />

Gattungsbestimmung des Menschen nicht die eines animale rationabile,<br />

sondern gleich die eines animale rationale sein könnte. Gerade diese<br />

Möglichkeit hat Kant aber nachhaltig bis zuletzt ausgeschlossen.<br />

§ 27 Zum rein logischen Inhalt der Zeitbedingungen und der Kategorien<br />

a) Die Dialektik der »reinen« Kategorie ohne jede Zeitbedingung<br />

Es bleibt nunmehr übrig, diese Darstellung von der Stellung der<br />

analytischen und der transzendentalen Zeitbedingung zum reinen<br />

Verstandesbegriff mit der Analyse des Begriffs vom einzelnen Gegenstand<br />

(Ideal der reinen Vernunft) und des Begriffs vom Objekt (qualitative<br />

Verwendung der Kategorie der Größe) ins Verhältnis zu setzen. Es ist<br />

schon früher aufgefallen, daß die kritische Betrachtung des § 12, was nun,<br />

außer der Titel aller wahren Merkmale mit rückführbaren wahren Folgen<br />

zu sein, das eigentliche Merkmal des Begriffs vom Objekt sein soll, eine<br />

Fragestellung in der Tradition des die ganze Vorstellung eines Objektes<br />

repräsentierenden Teilbegriffes ist. Die Exposition der Einheit des Begriffes<br />

vom Objekt in § 12 ist hingegen als qualitative Einheit von Merkmalen in<br />

der Tradition des conceptus singularis zu sehen. Ähnliches gilt auch für<br />

die wesenslogische Interpretation des Ideals der reinen Vernunft<br />

(Allgemeinheit) gegenüber dem durchbestimmten Ding (Allheit). — In der<br />

Gegenüberstellung der verschiedenen Untersuchungsabschnitte ist weiters<br />

aufgefallen, daß die starke Interpretation des § 12 hinsichtlich eines<br />

Merkmales des Begriffs vom Objekt selbst, das er gegenüber der Menge<br />

seiner wahren Merkmale noch besitzen sollte, ohne selbst nochmals<br />

Prädikat sein zu können (die Negation des Prinzips des Enthaltenseins),<br />

völlig mit der Definition der reinen Kategorie der Substanz am Ende des<br />

Schematismuskapitel übereinstimmt. Mit dieser Rückführung auf die<br />

Negation des Prinzips des Enthaltenseins wird kein Kriterium für einen<br />

Teilbegriff, der das ganze Objekt zu repräsentieren hat, gefunden.<br />

Der Begriff vom einzelnen Gegenstand in seinen als bekannt<br />

vorausgesetzten Beziehungen zur quantitativen Kategorie im qualitativen<br />

Gebrauch erscheint hingegen vielleicht als Konkurrent der bisherigen<br />

grammatikalischen Definition des logischen Inhalts der reinen Kategorie,<br />

zumal die Kriterien der Durchbestimmung der Idee zum Begriff<br />

wesenslogisch näher darstellbar sind. Der Begriff vom einzelnen<br />

Gegenstand wird im Ideal der reinen Vernunft als nach der Kategorie der


— 518 —<br />

Allheit und der logischen Funktion der Allgemeinheit durchgängig<br />

bestimmt vorgestellt (kategoriales und logisches Quantum). Eben diese<br />

Synthesis in subjektiver und in objektiver Deduktionsrichtung vorzustellen<br />

bleibt im Ideal der reinen Vernunft nur ein von der bloßen Idee<br />

durchgängig bestimmter Begriff — und ist als solcher kein Verstandessondern<br />

ein Vernunftbegriff. Den Begriff vom einzelnen Gegenstand in<br />

Konkurrenz zur Definition der grammatikalisch bestimmten reinen<br />

Kategorie zu setzen, macht so systematisch wenig Sinn, weil sie einander<br />

ausschließende, demnach entgegengesetzte Kriterien besitzen: Die<br />

grammatikalische Definition der reinen Kategorie schließt das Prinzip des<br />

Enthaltenseins selbst aus, indem verlangt wird, daß der Begriff vom Objekt<br />

kein Merkmal enthält, welches weiters prädiziert werden kann, während<br />

im Ideal der reinen Vernunft alle nicht-wesentlichen Prädikate<br />

(extraessentiale Attribute) ausgeschlossen werden, weil keine Prädikate<br />

zugelassen werden, welche aus anderen Prädikaten abgleitet worden sind.<br />

Der Begriff von einem einzelnen Gegenstand ist demnach weder mit dem<br />

Begriff vom Objekt gemäß § 12 (transzendentales Ideal als qualitativ<br />

gebrauchte Kategorie des Quantums) noch mit der reinen Kategorie der<br />

Substanz als grammatikalische Bestimmung derselben in<br />

Übereinstimmung zu bringen.<br />

Es zeigt sich, daß der reine Verstandesbegriff in der ganzen Untersuchung<br />

(transzendentale Deduktion, Oberste Grundsätze, Schematismuskapitel,<br />

synthetische Grundsätze) immer schon als reiner Verstandesbegriff der<br />

oder in der Kategorie zu verstehen ist: Im Vernunftbegriff ist im präzisen<br />

Sinn von einem transzendentalen Begriff der Erfahrung eines Subjekts zu<br />

reden aber gar nicht möglich, da die logische Regel des sukzessiv<br />

Veränderlichen (die Verknüpfung entgegengesetzter Prädikate als<br />

Verstandesbestimmung) auf das Ding der Allheit angewendet unter der<br />

einfachen linearen Zeitreihe ohne dem reinen Verstandesbegriffes von<br />

Ursache und Wirkung nicht zur einer eindeutig gerichteten Zeitrichtung,<br />

sondern nur zu einer Oszillation entgegengesetzter Prädikate der<br />

notwendigen Qualitäten eines Dinges führen würde. Und zwar deshalb,<br />

da erstens das erste logische Prinzip der durchgängigen Bestimmung eines<br />

Dinges von den notwendig möglichen Prädikaten eines Dinges verlangt,<br />

Qualitäten des Dinges zu bezeichen, die von entgegengesetzen Prädikaten<br />

ausgedrückt werden und zweitens die logische Definition der<br />

Sukzessivität selbst nicht die Kausalität ausdrückt, sondern nur die<br />

»formale« Bedingung der Formulierung des Kausalitätsprinzipes ist. Die


— 519 —<br />

grammatikalische Substanz jedoch ist die prädikatslogische Voraussetzung<br />

der aussagenlogischen Definition der Sukzessivität, sofern diese die<br />

Beziehung der Prädikate auf ein Ding voraussetzt; letztere ist aber selbst<br />

nicht die Definition der Inhärenz oder der Kausalität.<br />

Der Begriff vom einzelnen Gegenstand nun hat keinerlei Verbindung zu<br />

einer Zeitordnung, die mit den formalen Anschauungsbedingungen<br />

übereinstimmt, da unter einer Zeitordnung stehend Inhalte begrifflich<br />

immer analytisch (regressiv) oder synthetisch (progressiv) darstellbar sein<br />

müssen und so bereits eine Zeitrichtung jeweils auszeichnen, was, wie<br />

gezeigt, weder der Begriff vom einzelnen Gegenstand noch die<br />

Bedingungen der rein formalen Anschauung des aktuell Gegenwärtigen<br />

jeweils für sich zu leisten vermag. So ist der Begriff vom einzelnen<br />

Gegenstand womöglich in qualitativer Hinsicht zur Sinnlichkeit und<br />

gegenüber der transzendentalen Zeitbedingung in der Kategorie des<br />

reinen Verstandesbegriffes gar nicht in Beziehung zu setzen — und zwar<br />

auch nicht mittels der Depotenzierung in § 12 zur Hypothese anhand des<br />

Kriteriums der Rückführbarkeit. Hingegen ist die Regel des Beharrlichen<br />

in der Erscheinung selbst keine logische Regel, erlaubt aber die<br />

grammatikalische Definition der Substanz, die Regel der Apprehension,<br />

und die metaphysische Definition mittels Repulsion wie anhand der<br />

Beweglichkeit der Materie, was doch das allgemeinste Wesensmerkmal<br />

eines einzelnen Gegenstandes als physisches Objekt der sinnlichen<br />

Erfahrung ausdrückt, analogisch in einem Begriff äquivok zusammen zu<br />

denken. Damit ist zwar auch implizite die Erfahrungsbedingung<br />

(Beharrlichkeit als Regel der Apprehension) gegeben worden, aber doch<br />

nur für jeden beliebigen Gegenstand als Objekt der Erfahrung, was allein<br />

nicht zureicht, um einen einzelnen Gegenstand im wesenslogischen Sinne<br />

eines bestimmten spezifischen Gegenstandes in der Erfahrung zu<br />

bestimmen. 468<br />

Das Veränderliche besitzt wiederum in der modalen Kategorie eine<br />

logische Definition des Wechsels: die Verknüpfung entgegengesetzter<br />

Prädikate eines Dinges in der Zeit. Diese Argumentation erweist sich<br />

hinsichtlich der Verwendung als logische Bestimmung der<br />

transzendentalen Zeitbedingung gegenüber der Wesenslogik im Begriff<br />

468 Vgl. hiezu Ernst Tugendhat, Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische<br />

Darstellung, Frankfurt a.M., 1976, Suhrkamp stw 45, insbesondere die 23. und 24.<br />

Vorlesung


— 520 —<br />

vom einzelnen Gegenstand (als das Ideal der reinen Vernunft) für die<br />

Frage nach der Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung also als die<br />

geeignetere. — Allerdings ist hier zu berücksichtigen, daß Kants<br />

modallogische Definition der Sukzessivität zwischen Zufall und zeitlicher<br />

Abfolge ungenügend bleibt. Wie schon schließlich auch von Kant deutlich<br />

genug gemacht, ist nicht der logische Widerspruch zwischen nicht<br />

zugleich möglichen Bestimmungen einer Washeit die Bedingung für die<br />

zeitliche Abfolge, die womöglich kausal interpretiert werden kann,<br />

sondern vielmehr liegt der Sachverhalt genau umgekehrt: Die kausale<br />

Determination ist die Voraussetzung des real möglichen Zufalls, indem<br />

nur dasjenige als realmöglich zufällig bestimmt werden kann, dessen<br />

Änderung nichts an der bereits als kausal determiniert betrachteten<br />

Abfolge zu ändern vermag. Insofern scheint die klassische modallogische<br />

Definition der Sukzessivität bei Kant nicht zur formalen Bedingung der<br />

Kausalität geeignet zu sein, da es sich bei dieser vorkritischen Fassung um<br />

einen klassischen Fall des Zirkelschlusses handelt, solange die Frage nach<br />

der Determination eines Geschehens mit der Frage nach dem Prinzip der<br />

Kausalität vermengt wird. Allerdings wurde dem von mir schon immer<br />

Rechnung getragen, indem mit Konrad Cramer diese Argumentationsfigur<br />

auf die Performation des Prädikatisierens zurückgeführt worden ist. 469 Das<br />

bedeutet jedoch, daß es sich eigentlich nicht um eine modallogische<br />

Definition im engeren ontologischen Sinne handelt. — Um so eher hat zu<br />

gelten: Alle Gründe sprechen gegen den Begriff vom einzelnen<br />

Gegenstand als Kanditat, den logischen Inhalt der reinen Kategorie<br />

auszumachen. Vielmehr ist der Begriff von einem einzelnen Gegenstand<br />

eben die unabweisliche Vernunftdialektik der reinen (grammatikalischen)<br />

Substanzkategorie; dessen Kriterien sind als allgemeinste heuristische<br />

Prinzipien im Sinne des problematischen Idealismus zu verstehen, welcher<br />

synthetisch-metaphysisch von der Existenz eines geistigen Wesens und<br />

nicht von der (selbst subjektiven) Realität des Erfahrungsganzen ausgeht.<br />

b) Der rein logische Inhalt der Zeitbedingung und der Kategorie<br />

Die Kategorie des Beharrlichen als Inhärenz ist ursprünglich gegenüber<br />

der Kategorie der Kausalität wegen der Verschiedenheit der Definition der<br />

transzendentalen Zeitbedingung modalkategorial unterbestimmt — die<br />

469 Es können »beliebige Unterschiede von Zuständen eines und desselben Dinges zu<br />

verschiedenen Zeiten in der Form der kontradiktorischen Entgegensetzung von<br />

Prädikaten dargestellt werden«. (CRAMER 1985, p. 173). Hier zweiter Abschnitt, 3.


