Behandlung bipolarer Erkrankungen
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BI p o l a r e er k r a n k u n g e n<br />
<strong>Behandlung</strong> <strong>bipolarer</strong> <strong>Erkrankungen</strong><br />
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Stephan Volk<br />
20 1/2012<br />
Einleitung<br />
Eine genaue Anamnese reicht in der<br />
Regelung nicht aus, um eine bipolare Erkrankung<br />
zu diagnostizieren, besonders<br />
dann, wenn hypomanische oder blande<br />
manische Episoden subklinisch blieben.<br />
Es empfehlt sich möglichst immer eine<br />
Fremdanamnese hinzuzuziehen, denn besonders<br />
häufig werden bipolar II Störungen<br />
nicht erfasst. Die <strong>Behandlung</strong> depressiver<br />
Patienten mit bipolaren Störungen<br />
unterscheidet sich erheblich von unipolaren<br />
Patienten. Das hat sich in den letzten<br />
Jahren eindeutig gezeigt. Für die <strong>Behandlung</strong><br />
von depressiven Episoden wird aktuell<br />
deutlicher, dass klassische und neure<br />
Antidepressiva häufig nicht wirksam sind.<br />
Darüber hinaus ist die Switch-Frequenz<br />
in Manien nicht zu vernachlässigen. Unter<br />
den neueren Antidepressiva ist die<br />
Switch-Frequenz von Venlafaxin mit 20%<br />
am höchsten. Das aktuelle amerikanische<br />
<strong>Behandlung</strong>sschema von bipolaren Depression<br />
(„Texas-Schema“) empfiehlt als<br />
Medikament der ersten Wahl Lamotrigen<br />
bzw. Lithium, auch in Kombination, an<br />
zweiter Stelle einen <strong>Behandlung</strong>sversuch<br />
mit Quetiapin und wenn diese Substanzen<br />
nicht zur Besserung führen, einen <strong>Behandlung</strong>sversuch<br />
mit SSRI wie Sertralin<br />
oder Bupropion. Vor allem Bupropion<br />
hat sich als wirksame Substanz bewährt.<br />
Neuere Untersuchungen bestätigen<br />
die Beobachtungen Kraepelins, dass bei<br />
bipolaren Patienten nach depressiven<br />
Episoden manische und nach manischen<br />
Episoden depressive Episoden folgen.<br />
Das hat für die <strong>Behandlung</strong> dieser Patientengruppe<br />
eine hohe Relevanz. Wurde ein<br />
Patient wegen einer Manie z.B. mit einem<br />
Neuroleptikum behandelt, so sollte dies<br />
insgesamt nur 4 bis 6 Monate beibehalten<br />
und dann wieder abgesetzt werden und<br />
parallel mit einem Phasenpropylaktikum<br />
begonnen werden.<br />
Nach wie vor, auch in aktuelleren Studien<br />
nachhaltig belegt, ist Lithium bei bipolaren<br />
Störungen das Mittel der ersten<br />
Wahl. Lithium zeigt eine deutlich ausgeprägte<br />
antimanische Wirkung (Adjustierung<br />
des Lithiumspiegels auf 0,9 -1, 2<br />
mmol/l) und eine geringer ausgeprägte<br />
antidepressive Wirkung. Die größte Bedeutung<br />
hat Lithium als Phasenprophylaktikum.<br />
Aktuelle Untersuchungsergebnisse<br />
betonen vor allem den Aspekt der<br />
Zyklizität, so dass auch häufig rezidivierende<br />