— 521 —<br />

Zeitbedingung der Beharrlichkeit beruht als kategoriale auf Regeln,<br />

welcher allein die Zeitreihe der wechselnden Erscheinungen in der<br />

Apprehension vorausgesetzt sind. Diese aber hat Kant allein der Kategorie<br />

der Quantität zugeordnet. Die analytische Beziehung von »Beharrlichkeit«<br />

und «Veränderlichkeit« wäre demnach der logische Inhalt des reinen<br />

Verstandesbegriffes, und die Kategorie der Titel der Regel der<br />

Beharrlichkeit in der Apprehension der Erscheinungen; die<br />

transzendentale Zeitbedingung aber die bloße Zeitreihe der Kategorie der<br />

Größe. Die reine Kategorie der Substanz ohne jede Zeitbedingung ist dann<br />

die grammatikalisch mögliche Bestimmung des Satzgegenstandes als<br />

Satzsubjekt in einem Satz, in welchem der Satzgegenstand nunmehr im<br />

Grenzfall einfach prädikatisierender Sätze als der selbst inhaltslose Begriff<br />

vom Objekt von der Stelle des prädikatisierten Satzsubjektes ausgedrückt<br />

wird. Die Vorstellung der Inhärenz wird also entweder erst in den<br />

M. A. d. N. eine dynamische Erklärung finden können oder muß<br />

sprachanalytisch vom syntaktischen Kriterium eines einfachen S – P -<br />

Urteiles ersetzt werden. Dergleichen Vorstellungen von Akzidenz und<br />

Subsistenz können auch auf die mit Heidegger sogennannten<br />

daseinsanalytischen Aspekte der metaphysischen Abschnitte der<br />

Substanzkategorie zurückgeführt werden und gehört demnach im keinen<br />

der genannten Vorstellungsweisen zum Argumentationsbereich des<br />

synthetischen Grundsatzes einer »dynamischen Kategorie« in<br />

transzendentalanalytisch objektiver Intentionsrichtung. Diese<br />

Umständlichkeit der Ausdrucksweise verdankt sich der Eigentümlichkeit,<br />

daß sowohl Urteile in theoretischer Absicht wie Urteile in moralischer<br />

Absicht Erkenntnisurteile sind, wovon ästhetische Urteile als<br />

konstituierende Akte des Vorziehens oder Verwerfens vor jedem logischen<br />

Vergleich gleichermaßen zu unterscheiden sind. — Die reine Kategorie der<br />

Substanz aber hat an Stelle von Wesensbegriffen oder Teilbegriffen, welche<br />

die ganze Vorstellung eines bestimmten Objekts auszudrücken vermögend<br />

sein sollen, diese grammatikalische Position des singulären Objektbegriffes<br />

ohne jedes weitere mögliche Prädikat zum rein logischen Inhalt.<br />

Die modalkategoriale Bestimmung des »Veränderlichen« bestimmt<br />

hingegen die Zeitreihe zumindest in einer Hinsicht logisch: ob die<br />

Verknüpfung kontradiktorisch entgegengesetzter Prädikate eines Dinges<br />

schon die kategoriale Zeitordnung der Kausalität zu bestimmen vermag,<br />

ist zwar offensichtlich zu bezweifeln, jedenfalls bestimmt die logische<br />

Regel der Sukzessivität der Performation des prädikativen Aussagens das


— 522 —<br />

Veränderliche als von der transzendentalen Ästhetik vorausgesetzten<br />

Zeitreihe des Nacheinanderseins in Übereinstimmung sowohl mit dem<br />

bloßen Wechsel von (objektiven) Erscheinungen wie auch mit dem<br />

Wechsel von (subjektiven) Vorstellungen. — Hiebei behält für diesen<br />

Moment der Betrachtung das vermeintlich Objektive der Reihe der<br />

Erscheinungen noch das objektiv Subjektive der Perspektive der<br />

gegebenen Stellung des Subjekts gegenüber den Objekten der Erscheinung.<br />

— Nicht aber enthält die transzendentale Zeitbedingung der Kategorie mit<br />

der logischen Definition der Sukzessivität selbst den analytischen<br />

Gegensatz von »Ursache« und »Wirkung«: 470 Sofern dieser analytische<br />

Gegensatz bloßer Begriffe zwar eine analytische Zeitordnung enthält, aber<br />

daraus der gegebenen (insofern transzendentalen zu nennenden)<br />

Zeitreihenfolge des bloßen Wechsels sowohl ohne der logischen Definition<br />

der transzendentalen Zeitbedingung noch mit derselben nicht<br />

notwendigerweise die Richtung vorzuschreiben imstand ist, ist dieser<br />

analytische Gegensatz zu Recht als nichts anderes als der logische Inhalt<br />

des reinen Verstandesbegriffes anzusehen — Die reine Kategorie nach der<br />

letztlich jeweils geltenden Definition der Reinheit verbietet hingegen gleich<br />

jede Zeitbedingung (sei es nun analytisch oder transzendental):<br />

grammatikalisch als nicht weiter zu prädikatisierender Begriff in der<br />

reinen Substanzkategorie; ontologisch als Kompossibilität,woraus die<br />

vorkritische modallogische Definition des Zugleichseins entstammt, in der<br />

reinen Kausalitätskategorie. Neben den metaphysischen Anfangsgründen<br />

der Ursache als dynamische Kraft der Materie zur Raumerfüllung und den<br />

Impuls als mechanische Energieeinheit, der dem bewegten Körper als<br />

eigentlicher allgemeiner Begriff des Erfahrungsgegenstandes erst instand<br />

setzt, diesen mechanisch mit Kausalität begabt zu denken (im<br />

synthetischen Grundsatz der ersten Kritik zur Demonstration angeführt),<br />

hat die reine Kategorie der Kausalität die Definition des Daseins als<br />

Kompossibilitätsprinzip (die Vielheit im Dasein) zum Inhalt. Diese<br />

Einschränkung der Totalität auf eine mögliche Welt führt zu einem<br />

eindeutig metaphysischen Inhalt und ist unabhängig von einer konkreten<br />

Erfahrung in einem Grundurteil, worin die metaphysischen<br />

Anfangsgründe ihre systematische Stellung ohne transzendentale<br />

Deduktion erweisen müssen. Der reine metaphysische Inhalt der<br />

Kompossibilität (der also ebenfalls kein metaphyischer Anfangsgrund im<br />

obgenannten naturwissenschaftlichen Sinn der M.A.d.N. sein kann) ist der<br />

470 Vgl. den zweiten Abschnitt, I., 2 und 3.


— 523 —<br />

nicht-rein logische Inhalt der reinen Kategorie der Kausalität, da die<br />

Kompossibilität oder Kompatibilität etwas mehr voraussetzt als nur<br />

logische Widerspruchsfreiheit. Insofern besitzt die reine Kategorie der<br />

Kausalität auch keine reine Vernunftdialektik, die zu einer heuristischen<br />

Methode führen könnte wie der Begriff vom einzelnen Gegenstand, weil<br />

sie bereits die abermalige Übersteigerung des ersten Kriteriums eines<br />

wesensnotwendigen Prädikats darstellt: nämlich selbst erstes synthetisches<br />

Prädikat a priori gegenüber der bloß anschaulichen und phoronomischen<br />

Ausgedehntheit der res extensa zu sein.<br />

c) Die Grundoperationen zur logischen Bestimmung der<br />

transzendentalen Zeitbedingung: Verknüpfen und Ersetzen<br />

Die allgemeine Regel der formalen Bedingung der dynamischen Kategorie<br />

(also die logische Definition der transzendentalen Zeitbedingung) muß<br />

nach dem Gang meiner Untersuchungen entlang der Formulierungen<br />

Kants im Schematismuskapitel die Grundlage der logischen Operation des<br />

»Verknüpfens« 471 aus dem modalkategorialen Argument sein: 472 Die<br />

Kategorie enthält zuerst als formale, weil logisch definierte Bedingung die<br />

transzendentale Zeitbedingung (hier also schon als eine erste — kategorial<br />

unvollständige — Zeitordnung gegenüber der Zeitreihe) und unabhängig<br />

davon die analytische Zeitbedingung des reinen Verstandesbegriffes<br />

gemäß des impliziten Zeitverhältnisses von Ursache und Wirkung. Die<br />

logische Bestimmung der Verknüpfung in der modalen Kategorie ist<br />

unzweifelhaft trotz der erfolgten Rückführung auf die Performation im<br />

kontinuierlichen Prädikatisieren nur eine Teildefinition der<br />

transzendentalen Zeitordnung, die aber offensichtlich allein zureicht, die<br />

Kategorie der Kausalität auf Sinnlichkeit und Erfahrung anzuwenden,<br />

während metaphysisch noch der mit der modallogischen Definition<br />

vorauszusetzende Bezug von Vorstellungen bzw. Prädikate auf ein Ding<br />

zu problematisieren war. — Nun ist es naheliegend, im Gegenzug nach der<br />

Beziehung der Operation des »Ersetzens« zur transzendentalen<br />

Zeitbedingung der Substanzkategorie zu fragen, um eventuell der<br />

471 Refl. 4041: »Zufällig ist, dessen Gegenteil an seiner Stelle möglich ist. Veränderlich:<br />

das in Verknüpfung mit seinem Gegenteil möglich ist. Bei aller Veränderung sind: 1.<br />

oppositae determinationes, quatenus eidem competunt. 2. sucessio earundem. Die<br />

Möglichkeit der Mutation ist nicht aus der bloßen Contingenz zu erkennen. Denn<br />

weil es möglich ist, daß anstatt eines Prädikats ein anderes sei, so ist daraus noch<br />

nicht zu erkennen, daß das Subjekt die opposita nach einander habe.«<br />

472 Zuvor schon im zweiten Abschnitt, I., 2 auch für das Konzept der Kausalität als<br />

logisches Gesetz der Verknüpfung in der Zeit. ausführlich dargestellt.


— 524 —<br />

Zeitreihe des bloßen Wechsels (die transzendentale Zeitbedingung der<br />

Substanzkategorie) eine eigene Quelle ihrer Logizität geben zu können.<br />

Aus Gründen der Vollständigkeit der Untersuchung soll dieser<br />

Denkmöglichkeit weiter nachgegangen werden.<br />

I.<br />

Die Stellenordnung der zugleichseienden Teile sind zuvor von Leibniz mit<br />

der Stellung der Monade zum Ganzen 473 verbunden worden. Leibniz<br />

beschreibt diese Stellenordnung auch damit, daß kein Element das andere<br />

ersetzen kann, weil die Stelle in der Ordnung sowohl im Raum wie in der<br />

Zeit seinem individuellen Wesenszustand entspreche. Kant distanziert sich<br />

von der wesenslogischen Identifikation der Stellenordnung der<br />

Gegenstände im Raum mit dem Argument, daß jeder Gegenstand jeweils<br />

für sich erst eine Orientierung im Raume mit sich bringt, stellt aber in der<br />

Kategorie des Commerciums eben eine solche Stellenordnung mit Hilfe<br />

der Wechselwirkung der Zustände der Gegenstände mittelbar wieder her.<br />

Doch behält Kant hier unabhängig von der dynamischen Interpretation der<br />

eingeschränkten Totalität als Horizont der Wechselwirkung aber von<br />

vornherein eine unmittelbare Beziehung zwischen der Gestalt der<br />

Gegenstände und deren ursprüngliche Orientierung im Raum bei.<br />

Die Bestimmung der Kategorie der Substanz beginnt in der K. r. V. nun<br />

nicht mit der Setzung eines metaphysischen Ursprungs, sondern mit dem<br />

Nachweis der Beharrlichkeit in den Erscheinungen anhand der<br />

transzendentalen Zeitbedingung des reinen Verstandesbegriffes aufgrund<br />

der Regel der Gleichgültigkeit der Reihenfolge der Apprehension der<br />

Erscheinungen — und das geschieht allein unter der Voraussetzung des<br />

bloßen Wechsels der Erscheinungen in der Zeitreihe. Daß hier die<br />

Zeitbedingung der Kategorie der Substanz schon nach der Zeitreihe und<br />

nicht erst nach der Zeitordnung gebildet werden kann, legt übrigens, wie<br />

schon angemerkt, auch die Darstellung der Substanzkategorie in § 26 der<br />

Deduktion nahe, welche auf der Kategorie der Größe aufruht. Allerdings<br />

darf angenommen werden, daß die einfache Unterscheidung in eine<br />

bestimmte und in eine unbestimmte Ordnung in den Apprehensionen als<br />

Interpretamente von Bewegung bzw. Ruhe, die Kant im synthetischen<br />

473 Karl Vogel, Kant und die Paradoxien der Vielheit, Meisenheim/Glan 1975, p. 171 f..<br />

Vgl. auch Friedrich Kaulbach, Die Metaphysik des Raumes bei Leibniz und Kant,<br />

Köln 1960, p. 85.


— 525 —<br />

Grundsatz getroffen hat, 474 ausgebaut werden kann: Die Elemente der<br />

Wahrnehmung eines Hauses mögen zwar in beliebiger Reihenfolge<br />

apprehendiert werden, müssen aber auch zueinander eine Stellenordnung<br />

einhalten. 475 Eine solche Überlegung ist aber unabhängig von der<br />

Unterscheidung in bestimmter und unbestimmter Zeitreihe der<br />

Apprehensionen zu behalten, und wird von Kant zum Teil als<br />

synthesis speciosa in der empirischen Funktion der Einbildungskraft, zum<br />

Teil als geometrische Konstruktion der reinen Einbildungskraft in reiner<br />

Anschauung behandelt, und hat sich auf objektiv gültige Verhältnisse in<br />

der empirisch-sinnlichen Anschauung überhaupt als Teil der Erfahrung zu<br />

beziehen und nicht auf das Problem der Logizität der Anschauungsform<br />

überhaupt. — Die phoronomische Auffassung der Substanz kann in ihrem<br />

Zusammenhang die logische Operation des »Ersetzen« nicht diskutieren,<br />

da von der ausgedehnten Materie selbst abstrahiert wird, die Phoronomie<br />

vermag aber die Stellenordnung ihrer Elemente und Objekte alternativ zu<br />

diskutieren. Allerdings stehen die strukturellen Möglichkeiten der<br />

Phoronomie selbst zueinander nicht durchwegs in einem logischen<br />

Gegensatz. In den M.A.d.N. erreicht Kant vermutlich erst in der<br />

Phänomenologie den Überblick über die komplementäre Ersetzbarkeit<br />

erfüllter und dynamischer Raumbegriffe im disjunktiven Urteil. 476<br />

Geht man von der Auffassung der vorkritischen modallogischen<br />

Überlegungen aus, soll das »Ersetzen« mit dem Gegenteil bei Zufälligem<br />

immer möglich sein; in der fraglichen Erweiterung der Regel der<br />

Beharrlichkeit in den Apprehensionen zu einer Stellenordnung der<br />

Elemente der Wahrnehmungen eines Hauses mag nun jedes Element für<br />

sich zufällig sein, für diese Apprehension des gegebenen Haus aber sind<br />

die Relationen der Elemente im Raum zueinander nicht beliebig<br />

veränderbar: Die Reihenfolge der subjektiven Apprehensionen ist<br />

willkürlich, nicht die Stellenordnung der Elemente im Raum zueinander;<br />

was also ersetzt werden kann ist die Richtung der Apprehensionen und<br />

nicht die zum Thema gemachte Stellenordnung — und zwar eben im Falle<br />

der Apprehension von Anschauung gerade auch dann, wenn diese<br />

474 K. r. V., B 237 f./A 192 f.<br />

475 Dazu sind die Sätze der (euklidischen) Geometrie noch nicht notwendig; allerdings<br />

muß ein Bewußtsein von der Orientierung im Raume möglich sein.<br />

476 M.A.d.N., Allgemeine Anmerkungen zur Phänomenologie: alternatives,<br />

disjunktives, distributives Urteil, A 148 f.


— 526 —<br />

Stellenordnung weder wesenslogisch noch durch dynamische<br />

Veränderung des betrachteten Objekts begründbar ist.<br />

II.<br />

Eine mögliche Verbindung der Zeitbedingung und der Operation des<br />

»Ersetzens« kann aber auch von rein modaler Seite bedacht werden. Zwar<br />

geschieht die Bestimmung der Modalkategorie selbst logisch: die<br />

Bedingung (der Umstand) der Ersetzbarkeit der Begriffe wird vom<br />

logischen Satz vom Widerspruch bestimmt. Die logische Bestimmung des<br />

»Ersetzens« durch den Satz vom Widerspruch ist aber die kategoriale<br />

Definition der Zufälligkeit: das Prinzip der durchgängigen Bestimmung<br />

eines Dinges ist demnach zufällig zu nennen, weil von allen Prädikaten<br />

nur eines von beiden möglichen Gegenteilen im Prädikat dem Ding<br />

zukommen kann. Die Zufälligkeit ist in der klassisch vorkritischen<br />

Fassung ein Attribut des Satzsubjektes: »Zufällig ist, dessen Gegenteil an<br />

seiner Stelle möglich ist«. Dasjenige, was zufällig ist, dem ist das Gegenteil<br />

an seiner Stelle möglich. Das nicht benannte Satzsubjekt ist also dieses<br />

etwas, was hier als zufällig bezeichnet wird. Das ebenfalls nicht genannte<br />

Verbum der Handlung des »Ersetzens«, dessen notwendiger Umstand der<br />

kontradiktorische Gegensatz der möglichen Alternativen ist, sagt also nur<br />

dann die Bedingung dieses etwas aus, sofern in der Erfahrung etwas<br />

bereits als zufällig aufgrund eines möglichen Experiments bezeichnet<br />

werden soll, dessen Ausgang nicht nur aus sogenannten<br />

Erfahrungsgründen sondern auch aus Gründen einer Theorie feststeht.<br />

Das Ersetzen kann eben nicht einfach als Vorläufer einer Variablenstelle<br />

betrachtet werden, weil die Elemente der Menge aller in einer Variablen<br />

eines logischen Satzes einsetzbaren Objekte oder Namen nicht in einem<br />

kontradiktorischen Gegensatz zueinander stehen und den Grund ihrer<br />

logischen Kontinuität von wo anders her beziehen. Vielmehr steht das<br />

»Ersetzen« mit dem »Verknüpfen« in dem Zusammenhang, daß jene real<br />

mögliche Qualität (Quidditas), die als mögliche Alternative zum<br />

tatsächlich gegebenen Umstand vorgestellt worden ist, nur dann wirklich<br />

ersetzbar im Sinne der Zufälligkeit ist, wenn die »Ersetzung« in Folge an<br />

der »Verknüpfung« nichts ändert. Die modallogische Definition des<br />

»Verknüpfens« bestimmt also rückwirkend die modallogische Definition<br />

des »Ersetzens«, d. i. die Definition des »Zufalls«. — Es handelt sich bei<br />

dieser von Kant erst später entdeckten Beziehung von »Ersetzen« und<br />

»Verknüpfen« offensichtlich um ein syntaktisches Kriterium nach dem


— 527 —<br />

Vorbild der Leibnizianischen analytischen Urteilstheorie (1686). — Die<br />

Operation des »Ersetzens« unterscheidet weiters selbst nicht zwischen<br />

Prädikat eines Dinges und einem Ding selbst. Hinsichtlich der Frage, ob<br />

damit die Modalität des Satzsubjektes oder der Aussage (dem Prädikats<br />

eines kategorischen Urteils) bestimmt werden soll, ist die modalkategoriale<br />

Aussage völlig unbestimmt. Demgegenüber bleibt die Regel der reinen<br />

Kategorie der Substanz nach Kant ohne jede weitere Zeitbedingung der<br />

Beharrlichkeit bei der grammatikalischen Bestimmung des Satzsubjekts<br />

stehen. 477 Die reine Kategorie der Substanz ohne Zeitbedingung führt aber<br />

auf die qualitative Verwendung der Kategorie des Quantums zurück, und<br />

von da her wird immer schon die grammatikalische Stelle des Satzsubjekts<br />

mit dem bloßen Begriff vom Objekt interpretiert.<br />

Insofern ist die reine Kategorie der Substanz ohne Zeitbedingung (also<br />

bloß ohne der Zeitreihenfolge des nicht-logisch definierten Wechsels) in<br />

der Tat aussagekräftiger als die vorkritische modalkategoriale Aussage<br />

über die Zufälligkeit anhand der Operation des Ersetzens bei Kant selbst,<br />

zieht man nicht die Überlegung des »syntaktischen Kriteriums« in Betracht<br />

oder geht gleich zur Aussage Kants in der ersten Kritik über, daß die<br />

Entgegensetzung von Prädikate ein und desselben Objektes in der<br />

Zeitfolge zweier Zeitpunkte nicht die Zufälligkeit des Zustandes des<br />

Objektes im zweiten Zeitpunkt zur Folge hat. Diese Äußerung Kants ist<br />

aber eher eine bloße Feststellung des Ergebnisses, aber nicht selbst eine<br />

vollständige Darstellung.<br />

III.<br />

Wie steht die logische Operation des »Ersetzens« nun mit dem reinen<br />

Verstandesbegriff der Kausalität in Verbindung? Der reine<br />

Verstandesbegriff der Kausalkategorie besteht, so wurde gesagt, in einem<br />

kontradiktorischen Gegensatz zweier Begriffe: »Ursache« und »Wirkung«.<br />

Dieser Gegensatz hat zur Folge, daß, gleich welchen der beiden Begriffe<br />

ich denke, ich den anderen analytisch aus dem gegebenen Begriff ableiten<br />

kann. Die rein analytische Formulierung des Kausalsatzes als reiner<br />

Verstandesbegriff wird neuerdings dem Vorwurf der Tautologie<br />

ausgesetzt: Daß der Begriff der Ursache analytisch den Begriff der<br />

Wirkung, und der Begriff der Wirkung analytisch den Begriff der Ursache<br />

477 K. r. V., B 186 f./A 147: ein Etwas, das als Subjekt (ohne Prädikat von etwas anderen<br />

zusein) gedacht werden kann.