Depressionen prophylaktisch mit<br />
Lithium behandelt werden sollten. Unbestreitbar<br />
ist Lithium lebensrettend, weil<br />
diese Substanz, immer wieder belegt, antisuizidal<br />
ist. Lithium kann auch bei älteren<br />
Menschen eingesetzt werden, da Lithium<br />
auch eine protektive Eigenschaft gegen<br />
die Alzheimer Erkrankung aufweist.<br />
Valproinsäure ist nachweislich antimanisch<br />
wirksam, hat aber in entsprechenden<br />
Langzeitstudien wohl keine nachhaltige<br />
rezidivprophylaktische Wirkung<br />
gegen depressive Episoden. Lamotrigen<br />
ist eindeutig rezidivprophylaktisch gegen<br />
depressive Episoden wirksam aber nicht<br />
ausreichend gegen manische.<br />
Aus den zitierten Ergebnissen folgt<br />
z.B., dass eine Rezidivprophylaxe erfolgreich<br />
gegen beide Pole dieser Erkrankung<br />
durch eine Kombination von Lamotrigen<br />
und Lithium durchgeführt werden kann.<br />
Die Lithiumspiegel können bei dieser<br />
Kombination so Frederik Goodwin bei<br />
0,4 mmol/l einjustiert werden.<br />
In den letzten Jahren sind insbesondere<br />
die Neuroleptika der zweiten Generation<br />
in das Blickfeld der <strong>Behandlung</strong> vor allem<br />
von Manien gerückt. Olanzapin, Risperidon,<br />
Quetiapin, Ziprasidon, Aripiprazol<br />
und seit kurzem zugelassenen Asenapin<br />
sind antimanisch wirksam. Wurde eine<br />
Manie erfolgreich mit Olanzapin behandelt,<br />
schützt diese Substanz aber nicht<br />
ausreichend vor einer Depression. Die<br />
von Thohen et al. (2002) publizierten Daten<br />
zur Rezidivprophylaxe von Olanzapin<br />
umfassen lediglich einen Zeitraum von<br />
einem Jahr und sind daher wenig aussagekräftig,<br />
weil die rezidivprophylaktisch<br />
Wirksamkeit frühestens nach 18 Monaten<br />
beurteilt werden kann.<br />
besondere behandlungsherausforderungen<br />
rapid cyclying<br />
Treten mindestens 4 Krankheitsphasen<br />
pro Jahr auf, wird von Rapid cycling gesprochen.<br />
Hier ist es sehr wichtig zu bedenken,<br />
dass die Gefahr durch ein eingenommenes<br />
Medikament ein Switch von<br />
einem in den anderen Pol der Erkrankung<br />
begünstigt werden kann. Neben<br />
hormonellen <strong>Erkrankungen</strong> wie einer<br />
Hyperthyreose kann auch die Einnahme<br />
von Antidepressiva den Eintrittt von Rapid<br />
cycling begünstigen. Eine Monotherapie<br />
mit Valproat oder Olanzepin bzw. eine<br />
Kombination von Lithium und Valproat,<br />
sowie in speziellen Fällen auch eine Elektrokrampftherapie<br />
sind wirksam.<br />
bipolare Mischzustände<br />
Mischzustände finden sich bei etwa<br />
40 % aller akuten bipolaren Patienten.<br />
In der Regel handelt es sich um eine<br />
schwere Symptomatik und auf Grund der<br />
Komplexität gemischte Episoden müssen<br />
diese Patienten meist auf einer akut-psychiatrischen<br />
Station behandelt werden.