— 528 —<br />

enthält, soll der Nachweis einer Tautologie sein. Das kann ich an Ort und<br />

Stelle nicht vollständig ausführen, deshalb dazu nur noch ein<br />

abschließender Gedanke: Wenn ich sage, der analytische Satz »Ein Kreis ist<br />

rund« sei eine Tautologie, und nach diesem Vorbild müßten alle<br />

analytischen Sätze eine Tautologie sein, so kann ich dieses Vorbild einer<br />

Tautologie nicht auf den analytischen Kausalsatz anwenden, da im<br />

Unterschied dazu die Rundheit für sich nicht unbedingt analytisch den<br />

Begriff des Kreises enthält, sondern eben nur dann, wenn der Begriff der<br />

Rundheit aus dem des Kreises herausgehoben worden ist. Im analytisch<br />

betrachteten Kausalsatz hingegen ist symmetrisch aus beiden Begriffen<br />

jeweils der Gegenbegriff heraushebbar; so gesehen handelt es sich im<br />

analytisch betrachteten Kausalsatz um das Verhältnis zweier Tautologien,<br />

dem selbst nachzuweisen, es sei wiederum eine einfache Tautologie, oder<br />

es sei keine Tautologie, ohne weiteres nicht möglich ist.<br />

Darauf kann formal der modalkategoriale Grundsatz des Zufälligen<br />

ebenso angewendet werden (weil es meine willkürliche Entscheidung ist,<br />

ob ich etwas als Wirkung — regressiv — oder als Ursache — progressiv —<br />

bedenken möchte), 478 wie die modalkategoriale Bestimmung der<br />

Notwendigkeit der Verknüpfung kontradiktorisch entgegengesetzter<br />

Prädikate in der Zeit. Die formale Bedingung (die transzendentale<br />

Zeitbedingung: zuerst aber eben nicht die mittels der Sukzessivität als<br />

logisch bestimmte Zeitordnung der Prädikatisierung Darstellung<br />

derselben, sondern als bloßer Wechsel des Gegebenen) ist also notwendig,<br />

um nicht in die Verlegenheit zu kommen, die Reihenfolge von »Ursache«<br />

und »Wirkung« für zufällig zu erklären, und zwar in völliger<br />

Abhängigkeit davon, ob ich mich für die progressive oder für die<br />

regressive Methode entscheide. Damit dieser Entscheidung eine<br />

Bedeutung unterlegt werden kann, ist eben formal die logische<br />

Bestimmbarkeit der transzendentalen Zeitbedingung notwendig<br />

vorausgesetzt, inhaltlich aber der empirisch gegebene Wechsel. Ohne<br />

transzendentale Zeitbedingung müßte trotz der Darstellung der Abfolge<br />

gemäß der logischen Definition der Sukzessivität der analytisch<br />

gewonnene logische Inhalt des reinen Verstandesbegriffs (der Ursache<br />

oder der Wirkung) demnach formal wechselseitig ersetzbar sein, ohne am<br />

Begriff etwas zu ändern. Die transzendentale Zeitbedingung ist objektiv<br />

die unbedingte Voraussetzung zu einem Erfahrungbegriff, die logische<br />

478 Vgl. die Antithesis der dritten Antinomie


— 529 —<br />

Darstellung der Sukzessivität ist subjektiv die bedingende Voraussetzung<br />

für den Begriff der Erfahrung.<br />

Der reine Verstandesbegriff der Substanzkategorie hingegen besteht im<br />

Gegensatz von »Beharrlichkeit« und »Veränderlichkeit«, für welche<br />

Begriffe die logisch gleiche analytische Beziehung besteht, wie für<br />

»Ursache« und »Wirkung«. Nun kann von Zufälligkeit der Beharrlichkeit<br />

und des Wechsel bzw. der Veränderlichkeit ebenso die Rede sein, wie es<br />

uns freisteht, im Vergleich von Beharrlichem und Veränderlichem<br />

zwischen den Positionen der Betrachtung zu wechseln, wie wir eine als<br />

Ursache identifizierte Erscheinung in einer Erscheinungsreihe in einer<br />

anderen Erscheinungsreihe als Wirkung zu identifizieren imstand sind.<br />

Auch hier ermöglicht erst die transzendentale Apperzeption mit der<br />

Freiheit des Vergleichens anhand eines Kriteriums der Signifikanz oder<br />

der Indifferenz der Reihenfolge der Erscheinungen die einfache Regel des<br />

Beharrlichen in der Apprehension derselben. Diese Formel der<br />

Zeitbedingung der Zeitreihe kann nun anhand des diskutierten Beispieles<br />

der Apprehension eines Hauses in Richtung geometrischer Konstruktion<br />

oder empirischer synthesis speciosa erweitert werden, womit aber nicht mit<br />

gleicher Deutlichkeit wie im Falle der Kausalitätskategorie eine<br />

modalkategoriale Aussage möglich ist: sicherlich können aber innerhalb<br />

der Stellenordnung der Elemente einer geometrischen Figur zueinander<br />

die Elemente nicht beliebig durch ihre Gegenteile ersetzt werden, da nur<br />

die Richtung der willkürlichen Apprehension in der Regel des<br />

Beharrlichen ersetzt werden kann und nicht die Stellenordnung der<br />

apprehendierten Vorstellungen in der Erscheinung zueinander. Mit der<br />

transzendentalen Zeitbedingung in der Substanzkategorie kann aber<br />

weder selbst Zufälligkeit der Substanz nachgewiesen werden, noch eine<br />

sonstige eigene modallogische Bestimmung, was die Notwendigkeit der<br />

Einheit des der Erscheinung objektiv zugrunde liegenden Substrates selbst<br />

betrifft. Was abermals deutlich geworden ist, ist, daß die transzendentale<br />

Zeitbedingung (der Wechsel der Erscheinungen als Zeitreihe aufgefaßt) im<br />

Falle des reinen Verstandesbegriffes der Substanzkategorie nicht die<br />

Zeitrichtung und nicht die ganze Zeitordnung zu bestimmen fähig ist, aber<br />

widerspruchsfrei zur Zeitordnung und deren logischen Regel<br />

weiterbestimmt werden kann. —


— 530 —<br />

§ 28 Der synthetische Grundsatz ist die Zusammensetzung von<br />

transzendentaler Zeitbedingung und Verstandesbegriff 479<br />

Es bleibt nach den Erörterungen des logischen Inhalts der Zeitbedingung<br />

und des Verstandesbegriffes deren Zusammensetzung im synthetischen<br />

Grundsatz nachzuvollziehen. Dabei ist zu beachten, daß sich die von<br />

Konrad Cramer herausgestellte Empirizität des Satzsubjektes im<br />

synthetischen Urteil a priori aus der strikten Trennung von Metaphysik<br />

und immer nur empirisch sich zeigenden Zeitlichkeit ergibt und nicht aus<br />

der Verwendung selbst empirischer Begriffe. Vielmehr zeigt sich ein<br />

besonderer Status der im Satzsubjekt der synthetischen Grundsätze<br />

eingesetzten Begriffe auf Grund der im Rahmen des transzendentalen<br />

Subjekts sicher abschließbaren Phänomenologie des Empirischen<br />

überhaupt, deren Abschließbarkeit und Vollständigkeit anders als in einer<br />

rein empirisch verfahrenden Phänomenologie, die bloß zu affirmativer<br />

Allgemeinheit gelangen kann, durch die Bezugnahme auf die<br />

transzendentalen Bedingungen der Analyse garantiert werden kann. Man<br />

kann durchaus darauf bestehen, deshalb diese Begriffen des Satzsubjektes<br />

im Vergleich zu empirischen Begriffen als »reine« Begriffe zu<br />

bezeichnen. 480 Jedoch verträgt sich diese Bezeichnung in der Tat nicht mit<br />

der klaren und deutlichen Unterscheidung von Metaphysik und<br />

empirischer Erfahrung, die Kant auch nach der ersten Kritik nicht<br />

aufgegeben hat, diese vielmehr gerade zu der wesentlichen systematischen<br />

Entscheidung in der Sittenlehre geworden ist, die eine philosophische<br />

Behandlung der Ethik überhaupt erst möglich gemacht hat, die frei von<br />

materialer Wertethik und Theologie bleiben konnte. Darüberhinaus könnte<br />

man auch Anstoß daran nehmen, daß die Bezugnahme auf die<br />

Vollständigkeit einer transzendentalen Phänomenologie der Erfahrung<br />

erst nach der Vollendung der transzendentalen Untersuchung der<br />

Erfahrung möglich wird. Insofern ist der terminologischen Entscheidung<br />

von Konrad Cramer bei Berücksichtigung des besonderen Status der<br />

Einsetzungen in das Satzsubjekt als instantialisierte Begriffe einer<br />

»transzendentalen Psychologie« zuzustimmen.<br />

479 Die Grundlage dieser Ausführungen ist und bleibt die auführliche Analyse der<br />

Prädikabilie der synthetischen Grundsätze der dynamischen Kategorien von<br />

CRAMER 1985. Vgl. hier den zweiten Abschnitt. I. Die Zeitbedingung der Wahrheit<br />

480 Vgl. hier insbesondere § 10, Die Ontologia der Transzendentalphilosophie als<br />

Rekonstruktion des reinen Begriffs des Gegenstandes aus der Struktur der<br />

konstitutiven Kategorie.