Die Pharmakotherapie muss schnell wirken,<br />
gleichzeitig depressive und manische<br />
Symptome bessern, antipsychotisch<br />
wirksam sein, Angst und Unruhe, Stimmungsinstabilität<br />
und erhöhte Suizidalität<br />
erfolgreich bekämpfen. Die aktuelle<br />
Datenlage zeigt, dass Olanzapin als Mittel<br />
der ersten Wahl eingesetzt werden kann.<br />
Ebenso ist die Valproinsäure als ein add<br />
on mit Olanzapin zu empfehlen. Häufig<br />
ist auch der Einsatz von Benzodiazepinen<br />
teilweise in hohen Dosierungen notwendig.<br />
Sollten die depressiven Anteile<br />
nicht ausreichend gut behandelt werden,<br />
mit einer Kombination zum Beispiel aus<br />
Valproinsäure mit Olanzapin kann auch<br />
die Verordnung eines Serotonin-Wiederaufnahmehemmers<br />
oder von Lamotrigen<br />
sinnvoll sein<br />
Psychotische Manie<br />
Die Forschungslage für die <strong>Behandlung</strong><br />
der psychotischen ist dürftig. Für die Wirksamkeit<br />
von Risperidon und Olanzapin<br />
gibt es Belege. Valproinsäure ist für diese<br />
Indikation ebenfalls zu empfehlen.<br />
behandlung hochakuter Manien –<br />
notfallsituationen<br />
Hier zeigt sich, dass die Neuroleptika<br />
Risperidon, Olanzapin und Quetiapin, bei<br />
Verweigerung der oralen Einnahme auch<br />
intramuskulär und/oder in Kombination<br />
mit Benzodiazepinen, letztere aber nicht<br />
als Monotherapie, erfolgreich angewendet<br />
werden können<br />
Schwangerschaft<br />
In der Regel sollte eine phasenprophylaktische<br />
Medikation im ersten Trimenon<br />
vorsichtig reduziert bzw. abgesetzt werden.<br />
Neuere Studienergebnisse zeigen,<br />
dass das Wiederansetzen von Lithium im<br />
zweiten Trimenon kein erhöhtes teratogenes<br />
Risiko für die Ebstein-Anomalie<br />
beinhaltet. Das gilt nicht für Carbamazepin<br />
oder Valproinsäure, die ein erheblich<br />
höheres teratogenes Risiko haben.<br />
Die Postpartum-Phase stellt ein erheblich<br />
erhöhtes Risiko für ein Rezidiv dar.<br />
Ist eine Patientin auf Lithium eingestellt,<br />
muß die Embryotoxizität von Lithium<br />
beachtet werden. Das Absetzen von Lithium<br />
erhöht erheblich das Risiko für<br />
eine manische Phase, so dass eine Weiterführung<br />
mit sehr niedrigem Lithiumspiegel<br />
(0,3 mmol/L) überlegt werden kann,<br />
weil dann die embryotoxische Wirkung<br />
zu vernachlässigen ist. Das teratogene Risiko<br />
für typische, atypische Neuroleptika<br />
SSRI und andere Antidepressiva ist gering.Lippen-Kiefer-Gaumenspalten-An-<br />
omalien wurden für Lamotrigen-<strong>Behandlung</strong><br />
im ersten Schwangerschaftstrimenon<br />
beschrieben.<br />
Alle Substanzen gehen in unterschiedlichem<br />
Ausmaß in die Muttermilch über.<br />
Lethargie und Hypotonie beim Neugeborenen<br />
von stillenden Frauen mit einer<br />
Lithiumprophylaxe werden beschrieben.<br />
Vorsichtige Reduktion des Blutspiegels<br />
ist prophylaktisch zu überlegen. Vorsicht<br />
ist beim Einsatz von Lamotrigen und<br />
Carbamezepin angezeigt. Der Anteil<br />
von Valproinsäure in der Muttermilch ist<br />
sehr gering. Das Für-und –Wieder eines<br />
frühzeitigen Abstillens muss individuell<br />
vor dem Hintergrund des Wiedererkrankungsrisikos<br />
zusammen mit der Mutter<br />
bewertet und entschieden werden.<br />
rezidivprophylaxe<br />
Wesentliche Risikofaktoren für ein<br />
Rezidiv sind neben Substanzmissbrauch,<br />
stimmungsinkongruente Wahninhalte<br />
und eine positive Anamnese hinsichtlich<br />
schizoaffektiver Störung mit manischen<br />
Symptomen. Verschiedene andere Untersuchungen<br />
zeigen einen Zusammenhang<br />
zwischen Rezidivhäufigkeit und einer höheren<br />
Anzahl von Episoden in der Vorgeschichte<br />
sowie einer verminderten Ansprechrate<br />