— 531 —<br />

Die synthetischen Grundsätze der dynamischen Kategorien lauten<br />

bekanntlich:<br />

»Bei allem Wechsel der Erscheinungen beharret die Substanz, und das<br />

Quantum derselben wird in der Natur weder vermehrt noch<br />

vermindert« 481<br />

»Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknüpfung der<br />

Ursache und Wirkung.« 482<br />

Der Grundsatz der ersten Analogie beinhaltet eine Aussage über das<br />

Quantum, die aus den bisherigen Erörterungen des Beharrlichen in den<br />

Erscheinungen nicht ableitbar erscheint, dennoch keine bloße<br />

metaphysische Ergänzung ist, die dem transzendentalen Gehalt der ersten<br />

Analogie fremd bleibt. Wie schon des Öfteren darauf aufmerksam gemacht<br />

worden ist, daß die Grundlage der Substanzkategorie auch dem Verlauf<br />

der Untersuchung der transzendentalen Zeitbedingung nach nicht<br />

notwendigerweise mit einer einfachen Substanz zu tun hat (also auch ein<br />

bloßes Aggregat sein kann), und allein auf die Zeitreihe der konstitutiven<br />

Kategorie (insbesondere den Axiomen der Anschauung) beruht, kann die<br />

Erwähnung des Quantums durchaus nicht als willkürliche Ergänzung<br />

angesehen werden. Allerdings verlangt die Bezugnahme auf die Natur<br />

weitere Überlegungen, die auch im erläuternden Text des gegebenen<br />

Beweises nicht wirklich enthalten sind. Ohne sich hier weiter vertiefen zu<br />

wollen, sei zumindest soviel dazu gesagt: Sofern unsere sinnlichen<br />

Wahrnehmungen Gegenstand einer naturphilosophischen Untersuchung<br />

sein können müssen, ist auch das Quantum unserer sinnlichen<br />

Wahrnehmung Bestandteil der Natur. Obgleich bei einer näheren Analyse<br />

die Subjektivität unseres relativen Standpunktes im Raum wie die<br />

Subjektivität der Variation der Empfindlichkeit der Sinnesorgane,<br />

schließlich die Subjektivität unserer schweifenden Aufmerksamkeit zu<br />

berücksichtigen ist, zeigt sich gerade in dieser Beifügung, daß die<br />

transzendentale Analyse der Bedingungen der Erfahrung gewissermaßen<br />

von selbst im Rahmen der rationalen Physiologie auf physikalische<br />

Vorbedingungen stößt, die metaphysische Annahmen über die Natur<br />

notwendig macht, seien diese hinsichtlich der Spezifikationen unserer<br />

481 K.r.V., B 224/A 182<br />

482 B 232/A 189


— 532 —<br />

empirischen Sinnlichkeit auch welche sie immer sein sollten. Für eine rein<br />

metaphysische Ausage über die Konstanz des Quantums in der Natur<br />

wäre hingegen zu zeigen, daß diese Aussage eine notwendige Bedingung<br />

für die Möglichkeit einer mathematisch vorgehenden Naturwissenschaft<br />

ist, um als Grundsatz einer rationalen Metaphysik zu gelten. Inwiefern die<br />

Aussage über die Konstanz des Quantums in der Natur eine<br />

metaphysische Aussage ist oder beinhaltet, braucht in diesem<br />

Zusammenhang aber nicht entschieden zu werden. Streicht man aus dem<br />

Grundsatz der ersten Analogie nun diese »metaphysische« Aussage über<br />

das Quantum, lautet der erste synthetische Grundsatz wie folgt: »Bei allem<br />

Wechsel der Erscheinung beharret die Substanz.« womit die<br />

Strukturgleichheit zum synthetischen Grundsatz der zweiten Analogie<br />

hergestellt worden wäre.<br />

Man hat also festzuhalten, daß<br />

(1) als Satzsubjekt des synthetischen Grundsatzes der ersten Analogie der<br />

Begriff des »Wechsels«, als Satzsubjekt des synthetischen Grundsatzes der<br />

zweiten Analogie der Begriff der »Veränderung«;<br />

(2) als Satzgegenstand des Grundsatzes der ersten Analogie der Begriff der<br />

»Substanz« (und des »Quantums«), als Satzgegenstand des Grundsatzes<br />

der zweiten Analogie der Satzteil »Verknüpfung der Ursache und<br />

Wirkung« fungiert.<br />

Ich habe vor zu zeigen, daß die Ausdrucke in den Satzsubjekten die<br />

transzendentale Zeitbedingung, die Ausdrucke in den Satzgegenständen<br />

den Inhalt der reinen Verstandesbegriffe, welche in den Kategorien<br />

enthalten sind, repräsentieren. Für den Fall der Satzsubjekte mag eine<br />

solche Behauptung nach den vorhergehenden Untersuchungen als trivial<br />

erscheinen, da doch der Übergang vom »Wechsel« zur »Veränderung«<br />

offensichtlich der (von mir hinsichtlich der Zuordnung der<br />

Zeitbedingungen zu konstitutiven und dynamischen Kategorien<br />

modifizierten) Unterscheidung der transzendentalen Zeitbedingung in<br />

Zeitreihe und Zeitordnung aus dem Schematismuskapitel folgt. Es bleiben<br />

aber noch einige terminologische Schwierigkeiten im Fall der<br />

Satzgegenstände zur völligen Klarheit zu bringen übrig, was noch<br />

geschehen soll, bevor der Untersuchungsgang zum Abschluß gebracht<br />

werden kann. Dieser Abschluß besteht in der nochmaligen Überlegung der<br />

Gültigkeit dieser Grundsätze, was allerdings die Diskussion der


— 533 —<br />

Kategorien der Modalität einschließt. — Zuvor aber noch das, was für<br />

diesen Abschnitt der Untersuchung noch zu tun bleibt.<br />

Es fällt vor dem Hintergrund der Untersuchung, so wie ich sie geführt<br />

habe, besonders auf, daß im Satzgegenstand des Grundsatzes der zweiten<br />

Analogie bereits der Inhalt des reinen Verstandesbegriffes der<br />

Kausalitätskategorie genannt wird, während im Grundsatz der ersten<br />

Analogie nur der Titel der Kategorie, eben der Substanzbegriff, als<br />

Satzgegenstand fungiert. Setze ich nun an Stelle des Titels den Inhalt des<br />

reinen Verstandesbegriffs: Beharrlichkeit und Wechsel, so stehe ich rein<br />

terminologisch gesprochen, zunächst vor dem Problem, ob nun schon für<br />

den Inhalt des reinen Verstandesbegriffes die aufgrund der modalogischen<br />

Bestimmbarkeit der transzendentalen Zeitbedingungen zur Sukzesssivität<br />

getroffene Unterscheidung in »Wechsel« und »Veränderung« verbindlich<br />

ist. Offenbar nicht, da diese Unterscheidung anhand der transzendentalen<br />

Zeitbedingung getroffen worden ist, und nicht für die Zeitordnung, die im<br />

reinen Verstandesbegriff der Kategorie immer schon analytisch<br />

mitgegeben wird. Wie schon unter der Hand eingeführt, kann also der<br />

logische Inhalt des reinen Verstandesbegriffes der Substanzkategorie<br />

sowohl mit dem Gegensatz von Beharrlichkeit und Wechsel wie mit dem<br />

Gegensatz von Beharrlichkeit und Veränderlichkeit ohne jede<br />

Verschiebung der Bedeutung ausgedrückt werden. Dabei ist im Falle der<br />

Ersetzbarkeit von Wechsel und Veränderlichkeit im reinen<br />

Verstandesbegriff des Grundsatzes der ersten Analogie noch nebenbei<br />

deutlich geworden, daß in der ersten Analogie der Begriff des Wechsels in<br />

ein und demselben Satz sowohl als Begriff der Bestimmung der<br />

transzendentalen Zeitbedingung wie als Begriff des reinen<br />

Verstandesbegriffes vorkommen kann, also zugleich einmal als nichtreiner<br />

Begriff der Bestimmung der transzendentalen Zeitbedingung und<br />

einmal als reiner analytischer Begriff des Verstandesbegriffes der<br />

Kategorie fungiert. — Dem nicht genug, ergibt sich im Falle der<br />

Verwendung des Begriffes der Veränderlichkeit (an Stelle des Wechsels)<br />

als analytischer Teil des reinen Verstandesbegriffs der Substanzkategorie<br />

aber eine Komplizierung in Verbindung mit dem Grundsatz der zweiten<br />

Analogie, da dann der Begriff der Bestimmung der transzendentalen<br />

Zeitbedingung des Grundsatzes der zweiten Analogie, eben die<br />

Veränderlichkeit als nicht-reiner Begriff, als Bestandstück des logischen<br />

Inhalts des Satzgegenstandes, also des reinen Verstandesbegriffes der<br />

Substanzkategorie vorkommt. Es scheint derart, als wäre mit der


— 534 —<br />

Substitution des Begriffes des Wechsels durch den Begriff der<br />

Veränderlichkeit im Satzgegenstand des Grundsatzes der ersten Analogie<br />

letztlich nichts gewonnen: die Konfusion der doppeldeutigen Verwendung<br />

der Begriffe vom »Wechsel« und von der »Veränderung«, die ich auf der<br />

einen Seite intern vermeide, kommt von der anderen Seite extern wieder<br />

zum Vorschein.<br />

Näher besehen, bedeutet die Ersetzung des Wechsels durch die<br />

Veränderlichkeit im Satzgegenstand des Grundsatzes der Analogie der<br />

Substanz nichts anderes, als daß eine Kontinuitätsbedingung ausdrücklich<br />

gemacht worden ist, die schon von der transzendentalen Ästhetik<br />

vorausgesetzt worden ist. Der Begriff der Sukzessivität im Begriff des<br />

Satzsubjektes des Grundsatzes der zweiten Analogie beinhaltet aber<br />

sowohl den Wechsel wie die Kontinuität; und zwar als kontinuierlichen<br />

Wechsel, ohne allein deshalb schon explizit auf ein Ding zurückkommen<br />

zu müssen: das ist erst dann notwendig, wenn das, was wechselt, als<br />

Prädikat bestimmt worden ist. Insofern ist ein Übergang vom Wechsel zur<br />

Veränderlichkeit im reinen Verstandesbegriff der Substanzkategorie nur<br />

dadurch zu motivieren, als daß mittels des vorauszusetzenden Dinges<br />

gegenüber der bloßen transzendentalen Zeitbedingung bereits eine<br />

Änderung des semantischen Zusamenhanges gegeben ist, die einen<br />

solchen Austausch gegenüber der transzendentalen Zeitbedingung der<br />

ersten Analogie nicht nur möglich macht, sondern auch sinnvoll<br />

erscheinen läßt: Die transzendentale Zeitbedingung der Substanzkategorie<br />

setzt nur vermutlich die Kontinuitätshypothese der transzendentalen<br />

Ästehtik voraus. Im reinen Verstandesbegriff der Substanzkategorie ist die<br />

Kontinuitätshypothese zumindest auf Grund des Bezuges auf ein Ding<br />

überhaupt unzweifelhaft vorauszusetzen, sodaß die Ersetzung des bloßen<br />

Wechsels durch die Veränderlichkeit sinnvoll ist. — Die<br />

Kontinuitätsbedingung ist nun auch der Kausalitätskategorie<br />

vorausgesetzt, gleich aus welchem Grund diese Bedingung vorausgesetzt<br />

werden kann: ob transzendentalästhetisch aus der bloßen Sinnlichkeit oder<br />

aus der modallogischen Definition der Sukzessivität, oder ob aus der<br />

metaphysischen Vorausetzung eines Dinges der Prädikate — ohne<br />

Kontinuitätsbedingung kann die Kausalitätskategorie als Kategorie der<br />

Erfahrung nicht konstituiert werden. Abgesehen davon, daß die<br />

modallogische Definition der Sukzessivität schon ein Ding der<br />

Prädikatisierung implizit vorausetzt, macht demnach die folgenlose<br />

Vertauschbarkeit von Wechsel und Veränderlichkeit im reinen


— 535 —<br />

Verstandesbegriff der Substanzkategorie die Kontinuitätsbedingung im<br />

Kantschen Argumentationsgang auch explizite deutlich: das Ding der<br />

Prädikate wird umwegig über dem Beharrlichen der Erscheinungen als<br />

Kontinuitätsbedingung in Stellung gebracht, ohne selbst sinnliche<br />

Prädikate (empirische Begriffe) verwenden zu müssen. Nochmals: Die<br />

modallogische Definition der Veränderlichkeit als Sukzession im<br />

Satzsubjekt des Grundsatzes der zweiten Analogie hat ihren Bezug auf ein<br />

Ding allein metaphysisch auf Grund dessen, daß Prädikate sich auf ein<br />

Ding beziehen (die reine Kategorie der Substanz — grammatikalisch). Die<br />

Vertauschbarkeit von Wechsel und Veränderlichkeit im Satzgegenstand<br />

des Grundsatzes der ersten Analogie vermag das auch da notwendige<br />

Kontinuitätskriterium aber nicht aus der metaphysischen Grundlegung<br />

der Beziehung von Prädikaten auf ein Ding zu beziehen, sondern allein<br />

aus der vorausgesetzten Sinnlichkeit oder aus den formalen Eigenschaften<br />

der transzendentalem Ästhetik, deshalb steht die Veränderlichkeit auch im<br />

Satzsubjekt des Grundsatzes der zweiten Analogie.<br />

Wie inzwischen bekannt sein sollte, besteht der haltbare Kern der<br />

modallogischen Bestimmung der Sukzessivität in der Performation der<br />

Prädikatisierung, in welcher erstlich Unterscheidbarkeit und<br />

kontradiktorischer Gegensatz formal zusammenfallen. Die sich daraus<br />

ergebende logische Kontinuitätshypothese setzt die Beziehung von<br />

Prädikaten auf ein und das selbe Ding bereits voraus und unterscheidet<br />

sich grundlegend von einer Kontinuitätshypothese, die auf Grund der<br />

Sinnlichkeit überhaupt oder auf Grund formaler Eigenschaften einer<br />

transzendentalen Ästhetik gefunden werden kann. Letztere ist im<br />

Verhältnis von Satzsubjekt zum Satzgegenstand im Grundsatz der ersten<br />

Analogie (der Substanzkategorie) die Grundlage der im Satzgegenstand<br />

(dem reinen Verstandesbegriff der Substanzkategorie) möglichen<br />

Ersetzung des Wechsels durch die Veränderlichkeit. Ersteres, also die<br />

vorausgesetzte Beziehung eines Prädikates auf ein Ding, ist schon die<br />

Bedingung der logischen Regel der im Satzsubjekt des Grundsatzes der<br />

zweiten Analogie ausgedrückten transzendentalen Zeitbedingung der<br />

Kausalitätskategorie. Diese metaphysische Voraussetzung wird nun eben<br />

vom Grundsatz der Substanzkategorie transzendental insofern teilweise<br />

gerechtfertigt, als daß der Substanzbegriff auf den Begriff eines bloßen<br />

Aggregates vermindert wird, sodaß die erste dynamische Kategorie<br />

(obwohl selbst als Kategorie gar nicht dynamisch konfiguriert) die Form<br />

der transzendentalen Zeitbedingung der zweiten dynamischen Kategorie


— 536 —<br />

in deren Grundsatz zu garantieren vermag. Erst diese Verklammerung von<br />

Satzssubjekt und Satzgegenstand des Grundsatzes der ersten Analogie mit<br />

der transzendentalen Zeitbedingung im Grundsatz der zweiten Analogie,<br />

also deren Satzsubjekt, gibt die Möglichkeit der Anwendung des reinen<br />

Verstandesbegriffes von Ursache und Wirkung. — Also mitnichten<br />

Eigenschaften der Sinnlichkeit oder gar formale Eigenschaften der<br />

tranzendentalen Ästhetik erlauben die Anwendung des<br />

Kausalitätsprinzipes, sondern erst die selbst logische Normierung des<br />

Veränderlichen zur Sukzessivität. Hierin kommt die bereits von Descartes<br />

in seiner analytischen Geometrie artikulierten Diskretheit von Prädikaten<br />

gegenüber der jeweils möglichen Kontinuität des Prädikatisierten zum<br />

Ausdruck. 483 Dieser Schwierigkeit kann allerdings auch mit Kant von<br />

Seiten der Begriffsbestimmung des Veränderlichen abgeholfen werden:<br />

Man erinnere sich an die Unterscheidung des Begriffs vom Veränderlichen<br />

als sensitivum, also allein als Eigenschaft des Sinnlichen, und als<br />

Prädikabilie als Teil der kategorialen Bestimmung: 484 Zur Bestimmung des<br />

Veränderlichen als sensitivum Refl. 4306: »Der Schluß von der<br />

Veränderlichkeit auf die Zufälligkeit ist metabasis eis allo genos, denn ich<br />

schließe von einem sensitivum aufs intellectuale.« Und Refl. 5266: »Es gibt<br />

keinen Übergang von den principiis der Erscheinung zu den Begriffen der<br />

Vernunft, also auch nicht von der Veränderung auf die Zufälligkeit.«<br />

Zur kategorialen Bestimmung des Veränderlichen im ersten Entwurf zur<br />

Preischrift über die Fortschritte in der Metaphysik: »Noch gehören zu den<br />

Kategorien, als ursprüngliche Verstandesbegriffen, auch die Prädikabilien,<br />

als aus jener ihrer Zusammensetzung entspringende, und also abgeleitete,<br />

entweder reine Verstandes- oder sinnlich bedingte Begriffe a priori, von<br />

denen die ersteren das Dasein als Größe vorgestellt, d.i. die Dauer, oder<br />

die Veränderung, als Dasein mit entgegengesetzten Bestimmungen, von<br />

den anderen der Begriff der Bewegung, als Veränderung des Ortes im<br />

Raume, Beispiele abgeben, die gleichfalls vollständig aufgezählt, und in<br />

einer Tafel systematisch vorgestellt werden können.« 485<br />

Die Ersetzung des Wechsels im Grundsatz der ersten Analogie scheint also<br />

durchaus auf eine Weise möglich, welche alle Schwierigkeiten aufzulösen<br />

483 Gottlob Frege, Was ist eine Funktion?, Festschrift f. Ludwig Boltzmann, 1904, in:<br />

Funktion, Begriff, Bedeutung, Hrsg. von Günther Patzig, Götting 4 1975, p. 81 ff.<br />

484 Vgl. hiezu den zweiten Abschnitt, I., 2. Die modallogische Erörterung<br />

485 AA. XX, p. 272


— 537 —<br />

erlaubt. Es ist demnach sogar sinnvoll möglich, den Begriff des Wechsels<br />

im Satzsubjekt mit dem Begriff des Veränderlichen zu ersetzen, wenn<br />

dieser als Begriff vom sensitivum verstanden wird, da der bloße Wechsel<br />

die Kontinuität der Sinnlichkeit nicht von selbst analytisch mit sich führt,<br />

und insofern diese Ersetzung dem bloßen Wechsel nicht widersprechen<br />

muß. Allerdings ergibt sich daraus die nun schon bekannte weitere<br />

Schwierigkeit: Zwar besitzt dann der Begriff des Veränderlichen im<br />

Satzsubjekt des Grundsatzes der zweiten Analogie folgerichtig den Status<br />

einer Prädikabilie, aber auch der Begriff des Veränderlichen im<br />

Satzgegenstand des Grundsatzes der ersten Analogie müßte demnach als<br />

Prädikabilie verstanden werden, was schlechterdings unmöglich ist. Daran<br />

änderts sich auch nichts, wird die Parallelstelle aus dem § 10 der ersten<br />

Kritik herangezogen: »Man kann aber diese Absicht ziemlich erreichen,<br />

wenn man die Ontologischen Lehrbücher zur Hand nimmt,und z.B. der<br />

Kategorie der Kausalität die Prädikabilien der Kraft, der Handlung, des<br />

Leidens; der der Gemeinschaft, die der Gegenwart, des Widerstandes; den<br />

Prädikamenten der Modalität die des Entstehens, Vergehens, der<br />

Veränderung usw. unterordnet.« 486 Die Auflösung dieser Schwierigkeit ist<br />

dann offensichtlich nicht länger trivial. — Ich habe vorhin im zweiten<br />

Abschnitt der vorliegenden Arbeit der Darstellung aus der Preisschrift<br />

deshalb den Vorzug gegeben, weil diese der Performation des<br />

Prädikatisierens eines kontinuierlichen zeitlichen Vorgangs besser<br />

entsprochen hat. Die Diskontinuierlichkeit des Prädikatisierens im<br />

Vergleich zur Kontinuierlichkeit der Sinnlichkeit kam in dieser Darstellung<br />

besser zum Ausdruck. Nunmehr ist zu sehen, daß gerade die<br />

Voraussetzung, unter welcher die Überlegung, das Veränderliche im<br />

Gegensatz zum kontinuierlichen sensitivum als Sukzessivität im Grundsatz<br />

der Kausalitätskategorie zur Prädikabilie zu bestimmen, zum Grund der<br />

hier offenkundig gewordenen Schwierigkeit geworden ist. Die<br />

Bestimmung des Veränderlichen zur Prädikabilie ist ein modallogisches<br />

Verfahren: In der modallogischen Untersuchung ist das Veränderliche das<br />

Prädikament und das sensitivum selbst die Prädikabilie, welche mit dem<br />

Begriff der Veränderlichkeit erst prädikatisiert wird. Die Prädikatisierung<br />

des sensitivums mit Veränderlichkeit entspricht einer Instantialisierung im<br />

Rahmen einer transzendentalen Phänomenologie der sinnlichen<br />

Wahrnehmung, womit die Prädikatisierung der einzelnen<br />

Wahrnehmungen überhaupt erst vom bloßen Wechsel der Erscheinungen<br />

486 K.r.V., A 82/B 108


— 538 —<br />

unterscheidbar wird: ohne der Voraussetzung der Kontinuität des<br />

sensitivums, dem mit der Prädikatisierung erster Stufe die Kontinuität<br />

ausdrücklich zugesprochen wird (nur unter der Voraussetzung der<br />

transzendentalen Ästhetik ein analytisches Urteil), könnte die sprachliche<br />

Performation der Prädikatisierung der einzelnen Wahrnehmungen<br />

innerhalb der Anschauung nicht vom bloßen Wechsel der Erscheinungen<br />

unterschieden werden. Im ersten Schritt ist das Veränderliche demnach ein<br />

Prädikament und das sensitivum die Prädikabilie, für die Prädikatisierung<br />

des Veränderlichen im Rahmen der weiteren empirisch-sprachlichen<br />

Performation ist das Veränderliche die Prädikabilie.<br />

Damit erhält der verschiedene Gebrauch des begrifflichen Ausdrucks der<br />

transzendentalen Zeitbedingung hinsichtlich der ursprünglichen<br />

Unterscheidbarkeit von Wechsel und Veränderlichkeit aufgrund der<br />

verschiedenen Beziehbarkeit (respektive Nicht-Beziehbarkeit) auf ein Ding<br />

einen epistemologischen Grund: Im Satzsubjekt des Grundsatzes der<br />

zweiten Analogie ist das Veränderliche zweifellos die Prädikabilie des<br />

reinen Verstandesbegriffes im Satzgegenstand; im Satzgegenstand des<br />

Grundsatzes der ersten Analogie wäre das Veränderliche nur als<br />

Prädikament des sensitivums zu verstehen möglich, um<br />

transzendentalästhetisch dem Wechsel, der selbst keinen Bezug auf ein<br />

Objekt notwendig macht, vorzustellen: ein solcher Bezug auf ein Ding ist<br />

erst im reinen Verstandesbegriff der Substanzkategorie herzustellen. —<br />

Diese Unterscheidung von Satzsubjekt und Satzgegenstand hat schon die<br />

folgenlose Ersetzbarkeit von Wechsel und Veränderlichkeit im reinen<br />

Verstandesbegriff des Satzgegenstandes des Grundsatzes der ersten<br />

Analogie kenntlich gemacht, weil eben gleiches im Satzsubjekt des<br />

Grundsatzes der ersten Analogie nicht möglich ist, ohne<br />

transzendentalästhetische Bedingungen der reinen Sinnlichkeit<br />

heranzuziehen. — Die Schwierigkeit, der man sich im Grundsatz der<br />

ersten Analogie gegenübergesehen hat, war eben die, sowohl in der<br />

transzendentalen Zeitbedingung (im Satzsubjekt ausgedrückt), wie im<br />

reinen Verstandesbegriff (im interpretierten Satzgegenstand ausgedrückt)<br />

den Wechsel allein nach seiner Stellung im Grundsatz interpretieren zu<br />

müssen. Gemäß der Defizienz der Zeitreihe gegenüber der Zeitordnung ist<br />

der Wechsel vom Satzsubjekt zum Satzgegenstand des Grundsatzes der<br />

ersten Analogie selbst ohne jede Kontinuitätsbedingung; diese muß erst<br />

von der transzendentalen Ästhetik nachgetragen werden. Der Begriff des<br />

Wechsels als Inhalt des reinen Verstandesbegriffes (als analytischer


— 539 —<br />

Gegenbegriff des Beharrlichen) im Satzgegenstand der ersten Analogie<br />

beinhaltet zunächst für sich sowenig wie die Zeitbedingung im Satzsubjekt<br />

irgendwelche Kontinuitätsbedingungen. Demnach wäre für den<br />

Grundsatz der ersten Analogie ohne Bezugnahme einerseits auf<br />

transzendentalästhetische Bedingungen der reinen Sinnlichkeit und<br />

andererseits ohne Bezugnahme auf logische Bedingungen der<br />

Prädikatisierung (daß Prädikate sich auf ein Ding beziehen lassen müssen)<br />

das Satzsubjekt hinsichtlich des Gebrauchs des Begriffes vom Wechsel das<br />

analytische Gegenteil des Satzgegenstandes.<br />

❆<br />

Die synthetischen Grundsätze der dynamischen Kategorien (obgleich hier<br />

noch gar nicht vollständig behandelt: es fehlt die Erörterung des<br />

Commerciums) sind noch hinsichtlich der Gültigkeit der damit<br />

rechtfertigbaren empirischen Aussagen zu untersuchen. Ich verfahre hier<br />

nach der Einteilung, die Kant in § 9 gemäß der Einteilung der logischen<br />

Tafel gegeben hat. Hier sind systematisch zwei Möglichkeiten ersichtlich:<br />

1.1. Das Satzsubjekt gilt qua transzententale Zeitbedingung (inklusive aller<br />

möglichen, vorhin erörterten Umformungen) apodiktisch.<br />

1.2. Der Satzgegenstand gilt qua reinen Verstandesbegriff apodiktisch.<br />

Diese Version müßte nicht nur zu immerwährend gültigen Erkenntnissen<br />

führen, sondern noch jede emprisch-vereinzelte Erkenntnis, die darunter<br />

fällt, als nicht revidierbare Erkenntnis behaupten müssen. Insofern könnte<br />

von einem Wissenschaftsfortschritt nur in einem sehr eingeschränkten<br />

Sinne die Rede sein. Der historische Fortschritt der Wissenschaften, der<br />

bereits verläßlich angenommene Postulate derselben auschließen hat<br />

müssen, hat diese Auffassung zwingend widerlegt. — Die zweite<br />

Möglichkeit entspricht auch besser der Argumentationsstruktur, die der<br />

Kantschen Überlegung angemessen werden kann:<br />

2.1. Das Satzsubjekt gilt qua transzendentale Zeitbedingung assertorisch.<br />

2.1. Der Satzgegenstand gilt qua reinen Verstandesbegriff apodiktisch.<br />

Das führt dann nicht zu Schwierigkeiten, wenn unter einem reinen<br />

Verstandesbegriff wirklich nur die reinen Verstandesbegriffe der<br />

Kategorien des Verstandesgebrauches in der Erfahrung verstanden wird.


— 540 —<br />

§ 29 Die dritte Bedeutung von »reiner Kategorie« als Zeitinbegriff:<br />

Modalität<br />

In der Behandlung des Schematismus insbesondere in den synthetischen<br />

Grundsätzen der dynamischen Kategorien ist das transzendentale Subjekt<br />

immer schon in eine Haltung fixiert, welche einerseits das Problem der<br />

Kompossibilität der möglichen Prädikate im Rahmen des<br />

Kategorienproblems für die kontinuierliche Darstellbarkeit im Raum und<br />

in der Zeit in Stellung hält, aber andererseits den Gegenstand nach der<br />

Zeitordnung, und nicht nach der einfachen und für uns ursprünglichen<br />

Zeitreihe gemachter Anschauung zusammensetzt. Es reicht die<br />

intellektuelle Spontaneität in der transzendentalen Reflexion demnach hier<br />

zwar aus, diesen Gegenstand der Prädikate mit der Idee der Substanz qua<br />

Inhärenz ohne kontinuierliche Anschauung in Zusammenhang zu bringen,<br />

um jedoch die Identität und Einheitlichkeit desselben zu prüfen, sind dann<br />

die über die Anschauung hinausgehend gedachten Folgen doch wieder<br />

nur anhand der gegebenen kontinuierlichen Anschauung (also anhand der<br />

Zeitreihenfolge) als Zeitordnung festzustellen. 487 Die gegebene Darstellung<br />

scheint nun auszureichen, das Konzept der Unterscheidung der Synthesis<br />

nach compositio und nexus schwach zu erfüllen.<br />

Doch bleibt zuerst die Schwierigkeit, was nun die »Reinheit« eines Begriffs<br />

oder eines Urteils bedeuten könne, wenn schon Begriffe in metaphysischer<br />

Funktion auf Grund von Vorentscheidungen, die auf dem Boden rationaler<br />

Metaphysik (rationale Psychologie, Physiologie, Physik) im Rahmen der<br />

Untersuchung der Möglichkeit einer Vorstellungsimmanenz<br />

(konstruierbare vollständige Phänomenologie) gefallen sind, als a priori<br />

geltend eingeführt worden sind, mit der Schwierigkeit der Bestimmung<br />

der modalen Kategorie verbunden, da deren »reine« Kategorie nach den<br />

obigen Überlegungen mit der reinen Kategorie der Kausalität<br />

(Kompossibilität) zusammenfällt, 488 doch aber einen eigenen Anspruch auf<br />

»Reinheit« erheben kann:<br />

1. Die »reine« Kategorie drückt dann als »Zeitinbegriff« in den Analogien<br />

der Erfahrung intellektuell erst das »Correlat der modalen Reflexion« aus,<br />

um zur wirklichen Vollständigkeit der ursprünglich-synthetischen Einheit<br />

487 K.r.V., § 12, die Rückführbarkeit der Folgen beweist die Einheit des Begriffes.<br />

488 Die noch ausständige Behandlung des reinen Verstandesbegriff der Kategorie des<br />

Commerciums und deren Zusammenhang mit den modalen Kategorien wird im<br />

fünften Abschnitt und im Anschluß im vierten Abschnitt, II an geeigneterer Stelle<br />

nachgereicht.