auf die Vorbehandlung bzw.<br />
längerer Klinikaufenthalte hin.<br />
Die kanadischen Leitlinien zur <strong>Behandlung</strong><br />
<strong>bipolarer</strong> Störungen empfehlen<br />
eine frühzeitige Prophylaxe schon nach<br />
der ersten Krankheitsepisode.<br />
Die Compliance ist zentraler Dreh- und<br />
Angelpunkt einer erfolgreichen langfristigen<br />
Prophylaxe und erfordert eine gute<br />
und langfristig ausgelegte Arzt- Patienten<br />
-Beziehung über lange Zeit. In der Regel<br />
müssen auch Angehörige einbezogen<br />
werden. Insbesondere ungünstige Persönlichkeitseigenschaften<br />
wie komorbide<br />
Persönlichkeitsstörungen und Krankheitsuneinsicht<br />
behindern die <strong>Behandlung</strong><br />
Wirksam sind in der Langzeitprophylaxe<br />
Lithium, Carbamazepin, Valproinsäure.<br />
Lamotrigen und Olanzapin. Lithium ist<br />
besonders wirksam bei typischen Bipolar<br />
I Störungen und geringer Komorbidität.<br />
Carbamazepin hat auf Grund seiner Nebenwirkungen<br />
und Interaktion mit anderen<br />
Medikamenten an Bedeutung in der<br />
Prophylaxe verloren.<br />
Den Ergebnissen aktueller Studien<br />
nach stellt Lamotrigen vor allen gegen<br />
den depressive Episoden eine deutliche<br />
wirksame Substanz dar. Valproinsäure<br />
BI p o l a r e er k r a n k u n g e n<br />
ist ebenfalls zur Prophylaxe zugelassen.<br />
Olanzapin ist besonders bei Patientin mit<br />
vorwiegend manischen Episoden besonders<br />
in der Prophylaxe geeignet zu sein.<br />
Auf Grund der Beobachtung, dass Bipolar<br />
II Störungen im Langzeitverlauf<br />
vor allem depressive Episoden zeigen,<br />
liegt die Rezidivprophylaxe auf der Verhinderung<br />
der depressiven Symptomatik,<br />
hier sind es Lithium und Lamitrogen als<br />
Medikamente der ersten Wahl für Langzeittherapie.<br />
Als Strategie der ersten Wahl für die<br />
Langzeittherapie von Rapid cycling empfiehlt<br />
sich Lithium und Valproinsäure, in<br />
zweiter Linie eine Kombination von Lamotrigen<br />
mit einer dieser beiden Substanzen<br />
(Tabelle 1).<br />
Tabelle 1<br />
Medikamentöse Prophylaxe<br />
• Lithium: 0,5 mmol/l antidepressiv; 0,8<br />
mmol/l: antimanisch (Severus et al., 2005)<br />
• Kombinationsbehandlung<br />
häufig notwendig<br />
• Lithium+ Lamotrigen: antidepressiv +<br />
antimanisch (Ghaemi et al., 2006)<br />
• Olanzapin + Lithium bzw. Olanzapin +<br />
Valproinsäure: antimanisch +<br />
antidepressiv (Tohen et al., 2004)<br />
Neben der medikamentösen <strong>Behandlung</strong><br />
hat sich gezeigt, dass Psychoedukation<br />
bei bipolaren Störungen sinnvoll ist.<br />
Die zentralen Ziele sind hierbei die Verbesserung<br />
der Compliance, die Identifikation<br />
von Frühsymptomen eines Rückfalls<br />
sowie die Erarbeitung von Bewältigungsstrategien<br />
bei Restsymptomen und Suizidalität.<br />
resümee<br />
Zusammenfassend kann gesagt werden,<br />
dass die psychopharmakologische<br />
<strong>Behandlung</strong> bei bipolaren Störungen im<br />
Vordergrund steht. Die <strong>Behandlung</strong> mit<br />
Lithium ist nachwievor ein bedeutsamer<br />
<strong>Behandlung</strong>spfeiler. Lamotrigen hat sich<br />
in den letzten Jahren als eine wichtige Substanz<br />
in der Rezidivprophylaxe <strong>bipolarer</strong><br />
Depressionen etabliert. Die Neuroleptika<br />
der zweiten Generation in das Blickfeld<br />
der <strong>Behandlung</strong> vor allem von Manien<br />
gerückt aber auch in der Prophylaxe.<br />
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Stephan Volk<br />
Ärztlicher Direktor der Fachklinik<br />
Hofheim GmbH<br />
Kurhausstr. 33, D-65719 Hofheim<br />
Tel.: +49 6192 291-1400, Fax DW 1402<br />
svolk@kliniken-mtk.de<br />
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