— 541 —<br />

der Apperzeption in der Aussage (im Urteil) zuzureichen. Das aber ist<br />

wiederum nur im Verein aller Kategorien, also auch erst nach dem Beweis<br />

der objektiven Geltung der Kategorie der Kausalität und nach der<br />

Wechselwirkung des Commerciums (also schon nach allen Zeitmodi)<br />

analytisch im Rahmen eines Konzeptes der Gegenwart (Anwesen)<br />

möglich. Während die Kategorie der Kausalität noch die Aufgabe hat,<br />

gemäß den Regeln der Anschauung die Wahrnehmungen in den<br />

Erscheinungen nach einer Regel zu verknüpfen, deren Grund selbst<br />

unanschaulich bleibt, hat die Kategorie der Modalität allein die Aufgabe,<br />

Aussagen nach ihrer Gültigkeit zu beurteilen. Die Modalitätskategorie ist<br />

somit nicht mehr Angelegenheit der Einbildungskraft und insofern »rein«<br />

zu nennen.<br />

2. Die modale Bestimmung einer Aussage ist demnach die eigentliche<br />

Leistung der Kategorien. Weshalb sollte dieser Gebrauch rein genannt<br />

werden? Der erste Versuch einer Antwort hat gelautet: Weil sie sich auf ein<br />

Verhältnis bezieht, das nicht in der Anschauung gegeben werden kann.<br />

Auf gleiche Weise wurde schon von der Kausalitätskategorie behauptet,<br />

sie sei insofern rein, weil »die Ursache nicht angeschaut werden kann«,<br />

doch bezieht sich die Regel in der Kausalitätskategorie definitionsgemäß<br />

auf Verhältnisse zwischen Erscheinungen, die freilich nur als solche nicht<br />

Regeln der reinen Anschauung selbst sind, weil in den Erscheinungen erst<br />

die Eigenschaften bestimmt werden müssen, die Ursache bzw. Wirkung<br />

von etwas sind. Die modale Kategorie bezieht sich aber definitionsgemäß<br />

nun schon immer auf Aussagen über Begriffsverhältnisse oder über<br />

Aussagenverhältnisse. Das Correlat der modalen Reflexion ist derart eben<br />

nicht selbst ein Substrat der Substanzkategorie oder eine mögliche<br />

Kausalität zwischen Merkmal und Folge, sondern erstens bereits<br />

transzendental auf die Ganzheit des Daseins zu beziehen. Diese Ganzheit<br />

des Daseins ist aber zweitens auf die ganze mögliche Erfahrung eines<br />

Gegenstandes (X) zu beschränken, die allerdings eben nur diesem Urteil<br />

zugrunde liegt. Einschränkung des Daseins auf das Urteilen [a],<br />

Einschränkung der Ganzheit möglicher Erfahrung auf das X des zu<br />

betrachtenden Urteils [b], Einteilung der möglichen Erfahrung vom X auf<br />

das zu betrachtende Urteil [c] sind demnach die notwendigen<br />

Operationen, um die entsprechenden Bedingungen als solche explizite<br />

darzustellen.<br />

Aus der Kompilation der Vorlesungen zur Logik von Kant durch Jäsche ist<br />

in der Anmerkung zum § 30 die Eigentümlichkeit modaler Urteile zu


— 542 —<br />

ersehen: »Dieses Moment der Modalität zeigt also nur die Art und Weise<br />

an, wie im Urtheile etwas behauptet oder verneint wird: ob man über die<br />

Wahrheit oder Unwahrheit eines Urtheils nichts ausmacht, wie in dem<br />

problematischen Urtheile: die Seele des Menschen mag unsterblich sein [a];<br />

oder ob man darüber etwas bestimmt, wie in dem assertorischen Urtheile:<br />

die menschliche Seele ist unsterblich [b]; oder endlich, ob man die<br />

Wahrheit eines Urteiles sogar mit der Dignität der Nothwendigkeit<br />

ausdrückt, wie in dem apodiktischen Urtheile: die Seele des Menschen<br />

muß unsterblich sein [c]. Diese Bestimmung der bloß möglichen oder<br />

wirklichen oder nothwendigen Wahrheit betrifft also nur das Urtheil<br />

selbst, keineswegs die Sache, worüber geurteilt wird«. 489<br />

Apodiktische Urteile, die ihre Aussage mit Notwendigkeit behaupten,<br />

bleiben also auf den Geltungsbereich der transzendentalen synthetischen<br />

Grundsätze der Kategorien beschränkt. Ob darüber hinaus die Aussage<br />

aufgrund extensionaler oder intensionaler Begriffsverhältnisse als wahr<br />

oder als falsch behauptet werden kann, ist hier für Kant also nicht mehr<br />

die allein entscheidende Frage, sondern inwiefern die verstandesgemäße<br />

Verknüpfung empirischer Begriffe — wenn auch erst in einem beliebig<br />

wiederholbaren Experiment, das ihrerseits die Konstanz der Natur<br />

metaphysisch voraussetzt — ihre Notwendigkeit in der Erfahrung<br />

(assertorisch) und in der Theorie (problematisch) gleichermaßen<br />

demonstrieren kann. Dazu setzt Kant aber nunmehr das Kategoriengerüst<br />

voraus, und nur mehr dieses kann im strengen Sinne apodiktisch<br />

behauptet werden, sodaß der Obersatz der empirischen Postulate nicht<br />

mehr problemtisch wie in jeder empirischen Einzelwissenschaft, sondern<br />

selbst schon apodiktisch gelten können muß. Daß das Mögliche in der<br />

Erfahrung den Bedingungen der Kategorien gehorcht (eine apodiktische<br />

Aussage), garantiert für jedes wirklich assertorische (empirisch und<br />

logisch wahre) Urteil die Nachvollziehbarkeit der Richtigkeit: 490<br />

»Erfahrung ist schon ein System der Wahrnehmungen und enthält ein<br />

Princip der Möglichkeit der Erfahrung die nur Eine seyn kan. Denn<br />

Erfahrungen zu machen ist ein hysteron proteron der Erkenntnis des<br />

489 AA IX, p. 109<br />

490 Zur Erinnerung. Die emepirischen Postulate lauten: »1. Was mit den formalen<br />

Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und den Begriffen nach)<br />

übereinkommt, ist möglich. 2. Was mit den materialen Bedingungen (der<br />

Empfindung) zusammenhängt, ist wirklich. 3. Dessen Zusammenhang mit dem<br />

Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist (existiert)<br />

notwendig.« K. r. V., B 265 f./A 218)


— 543 —<br />

Verstandes welche an die Stelle der Warnehmungen Observation und<br />

Experiment zuvor das Princip der Möglichkeit der Erfahrung gegeben<br />

haben muß.« 491<br />

Der Bereich der Möglichkeit der Erfahrung ist also für jede<br />

Naturwissenschaft jeweils durch Experimente und Beobachtungen genau<br />

abzustecken, um die Formulierung der Aussage in ein bestimmbares<br />

Verhältnis zum möglichen Erfahrungsganzen eines Gegebenen zu bringen.<br />

Die erkenntnistheoretischen Bedingungen eines solchen Verfahrens zur<br />

Begründung einer Bejahung oder Verneinung einer empirisch-konkreten<br />

Aussage für alle Fälle empirischer Erfahrung aus sinnlich-anschaulichen<br />

Erscheinungen anzugeben soll nun die Leistung des Kategoriengerüstes<br />

sein, die ihren Abschluß in der modalen Kategorie besitzt.<br />

3. Daß die Kausalitätskategorie (die ohne Zeitbedingung nur die Vielheit<br />

und Einheit des Daseins ausdrückt) selbst rein genannt wird, kann dann<br />

ihren Grund nicht nur darin finden, weil die Verknüpfung in der<br />

Kausalitätskategorie selbst intellektuell ist und nicht in der Anschauung<br />

selbst gegeben wird, sondern nur mehr, weil diese selbst wieder den bloß<br />

analytischen Grund besitzt, daß ohne dem transzendentalen Prinzip der<br />

Kausalität nicht nur Erkenntnis, sondern eben ein sicherer Begriff aus der<br />

Erfahrung überhaupt unmöglich wäre. Die hier bedeutete Art<br />

transzendentaler analytischer Begründung ist nun eine ganz andere, als<br />

die im Argument der rein rationalen Metaphysik der metaphysischen<br />

Anfangsgründe der Naturwissenschaften: Nunmehr wird die<br />

Kausalitätskategorie analytisch gleich dem ganzen Vermögen, mit<br />

objektiver Gültigkeit über Realität urteilen zu können, insgesamt<br />

vorausgesetzt — die Kompossibilität der Dinge ist mit der Kompatibilität<br />

der Vermögen zu ergänzen, die zur modalen Bestimmung der Kenntnisse<br />

in der Kategorie nötig sind. Deshalb spricht Kant auch immer nur von<br />

einer synthetischen Metaphysik, die in Transzendentalphilosophie zu<br />

verwandeln sei, obwohl in den M.A.d.N. doch nur analytisch vorgegangen<br />

wird. Auch insofern ist die Kritik Konrad Cramers zu Recht erfolgt, der<br />

eine solche Verwendung der »Reinheit« allein auf Grund der<br />

Transzendentalität nicht für zulässig hält, obgleich die Kausalität selbst<br />

nicht anschaulich genannt werden kann. Cramers Kritik bezieht sich<br />

darauf, daß, ungeachtet der zweiseitigen Transzendentalität der Kausalität<br />

491 BENEDIKT 1977, Phil. Emp., Theorie, p. 392: AA XXII, p. 446 f.


— 544 —<br />

(in subjektiver wie in objektiver Deduktionsrichtung) und ungeachtet der<br />

trivialen Unanschaulichkeit der Kausalität, wegen des Umstandes, daß das<br />

Satzsubjekt im synthetischen Grundsatz (Alle Veränderung hat eine<br />

Ursache) nicht rein genannt werden kann (wenn auch einer logischen<br />

Definition fähig), der synthetische Grundsatz der Kausalität nur ein nichtreines<br />

synthetisches Urteil a priori heißen kann. Diese Überlegung hat<br />

einiges für sich, zumal auch gesagt werden kann, daß die Erweiterung<br />

zum Commercium zum Zusammengefügtsein mehrerer ungleichartiger<br />

Naturen eine metaphysische Überlegung ist, die nicht völlig dem engen<br />

Begriff von sinnlich kontinuierlicher Erfahrung, welcher in der<br />

transzendentalen Analytik der ersten Kritik vorausgesetzt wird, entspricht,<br />

auch wenn das Konzept des Gegenwärtigen weiterhin als Grundlage einer<br />

solchen Erweiterung in Stellung bleiben muß (vgl. die Bemerkungen zur<br />

Einbildungskraft im Anschluß). So wird auch mit der Erweiterung des<br />

alternativ subjektiven oder objektiven Gebrauchs des Begriffes<br />

»transzendental« zu »intelligibel« in der praktischen Bemächtigung des<br />

analytischen Verfahrens der Gebrauch des Begriffes »Reinheit« nicht allein<br />

im Sinne als Reinheit von empirischer Sinnlichkeit der Wahrnehmungen<br />

verstanden werden können (in weiterer Folge der Untersuchung der<br />

Seelenvermögen wird der Terminus »rein« auch die Reinheit von<br />

pathologischen Begierden bedeuten müssen). Je nach dem kann demnach<br />

offensichtlich beiden Fassungen des Gebrauchs des Terminus »Reinheit«<br />

als in sich folgerichtig zugestimmt werden, ohne deshalb einen<br />

unauflösbaren Widerspruch nach sich zu ziehen, ist man sich nur über die<br />

Vorausetzungen des Gebrauchs im Klaren.<br />

Keinesfalls aber vermag eine Aussage, die ein empirisch-konkretes<br />

Naturgesetz formuliert, als wirklich apodiktisches Urteil, sondern muß<br />

immer nur als Anspruch auf Allgemeinheit erhebend verstanden werden;<br />

apodiktische Urteile bleiben nur den selbst singulär bleibenden abstrakten<br />

Aussagen über die Kategorien vorbehalten: Apodiktisch ist die<br />

Behauptung im ersten empirischen Postulat, worin das Mögliche der<br />

Erfahrung überhaupt (das Kontingente überhaupt) den Kategorien der<br />

Erfahrung unterstellt wird. Das zweite empirische Postulat ist genau<br />

besehen eigentlich elliptisch und überfüllt zugleich formuliert: Ein<br />

assertorisches Urteil (mit materialer Bedingung: sinnlicher Empfindung<br />

zusammenhängend) ist nicht ohne dem ersten Postulat als Wirklichkeit<br />

aussagend zu nennen, und somit kein unabhängiger Untersatz, weil<br />

gemeinsam mit dem ersten Postulat ein überfüllter Satz, ohne ihn ein


— 545 —<br />

elliptischer Satz, der zur Bestimmung der Wirklichkeit allein mittels<br />

Sinnlichkeit transzendentalphilosophisch nicht zureichend ist. Das dritte<br />

Postulat sagt nach näherer Analyse nichts anderes aus als das erste<br />

Postulat; mit einer einzigen Ausnahme: die sinnliche Assertion als Reales<br />

(hier auf unbefriedigende Weise als Wirkliches gekennzeichnet) weist den<br />

Aussagegehalt des ersten empirischen Postulates nicht unbestimmt wie die<br />

allgemeine Aussage desselben auf den ganzen Bereich empirischmöglicher<br />

Aussagen an, sondern hebt eine ausgezeichnete empirische<br />

Aussage anhand der darin enthaltenen Beziehung auf eine sinnliche<br />

Beziehung aus der Menge aller empirisch-möglicher Aussagen heraus. Da<br />

die konstitutive Kategorie anhand der Antizipation die Intensität einer<br />

Empfindung bereits beinhaltet, wird ansonsten vom dritten empirischen<br />

Postulat nicht mehr ausgesagt als vom ersten Postulat, außer eben die<br />

Aktualität einer bestimmten sinnlichen Empfindung, worüber ausgesagt<br />

wird, bzw. welche in der jeweiligen empirischen Aussage als<br />

Bedeutungselement enthalten ist. Der modale Unterschied zwischen<br />

erstem und dritten empirischen Postulat beschränkt sich demnach darauf,<br />

daß ersteres allgemein über Allgemeines, letzteres allgemein über<br />

besonderes aussagt. Gemeint war von Kant aber vermutlich etwas ganz<br />

anderes: Nämlich im Schlußsatz den Zusammenhang zwischen den<br />

transzendentalen und realmöglichen Sätzen (dem ganzen Denken), die als<br />

erstes empirisches Postulat gelten könnten, durch Verknüpfung der Sphäre<br />

der ganzen Sinnlichkeit anhand der empirischen Assertation im Untersatz<br />

auch die Geltung des Schlußsatzes im Zusammenhang mit der ganzen<br />

Erfahrung zu behaupten (drittes empirisches Postulat).<br />

Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten hingegen kann bezüglich der<br />

Kontingenz nicht ohne vorhergehende Abstraktion, die auf das<br />

Allgemeine geht, das als Prinzip in Vernunftschlüssen dienen kann,<br />

angewendet werden. Wie schon Aristoteles deutlich gemacht hat: von<br />

Allgemeinen allgemein aussagen betrifft streng genommen das<br />

Notwendige und das Unmögliche, aber nicht das Mögliche. 492 Das ist<br />

zwischen folgenden Zitaten Kants durchaus nachzuvollziehen: Die<br />

Gegenüberstellung von »Alles ist notwendig, schlechthin oder bedingt.« 493<br />

492 Aristoteles Definition des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten lautet bekanntlich:<br />

»Handelt es sich um das, was ist, und um das, was gewesen ist, so ist es notwendig,<br />

daß entweder dei Bejahung oder die Verneinung wahr oder falsch sei,;und bei dem,<br />

was vom Allgemeinen allgemein [ausgesagt wird], daß das eine immer wahr, das<br />

andere falsch ist.« (Hermeneia, 9, 18a28-31)<br />

493 Rfl. 5196, AA XVIII, p. 115, etwa 1776-78


— 546 —<br />

und »Alles, was geschieht, ist hypothetisch notwendig.« 494 macht anhand<br />

des Begriffes vom Geschehen (also der die Kontingenz auszeichnenden<br />

Zeitlichkeit) eben den nämlichen Unterschied aus, den Aristoteles im<br />

herangezogenen Zitat hinsichtlich des Satzes vom ausgeschlossenen<br />

Dritten allein mit dem Ausschluß der Aussagen über die Kontingenz<br />

gekennzeichnet hat. Die Kategorien sind demnach Formulierungsregeln<br />

für Aussagen, deren Notwendigkeit auch durch Verhältnisse in der Zeit<br />

bedingt sind, und somit erst erklären, weshalb auch Aristoteles den Satz<br />

vom ausgeschlossenen Dritten nicht nur solche Fälle gelten hat lassen, wo<br />

vom Allgemeinen allgemein im Sinne das bloße Sein betreffend ausgesagt<br />

wird: »Daher ist der Satz: nichts geschieht durch ein blindes Ungefähr, (in<br />

mundo non datur casus,) ein Naturgesetz a priori; imgleichen, keine<br />

Notwendigkeit in der Natur ist blinde, sondern bedingte, mithin<br />

verständliche Notwendigkeit (non datur fatum). Beide sind Gesetze, durch<br />

welche das Spiel der Veränderungen einer Natur der Dinge (als<br />

Erscheinungen) unterworfen wird, oder, welches einerlei ist, der Einheit<br />

des Verstandes, in welchem sie allein zu einer Erfahrung, als der<br />

synthetischen Einheit der Erscheinung, gehören könnte. Diese beiden<br />

Grundsätze gehören zu den dynamischen. Der erstere ist eigentlich eine<br />

Folge des Grundsatzes von der Kausalität (unter den Analogien der<br />

Erfahrung). Der zweite gehört zu den Grundsätzen der Modalität, welche<br />

zu den Kausalbestimmungen noch den Begriff der Notwendigkeit, die aber<br />

unter einer Regel des Verstandes steht, hinzutut. Das Prinzip der<br />

Kontinuität verbot in der Reihe der Erscheinungen (Veränderungen) allen<br />

Absprung (in mundo non datur saltus), aber auch in dem Inbegriffe aller<br />

empirischen Anschauungen im Raume alle Lücke oder Kluft zwischen<br />

zwei Erscheinungen (non datur hiatus); denn so kann man den Satz<br />

ausdrücken: daß in der Erfahrung nichts hinein kommen kann, was<br />

einvacuum bewiese, oder auch nur als einen Teil der empirischen<br />

Synthesis zuließe. [...] Diese vier Sätze (in mundo non datur hiatus, non<br />

datur saltus, non datur casus, non datur fatum) könnten wir leicht, so wie<br />

alle Grundsätze transzendentalen Ursprungs, nach ihrer Ordnung, gemäß<br />

der Ordnung der Kategorien vorstellig machen, und jedem seine Stelle<br />

beweisen [...]. Sie vereinigen sich aber alle lediglich dahin, um in der<br />

empirischen Synthesis nichts zuzulassen, was dem Verstande und dem<br />

kontinuierlichen Zusammenhange aller Erscheinungen , d. i. der Einheit<br />

seiner Begriffe, Abruch oder Eintrag tun könnte. Denn er ist es allein,<br />

494 K.r.V., Widerlegung des Idealismus, B 280/A 228


— 547 —<br />

worin die Einheit der Erfahrung, in der alle Wahrnehmungen ihre Stelle<br />

haben müssen, möglich wird.<br />

Ob das Feld der Möglichkeit größer sei, als das Feld, was alles Wirkliche<br />

enthält, dieses aber wiederum größer, als die Menge desjenigen, was<br />

notwendig ist, das sind artige Fragen, und zwar von synthetischer<br />

Auflösung, die aber auch nur der Gerichtsbarkeit der Vernunft anheim<br />

fallen [...].« 495<br />

Nur weil nicht mehr der Horizont des kontinuierlich Gegenwärtigen<br />

(Anwesen) das alleinige Fundament der Reflexion ausmacht, kann aber<br />

nicht die Weise der Abwesenheit, ob anderswo, vergangen, möglich<br />

zukünftig, gewünscht oder befürchtet, in die Indifferenz angeblicher<br />

Ununterscheidbarkeit verstoßen werden, oder wie in den Kantschen<br />

Antinomien im Falle des Regressus dennoch alleine der Kontinuität der<br />

sinnlichen Erfahrungsbedingung unterstellt werden. Dort wird man<br />

einsehen müssen, daß der Regressus der Zeit nach zwar in der<br />

Rekonstruktion immer der nämlichen Kontinuitätsbedingung der<br />

Erfahrung bedarf, selbst aber einer logischen Kontinuitätsbedingung<br />

bedürftig ist, die nicht länger wie in der Kausalitätskategorie in der<br />

Konsequenz mit der Kontinuitätsbedingung der Sinnlichkeit<br />

zusammenfallen kann.<br />

❆<br />

Die antinomische Struktur der transzendentalanalytisch und synthetischmetaphysisch<br />

geführten Argumentation der transzendentalen Deduktion<br />

der reinen Verstandesbegriffe zwischen Verstand und Anschauung, die —<br />

so wie ich behaupte — das Schematismuskapitel wie die synthetischen<br />

Grundsätze umfaßt, zeichnet sich in dieser Aporie der Bestimmung, was<br />

die »Reinheit« der Kategorie zu bedeuten vermöchte, bis zuletzt durch. Die<br />

bloße »Reinheit« der Kategorie im hier als das »Correlat der modalen<br />

Reflexion« in einem bloß logisch bezeichneten Sinne vermag allerdings<br />

ohne den anderen Kategorien nicht den Grund des Überganges von der<br />

subjektiven zur objektiven Deduktionsrichtung anzugeben, hat aber selbst<br />

vor jeder Erörterung der Dialektik der bloßen Vernunft weder dasjenige<br />

zum Substrat, was transzendentallogisch im Ideal der reinen Vernunft dem<br />

Begriff vom einzelnen Gegenstand oder in der kategorialquantitativen<br />

495 B 280 f./A 228 f. (Hervorhebung von mir)


— 548 —<br />

Bestimmung prädikativ dem Ding, nicht einmal, was der bereits<br />

vorkritischen modalkategorialen Bestimmung des Veränderlichen zur<br />

Sukzessivität als zur Verknüpfung Tauglichem zum Substrat<br />

vorausgesetzt worden ist, sondern transzendentalanalytisch gleich das<br />

Dasein subjektiv als Vernunftraum aller Vermögen — und letztlich nicht<br />

nur der Erkenntnisvermögen 496 — zum Gegenstand.<br />

Mit dem subjektiven Ursprung der selbst verstandesgemäßen Totalität der<br />

Vernunftbegriffe werde ich mich im fünften und sechstem Abschnittes<br />

näher beschäftigen. Im anschließenden vierten Abschnitt soll auch zum<br />

Zusammenhang der Kategorie des Quantums mit der modalen Kategorie<br />

das Notwendige gesagt werden.<br />

496 Michael Benedikt behandelt deshalb komplementär das Problem der Vollständigkeit<br />

der »absoluten Einheit« der Erfahrung (Zum Primat theoretischer Vollständigkeit):<br />

»Die Zielvorstellung unserer denkbaren Erkenntnisbedingungen in ihrer<br />

erfahrungsmäßigen Verwirklichung auf Vollständigkeit hin besteht nämlich nicht in<br />

Form eines Rahmens oder „Fachwerk(s)“, in welches „das Empirische, was die<br />

Naturforschung liefern mag, nach Principien gestellt werden und so die Physik auf<br />

den Werth eines Systems Anspruch machen kann“ (Kant, O. p., AA XXI, p. 169).<br />

Diese Erkenntnisbedingung eines „framework“(P. F. Strawson, in: Individuals,<br />

London 1959, S. 24 ff., oder: Bounds of Sense, London 1966, S. 15 ff.) „analytisch“<br />

(O. p., AA XXI, p. 539) dem „Experiment“ und dessen Dialektik von Widerlegung<br />

und Bewährung entgegenzustellen, ist es also nicht, was Kant nennt: eine<br />

„Erfahrung anzustellen“(O. p., p. 478).«. (cit. op. p. 369). — Es zeigt sich, daß der<br />

Erfahrungsbegriff nach dem Verhältnis von Befindlichkeit (Gefühl) und Vernunft<br />

weiter auszulegen ist, als der Übergang von Verstand zur Vernunft im Rahmen der<br />

Kritik der theoretischen Vernunft allein vorzustellen vermag.

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